Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018

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Robert wechselte mit ihm ein paar Worte auf Arabisch. Dann verschwand Aziz auf demselben Weg, auf dem er so plötzlich ins Haus gekommen war.

„Was macht er hier?“, fragte Elsa.

„Aziz?“

„Ja.“

„Er kümmert sich um alles im Haus. Garten, Swimmingpool, Haushalt und so weiter. Seine Frau und seine beiden älteren Töchter kommen einmal die Woche zum Putzen.“

Elsa schien wirklich erstaunt.

„Du lebst hier wie ein Prinz“, meinte sie, und er lachte. Dann lachten sie beide.

„Manche Dinge, die anderswo sehr teuer sind, sind hier ausgesprochen günstig“, sagte er. „Zum Beispiel die menschliche Arbeitskraft.“

Nachdem Elsa etwas gefrühstückt hatte, nahmen sie den Landrover und fuhren nach Tanger, um Elsas Sachen aus dem Hotel Massilia zu holen.

Es war nicht viel. Soviel, wie in eine Reisetasche eben passt.

Sie verstauten die Sachen in den Landrover und schlenderten noch durch die Straßen.

Jetzt fühlte Elsa sich fiel sicherer. Sie hakte sich bei Robert unter und wusste, dass ihr nichts geschehen konnte. Sie erinnerte sich an das, was eine Freundin ihr einmal gesagt hatte, die drei Semester Psychologie hinter sich gebracht hatte, bevor sie auf Theologie umgestiegen war. „Du hast eine klassische Angstneurose, Elsa“, hatte sie ihr gesagt. Wenn ihr jemand mit solchen Dingen kam, war sie sehr schnell taub, und sie konnte sich auch kaum noch an Einzelheiten aus dem Redeschwall erinnern, der dann gefolgt war.

Eine graue Masse aus Fachwörtern. Hörte sich alles sehr gut an, war aber letztlich nur angelesen. Angstneurose...

Elsa musste unwillkürlich lächeln, als sie daran dachte. Jetzt, in diesem Augenblick und an Roberts Arm konnte sie darüber lächeln - über Dinge, die ihr sonst den kalten Angstschweiß über den Rücken trieben.

Die schwarzen Schatten der Depression, die ihrer Seele immer so empfindlich nahe gewesen waren, hatten sich verflüchtigt. Und ihre Ängste, von denen ein kleiner Teil ihres Inneren wusste, dass sie völlig unbegründet waren und die sie dennoch nie wirklich verlassen hatten - im Augenblick war von diesen unangenehmen, aber treuen Begleitern nirgends etwas zu sehen.

Sie bummelten zusammen durch die engen Gassen der Altstadt und später saßen sie am Strand. Ein paar Jugendliche spielten dort Fußball. Zum Baden war der Atlantik noch zu kalt.

Aber wenn auch das Wasser noch kalt war, die Sonne hatte bereits viel Kraft. 20 bis 25 fünfundzwanzig Grad erreichte sie leicht..

Als sie schließlich Hunger bekamen, gingen sie ins Hotel MARCO POLO, um etwas zu essen. Ein großes, unübersehbares Schild verriet, dass das MARCO POLO „unter deutscher Leitung“ stand - was immer das auch zu bedeuten haben mochte. Man hatte es wohl hingeschrieben, um die wachsende Zahl deutscher Touristen anzulocken.

„Ich bin hier schon vorbeigekommen“, erinnerte sich Elsa, als sie den üppigen Garten betraten, der das Gebäude umgab und den Gästen selbstverständlich zur Verfügung stand. Einige Bäume spendeten angenehmen Schatten.

„Es sieht teuer aus“, meinte sie nachdenklich.

Robert lachte nur.

„Alles ist relativ.“

„Was heißt das: 'Unter deutscher Leitung'?“

„Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls sprechen die Kellner allesamt Deutsch. Und zwar ziemlich gut!“ Sie bekamen Fensterplätze im Obergeschoss, von denen sie eine hervorragende Aussicht hatten. Elsas Blick fiel auf die Gleise, die zum nahen Bahnhof gingen. Dahinter lag das Meer.

„Die Züge sehen ziemlich klapprig aus“, bemerkte sie. „Einige Wagen haben überhaupt keine Fenster.“ Ihr Gesicht wirkte nach innen gekehrt. „Ursprünglich hatte ich vor, mit dem Zug weiter ins Landesinnere zu fahren. Nach Casablanca.“

„Da wollen viele hin“, meinte Robert wie beiläufig. „Hauptsächlich wohl wegen des Films.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ja, kann schon sein.“

„Bogart und Bergmann.“

„Kennst du den Film?“

„Wer kennt ihn nicht?“

„Die Schlussszene... Die spielt auf einem Flughafen. Im Nebel... Humphrey trägt seinen berühmten Trenchcoat...“

„Na und?“

„Ich habe immer gedacht: Das ist doch Unfug! Völliger Unfug! Ich meine, der Film ist zwar im Atelier gedreht, aber ein bisschen muss er sich doch auch nach der Realität richten, oder etwa nicht?“

„Und, tut er es denn nicht?“

„Doch, aber ich kannte die Realität nicht! Ich dachte an Nordafrika als ein Gebiet, in dem die Sonne scheint und es sehr warm ist. Nicht an Nebel und eine kalte Nacht, in der man einen Mantel braucht, so wie Bogie in dem Film. Aber der Irrtum lag bei mir. Jetzt weiß ich, dass es auch hier Nebel gibt - und nicht nur in London!“

„Casablanca ist nicht besonders zu empfehlen“, warf Robert ein.

„Meinst du den Film oder die Stadt?“

„Ich meinte jetzt die Stadt. Aber ich mag den Film auch nicht.“

„Warum nicht?“

Sie wechselten einen Blick miteinander, und zum ersten Mal schien ihm das unangenehm zu sein. Elsa hatte keine Ahnung, woran das lag.

Er blickte zur Seite und wich ihr so aus.

„Was willst du erst hören, meine Meinung zum Film oder zur Stadt?“

„Erst die Stadt!“, verlangte Elsa.

„Das große Erdbeben von 1750 hat das meiste vom wirklich alten Casablanca vernichtet. Heute ist es eine Großstadt wie viele. Kaum etwas, was man nicht auch anderswo findet.“

„Und der Film?“

In diesem Moment kam der Kellner an den Tisch. Er sprach tatsächlich hervorragend Deutsch.

Robert bestellte für sie beide ein Mineralwasser, das den Namen „Sidi Harasem“ trug. Es stammte aus der Gegend und war weltberühmt.

Und sie nahmen beide einen „salade nicoise“.

„Deine Meinung zum Film, Robert!“, hakte Elsa nach, als der Kellner sich wieder entfernt hatte. „Warum magst du den Film nicht?“

Er zuckte mit den Schultern. Sein Blick war nach innen gerichtet.

„Es geht um einen Mann, der vorgibt, ein Zyniker zu sein, und der sich dann aber am Schluss als Idealist entpuppt. Solche Stories mag ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Sie überzeugen mich einfach nicht. Diese wundersamen Wandlungen... Vom Saulus zum Paulus. Nein, ich kann das nicht nachvollziehen. Es stimmt einfach nicht! Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun, nicht das geringste!“

„Muss es das denn?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Diese Sachen sind auch nicht mein Metier.“

„Was ist dein Metier?“

Sein Blick ging hinaus durch das Fensterglas. Dorthin, wo die Schienen lagen und die klapprigen Waggons ohne Fenster standen.

Er sah ins Nichts. Elsa spürte, dass er mit den Gedanken sehr weit weg war. Sehr weit...

Der Kellner brachte unterdessen das „Sidi Harasem“ und die Salate.

Vor dem MARCO POLO hielt ein Taxi und drei Amerikaner stiegen aus, ein Mann und zwei Frauen.

Elsa lachte unwillkürlich, als sie die drei aus dem Taxi steigen sah und als sie dann erschrocken die Hand vor den Mund nahm und sich umschaute, bemerkte sie, dass sie nicht die einzige war, bei der dieses Trio Heiterkeit auslöste.

Selbst das sonst so betont zurückhaltende Hotelpersonal konnte ein gewisses Schmunzeln einfach nicht unterdrücken.

Die drei sahen genauso aus, wie man sich typische Amerikaner in einer Karikatur vorstellt.

Der Mann war farbig.

In der Rechten trug er einen überdimensionalen Radiorecorder und auf dem Kopf einen riesigen, hellbeigen Cowboyhut. Das knallbunte Hawaihemd und die grellen Bermudas bissen sich farblich wie Hund und Katze.

Aber das schien den Schwarzen nicht im geringsten zu stören. Er schien sich ohnehin nicht besonders um die Meinung irgendeines anderen Menschen zu scheren.

Obwohl sein Radio abgeschaltet war, machte er bereits auf der Straße einen ziemlichen Krach. Er sprach so laut, als hätte er eine Rolle in einem Freilichtspiel und wäre gezwungen, gegen kräftigen Wind bis zu seinem Publikum hinüber zu schreien.

Eine der beiden Frauen, die ihn begleiteten, war schlank. Gertenschlank, fast schon magersüchtig. Ihre Wangen waren hohl, das Kinn spitz - Ellbogen und Rippen vermutlich auch.

Die andere war das genaue Gegenteil. Sie war klein und fett.

Die Dünne war schwarz, die Dicke weiß.

Es dauerte nicht lange, und das Trio tauchte an einem der Nachbartische auf. Robert und Elsa waren nicht die einzigen, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Alle Gespräche, auch unter den Angestellten, waren von einem Augenblick zum anderen verstummt.

Der Mann fläzte sich auf den Stuhl, setzte den Radiorecorder auf dem Boden auf und legte den großen Cowboyhut auf den Tisch. Er war so riesig, dass er ein gutes Drittel der Tischplatte einnahm.

„Hey, come here!“, rief er den Kellner heran. „I want spaghetti bolognese! Right now!“

Die dicke Frau wollte ebenfalls Spaghetti.

Die Dünne ein Stück Kuchen.

Und dann doch lieber Spaghetti. Und nach vier Sekunden, als der Kellner bereits den halben Weg bis zur Bar zurückgelegt hatte, wurde er noch einmal zurückgepfiffen. Keine Spaghetti, sondern Kuchen.

Als der arme Kellner bald darauf den Kuchen an den Tisch der drei brachte, durfte er ihn gleich wieder mitnehmen.

Die Dünne wollte jetzt nur noch ein Mineralwasser.

Die beiden anderen nahmen ihre Spaghetti in Empfang. Die Dicke schaufelte sich so viel hinein, dass ihr gleich wieder die Hälfte aus dem Mund fiel.

Der Mann stocherte lustlos auf seinem Teller herum und schob ihn dann zur Seite. Und während der ganzen Zeit machten sie Witze über den Kellner. Die Augen der dicken Weißen wurden dabei so klein, dass man kaum erkennen konnte, ob sie offen oder geschlossen waren. Die der schwarzen Dünnen quollen dafür noch mehr aus ihren Höhlen heraus, als sie es ohnehin schon taten.

 

Der Kellner wurde erneut herbeigerufen. Der Mann wollte jetzt ein Stück Kuchen und ein kühles Bier. Seine Spaghetti wurden abgeräumt.

Das Bier und der Kuchen kamen bald darauf, aber er schlürfte nur das Bier. In zwei Zügen.

Dann unterzog er den Kuchen einem äußerst kritischen Blick, verzog das Gesicht und reichte dann das Stück an die dünne Schwarze weiter.

Aber die verzog auch nur das Gesicht, nahm ein paar Krümel und reichte es schließlich an die dicke Weiße weiter, die inzwischen ihre Spaghetti restlos vertilgt hatte.

Das Stück Kuchen wäre für sie sicher auch kein unlösbares Problem gewesen, aber die Dünne war ziemlich ungeschickt. Das Kuchenstück fiel ihr vom Teller herunter auf den Boden, und dann hatte keiner mehr Appetit darauf.

Der Mann rief abermals den Kellner herbei und holte mit großer Geste ein riesiges Bündel Geldscheine heraus.

„Na, so viel hast du noch nie auf einem Haufen gesehen, was?“

Was sollte der arme Kerl darauf erwidern? Er machte gute Miene zum bösen Spiel. Und etwas anderes blieb ihm auch gar nicht.

Der Schwarze zählte laut und für alle im Raum vernehmlich das Geld ab. Ein gutes Trinkgeld war dabei.

Vielleicht ließ sich die offensichtliche Geringschätzung so besser ertragen...

Und dann waren die drei so schnell weg, wie sie gekommen waren. Wenig später hörte man von der Straße her das Gedudel des überdimensionalen Radiorecorders.

Die Erheiterung über das merkwürdige Trio brach sich jetzt endgültig Bahn. Sowohl unter den Gästen, als auch beim Personal konnte kaum noch jemand an sich halten vor Lachen.

„Wenn ich das zu Hause erzähle, glaubt mir das niemand“, meinte Elsa. Und dann war ihre Heiterkeit auf einmal wie weggeblasen, während alle anderen im Raum noch lachten.

Zu Hause... Der Gedanke machte sie traurig.

„Lass uns gehen, Robert“, meinte sie.

Er runzelte die Stirn.

„Warum?“

„Ich weiß nicht. Lass uns einfach von hier weggehen.“

„Gefällt es dir hier nicht?“

„Ich kann es dir nicht erklären, Robert.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Gut, wie du willst.




4


Die nächsten Tage und Wochen verflogen wie in einem Rausch Elsa verbrachte ihre Zeit hauptsächlich damit, im Pool zu baden, sich in die kräftiger werdende Sonne zu legen und mit Robert in der Umgebung herumzufahren.

Sie machten Touren zu den alten Städten. Rabat, Fez, Marrakesch, wo sie ein paar Tage in einem Hotel blieben, und natürlich das unvermeidliche Casablanca.

Robert schien nichts zu tun zu haben, außer ihr Gesellschaft zu leisten. Keinerlei geschäftliche oder sonstige Verpflichtungen, nichts, was auch nur im entferntesten nach Arbeit aussah. Zunächst wunderte es sie ein wenig, dann genoss sie es einfach.

Robert wirkte wie ein Mann, der durch eine Erbschaft zu Reichtum gekommen war und nun nie wieder einen Finger krummzumachen brauchte. Eine Erbschaft, ein Volltreffer im Lotto, irgend etwas in der Art...

Elsa fragte ihn dann doch einmal nach seinen Geschäften, sie war einfach zu neugierig, und er meinte daraufhin, dass er mit ihr nicht darüber sprechen wollte.

„Vertraust du mir nicht?“

„Doch, damit hat das nichts zu tun.“

„Dann sag mir, womit es etwas zu tun hat!“

„Ich habe einfach keine Lust, über diese Dinge nachzudenken oder auch nur an sie erinnert zu werden.“

Und dann hatte er den Arm um sie gelegt und seine Hand war durch ihr dickes, braunes Haar geglitten. „Im Moment will ich nichts weiter, als mit dir zusammen zu sein und jeden Tag zu genießen.“

Und sie genossen jeden Tag. Es war ein rasanter Traum, wie die Fahrt auf einem Karussell - oder vielmehr: wie auf einer Achterbahn.

Es war Elsa instinktiv klar, dass das nicht ewig so weitergehen konnte, aber es gelang ihr erfolgreich, alle Gedanken an später erst einmal zu verscheuchen.

Je mehr Zeit verstrich, desto öfter dachte sie an zu Hause. Und dann fiel ihr wieder ein, dass es dieses Zuhause nicht mehr gab, jedenfalls nicht in der Form, in der sie es aus ihrer Kindheit kannte. Es gab nur noch ihren Vater und ihre Mutter. Das war alles.

Aber im Augenblick schmerzte sie das nicht mehr so schrecklich. Es wurde ihr etwas gleichgültiger, und das war gut so.

Vielleicht bin ich dabei, über die Sache hinwegzukommen, dachte sie.

Langsam, aber sicher rückte der Beginn des Sommersemesters näher. Es ging auf Ostern zu. Ursprünglich hatte sie dann wieder in ihren eigenen vier Wänden sein wollen. So hatte sie es geplant, aber jetzt war sie unschlüssig.

Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen würde. Sie lebte einfach den Tag, den Augenblick, die Sekunde und wunderte sich dabei über sich selbst, wie schnell sie Roberts Ansicht verinnerlicht hatte, wonach nur das Hier und Jetzt von irgendeiner Bedeutung war.

Vielleicht war es so. Vielleicht auch nicht. Sie dachte nicht mehr viel darüber nach und wenn man es genau nahm, dann dachte sie kaum noch über irgend etwas nach, sondern zog es vor, einfach zu leben und zu genießen. Das zu können gab ihr ein bisher ungekanntes Gefühl von Freiheit und Glück.

Sie wollte, das es nie aufhörte. Eines Tages, als sie wieder einmal in der Stadt waren, hatte Elsa das Bedürfnis, ihre Mutter anzurufen. Sie ging ins Postamt, und wenig später hatte sie sie am Hörer.

„Mama?“

„Elsa! Du hast dich ja eine Ewigkeit lang nicht mehr gemeldet! Wo bist du?“

„Tanger, Marokko.“

„Immer noch?“

„Ja.“

„Wolltest du nicht schon längst auf dem Weg zurück nach Hause sein?“

„Ja, das stimmt...“

Elsa fühlte deutlich die Verkrampfung, die sie in dem Moment befallen hatte, als sie die Stimme ihrer Mutter am Hörer hatte. Sie hatte sich darauf gefreut, mit ihr sprechen zu können, aber jetzt fragte sie sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war.

Doch nun war sie da auf der anderen Seite der Leitung, und es gab kein Zurück mehr.

„Wann beginnt das Semester, Elsa?“

Es war dieser unterschwellige Verhörton, den Elsa bei ihrer Mutter nicht mochte. Aber sie war es gewohnt, dennoch zu antworten.

Und genau das tat sie dann auch, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, denn sie konnte es sich an zwei Fingern ausrechnen, in welche Richtung das Gespräch jetzt laufen würde. Genau dorthin, wo sie es nicht haben wollte.

Aber es war längst zu spät, um daran noch etwas ändern zu können. Sie wusste, dass alles seinen Gang nehmen würde und resignierte.

„Nach Ostern“, antwortete Elsa auf die Frage ihrer Mutter. „Genau einen Tag nach Ostern.“

„Wirklich kein freier Tag mehr zwischen Ostern und Vorlesungsbeginn?“

„Nein. Aber es macht nichts, wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin. In der ersten Woche ist ohnehin noch nicht viel los...“

„Aber das ist doch keine Einstellung, Elsa!“

„Mama!“

„So etwas kenne ich gar nicht von dir... Du warst doch sonst immer so gewissenhaft.“

Elsas Mutter hatte Bluthochdruck und war ziemlich dick. Elsa konnte sich gut vorstellen, wie sie jetzt an ihrem Telefon saß und puterrot anlief.

Eigentlich hatte Elsa das vermeiden wollen, aber vermutlich wäre es ohnehin kaum zu verhindern gewesen.

Irgendwann musste ich mich ja mal wieder zu Hause melden, dachte sie.

Und sie hatte es ja wirklich schon eine geraume Weile vor sich hergeschoben.

„Wenn das dein Vater wüsste, dass du vorhast, nicht pünktlich zum Vorlesungsbeginn wieder zurück zu sein!“

„Es würde ihn kaum interessieren!“, versetzte Elsa dann eine deutliche Spur schärfer im Tonfall, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Ihre Mutter schwieg, und Elsa erschrak.

Sie hatte sie an ihrem wunden Punkt getroffen. Aber es war schließlich die Wahrheit. Die verdammte, bittere Wahrheit, und die war ihr in einem unbedachten Moment einfach so über die Lippen geflossen.

Ihre Mutter schien verletzt.

Und wenn schon, dachte Elsa trotzig, als auf der anderen Seite der Leitung noch immer kein Ton zu hören war. Es stimmt ja schließlich! Er interessiert sich nicht mehr für mich und auch nicht mehr für sie! Oder wie sollte man das interpretieren, wenn jemand zu Weihnachten nicht einmal eine Karte schickte? Er rief immer nur an, wenn sie vergessen hatte, ihm die Immatrikulationsbescheinigung zuzusenden, die er für seine Steuererklärung brauchte.

Immerhin kam sein Geld meistens pünktlich. Wenigstens in diesem Punkt war er zuverlässig. Aber in allen anderen Dingen hatte er sie verraten. So empfand sie das jedenfalls.

„Es war nicht so gemeint“, sagte sie dann, obwohl es nicht stimmte. Es war durchaus so gemeint gewesen. Genau so und nicht anders.

„Schon gut“, kam es gedämpft aus dem Hörer. „Geht es dir wenigstens gut?“

„Ja, es ging mir nie besser!“

„Hast du überhaupt noch Geld?“

„Ich komme aus!“

„Ich habe dir geschrieben. Hast du den Brief bekommen?“

„Nein, habe ich nicht.“

„Du hast nichts bekommen?“

„Nein, ich sag's doch!“

„Ich habe aber an die Adresse geschrieben, die ich von dir hatte. Dieses Hotel... Ich komme jetzt nicht mehr auf den Namen...“

„Da wohne ich schon lange nicht mehr.“

„Nein? Hat es dir nicht gefallen?“

„Doch, aber... Das ist kompliziert.“

„Wo wohnst du jetzt?“

„Bei Robert.“

Sie sagte es einfach so dahin, und dann war es heraus. Aber vielleicht war es gut so. Irgendwann musste sie es ohnehin erfahren. Besser früher als später...

Und wenn sie wirklich länger blieb, vielleicht sogar den ganzen Sommer hindurch und auf das Studium pfiff...

„Ich verstehe nicht...“

„Ich habe einen Mann kennengelernt. Und bei dem lebe ich jetzt.“

„Daher weht also der Wind!“

„Ja, daher weht der Wind, Mama!“

„Ich hoffe nicht, dass du deswegen dein Studium...“

„Nein, keine Sorge!“

Aber in Wahrheit war es genau das, woran sie gedacht hatte.

„Wie alt ist er? Was macht er?“

Elsa hatte keine Lust auf ein weiteres Verhör.

„Mama, es wird zu teuer für mich. Ich muss jetzt Schluss machen!“

„Ja, aber...“

„Tschüss!“

„Pass auf dich auf, Elsa. Wann höre ich wieder von dir?“

„Mal sehen. Wenn ich es einrichten kann.“

Elsa war froh, als der Hörer wieder in der Gabel hing. Sie fühlte sich wie befreit.

Es war Abend.

Elsa legte den Kopf an Roberts Schulter und fand, dass er gut roch. Ihre Hand glitt über seine behaarte Brust. Sie spürte Roberts ruhigen Atem und seinen Arm an ihrem Rücken.

„Ich liebe dich“, murmelte sie. Und dann, nach einer kurzen Pause: „Hast du eigentlich gehört, was ich gesagt habe?“

„Ja.“

„Liebst du mich auch?“

„Ja.“

„Sex mit dir ist wunderbar. Ich glaube, ich könnte süchtig nach dir werden, Robert!“ Sie lachte. „Wahrscheinlich bin ich es längst.“

Dann schwiegen sie eine Weile.

Elsa schloss die Augen. Sie war glücklich.

 

Eine wohlige Müdigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Um ihre Lippen spielte ein entspannter Zug.

Dann schreckte sie plötzlich Roberts Stimme auf.

„Ich muss für einige Zeit weg“, sagte er.

Elsa war sofort wieder sehr aufmerksam. Sie setzte sich auf und blickte ihn verwundert an.

„Was?“

„Eine Geschäftsreise. Du wirst eine Weile allein hier wohnen, vorausgesetzt, du willst hierbleiben.“

„Natürlich will ich hierbleiben!“

„Musst du nicht irgendwann zurück nach Deutschland?“

„Warum?“

„Ich denke, du studierst...“

„Ich werde das Sommersemester aussetzen. Ich muss mir ohnehin über verschiedenes klarwerden, und vielleicht ist das eine gute Gelegenheit dazu.“

„Du meinst, du willst das Studium abbrechen?“

„Ich will damit sagen, dass ich noch nicht so genau weiß, ob ich das eigentlich will, was ich da tue...“

Die Wahrheit war viel einfacher. Sie wollte bei Robert sein. Jeden Tag, jede Sekunde. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dieser Traum einmal zu Ende sein sollte. Nicht einmal der Gedanke an eine Unterbrechung war ihr erträglich.

„Du hast erwähnt, dass du fort müsstest, Robert...“

„Ja.“

„Für wie lange?“

„Vielleicht eine Woche. Plus minus ein paar Tage. Ganz genau kann ich das noch nicht sagen.“

„Wohin geht es?“

„Erst mal Madrid.“

„Könnte ich dich nicht begleiten?“

„Nein!“

In seinem Tonfall lag etwas Endgültiges. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, ein zweites Mal zu fragen. Er würde seine Meinung nicht ändern. Nicht nach diesem Nein; so gut kannte sie ihn inzwischen schon.

„Wann geht's los?“, fragte sie.

„Morgen.“

„Oh, morgen schon?“

„Ja.“

„Schade.“

„Es lässt sich nicht ändern, Elsa.“

„Ja, mag schon sein...“

„Irgend wovon muss dies alles hier, das Haus und so weiter, ja bezahlt werden. Und ab und zu muss ich halt auch etwas dafür tun.“

„Es ist trotzdem schade.“

„Ich komme ja wieder, Elsa!“

„Ich kann es schon jetzt kaum erwarten, obwohl du doch noch gar nicht weg bist und hier neben mir liegst!“

Sie bewegte sich wieder zu ihm hinunter und legte sich in seine Armbeuge.

Auf einmal begann sie zu frieren und zog die Decke bis zu den Schultern hoch.

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