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Kapitel 3
Meine Affäre mit Claudia reichte natürlich nicht als Stoff für ein ganzes Buch. Doch es war ein Einstieg, wie ich ihn nicht mal zu erträumen wagte. Unser Trost- und Selbstfindungssex machte mir Mut, den ich beim Genrewechsel bitter nötig hatte. Und ganz nebenbei erkannte ich, warum meine „verkopften“ Romane so spröde gewesen waren: Bislang hatte ich meine Figuren ausschließlich von ihrer geistigen Beschaffenheit her konzipiert. Und deshalb blieben sie auch Figuren: blass und leblos, irgendwie unfertig. Weil der Geist eben nur ein Teil des menschlichen Wesens ist. Der kleinere Teil, wie jeder Blick auf das Treiben der Menschheit zeigt. Ich musste auch den Löwenanteil, ich musste die Gefühle sprechen lassen! Denn wovon lebt denn ein Roman? Vom Konflikt! Die Vernunft dagegen versöhnt. Nur Gefühle steuern immer wieder verlässlich auf Konflikte zu, wie blöde Schmeißfliegen gegen die Fensterscheibe.
Diese ersten Erkenntnisse machten mir Mut - für den Anfang, wie gesagt, zufriedenstellend.
Glücklicherweise blieb mein kurzes und heftiges Abenteuer mit Claudia nicht unbeobachtet und somit auch nicht ohne Folgen.
Wir wohnten damals in einem Sechsfamilienhaus, dem letzten in der Parkstraße, die vor unserm Haus in einen kleinen freien Platz mündete und am anderen Ende als Fußweg in den Stadtpark führte. Der Platz wurde vom Haus, der Garagenreihe und einer hohen Hecke wie ein U eingerahmt und wurde von den Hausbewohnern einfach „der Hof“ genannt.
Der Stadtpark war sehr beliebt bei Spaziergängern und Radfahrern, Joggern, Hundebesitzern und Liebespaaren, Rentnern und Müttern mit Kindern. Weil die Parkstraße die kürzeste Verbindung zwischen Stadtkern und Stadtpark war, kamen die meisten Parkbesucher an unserem Haus vorbei. Wann immer mein Schreibfluss stockte, ein Gedankengang sich sperrte, ein Wort sich verweigerte, schaute ich aus dem Fenster und folgte den Pilgern des Müßiggangs mit meinen Blicken ins Grüne. Vom zweiten Stock aus konnte ich sehen, wie sie erst hinter der Hecke verschwanden, dann vor dem Blumenrondell am Parkeingang wieder auftauchten und sich dann in der Weite des Parks verstreuten. Ich sah spontane, sporadische Besucher, die zwei, drei Mal die Woche in den Park gingen, andere kamen täglich, aber zu unterschiedlichen Zeiten. Und es gab die Regelmäßigen, nach denen man die Uhr stellen konnte. Zu ihnen gehörten Hundebesitzer, übergewichtige Jogger, Nordic-Walking-Damen einzeln oder im Rudel. Am Stockeinsatz der Walking Ladies (meist Endvierzigerinnen, deren ihre Hinterteile dem Zeitgeschmack zu üppig wurden) konnte man erkennen, wie lange sie ihren Sport schon betrieben. Die Anfänger setzten Schritte und Stöcke mit einer Ernsthaftigkeit, die einem religiösen Ritual glich. Stellte sich der gewünschte Erfolg, eine geringere Hosengröße, nicht beizeiten ein, stocherten und stöckelten sie mit der Verbissenheit des Durchhaltens an meinem Fenster vorbei. Wenn nach dieser Phase des lustlosen „Weiter so“ die Hintern noch immer nicht kleiner wurden, gaben viele entnervt auf. Einige Jogger verschwanden in der Regel nach Erreichen des Idealgewichts von meiner Bildfläche. Manche tauchten ein halbes Jahr später entsprechend fett geworden wieder auf. Am verlässlichsten aber waren die Hundebesitzer, sie gingen bei jedem Wetter mit der Präzision einer Funkuhr.
Meine Blicke, wie gesagt, blieben an der Hecke hängen, nur meine Phantasie folgte den Leuten manchmal, wenn am Schreibtisch nichts vorangehen wollte, weiter in den Park hinein. Die alte Dame mochte Tauben oder Eichhörnchen füttern und mit ihrem lange verstorbenen Mann Gespräche führen. Der ältere Herr mit dem durchgedrückten Rücken las vermutlich auf „seiner“ Bank „seine“ Tageszeitung, dies oder jenes Liebespärchen drückte sich hinter Büschen herum, während ein vorbeilaufender Jogger die Kalorien zusammenzählte, die er mit jedem Schritt verlor. Auf diese Weise mit Dingen beschäftigt, die nichts mit mir und noch weniger meiner Arbeit zu tun hatten, löste sich so manche Blockade und ich fand das passende Wort, den passenden Satz, ähnlich wie man auch verlegte Sachen findet, sobald man aufgehört hat, fieberhaft nach ihnen zu suchen. So wurde ich im Laufe der Zeit mit den Leuten vertraut, ohne sie zu kennen. Mir war zum Beispiel aufgefallen, dass die junge Frau mit den zwei Pudeln (tatsächlich waren es Möpse, aber das hätten Sie mir nicht geglaubt, oder? Wir glauben ja lieber gut Erfundenes, als eine Wahrheit, die sich allzu sehr aufdrängt). Es war mir also aufgefallen, dass die Frau mit den zwei Pudeln immer zu uns rüber schielte, wenn ich im Hof mit Claudia sprach.
Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen zu Hause ist, aber in unserer kleinen Stadt sind die meisten Hundehalter relativ unsexy. (Daran ändern auch Möpse nichts.) Ich sollte mal einen Essay über Hundebesitzer schreiben. Hundehalter erwarten von ihren Hunden Eigenschaften, die sie bei ihren Mitmenschen vermissen: Treue, Zuwendung, gehorsames Einfügen in die bestehende Ordnung. Sie sind also eher in der Fraktion Verlässlichkeit verortet, als in der Fraktion Leidenschaft. So kleiden sie sich, so geben sie sich: bieder und unauffällig, statt attraktiv oder gar aufregend. Das war meine persönliche Theorie und sie war, wie jede Theorie nur begrenzt wirklichkeitstauglich. Denn eines Tages klingelte es. Ich ging runter und vor der Tür stand die besagte Hundehalterin, aber ohne ihre Pudel (Sie sehen selber, dass Möpse hier für Verwirrung gesorgt hätten)! Sie trug auch nicht ihr schlabberiges Gassi-Outfit, sondern einen figurbetonten, kurzen Rock und eine Bluse, die viel Haut freiließ; statt ihrer bequemen Treter trug sie schicke Pumps, sogar ihr Allwetter–Gassigesicht war dezent geschminkt. So gestylt, wie sie nun vor mir stand, war ich mir sicher, dass ich sie schon anderswo gesehen hatte. Während ich noch grübelte, wo, sagte sie:
„Sie sind doch der Schriftsteller Immo Polcas, nicht wahr?“
„Ja, was führt Sie zu mir?“
„Ich habe sie neulich in dieser Talkshow gesehen. Sie waren Klasse! Ich hätte gerne ein Autogramm von Ihnen, ich meine, wenn man schon einen berühmten Mann in der Straße wohnen hat... ich bin doch nicht lästig, oder? Komme ich ungelegen?“
„Nein, nein“ sagte ich. ‚Im Gegenteil‘, dachte ich, ‚so wie du heute aussiehst! Ich werde‘, dachte ich, ‚in meinen Essay über Hundehalter einfließen lassen, dass Tiere den Menschen irgendwie herunterziehen, und wenn er (oder sie) das Tier loslässt, sich wieder auf Menschenebene begibt, sich damit automatisch wieder erhöht‘.
„Kommen Sie mit“ sagte ich. Sie ging vor mir die Treppe hoch. Sie roch gut, wider Erwarten gar nicht nach Hund und ihre Pobacken wippten mit jeder Stufe, die sie nahm, sexy hin und her. Oben angelangt, huschte sie durch die offene Wohnungstür, ohne auf meine Aufforderung zu warten und schritt forsch voran ins Wohnzimmer. Bewundernd fuhr ihr Blick über unsere Bücherregale:
„Wow“, sagte sie, „genauso habe ich mir die Schreibhöhle eines Intellektuellen vorgestellt!“
„Das ist nur Belletristik“ sagte ich, „das Hobby sozusagen, die Sachliteratur habe ich in meinem Schreibzimmer.“
„Darf ich es sehen?“
„Gerne, kommen Sie, hier ist es. Sehen Sie sich ruhig um, ich mach‘ uns einen Kaffee. Oder bevorzugen Sie Tee?“
„Nein, nein, Kaffee ist schon okay.“
Minuten später holte ich sie ab:
„Ich habe im Wohnzimmer serviert.“
Ich schenkte ihr ein Exemplar meines aktuellen Buches Aus meiner Sicht, eine Sammlung von Kolumnen, die ich für die Zeitung Die Woche kompakt mit großem Publikumszuspruch geschrieben hatte, die sich als Buch rätselhafterweise aber schwer verkauften. Verstehe einer den Markt und das Kaufverhalten der Leute! Ich jedenfalls verstand beides nicht. Ich klappte das Buch auf und signierte es mit dickem Filzschreiber über eine ganze Seite. Sie strahlte und bedankte sich überschwänglich. Dann sagte sie: „Ich bewundere Sie übrigens schon länger. Ich habe Sie letztens mit dieser Essensausfahrerin gesehen, das Auto stand öfter mal unten...“
„Eine Bekannte“ sagte ich.
„Oh“ sagte sie.
„Sie ist neulich weggezogen aus unserer Stadt.“
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, „Ich heiße übrigens Lisa Buske und wohne in der Parkstraße 3. Unter Nachbarn einfach nur Lisa, okay?“
„Auf gute Nachbarschaft“ sagte ich leicht ironisch, schließlich wohnten wir in Nummer 74, gut dreihundert Meter entfernt,
„Ich heiße mit vollem Namen Immanuel. Schon mein Vater war Professor für Philosophie und so hat er mir den Namen seines Idols Kant verpasst.“
„Na dann, Immo!“ sagte sie und klebte mir einen verheißungsvollen Bruderkuss auf die Lippen.
„Immo, darf ich dir was gestehen...“
Und ehe ich antworten konnte, gestand sie schon:
„Als ich dich mehrmals mit dieser Essenstante sah, bin ich vor Eifersucht fast verrückt geworden. Ich dachte, die gehen jetzt rauf und bumsen eine Runde und ich gehe mit meinen blöden Hunden spazieren!“
Ich sah sie mit großen Augen an.
„Und“ fragte Lisa?
„Was und?“
„Habt ihr gebumst?“
„Ich, ich, ich muss Sie schon sehr bitten...“ stammelte ich.
„Du! Wir waren schon beim Du, Immo. Und du musst mich nicht bitten und schon gar nicht sehr, Immanuel, ich mach’s doch gern.“
Sie legte ihre Hände in meinen Nacken und küsste mich. Zwischen den Küssen hauchten ihre feuchten Lippen heiße Ah’s und Oh’s. Ruck zuck hatte sie sich ihrer Bluse entledigt und zog mir das T-Shirt über den Kopf. Sie führte meine Hände zum BH-Verschluss und küsste mich wieder, während ich ihn öffnete. Sie hatte kleine knackige Brüste mit süßen Nippelchen, einen straffen, beinah muskulösen Körper den ein sanft gerundetes Becken krönte. Meine Hand fuhr in ihren Schlüpfer und fand darin nicht den wilden Urwald vor, den ich bei einer Tierhalterin erwartet hatte, sondern einen gepflegt zurechtgestutzten Park, in dessen Mitte eine vorwitzige Klitoris mich aufgeregt begrüßte. Als sie mir die Unterhose runterziehen wollte, blieb diese mit dem Bauchgummi an meinem stark erigierten Glied hängen.
„Langsam“, sagte ich. Doch langsam ging jetzt gar nichts mehr. Kaum waren wir nackt, sprang sie an mir hoch wie ein Äffchen, klammerte sich mit den Beinen um meinen Bauch und rutschte langsam an mir herunter. Schlüssel und Schloss fanden sich sofort. Ich lehnte mich zurück um das Gleichgewicht zu halten und Lisas niedlicher Hintern, den ich im Spiegel sah, hüpfte munter auf und ab. Ich kam vor ihr und als sie spürte, dass ich meine Salve abzuschießen begann, blieb sie ruhig auf meinem Stempel sitzen und küsste mich.
„Tut mir leid“ sagte ich, „du warst noch nicht so weit“.
„Egal“ sagte sie, „ich hab ein Autogramm von dir und dein Sperma, das genügt fürs Erste.“
„Du willst doch...“ sagte ich entsetzt, „kein Kind von mir!“
Lisa lachte:
„Nöö, keine Angst, bist ja kein reicher Tennisspieler. Aber Sex mit einem Berühmten ist einfach geil.“
Berühmt, wow! Ich war drei oder vier Mal im Fernsehen gewesen, davon hat Lisa mich einmal zufällig gesehen. Aber Menschen, die im Fernsehen nach ihrer Meinung gefragt werden, sind für einfache Leute automatisch wichtig und damit berühmt. Und Lisa war einfach. Einfach süß.
*
Abends hatte ich dann für meine Katinka eine Überraschung:
„Wie gefiele dir die Mutation einer Hundebesitzerin zum Vamp?“
„Auf so was kannst auch nur du kommen. Lies vor!“
„Nicht schlecht!“ fand Katja die Szene, „und wo mir diese fiktive Lisa auch noch so ähnlich sieht, wirst du keine Mühe haben, deine Phantasien praktisch nachzuvollziehen.“
Und wir vollzogen praktisch nach. Und dabei dachte ich, ‚Wenn ich das ganze Buch praktisch nachvollziehen muss, werde ich dringend ein Fitnesstraining brauchen. Oder irgendwelche Aufbaustoffe. Oder Drogen.‘
Mir fiel auf, dass die Recherchearbeiten zu meinem Buch zweiteilig waren. Das Beschaffen von neuem Stoff schien bislang der leichtere Teil zu sein, der Zufall war offenbar mein treuer Gehilfe, wie aber wurde ich die Geister wieder los? Claudia tat mir von sich aus den Gefallen, aber als ich Katja nach zwei Wochen immer noch irgendwelche Lisageschichten auftischte, meinte sie:
„Lass dir mal wieder was Neues einfallen, die scharfe, ein bisschen einfältige Lisa beginnt mich zu langweilen.
*
„Lisa“ sagte ich, „wir sollten uns eine Weile nicht mehr treffen, meine Frau riecht Lunte.“
„Oh, armer Immo, hast du Angst vor deinem Weibchen?“
„Mach dich nicht lustig über mich, so spricht man nicht mit mir!“
„Entschuldige, Herr Philosoph, wenn ich dir auf den Schlips getreten bin. Aber meinst du, du kannst mit mir hier rumvögeln und mich einfach wieder abschieben, wenn es dir nicht mehr in den Kram passt.“
„Lisa, die Initiative ging doch wohl von dir aus, oder? Und du wusstest, dass ich verheiratet bin. Für dich war es doch auch nur ein bisschen Spaß zwischendurch, ohne Besitzanspruch.“
„Ja, ist doch gut, ich hab verstanden. Darf ich denn wenigstens ab und zu mal bei dir reinschauen?“
„Es ist besser, wir beenden unser Techtelmechtel ganz.“
„Okay, okay, sagte sie „ich fand es trotzdem sehr aufregend mit dir, danke großer Meister.“
Mit diesen Worten endete die merkwürdige, beinahe surreale Beziehung zu Lisa - dachte ich.
*
Eines Sonntagvormittags, wir lagen noch im Bett, da klingelte es. Ich blieb liegen, Katja ging zur Tür.
„Ich bin Lisa Buske“ hörte ich die Stimme durch den Flur, „Herr Stein hat mich unten reingelassen. Ist Immo, ich meine, ist Herr Polcas zu Hause?“ Katja runzelte misstrauisch die Stirn.
„Was wollen Sie von ihm?“
Ja, das hätte ich auch gerne gewusst: was hatte das Luder mit diesem Auftritt vor?
„Ich wollte nur das Buch zurückgeben, dass er mir geliehen hat. Sagen Sie ihm, es war sehr schön. Das Buch meine ich. Vielen Dank und lieben Gruß. Von Lisa, er weiß dann schon.“
Katja kam mit einem Gesichtsausdruck zurück, der umgehend Erklärung verlangte:
„Kann es sein, dass diese Lisa gar nicht so fiktiv ist, wie du mir erzählt hast.“
„Äh, also, ne, die Figur nicht, die Geschichte schon. Ich meine, die kennst du doch, das ist die, die immer mit ihren Pudeln hier vorbeiläuft. Oder sind es Möpse? Egal, sie hat mich im Fernsehen gesehen und sich ein Buch ausgeborgt. Daraus habe ich dann meine Story entwickelt. Sag bloß, du bist eifersüchtig.“
„Eifersüchtig? Kein Stück, aber ich töte dich, wenn du mich betrügst!“
Sie zog mich an sich, wir fielen längs ins Bett zurück. Katja legte ihren Kopf auf meine Brust und hörte mein Herz wild hämmern.
„Beruhige dich, ich glaub‘ dir ja“, sagte sie. Dann drehte sie sich, legte sich auf mich und drückte ihr Becken gegen meines. Sie stützte sich mit den Armen ab und schloss, während ihr Becken zu wippen begann, ihre Augen. Jetzt, da sie mich nicht mehr sah, verwandelte meine Fantasie die arme Katja in die schamlose Lisa. Es stimmte, sie waren sich in manchem ähnlich: die schlanke Figur, die schönen Beine, der knackige Hintern und die süßen kleinen Brüste. Sogar ihre blonden Kurzhaarfrisuren ähnelten einander. Nur Lisas Gesicht war frecher, fordernder. Ich stellte mir vor, statt meiner Katja, die nur nahm, was man ihr anbot, läge die gierige Lisa auf mir, die nahm, was sie wollte. Die Metamorphose wirkte, ich stemmte mich lustvoll gegen Katjas Unterleib. Katja nahm meine Impulse auf, winkelte die Beine an und setzte sich aufrecht hin und ritt wild und mit geschlossenen Augen weiter. Als ich meinen No-Return-Point erreicht hatte, griff ich an ihre Brüste. Sie spürte meinen baldigen Erguss und suchte mit einigen heftigen Stößen ihrerseits einen Orgasmus zu erreichen. Ich weiß nicht, ob es ihr gelungen ist, jedenfalls stöhnte sie heftig, als ich so weit war und presste sich mit aller Kraft gegen mich. Mittlerweile hatte auch ich die Augen geschlossen und musste mich arg zurückhalten, um nicht „Lisa, Lisa“ zu stöhnen.
„Li.. Li.. Liebste“, stammelte ich atemlos. Ich schwitzte. Wie lange würde ich dieses wahnsinnige Doppelspiel noch durchhalten.
Kapitel 4
Weil Bücher, die sich weniger gut verkaufen, Promotion brauchen, und Hugenbach gute Beziehungen zu wichtigen Medienleuten hatte, schickte er mich an seiner statt in eine Talkshow. In eine anspruchsvolle selbstverständlich. Sonst hing er gerne selber dort rum und gab den engagierten Kleinverleger, der sich bis zur Selbstaufgabe für sein Medium Buch reinhängt. Was ja auch stimmte, kaum ein anderer Verlag war so sehr mit dem Namen des Verlegers verbunden. Und eitel, wie er war, musste er das der ganzen Welt zeigen: der große Hugenbach mit dem kleinen Verlag und dem großen Herzen! Nun hatte er die Gnade und ließ etwas vom Scheinwerferlicht auf mich herniederstrahlen. Ich hatte, wie schon kurz erwähnt, ein Jahr lang in Die Woche kompakt eine geistreiche Kolumne geschrieben, die überraschend gut angekommen war. Lobende Leserbriefe kamen körbeweise und eine bundesweite Tageszeitung hatte geschrieben:
„Hierin (in den Kolumnen) beweist der sonst so bierernste Philosoph und Essayist Immo Polcas sein Talent zum Humor“.
Hugenbach wollte diesen Rückenwind für seinen Verlag nutzen. Er hatte sich die Rechte gekauft und einen kleinen Band daraus zusammengestellt. Aus meiner Sicht wurde leider nicht der erhoffte Selbstläufer, wir mussten nachlegen, dazu war der bierernste Humorist Polcas Gast im Studio Vier.
Der Moderator schlug vor, sich auf die Kolumne zur Frauenquote zu konzentrieren. Darin hatte ich die Stellung der Frau im 21. Jahrhundert sehr ironisch behandelt. Mein Humor wurde nicht von allen gewürdigt. Fanatiker sind humorlos, Fanatiker sehen sich immer gleich persönlich angegriffen. Und so feuerte auch Amelie Blank, die Chef-Feministin des Landes aus allen Rohren zurück. Die Obersuffragette saß mir direkt gegenüber. Sie warf mir biologischen Determinismus vor, mit dem ich die Frau dem Mann auf ewig unterordnen wolle und manch anderes mehr. Der Gesprächsleiter heizte die Debatte an indem er mir zur Seite sprang, wenn ich aus seiner Sicht zu rücksichtsvoll antwortete. Das spornte mich tatsächlich an und schon bald hatte ich den Bogen raus: ich führte meine Gegnerin immer wieder auf ihr Urdilemma zurück:
„Sie kämpfen für die Rechte der Frau“ sagte ich, „und versuchen gleichzeitig, alle Unterschiede zwischen Frau und Mann einzuebnen. Wenn Sie aber keine Unterschiede wahrhaben wollen, gibt es auch keinen Kampf mehr. Solange sie gegen Ungerechtigkeit kämpfen, bin ich ganz bei Ihnen, sobald sie aber gegen die Biologie kämpfen, lache ich Sie aus.“
Amelie Blank zog sich kurz in den Schmollwinkel zurück und keifte:
„Er versteht es nicht, er will es einfach nicht verstehen!“
Ich warf ihr vor, die Begriffe Lust, Pornografie und Unterdrückung nicht scharf genug voneinander zu unterscheiden und fragte sie provokant:
„Gestehen Sie der Frau kein Recht auf Lust zu? Spüren Sie selbst keine sexuelle Lust?“
Das war zu viel. Viel zu persönlich.
„Jedenfalls verspüre ich keine Lust, mit Ihnen in aller Öffentlichkeit über meine persönlichen Gefühle zu sprechen.“
Sie stellte ihre Person wieder hinter den Kampf für Frauenrechte und warf mir bitterböse Blicke zu. Wir traten auf der Stelle und waren am Ende der Sendung kein Stück weiter als zu Beginn der Gesprächsrunde.
Aber darum ging es auch gar nicht.
Talkshows waren noch nie darauf aus, irgendwas zu klären oder auch nur zu erklären. Der Moderator hatte den gepflegten Zoff bekommen, den er wollte und ich die Werbung für mein Buch, und so nebenbei konnte ich nicht nur meinen Bekanntheitsgrad steigern: Wer zu Amelie Blank in den Ring gestellt wird, gilt schon als ein Schwergewicht. Auch Frau Blank selbst zeigte sich nach der Sendung zufrieden. Fanatisch war sie nur im Ring während des Kampfes.
Genaugenommen war auch sie schon ein Teil des Systems geworden, das den Kampf für das Gute als permanente Show zelebriert. Sie lebte mit ihrem Verlag von der fortdauernden Benachteiligung der Frau, so wie die Gewerkschaften von der fortdauernden Benachteiligung der Beschäftigten leben. Stellte sich von heute auf morgen Gerechtigkeit ein, wären all die wackeren Kämpfer urplötzlich arbeitslos. Ich bin sicher, so weit werden sie es nicht kommen lassen.
Ich traf Amelie Blank später im Hotelrestaurant wieder, überraschenderweise setzte sie sich zu mir. Die ausgepuffte Medienfrau konnte inszenierten Streit gut von privatem Umgang trennen.
„Für einen aus der Printbranche haben Sie sich wirklich prima geschlagen“, sagte sie.
„Hab ich Sie auch nicht zu hart angefasst?“
„Ich bitte Sie!“ Amelie Blank lachte laut auf, „Da bin ich wirklich Schlimmeres gewohnt.“
Als wir gegessen hatten und schon beim zweiten Glas Wein angelangt waren, sagte sie:
„Nur eines hat mich irritiert, ja geradezu rasend gemacht: dass Sie mir ständig auf den Busen gestarrt haben. War das Taktik...?“
„Wie bitte?“
„Ja, sie haben schon verstanden. Besonders bei der Frage, ob ich denn keine Lust verspüre, haben sie auf meinen Pullover gestarrt.“
„Und? Verspüren sie sexuelle Lust oder haben sie die unter ihrem Gerechtigkeitsanspruch vergraben?“ Amelie Blank schien leicht die Fassung zu verlieren.
„Glauben Sie im Ernst, ich spreche im Hotelrestaurant darüber.“
Und dann geschah, was ich nie für möglich gehalten hätte:
„Sprechen wir in meinem Zimmer weiter.“
*
„Natürlich bin ich auch eine Frau“ sagte Frau Blank und goss uns zwei Weinbrände aus der Minibar ein, „natürlich verspüre ich auch Lust. Aber ich verspüre keine Lust, über mir einen schwitzenden Mann keuchen zu sehen, der mit einem affenartigen Gesichtsausdruck einem raschen Orgasmus entgegenrammelt.“
Ich lachte:
„Ja, Sex zu zweit kann eine sehr einsame Sache sein.“
Amelie quittierte den Witz mit einem Schmunzeln und fuhr fort:
„Genau das meine ich: für den Mann ist Sex eine einseitige, um nicht zu sagen singuläre Veranstaltung. Er gebraucht die Frau nur als optische Vorlage zur Triebbefriedigung.“
„Und umgekehrt“ fragte ich?
Amelie wurde verlegen:
„Sicherlich ist auch die Frau auf optische Stimulanzen angewiesen, aber was mich persönlich angeht, so finde ich die meisten Männer angezogen sympathischer als nackt. Und sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich sage: das männliche Geschlechtsteil ist nicht gerade das ästhetische Meisterwerk der Schöpfung, oder?“
Ich zitierte den Kabarettisten Ingo Börchers:
„Der Schöpfer beweist Humor: warum sonst führt er den Abwasserkanal mitten durchs Vergnügungsviertel!“
Sie lachte:
„Herrlich, ehrlich! Apropos Ehrlich: Geben Sie zu: Sie haben mir auf den Busen gestarrt, wollten Sie mich damit verunsichern?“
„Antwort eins: ja, ich habe, Antwort zwei: nein, ich wollte nicht.“
„Warum dann?“
Am liebsten hätte ihr die Wahrheit gesagt:
„Weil Sie da offenbar zwei wunderbare Dinger unterm Pulli versteckt haben.“
Stattdessen bot ich ihr eine Halbwahrheit an:
„Aus Recherchegründen...“
„Wiebittewas? Das müssen Sie mir erklären!“
Ich erzählte ihr von meinem Buchprojekt und dass ich mich erst langsam darin einarbeiten müsste und dass diese Einarbeitung sich zu verselbständigen beginne; dass ich begänne, die Frauen nach sexueller Brauchbarkeit abzusuchen. Und wie peinlich mir das sei.
„Was denn, ausgerechnet ich soll Sie dafür bedauern? Warum machen Sie es denn, wenn Sie das so sehr mitnimmt?“
„Nun, Hugenbach hat viel für mich getan, ich bin ihm was schuldig. Darum.“
Amelie lachte hämisch goss uns einen weiteren Weinbrand ein:
„Auf den selbstlosen Kämpfer des Verlagswesens. Und weil wir gerade so ehrlich miteinander sind: ich hab es auf perfide Weise genießen müssen, wie sie mir auf den Busen starrten.“
Wow!
„Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ihre Augen schienen mich zu streicheln, meine Brüste erwärmten sich auf unerklärliche Weise...“
„Etwa so?“
Ich legte meine Lippen auf ihre linke Brust und hauchte langsam aus. Mein körperwarmer Atem verfing sich in ihren Pullover und unter der raschen Temperatursteigerung stellte sich ihr Nippel frech auf.
„Jaaah so!“, hauchte sie. „Übrigens hab zwei davon.“
Also ließ ich auch ihrer rechten Brust einen warmen Luftschwall zukommen, auch hier reagierte der Nippel rasch.
„Oh“ entfuhr es ihr und „ach!“
Konnte das wahr sein? Die schärfste Männerfeindin des Landes schmolz dahin, allein durch meinen Atem!
„Immo, tun Sie mir einen Gefallen und schalten Sie das Licht aus, ich mag keinen nackten Mann sehen.“
Verblüfft tat ich, was sie wünschte. Im Dunkeln zogen wir uns gegenseitig aus.
„Ziehen sie sich was über Polcas, wenn sie verstehen...“
Ich tastete nach meiner Hose und kramte ein Kondom aus der Tasche. Seit meiner Arbeit an diesem vermaledeiten Buch hatte ich immer welche griffbereit. Amelie tastete meinen Körper ab, zaghaft wie eine Sechzehnjährige, dann sagte sie:
„Unten kann ich nicht, legen Sie sich auf den Rücken.“
Ich legte mich aufs Bett, sie setzte sich auf mich, ganz langsam und vorsichtig und ritt in sanften Trab durch die Dunkelheit. Ich griff nach ihren Brüsten, die wie schwere Glocken im Rhythmus ihrer gezügelten Leidenschaft läuteten. Es war ein langer Ritt, der im dritten Drittel in leichten Galopp überging, in diesem Tempo überschritten wir beinah gleichzeitig die Ziellinie. Sie zog meine Hände von ihren Brüsten, ihre Hände krallten sich in meine und ich hatte den Eindruck, sie weinte. Während meiner Ejakulation verlor ich wieder den Verstand, wie einst mit Claudia. Amelie schien es ähnlich zu ergehen, wir brauchten lange um zu begreifen, was geschehen war. Eine Situation, die wir nur ertrugen, solange es stockfinster war, solange wir uns nicht in die Augen sehen mussten. Sex zu zweit kann mitunter eine einsame Angelegenheit sein, siehe oben. Weil man sich seiner Begierde wegen schämt, weil die Begierde uns zum Tier degradiert. Dann nimmt man dem Objekt der Begierde übel, die eigene Geilheit entfacht zu haben. Kopfmenschen machen es lieber im Dunkeln. Verschämt suchten wir unsere Klamotten zusammen und zogen uns an. Erst dann machte ich das Licht wieder an. Wir tranken noch einen Weinbrand und redeten, als wäre nichts gewesen, als hätten wir beide nur denselben Traum geträumt. Oder genauer: als hätten wir in einem Labor einen Selbstversuch gemacht. Nun redeten wieder zwei nüchterne Intellektuelle über Sex und seine mediale Überschätzung. Als ich ihr Zimmer verließ sagte sie:
„Ich freue mich schon auf unser nächstes TV-Duell. Und wenn Sie auch nur ein Wort davon erwähnen, was hier mit uns geschehen ist, Immo, ich schwör’s, dann kastriere ich Sie.“
Da war sie schon wieder ganz die Suffragette Amelie Blank. Ich versprach ihr hoch und heilig, niemals darüber zu reden.
Und Sie, liebe Leser, halten doch dicht, oder?
*
Meiner Katja erzählte ich schon aus Konditionsgründen nichts von dieser Affäre. Wahrscheinlich hätte sie ohnehin gesagt:
„Komm, übertreib es nicht, das nimmt dir doch keiner ab!“
Später überraschte Amelie Blank die Öffentlichkeit mit Sätzen wie:
„Selbstverständlich haben Frauen eine Sexualität. Es ging nie darum, der Frau die Lust auszureden. Es ging immer nur darum, dem Mann begreiflich zu machen, dass er die Frau nicht zum Ejakulationsautomaten degradieren darf.“
So hatte Hugenbachs Schnapsidee auf Umwegen dazu geführt, dass der öffentliche Blickwinkel auf die Sexualität sich geringfügig verschob. Und da soll noch einer behaupten, Intellektuelle bewegen nichts.
Nach meinem kleinen Ausflug in den großen, strahlenden Medienzirkus fand ich mich in meiner staubtrockenen Schreibstube wieder und hoffte auf ein weiteres Zuspiel des Zufalls, der mir in den letzten Wochen so gnädig gewesen war. Und er ließ auch nicht lange auf sich warten. Wenngleich ich ehrlicherweise anfügen muss, dass eine „liebe Freundin“ diesem Zufall auf die Sprünge geholfen hatte.
Начислим
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