1177 v. Chr.

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Ein Trojanischer Krieg vor dem Trojanischen Krieg?

Falls Achijawa also für das griechische Festland und die Mykener steht und falls der in Hattuša gefundene Brief KUB XXVI 91 zeigt, dass Achijawa auf irgendeine Weise am Aufstand von Aššuwa gegen die Hethiter involviert war – was können wir dann daraus schließen? Der Brief selbst und alle unsere Erkenntnisse zum Aufstand von Aššuwa datieren auf 1430 v. Chr., etwa 200 Jahre vor der Zeit, in der, wie man allgemein annimmt, der Trojanische Krieg stattfand (diesen datiert man in der Regel auf die Zeit zwischen 1250 und 1175 v. Chr.). Natürlich könnten alle diese Dinge, auch das mykenische Schwert mit der akkadischen Inschrift aus Hattuša, einfach eine Reihe von Phänomenen sein, die gar nichts miteinander zu tun haben.

Möglicherweise sind sie aber auch ein Hinweis darauf, dass Krieger aus der bronzezeitlichen Ägäis an der Seite Aššuwas gegen die Hethiter kämpften. Und falls dem so ist, könnte diese Unterstützung in den damaligen Aufzeichnungen der Hethiter und in der literarischen Überlieferung des späteren archaischen und klassischen Griechenlands ihren Niederschlag gefunden haben – nicht direkt als Trojanischer Krieg, sondern als eine Reihe von Schlachten und Überfällen in Anatolien, die man in eine Zeit vor dem Trojanischen Krieg einordnete und die ebenfalls mit Achilleus und anderen Helden der griechischen Mythologie in Verbindung gebracht wurden.67

Die Forschung ist sich heute einig, dass es sogar in Homers Ilias Berichte über Krieger und Ereignisse aus den Jahrhunderten vor der traditionellen Datierung des Trojanischen Krieges auf 1250 v. Chr. gibt. Dazu gehören der Turmschild des Kriegers Ajax – ein Schildtyp, der im 13. Jahrhundert v. Chr. längst von anderen Formen abgelöst worden war – und das »mit Silber beschlagene Schwert« (phasganon bzw. xiphos argyróēlon) verschiedener Helden, eine teure Waffe, wie sie zur Zeit des Trojanischen Krieges ebenfalls schon lange nicht mehr benutzt wurde. Und dann ist da noch die Geschichte von Bellerophon im 6. Gesang der Ilias (v. 178–240). Mit ziemlicher Sicherheit stellt Bellerophon einen prätrojanischen Typus des griechischen Helden dar. Proteus, der König von Tiryns, schickt Bellerophon von Tiryns auf dem griechischen Festland nach Lykien in Anatolien. Nachdem er drei Aufgaben besteht und zahlreiche weitere Hindernisse überwindet, erhält er schließlich sein eigenes Königreich in Anatolien.68

Darüber hinaus erwähnt die Ilias, dass lange vor der Zeit von Achilleus, Agamemnon, Helena und Hektor, nämlich zur Zeit von Priamos’ Vater Laomedon, der griechische Held Herakles Troja eroberte. Dazu brauchte er nur sechs Schiffe (Ilias 5. 638–642):

Welch ein anderer war die hohe Kraft Herakles,

Wie man erzählt, mein Vater, der trotzende, löwenbeherzte:

Welcher auch hierher kam, Laomedons Rosse zu fordern,

Von sechs Schiffen allein und wenigem Volke begleitet,

Aber die Stadt verödet, und leer die Gassen zurückließ!69

Wie ich schon an anderer Stelle erwähnt habe: Wenn man ein historisches Ereignis mit den vorhomerischen Überlieferungen achäischer Krieger, die auf dem anatolischen Festland kämpfen, in Verbindung bringen will, bietet sich der Aufstand von Aššuwa, ca. 1430 v. Chr., geradezu an – zumindest war er eines der größten militärischen Ereignisse im Nordwesten Anatoliens vor dem Trojanischen Krieg und eines der wenigen, für die man die Beteiligung der Mykener (bzw. Achijawaner) zumindest vorläufig durch Textzeugen wie den oben erwähnten hethitischen Brief KUB XXVI 9 nachweisen kann. Insofern kann man sich durchaus fragen, ob es nicht dieser Aufstand war, der die historische Grundlage für zeitgenössische hethitische Geschichten von in Anatolien kämpfenden mykenischen/achijawanischen Kriegern und Söldnern bildete und der Geschichten über militärische Anstrengungen der Achäer in Anatolien zeitigte, die vor dem Trojanischen Krieg stattfanden.70 Genauso kann man sich fragen, ob es der bevorstehende Aufstand war (den man sicherlich eine ganze Zeit lang planen musste), der Aššuwa um 1440 v. Chr. veranlasste, Kontakt zu Thutmosis III. aufzunehmen.

Abschließende Bemerkungen

Die renommierte Kunsthistorikerin Helene Kantor hat einmal gesagt: »Die Beweise, die uns über die Zeit geblieben sind, stellen nur einen Bruchteil dessen dar, was einst existiert haben muss. Jedes importierte Gefäß (…) steht für unzählige weitere, die inzwischen verloren sind.«71 Tatsächlich waren die meisten Güter, die im Warenverkehr hin und her gingen, mit Sicherheit entweder verderblicher Natur (und somit längst verrottet) oder es waren Rohstoffe, aus denen man, wie bereits erwähnt, sofort neue Objekte fertigte, zum Beispiel Waffen und Schmuck. Wir können somit durchaus annehmen, dass der Handel zwischen der Ägäis, Ägypten und dem Nahen Osten in der Bronzezeit auf um ein Vielfaches umfangreicher war, als wir es im Moment auf der Basis archäologischer Ausgrabungen festzustellen vermögen.

Vielleicht können wir in diesen Zusammenhang auch die Malereien im minoischen Stil einordnen, die Manfred Bietak im Palast von Thutmosis III. in Tell el-Dab’a im Nildelta entdeckt hat. Gewiss entstanden sie nicht unbedingt aus der Laune einer minoischen Prinzessin heraus, doch sie sind ein sicherer Beweis dafür, wie weitreichend die internationalen Kontakte, der Handel und die wechselseitigen Einflüsse rund um das Mittelmeer im 15. Jahrhundert v. Chr. waren; sie reichten bis ins minoische Kreta und wieder zurück.

Zusammenfassend können wir jenes Jahrhundert als eine Epoche beschreiben, in der über den gesamten Mittelmeerraum hinweg nachhaltige internationale Verbindungen entstanden, von der Ägäis bis nach Mesopotamien. Die Minoer und Mykener der bronzezeitlichen Ägäis waren zu diesem Zeitpunkt bereits gut etabliert, genau wie die Hethiter in Anatolien. Die Ägypter hatten die Hyksos aus ihrem Land vertrieben, und in Ägypten war mit der 18. Dynastie die Epoche angebrochen, die wir heute das »Neue Reich« nennen.

Doch wie wir weiter unten sehen werden, war dies lediglich der Auftakt zu einem regelrechten »goldenen Zeitalter« des Internationalismus und der Globalisierung im 14. Jahrhundert v. Chr. Als direkte Folge der jahrelangen Feldzüge und diplomatischen Bemühungen Thutmosis’ III., denen die friedlichen Handelsexpeditionen der Hatschepsut vorausgegangen waren,72 war Ägypten beispielsweise bald auf dem Zenit seiner internationalen Macht und erlangte einen Wohlstand, wie man ihn dort kaum jemals (wenn überhaupt) zuvor gekannt hatte. Dadurch etablierte sich Ägypten als eine der Großmächte und blieb dies auch für die restliche späte Bronzezeit, genau wie die Hethiter, die Assyrer und die Kassiten in Babylon, ganz zu schweigen von denen, die in zweiter Reihe agierten, wie Mitanni, die Minoer, die Mykener und die Zyprer. Einige von ihnen werden uns im folgenden Kapitel und auch später noch begegnen.

Kapitel zwei
Akt II Ägypter und Ägäer: das 14. Jahrhundert v. Chr.

Mehr als 18 Meter hoch sind die beiden riesigen Statuen am Eingang zum Totentempel Amenophis’ III. in Kaum al-Ḥīṭān. Seit 3400 Jahren stehen sie dort Wache, auch wenn der Tempel hinter ihnen schon längst – seiner prächtigen Steinblöcke beraubt – zu Staub zerfallen ist. Noch heute bezeichnet man sie oft als »Memnonkolosse«, infolge einer irrtümlichen Identifikation mit Memnon, einem äthiopischen Prinzen aus der Mythologie, der in Troja von Achilleus getötet wird. Beide Statuen zeigen einen sitzenden Amenophis III., der 1391 bis 1353 v. Chr. ägyptischer Pharao war. Aufgrund ihrer Fehlidentifizierung waren diese Kolosse schon vor 2000 Jahren berühmt; griechische und römische Touristen, die Homers Ilias und Odyssee kannten, besuchten sie und ritzten Graffiti in ihre Beine. Nachdem einer der Kolosse im 1. Jahrhundert v. Chr. durch ein Erdbeben beschädigt worden war, ließ er in der Morgendämmerung stets ein unheimliches Pfeifen ertönen, weil sich der Stein in der Kälte der Nacht zusammenzog und sich dann am Tag wieder dehnte. Sehr zum Leidwesen der antiken Tourismusindustrie bereiteten Restaurierungsarbeiten in der Römerzeit, im 2. Jahrhundert n. Chr., dem täglichen »Schreien des Gottes« ein Ende.1

So faszinierend sie auch sind, spielen nicht die beiden Kolossalstatuen die entscheidende Rolle für unsere Geschichte und die Ereignisse des 14. Jahrhunderts v. Chr., sondern vielmehr die fünfte von fünf Statuenbasen, die man in Nord-Süd-Richtung auf dem Gebiet des Totentempels fand. Der Tempel lag am Westufer des Nils in der Nähe des Tals der Könige, gegenüber von der heutigen Stadt Luxor. Auf diesen fünf Basen standen einst fünf überlebensgroße Statuen des Königs, die nicht ganz so groß waren wie die Kolosse am Eingang des Tempels. Den dortigen Hof säumten insgesamt 40 solcher Statuen.

Die Ägäische Liste Amenophis’ III.

Jede der fünf Basen (wie auch viele von den anderen) ist beschriftet mit einer Abfolge topographischer, in den Stein gemeißelter Begriffe innerhalb von, wie die Ägypter es nannten, »befestigten Ovalen« – aufrechten ovalen Einkerbungen mit einer Reihe kleiner Vorsprünge am Rand.

 

Die Form sollte eine befestigte Stadt symbolisieren (die Vorsprünge standen für Wehrtürme). Jedes befestigte Oval bildete den Unterkörper eines Gefangenen, dessen Arme auf dem Rücken an den Ellenbogen gefesselt waren; mitunter auch mit einem Strick um den Hals, der an weiteren Gefangenen vor und hinter ihm befestigt war. Dies war die traditionelle Art und Weise, wie man im Neuen Reich fremde Städte und Länder darstellte; auch wenn die Ägypter diese fremden Orte de facto gar nicht erobert hatten, geschweige denn diese kontrollierten, schrieben sie dennoch ihre Namen in solche »befestigte Ovale« – eine künstlerisch-politische Konvention, die vielleicht auch als eine Art symbolische Herrschaft gesehen wurde.

Zusammen bilden die Namen auf den Statuenbasen eine Serie geographischer Listen, die die Welt beschreiben, die den Ägyptern zur Zeit Amenophis’ III., also zu Beginn des 14. Jahrhunderts v. Chr. bekannt war. Darauf finden sich einige der wichtigsten Völker und Orte des alten Orients, u.a. die Hethiter im Norden, die Nubier im Süden und die Assyrer und Babylonier im Osten. In ihrer Gesamtheit stellen diese Listen für die Geschichte Ägyptens einen einzigartigen Fund dar.


Abb. 5 a–b Kolossalstatuen und sogenannte Ägäische Liste von Amenophis III. (Fotos: E. H. Cline und J. Strange).

Was aber an der Liste auffällt, die der Steinmetz in die Basis der fünften Statue gemeißelt hat: Hier finden sich Namen, die nie zuvor in ägyptischen Inschriften erwähnt wurden – Städte und Regionen westlich von Ägypten mit fremdländischen Namen wie Mykene, Nauplion, Knossos, Kydonia und Kythera, geschrieben links vorne und an der linken Seite der Basis, sowie zwei weitere Namen die separat auf der rechten Vorderseite der Basis stehen, als ob sie die Liste angeführt hätten: Keftiu und Tanaja.

Was war der Sinn dieser Liste, und wofür standen diese Namen? Seit 40 Jahren streiten sich Archäologen und Ägyptologen über die Bedeutung der 15 Namen auf dieser Statuenbasis, die man zusammen gemeinhin als sogenannte Ägäische Liste bezeichnet.

Deutsche Archäologen haben diese und die anderen Statuenbasen in den 1960er Jahren ausgegraben, doch leider wurde sie in den 1970er Jahren versehentlich zerstört. Erzählungen nach legten angeblich ortsansässige Beduinen unter der Basis ein Feuer und schütteten dann kaltes Wasser darüber, um den Stein zu knacken, mit der Absicht, die Platten mit den Inschriften auf dem Antiquitätenmarkt zu verkaufen. Die offizielle Version nennt einen in der Nähe entfachten Waldbrand als Ursache der Zerstörung. Doch wer oder was auch immer schuld war – die Basis zersprang in tausend Stücke. Was den Archäologen blieb, waren ein paar wenige Farbfotos von der Liste. 13 der 15 Namen dieser Liste hatte man noch nie in irgendeiner anderen ägyptischen Inschrift gefunden, und es sah ganz so aus, als würde man sie in Zukunft nie mehr sehen können.

Heute kann man dort unter der brennenden Sonne die Statuenbasen wieder bewundern und sogar die Statuen darauf, die zum ersten Mal seit über 3000 Jahren auf ihren Sockeln stehen (meistens laufen die Touristen auf dem Weg von ihrem klimatisierten Reisebus zum nahe gelegenen Tal der Könige aber achtlos daran vorbei). 1998 setzte ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Ägyptologin Hourig Sourouzian und ihres Ehemannes Rainer Stadelmann, des ehemaligen Direktors des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo, die Ausgrabungen in Kaum al-Ḥīṭān fort.

Seither graben sie dort jedes Jahr, und mittlerweile ist es ihnen gelungen, die Fragmente der zerstörten Statuenbasis mit der Ägäischen Liste und die der benachbarten Basen zu bergen. All das wird noch immer rekonstruiert und restauriert; allein die 800 Bruchstücke der Ägäischen Liste zusammenzusetzen, dauerte mehr als fünf Jahre.2

Nur mit zwei Namen auf der Ägäischen Liste waren die ägyptischen Schriftgelehrten (und die modernen Ägyptologen) bereits vertraut; es sind diejenigen, die die Liste wie eine Art Titel anzuführen scheinen: Keftiu, das ägyptische Wort für die Insel Kreta, und Tanaja, anscheinend das ägyptische Wort für das griechische Festland. Diese beiden Namen tauchten zum ersten Mal zur Zeit von Hatschepsut und Thutmosis III. in ägyptischen Texten auf, fast ein Jahrhundert früher, aber nie zusammen mit konkreten Bezeichnungen für einzelne Städte und Gebiete in der Ägäis.

Die anderen Namen auf dieser Liste waren so ungewöhnlich und dennoch so gut erkennbar, dass der erste Ägyptologe, der sie auf Englisch veröffentlichte, der berühmte Professor Kenneth Kitchen von der University of Liverpool, zunächst zögerte, Übersetzungen vorzuschlagen – aus Angst, andere Forscher könnten ihn belächeln. Seine erste Beschreibung der Inschrift auf der Statuenbasis erschien in der 1965er Ausgabe der Fachzeitschrift Orientalia und war nur ein paar Seiten lang. Darin bemerkte Kitchen vorsichtig: »Ich mag das Folgende kaum zu Papier bringen; der Leser kann es gerne ignorieren, wenn er das möchte. Aber die beiden Namen ’Amnisa und Kunusa sehen verdächtig aus wie Amniso(s) und … Knossos, die berühmten antiken Siedlungen an der Nordküste von Kreta.«3

Seither hat eine ganze Reihe von Wissenschaftlern daran gearbeitet, die Namen auf der Liste zu entschlüsseln und herauszufinden, was dahintersteckt. Der deutsche Gelehrte Elmar Edel veröffentlichte im Jahr 1966 die erste gründliche Untersuchung der Listen aller fünf Statuenbasen; erst rund 40 Jahre später, im Jahr 2005, erschien eine zweite Auflage, aktualisiert und mit diversen Revisionen und Emendationen. In der Zwischenzeit hatten sich natürlich zahlreiche weitere Wissenschaftler mit der Liste und ihren möglichen Interpretationen beschäftigt.4

Nach Keftiu (Kreta) und Tanaja (griechisches Festland) erscheinen ein paar Namen wichtiger minoischer Stätten auf Kreta von Ost nach West, u.a. Knossos und seine Hafenstadt Amnisos sowie Phaistos und Kydonia. An all diesen Orten gab es einen minoischen Palast, außer in Amnisos, das aber immerhin als Hafen für einen nahegelegenen minoischen Palast diente. Als Nächstes auf der Liste kommt die zwischen Kreta und dem griechischen Festland gelegene Insel Kythera und dann wichtige mykenische Stätten und Regionen auf dem griechischen Festland, u.a. Mykene und seine Hafenstadt Nauplion, die Region Messenien und eventuell Theben in Böotien. Als Letztes folgen wieder ein paar Ortsnamen vom minoischen Kreta, dieses Mal aber von West nach Ost – darunter auch wieder Amnisos.

Die Liste sieht verdächtig nach der Route einer Rundreise aus – von Ägypten durch die Ägäis und wieder zurück. Geht man nach der Reihenfolge der Namen auf der Liste, fuhren die Reisenden von Ägypten aus zuerst nach Kreta, vielleicht, um Angehörige des minoischen Königshauses und Kaufleute zu treffen (immerhin hatten die Ägypter zu jener Zeit bereits seit fast 100 Jahren Kontakte nach Kreta). Dann ging die Reise über Kythera auf das griechische Festland, wo man die Mykener besuchte, die damals begannen, den Minoern die Handelsrouten nach Ägypten und dem Nahen Osten abzunehmen. Schließlich fuhr man über Kreta nach Ägypten zurück; dies war der schnellste und direkteste Weg. Eine der letzten Stationen auf der Heimreise war Amnisos, wo man sich (wie bereits auf der Hinfahrt) mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgte.

Die Listen an den Statuenbasen stellen einen Katalog der gesamten, den Ägyptern zur Zeit Amenophis’ III. bekannten Welt dar. Die meisten Namen kannte man bereits aus anderen Dokumenten und Verträgen, so die Hethiter und die Kassiten/Babylonier (zu diesen später mehr) und diverse Städte in Kanaan. Die ägäischen Ortsnamen jedoch waren (und sind) außergewöhnlich und wurden in einer bestimmten Reihenfolge in den Stein gemeißelt.

Einige Namen wurden sogar überarbeitet und neu hineingehauen, entweder kurz bevor man die Statuen der Öffentlichkeit präsentierte oder sogar erst danach.5 Einige Wissenschaftler halten die Liste lediglich für Propaganda – für die eitle Prahlerei eines Pharaos, der von fernen Ländern gehört hatte und sie gerne erobert hätte oder seine Untertanen davon überzeugen wollte, er habe dies bereits getan. Andere halten dagegen, die Liste könne durchaus auf Faktenwissen und tatsächlichen damaligen Kontakten beruhen. Und die letztere Erklärung ist auch wahrscheinlicher, denn wir wissen aus den zahlreichen anderen Darstellungen in den Gräbern von Adligen aus der Regierungszeit von Hatschepsut und Thutmosis III. im 15. Jahrhundert v. Chr., dass es vielfache Kontakte mit der Ägäis gab und dass von dort immer wieder Diplomaten und/oder Kaufleute nach Ägypten kamen und Geschenke brachten.

Höchstwahrscheinlich bestanden diese Kontakte auch noch im folgenden Jahrhundert, während der Herrschaft Amenophis’ III. Falls dem so ist, könnte die Ägäische Liste die erste schriftliche Erwähnung einer Rundreise von Ägypten aus durch die Ägäis darstellen – eine Reise, die vor mehr als 3400 Jahren unternommen wurde, nur wenige Jahrzehnte, bevor der junge Tutanchamun das »ewige Land« regierte.

Dass wir es hier mit der Dokumentation einer Reise von Ägypten in die Ägäis und zurück im 14. Jahrhundert v. Chr. zu tun haben und nicht etwa mit einer Liste von Mykenern und Minoern, die nach Ägypten kamen, wissen wir aufgrund der folgenden, faszinierenden Tatsache: Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen die Kartusche (der Königsname) Amenophis’ III. oder seiner Frau, Königin Teje, eingeritzt ist und die von Archäologen an sechs Standorten rund um die Ägäis gefunden wurden – auf Kreta, auf dem griechischen Festland und auf Rhodos. Tatsächlich finden sich vier der sechs Fundorte dieser Objekte auf der Ägäischen Liste wieder.

Bei einigen dieser beschrifteten Objekte handelt es sich lediglich um Skarabäen und kleine Stempelsiegel, doch es gibt darunter auch eine Vase. Alle tragen die Kartusche entweder des Pharaos oder seiner Frau. Am wichtigsten sind die zahlreichen Fragmente doppelseitiger Tafeln aus Fayence (das ist eine Art Mittelding aus Keramik und Glas), die man in Mykene gefunden hat, das im 14. Jahrhundert v. Chr. wahrscheinlich die führende Stadt Griechenlands war. Es gibt mindestens zwölf solcher Fragmente, und sie stammen von insgesamt neun oder noch mehr Tafeln, die alle 6–8 cm lang, etwa 10 cm breit und weniger als 1 cm dick waren. Alle trugen auf beiden Seiten in schwarzer Farbe die Titel Amenophis’ III.: »der gute Gott, Neb-Ma’at-Re, Sohn des Re, Amun ist zufrieden, Prinz von Theben, dem das Leben gegeben ist«.6

Ägyptologen kennen solche Tafeln gut, denn es war Sitte, diese beim Bau von Tempeln oder manchmal auch Statuen von Königen in einem Behältnis unter dem Fundament zu platzieren (zumindest in Ägypten).7 Noch heute verstecken ja manche Bauherren im Fundament ihres Hauses eine »Zeitkapsel«, und tatsächlich tat man dies in Mesopotamien bereits während der frühen Bronzezeit. Wahrscheinlich wollte man so sichergehen, dass die Götter, aber auch nachfolgende Generationen die Identität des Erbauers oder Stifters erfuhren und dessen Großzügigkeit preisen konnten. Zudem wurde so das Datum festgehalten, wann ein Gebäude bzw. eine Statue fertiggestellt worden war.

Das Interessante an diesen Tafeln in Mykene ist, dass sie in der Ägäis eben vollkommen einzigartig sind. Im Grunde genommen ist Mykene sogar der einzige Ort im gesamten Mittelmeerraum – außerhalb von Ägypten natürlich –, wo man jemals solche Fayence-Tafeln mit dem Namen Amenophis’ III. gefunden hat. Die ersten Fragmente in Mykene entdeckten griechische Archäologen um 1900. Sie glaubten damals, es handle sich um Porzellan; den Namen Amenophis erkannte man da noch nicht bzw. konnte ihn noch nicht eindeutig entziffern. Im Laufe der Jahre traten weitere Bruchstücke zutage. Einige davon entdeckte der berühmte britische Archäologe Lord William Taylor innerhalb des kultischen Zentrums von Mykene. Und erst vor wenigen Jahren kam ein weiteres Fragment ans Licht – die Archäologin Kim Shelton aus Berkeley fand dieses in Mykene in einem tiefen Brunnen.

Keines der Bruchstücke in Mykene wurde in seinem ursprünglichen Kontext gefunden. Anders ausgedrückt: Wir haben keine Ahnung, wie oder wozu man die Täfelchen dort benutzte. Aber die bloße Tatsache, dass es sie nur in Mykene und nirgendwo sonst in der Welt gibt, zeigt bereits, dass zur Zeit von Amenophis III. eine besondere Beziehung zwischen dieser Stadt und Ägypten existiert haben muss, zumal man in Mykene außerdem eine Vase von Amenophis III. sowie zwei Skarabäen von seiner Frau, Königin Teje, ausgegraben hat. Bedenkt man, dass sich diese Region aus ägyptischer Sicht im hintersten Winkel der bekannten und zivilisierten Welt befand, weist die Korrelation dieser Objekte mit den Namen auf der Ägäischen Liste doch stark darauf hin, dass sich während der Regierungszeit Amenophis’ III. etwas Ungewöhnliches ereignet haben muss, was die internationalen Kontakte betrifft.

 

Die importierten ägyptisch-orientalischen Objekte, die man in der Ägäis entdeckt hat, bilden ein interessantes Muster, das wiederum mit der Ägäischen Liste zu tun haben könnte: Das minoische Kreta war offensichtlich weiterhin das Hauptziel der Händler aus Ägypten und dem Nahen Osten in der Ägäis, zumindest noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts v. Chr. Da man auf Kreta jedoch in ungefähr gleichen Mengen Objekte aus Ägypten, Kanaan und Zypern gefunden hat, kann es durchaus sein, dass die Händler und Kaufleute, die zwischen Kreta und dem östlichen Mittelmeerraum hin und her segelten, zu dieser Zeit nicht mehr hauptsächlich ägyptische Waren lieferten, wie es in den Jahrhunderten zuvor der Fall gewesen war. Falls ägyptische und minoische Gesandte und Händler zuvor tatsächlich die Routen in die Ägäis dominiert hatten, so hatten sich ihnen nun Kanaaniter und Zyprer angeschlossen – oder waren vielleicht sogar an ihre Stelle getreten.


Abb. 6 Fayence-Platte von Amenophis III., in Mykene gefunden (Foto: E. H. Cline).

Diese nunmehr komplexere internationale Situation dauerte zwei Jahrhunderte an, doch bereits Ende des 14. Jahrhunderts v. Chr. kam es zu einer Verschiebung, was den Import ausländischer Waren in die Ägäis betrifft: Die Zahl der Lieferungen nach Kreta scheint schlagartig abgenommen zu haben, und die Menge der auf das griechische Festland gelieferten Waren stieg rasant an. Falls es tatsächlich eine solche Verlagerung des Handels mit orientalischen Gütern zugunsten des griechischen Festlandes gegeben hat, könnte dies mit der Zerstörung von Knossos um 1350 v. Chr. zu tun haben, nach der die Mykener die Handelswege nach Ägypten und dem Nahen Osten übernahmen (diese Annahme ist jedoch höchst spekulativ).8 Die Ägäische Liste Amenophis’ III. könnte ein Abbild dieser Situation sein, denn die auf der Statuenbasis aufgeführten Orte sind einerseits minoische Stätten auf Kreta als auch mykenische Stätten auf dem griechischen Festland. Falls Ägypten zur Zeit Amenophis’ III. eine Gesandtschaft in die Ägäis schickte, könnte sie zwei Aufgaben gehabt haben: den Kontakt zu einem alten und geschätzten Handelspartner (den Minoern) zu stärken und Beziehungen zu einer neuen aufstrebenden Macht (den Mykenern) zu etablieren.9

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