Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018

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Er steuerte seinen Opel an den Straßenrand und stieg aus. Das Garagentor war geschlossen, man konnte also nicht sehen, ob der Herr des Hauses ausgefahren war.

Berringer klingelte an der Tür, doch es öffnete niemand.

Der Detektiv sah auf die Uhr. Insgesamt war sogar bereits mehr als eine halbe Stunde vergangen, seit Tanja Runge mit ihrem Vater gesprochen hatte. Vielleicht bin ich zu spät dran, und Krassow ist schon wieder gefahren, befürchtete Berringer. Doch er beschloss, zumindest ein paar Minuten zu warten, und lief vor der Haustür auf und ab.

Schließlich bog ein BMW um die Ecke und fuhr in die Einfahrt. Ein Mann von Anfang fünfzig stieg aus. Er trug Jeans, Jackett und ein schwarzes Hemd, dessen erste drei Knöpfe offen standen, sodass darunter ein Goldkreuz zu sehen war. Die Haare waren pechschwarz, aber diese Schwärze konnte nicht echt sein. Die Haare waren es vielleicht auch nicht. Die Falten, die sein höhensonnengebräuntes Gesicht durchzogen, dagegen schon. Der starre Blick, das aufgedunsene Gesicht und die großporige Haut sprachen dafür, dass Eckart Krassow in der Vergangenheit nicht nur Feiern aller Art moderiert, sondern sich auch selbst gern am Frohsinn beteiligt hatte, wenn Hochprozentiges ausgeschenkt worden war.

„Polizei?“, fragte er.

„Herr Krassow?“

„Ja. Erkennen Sie mich nicht von Ihren Fahndungsfotos, die wahrscheinlich inzwischen schon auf jeder Polizeiwache hängen?“, fragte er gallig. „Wahrscheinlich haben Sie die auch schon ins Internet gestellt, damit mein Ruf auch gründlich ruiniert wird.“

„Seien Sie versichert, dass ich auf keinen Fall Ihren Ruf ruinieren will, Herr Krassow.

Ich habe einfach nur ein paar Fragen.“

Krassow kam zur Tür. „Was denn für Fragen, verflucht noch mal? Ich hab zu tun!

Aber das versteht einer wie Sie ja nicht. Ich bin selbstständig, das heißt, ich arbeite selbst und ständig, anstatt nur auf die dicke Pension zu warten wie gewisse andere Berufsgruppen, die sich einen feuchten Dreck darum scheren, wessen Steuergelder sie verschwenden.“

„Vielleicht ...“

Krassow ließ Berringer gar nicht zu Wort kommen. Da hatte sich offenbar einiges an Wut bei ihm angestaut. „Ich habe mich vor Ihren Kollegen wirklich ausgezogen! Ich habe sogar zugestimmt, dass sie meine Kontobewegungen überprüfen, damit dieser Vorwurf, ich würde irgendwelche Gelder an irgendwelche Rocker zahlen, schnellstmöglich aus der Welt geschafft wird. So etwas ist für mein Geschäft nämlich das reinste Gift. Ich habe mich also kooperativ gezeigt, anstatt die Ermittlungen zu erschweren. Hätte ich auch tun können. Mir einen Anwalt nehmen, auf einer richterlichen Verfügung bestehen, gegen alles Widerspruch einlegen und so weiter und so fort. Aber das war ja gar nicht in meinem Interesse ...“

„Herr Krassow ...“

„Und wie bekommt man es gedankt? Dadurch, dass diese Beamtenseelen einfach jemand Neuen schicken, dem man dann alles noch mal erklären darf!“

„Vielleicht gehen wir besser ins Haus“, schlug Berringer vor. „Ich weiß nicht, ob unser Gespräch wirklich dafür geeignet ist, dass die ganze Nachbarschaft mithört.“ Krassow atmete tief durch, und seine Solariumsbräune bekam einen noch etwas dunkleren Ton, was wohl seine ganz individuelle Art des zornigen Errötens war.

„Kommen Sie“, sagte er, nachdem er ein paar Sekunden lang nervös an dem BMW-Anhänger seines Schlüsselbundes herumgespielt hatte. Er schloss die Tür auf und führte Berringer durch einen großzügig angelegten Eingangsbereich in ein ebenfalls sehr geräumiges Wohnzimmer, das allein wohl schon hundert Quadratmeter in Anspruch nahm. Dadurch, dass es nur mit einigen wenigen, aber dafür erlesenen Möbeln bestückt war, wirkte es noch größer.

„Setzen Sie sich, Herr ...?“

„Berringer.“

„Der Kollege, mit dem ich zuerst zu tun hatte, war ziemlich unsympathisch. So ein Rothaariger. Kommt hier rein, behandelt einen gleich wie einen Schwerverbrecher und quatscht einen so von oben herab an. Also ganz ehrlich, an ihrem Außenauftritt sollte Ihre Firma noch arbeiten.“

„Ich werde es ihm ausrichten“, versprach Berringer.

„Meine Tochter hat mich übrigens noch mal angerufen, als ich unterwegs war. Sie hatten wohl versäumt, ihr den Ausweis zu zeigen.“ Berringer griff in die Tasche und zeigte Krassow die ID-Card, die er sich als Privatdetektiv hatte anfertigen lassen. Genau genommen war das ein Fantasieausweis ohne irgendeine rechtliche Relevanz. Manche Detektive verwendeten Ausweise ihrer Berufsorganisationen, aber Berringer verzichtete darauf.

Krassow runzelt die Stirn. „Sie sind gar kein Polizist?“

„Hab ich auch nie behauptet. Übrigens auch nicht gegenüber Ihrer Tochter.“

„Aber ...“

„Ich bin privater Ermittler. Und wenn Sie Kriminalhauptkommissar Anderson nicht mögen – oder er Sie nicht, ganz wie man das drehen will –, dann sollten Sie mich unterstützen.“

„Hat Marwitz Sie engagiert?“

„Ja.“

„Dieser Spinner!“, brauste Krassow erneut auf. „Es reicht ihm nicht, mir die Jobs mit unlauteren Mitteln wegzuschnappen. Nein, er muss mir auch noch die Polizei auf den Hals hetzen und mich anschwärzen. Und jetzt auch noch Sie! Am besten, Sie verlassen gleich wieder mein Haus. Ich hätte Sie gar nicht eingelassen, hätte ich geahnt, wer Sie wirklich sind.“

„Hören Sie, auf Herrn Marwitz wurde ein Attentat verübt und ...“

„Attentat – das ist wohl etwas übertrieben. Er lebt ja noch!“

„Die Polizei findet diese Bezeichnung nicht übertrieben und ich ehrlich gesagt auch nicht. Sie sind Armbrustschütze und ...“

„Und? Ist bei der Untersuchung meiner Waffen, die Ihre Polizeikollegen mitgenommen haben, vielleicht irgendetwas herausgekommen? Es kann nichts Belastendes gewesen sein – weil ich nichts Unrechtes getan habe!“

„Und was ist mit den Aktionen dieser Rockerbande mit dem wohlklingenden Namen MEAN DEVVILS?“

„Als ob ich so etwas nötig hätte! Oder mir leisten könnte! Die arbeiten doch für Rotlichtgrößen und Drogenhändler, soweit man hört. Hier und da spielen die auch den Ordnungsdienst bei einschlägigen Rockkonzerten – insbesondere bei Gruppen aus der rechten Szene. Ich habe mit so einem Pack nichts zu schaffen! Fragen Sie Ihre unsympathische Konkurrenz von der Kripo; die haben meine Konten überprüft!“

„Ach, Herr Krassow.“ Berringer winkte ab. „Die MEAN DEVVILS könnten mit einer ordentlichen Überweisung doch gar nichts anfangen, das wissen wir beide.“

„Tja, so was nennt sich Rechtsstaat – ich muss jetzt meine Unschuld beweisen, obwohl ich ein wasserdichtes Alibi habe.“

„Ihre Sendung in Köln.“

„Genau. Aber allein schon der Verdacht, der da geäußert wurde, reicht aus, um meinen Ruf zu schädigen. Sie glauben ja gar nicht, wie sensibel unsere Branche ist. Da ist man schnell weg vom Fenster, das sag ich Ihnen.“ Ja, dachte Berringer. Oder wenn ein Konkurrent einfach zehn bis fünfzehn Jahre jünger ist und das Party-Publikum etwas zeitgemäßer anzusprechen versteht als man selbst.

Aber diesen Gedanken behielt Berringer diplomatischerweise für sich. „Sehen Sie, Herr Krassow“, sagte er stattdessen in versöhnlichem Tonfall. „Wie Sie eben selbst anmerkten, haben Sie doch ein besonderes Interesse daran, dass alles aufgeklärt wird.“ Oft machte der Ton die Musik, und das galt für Gespräche dieser Art ganz besonders. Das waren Situationen, in denen es wichtiger war, wie etwas gesagt wurde, als der Inhalt selbst. „Wir haben sozusagen dasselbe Ziel, Herr Krassow ...“ Bevor er weitersprechen konnte, meldete sich Krassows Handy mit einer abgespeckten Version der charakteristischen ersten drei Akkorde von „Smoke On The Water“.

Du warst also auch mal Rocker, dachte Berringer.

„Ja, hier Krassow ... Ja, ja, natürlich kann ich einspringen, das ist überhaupt kein Problem ... Nein, Sie können sich darauf verlassen ... Eine PA-Anlage? Besorg ich auch ... Okay, alles weitere bespreche wir dann morgen früh.“ Krassow beendete das Gespräch.

„Ein neuer Auftrag für Ihre Agentur?“, fragte Berringer.

„Ich mach mir 'nen Kaffee. Wenn Sie auch einen wollen, schütt’ ich Ihnen 'ne Tasse ein. So viel Zeit habe ich für Sie. Aber das muss es dann auch gewesen sein.“

„Gern.“

Berringer tat endlich, wozu ihn Krassow anfangs schon aufgefordert hatte: Er nahm Platz.

Krassow ging in die Küche. „Es ist löslicher Kaffee!“, rief er.

„Das macht nichts.“

„Ich wollte Sie nur warnen.“

„Ist schon in Ordnung.“

„Zu mehr als löslichem Kaffee hab ich einfach keine Zeit. Es dauert sonst einfach zu lange ...“

Berringer hörte Krassow kaum noch zu, zumal die Bedeutung dessen, was er von der Küche her rief, zum Teil nur noch zu erahnen, aber nicht mehr zu verstehen war.

Stattdessen konzentrierte sich sein Blick auf eine Wand des Wohnzimmers, an der lauter Fotos hingen, alle gerahmt und so vergrößert, dass sie in keinem Album Platz gefunden hätten. Berringer stand wieder auf und näherte sich den Bildern, um sie genauer in Augenschein zu nehmen, während Krassow noch in der Küche beschäftigt war. Auf den meisten Fotos war der Herr des Hauses selbst zu sehen.

Dazwischen hingen auch eine Reihe Urkunden, die alle auf die eine oder andere Weise etwas mit Bogen- oder Armbrustschießen zu tun hatten. Urkunden, die Eckart Krassow entweder als Gewinner von Vereinswettbewerben oder als Absolvent von Prüfungen auswiesen.

Ein Familienfoto fiel Berringer auf. Es zeigte Krassow zusammen mit einer Frau, die die Mutter seiner Tochter sein musste. Jedenfalls war sie Tanja Runge wie aus dem Gesicht geschnitten.

 

Seine Tochter war ebenfalls auf dem Bild zu sehen, erst zehn oder zwölf Jahre alt und ebenfalls mit einer Armbrust in der Hand.

Berringer entdeckte sie auch noch auf anderen Fotos, auf denen sie allerdings manchmal weniger gut zu erkennen war, vor allem bei den Schnappschüssen, die sie bei der Ausübung ihres Sports zeigten; der Schaft der Armbrust verdeckte bei diesen Fotos häufig die Kinnpartie.

Krassow kehrte mit zwei Bechern Kaffee zurück, aus denen leichter Dampf aufstieg.

Er trat mit gerunzelter Stirn auf Berringer zu und reichte ihm einen der Becher.

„Suchen Sie was Bestimmtes?“

„Eigentlich nicht. Aber Familienfotos lösen immer ein ganz besonderes Interesse bei mir aus.“

„Haben Sie auch Familie?“

„Ich hatte“, sagte Berringer.

„Tja, heutzutage wird jede dritte Ehe geschieden, und oft genug verhindern die Frauen dann den Kontakt zischen dem Vater und den Kindern. Dann bricht natürlich alles auseinander.“

„Nein, bei mir war das simpler“, sagte Berringer. „Ein Killer, der eigentlich mich töten wollte, hat meine Frau und meinen Sohn mit einer Autobombe in die Luft gesprengt.“

„Oh ...“, sagte Krassow. „Das ... das tut mir leid.“

„Tanja sieht ihrer Mutter zum Verwechseln ähnlich.“

„Ja, vor allem auf den alten Bildern. Wenn man Frederike heute sieht ...“

„Stell ich mir in Ihrem Job gar nicht so leicht vor. Als alleinerziehender Vater, meine ich.“

Krassow sah ihn erstaunt an. „Wie kommen Sie darauf? Ich hatte nicht erwähnt, dass Frederike und ich nicht mehr zusammen sind.“

„Entschuldigen Sie, ich hab laut gedacht. Mir ist einfach nur aufgefallen, dass die jüngsten Aufnahmen, auf denen sie zu sehen ist, sieben bis acht Jahre alt sein müssen

– grob geschätzt aufgrund des Alters, das Ihre Tochter auf den Fotos hat.“ Krassow seufzte. „Sie beobachten sehr genau. Und Sie haben recht. Frederike hat uns verlassen.“

„Eine ganze Familie von Armbrustschützen – Vater, Mutter, Tochter. Das hat man selten.“

„Man wird ruhig dabei“, erklärte Krassow. „Sehen Sie, in meinem Job stehe ich immer unter Strom. Ständig muss ich hundertfünfzig Prozent geben, um irgendwelche Säle zum Kochen zu bringen, und selbst in dieser Astro-Show muss ich mich sehr konzentrieren ...“

Auf Ihre seherische Gabe, dachte Berringer ironisch, behielt den Kommentar aber für sich. Wahrscheinlich bestand die Kunst, die man Krassow abverlangte, eher darin, die Anrufer lange genug an der Strippe zu halten, damit man möglichst viele Gebühren abbuchen konnte.

„Ich kann Sie gut verstehen“, sagte Berringer stattdessen – ganz im Sinn eines positiven Feedbacks, wie in Lehrgängen zur Gesprächsführung immer empfohlen wurde.

„In dem Augenblick, in dem man schießt, denkt man an nichts mehr, dann ist das Gehirn wie leergefegt“, fuhr Krassow fort. „Sonst geht der Schuss daneben.“

„Man schaltet also völlig ab, meinen Sie das?“

„Genau. Ich kann das wirklich nur jedem empfehlen.“ Berringer nippte an dem Kaffee. Er war etwas bitter. So hatte der Kaffee früher geschmeckt, wenn man die Bohnen in sogenannten Dritte-Welt-Läden gekauft hatte.

Fair gehandelt, stark geröstet. Krassow trank seinen Becher in wenigen Zügen leer.

Berringers Handy meldete sich. Er ging ran, und kaum hatte er seinen Namen genannt, hörte er den Anrufer hastig sagen:

„Hier Marwitz. Bei mir ist der Teufel los. Es wäre nett, Sie würden sofort herkommen!“

Als sich Berringer kurze Zeit später hinter das Steuer seines Wagens setzte, meldete sein Handy eine SMS. Die sah er sich schnell noch an, bevor er losfuhr. Frank Marwitz befand sich erst einmal in Sicherheit. Zumindest hatte der Event-Manager behauptet, dass sich rund zwanzig Beamte, wenn nicht mehr, in der Nähe seines Büros aufhielten.

Der Text der SMS lautete: Warum hast du dich nicht gemeldet? W.

W. – das war Dr. Wiebke Brönstrup, Gerichtsmedizinerin und Berringers alte Flamme. Das war lange vor seiner Ehe gewesen, und Berringer hatte nicht gedacht, dass sie beide ihre alte Affäre noch einmal wiederaufleben lassen würden. Doch das Schicksal oder vielleicht auch nur Wiebkes beruflicher Weg hatte sie vor einiger Zeit wieder zusammengeführt, auch wenn Berringer noch nicht so ganz klar war, wohin das Ganze laufen sollte. Schließlich war es zwischen ihnen schon einmal schiefgegangen – und das zu einer Zeit, als seine Seele noch gesund gewesen war.

Auf der anderen Seite konnte ihm Wiebke vielleicht dabei helfen, die Vergangenheit endlich ein Stück weit hinter sich zu lassen. Die Betonung lag dabei allerdings auf ein Stück weit.

Berringer seufzte und überlegte, was er antworten sollte. Sein Kopf war auf einmal völlig leer. Alle Wörter, die auch nur im Entferntesten hätten passen können, schienen sich plötzlich aus seinen Gehirnwindungen verabschiedet zu haben. Eine Minute verging, dann eine zweite. Schließlich schrieb er: Wir telefonieren.

Erst als er die Nachricht abgeschickt hatte, erinnerte er sich daran, dass er ihr die gleichen zwei Worte erst vor Kurzem geschrieben hatte. Mist, dachte er, das wird sie als unsensibel interpretieren.

Aber es war zu spät. Die Nachricht war weg. Unwiederbringlich im Äther des Mobilfunknetzes.

Doch schon im nächsten Moment fesselte etwas anderes seine Aufmerksamkeit.

Er sah, wie Krassow ziemlich eilig zum Kofferraum seines Wagens stiefelte. Er holte ein paar schlammverschmierte Turnschuhe daraus hervor und steckte sie in einen Müllsack, dann überquerte er die Straße und warf den Beutel in einen Mülleimer, den jemand anderes rausgestellt hatte. Erst da bemerkte er, dass ihn Berringer von seinem Wagen aus beobachtete, und er erstarrte mitten in der Bewegung und mitten auf der Straße.

Ganz kurz präsentierte er sein Gesicht ohne das so kontrollierte, geschäftsmäßige Event-Manager-Lächeln. Aber dieser rare Moment, in dem er einen tieferen Einblick unter seine glatte Moderatorenfassade gewährte, war sogleich wieder vorbei.

Krassow ging auf Berringers Wagen zu, und der Detektiv ließ die Scheibe nach unten.

„Sie beschatten mich doch nicht etwa?“, fragte Krassow mit gezwungen wirkendem Lächeln.

„Dann hätten Sie mich nicht bemerkt“, erwiderte Berringer. „Ganz bestimmt.“

„Ja, ja ...“

„Glauben Sie mir.“

„Ich wette, Sie haben auch schon mal was in einen fremden Mülleimer geworfen, der halb leer ist.“

„Sicher.“

„Es kostet heutzutage ja fast so viel, all das Zeug wieder loszuwerden, das man sich gekauft hat, wie man ursprünglich dafür ausgegeben hat, um es zu bekommen.“

„Dennoch putze ich meine Schuhe lieber, statt sie wegzuschmeißen“, entgegnete Berringer.

„Ich bin in Scheiße getreten, um es deutlich zu sagen. Den Geruch kriegen Sie nie wieder richtig weg, und in meinem Job muss man immer einen guten Eindruck machen.“

„Wo tritt man denn hier in Scheiße?“, fragte Berringer.

„Überall. Mir ist es beim Joggen passiert, aber Sie können hier gehen, wo Sie wollen

– überall Leute mit großen Hunden, die große Haufen machen, und niemand, der dafür sorgt, dass Straßen und Wege wieder sauber werden!“

„Ich muss los“, sagte Berringer.

„Wiedersehen.“

„Bestimmt.“

Berringer ließ das Seitenfenster hochgleiten und startete den Motor. Im Rückspiegel sah er noch, wie Krassow ihm hinterher blickte. Als hätte ich ihn dabei erwischt, wie er eine Leiche beseitigt, dachte der Detektiv.

Dabei waren es doch nur Schuhe ...

Bei der nächsten Ampel piepte sein Handy erneut und kündigte damit Wiebkes Antwort-SMS an.

Die Nachricht bestand nur aus einem einzigen Wort.

wann

Klein geschrieben und ohne Satzzeichen.

Berringer schrieb: Später.

Mehr ging nicht, dann war die Ampel wieder grün.




4. Kapitel: M – Eine Stadt sucht einen Mörder


Du weißt, dass alles, was bisher geschehen ist, nur ein Vorspiel war. Eine Probe. Eine Generalprobe vielleicht, aber nicht mehr. Du hast den Schritt durchdacht, du hast ihn im Kopf längst vollzogen, nun kannst du es auch in der Realität durchziehen.

Katzen spielen manchmal mit ihrer Beute, bevor sie sie töten.

Willst du noch länger eine Katze sein oder endlich tun, was getan werden muss?

Damit Schluss ist.

Endgültig.

Du brauchst keine Furcht zu haben.

Die Hölle, die hinter dir liegt, ist schlimmer als alles, was noch kommen kann.

Schlimmer auch als alles, was du auslöst, wenn du jetzt endlich den Mut fasst, der nötig ist.

Du nimmst den Bolzen, legst ihn ein ...

Klack.

Es ist doch eigentlich so leicht ...

Von unterwegs rief er Vanessa Karrenbrock in der Detektei an.

Berringer fasste ihr kurz den Stand der Dinge zusammen und sagte dann: „Wäre klasse, du könntest rausfinden, ob dieser Eckart Krassow zur fraglichen Zeit tatsächlich im Sender war oder ob nicht manchmal vielleicht doch Aufzeichnungen gezeigt werden.“

„Wie soll ich das denn hinkriegen?“, beschwerte sie sich prompt. „Außerdem wollte ich gleich Feierabend machen, es sei denn, du zahlst mir die zusätzlichen Stunden.“

„Bin ich dir schon mal was schuldig geblieben?“

„Na ja ...“

„Bitte?“

„Schon gut. Aber du könntest mal darüber nachdenken, ob du meine Dienste nicht finanziell etwas höher bewerten möchtest.“

Höher bewerten, dachte Berringer. BWLer-Gequatsche. Bildung verdirbt eben den Charakter!

„Ich denke darüber nach.“

„Echt?“

„Echt. Und noch was: Ich brauch alles über einen gewissen Artur König. Der war Türsteher in Düsseldorf und soll inzwischen Anführer der MEAN DEVVILS sein.

Durchforste das Internet und ...“

„Wäre es nicht leichter, du quatschst deswegen deine Ex-Kollegen an?“

„Das tu ich schon.“

„Na ja, ich werd mal sehen, was sich machen lässt.“

„Gut.“

Als er schließlich Marwitz‘ Agentur erreichte, musste sich Berringer zwischen all den Einsatzfahrzeugen erst einen Platz suchen, wo er seinen Opel abstellen konnte. Die Presse war auch schon da. Und Kommissar Anderson sah er ebenfalls herumlaufen.

Allerdings schien sich die Polizei hauptsächlich für das Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu interessieren.

Berringer ging zuerst zu Marwitz.

„Diesmal war es noch knapper!“, stieß der Event-Manager aufgeregt hervor und deutete auf den zerstörten Lautsprecher der PA-Anlage. „Wer macht so was? Schießt auf mich, während die Polizei fast danebensteht und zusieht!“

„Also ehrlich, so was haben wir uns nicht mal in Kreuzberg getraut“, äußerte der recht dicke und sehr große Mann, der in der Nähe stand.

„Wer sind Sie bitte?“, fragte Berringer.

„Harry Handbroich von der Handbroich-Spedition. Aber für dich Harry. Und wer bist du?“

Am liebsten hätte Berringer geantwortet: Ich bin Herr Berringer. Aber stattdessen sagte er: „Ich bin der Robert.“

„Geil. Der Privatdetektiv, ne‘?“

Das „ne‘“ mit dem dumpfen, kurz gesprochenen E am Ende war zusammen mit dem Wort „geil“ so etwas wie das verbale Erkennungszeichen einer Generation.

„Ja, der Privatdetektiv“, bestätigte Berringer.

„Also wenn du mich fragst, Robert, der Kerl, der das getan hat, wollte unserem guten Frank nur Angst machen. Ich meine, zweimal daneben – das gibt’s doch sonst nicht.

 

Jedenfalls nicht so knapp.“

Berringer wandte sich an Marwitz. „Haben Sie was gesehen?“

„Wie er davonlief. Über das Dach der Halle da vorn.“

„Na ja“, meinte Berringer, „jedenfalls wissen wir nun, dass es ein Mann ist.“

„Sah jedenfalls von der Figur her so aus. Mehr war auch nicht zu erkennen. Nur ist er leider auf rätselhafte Weise verschwunden. Die Polizei sagt, wahrscheinlich durch einen Abwasserkanal.“

„Spricht für gute Planung“, murmelte Berringer nachdenklich. „Ich komme übrigens gerade von Krassow ...“

Er dachte an die Schuhe und hätte zu gern gewusst, ob wirklich Hundekot oder vielmehr Klärschlamm an ihnen geklebt hatte.

Aber jetzt zurückzufahren, um das zu überprüfen, hatte kaum Sinn. Entweder hatte die Müllabfuhr die Schuhe bereits mitgenommen, oder Krassow hatte, wenn er tatsächlich etwas mit den Anschlägen auf Marwitz zu tun hatte und wie das Phantom von Mönchengladbach durch die Abwasserkanäle entkommen war, die verschmierten Treter inzwischen anderweitig entsorgt. Vielleicht im Garten vergraben, dachte Berringer.

„Was haben Sie denn von Krassow herausbekommen?“, fragte Marwitz.

„Nicht der Rede wert“, erwiderte Berringer. „Nur, dass er offenbar wirklich ein sehr guter Armbrustschütze ist und von daher für so einen Kunstschuss in Frage käme.“ Und auch vom zeitlichen Ablauf her hätte Krassow zumindest dieses Mal der Täter sein können ...

„Er muss hinter diesen Anschlägen stecken“, war Marwitz überzeugt. „Eigentlich dachte ich ...“ Er stockte.

„Was?“, hakte Berringer nach.

Marwitz schluckte und scheute offenbar davor zurück weiterzusprechen, rang sich dann aber doch dazu durch: „Na ja, ich hatte gehofft, Sie würden ihn mal etwas härter anfassen.“

Berringer riss die Augen auf und starrte ihn an. „Wenn Sie einen Schläger suchen, sind Sie bei mir an der falschen Adresse.“

„So war das nicht gemeint“, behauptete Marwitz.

„Hörte sich aber so an“, entrüstete sich Berringer. „Wenn Sie mich nur deshalb engagiert haben, weil die MEAN DEVVILS schon für Ihren Konkurrenten arbeiten und Sie jemand Gleichwertigen suchen, um ihn dagegenzustellen, ist unsere Zusammenarbeit hier und jetzt beendet!“

Marwitz hob abwehrend die Hände. „Wie gesagt, so war das nicht gemeint. Aber Sie müssen mich verstehen, ich bin in einer verzweifelten Lage. Wenn jetzt noch irgendwas schiefläuft, kann ich das Korschenbroicher Schützenfest und vielleicht sogar das Internationale Hockey-Turnier knicken. Sie haben ja keine Ahnung, was das bedeutet.“

Berringer bemerkte, wie Marwitz’ Gesichtsfarbe von Rot in Dunkelrot wechselte. Der Event-Manager ballte die Hände zu Fäusten, und es war unübersehbar, wie verkrampft und angespannt er war. Der aufgesetzte Optimismus, die demonstrativ zur Schau getragene gute Laune, die lässige Souveränität und sein schmalziger Charme –

das alles wirkte plötzlich wie eine abblätternde Tünche, durch die immer mehr zum Vorschein kam, wie es in Wirklichkeit in Marwitz’ Seele aussah. Innerlich stand er vor einem Abgrund.

„Sie müssen Ihr Gemüt etwas abkühlen“, forderte Berringer. „Heute Abend haben Sie in der Kaiser-Friedrich-Halle eine perfekte Show abzuliefern, auf die Sie sich voll konzentrieren müssen. Alles andere sollte erst mal nebensächlich sein.“ Aber diese Worte blieben scheinbar ungehört. In Marwitz kochte es, und Berringer hatte Sorge, dass sein Klient bei nächster Gelegenheit und aus nichtigem Anlass die Beherrschung verlor.

„Das Internationale Hockey-Turnier ist so was wie die Generalprobe für die Feldhockey-Europa-Meisterschaft der Herren 2011“, erklärte Marwitz. „Und für die könnte ich mir gute Chancen erarbeiten, wenn alles glatt über die Bühne geht. Aber so ...“ Er verstummte und schüttelte den Kopf, und ein bitterer, verzweifelter Zug trat in seine Miene.

Er deutete auf einen Mann mit Halbglatze, der sich mit einem der uniformierten Polizisten unterhielt und dabei die Hände tief in den Hosentaschen vergraben hatte.

Um den Hals hing ihm eine Kamera, deren Riemen das Revers seines Jacketts arg verknitterte. Es war kleinkariert und eigentlich eine Nummer zu eng. Jedenfalls bezweifelte Berringer, dass der Mann die Knöpfe schließen konnte.

„Da steht er schon, der Feind“, raunte Marwitz.

„Wie?“, fragte Berringer, der im ersten Moment schon glaubte, sich vielleicht verhört zu haben.

„Conny Tietz von der Rundschau. Kennen Sie ihn nicht?“

„Nur als Name unter diversen Artikeln.“

„Sie scheint er zu mögen. Jedenfalls hat er Ihren Namen groß herausgestellt, als er über die Sache mit der Stalkerin und Paul Pauke geschrieben hat.“

„Ich erinnere mich“, murmelte Berringer. Allerdings war es ihm gar nicht recht gewesen, dass die Sache in der Öffentlichkeit breitgetreten worden war. Zwar war das auf der einen Seite natürlich kostenlose Werbung, aber erstens hatte Berringer inzwischen längst genug lohnende Aufträge, und zweitens war Unauffälligkeit Teil seines Jobs. Insofern vermied er es immer tunlichst, sein Gesicht in irgendeine Kamera zu halten, egal, ob es die eines WDR-Landesstudios, einer Lokalzeitung oder eines Boulevard-Blatts war. Dass allerdings sein Name hin und wieder erwähnt wurde, ließ sich nicht vermeiden.

„Mich mag Tietz leider überhaupt nicht“, fuhr Marwitz fort. „Immer wenn er in der Rundschau über eine Veranstaltung schreibt, die ich moderiert habe, ist der Artikel voller Süffisanz. Das ist in meinen Augen schon Rufschädigung.“

„Warum verklagen Sie ihn nicht?“, fragte Berringer.

„Bin ich verrückt? Dann würde dieser Tietz doch erst so richtig loslegen. Und weil diese Pressegeier alle irgendwie zusammenhalten, wenn’s gegen ein wehrloses Opfer geht, hätte ich dann auch noch seine Kollegen am Hals. Davon abgesehen habe ich mich auch schon juristisch beraten lassen, und mir wurde dringend von einer Klage abgeraten. Die Erfolgsaussichten seien gleich null, von wegen Presse- und Meinungsfreiheit und so.“

„Tja, da bin ich wohl der Falsche, um Ihnen irgendeinen Tipp zu geben“, meinte Berringer und beobachtete mit Sorge, wie Marwitz immer mehr in Rage geriet. Die Adern an seinem Hals schwollen auf bedenkliche Weise an, und die Gesichtsfarbe wurde sogar noch eine Spur dunkler.

„Wenn Krassow, dieser alte Schleimer mit dem Charme der vorletzten Jahrhundertwende, einen Senioren-Tee moderiert, dann lobt ihn Conny Tietz in den höchsten lokaljournalistischen Tönen. Es ist nicht zu fassen! Ich habe gehört, dass Krassow dafür beim Fußballturnier der Mönchengladbacher Schulen umsonst den Stadionsprecher macht.“

Berringer runzelte die Stirn. „Den Zusammenhang versteh ich nicht.“

„Na, ist doch ganz einfach: Die Rundschau sponsert das Turnier. Eine Art Imagekampagne, um sich die Sympathie der Leser von morgen und ihrer Eltern zu sichern. Einer, der früher in der Rechnungsabteilung der Rundschau gearbeitet hat, hat mir verraten, dass Tietz das Honorar, das Krassow in Rechnung stellt, in die eigene Tasche steckt.“

Berringer nickte. Wenn das der Wahrheit entsprach, konnte er sich gut vorstellen, wie das ablief. Es hatte jeder seinen Vorteil davon: Krassow opferte einen Nachmittag für das Schulturnier und erhielt dafür eine gute Werbung, und Tietz konnte sich zwei Wochen Mallorca extra im Jahr leisten. Der Haken war wohl nur, dass offenbar auch die Unterstützung der örtlichen Presse Krassow nicht viel weiter nach vorn brachte, als er im Moment schon war. Die beste Werbung hob letztendlich nicht die Unterschiede im Talent auf: Eckart Krassow spielte eben nicht in einer Moderatorenliga mit Frank Marwitz – so wie es für Marwitz unmöglich war, die höheren Weihen eines Show-Moderators im Free-TV zu erhalten.

Die sollen sich nicht so anstellen, dachte Berringer. Was soll ich denn sagen? Ich werde ja auch kaum noch Polizeipräsident von Düsseldorf.

Frank Marwitz zog Berringer etwas zur Seite. „Können Sie da nichts machen?“, fragte er leise und in einem fast verschwörerischen Tonfall.

„Was heißt hier was machen?“, fragte Berringer, obwohl er eigentlich gar nicht näher wissen wollte, was sein Klient damit zum Ausdruck bringen wollte.

„Na, der Schmierfink wird doch wahrscheinlich ausführlich über das berichten, was hier geschehen ist. Und die Folgen sind unabsehbar. Kann sein, dass ich meinen Laden dann dichtmachen kann – zumal, wenn er die Story auch noch an die Boulevardpresse verkauft. Das darf er zwar nicht, weil er eigentlich exklusiv für die Rundschau arbeitet, aber seine Unfallfotos von der A52 sind auch immer regelmäßig in der BILD.“

Ich dachte, landesweite Berühmtheit wäre ganz nach deinem Geschmack, dachte Berringer, verkniff sich diese Bemerkung aber, sondern versprach: „Ich werde mal mit ihm reden.“

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