1177 v. Chr.

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Kapitel eins
Akt I Arma virumque: das 15. Jahrhundert v. Chr.

Um das Jahr 1477 v. Chr. ordnete der ägyptische Pharao Thutmosis III. den Bau eines großen Palastes mit kunstvollen Fresken an, unweit des Mittelmeeres in der unterägyptischen Stadt Peru-nefer am Nildelta. Um diese Fresken zu malen, beauftragte man minoische Künstler aus dem fernen Kreta, die weit nach Westen über das »Große Grün« (so nannten die Ägypter das Mittelmeer) segeln mussten. Sie schufen Bilder, wie man sie noch nie zuvor in Ägypten gesehen hatte – seltsame Szenen mit Männern, die über Stiere springen, wurden mit Farbe auf den noch feuchten Putz gemalt, eine Technik, bei der die Farben zu einem integralen Bestandteil der Wand werden. Diese neuen, einzigartigen Fresken aus der Ägäis kamen so in Mode, dass man sie bald nicht nur in Ägypten, sondern auch in vielen anderen Palästen entlang der Küste fand – vom Nildelta bis zur Küste von Nordkanaan in Stätten wie Kabri in Israel, Alalach in der Türkei, Qatna in Syrien und Dab’a in Ägypten.1

Peru-nefer, die Stadt im Delta, hat man als das heutige Tellel-Dab’a identifiziert. Ausgegraben wurde die Stätte ab 1966 vom österreichischen Archäologen Manfred Bietak und seinem Team. Die Stadt kannte man zuvor auch als Avaris, die Hauptstadt der Hyksos, der verhassten Invasoren, die ca. 1720 bis 1550 v. Chr. große Teile Ägyptens regierten. Aus Avaris wurde Peru-nefer, eine wichtige ägyptische Metropole, nachdem einer von Thutmosis’ Vorfahren, der Pharao Kamose, die Stadt um 1550 v. Chr. eingenommen hatte. Im Laufe von vier Jahrzehnten brachte Bietak eine einstmals wohlhabende Stadt ans Licht – unter mehreren Metern Sand und Schutt lagen großartige Fresken begraben, zu Beginn der 18. Dynastie (etwa 1450 v. Chr.) geschaffen von Minoern oder lokalen Handwerkern, die von diesen ausgebildet worden waren.2 Diese sind ein gutes Beispiel für die Internationalisierung der Welt des östlichen Mittelmeeres und der Ägäis, die nach der Vertreibung der Hyksos aus Ägypten zusammenzuwachsen begann.

Zurück zu den Hyksos

Die Hyksos waren zum ersten Mal um das Jahr 1720 v. Chr. in Ägypten eingefallen, ein Vierteljahrtausend vor der Zeit Thutmosis’ III. Sie blieben fast 200 Jahre lang dort, bis 1550 v. Chr. Als die Hyksos das Land überrannten, war Ägypten längst eine der etablierten Großmächte des alten Orients. Die Pyramiden von Gizeh waren zu diesem Zeitpunkt bereits fast 1000 Jahre alt; erbaut wurden sie während der 4. Dynastie, im Alten Reich. Der ägyptische Priester Manetho lebte in der viel späteren hellenistischen Epoche, im 3. Jahrhundert v. Chr. Er nannte die Hyksos »Hirtenkönige« – eine Fehlübersetzung des ägyptischen Begriffs hekau khasut, der eigentlich »Häuptlinge aus fremden Ländern« bedeutet. Aus »fremden Ländern« kamen die Hyksos tatsächlich, sie waren Semiten, die aus der Region Kanaan, also aus dem heutigen Israel, Libanon, Syrien und Jordanien, nach Ägypten migrierten. Bereits im 19. Jahrhundert v. Chr. gab es in Ägypten Darstellungen von Semiten, wie auf einer Wandmalerei in einem ägyptischen Grab in Beni Hasan, das »asiatische« Kaufleute und Händler zeigt, die Waren ins Land bringen.3

Mit der Invasion der Hyksos in Ägypten endete die Epoche des Mittleren Reiches (ca. 2134–1720 v. Chr.). Ihren Erfolg verdankten sie wahrscheinlich ihrem Vorsprung in der Waffentechnologie und ihrer Fähigkeit zum Erstschlag, denn sie besaßen Kompositbögen, mit denen sie viel weiter schießen konnten als es mit den traditionellen Bögen der damaligen Zeit möglich war. Zudem besaßen sie Pferdestreitwagen, wie man sie in Ägypten noch nie gesehen hatte.

Von ihrer Hauptstadt Avaris im Nildelta aus herrschten die Hyksos nach der Eroberung fast 200 Jahre lang über Ägypten, von 1720 bis 1550 v. Chr., während der sogenannten Zweiten Zwischenzeit (15.–17. Dynastie).4 Es ist eines der wenigen Male zwischen 3000 und 1200 v. Chr., dass Ägypten von Ausländern regiert wurde.

Geschichten und Inschriften ungefähr vom Ende dieser Zeit, um 1550 v. Chr., nennen einige Schlachten zwischen den Ägyptern und den Hyksos. Eine berichtet über die Auseinandersetzung zwischen zwei Herrschern, den Streit zwischen Apophis und Seqenen-Re. In dieser – höchstwahrscheinlich apokryphen – Geschichte beschwert sich der König der Hyksos, Apophis, er könne nachts nicht schlafen, weil die Flusspferde, die sich der ägyptische König Seqenen-Re in einem Teich halte (der gleichzeitig in einem anderen Teil Ägyptens regierte), so großen Lärm machten. Die Beschwerde ist schon deshalb absurd, weil Seqenen-Res Palast mehrere hundert Kilometer von dem des Apophis entfernt lag – der eine in Oberägypten, der andere in Unterägypten. Der Hyksos-König hätte die Flusspferde also unmöglich hören können, egal wie laut sie waren.5 Doch wir besitzen die Mumie von Seqenen-Re und wissen aufgrund bestimmter Schädelverletzungen, die von einer Streitaxt stammen, dass er im Kampf gefallen sein muss. War es eine Schlacht mit den Hyksos? Das können wir nicht zweifelsfrei sagen; dass Apophis und Seqenen-Re einander bekämpften, ist jedoch durchaus möglich (ob es dabei nun um Flusspferde ging oder nicht).

Wir verfügen auch über eine Inschrift von Pharao Kamose, dem letzten König der 17. Dynastie, der damals von seinem Palast in Theben in Oberägypten aus regierte. Er liefert uns um 1550 v. Chr. ein paar Informationen über die letzte siegreiche Schlacht gegen die Hyksos, die er »Asiaten« nennt:


Abb. 3 »Asiaten« in Beni Hasan (nach Newberry 1893, Taf. xxx/xxxi. Mit freundlicher Genehmigung von der Egypt Exploration Society).

Ich segelte nach Norden, um die Asiaten mit meiner Macht zu besiegen, (…) meine tapfere Armee vor mir wie ein Feuer, (…) die Bogenschützen an der Spitze, um ihre Orte zu zerstören (…) Ich verbrachte die Nacht in meinem Schiff, mein Herz war glücklich; und als der Tag anbrach, stellte ich ihm nach wie einem Falken. Bis zur Frühstückszeit hatte ich ihn gestürzt, seine Mauern zerstört und sein Volk abgeschlachtet und hatte seine Frau hinunter zum Flussufer geschickt. Meine Armee verhielt sich wie Löwen mit ihrer Beute (…) Habseligkeiten, Rinder, Fett, Honig – (…) sie teilten die Gegenstände untereinander auf, mit fröhlichem Herzen.

Von Kamose erfahren wir auch etwas über das Schicksal von Avaris:

Was Avaris an den Zwei Flüssen betrifft, so machte ich es ohne seine Bewohner dem Erdboden gleich; ich zerstörte ihre Städte und verbrannte ihre Häuser für immer zu rötlichen Ruinenhaufen, aufgrund der Zerstörungen, die sie mitten in Ägypten angerichtet hatten: Sie hatten es sich erlaubt, dem Ruf der Asiaten zu folgen; (sie) hatten Ägypten, ihre Herrin, im Stich gelassen!6

Und damit vertrieben die Ägypter die Hyksos aus ihrem Land. Sie flohen zurück nach Retjenu (einer der altägyptischen Namen für das heutige Israel und Syrien; dieselbe Region nannten die Ägypter auch Pa-ka-na-na, Kanaan). Damit wurde gleichzeitig die 18. Dynastie eingeleitet, die Kamoses Bruder Ahmose begründete und mit der die Epoche des – wie wir heute sagen – Neuen Reiches in Ägypten begann.

Avaris und das übrige Ägypten wurden zu jener Zeit wieder aufgebaut, Avaris wurde umbenannt. Zur Zeit von Hatschepsut und Thutmosis III., etwa 60 Jahre später, also um 1500 v. Chr., war es endlich wieder eine blühende Stadt. Jetzt hieß sie Peru-nefer, besaß Paläste mit Fresken im minoischen Stil, die den Stiersprung zeigten und andere Szenen, die deutlich besser in die Ägäis passten als nach Ägypten. Ein Archäologe spekulierte einmal, es habe sogar eine königliche Hochzeit zwischen einem ägyptischen Herrscher und einer minoischen Prinzessin stattgefunden.7 Es gab durchaus eine Reihe ägyptischer Pharaonen der späten 18. und der 19. Dynastie, die Prinzessinnen aus dem Ausland heirateten, in erster Linie, um diplomatische Bande zu knüpfen oder Verträge mit fremden Mächten zu zementieren, wie wir später sehen werden; die minoischen Wandmalereien in Ägypten lassen sich aber auch erklären, ohne politisch motivierte Ehen ins Spiel zu bringen, denn es gibt viele davon unabhängige Hinweise auf Kontakte zwischen dem östlichen Mittelmeer, Ägypten und, in diesem Fall, der Ägäis.

Rückblende: Mesopotamien und die Minoer

Wir wissen dank einer Vielzahl von Daten, u.a. archäologischen Artefakten, Texten und bildlichen Darstellungen, dass die Minoer von der Insel Kreta bereits lange vor ihren Beziehungen zu den ägyptischen Pharaonen des Neuen Reiches mit verschiedenen Regionen des alten Orients in Kontakt standen. Zum Beispiel kennen wir minoische Objekte, die im 18. Jahrhundert v. Chr. über die Ägäis und das östliche Mittelmeer bis ins Zweistromland, das Land zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat, gelangten – vor fast 4000 Jahren also.

In der antiken Stätte Mari, westlich vom Euphrat im heutigen Syrien gelegen, fanden französische Archäologen in den 1930er Jahren mehr als 20.000 beschriftete Tontafeln, die solche Artefakte und ihren Handel dokumentieren. Einheimische hatten den Archäologen mitgeteilt, sie hätten einen Mann ohne Kopf gefunden – dieser stellte sich als steinerne Statue heraus, und sie war nur eine von vielen. Darunter befand sich, wie eine Inschrift bewies, das Standbild des Königs einer antiken Stadt.8 Die Tafeln waren mit Texten in Altakkadisch beschrieben und stammten aus einem Archiv mit der königlichen Korrespondenz und anderen, eher banalen Aufzeichnungen zu den Königen von Mari. Einer dieser Könige hieß Zimri-Lim und regierte ca. 1750 v. Chr. Die Tontafeln enthielten alle möglichen Informationen, die für die Verwaltung des Palastes und der Organisation des Reiches notwendig waren, und sie verraten einiges über das Alltagsleben jener Zeit.

 

Eine Tafel zum Beispiel beschäftigt sich mit dem Eis für Zimri-Lims Erfrischungsgetränke, zu denen Wein, Bier und Drinks aus fermentierter Gerste gehörten, die Granatapfelsaft oder Anis enthielten. Wir wissen, dass er den Bau eines Kühlhauses am Ufer des Euphrat befahl, das dazu dienen sollte, Eis, das im Winter von den schneebedeckten Bergen herangekarrt werden sollte, aufzubewahren, bis man es in den heißen Sommermonaten benötigte. Er behauptete, kein König vor ihm habe jemals ein solches Kühlhaus errichtet, und das mag durchaus der Fall gewesen sein; Getränke mit Eis zu kühlen, war jedoch alles andere als neu in der Region, auch wenn ein König einmal seinen Sohn ermahnen musste, die Diener das Eis doch bitte säubern zu lassen, bevor es im Getränk landete: »Lass sie Eis sammeln! Lass sie es waschen und von Zweigen, Dung und Schmutz befreien!«9

Die Archive enthalten Aufzeichnungen über Handel und Kontakt mit anderen Regionen des Mittelmeeres und des Nahen Ostens, und sie erwähnen ausdrücklich ungewöhnliche Gegenstände, die man erhalten hatte. Wir wissen von diesen Tontafeln auch, dass zwischen den Herrschern von Mari und denen anderer Städte und Königreiche oft Geschenke ausgetauscht wurden und dass die einen Könige mitunter die Dienste der Ärzte, Handwerker, Weber, Musiker und Sänger eines anderen Königs in Anspruch nahmen.10 Zu den Highlights der auf den Tafeln von Mari verzeichneten exotischen Importgegenstände gehören ein Dolch und andere Waffen aus Gold, verziert mit kostbarem Lapislazuli, sowie Kleidung und Textilien, hergestellt »auf kaphtorische Art und Weise«.11 Kaphtor (oder Kaptaru) war der mesopotamisch-kanaanitische Name für Kreta, das die Ägypter später Keftiu nannten. Die Objekte mussten von Kreta aus einen weiten Weg zurücklegen; sie waren aufgrund ihrer aufwendigen Verarbeitung und des hochwertigen Materials ohnehin schon Luxusgegenstände, und die lange Reise machte sie noch wertvoller.

Eine Tafel beschreibt eine ziemlich ungewöhnliche Situation: Zimri-Lim, schickte ein Paar im minoischen Kreta gefertigte Schuhe als Geschenk an König Hammurabi von Babylon. Der entsprechende Text lautet schlicht: »Ein Paar Lederschuhe im kaphtorischen Stil, das Bahdi-Lim (ein Beamter) in den Palast von Hammurabi, dem König von Babylon, brachte, die aber zurückgeschickt wurden.«12 Warum Hammurabi die Schuhe verschmähte, wissen wir nicht. Vielleicht passten sie ihm einfach nicht. Hammurabis Gesetzeskodex, in dem sich zum ersten Mal in der Literatur die Phrase »Auge um Auge, Zahn um Zahn« findet, die später durch die Bibel Berühmtheit erlangte, nennt keine Strafe dafür, wenn man Gegenstände wie Schuhe zurückgab.

Eigentlich ist es ein wenig überraschend, dass Hammurabi die Lederschuhe nicht haben wollte, ganz gleich, ob sie ihm nun passten oder nicht. In seiner Region dürften solche ledernen Schuhe nämlich eine ziemliche Seltenheit gewesen sein, bedenkt man, wie weit Kreta von Mesopotamien – mithin das heutige Griechenland von Syrien bzw. dem Irak – entfernt liegt. Eine solche Reise hätte niemand leichtfertig unternommen, und wahrscheinlich wurde sie in mehreren Etappen absolviert, über verschiedene Händler oder Kaufleute, die die Objekte jeweils transportierten. Andererseits waren solche Geschenke zwischen einander ebenbürtigen Königen im alten Orient des 2. Jahrtausends v. Chr. durchaus eine übliche Praxis.13 In solchen Fällen wurden die betreffenden Gegenstände direkt durch einen Abgesandten des Königs überbracht – heute würden wir diesen Vorgang als diplomatische Mission bezeichnen.

Entdeckung der Minoer und Überblick

Wie bereits deutlich geworden sein dürfte, standen die kretischen Minoer in der Mittel- und Spätbronzezeit, ab mindestens 1800 v. Chr., mit mehreren Regionen im alten Orient in Kontakt. Sogar die Briefe von Mari erwähnen die Minoer und weisen möglicherweise darauf hin, dass es Anfang des 18. Jahrhunderts v. Chr. einen minoischen Dolmetscher (oder auch einen Dolmetscher für die Minoer) im nordsyrischen Ugarit gab; Ugarit ließ sich aus dem östlich gelegenen Mari Zinn schicken.14 Zwischen Ägypten und den Minoern scheint es ab dem 15. Jahrhundert v. Chr., der Zeit von Hatschepsut und Thutmosis III., jedoch eine ganz besondere Beziehung gegeben zu haben – deshalb soll unsere Geschichte nun an diesem Punkt einsetzen.

Die minoische Kultur erhielt ihren Namen interessanterweise erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem britischen Archäologen Sir Arthur Evans. Wie sie sich selbst nannten, ist nicht bekannt, auch wenn wir die Namen kennen, die die Ägypter, Kanaaniter und Mesopotamier ihnen jeweils gaben. Ebenso wenig wissen wir, woher sie kamen – Anatolien in der Türkei gilt heute als wahrscheinlichste Hypothese.

Sicher ist, dass sie im 3. Jahrtausend v. Chr. auf Kreta eine Zivilisation begründeten, die bis ca. 1200 v. Chr. bestand. Mitten in dieser Zeit, etwa um 1700 v. Chr., gab es auf der Insel ein verheerendes Erdbeben, nach dem mehrere Paläste auf der Insel, u.a. der in Knossos, wieder aufgebaut werden mussten. Doch die Minoer erholten sich bald, und ihre Kultur blühte, bis im Laufe des 2. Jahrtausends v. Chr. die Mykener vom griechischen Festland kamen und die Insel eroberten. Danach blieb Kreta unter mykenischer Herrschaft, bis ca. 1200 v. Chr. die Zivilisation auf der Insel zusammenbrach.

Evans begann, auf Kreta zu graben, nachdem er herausgefunden hatte, woher die sogenannten Milchsteine stammten, die man ihm auf dem Markt in Athen verkauft hatte. Griechinnen, die gerade entbunden hatten oder kurz vor der Entbindung standen, trugen damals solche Steine um den Hals. Darin waren Symbole eingraviert, die Evans noch nie gesehen hatte, die er aber als Schrift identifizierte. Es gelang ihm, ihre Herkunft bis in die Nähe der modernen Großstadt Heraklion auf Kreta zurückzuverfolgen, wo am Hügel Kephala die Stätte von Knossos verborgen lag. Schon früher hatte Heinrich Schliemann, der Ausgräber von Troja, versucht, das Grundstück zu kaufen und dort zu graben, allerdings vergebens. Evans hatte mehr Erfolg: Er kaufte das Land und begann im März 1900 mit den Ausgrabungen. Diese dauerten mehrere Jahrzehnte, und er investierte dabei den Großteil seines Privatvermögens. Am Ende veröffentlichte er seine Funde und Erkenntnisse in einem umfangreichen mehrbändigen Werk mit dem Titel The Palace of Minos at Knossos.15

Unterstützt von seinem vertrauten schottischen Assistenten Duncan Mackenzie16 entdeckte Evans einen Palast, der nur einem König gehört haben konnte. Prompt taufte er die neu entdeckte Zivilisation »minoisch«, nach dem mythischen König Minos, der, wie es hieß, Kreta in der Antike regiert hatte und in den labyrinthischen unterirdischen Gängen seines Palastes den Minotaurus (halb Mensch, halb Stier) eingesperrt hatte. Evans fand zahlreiche Tontafeln und andere Objekte mit Schrift darauf, in Linear A (noch nicht entziffert) und in Linear B (einer Frühform des Griechischen, die wahrscheinlich die Mykener mit nach Kreta brachten). Er fand jedoch nie heraus, wie sich diese Menschen selbst nannten. Bis heute wissen wir das nicht – trotz über 100 Jahre andauernder Ausgrabungen sowohl in Knossos als auch an vielen anderen Orten auf Kreta.17

Evans entdeckte in Knossos zahlreiche aus Ägypten und dem Nahen Osten importierte Gegenstände, nicht zuletzt einen Gefäßdeckel aus Alabaster mit Hieroglyphen darauf, die besagten: »der gute Gott, Seweserenre, Sohn des Re, Chajan«.18 Chajan war einer der bekanntesten Hyksos-Könige und regierte zu Beginn des 16. Jahrhunderts v. Chr. Objekte von ihm fand man im gesamten alten Orient, aber wie dieser Deckel nach Kreta kam, ist noch immer ein Rätsel.

Von Interesse ist hier eine ägyptische Alabastervase, die ein anderer Archäologe viele Jahre später in einem Grab in Katsamba ausgrub, einer Hafenstadt an der Nordküste Kretas mit Verbindungen zu Knossos. Sie trägt den Königsnamen des Thutmosis III.: »der gute Gott Men-cheper-re, Sohn des Re, Thutmosis, vollkommen in der Verwandlung«. Es ist eines der ganz wenigen in der Ägäis gefundenen Objekte, die seinen Namen tragen.19 Der griechische Historiker des 5. Jahrhunderts v. Chr. Thukydides behauptete, die Minoer hätten eine eigene Flotte besessen und zu jener Zeit das Meer beherrscht: »Minos war der Erste, von dem wir hören, dass er eine Flotte besaß, die das heute ›hellenisch‹ genannte Meer weithin beherrschte« (Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, 1. 3–8).

Früher nannten die Forscher diese Meereshoheit »minoische Thalassokratie« (von krátos = »Herrschaft« und thálassa = »Meer«). Auch wenn man diese Thalassokratie in ihrer Bedeutung heute anzweifelt, werden in ägyptischen Aufzeichnungen doch immerhin mehrfach »Keftiu-Schiffe« erwähnt – Keftiu war die damalige ägyptische Bezeichnung für Kreta. Es ist jedoch unklar, ob damit Schiffe gemeint waren, die aus Kreta kamen, die nach Kreta fuhren oder die vielleicht nach minoischem Vorbild gebaut waren.20

Evans’ Nachfolger in Knossos war John Devitt Stringfellow Pendlebury. Er interessierte sich sehr für die möglichen Beziehungen zwischen Ägypten und Kreta; neben Knossos grub er auch regelmäßig im ägyptischen Amarna (der Hauptstadt Echnatons, die wir im Folgenden noch kennenlernen werden). Pendlebury veröffentlichte auch eine Monographie über das Thema, mit dem Titel Aegyptiaca. Darin versammelte und katalogisierte er alle ägyptischen Importe, die man in Knossos und anderswo auf der Insel gefunden hat. Wenig später, im Jahr 1941, wurde er von Fallschirmjägern erschossen, als die Deutschen Kreta überfielen.21

Evans und Pendlebury fanden noch weitere importierte Gegenstände in Knossos, und es wurde in den folgenden Jahrzehnten immer klarer, dass die Minoer ziemlich fleißige Importeure, aber auch Exporteure waren, die in regelmäßigem Kontakt mit einer ganzen Reihe ferner Regionen standen, nicht nur mit Ägypten. Zum Beispiel hat man an verschiedenen Standorten auf Kreta Rollsiegel aus Mesopotamien und Vorratsgefäße aus Kanaan aus der Mittel- und Spätbronzezeit gefunden; andersherum hat man minoische Keramik und andere Artefakte (oder zumindest Texte, die solche Artefakte erwähnen) im heutigen Ägypten, Israel, Jordanien, Zypern, Syrien und Irak entdeckt.

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