Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre

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Danksagung

Für die fachliche Unterstützung bedanke ich mich bei Andreas C. Lehmann, Jan Hemming, Volkmar Kramarz und Stephan Richter. Außerdem bedanke ich mich bei Tommi Neubauer, Jochen Volpert, Patrick Wötzel, Dietmar Rudolph, Fred Sokolow, Jim Dawson und Jim Stringer.

Ein ganz besonders herzlicher Dank geht an meine Eltern Thomas und Heidelore Schütze, meine Frau Andrea Kneis und unsere Kinder Mathilda, Ludwig, Ferdinand und Marie. Ich werde ab jetzt wieder öfter für euch da sein.

Dennis Schütze, Würzburg im Mai 2012

My my, hey hey (out of the blue)

My my, hey hey,

Rock and roll is here to stay,

It’s better to burn out than to fade away,

My my, hey hey.

Out of the blue and into the black,

They give you this but you pay for that,

And once you’re gone you can never come back,

When you’re out of the blue and into the black.

The king is gone but he’s not forgotten,

This is the story of Johnny Rotten,

It’s better to burn out than it is to rust,

The king is gone but he’s not forgotten.

Hey hey, my my,

Rock and roll can never die,

There’s more to the picture than meets the eye,

Hey hey, my my.

(Neil Young, 1979)

1. Einleitung

1.1 Rock and Roll

1.1.1 Zum Begriff Rock and Roll

„Rock and roll is a river of music that has absorbed many streams: rhythm and blues, jazz, rag time, cowboy songs, country songs, folk songs. All have contributed to the big beat.“

(Rock and Roll-Promoter Alan Freed im Film „Rock, Rock, Rock“, 1956)

Die Worte „rock“ und „roll“ bzw. „rocking“ und „rolling“ tauchen in Songtexten der afro-amerikanischen Populärmusk der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in regelmäßigen Abständen immer wieder auf. Sie werden in ihrer Kombination („rockin’ and rollin’“) von schwarzen Rhythm and Blues-Sängern gerne als spielerische Umschreibung für den Geschlechtsakt verwendet. Zur Bezeichnung einer musikalischen Stilistik wird der Begriff ab dem Juli 1951, als der Disk-Jockey Alan Freed bei dem Radiosender WJW in Cleveland, Ohio eine Show mit dem Schwerpunkt Rhythm and Blues startet, die sich dezidiert an junge, weiße Hörer richtet und den Namen „Moondog’s Rock and Roll Party“ trägt. Durch seine Sendung, die Veranstaltung von Konzertreihen und Auftritte in Kinofilmen hat er einen entscheidenden Anteil an der Etablierung des Begriffs, der jedoch bis heute nur lose definiert ist. Ein wichtiges gemeinsames Merkmal der Vertreter der neuen Stilistik ist von Anfang an die Zusammenführung von schwarzen und weißen Musiktraditionen und Zuhörern und damit das bewusste Verwischen der bis dahin geltenden stilistischen Zuordnungen. Da der neu entstandene Musikstil Rock and Roll keiner bestehenden kommerziellen Kategorie eindeutig zuzuordnen ist, erscheinen Chartnotierungen von veröffentlichten Singles zum Teil in zwei, manchmal sogar allen drei bis dahin bestehenden Kategorien der Billboard-Charts (Popular, Rhythm & Blues und Country & Western). Diese Unklarheit bezüglich der Zugehörigkeit ist wie bei kaum einer anderen Stilistik bis heute spürbar. In der um Einteilungen sicherlich nicht verlegenen Musikbranche existiert bis heute keine kommerzielle Kategorie mit dem Titel „Rock and Roll“. Auch eine entsprechende Billboard-Chart, auf die man bei der Beschäftigung mit dem Thema gerne zurückgreifen würde steht nicht zur Verfügung.

Während die Entstehung des Begriffs Rock and Roll als Bezeichnung für die musikalische Stilistik relativ klar hergeleitet werden kann, gibt es unter Fachleuten bis zum heutigen Tag eine äußerst kontroverse Diskussion bezüglich der musikalischen Anfänge des Genres. Zum Teil sind komplette Bücher dieser Frage gewidmet (z.B. Dawson 1992). Obwohl landläufig die 1950er Jahre als Blütezeit des Rock and Roll gelten, werden von manchen Forschern erkennbare musikalische Merkmale des Rock and Roll bereits in Tonaufnahmen aus den 1910er und 1920er Jahren gefunden (Johnstone 2007). Spätestens jedoch im Country Blues der 1930er und Jump Blues der 1940er Jahre meinen Gillett (1980), Dawson (1992) und Tosches (1999) den inoffiziellen, musikalischen Beginn des Genres gefunden zu haben, auch wenn damals noch niemand den Begriff Rock and Roll zur Beschreibung des Musikstils verwendete. Auch wird das Ende des Genres sehr unterschiedlich wahrgenommen. Für einige endet die Ära des Rock and Roll bereits im Jahr 1956 (Tosches 1999), also in dem Jahr, in dem Elvis Presley seinen ersten nationalen Hit verzeichnen konnte. Gillett (1980) beendet in seinem Standardwerk „Sound and the City“ die dazugehörige Diskographie dagegen erst im Jahr 1971. Im folgenden eine tabellarische Übersicht, gelistet nach Erscheinungsjahr zum veranschlagten Beginn und Ende der Rock and Roll-Ära in einer Auswahl einschlägiger anglo-amerikanischer Fachliteratur, die hierzu eine numerische Angabe wagt.


AutorPublikationBeginnEnde
Belz, Carl196919531961
Gillett, Charlie197019541971
Shaw, Arnold197419541960
Tosches, Nick198419451956
Dawson, Jim & Propes, Steve19921944--
Garofalo, Reebee199719501959
Johnstone, Nick200719541958

Abb. 1: Beginn und Ende der Rock and Roll-Ära in verschiedener Fachliteratur

Es bleibt in dieser Frage also einiger interpretatorischer Spielraum, was vermutlich damit zusammenhängt, dass Rock and Roll neben der Bezeichnung für ein musikalisches Genre der 1950er Jahre in einer zweiten, sehr viel unverbindlicher gebrauchten Bedeutung als eine jugendlich-rebellische Geisteshaltung verstanden wird, die sich aus den Biographien einiger Figuren der Populärkultur herauslesen lässt und längst nicht auf den Bereich der Musik begrenzt ist. In der Literatur sind es Autoren wie Jack Kerouac, im Bereich Film Schauspieler wie Marlon Brando, James Dean und Marilyn Monroe, in der Kunst Maler wie Jackson Pollock, die sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in ihrer privaten Lebensführung zum Teil bis heute für eine wilde, intuitive und unangepasste Lebensweise ohne Rücksicht auf Verluste, den sogenannten Rock and Roll-Lifestyle stehen. Zusätzlich erschwert wird die Sachlage durch den Umstand, dass diese Geisteshaltung natürlich nicht auf das Zeitalter des Rock and Roll beschränkt ist, sondern sowohl vorher und in der medialen Wahrnehmung der Pop/Rockkultur vor allem danach in allen möglichen Schattierungen als eines der Grundelemente einer künstlerischen Biographie gilt (Bertrand 2005, Barker 2007).

Um die Ära des frühen Rock and Roll einerseits von den folgenden Musikstilen mit musikalischen Anteilen des Rock and Roll, auf der anderen Seite aber auch von mythologisch aufgeladenen Rock and Roll-Livestyle abzugrenzen, hat sich in Fachkreisen teilweise die Bezeichnung „Early Rock and Roll“ herausgebildet. Durch den Zusatz Early sind Musikstile der 1960er Jahre und folgende definitiv aus der Auswahl ausgeschlossen. Eine für die vorliegende Arbeit nötige Eingrenzung des Begriffs erfolgt im nächsten Abschnitt.

1.1.2 Zeitliche und territoriale Eingrenzung

„[…] It was in the brief span between 1954 and 1956 that the rock aesthetic displaced the jazz-based aesthetic in American popular music.“ (Peterson 1990, S. 97)

Um eine Untersuchung von einflussreichen und bedeutenden Instrumentalparts einer Ära vorzunehmen ist es erforderlich, das zu untersuchende Genre zeitlich und territorial einzugrenzen. Auch wenn Angaben zu Entstehungszeit und ersten Manifestationen unter Spezialisten divergieren, so lässt sich ohne Gefahr behaupten, dass der Musikstil Rock and Roll eine erwähnenswert große Bedeutung in der Öffentlichkeit ab dem Jahr 1954 entwickelt hat. Als Marker für den Beginn gelten Aufnahme und Veröffentlichung von Bill Haleys „Rock around the clock“ und Elvis Presleys Sun-Debut-Single „That’s all right“ (beide 1954). Obwohl „Rock around the clock“ erst Anfang 1955 als Soundtrack zu dem Film „Blackboard Jungle“ seine volle kommerzielle Durchschlagskraft entfaltet (Dawson 2005) und die ersten fünf Sun-Singles von Elvis Presley der Jahre 1954/55 nur regionale Erfolge in seiner Heimatstadt Memphis, Tennessee werden (Escott 1991), so werden gerade diese beiden Titel allgemein als Wendepunkt in der Geschichte der Populärmusik interpretiert und bleiben in keiner ernstzunehmenden Geschichtsschreibung des Genres unerwähnt (Belz 1972, Gillet 1980, Dawson 1992, Friedlander 1996, Tosches 1999, Stuessy 1999, Reebee 2002, Johnstone 2008). Der Höhepunkt des Genres kann mit Presleys großen, nationalen und bald auch internationalen Erfolgen nach seinem Labelwechsel von Sun Records zu RCA-Victor datiert werden. Ab der ersten RCA-Veröffentlichung „Heartbreak Hotel“ im Frühjahr 1956 landet diese und jede weitere Single-Veröffentlichung bis zum Antritt seines Militärdienstes sofort in den Top-10 der Billboard-Charts. Neben Presley, der nach Verkaufszahlen und Medienpräsenz in den 1950er Jahren das Genre klar dominierte, konnten aber auch andere Musiker und Bands des Rock and Roll in der Zeit um 1956 große kommerzielle Erfolge feiern. Die alteingesessene amerikanische Schallplattenindustrie, die das Genre und ihre Künstler anfangs noch als „fad“ (engl.: Moderscheinung) belächelt hatte (Gillett 1980, Reebee 1991), geriet mit dem anhaltenden kommerziellen Erfolg Presleys und anderer Künstler (z.B. Chuck Berry, Little Richard, Jerry Lee Lewis oder Carl Perkins), die bei kleinen, unabhängigen Labels unter Vertrag standen zunehmend unter Zugzwang. Sie suchten neue Künstler und es eröffneten sich dadurch Chancen für nachfolgende, junge Musiker einer zweiten Generation (Friedlander 1996) wie Buddy Holly, Eddie Cochran oder Gene Vincent (Tschmuck 2003).

 

Kehrseite dieser großindustriellen Suche nach jungen Talenten der Schallplattenindustrie war die Entstehung des sogenannten Schlock Rock (Gillet 1980, Reebee 2002). Im Fahrwasser des Sängers Pat Boone, der schon ab Mitte der 1950 Erfolge mit entschärften Coverversionen erfolgreicher Rock and Roll-Titel feiern konnte, entstanden ab 1958 immer mehr für das Selbstverständnis der weißen Mittelschicht ungefährliche, in ihrer musikalischen und textlichen Aussage entschärfte und von der Industrie kontrollierte Musik jugendlicher Sänger wie z.B. Paul Anka, Connie Francis, Neil Sedaka, Bobby Vee und Bobbie Vinton.

Das Ende des Genres kann mit dem Ausklang des Jahres 1960 datiert werden. Die meisten wichtigen Vertreter hatten im Anschluss keine Hits mehr (Bill Haley, Little Richard, Chuck Berry, Carl Perkins, Gene Vincent), wechselten das Genre (Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash) oder waren verstorben (Buddy Holly, Ritchie Valens, Eddie Cochran). Besonders der Einzug von Elvis Presley zum amerikanischen Militär im Jahr 1958 und der damit verbundene stark reduzierte musikalische Output bis zu seiner Entlassung im Jahr 1960 deuteten eine einschneidende Veränderung bereits deutlich an. Sein von ihm und seinem Management gleichzeitig aktiv betriebener Imagewechsel vom Rock and Roll-Rebell zum singenden und tanzenden Schauspieler in kommerziell erfolgreichen, aber musikalisch und inhaltlich anspruchslosen Kinoproduktionen wurde von späteren Beobachtern mit großer Enttäuschung aufgenommen. Im Jahr 1980 sagt John Lennon: „Elvis really died the day he joined the army [1958]. That‘s when they killed him, and the rest was a living death.“ (www.elvispresleynews.com/Beatles.html) Der Tod von Buddy Holly bei einem Flugzeugabsturz am 3. Februar 1959 wurde von der folgenden Generation gar als „the day the music died“ (McLean 1972) begriffen. Die Ära des klassischen Rock and Roll wurde ab Ende der 1950er Jahre schleichend abgelöst vom bereits erwähnten Schlock-Rock, dem amerikanischen Folk-Revival und ab dem Jahr 1964 schließlich und endlich von den Bands der British Invasion. Wie bei jedem Ausklang einer Ära waren die Übergänge aber auch hier fließend und so wurden noch bis in die frühen 1960er Jahre Titel veröffentlicht, die - zumal aus gitarristischer Sicht - noch dem Rock and Roll zugerechnet werden können z.B. von Ricky Nelson, Roy Orbison oder einige später dem Surf Rock zugerechnete Titel (Gillet 1980, Reebee 2002).

Territorial wird die Untersuchung auf die Bundesstaaten der USA begrenzt, da Rock and Roll seiner Entstehung nach ein amerikanisches Phänomen darstellt. Nicht-amerikanischer Musik im Stile des frühen Rock and Roll kann zumeist schnell ein direkter amerikanischer Einfluss nachgewiesen werden. So wird der in England ab 1958 kommerziell erfolgreiche Sänger Cliff Richard in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, weil er insbesondere in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren in den USA nicht einen einzigen Top-Ten oder Top-40-Hit landen konnte und auch aus instrumentenspezifischer Sicht keinerlei Einfluss auf die Entwicklung des Genres in den USA nahm. Auch deutsche Rock and Roll-Interpreten wie Ted Herold, Peter Kraus oder Tommy Kent sind nationale Phänomene, wie sie in Folge der weltweiten Vermarktung des Rock and Roll auch in anderen Ländern entstehen. Sie spielen in der internationalen Wahrnehmung des Genres keine Rolle.

1.1.3 Die E-Gitarre im Rock and Roll

„Rock and Roll was about black music and white rural music finding an audience in white urban teenagers, but the resistance to the guitar in particular was based on class rather than on race prejudice. Rockers like Elvis, Jerry Lee Lewis, and Carl Perkins were viewed – not only in the North – as white trash, and the fact that many of them were playing guitar only added to the evidence that they were no better than hillbillies.“ (Brookes 2005, S. 176)

Instrumentenspezifisch hatte es zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine neuartige Entwicklung gegeben, die präzise datiert werden kann. In den Jahren 1950-52 kamen die ersten klassischen Solidbody-Modelle der Firmen Fender und Gibson auf den Markt und markieren damit den Beginn einer neuen Ära im Gitarrenbau, der weitreichende Folgen haben sollte. Der kalifornische Tüftler und Unternehmer Leo Fender entwickelte mit verschiedenen Geschäftspartnern bereits seit Mitte der 40 Jahre Verstärker und Steel-Gitarren und widmete sich ab 1949 der Entwicklung einer Solidbody-Gitarre (ohne Resonanzraum) mit verschraubten Hals und elektromagnetischem Tonabnehmer. Das Modell Esquire (ab 1950) verfügt über einen einzelnen Single-Coil-Tonabnehmer in Stegposition. Das Nachfolgemodell Telecaster (ab 1951) löst das Vorgängermodell ab und wird bereits serienmäßig mit einem zusätzlichen zweiten Tonabnehmer in Halsposition bestückt. Die neue Gitarre bietet insgesamt drei verschiedene Tonabnehmerkombinationen und wird durch ihren günstigen Preis schnell zu einem sehr großen Verkaufserfolg. Das E-Gitarrenmodell Stratocaster (ab 1954) ergänzt die Fenderproduktpalette bzgl. Komfort und klanglicher Möglichkeiten. Es bietet serienmäßig eine ergonomische Korpusform, drei Single-Coil-Tonabnehmer in Hals-, Mittel-, und Stegposition und ein federgelagertes Vibratosystem unter dem Gitarrensteg. Außerdem befinden sich im Katalog der Firma Fender von Beginn an auch immer Röhrenverstärker, die ideal auf die eigenen Instrumente abgestimmt sind (Smith 1995, Bacon 2001). Das „Les Paul“ genannte Gitarrenmodell der traditionsreichen Firma Gibson ist das Ergebnis einer Kollaboration zwischen Gibson und dem Gitarristen und Technik-Tüftler Les Paul und war eine direkte Reaktion auf den Verkaufserfolg der Telecaster von Fender. Bereits in den Jahren 1945-46 war Paul mit den Plänen einer Solidbody-Gitarre auf die Firma zugekommen, wurde aber zunächst abgewiesen. Ab 1951 wurde dann gemeinsam entwickelt. Mit dem einer Archtop-Gitarre nachempfundenen Korpusform und einem verleimten Hals setze sich die Les Paul (ab 1952) optisch und technisch von den Konkurrenzprodukten aus dem Hause Fender ab. Anfangs wurde die Les Paul mit zwei P-90 Single-Coil-Tonabnehmern bestückt (Steg und Halsposition). Ab 1957 wurden diese durch die nebengeräuschärmeren Humbucker-Tonabnehmer ersetzt. Damit setzte sich die Les Paul auch klanglich noch einmal deutlich von den Fendergitarren ab. Die einfache Bauweise ohne Hohlkörper (und im Falle von Fender mit verschraubten Hälsen) erlaubte erstmals die Massenproduktion im Gitarrenbau und es war somit möglich die Preise der bis dahin gängigen Archtop-Gitarren deutlich zu unterbieten. Durch diese Verbilligung, aber auch durch die technische Möglichkeit der problemlosen Verstärkung wurde die Solidbody-Gitarre innerhalb weniger Jahre mit weitem Abstand zum meistverkauften und populärsten Musikinstrument der USA und zum integralen Bestandteil des sich gerade entwickelnden Musikstils Rock and Roll (Smith 1995, Bacon 2001).

Die neue Entwicklung im Gitarrenbau fällt zusammen mit einer Phase der Umstrukturierung der üblichen Bandbesetzungen. Waren bis zum Ende es zweiten Weltkriegs noch stark besetzte Swing- und Tanzorchester mit verschiedenen Bläsersektionen und Rhythmusgruppe die Regel, wurden die Formationen zum Ende der 1940er Jahre aus Kostengründen oft systematisch ausgedünnt. Zuerst wurden die Instrumentengruppen auf jeweils nur ein Instrument reduziert (z.B. Jump Blues) und schließlich in den 1950er Jahren zum Teil nur noch in Form des Tenorsaxophons eingesetzt. Die klassische Big-Band-Besetzung war Mitte der 1950er Jahre bereits ein Relikt aus der vergangenen Ära des Swing. Abgelöst wurden die alten Bands von kleinen bis kleinsten Besetzungen, von denen einige, wie z.B. im Rockabilly, sogar ohne Schlagzeuger auskamen. Die Sänger agierten zumeist gleichzeitig als Rhythmusgitarristen und wurden zum Teil nur von einem Sologitarristen und einem Kontrabassisten begleitet (Presley, Cash, Perkins). Dies war erst mit der technischen Erneuerung der E-Gitarre möglich geworden. Eine Handvoll Musiker konnte sich bei Auftritten oder Aufnahmen nun mit einem einer Bigband ebenbürtigen klanglichen Volumen präsentieren und dabei den eigenen Sound und die Performance wesentlich spontaner und individueller gestalten. Die beteiligten Musiker spielten zumeist so genannte Head-Arrangements, die üblicherweise im Kollektiv entwickelt und nicht notiert wurden. In diesen kleinen Besetzungen und oft mit einfachen, selbstverfassten Songs hebelten musikalische Amateure in Zusammenarbeit mit einigen unabhängigen Produzenten für kurze Zeit die Dominanz der allmächtigen Orchester, Musikverlage und Major Label aus wobei das Instrument E-Gitarre oft eine entscheidende Rolle spielte. Nicht zufällig bestand die Mehrheit der bedeutenden Musiker des Rock and Roll aus singenden Gitarristen (Prown 1997, Chapman 2000, Bacon 2001, Dawson 2003, 2005).

1.1.4 Sound, Personalstil und Signature-Lick

„Everyone else wanted to be Elvis; I wanted to be Scotty [Moore]“

(Keith Richards zit. in Moore 1997, Umschlagtext)

Anders als z.B. im Bereich der klassischen Musik ist ein hoher Wiedererkennungswert ein primäres Ziel von kommerziell ausgerichteter Populärmusik. Naturgemäß erregt eine gewöhnliche und unoriginelle Musikproduktion in der Masse der Veröffentlichungen weniger Aufmerksamkeit als eine neuartige und eigenständige Produktion und hat damit größere Chancen verkauft zu werden. Dieser Wiedererkennungswert kann durch unterschiedlichste musikalische und außermusikalische Faktoren hervorgerufen werden. Im Rock and Roll der 1950er Jahre hatten durch bedeutende Veränderungen in der Medienlandschaft erstmals auch außermusikalische Faktoren eine große Bedeutung. Die Präsenz in Fernsehsendungen, Kinofilmen und Presseberichten hatte direkten Einfluss auf die Verkaufszahlen von Produkten. Das Management von Presley, Nelson und Cochran wusste durchaus diesen Umstand für sich zu nutzen, während die Karrieren von Künstlern wie Perkins, Vincent oder Lewis durch das Desinteresse oder die bewusste Ablehnung der Medien zu einem frühen Ende führten. Auch wenn von einigen Seiten behauptet wird, dass die Mechanismen Populärmusik in besonderem Maße den marktwirtschaftlichen Prinzipien der kommerziellen Vermarktung unterliegen und einige Phänomene diese These zu unterstützen scheinen (Payola-Skandal), werden im Folgenden die werkimmanenten Faktoren einer näheren Betrachtung unterzogen, die Rock and Roll-Songs einen hohen oder auch geringen musikalischen Wiedererkennungswert verleihen. Zentrale Begriffe sind in diesem Zusammenhang Sound, Personalstil und Signature-Lick, die zwar auf unterschiedlichen Ebenen operieren, aber eng miteinander verknüpft sind (Frith 1978, Wicke 1987/93, Brackett 1995).

Sound

Der Sound einer Aufnahme wird zu einem großen Anteil durch die Klangästhetik und Arbeitweise des jeweiligen Produzenten bestimmt. Bei den kleinen, unabhängigen Ein-Mann-Plattenfirmen der 1950er Jahren wie Sun, Chess, Atlantic oder Imperial waren die Betreiber zumeist A&R, Aufnahmeingenieure und Vertriebsleiter in einer Person. Dadurch waren sie in der interessanten Lage, die eigenen Vorstellungen auf mehreren Produktionsebenen verwirklichen zu können. Die in diesem Umfeld symptomatisch niedrigen Budgets und die Beschränkung der Möglichkeiten durch kleine Räumlichkeiten und altmodische Gerätschaften führte in Kombination mit der technischen Unbedarftheit von Technikern und Musikern zu oftmals erfrischend unkonventionellen Ergebnissen. Üblich war die simultane Live-Aufnahme der Musik in einem Studioraum mit einem oder mehreren Mikrofonen auf Bandmaschine. Anders als bei den großen Firmenstudios, bei denen die gebuchten Sessions zum großen Teil von erfahrenen Studiomusikern und festangestelltem Aufnahmepersonal mit bewährten Standardroutinen nach einem strengen zeitlichen Plan abliefen, wurde bei den unabhängigen Firmen noch während der zeitlich meist unbegrenzten Aufnahme-Sessions sowohl auf Technikerseite, als auch auf Musikerseite ganz bewusst ausgiebig ausprobiert, verändert und verbessert, um einen einzigartigen eigenen Sound zu kreieren. Dabei entstanden über die Jahre zum Teil sehr innovative Verfahren, die zum Markenzeichen des Produzenten und/oder Studios wurden, von anderen Produzenten kopiert und ihrerseits zu erprobten Routinen wurden. Die Arbeit des Produzenten wurde somit zu einem entscheidenden Faktor bei der Erstellung der Aufnahme und manchen eilte durch ihren persönlichen Werkkatalog unter Eingeweihten schon bald ein exzellenter Ruf voraus (Escott 1991, Wicke 1997, Cunningham 1998, Broven 2009).

 

Herausragendes Beispiel für einen Produzenten mit äußerst eigenständiger Herangehensweise ist Sam Phillips von Sun Records im Memphis (Escott 1991). Er gründete sein Studio im Jahr 1950 und die Plattenfirma Sun im Jahr 1952. In den ersten Jahren nahm er vorwiegend lokale Blues und Rhythm and Blues-Musiker zum Teil für das eigene Label zum Teil im Auftrag für andere Firmen auf. Im Jahr 1954 begann seine zwei-jährige Zusammenarbeit mit Elvis Presley, die sich in fünf Single Veröffentlichungen bis Ende 1955 niederschlug. „’The Sun-Sound’ is still an industry catchphrase, connoting a raw, sparse production, long on feel and short on contrivance.“ (Escott 1991, Preface) Der einzigartige Sun-Sound besteht aus mehreren Komponenten. Wichtigster Bestandteil dürfte die enge und persönliche Zusammenarbeit zwischen dem Produzenten und seinen Künstlern gewesen sein. Phillips lässt seinen Künstlern während der Aufnahmen viel künstlerischen Spielraum und wartet geduldig auf den einen, „magischen“ Take. Aus musikalischer Sicht ist auffällig, dass Phillips sich auf kleinste Besetzungen, oft ohne Schlagzeug und fast immer ohne Bläser spezialisiert. Fast alle seiner Künstler sind junge, musikalische Amateure der Arbeiterschicht, die unter seiner Regie mit traditionellen Mitteln einen unverkünstelten und originellen Stil erschaffen. Einen einheitlichen Sound erhalten Phillips Produktionen durch den Einsatz des sog. Slapback-Delays, einem technischen Trick, der den Aufnahmen dieser kleinen Besetzungen eine zum damaligen Zeitpunkt ungewöhnliche klangliche Breite und räumliche Tiefe verleiht. In diesem von Phillips entwickelten Verfahren wird dem originalen Summensignal mit Hilfe einer zweiten Bandmaschine ein kurzes, technisch erzeugtes Echo hinzugemischt, das die Aufnahme auf einfache Weise größer und markanter erklingen lässt. Dieser Bestandteil des typischen Sun-Sounds ist bei allen seinen Produktionen bis Anfang der 1960er Jahre zu hören. Zu seinem Katalog gehören die frühen Werke von z.B. Elvis Presley, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash, Charlie Rich, Carl Mann, Roy Orbison (Escott 1991, Cunningham 1998, Sinofsky 2003).

Neben Phillips sind weitere bedeutende Produzenten des Rock and Roll-Ära Leonard und Phil Chess aus Chicago (z.B. für Chuck Berry, Bo Diddley), Dave Bartholomew aus New Orleans (z.B. für Fats Domino), Lee Hazlewood (z.B. für Duane Eddy) und Norman Petty aus Clovis in New Mexico (z.B. für Buddy Holly, Roy Orbison). Sie alle entwickelten in Zusammenarbeit mit ihren Künstlern höchst individuelle Techniken und Vorgehensweisen, die im weiteren Verlauf der Geschichte die Aufgaben des bis dahin nicht existenten Musikproduzenten als Klangdesigner begründen (Escott 1991, Cunningham 1998, Broven 2009).

Personalstil

Auf Seiten des Künstlers gibt es, ähnlich wie auf Produzentenseite, übergreifende Erkennungsmerkmale, die im Folgenden unter dem Begriff Personalstil zusammengefasst werden. Ein solcher Personalstil kann sich in einer Vielzahl möglicher Parameter niederschlagen und ergibt in der Summe seiner Teile ein individuelles Abbild der kontinuierlich gepflegten Eigenheiten eines Künstlers, das ihn deutlich erkennbar von anderen seines Fachs unterscheidet. Einige der wichtigsten musikalischen Bestandteile eines Personalstils im Genre Rock and Roll sind der Gesangsstil des Sängers, charakteristische instrumentale bzw. solistische Einlagen, instrumentale Besetzung der Begleitband und Songauswahl bzw. Songwriting.

Die populäre, amerikanische Unterhaltungsmusik wurde seit etwa den 1930er Jahren von dem sanft-weichen so genannten „Crooning“ im Stil von Bing Cosby, Frank Sinatra, Nat King Cole oder Dean Martin bestimmt. Der hochenergetische Gesangsstil der Sänger des Rock and Roll unterscheidet sich deutlich von dieser traditionellen Gesangsästhetik ihrer Zeitgenossen.

Die feine und souveräne Coolness des Crooning wird im Rock and Roll ersetzt durch ein emotionales und nervöses Shouting, das zusätzlich mit ungewöhnlichen Artefakten angereichert wird. Für die Unterkategorie des Rockabilly, von dem viele solcher Artefakte in den Mainstream übergehen sollten, schreibt Morrison: „The characteristic vocal, however, is full of passionate emotion (real or stimulated) and eccentricities: raspiness, exaggerated enunciation, added and deleted words and syllables, hiccuping, melisma, feathering and falsetto, interjections, and melodic distortions.“ (Morrison 1998, S.16). Als erster Wegbereiter dieses neuen Stils gilt Johnnie Ray, der in seinen Shows, von der eigenen Emotionalität ergriffen, oft weinend zusammenbrach (Shaw 1978). Sehr treffend wird er oft beschrieben als „the man who made Elvis Presley possible“ (Dellar 1996). In Presleys frühen Aufnahmen für Sun Records manifestieren sich die oben erwähnten Manierismen dann in einer bis dahin nicht gekannten Dichte und beeinflussen nachweislich stark den Gesangsstil von nachfolgenden Rock and Roll-Sängern wie Carl Perkins, Buddy Holly, Gene Vincent oder Eddie Cochran (Morrison 1998).

Neben der gesanglichen Leistung ist ein charakteristisches Merkmal des Rock and Roll, dass einem Sänger fast ausnahmslos auch ein markanter instrumentaler Gegenpart gegenüber steht. Es gibt die klassischen Gesangs/Solisten-Paarungen wie Presley/Moore, Vincent/Gallup oder Nelson/Burton, auf der anderen Seite aber auch Künstler, die diese Aufgabe in Personalunion leisten wie Chuck Berry, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly oder Eddie Cochran. In beiden Konstellationen manifestiert sich im vokal-instrumentalen Zusammenspiel im Idealfall ein wiedererkennbarer musikalischer Stil. Gerade bei den Paarungen ist deutlich zu erkennen, dass mit dem Ende einer Zusammenarbeit mit markanten Instrumentalisten für die Sänger meist auch die kreative Phase der Künstlerkarriere zu Ende ging (Hawkins, Mann, Vincent, Nelson) und fortan bestenfalls die kommerzielle Verwertung zurückliegender musikalischer Leistungen in der Vordergrund rückte.

Die instrumentale Besetzung ist ein weiteres, konstituierendes Merkmal eines Personalstils. Von Vorteil sind hier ungewöhnliche sich vom musikalischen Mainstream deutlich unterscheidende Besetzungen. Solche Unterschiede können sich sowohl in der Stärke der Besetzung als auch in der Art der Instrumentierung in Begleitung oder instrumentalen Passagen niederschlagen. Den in der populären amerikanischen Unterhaltungsmusik bis dahin üblichen großen Besetzungen mit Big Band, Streichern und Chor wurden im Rock and Roll kleine Besetzungen (Trio, Quartett) gegenübergestellt, die meist ohne Bläsersektion und - abgesehen vom Doo-Wop - fast immer ohne Backgroundgesänge angelegt waren und auf diese Weise sowohl den Sänger als auch den Solisten prominent exponierten. Einige besonders markante Besetzungen seien hier genannt:

- Elvis Presley (1954-57): Elvis Presley (Gesang, Gitarre), Bill Black (Kontrabass), Scotty Moore (E-Gitarre), ab 1955: D.J. Fontana (Schlagzeug)

- Carl Perkins (1955): Carl Perkins (Gesang, Gitarre), Jay Perkins (Gitarre), Clayton Perkins (Kontrabass), W.S. „Fluke“ Holland (Schlagzeug)

- Jerry Lee Lewis (1956/57): Jerry Lee Lewis (Gesang, Piano), Roland Janes (E-Gitarre), J.M. Van Eaton (Schlagzeug)

- Buddy Holly & The Crickets: Buddy Holly (Gesang, Gitarre), Niki Sullivan (Gitarre), Joe B. Mauldin (Bass), Fred Below (Schlagzeug)

- Chuck Berry (1955): Chuck Berry (Gesang, Gitarre), Johnny Johnson (Piano), Willie Dixon (Kontrabass), Jasper Thomas (Schlagzeug)

Auch wenn aus heutiger Sicht im Pop/Rock einige der oben genannten Besetzungen die Norm darstellen, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in den 1950er Jahren in der populären Musik eine Ausnahme darstellten. Das klassische Quartett (Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug) wurde erst mit dem internationalen Erfolg der Beatles zur Pop/Rock-Standardbesetzung, das sogenannte Powertrio (Gitarre, Bass, Schlagzeug) erst mit dem Erfolg der Jimi Hendrix Experience im Jahr 1967 (Chapman 2003).

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