DER ELEGANTE MR. EVANS

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DER ELEGANTE MR. EVANS
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EDGAR WALLACE

Der elegante Mr. Evans

Roman

Deutsche Erstveröffentlichung

Apex-Verlag

Impressum

Copyright 1924, 1926, 1927 © by Edgar Wallace.

Die Romane Educated Evans, More Educated Evans und Good Evans sind gemeinfrei.

Copyright der deutschen Übersetzung und dieser Ausgabe 2021 © by Apex-Verlag.

Übersetzung: Wilfried Schotten.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.

Satz: Apex-Verlag.

Verlag: Apex-Verlag, Winthirstraße 11, 80639 München.

Verlags-Homepage: www.apex-verlag.de

E-Mail: webmaster@apex-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Der Autor

DER ELEGANTE MR. EVANS

ERSTES BUCH: DER ELEGANTE MR. EVANS

ZWEITES BUCH: NEUES VOM ELEGANTEN MR. EVANS

DRITTES BUCH: DIE RÜCKKEHR DES ELEGANTEN MR. EVANS

Das Buch


Begegnen Sie dem eleganten Mr. Evans und dem »Müller« im düster-zwielichtigen London der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen...

Die Educated-Evans-Romane verbinden Edgar Wallace' Talent für Humor mit den für ihn typischen Krimi-Themen: Educated Evans, der von den meisten Themen, über die er etwas zu wissen vorgibt, nicht die geringste Ahnung hat, ist der amüsante Gegenspieler des »Müllers«, eines respekteinflößenden Polizeidetektivs, der seinen Namen seiner ständigen Angewohnheit verdankt, auf einem Strohhalm herumzukauen. Zusammen bilden beide eine Art Zweckgemeinschaft, während sie verschiedene Abenteuer in der Welt der Pferderennen und der Kleinkriminalität erleben...

Die drei Educated-Evans-Romane von Edgar Wallace erschienen in England in den Jahren 1924, 1926 und 1927. Der vorliegende Band enthält Der elegante Mr. Evans, Neues vom eleganten Mr. Evans und Die Rückkehr des eleganten Mr. Evans als deutsche Erstveröffentlichungen, übersetzt von Wilfried Schotten.

Besondere Bekanntheit erlangte Educated Evans in den Jahren 1957/58 durch die gleichnamige BBC-TV-Serie – mit Charles Chester als Evans und Jack Melford als Miller.

Der Autor


Edgar Wallace.

(* 1. April 1875, † 10. Februar 1932).

Richard Horatio Edgar Wallace war ein englischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Journalist und Dramatiker. Er gehört zu den erfolgreichsten und populärsten englischsprachigen Kriminalschriftstellern.

Wallace wurde in Greenwich bei London als unehelicher Sohn des Schauspielerpaares Mary Jane „Polly“ Richards und Richard Horatio Edgar geboren und unmittelbar nach seiner Geburt von dem Londoner Fischhändler-Ehepaar Freeman adoptiert. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und brach im Alter von 12 Jahren die Schule ab. Nach diversen Jobs ging er als 18-Jähriger zur Armee und arbeitete sich im Zweiten Burenkrieg in Südafrika bis zum Kriegsberichterstatter hoch.

Nach seiner Rückkehr nach London arbeitete er als Journalist und Sonderberichterstatter. 1901, noch in Südafrika, heiratete er Ivy Maude Caldecott (1880?–1926), Tochter eines Missionars. Mit ihr hatte er vier Kinder. 1918 wurde die Ehe geschieden. 1921 heiratete er seine Sekretärin Ethel Violet King (1896–1933), Tochter des Bankiers Friedrich König, mit der er eine Tochter hatte.

1905 erschien im Eigenverlag sein erster Kriminalroman Die vier Gerechten (The Four Just Men), der zwar ein Publikumserfolg war, aber für Wallace ein finanzielles Desaster bedeutete. Er hatte jedem, der die Lösung des Buches erraten würde, einen Preis in Höhe von 500 Pfund versprochen, für damalige Zeiten eine ungeheure Summe: Zu viele Menschen errieten das Ende des Romans, und er war damit finanziell am Ende. Nur dem Eingreifen von Lord Harmworth von der Daily Mail war es zu verdanken, dass Wallace diese Pleite überstand. Bekannt wurde er vor allem durch seine journalistische Arbeit und seine Afrikaromane, deren erster 1911 unter dem Titel Sanders vom Strom (Sanders Of The River) erschien.

Wallaces berühmtester Krimi war Der Hexer (The Ringer), der als Theaterstück am 1. Mai 1926 uraufgeführt wurde und ein riesiger Erfolg war. In Deutschland fand die Erstaufführung 1927 am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt statt. Für die erste Verfilmung seines Romans The Squeaker (dt. Der Zinker, 1930) schrieb er nicht nur das Drehbuch, sondern führte auch selbst Regie.

Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Theaterstücke. Ebenfalls begann er noch mit der Abfassung des Drehbuches für den später mit Fay Wray in der weiblichen Hauptrolle gedrehten Filmklassiker King Kong und die weiße Frau (King Kong, 1932), doch er verstarb in Beverly Hills, Hollywood/Kalifornien an den Folgen einer Lungenentzündung vor dessen Vollendung. Seine Frau Violet überlebte ihren Mann um nur 14 Monate, sie starb im Alter von 37 Jahren im April 1933.

In der Nähe der Fleet Street erinnert am „Ludgate Circus“ eine Gedenktafel an Edgar Wallace mit dem Text: Er lernte Reichtum und Armut kennen – er verkehrte mit Königen und doch blieb er sich selbst treu. Seine Talente widmete er der Literatur, doch sein Herz gehörte der Fleet Street.

Sein Sohn Bryan Edgar Wallace (Death Packs At Suitcase, 1961, dt. Der Tod packt seinen Koffer) und seine Tochter Penelope Wallace (Kensington Gore, 1985, dt. Eine feine Adresse, 1987) waren ebenfalls Kriminalschriftsteller.

Die Romane von Edgar Wallace wurden in vierundvierzig Sprachen übersetzt. Auch gab es nach dem 1959 gedrehten deutschen Spielfilm Der Frosch mit der Maske in den 1960er- und 1970er-Jahren einen regelrechten Edgar-Wallace-Boom in Deutschland mit 38 Wallace-Verfilmungen. Viele dieser Filme wurden mit dem Spruch „Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“ eingeleitet. In den Filmen stellte Klaus Kinski oft den Verbrecher oder einen Verdächtigen dar. Zu weiteren Stammschauspielern der deutschen Serie gehörten auch Karin Dor, Eddi Arent, Joachim Fuchsberger, Siegfried Schürenberg und Heinz Drache. Auch in Großbritannien entstanden in dieser Zeit viele Romanverfilmungen, die jedoch in Deutschland kaum bekannt sind.

Der Apex-Verlag widmet Edgar Wallace eine umfangreiche Werk-Ausgabe.

DER ELEGANTE MR. EVANS

Vorbemerkung:

Die mit * gekennzeichneten Wörter und Begriffe stellen keineswegs Übersetzungs- oder Übertragungsfehler dar; sie sind vielmehr dem Halbwissen des Educated Evans geschuldet.

ERSTES BUCH: DER ELEGANTE MR. EVANS

Kapitel 1: Die Bruderschaft

Inspektor Pine war eigentlich etwas mehr als nur ein Polizeiinspektor. In bestimmten Kreisen nannte man ihn einen Christenmenschen. Er betätigte sich als Laienprediger, auch hatte er dem Alkoholgenuss den Kampf angesagt, galt sogar als Sozialreformer. Und wenn ein Mann es durch harte Arbeit geschafft hatte, Educated Evans zum Eingeständnis seiner Verfehlungen zu bringen, dann war es Inspektor Pine. Er hatte mit dem Teufel gerungen, als es um Evans’ geistige und moralische Erneuerung ging; er hatte für Mr. Evans gebetet, und einmal, als es sehr schlecht um ihn stand, hatte er Mr. Evans dazu bringen können, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die unter dem Motto stand: Begegnung zum Lobe des Herrn.

Educated Evans respektierte die Ernsthaftigkeit eines jeden Menschen, wenn er ihn auch als seinen natürlichen Feind ansah; als er aber feststellen musste, dass ihm die »Begegnung zum Lobe des Herrn« keinerlei finanzielle Vorteile brachte, lehnte er jegliche weitere Einladung ab und widmete bei künftigen Exkursionen seine Kräfte dem Sammeln von Informationen über ein bestimmtes Pferd, das am 2. Weihnachtstag im Hindernisrennen von Kempton Court an den Start gehen sollte.

Dennoch – Inspektor Pine verlor keinesfalls den Mut. Er glaubte daran, dass man die Selbstachtung und das Selbstvertrauen eines Mannes wiederherstellen konnte; aber in diesem Punkt hätte er sich eine Menge an Mühe ersparen können; denn das Selbstbewusstsein eines Educated Evans war einfach enorm und so überzeugt wie nie, wenn er in eine Hymne einstimmte, wo es in zwei Zeilen heißt »Die Kräfte der Dunkelheit müssen fliehen; der kommende Tag triumphiert über die Nacht«.

Evans nahm dies gerne als Omen an und schickte all seinen Wettkunden seine Tipps mit dem Hinweis »Informationen eines frischen Morgens – bedient euch«. Evans war bei allen anderen Beschäftigungen, denen er so nachging, auch ein Tippgeber und verfügte über eine Kundschaft, in der sich viele Gastwirte und die gesamte Belegschaft des Güterbahnhofs der Midland Railway befanden.

 

Eines Tages im April lehnte Evans trübsinnig an einem breiten Brückengeländer und schaute mit mäßigem Interesse hinunter auf den Fluss. Sein melancholisches Gesicht drückte nichts als Schmerz und Enttäuschung aus, während sich seine Unterlippe kummervoll vorstülpte, und seine runden Augen drückten eine Qual aus, als habe er ihnen nur noch eine letzte Chance gegeben zu zeigen, was er wirklich sehen wollte. Und wenn sie diese Chance nicht nutzen wollten, brauchten sie ihm niemals mehr zu Diensten zu sein.

Er war so in Gedanken vertieft, dass er den Mann nicht bemerkte, der einem völlig anderen und für Evans verhassten Beruf nachging, sich nun zu ihm gesellte und an den stillen Betrachtungen teilnahm.

Kleine Schleppdampfer, langsame Boote, ein geschmeidig dahingleitendes Polizeiboot – all das beobachtete Educated Evans, aber anscheinend bekam er nicht das serviert, was er sehen wollte, und so wendete er mit einem ungeduldigen Seufzer seinen Blick ab.

Dann erst sah er seinen stillen Begleiter und stellte fest, dass er hier, an diesem eintönigen Uferdamm, einen Mann traf, den er meilenweit entfernt glaubte.

Der Neuankömmling war ein großer Mann Mitte dreißig, mit breiten Schultern, jeder Zoll eine kraftvolle Gestalt. Er trug schwarze Kleidung und die breite Krempe eines Filzhutes bedeckte seine Augen. Er kaute an einem Strohhalm, und wenn Evans ihn nicht an anderen Dingen erkannt hätte – spätestens daran hätte er ihn als den »Müller« identifiziert, dessen richtiger Name William Arbuthnot Challoner lautete.

»Wie das, Müller, ich dachte schon, Sie seien tot! Ich spekuliere hier über 190 Millionen Kubikmeter Wasser, die täglich unter dieser Brücke durchfließen, und sinniere über die bemerkenswerten Veränderungen, die sich ereignet haben, seit der gute alte Christoph Columbus von eben diesem Pier abgelegt hat; er und die Pilgerväter, die 1579 Amerika entdeckt haben...«

Der Müller hörte ihn, aber er hörte nicht zu. Der Strohhalm zwischen seinen starken Zähnen tanzte hin und her; sein langgezogenes, finsteres Gesicht war dem Fluss zugewandt und seine Gedanken waren weit weg.

»Eine hübsche Gegend hier«, sagte Evans und legte Begeisterung in seine Stimme, während er auf den dunstigen Horizont deutete. »Genau, wie der gute alte Turner sie gemalt hat, und Fluter...«

»Whistler«, sagte sein Begleiter abwesend.

»Whistler – natürlich! Oh, mein Gott, wo bleibt meine Bildung!« Mr. Evans wackelte mit dem Kopf, unzufrieden mit sich selbst. »Whistler. Was für ein Künstler. Müller – wenn Sie diese Vertraulichkeit entschuldigen. Ich werde Sie sonst Challoner nennen, wenn es Ihnen besser passt. Was – für – ein – Künstler! Da gibt es ein paar Gemälde von ihm in der National Gallery. Und noch eines in dem – dem Praydo* in Madrid. Kunst ist eine meiner großen Schwächen, immer schon, als ich noch ein Junge war. Kennen Sie Sergeant? Großer amerikanischer Maler. Einer der größten Künstler auf der Welt. Und kennen Sie den berühmten französischen Künstler Carrot?«

»Weißt du«, begann der Müller bedächtig und schaute dabei weiter auf den Fluss, »weißt du, wo du warst zwischen 19.30 Uhr und 21.15 Uhr am Abend des 8. in diesem Monat?«

»Ja, das weiß ich«, erwiderte Evans prompt.

»Weiß das sonst noch jemand – und zwar jemand, dessen Wort auch von einem Polizeirichter akzeptiert würde, der mit einem gesunden Verstand und ausgeprägtem Misstrauen der Unterwelt gegenüber ausgestattet ist?«

»Mein Freund, Mr. Harry Sefferal«, begann Evans und der Müller lachte gekünstelt und etwas gequält auf.

»Du musst nur deinen Freund in den Zeugenstand bringen«, sagte er, »und brauchst nur zuzulassen, dass der Richter seine düstere Visage sieht. Dann bist du ruckzuck in Dartmoor, und zwar für den Rest deines Lebens. Harry Sefferal könnte dich nur vor dem Gefängnis retten, wenn du des Mordes angeklagt würdest. Der Henker, der seine sogenannten Beweise liest, würde sofort seine Sachen packen, ohne auf den Freispruch zu warten. Harry Sefferal!«

Mr. Evans zuckte mit den Schultern.

»An dem bestimmten Abend spielte ich ganz ruhig für mich in der Gesellschaft eines bekannten und angesehenen Geschäftsmannes, Mr. Julius Levy...«

»Du bist jetzt schon tot!«, knurrte der Müller. »Kennst du Karbolt Manor?«

Mr. Evans dachte nach.

»Nein, ich glaube nicht«, sagte er schließlich.

»In der Nähe von Sevenoaks – das große Haus, das Binny Lester vor fünf Jahren ausgeraubt hat und entwischte.«

Educated Evans nickte.

»Jetzt, wo Sie von diesem prunkvollen Anwesen sprechen, Müller, kommt es mir wieder in den Sinn – wie ein Traum sozusagen oder eine Erinnerung an glücklichere Tage.«

»Gibt es eine Leiter in deinem Traum? Eine Leiter, die zu dem Fenster von Lady Cadrington’s Schlafzimmer hochging, als die Familie zu Mittag saß? Träume bitte sehr sorgfältig, Evans.«

Auf Mr. Evans Stirn, die normalerweise absolut glatt war, erschienen ein paar Falten.

»Nein«, sagte er; »ich kenne den Ort, aber in der Nähe bin ich nicht gewesen. Darauf kann ich den heiligsten Eid...«

»Tu’s besser nicht«, bat der Müller. »Ich habe lieber dein Ehrenwort. Es bedeutet mir mehr.«

»Bei meinem Ehrenwort als Gentleman«, sagte Evans feierlich, »ich bin nicht sehr oft in der Nähe oder sagen wir so, anderweitig diesem Hause nahegekommen. Und wenn ich jetzt nicht die Wahrheit spreche, möge der Himmel mich in dieser Sekunde zu Boden schmettern.« Dabei warf er die Arme theatralisch nach oben, während der Müller wartete und zum Himmel hinaufschaute.

»Der Himmel hat dich nicht gehört«, sagte er ungerührt und ergriff Evans am Arm. »Pine will dich sehen.«

Mit einem Schulterzucken gab Evans auf.

»Sie nehmen einen Unschuldigen fest«, sagte er würdevoll. Der Müller ertrug den kleinen Schlag gelassen.

»Der Müller« war für eine bestimmte Klasse immer »der Müller«. Er wurde mit Namen und unter der Berufsbezeichnung eines Detektiv-Sergeant W. Arbuthnot Challoner in den Steuerlisten geführt und war eine Autorität in Sachen Einbruchdiebstahl, Tresoraufbrüche, Mord, Bandenwesen, Betrug, Pferde. Überall in Camden Town, wo viele seiner glühendsten Verehrer wohnten, wurde er wegen seiner Marotte des beständigen Strohhalmkauens »der Müller« genannt.

Man achtete ihn; man liebte ihn zwar nicht und das tat nicht einmal Educated Evans, dieser weltoffene und tolerante Mann. Evans wiederum wurde geachtet und war beliebt. Im Norden Londons besitzt – im Unterschied zum Süden – das Wort Gelehrsamkeit einen gewissen Wert. Menschen mit weniger Begabung schauen mit einer Art von Lernwillen zu denen auf, die tüchtig und fähig sind. Selbst die gewalttätigsten und schlimmsten Zeitgenossen sprachen von Evans mit Respekt.

Neben seiner Gelehrsamkeit (er hatte mehr Verteidigungsreden und Ansprachen verfasst als jeder andere Amateur-Anwalt) besaß er unzweifelhaft das volle Vertrauen der Pferdebesitzer, Trainer, Jockeys und Ersten Stallburschen. Dazu bekannte er sich. Er war der Mann, der den entscheidenden Tipp für »Braxted« im Steward’s Cup und »Eton Boy« im Royal Hunt Club gab. Es gibt in Camden Town wohlhabende Männer, die ihren Reichtum auf die Ratschläge von Educated Evans zurückführen könnten. Es gab ein Gerücht, von Neidern und Böswilligen gerne verbreitet, dass das St. Pancras Armenhaus niemals voller war als zu den Zeiten, nachdem der gebildete Mann eine schlechte Saison hatte.

»Ich habe es sehr bedauert«, sagte Evans, als er an der Seite seines Fängers die Straße entlang schlenderte, »dass das Gesetz, von Moses und Lord So-und-so erfunden, immer nur dann angewendet wird, um die Schwachen sozusagen zu erdrücken. Und so lagen die Dinge auch am Vorabend des Frühlings-Handikaprennens von Newbury, als ich endlich hoffen durfte, über »Solway« ein ganzes Paket an Tipps zu packen.«

Der Müller hielt an und betrachtete seinen Gefangenen neugierig und mit deutlichem Unverständnis.

»’Solway’«, sagte er bedächtig, »steht gar nicht zur Debatte. ‚St. Albyn’ könnte ihn spielend abhängen.«

Verächtlich schürzte Evans die Lippen.

»’Solway’ könnte tot umfallen, dann wieder aufstehen und gewinnen«, übertrieb er. »’St. Albyn’ ist kein Pferd, sondern nur ein Torso mit Haaren. Der Mann, der auf ‚St. Albyn’ setzt...«

»Ich habe auf ‚St. Albyn’ gesetzt«, sagte der Müller kalt. »Ich bekam den Tipp vom Cousin des Besitzers, Lord Herprest, demzufolge, abgesehen von Unfällen, ‚St. Albyn’ eine todsichere Angelegenheit sei.«

Educated Evans lachte; es hörte sich nach dem Lachen eines Mannes an, der seinen Feind verlieren sieht.

»Aber der arme alte Crippen wurde gehängt!«, sagte er.

Es gab da so etwas wie ein zartes Band der Sympathie zwischen dem Müller und seiner legalen Beute: Sie waren beide passionierte Anhänger des Sports der Könige. Wenn der Müller gerade einmal nicht damit beschäftigt war, gesellschaftliche Plagen zu verfolgen (unter welchen er Educated Evans als beinahe die Nummer Eins ansah), dann studierte er mit dem gleichen Ernst die unberechenbaren Rennen vollblütiger Rassepferde.

»Was ist denn mit ‚Blue Chuck‘?«, fragte er. »Da soll es einen guten Tipp für ihn geben.«

Evans kratzte sich an seiner langen Nase.

»Das ist ein Pferd mit einer gewissen Chance«, stimmte er zu. »Canfyn’s Büro sagte seinen Kunden, dass es bis zum Rennen in Goodwood noch nicht fit genug sei, aber dieser Kerl würde auch seine eigene Großmutter verkaufen. Ich würde Canfyn immer noch nicht trauen, wenn er auf dem Schafott stünde und auf ‚Foxe’s Buch der Märtyrer’schwört.«

Vorübereilende Passanten, die den schäbig gekleideten Mann in dem unordentlichen, langen Mantel und den Großen neben ihm sahen, würden niemals denken, dass sie soeben einen angesehenen Beamten von Scotland Yard und seine willkommene Beute erblickt hatten.

»Evans, wieso glaubst du, dass ‚St. Albyn’ keine Chance hat?«, fragte der Müller besorgt.

»Weil er nicht gefordert wird«, sagte Evans mit Betonung in der Stimme. »Ich habe es direkt von dem Pfleger, der ihn betreut. Er wird bis zum Ascot-Rennen nirgends an den Start gehen und dann glauben die noch, sie können ihn im Hunt Cup für sieben zu eins bringen.«

Der Müller atmete heftig aus. An diesem Morgen hatte ihn Teddie Isaacheim, ein Straßenbuchmacher mit großem Reichtum und dementsprechender Immunität gegenüber polizeilichen Zugriffen, zu einer Wette von 50 zu fünfeinhalb Pfund für eben diesen »St. Albyn« überredet. Und fünfeinhalb Pfund zu verlieren war eine Menge Geld.

»Hätten Sie mich vorher gefragt, hätte ich Ihnen das sagen können«, bemerkte Evans sanft. »Wären Sie zu mir gekommen von Mann zu Mann und als Sportsmann zu Sportsmann, anstatt mit all diesem lächerlichen und kindischen Unsinn, ich sei in illegale und sonstige Diebstahlfälle verstrickt. Dann hätte ich Ihnen die wahre Stärke von ‚St. Albyn’ gezeigt. Und dazu hätte ich Ihnen dann den Gewinner des morgigen Ein-Uhr-Rennens gesteckt

- Spezial-Sparangebot – kein Yard in Kempton – nichts los in Birmingham – Blick auf Manchester – aber morgen ein Verlierer!«

»Was bedeutet das, Evans?«

Die Stimme des Müllers war sanft und weich geworden, geradezu verführerisch, aber Evans schüttelte den Kopf und sie marschierten weiter.

»Niemals«, sagte der gebildete Mann mit deutlicher Bitterkeit in der Stimme, »niemals, seitdem man den guten Cardinal Wolseley verhaftete, weil er gegen König Charles aufmuckte, hat man einen Mann schmählicher eingebuchtet als mich. Wenn ich von der Polizei nicht zehntausend Pfund bekomme für falsches Einsperren... wenn ich nicht den alten Pine entlarven kann für dieses...«

»Ist es ‚Clarok Lass’, alter Mann?«, fragte der Müller, als sie allmählich in die Nähe der Polizeiwache kamen.

»Nein, ist es nicht«, giftete Evans zurück. »Und wenn Sie jetzt glauben, Sie kriegen mein Fünf-Pfund-Spezial für eine halbe Ration Kernseife, müssen Sie schon weiter raten. Mit Ihnen bin ich fertig, Müller, fertig! Habe ich Ihnen nicht voriges Jahr für Ascot zu ‚King Salomon’ und ‚Flake’ geraten? Bin ich nicht durch die ganze Stadt gerast, um Ihnen den guten Tipp für ‚Jordan’ zu empfehlen?«

»Du hast sicherlich dein Bestes gegeben, Evans«, stimmte Challoner beruhigend zu, »und wenn ich ein gutes Wort für dich einlegen kann – wie sagtest du noch, wer das Ein-Uhr-Rennen gewinnen wird?«

Educated Evans presste die Lippen fest zusammen und Sekunden später war der Müller die Geschäftsmäßigkeit in Person. »Hier ist Evans, Sir. Er gibt an, nichts von der Sevenoaks-Geschichte zu wissen und er kann zwei Zeugen beibringen, die beschwören, dass er sich zum Zeitpunkt des Raubes in der Stadt aufgehalten hat. Eventuell kann er bis zu 42...«

 

Inspektor Pine kam gerade dazu, als der Gefängniswärter Evans durchsuchte, und schüttelte bekümmert den Kopf.

»Oh, Evans, Evans!«, seufzte er. »Sie hatten mir doch hoch und heilig versprochen, niemals wieder hierher zu kommen.«

Educated Evans rümpfte die Nase. »Wenn Sie glauben, Sir, ich sei freiwillig hier, dann liegen Sie falsch.«

Und wieder einmal schüttelte der Inspektor seinen weißhaarigen Kopf.

»In jedem Menschen steckt ein gutes Herz«, sagte er. »Ich will die Hoffnung bei dir nicht aufgeben, Evans. Wie lautet die Anklage?«

»Da gibt es keine Anklage, Sir, nur eine Festnahme.

Wir wollen ihn im Zusammenhang mit der Sevenoaks-Geschichte haben, aber da sind noch ein paar Alibis zu überprüfen«, sagte der Müller.

Also steckten sie Educated Evans in die Nummer Sieben, seine Lieblingszelle, und Evans dachte darüber nach, welches Pferd im Programmheft des Newbury Cup die Nummer 7 trug.

In dieser gewissen Nacht lieferten sich der ehrenwerte George Canfyn und die normalerweise recht liebenswürdigen Angestellten des Hippoleum Theaters einige recht hitzige Wortgefechte. George, der dort zu Abend aß, schlug recht heftig zurück.

Er war ein vermögender Mann mit einigen Besitztümern, dazu Rennpferdeeigner und nach dem Gesetz ein rechter Gentleman. Sein Vater war Lord Llanwattock. Sein weiterer Name lautete auf Snook und er produzierte Kerzen in großem Stil. Darüber hinaus war er Margarinefabrikant, machte Geld und damit Freunde. Diese wiederum machten ihn zum Baron und das Gesetz schließlich zum Gentleman. Der liebe Gott wurde dabei nicht gefragt.

George liebte das Geld um des Geldes willen. Die meisten Menschen erzählen einem, dass ihnen das Geld nichts ausmacht, bis auf die Dinge, die man damit kaufen kann. George mochte schlicht und einfach Geld. Er wollte alles Geld haben, das existierte, und es schien ihn schwer zu treffen, mit ansehen zu müssen, wie ein außergewöhnlich großer Betrag einfach an ihm vorbeilief. Er lebte sparsam, aß recht wenig und wechselte jedes Jahr seinen Trainer.

Wenn eines seiner Pferde nicht gewann und er Geld verlor, dann unternahm er alles Mögliche, außer sich bei den Stewards zu beschweren. Er behielt denselben Jockey niemals mehr als für drei Rennen, weil er glaubte, dass Jockeys Rennen »kaputt reiten« konnten und den Sieger unter sich ausmachten, um in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Er glaubte auch, dass alle Trainer inkompetent seien und alle Jockeys, die nicht für seine Farben ritten, in einer Verschwörung zusammenhielten, um »gut auf alles aufzupassen«.

Wenn er gewann, (und das geschah recht oft), hatte er schon vor dem Rennen seinen Freunden erzählt, dass sein Pferd eine knappe Chance habe, und riet ihnen, nicht zu hoch zu wetten.

George hasste fallende Preise, weil er konstant seine Wetten bei den S.P. Büros platzierte. (S.P. = starting price, also der Wettpreis des Pferdes beim Start des Rennens, anstelle von geschätzten Quoten im zeitlichen Vorfeld. d.Ü.) Und wenn er gewann, spielte er den Überraschten und erzählte jedermann, wie nahe er daran gewesen sei, einen Fünfer zu setzen; aber nachdem er sich in einer ruhigen Minute das Ganze überlegt hatte, entschied er sich doch angesichts der fälligen Einkommensteuer, es sei eine beinahe kriminelle Geldverschwendung. Und es gab einige Leute, die ihm das abnahmen.

George hatte einigermaßen gute Laune, als er sich hinaus ins Hippoleum begab; denn gerade an diesem Morgen war er von Wiltshire gekommen, wo er einen Probelauf von »Blue Chuck« beobachtet hatte, der für ihn im Newbury Cup starten sollte.

»Blue Chuck« hatte die Pferde in diesem Vorlauf in Grund und Boden gelaufen und mit straff angezogenem Zügel um Längen gewonnen. Und keine einzige Person von der schreibenden Zunft hatte auf »Blue Chuck« getippt. Er war ein sicherer Tipp, als einer von den »anderen 100 : 6« zu starten, und George übte bereits sein völlig überraschtes Gesicht, das er seinen Bekannten präsentieren wollte.

In fröhlicher Erwartung, wie sich der Mittwoch so anließ, brach Mr. Canfyn auf, mit drei alten, aber kostenlosen Brandies, die seine innere Zufriedenheit noch ein wenig mehr bestärkten (aus einer Musterflasche, die ihm ein fehlgeleiteter Weinhändler überlassen hatte). Und dann kam das Unheil.

Drei Polizisten brachten ihn in die Hallam Street Station und hier hätte die Angelegenheit noch zu aller Zufriedenheit gelöst werden können, wenn nicht der dritte jener Brandies begonnen hätte, seine fatale Wirkung zu zeigen.

»Ihr Halunken! Dafür ziehe ich euch die Hosen vom Arsch!«, kreischte er, als sie ihn gründlichst durchsuchten. »Ich bin der ehrenwerte George Canfyn, der Sohn von Lord Llanwattock...«

»Wie lautet die Anklage?«, fragte der genervte diensthabende Sergeant, dem solche Aufruhr-Szenen nicht fremd waren.

»Betrunken und ungebührlich und tätlicher Angriff«, sagte der Polizist, der diesen Ausbund an Vornehmheit hereingebracht hatte.

»Ich bin nicht betrunken!«, röhrte George. »Lassen Sie diese Dinge da, wo sie sind. Das sind meine privaten Papiere! Und zählen Sie gefälligst das Geld – wenn da ein Penny fehlt, sorge ich dafür, dass Sie aus der Polizei hinausgeworfen werden...«

»Nummer acht«, sagte der Mann am Schreibtisch und man führte George hinunter.

»Oh, wie kann ein Mann nur seinen Feind in den Mund nehmen, dass der sein Gehirn wegfrisst«, murmelte der Inspektor im Türeingang zu seinem Büro. »Saufen ist etwas Schreckliches, Sergeant!«

»Ja, Sir«, antwortete der Sergeant und schaute zur Uhr an der Wand. Sie stand ganz knapp vor zehn.

Der Inspektor ging seufzend in sein Büro zurück. Der große Schreibtisch war mit Karten und adressierten Briefumschlägen übersät und der Inspektor ein älterer Herr und rechtschaffen müde. Für einen langen Augenblick betrachtete er die Anhäufung von Arbeit, die erledigt werden musste, bevor um Mitternacht die Post hinausging.

Inspektor Pine betätigte sich, neben anderen Tätigkeiten, als Sekretär der »Bruderschaft des Rennplatzes zur Unterdrückung der Spielsucht«. Und die Karten enthielten Einladungen zu einer Versammlung der Bruderschaft, auf der das Programm des kommenden Jahres besprochen werden sollte. Leider fehlte bis jetzt noch auf jeder der Tausenden von Karten der Hinweis, dass wegen eines dringenden Termins der Bischof von Chelsea nicht werde teilnehmen können.

Pine war völlig in die Betrachtung des unfertigen Werkes vertieft, als nach kurzem Anklopfen der Müller den Raum betrat.

»Es ist ein Wunder geschehen, Sir«, sagte er. »Ich habe drei ehrbare Leute gefunden, die beschwören können, dass Evans sich so gut wie in ihrem Sichtbereich befand, als der Diebstahl begangen wurde. Mr. Isaacheim, der bekannte und angesehene Kommissionär...«

»Ein Buchmacher«, murmelte Inspektor Pine vorwurfsvoll.

»Immerhin, er zahlt seine Steuern und auch die Kommunalsteuer«, sagte der Müller anstandshalber. »Und obwohl das Glücksspiel für mich so eine Art krimineller Verrücktheit darstellt, müssen wir seine Aussage zur Kenntnis nehmen,. Und Mr. Corgan vom ‚Blue Hart’...«

»Ein Kneipenwirt«, sagte der alte Pine bekümmert.

»Und ein alter Sünder. Aber er ist ein sehr bekanntes Mitglied des Stadtrates. Kann ich dem Wärter sagen, er solle Evans gehen lassen?«

Inspektor Pine nickte und seine Augen kehrten zu der unerledigten Arbeit zurück.

»Ich nehme an, dass Sie niemanden kennen, der mir helfen könnte, diese Karten in die Briefumschläge zu stecken?«

Es hörte sich an wie ein SOS-Ruf: Ein Aufruf, an den Müller persönlich gerichtet.

»Nein, Sir«, erwiderte der Müller prompt; und dann, als ihm ein bestimmter Gedanke kam: »Warum fragen Sie nicht den Evans? Er ist ein Mann von Bildung und wäre bestimmt froh über eine Pause von einigen Stunden.«

Educated Evans hatte fünf schlaflose Stunden in einer großen und hygienisch einwandfreien Zelle verbracht, dort wechselweise über die Ungerechtigkeit der Menschen gegenüber einem einzelnen nachgedacht wie über den erschöpften Zustand seiner Barschaft. Denn seine Besitztümer bestanden aus ganzen zwölf Shilling und Sixpence für eine Bahnfahrt nach Newbury und die Eintrittskarte. Um noch in irgendeine Wette zu investieren, reichte es einfach nicht. Man stand erst am Anfang der Saison und seine Kundschaft hatte sich wegen seiner fehlgeschlagenen Versuche, einigermaßen durch den Winter zu kommen, beinahe aufgelöst. Er würde wohl bis zum Tag der Jubilee-Veranstaltung brauchen, bis er ihr Vertrauen zurückgewonnen hatte.

Der Klang einer verärgerten Stimme ließ ihn durch das Gitter des Ventilators blicken; so erkannte er den ehrenwerten George Canfyn, der soeben in seine Zelle abgeführt wurde. Als der Wärter sich entfernt hatte: »Entschuldigen Sie, bitte, Mr. Canfyn!«, sagte Evans völlig aufgeregt und mit heiserem Flüstern durch den Ventilator.

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