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Drei starke Geister

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Fünftes Kapitel.
Die Wahrheit

Valery hielt einen Augenblick inne, um zu sehen, welchen Eindruck er auf Pascal machte. Dieser betete.

»Nachdem ich die Lampe angezündet hatte,« fuhr der Kranke fort, »begab ich mich nach dem Zimmer, welches der Pfarrer seinem Neffen angewiesen hatte.

»Jean Raynal war ein schöner junger Mann mit offenem Gesicht und heiterer Miene und lag im tiefsten Schlafe. Mehr bedurfte es für mich nicht.

»Ich trat an das Bett, die Lampe in der einen Hand und mein Messer in der andern. Bei der geringsten Bewegung, die er gemacht hätte, würde ich ihn erstochen haben.

»Ich brachte das Licht seinen Augen so nahe als möglich, er erwachte nicht.

»Jetzt war das Haus mein.

»Ich ging zuerst in die Schlafkammer Toinettens. Um diese zu erworben, brauchte ich keine Waffe; ich umschlang mit einer Hand ihren Hals und schnürte ihr zehn Minuten lang die Kehle zu.

»Die Ruhe, mit welcher ich diesen Mord verübte, ist nicht zu beschreiben.

»Noch zehn Minuten war Toinette todt, ohne einen Schrei ausgestoßen und ohne eine Bewegung gemacht zu haben.

»Von ihr ging ich in Raynals Zimmer.

»Auch er schlummern wie ein Gerechter.

»Ich betrachtete ihn einige Augenblicke, stellte dann meine Lampe auf den Tisch und zog mein Messer hervor, das ich nicht einmal selbst mitgebracht, sondern mir aus der Küche geholt hatte.

»Es war mir, als ermordete ich die ganze Menschheit, indem ich diesen frommen Mann umbrachte; ich versetzte ihm einen wohlberechneten Stich in die Brust und hielt ihm zu gleicher Zeit den Mund zu, um ihn am Schreien zu hindern. Er war jedoch stark und wehrte sich heftig. Ich nahm ihn nun in meine Arme, damit er nicht aus dem Bett fiel und so Geräusch machte, worauf ich ihn durch Messerstiche in’s Gesicht und in die Brust vollends umbrachte.

»Nicht ein einziger Tropfen Blut war auf mich gespritzt.

»Ich ging nun an den Sekretair, in welchem ich einen Beutel mit zwölfhundert Franken fand, öffnete dann sein geheimes Fach, das ich Herrn Raynal oft hatte aufziehen sehen, da er mir nicht im Entferntesten mißtraute, und nahm viertausend-Franken in Golde heraus, seine persönlichen Ersparnisse, welche Niemand kannte.

»Dann verschloß ich den Sekretair wieder, überzeugte Mich noch einmal, daß der Pfarrer auch wirklich todt war, nahm meine Lampe und ging gleichgültig und kalt wie eine Statue wieder hinab.

»Ich trat noch einmal in’s Zimmer des Neffen: er schlief noch so ruhig wie vorher.

»Jetzt glaubte ich in der Gegend des Bettes ein ganz leises Geräusch zu vernehmen, das ich mir nicht erklären konnte. Ich trat näher und sah, daß von der Decke herab Blutstropfen auf die Kleider des Schlafenden fielen.

»Die Decke hatte Risse, und da der Leichnam des Oheims gerade über dem Bette des Neffen lag, so sickerte das Blut durch diese Ritzen.

»»Dies ist der wirkliche Mörder,«« sagte ich zu mit selbst, als ich die blutigen Beweise sah, welche die Kleider des ruhig Schlummernden rötheten.

»Ich trug die Lampe wieder in die Küche und verließ, mit meinem Raube beladen, das Haus auf dem. nämlichen Wege, auf dem ich eingestiegen war.

»Das erste Geräusch, welches ich vernahm, als.ich in’s Freie trat, war der Gesang einer Nachtigall.

»Der Mond stand noch immer glänzend am Himmel.

»Ich kehrte nach dem Gasthofe zurück, wobei ich wieder das Liedchen trällerte, das ich vor einigen Augenblicken gesungen hatte. Dies Alles war in so kurzer Zeit geschehen, daß meine Wirthin noch nicht schlief und mir zurief, als sie mich kommen hörtet

»»Schon wieder zurück?««

»»Ja,«« antwortete ich ihr, »»die frische Luft hat mir sehr wohl gethan und ich werde jetzt gut schlafen; aber lassen Sie mich morgen früh bei Zeiten wecken, da ich Herrn Raynal besuchen will, ehe ich nach Hause zurückkehre.««

»Ich schlief ruhig ein, nachdem ich den Beutel mit den zwölfhundert Franken, der mein Verbrechen bewiesen haben würde, falls ich verhaftet worden wäre, sorglos auf den Tisch gelegt hatte.

»Um acht Uhr wurde ich geweckt, ich kleidete mich an und ging nach der Pfarrwohnung. Ich klopfte natürlich vergebens an, es öffnete Niemand und ich selbst machte dem Flurschützen, welcher die Polizeibehörde des Dorfes bildete, Anzeige davon. Ich war zugegen, als man die Thür einschlug und die beiden Leichname fand.

»Was ich vorausgesehen hatte, geschah. Jean Raynal wurde verhaftet, des Verbrechens überführt, zum Tode verurtheilt und hingerichtet. Alle Umstände sprachen gegen ihn.

»Da ich dieses Drama in allen seinen Entwickelungen verfolgen wollte, so besuchte ich den Angeklagten in seinem Gefängnisse. Ich sprach ihm Muth zu und rieth ihm, die Wahrheit zu gestehen. Er dankte mir und segnete meinen Namen.

»Zwei Monate blieb ich noch in Nimes, ging dann mit Empfehlungsbriefen versehen nach Marseille und fand hier Gelegenheit; unentgeltlich nach Madagaskar zu gelangen, wo ich mit den Herrn Raynal entwendeten fünftausend-zweihundert Franken, die ich noch nicht angerührt hatte, glücklich ankam.

»Ich hatte mir vorgenommen, daß ich in meinem dreißigsten Jahre ein Vermögen erworben haben müßte, mit dessen Hilfe ich jeden Zweck erreichen konnte. Meine Ideen begannen sich zu modificiren. In der Philosophie war ich auf der Stufe angelangt, die ich hatte erreichen wollen. Ich konnte die Erforschung der Dinge und die Verachtung der Menschen nicht weiter treiben, das Leben betrachtete ich nur noch als den Genuß materieller Vergnügungen und die Geschöpfe als Werkzeuge, um mir jene zu verschaffen. Ich blieb sechs Jahr in Madagaskar und besitze jetzt eine Million.

»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, durch was für Geschäfte ich mir dieses Vermögen erwarb. Ich handelte mit Allem, mit Menschen so gut als mit Waaren.

»Ich kehrte also reich und in dem Augenblicke zurück, wo ich mich zügellos allen Leidenschaften hingeben konnte, die ich bisher als gefährlich unterdrückt hatte. Mein ist die Liebe der Frauen! mein ist des Gewissen der Menschen! mein ist die Welt, wenn ich will sagte ich zu mir selbst, als ich plötzlich von diesem Fieber ergriffen wurde, an dem ich sterben muß.

»Gott erwartete mich ohne Zweifel an diesem Wendepunkte meines Lebens, und ich gestehe Ihnen, daß mir der Gedanke, mitten in meinem erworbenen Reichthume zu sterben, ohne ihn genossen zu haben, qualvoller ist, als wenn ich als der Mörder Raynals hätte auf dem Schaffort enden müssen.

»Gut gespielt!« rief ich aus, indem ich Gott zu verhöhnen suchte, als ich mich von der tödtlichen Krankheit ergriffen sah; aber die körperlichen Schmerzen sind so heftig geworden, daß ich mich für besiegt erklärt, und den Arzt gebeten habe, mich zu retten. Er vermag es nicht.

»Gott ist also der Stärkere! Beeilen Sie sich, mein Bruder, mir zu sagen, wie ich diesen Gott, den ich so schwer beleidigt habe, beschwichtigen und das Böse, des ich gethan, so viel als möglich wieder gut machen kann.«

Erschöpft und vom Schmerze übermannt ließ der Kranke den Kopf in die Kissen zurücksinken.

Man erlaubt uns einen Vergleich, den einzigen, welcher von dem gegenwärtigen Zustande dieses Mannes einen Begriff geben kann.

Er hatte seine Beichte begonnen, wie ein Prahler in eine dunkle Höhle tritt, deren Eingang noch vom Tageslichte erhellt wird. Er trägt die Stirn hoch, lacht und singt, um Die, welche ihn sehen, zu überzeugen, daß er Muth hat, und daß er die Gefahr furchtlos besteht. Bald aber verstummt sein Gesang und sein heiteres Gelächter, denn die Dunkelheit nimmt zu und die Gefahr beginnt. Dann, wenn er sich bücken muß, wenn er sich jeden Augenblick an die Kniee stößt und sich das Gesicht verwundet, wenn er bei jedem Schritte mit den Händen im Dunkeln umhertappen muß, um den Weg zu finden, wenn er kriechen muß, wie eine Schlange, wenn kein Laut des äußeren Lebens mehr zu ihm dringt, wenn es ihm an Luft fehlt; wenn sein Todeskampf keinen andern Zuschauer mehr hat als ihn selbst: dann ergreift ihn ein eiskalter Schauder und umgiebt ihn wie ein bleiernes Leichentuch; er bleibt stehen, öffne bestürzt die Augen und von Entsetzen ergriffen, daß er fern vom Tageslicht und von den Menschen sterben soll, stößt er ein lautes Jammergeschrei aus und fleht Gott an ihn zu retten. Er wendet sich um und keuchend, mit blutigem Gesicht und Händen, kriecht er mühsam zurück, bis er den Strahl des Tageslichts wieder sieht, der ihn einige Zeit geleitet hat, und der für ihn das Leben ist; sobald er ihn wieder erblickt, fällt er auf die Kniee und indem er eingesteht, daß er Angst gehabt hat, zeigt er zu seiner Entschuldigung das Blut und die Wunden seines Körpers.

So war es in moralischer Beziehung auch bei Valery. So lange sein Stolz noch den Anfang seines Bekenntnisses erleuchtete, sprach er es mit keckem Muthe aus, um dem, welcher es anhörte, das Schauspiel seiner Kraft und seines Kampfes mit Gott zu geben; als er aber sah, daß Pascal dieser Energie im Bösen keinen Beifall zollte, als er sich allein und ohne Stütze in der Erinnerung an seine schmutzige Vergangenheit sah, als er fühlte, daß es ihm an Lust in dieser Atmosphäre von Sünden und Verbrechen fehlte: da ergriff auch ihn die Angst, er blickte mit Entsetzen um sich her, und da er die Höhle seines Lebens nur noch von einem matten Strahle der Reue erleuchtet sah, klammerte er sich aufs Gerathewohl an diesem Strahle fest, wie ein Ertrinkender an der Stange, die man ihm reicht, und er sagte zu Pascal in Bezug auf seine Seele, was er zu dem Arzte in Bezug auf seinen Körper gesagt hatte: Retten Sie mich!

Felician, welcher diese Beichte in.der Stimmung eines Mannes angehört hatte, der gezwungen wird. In einen mit giftigen Schlangen und mephitischen Dünsten angefüllten Abgrund zu blicken, Felician, der kein Wort von dieser merkwürdigen Erzählung des menschlichen Trotzes verloren und die Abstufung des dabei vorherrschenden Gefühls, das den Sterbendem wenn nicht zur Reue, doch zur moralischen Furcht vor dem Tode führen mußte, genau beobachtet hatte, Felician, sagen wir, blickte den Unglücklichen eine Zeit-lang an, als er geschwiegen hatte, ohne ihm etwas zu erwidern, aber seine Augen waren beredsammer, als sein Mund hätte sein können.

 

»Nun, mein Bruder, Sie sagen mir nichts?« fragte Valery endlich.

»Ich habe Ihnen schon gesagt,« antwortete Pascal, »daß ich Ihnen die Absolution nicht ertheilen kann.«

»Ja, aber Sie können mir den Tod erleichtern.«

»Sie fürchten sich also vor dem Tode?«

»Ja, doch nicht mehr so wie vorhin. Ich fürchte nicht mehr den physischen Tod, die Auflösung meines Körpers und die Zerstörung meiner Sinne, sondern ich fürchte, daß es jenseits des Grabes noch Etwas giebt.«

»Dieses Etwas ist Gott, welcher bestraft und belohnt.«

»Giebt es kein Mittel, diesen Gott zu besänftigen, mein Bruder?« fragte der Sterbende mit schwächer werdender Stimme und verstörtem Blick; denn in diesem unbeugsamen Character konnte die Reue nur das Resultat der innerer zunehmenden Schwäche seiner Geistesfähigkeiten sein.

»Ja, es giebt ein Mittel,« erwiderte Pascal.

»Welches, mein Bruders sprechen Sie rasch.«

»Es besteht darin, daß Sie dem Andenken dessen, den Sie in’s Verderben gestürzt; haben. und seiner Familie die Ehre wiedergeben, die Sie ihnen geraubt haben. Sie müssen die Erzählung des begangenen Verbrechens mit allen Nebenumständen niederschreiben, sie mit Ihren Namen unterzeichnen und sobald ich noch Frankreich zurückkomme und zum Priester ordinirt bin, werde ich Herrn Raynals Ehre wiederherstellen. Unter dieser Bedingung bin ich fest überzeugt, das Gott sich Ihnen gnädig erweisen wird.«

»Geben Sie mir Schreibzeug,« sagte der Kranke, und schrieb dann mit zitternder Hand folgende Zeiten:

»Heut, am 20. September 1833, in dem Augenblicke, wo ich meine Seele Gott zurückgebe, erkläre ich mich, von Reue ergriffen, als den Mörder Valentin Raynals, des ehemaligen Pfarrers von Lafou, und seiner Haushälterin, Toinette Belami, für welches Verbrechen ein Unschuldiger, Jean Raynal, auf dem Schafott gestorben ist. Ich schreibe die Erklärung nieder und unterzeichne sie mit meinem Namen, bevor ich die näheren Umstände auseinandersetze, die sie in den Augen der Richter unterstützen werden, damit, wenn der Tod mich während dieser Arbeit überraschen, sollte meine Strafbarkeit und die Schuldlosigkeit Jean Raynals bekannt wird und damit die Ehre meines Opfers wieder hergestellt werden kann.

»An Bord des Nikolas.

»Joseph (aus Nimes) genannt der Bettler.«

»Ist es so recht, mein Bruder,« fragte Valery, indem er Pascal das Papier reichte.

»Ja, wein Bruder und möge das Gefühl der Reue, welches Sie leitet, ein aufrichtiges sein!«

»Jetzt will ich noch die näheren Umstände des Verbrechens niederschreiben, nicht so?«

»Thun Sie das, ich will unterdessen für Sie beten.«

Valery griff wieder zur Feder und schrieb die Geschichte der Mordthat so klar als möglich nieder, worauf er sie mit seinem-Namen Joseph und mit dem Namen Valery unterzeichnete, den er in Madagascar angenommen hatte.

Als Pascal diese Erzählung gelesen hatte, sagte er zu dem Kranken:

»Sterben Sie in Frieden, Mein Bruder, ich verheiße Ihnen die Gnade Gottes.«

»Nun so versprechen Sie mir auch, mir etwas zu gewähren, um das ich Sie bitten will.«

»Ich verspreche es Ihnen, wenn das, was Sie von mir verlangen, nichts Unrechtes ist.«

»Ich besitze ein großes Vermögen, mein Bruder, und habe keine Erben. Wollen Sie erlauben, daß ich es Ihrer Schwester hinterlasse, die Sie so sehr lieben und die ich nicht mehr kennen lernen werde, die aber gewiß für mich beten wird?«

Pascal erröthete über dieses Anerbieten wie über eine Beleidigung.

»Wer reich ist und ohne Nachkommen stirbt,« entgegnete er, »dessen natürliche Erben sind die Armen.«

»Sie haben Recht, mein Bruder, verzeihen Sie mir mein Anerbieten, und haben Sie die Güte, noch einen Auftrag von mir zu übernehmen.«

Nach diesen Worten setzte Valery eine Schenkung seines ganzen Vermögens an die Armen von Nimes auf, und gab seinem Correspondenten, bei dem es deponiert war Auftrag, es Herrn Felician Pascal einzuhändigen.

Diese Schenkungsurkunde war kaum noch lesbar, so schwach war die Hand des Sterbenden schon.

»Gut, mein Bruder,« sagte Pascal, nachdem er sie gelesen hatte, »so ist, ein Theil Ihrer Vergangenheit vollständig gesühnt.«

Der Kranke schloß die Augen, ohne etwas zu antworten. Er fühlte, daß das Leben allmählig entfloh.

Felician betrachtete einige Augenblicke diesen Körper, der eine so verdorbene Seele umschlossen hatte und welcher nur noch eine ohnmächtige Masse war, die unter dem eisigen Hauche des Todes zitterte; dann verließ er geräuschlos die Kajüte, um den Sterbenden nicht aufzuwecken, dem Gott als ersten Lohn für seine Reue den Schlummer sandte.

Zwei Stunden später erreichte man das Vorgebirge der guten Hoffnung.

»Nun, wie ist’s?« fragte Felician den Arzt, als er von dem Kranken zurückkam, der ihn hatte rufen lassen.

Maréchal schüttelte mit dem Kopfe.

»Ist er todt?« fragte Pascal weiter.

»Noch nicht, aber lange kann es nicht mehr dauern, er ist schon nicht mehr bei Besinnung.«

»Hat er mit Ihnen gesprochen?«

»Ja, er hat mich um Madera gebeten.«

»Haben Sie seinen Wunsch erfüllt?«

»Ich habe ihm allerdings eine Flasche geben lassen. Es ist nicht mehr der Mühe werth, ihm etwas abzuschlagen.«

Felician, der es nicht erwarten konnte, das Schiff zu verlassen, aus welchem er sich seit dieser entsetzlichen Beichte unbehaglich fühlte, ging noch einmal zu Valery hinunter.

»Fassen Sie Muth, mein Bruder,« sagte er zu ihm, indem er seine Hand nahm.

Valery wollte sprechen, aber seine Lippen bewegten sich nur krampfhaft, ohne einen Laut hervorzubringen.

Die Flasche Madera war geleert.

Wir sind der entgegengesetzten Meinung des Arztes, denn wir glauben, daß der Sterbende bei vollem Bewußtsein war, und deshalb im Rausche Vergessenheit der ihn quälenden Erinnerungen gesucht hatte.

Sechstes Kapitel.
Felician Pascal

Wie schon gesagt, empfand Felician, als er die Kajüte Josephs verließ, das dringende Bedürfniß, den Himmel zu betrachten und eine möglichst reine Luft einzunehmen, um gleichsam die verpestete Atmosphäre zu verscheuchen, in welcher er während der Dauer dieses Bekenntnisses hatte zubringen müssen, und um sich zu überzeugen, daß das eben Gehörte nur eine beklagenswerthe Ausnahme von der gewöhnlichen Bildung des menschlichen Charakters war; aber als er sich am Kap allein befand, ließ er den Kopf in beide Hände sinken und beugte sich nochmals über den Abgrund den ihm der kranke gezeigt und dessen Tiefen er erleuchtet hatte.

Eine unendliche Liebe zu Gott wohnte in dem sanften jungen Manne, eine Liebe, welche ihm der Anblick der erhabenen Naturschönheiten Indiens eingeflößt hatte. Es war bisher immer in dem Wahne gewesen, daß die Pflichten des Amtes, dem er sich gewidmet, nur darin bestehen würden, Unglückliche zu trösten und Gutes zu thun, aber er hatte nicht geahnt, daß man unter der Menschenmasse, welche die civilisirte Welt bildet, solche Verbrechen und solche Laster finden könnte. Diese erste Beichte, zu welcher er durch einen Zufall gekommen war, erfüllte ihn daher mit Entsetzen, und er fragte sich, ob er wohl die Kraft haben würde, so gräßlichen Zergliederungen des menschlichen Herzens öfter beizuwohnen.

Nachdem der junge Mann lange überlegt hatte, rief er plötzlich aus:

»Je schwerer die Pflicht ist, desto angenehmer ist Gott die Erfüllung derselben.«

Und er bestärkte sich von Neuem in dem Vorsatze, daß nichts ihn von seinem Amte abschrecken solle.

Indessen fühlte er die Notwendigkeit, seinen Geist von den schmerzlichen Gedanken zu befreien, welche das Bekenntniß Josephs in ihm erweckt, und da er sich nächst Gott mit nichts lieber beschäftigte als mit seiner Mutter und seiner Schwester, so schrieb er an Beide folgenden, speciell an seine Mutter gerichteten Brief:

»Es ist der 20. September 1833, meine gute Mutter, und wir befinden uns am Vorgebirge der guten Hoffnung, das heißt, ich bin auf dem Wege, Dich bald wiederzusehen. Das Schiff, welches mich hierher gebracht hat, wird morgen wieder unter Segel gehen und-diesen Brief mitnehmen, den ich unserm Arzte, einem Landsmann, zur Besorgung an Dich übergebe, während ich noch einige Zeit von Dir entfernt bleibe. Aber ich tröste mich mit dem Gedanken, daß es zu Blanka’s Wohl geschieht, denn die Erbschaft, die ich hier erheben werde, und die uns Beiden gehört, überlasse ich ihr allein; sie soll ihre Mitgift sein, wenn sie, ich hoffe, durch ihre Bildung, ihr edles Herz und hie Schönheit, welche Gott ihr verliehen hat, einen rechtschaffenen Mann findet, der sie liebt, wie sie geliebt zu werden verdient, und dessen Gattin sie wird.

Ja, Liebe Mutter, mein Entschluß steht fest., ich will mich dem Dienste Gottes weihen. Du bemühst Dich in Deinem letzten Briefe, den ich auf Bourbon erhalten habe, mich von diesem Vorsatze anzubringen, indem Du glaubst, mich dann nicht mehr ganz zu besitzen. Du irrst Dich, liebe Mutter. Ich werde auf diese Art mehr Dein bleiben, als wenn ich die beneideten Lebenswege der Menschen einschlüge. Gott, die Unglücklichen, Du und meine Schwester werden allein meine Liebes besitzen. Du sagst mir, ich solle es reiflich überlegen, ehe ich meinen Plan ausführe. Ich habe dies gethan, denn ich befolge Deine Rathschläge stets gewissenhaft; ich habe Alles erwogen und mein Entschluß ist nicht wankend geworden. Wenn Du, wie ich, die Länder gesehen hättest, die ich besucht habe, wenn Du die Wahrheit an den ewigen Quellen der Einsamkeit und Unermeßlichkeit hättest trinken können, wenn Du Gott im Schoße aller dieser Pracht belauscht hättest, so würdest Du von dem nämlichen Geiste beseelt worden sein, der mich beseelt, Du würdest mit mir sagen Gott allein ist groß, – und Du würdest kein anderes Streben mehr kennen, als ihm zu dienen und ihn zu erforschen. Du sagst mir auch in Deinem Briefe, meine liebe gute Mutter, daß ich noch sehr jung bin, daß ich unabhängig gelebt habe und daß ich, wie alle Menschen, von Leidenschaft beherrscht werden kann; daß ich dann, zwischen ihnen und meiner Pflicht.stehend, unglücklich werden könnte, und daß Du fürchtest, mich leiden zu sehen. Aber ohne Kampf, liebe Mutter, giebt es auch keinen Sieg. Wenn es dem Herrn gefallen sollte, mein Herz zu prüfen und es in Versuchung zu führen, so werde ich ihm mit Freuden den Triumph widmen, den ich über mich selbst davon tragen werde, denn ich will ihm Alles aufopfern. Aber Gott wird mir meinen Weg erleichtern und mich ruhig bis zu ihm gelangen lassen. Was habe ich übrigens zu fürchten? Du liebst mich, Blanka liebt mich und ich liebe Euch Beide ebenfalls. Mein Geist, welcher durch Studien, durch eines frühzeitige Erfahrung und durch die erhabenen Naturscenen, die ich geschaut habe, gereift worden, ist schon jetzt dahin gelangt, daß er allen Dingen ihren richtigen Platz zugeben vermag. Die Leidenschaften, welche die Gemüther der Menschen bewegen und welche Du für mich fürchtest, erscheinen mir sehr kleinlich und unbebeutend, und weil ich sie wie alle anderen Dinge des Lebens in die Wagschale gelegt habe, weiß ich, wie leicht sie sind und wie wenig sie in der Existenz eines Menschen wiegen können, der aus seinem Wege stets den Blick auf die Wahrheit gerichtet hält.

Sieh dagegen, geliebte Mutter, welch ein ruhiges und angenehmes Leben mein Entschluß Dir bereiten wird. Zuerst werde ich Dich nie verlassen. Das Häuschen, in welchem ich geboren bin und an das sich unsere schönsten Erinnerungen knüpfen, wirst Du auch ferner bewohnen, und ich werde Dich oft besuchen. Ich sehe es im Geiste mit seinen grünen Fensterläden und mit den langen Geisblattranken, die sich an seinen weißen Mauern emporschlängeln und deren rosenrothe Blüthenkelche der Sonne entgegenlächeln. Die Stäbe des Gitterthores sind zwischen dichtem Laube verborgen, welches den neidischen Blicken das Gemeinde des häuslichen Glücks und der Familienfreuden entziehe. Ich sehe mein kleines Zimmer, mit Büchern angefüllt, und mich selbst darin, während Du und meine Schwester in traulichem Gespräch im Garten sitzen. Dann verheirathet sich Blanka, schöne und gute Kinder wachsen um mich her empor, und ich liebe sie eben so, als wäre ich ihr Vater. Ich beschäftige mich mit ihren jugendlichen Herzen und bilde sie von ihren frühesten Jahren an, ich erkläre ihnen den Zweck und die Bestimmung aller Dinge, welche der Herr ihnen vor die Augen führt. Blanka’s Gatte ist ein guter, braver Mann, der Dein zweiter Sohn wird und der bei Dir bleibt, während ich meine Kranken tröste, meine Armen unterstütze oder meine Gläubigen unterrichte, ich ein während ich ein wenig guten Samen in der großen Familie der Menschheit ausstreue. Dann werden wir nach einem vorwurfsfreien Leben ohne Angst sterben und der Tod, dieser ewige Schlaf, wird uns so süß und ruhig erscheinen wie unser nächtlicher Schlummer. Seit langer Zeit mit den erhabenen Grundsätzen des ewigen Lebens vertraut, werden wir in diesem Naturgesetz nur eine Wohlthat des Himmels, die Ruhe nach der Anstrengung, den Lohn nach der Arbeit erblicken. Wie wir den Kindern, welche um uns her emporgewachsen sein werden, das Bild unseres einträchtigen Lebens gezeigt haben, so werden wir ihnen auch das Beispiel unseres ruhigen und heiteren Todes geben, und diese letzte Lehre, wird ihnen Vielleicht den meisten Nutzen gewähren. So werden wir Jeder unsere Aufgabe erfüllen und vielleicht die Freude genießen, gute Menschen noch besser gemacht und Böse zum Guten geführt zu haben. Zweifle nicht daran, liebe Mutter, das ist die Zukunft, welche Gott uns bestimmt hat. Giebt es wohl eine schönere? Kennst Du eine angenehmere?

 

Ich sehe Dich von hier eins meinen Brief lesen, während Blanka ihr blondes Haupt auf Deine Schulter legt, um die Worte besser zu vernehmen, die ich Euch Beiden sende, oder wenn Blanka ihn lies’t, sehe ich Dich Deine Arbeit unterbrechen und die Thränen in Deinen Augen trocknen, welche die Mütter so leicht der Erinnerung an ihre Kinder weihen. Am Abende des Tages an welchem dieser Brief Dir zukommt, wirst Du glücklich einschlafen, nicht wahr? Du wirst ihn zusammenfalten und ihn in Deinem Busen verbergen, wie ein Geiziger, seinen Schatz, und wenn Du in Deinem Zimmer allein bist, zwischen Deiner Lampe und Deinem Heilande, der Dich jeden Tag segnet, so wirst Du den Brief wieder hervornehme, wirst ihn noch einmal lesen und wirst dankerfüllt vor dem Bilde Gottes niederfallen, der so reine Freuden in das Herz seiner Geschöpfe gelegt hat. O, ja, die Welt ist gut! es giebt noch gute und edle Gefühle im Leben, es giebt noch schöne Thränen und schöne Gedanken. Wider meinen Willen bedarf ich jedoch der Erinnerung an Dich, um mich fest davon zu überzeugen, denn ich habe heute eine der schmerzlichsten Erfahrungen meines Lebens gemach. Obgleich ich Dir stets Alles anvertraut habe, diese kann ich Dir nicht anvertrauen. Sie gehört nicht mir allein, aber auch Du hast Theil daran, da Du nebst Gott mich darüber tröstet.

Beruhige Dich indessen, liebe Mutter, es ist mir kein Unglück begegnet und ich habe noch keines zu fürchten.

Was für sonderbare Wechselfälle das Leben darbietet! Es ist heut der 20. September 1833, ich bin also heut vierundzwanzig Jahre alt, bei ich am 20.September 1809 geboren bin. Ich kann mich nicht, enthalten, an die Veränderung zu denken, welche ein jenem Tage in unserem Häuschen vorging. Ich hatte das Licht der Welt erblickt und so die Dreifaltigkeit der Familie vervollständigt, denn nun bestand sie aus Vater, Mutter und Kind. Ich werde Dich bald wiedersehen und dann werden wir auch unserer Drei am Heerde sein, Einer ist jedoch nicht mehr, aber ein anderes Glied hat ihn ersetzt, da Blanka acht Jahre nach mir geboren wurde und zwei Jahre nach ihrer Geburt unser guter Vater starb. Wie schön ist diese Fortpflanzung des Lebens, in deren Folge ein Wesen in anderen fortlebt! So ist unser Vater zwar leiblich todt, aber wir, Blanka und ich, haben seine Seele zwischen uns getheilt und er lebt noch in uns. Es ist.nicht mehr das nämliche Gesicht, aber es sind die nämlichen Gedanken, der nämliche Glaube, die nämlichen Gefühle. Hätte er zehn Kinder gehabt, so würde er zehnfach auf der Erde fortgelebt haben, während seine Seele ganz zu Gott zurückkehrte. O, liebe Mutter, die Religion, welche uns dies Alles offenbart hat, ist etwas Schönes und Großes, und wer sich ihr widmet, thut wohl daran!

Du hast es mir oft gesagt, daß mein Vater an jenem Tage tief bewegt war und daß er, die Augen fest auf Dich gerichtet und ein heißes Gebet flüsternd, angstvoll des Schreies harrte, der das Ende Deiner Schmerzen und den Anfang meines Lebens verkündete. Ich kam endlich zur Welt und er nahm mich in seine Arme und kniete nieder, und Ihr weintet Beide Thränen des Dankes. Jetzt bin ich erwachsen, jetzt hat das schwache Kind, das sich kaum bewegen. das nicht sehen und nicht sprechen konnte, Tausende von Meilen durchwandert, hat Das Ende der Welt berührt und ist dem Herrn so weit als nur möglich entgegengegangen; sein Herz fühlt, sein Verstand begreift Alles und so ist es mit allen Menschen. Wie schöne wie groß ist dies!

Ich sehe im Geiste, was Du heut, zum Geburtstage Deines Sohnes, gethan hast. Du bist in mein Zimmer gegangen und dort hast Du an mich gedacht. Du hast alle Gegenstände berührt, welche Dich lebhafter an mich erinnerten und hast gleichsam in mir gelebt. Du hast Dich gefragt: Wo mag er jetzt sein? und Du hast es bedauert, daß mich einmal die Lust angewandelt hat, die Welt zu sehen und kennen zu lernen. Dann hast Du wie ich, die seit meiner Geburt verflossenen vierundzwanzig Jahre an Deinem Geiste vorüber ziehen lassen und bist die Stufenleiter Deiner glücklichen Erinnerungen hinab gestiegen. Es ist etwas Herrliches um diese Sympathie, mit deren Hilfe zwei sich liebende Wesen, ein Bruder und eine Schwester, eine Mutter und ein Sohn, an dem nämlichen Tage den nämlichen Gedanken haben und durch unsichtbare Fäden des Herzens mit einander in Verbindung treten können, wenn auch tausend Meilen sie trennen.

Und während Du dem Himmel danktest, daß er mich Dir gegeben hat, dankte auch ich ihm, daß er mich als Deinen Sohn geboren werden ließ. Wie liebevoll hast Du mich in meiner Kindheit gepflegt! Welche vortrefflichen Keime hat Dein Verstand und Dein Herz in meinen Verstand und in mein Herz gesäet! Den geringen Werth, den ich haben kann, verdanke ich nur Dir allein, meine liebe und theure Mutter.

Gewiß hast Du auch das Grab des Vaters besucht, denn Du theilst Deine Liebe gleichmäßig zwischen Deinem Gatten und Deinem Sohne, die beide fern von Dir sind, der eine auf immer, der andere noch für wenige Monate. Du hast auf diesem Grabhügel gebetet, unter dem wir einst den Vater niederlegten, den wir liebten und der uns noch im Tode freundlich zulächelte. Während wir Beide den Verlust dieser Liebe beweinten, blickte uns Blanka, welche damals zwei Jahr alt war, mit ihren großen blauen Augen an, und als wir vom Friedhofe zurückkehrten, spielte sie im Garten. Der Herr versagt in seiner ewigen Weisheit Kummer und Schmerz den jugendlichen Herzen, die noch zu schwach sein würden, um sie zu ertragen; aber das Herz verliert deshalb seine Rechte nicht; denn wenn das Kind heran wächst, giebt die Erinnerung ihm den Schmerz, den es früher nicht empfand. So spricht auch Blanka setzt den Namen ihres Vaters nicht aus, ohne das die Thränen aus ihrem Herzen ihre Augen steigen, obgleich sie ihn kaum gekannt hat und sich seiner Gesichtzüge nur dunkel erinnert. Wenn wir uns über die Leiche eines Vaters beugen, den wir nie mehr sehen sollen und uns erinnern, wie dieses erloschene Auge früher mit Liebe auf uns ruhte, wie dieser Mund uns mit Küssen bedeckte, als wir noch Kinder waren, und später uns weise Rathschläge gab, wie dieses Herz, das aufgehört hat zu schlagen, voll Liebe und Sorge für unsere Zukunft war, und wir plötzlich dieses Leben binnen einer Minute entfliehen sehen, so daß weder unsere Liebkosungen noch unsere Rufe den Todten wieder zu erwecken vermögen, ja, dann empfinden wir einen ungeheuren Schmerz und glauben die Last dieses Schmerzes nicht ertragen zu können. Dann holen wie den Nachhall der glücklichen Augenblicke, die wir Dem Verdanken, den wir beweinen, und die unsern Schmerz umschweben, wie freie Vögel einen gefangenen Gefährten singend umflattern. Man glaubt dann, man könnte sich nie wieder trösten, das ganze Leben scheint öde und leer zu sein und man Versenkt sich nur in seinen Schmerz. Da findet man Gott, der überall ist und der uns aufrichtet und uns sagt, daß wir noch hoffen dürfen.– Du siehst, liebe Mutter, ich komme immer wieder auf Gott zurück, welchen Weg ich auch einschlage.

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