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Die Cabane und die Sennhütte

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Am Abend brachte ein Aufwärter aus dem Magazin einen Brief.

Sobald Marius einen Blick auf die Adresse warf, erkannte er die seine und geläufige Handschrift, die er in dem großen Buche des Hauses Riouffe und Schwester gesehen hatte. Er ergriff ihn, wie ein Geizhals den Schatz, den er findet, wie ein Schiffbrüchiger das Stück Brod, welches man ihm anbietet, und eilte, sich in die Dachkammer, die er bewohnte, einzuschließen, um ihn zu lesen.

Schon schien es ihm, als hätten die Augen eines Gleichgültigen diese Handschrift entweiht.

Seine Finger zitterten so sehr, als er ihn öffnen wollte, daß es einige Zeit währte, ehe er das Siegel erbrechen konnte, und daß er den Brief halb zerriß, ehe es ihm gelang.

Mademoiselle Riouffe schrieb ihm:

»Mein Herr,

»Ich weiß nicht, ob Sie mit mir zufrieden sein werden; aber ich bin mit meiner Person sehr zufrieden! Die Unterhandlung, womit Sie mich beauftragt haben, ist mir vollständig geglückt. Morgen nach der Börse werde ich Monsieur Riouffe begleiten, der nach Montredon gehen wird, um Monsieur Coumbes ein aufrichtiges Bedauern auszusprechen. Ich hoffe, daß von jetzt an Sennhütte und Cabane in so gutem Einverständnisse leben werden, daß wir uns nur Glück zu wünschen haben wegen dieser vorläufigen Uneinigkeit, die uns dahin geführt, unsere Nachbarschaft gegenseitig zu cultivieren.«

Der Brief war Madeleine unterzeichnet.

Marius drückte das Billet an seine Lippen, und während der ganzen Nacht, mochte er nun schlafen oder wachen, leistete ihm das Bild derjenigen, die er an dem Morgen zum ersten Mal gesehen, getreulich Gesellschaft.

Neuntes Kapitel
Worin man sieht, daß Monsieur Coumbes die Beleidigungen nicht vergaß, und was daraus folgte

Vierundzwanzig Stunden und der Rachedurst, welcher Monsieur Coumbes verzehrte, hatten eine Umkehrung in den Neigungen und Gewohnheiten dieses Mannes herbeigeführt.

Seitdem er in Miletten's Sohne einen Helden gefunden hatte, fähig, anstatt einer zu siegen oder zu sterben, wurde der ehemalige Packträger, wesentlich friedlich, wie er immer gewesen war, plötzlich kriegerisch.

Am Morgen, nachdem Marius ihn verlassen hatte, um Monsieur Riouffe aufzusuchen, hatte Monsieur Coumbes einen kühnen Ausfall in seinen eigenen Garten gewagt, seine Flinte auf der Schulter und sein Rückgrat, welches die Gewohnheit der Handarbeiten und die Beschäftigung im Garten gewöhnlich zur Erde krümmte, gerade gerichtet. Er ging mit der Haltung eines Bramarbas in einer Allee auf und ab, wo es ihm unmöglich schien, daß man ihn von der Sennhütte nicht bemerkte; mehrmals blieb er stehen, ließ das Schloß seiner Flinte spielen und sah mit drohender Miene die Fensterladen der verhaßten Wohnung an.

Diese Fensterladen hatten sich noch nicht geöffnet, bei seinem Nachbar hatte sich Nichts geregt, aus dem vortrefflichen Grunde, daß dieser in die Stadt zurückgekehrt war und daß Marius ihn dort nur treffen konnte; aber die kriegerische Stimmung des Monsieur Coumbes paßte zu wenig zu einer so einfachen Annahme, daß er es vorzog zu glauben, der Feind sei vorsichtig gemacht worden in Folge des Schrittes, den er gethan, welcher zugleich sein Vortrab, sein Armeecorps und seine Reserve war.

Da zu dieser Jahreszeit seine Goldäpfel und seine frühen Erbsen bereits dem Boden anvertraut waren, so blieb ihm wenig mehr im Garten zu thun übrig; aber trotz einem Platzregen blieb er den ganzen Tag dort; er wollte die Stellung nicht verlassen.

Seine Aengstlichkeit war lebhaft; er erwartete mit großer Ungeduld Nachrichten, und als er am Abend Marius nicht zurückkehren sah, begann er zu fürchten, daß sein Paladin den Muth verloren habe, und als Milette, nicht weniger unruhig, als er, obgleich aus sehr verschiedenen Gründen, ihm ihre Befürchtungen mittheilte, beruhigte er sie in wenig schmeichelhaften Ausdrücken für denjenigen, welchem er am Abend zuvor so sehr gelobt hatte, und schien sehr geeignet zu seiner früheren Ansicht von den schönen Männern zurückzukehren.

Aber ein Traum milderte diesen Eindruck des Monsieur Coumbes; er träumte, er sei einer von den vier Haimonskindern geworden, deren Geschichte er in seiner Jugend hatte erzählen hören, und daß er mit einem einzigen Hiebe mit seinem furchtbaren Flammberg den Monsieur Riouffe und eine ganze Gesellschaft von Teufeln und Teufelinnen spaltete, die Sennhütte demolierte und die Trümmer davon in den Meerbusen stürzte.

Dieser Alp hatte einen so tiefen Eindruck auf das Gehirn des Monsieur Coumbes gemacht, daß er beim Erwachen einen raschen Blick in das Zimmer warf, so sehr war er überzeugt, daß die Leiche seines Feindes dort ausgestreckt liegen müsse; er bemerkte nur einen alten Sack, worin Feigen von Smyrna gekommen und der als Teppich vor dem Bette des ehemaligen Packträgers diente; aber als er den Kopf erhob, begegnete er dem Blicke des jungen Marius, der in diesem Augenblick die Thüre des Zimmers öffnete, und er bemerkte auf den Lippen des jungen Mannes ein Lächeln, welches er für einen Beweis hielt, daß ein Traum wohl eine Wirklichkeit sein könne.

In seinem Entzücken vergaß er alle Grundsätze des Anstandes, und sprang aus dem Bette ohne sich Zeit zu lassen, die Leichtigkeit eines Kostüms zu verbessern. »Nun?« rief er mit dem Tone, den Alexander vielleicht annahm, um seine Generäle zu befragen. »Monsieur Riouffe wird, von seinem Fräulein Schwester begleitet, um drei Uhr hier sein, um Ihnen eine Entschuldigungen und sein Bedauern auszusprechen,« antwortete Marius mit demselben Lächeln.

Das Gesicht des Monsieur Coumbes wurde braun.

»Entschuldigungen?« sagte er. »Wir haben es nur mit seinen Entschuldigungen zu thun? Ich hätte Dir gern die Sorge überlassen, die Beleidigungen zu rächen, womit er mich überhäuft hat, und Entschuldigungen würden nicht dazu hinreichen.«

»Doch –« sagte Marius ganz bestürzt und verwirrt.

»Kein Doch!« versetzte Monsieur Coumbes, ohne ihn seinen Satz aussprechen zu lassen; »die Männer von Muth nehmen in einer Ehrensache keine Entschuldigungen an, ebenso wenig wie mildernde Umstände in einem Processe gelten! Ich habe einmal zu den Geschwornen gehört, ich, der ich mit Dir rede; nun, ich habe ihnen meine Meinung gesagt über die mildernden Umstände! Tod, Tod, ich bin immer für den Tod; alles Uebrige, guter Gott, ist ein Vorwand der Feigheit oder eine Aufmunterung zum Verbrechen!«

Marius erblaßte, ebenso sehr wegen der Beleidigung, die ihm der jähzornige Biedermann anthat, als in Folge des Schmerzes, den er empfand, als er die Hoffnungen, die er seit einigen Stunden genährt, dahinschwinden sah.

»Entschuldigungen!« fuhr Monsieur Coumbes fort, »Entschuldigungen! Man mußte nachdenken, ehe man einen rechtschaffenen Mann mißhandelte; er würde heute nicht dahin gebracht sein, sich dieser Demüthigung zu unterwerfen, womit ich wenigstens mich nicht begnügen will!«

Marius wollte reden, aber Monsieur Coumbes gestattete es nicht. Er ging in seinem engen Zimmer auf und ab und stieß wüthende Ausrufungen aus, indem er mit seinen Armen so übertriebene Geberden machte, daß sie über die Beharrlichkeit zu siegen drohten, womit sein einziges Kleidungsstück seine Blöße bedeckte.

Plötzlich blieb er vor Marius stehen, ergriff mit wüthender Bewegung seine baumwollene Mütze, deren Zipfel vermöge seines Schwankens seiner Pantomime widersprach, und warf sie auf den Boden.

»Wir wollen sehen!« rief er; »wird er wenigstens sein abscheuliches Haus demolieren?«

»Aber warum sollte Monsieur Riouffe ein Haus demolieren, welches ihm zu erbauen so theuer geworden ist?«

»Warum? Weil es mich hindert, weil es mir zuwider ist, weil es mir den frischen Wind abschneidet und mein Haus zu einer Feuerese macht, weil es ein abscheulicher Gegenstand ist, den man beständig vor Augen haben muß. Sind das etwa keine Gründe? Verwünschtes Schicksal!« fuhr er fort, indem Marius ihn mit offenem Munde anhörte, und ganz bestürzt von der Frage, die er an sich richtete, ob man nicht den Arzt rufen müsse, um einem Vater, welcher wahnsinnig geworden, eine Ader zu öffnen. »Verwünschtes Schicksal! Erzähle mir doch ein wenig, was sie gesagt haben, was Du gethan, wie die Sache sich zugetragen. Man hat Deine Jugend und Deine geringe Erfahrung benutzt, das sehe ich wohl, zum Henker! denn an Tapferkeit sehe ich wohl, daß es Dir nicht fehlt. Sage mir Alles, Mann, und ich übernehme es, die Sache wieder ins rechte Geleise zu bringen.«

Die Aufgabe, die Monsieur Coumbes Marius auflegte, war sehr schwierig; die Art, wie der Besitzer der Cabane das aufgenommen, was der junge Mann als einen Triumph betrachtete, die Flüche, womit er gegen seine Gewohnheit seine Reden würzte, hatten schon einige Unordnung in seine Gedanken gebracht; aber als er sich in die Lage versetzt sah, entweder zu lügen oder einem Pathen die friedliche Vermittelung der Mademoiselle Madeleine zu gestehen, als er fürchtete, daß man, wenn er von ihr spreche, in einem Gesichte lesen möchte, was in seiner Seele vorgehe, wurde diese Unordnung eine Niederlage; alle seine Ideen nahmen die Flucht, entflohen mit einer solchen Verwirrung, daß es seinem Gehirn unmöglich war, eine einzige wieder zu erhaschen; er zauderte, er stotterte, er zitterte, er machte mehrere unpassende Versuche zu reden, welche Monsieur Coumbes vollends erbitterten.

Dieser bemerkte, daß Etwas im Hinterhalte sei, und wendete bei einem Verhör eine neue Energie an; er überhäufte seinen Pflegesohn mit Fragen, er drängte und trieb ihn, brachte ihn zu Widersprüchen und schlug ihn durch plötzliche Wendungen; er machte seine Sache so gut, daß er Stück für Stück, Brocken für Brocken endlich einen beinahe vollständigen Bericht von dem erhalten hatte, was zwischen seinem Adoptivsohne und Mademoiselle Riouffe vorgegangen.

Marius blieb blaß und zitternd wie ein Verbrecher vor seinem Richter stehen; sein Blick konnte den Glanz nicht ertragen, welchen die grauen und farblosen Augen seines Pathen angenommen hatten.

 

»Ei! zum Henker!« rief dieser Letztere, »ich sagte es wohl, wenn man die marseiller Suppe riecht, ist auch der Fisch nicht weit; sobald ich sah, daß eine Sache, die so leicht zu beenden war, eine solche Wendung nahm, konnte ich beschwören, daß ein Weib sich eingemischt habe! Ah! Du hast Dich von diesem Dämchen verlocken lassen, welches vielleicht ebenso wenig seine Schwester ist, wie die meinige. Verwünschtes Schicksal! irgend eine Dirne, welcher er diese Rolle übertragen hat, um sich über Dich lustig zu machen, wie er sich über mich lustig macht!«

»Glauben Sie es nicht, Vater,« entgegnete Marius, dem seine entstehende Liebe schon die Kühnheit einflößte, gegen den gefürchteten Monsieur Coumbes anzukämpfen; »Mademoiselle Riouffe ist eine anständige junge Person. Wenn Sie sie, wie ich, in ihrem Bureau in der Mitte ihrer Commis gesehen hätten; wenn Sie sie gehört hätten –«

»Schweig, sage ich Dir, schweig, oder ich jage Dich weg. Es ist eine Komödie, die man auf meine Kosten spielen will, und in welcher Du ihnen als Mitschuldiger gedient haben wirst. Ich stehe dafür, wenn sie diesen Abend ins Haus kommen, so ist es, um mich mit irgend einem boshaften Scherze von ihrer teuflischen Erfindung zu beleidigen! Geh’ ihnen zu sagen, daß ich mich nicht um ihren Besuch kümmere, daß ich weder ihre Entschuldigungen noch ihr Bedauern will; daß mir ebenso wenig daran liegt, wie an der Rinde einer Melone! Daß ich nicht wie Du eine Windfahne bin, die sich nach dem Winde dreht, der sie treibt; daß ich sie hasse wegen der Beleidigungen, die sie mir zugefügt, und daß diese Beleidigungen sich nicht durch einige Worte wieder gut machen lassen! Daß, wenn sie wagen, in meine Cabane einzudringen, ich meine Flinte auf den Ersten abfeuern werde, der den Drücker meiner Thüre berühren wird!«

Nichts in dieser Welt ist so ansteckend wie der Zorn. Monsieur Coumbes hatte Miletten's Sohn schon beträchtlich aufgeregt, indem er diejenige angriff, die seit dem Tage zuvor der Gegenstand einer Verehrung gewesen war; eine Aufregung endete damit, daß Marius die Kaltblütigkeit verlor, welche er bis dahin behauptet; er antwortete, nach dem wohlwollenden Empfange, den er von Mademoiselle Riouffe erhalten, mache er sich eine Pflicht daraus, einen solchen Auftrag nicht zu übernehmen.

»Ah!« rief Monsieur Coumbes, das Herz mit Bitterkeit angefüllt, »man hat gut Saucen erfinden für einen Meerjunker, so schön er auch sein mag, es ist immer ein schlechter Fisch, und eine grünen und orangefarbigen Schuppen geben ihm keinen besseren Geschmack; es ist immer auf Kosten des Herzens, daß uns Gott die Schönheit des Gesichts bewilligt; ich hatte Dich richtig beurtheilt! Ich weiß nicht, wie ich mich einen Augenblick Deinetwegen habe täuschen können. Du nimmst mit meinen Feinden Partei; bleibe bei ihnen, geh' aus meinem Hause, Unglücklicher! geh'! hoffe, daß die Dir, wie ich, zwanzig Jahre lang das tägliche Brod geben werden! Geh' zu Denen, welche Du mir vorziehst. Uebrigens, wozu bedarf ich Deiner? Bin ich nicht selber ein Mann, der, wenn gleich alt, sich Respect zu verschaffen wissen und die bestrafen wird, welche ihn beleidigen? Ha! ha! ha!« fuhr der ehemalige Packträger mit einem krampfhaften Lachen fort, »sie sollen nicht hoffen, daß die Grimassen ihres Papageienweibchens machen werden, daß ich meine Pflichten versäume.«

Monsieur Coumbes war mit seinen Kräften zu Ende. Wenn ein Zorn um so heftiger war, weil die Anfälle bei ihm seltener waren, so mußte ein Paroxysmus ihn um so schneller niederwerfen; er sprach seinen letzten Satz nur mit Anstrengung aus; die letzten Worte waren völlig unverständlich. Er fiel auf das Bett nieder, auf welches er sich gestützt hatte; seine Lippen wurden blau, während sein Gesicht todtenblaß erschien, und er fiel erstickt auf seine Matratze nieder.

Die laute Stimme des Monsieur Coumbes hatte schon seit einiger Zeit Milette herbeigerufen; mehr todt als lebendig horchte sie draußen; bei dem Schrei, welchen Marius ausstieß, als er den ehemaligen Packträger zusammensinken sah, trat sie ein und beeilte sich, ihrem Herrn beizustehen.

Als sie bemerkte, daß dieser wieder zu sich kam, zog sie Marius auf die Treppe hinaus.

»Entferne Dich, mein Sohn,« sagte sie mit leiser Stimme zu ihm; »er darf Dich nicht wiederfinden, wenn er zur Besinnung kommt; Deine Gegenwart könnte einen neuen Ausbruch des Zornes hervorrufen, und dieser Zorn erschreckt mich um so mehr, da ich mich nicht erinnere, ihn je in diesem Zustande gesehen zu haben. Vor allen Dingen möge das, was eben geschehen ist, keine Galle in Deinem Herzen zurücklassen; Gott prüft uns oft durch Unglück, und doch wenden wir uns nie anders an ihn, als um ihm für seine Wohlthaten zu danken. So müssen wir gegen Alle handeln, die uns lieben, mein Kind, und uns nur der Zärtlichkeit erinnern, die sie uns erwiesen haben. Ich habe nur die letzten Worte des Monsieur Coumbes gehört; ich weiß nicht, was zwischen ihm und Dir vorgegangen ist, aber ich glaube nicht, daß Du, wie er es fürchtet, die Partei seiner Feinde nimmt. Du hast nicht das Recht, zu vergessen, daß er gut und mitleidig gegen Deine Mutter handelte, als alle Welt sie verließ; übrigens können diejenigen, welche einen Mann, den ich immer als sanft und friedlich gekannt, so verändert haben, nur böse Menschen sein.«

Es wurde Marius schwer, seine Mutter bei der üblen Meinung hinsichtlich derjenigen zu lassen, die einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte; aber die Stimme des Monsieur Coumbes, obgleich noch schwach, hatte Milette gebieterisch herbeigerufen, und diese verließ ihren Sohn, nachdem sie ihn zärtlich umarmt hatte.

Marius verließ die Cabane mit schwerem Herzen und von Thränen nassen Augen; während der ganzen Nacht hatte die Phantasie des Südländers große Fortschritte gemacht. Er war neunzehn Jahre alt, und dies ist nicht das Alter, wo die Hindernisse der Geburt und des Vermögens den glücklichen Träumen in ihrem Auffluge entgegenwirken; er hatte sich glücklichen Einbildungen hingegeben; er hatte nach dem Wunsche, den Madeleine in ihrem Briefe ausgesprochen, vorausgesehen, daß sich ein täglicher Verkehr zwischen den beiden benachbarten Wohnungen bilden werde, und daß vermöge dieser Beziehungen die Leidenschaft, die er in seinem Herzen für das junge Mädchen entstehen fühlte, die Verhältnisse einer erhöhten Liebe annehmen werde. Der bittere Zorn des Monsieur Coumbes hatte eben die bezaubernden Phantome angeblasen, welche seine Träumereien bevölkert und sie zerstreut; als er aus diesem Rausche erwachte, in welchem er sich befunden, fand er sich in einer Welt wieder, die ihm ganz neu erschien und deren Wirklichkeiten ihm sehr traurig vorkamen. Wieder im Besitze einer Vernunft, maß er die Kluft ab, die ihn von Mademoiselle Riouffe trennte; zum ersten Mal seit vierundzwanzig Stunden erinnerte er sich, wer er war, an seine Geburt, an die bescheidene Lage des ehemaligen Packträgers, dessen Namen er führte, und an die bescheidene Zukunft, für die er sich bestimmt sah.

Marius besaß Seelengröße genug, um diesen gescheiterten Hoffnungen gegenüber nicht über seine demüthige Lage zu erröthen, Adel der Gefühle genug, um weder diejenigen, die ihm das Leben gegeben, noch das Schicksal anzuklagen; sein Herz blutete, er litt, aber ohne Zorn und ohne Verzweiflung. Mit der männlichen Festigkeit, die in seinem Alter sehr selten ist, opferte er, sobald er seinen Fehler und seinen Irrthum erkannte, auf ehrenvolle Weise eine anmaßenden Hoffnungen auf; er entschloß sich, alle seine Kräfte zu Hilfe zu rufen und allen seinen Muth anzuwenden, um eine Liebe, die ihm widersinnig erschien, in ihrem Keim zu ersticken; er legte sich selber den Eid ab, Alles aus seinen Gedanken zu verbannen, was ihn an Madeleine erinnern konnte, indem er dachte, so würde er die Macht ertödten, die sie bereits über sein Herz ausübte.

Dieser Entschluß war leichter zu fassen, als auszuführen; Marius suchte Zerstreuungen, um das bezaubernde Bild, welches sich bereits einen Gedanken eingeprägt hatte, zu verbannen; er fand aber keine. Vergebens wollte er das Meer bewundern, welches er am Ende dieses unvergleichlichen Spazierganges bemerkte, den man den Prado nennt, ruhig und funkelnd unter den Feuern einer schönen Herbstsonne; vergebens rief er das Andenken an Milette an und wiederholte sich, daß die arme Frau der ganzen Zärtlichkeit ihres Kindes bedürfe, vergebens suchte er sich durch wesenhaftere Eindrücke zu betäuben, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Bewegungen der Fußgänger, der Pferde und Wagen richtete, die sich ungeachtet der Mittagsstunde um ihn her bewegten.

So fest auch sein Wille war, so siegte doch das Andenken an Madeleine wieder; vergebens versuchte er es zu verbannen, dieses Andenken befand sich beständig neben ihm. Marius konnte Nichts ansehen, Nichts bewundern, Nichts wünschen, ohne daß die Antheil an seinen Gedanken hatte; wenn er an den Frühling dachte, indem er die großen Platanen ansah, war es nur, um sich zu sagen, wie angenehm es sein würde, in ihrem Schatten mit dem jungen Mädchen zu wandeln, wenn sie ihre Sommerkleider wieder angelegt hätten; wenn das Meer ihm schön erschien, sagte er sich, wie lieblich es sein würde, in Gesellschaft mit der, die er liebte, über seine Fluthen dahinzugleiten, und dort in dieser erhabenen Einsamkeit, in dieser Unermeßlichkeit, die uns Gott näher bringt, den Eid der Liebe wiederholen zu hören! Selbst Milette erinnerte ihn an Madeleine. Er dachte an die Freude, an den Stolz seiner Mutter, wenn er ihr eine so vollendete Schwiegertochter vorstellen würde, an die glücklichen Tage, die eine solche Verbindung ihrem Alter bereiten würde.

Marius erschrak über das, was ihm als eine verdammliche Schwäche erschien, und seine Unruhe wurde groß. Er strengte sich an in seinem Kampf, den er mit sich selber lieferte, aber vergebens; es gelang ihm wohl, die gefährliche und bezaubernde Gestalt der Mademoiselle Riouffe aus seinem Gehirn zu verbannen, den Gedanken auszulöschen, der das junge Mädchen mit sich führte, indem er sie alle auslöschte und sich in eine gewisse geistige Erstarrung flüchtete, die weder Leben noch Schlummer ist; aber dann schien es ihm, als höre er vor seinem Ohr eine Stimme, die ihm einen Namen wiederholte, der schon für ihn nicht seines Gleichen hatte, der schon für seine Augen ein Gedicht war. Diese Stimme sagte zu ihm: Madeleine! Madeleine! Madeleine! Er fühlte sein Herz köstlich aufgeregt und ein Blut floß glühender und rascher durch seine Adern.

Der junge Mann hatte Furcht. Wie groß auch der Respect war, den er für Monsieur Coumbes empfand, so war er doch seit der Scene an dem Morgen nicht ohne Unruhe wegen seiner Vernunft und legte sich die Frage vor, ob dieser Wahnsinn nicht vielleicht ansteckend sein sollte, wenn sein Gehirn nicht wie das des ehemaligen Packträgers krank geworden sei.

Die Antwort war vermuthlich nicht befriedigend, denn sobald er sie an sich gerichtet hatte, nahm er einen Weg, als wäre er verfolgt worden, und durchschritt die Stadt, um zu seinem Patron zurückzukehren. Er hoffte ganz einfach, daß die Arbeit das Gleichgewicht seines Geistes wieder herstellen werde.

Als er über die Esplanade de la Tourette ging, sah er die Kirche de la Major offen.

Marius war kein starker Geist; in einem Alter, wo man im Norden schon die Praxis, wenn nicht den Glauben zurückweist, hatte er das Christenthum in seiner ganzen Reinheit und ursprünglichen Einfachheit beibehalten.

Unter diesem großen offenen Portal sah er Gott, der ihm seine Arme entgegenstreckte; in dem majestätischen Tone der Orgel, wovon ein letzter Nachhall in ein Ohr drang, glaubte er die Stimme des Herrn zu vernehmen, die ihm sagte, daß das Gebet ein viel wirksameres Mittel sei, als die Arbeit, gegen die Unruhe, die ihn erschreckte.

Er trat in die Kathedrale. Der Gottesdienst war eben beendet und die Kirche leer. Marius eilte in eine kleine einsame Kapelle, wo er niederknieete.

Als er die Augen erhob, um zu beten, fiel ein Blick auf das Gemälde auf dem Altar und er schauderte.

Es war eine Copie des berühmten Bildes von Correggio, welches die große Sünderin, die Schutzpatronin des jungen Mädchens darstellte, welches einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Die Heilige, in der Mitte eines wilden Gehölzes liegend, ebenso sehr in ihr Haar mit goldenem Scheine, als in die Falten ihrer blauen Tunica gehüllt, stützte neben einem Todtenkopfe sinnend ihren Ellenbogen auf ein Buch.

Es war nicht blos die Gleichheit der beiden Namen, die Marius auffiel; unter der Herrschaft der Sinnentäuschung, die ihn verfolgte, fand er in diesem gemalten Bilde diejenige, die er liebte, wieder; er fand sie lebend wieder; es war sie, es waren ihre zugleich ernsten und zärtlichen Augen, der ernste und sanfte Ausdruck ihres Gesichts. Die Täuschung war so auffallend, daß er ihre Stimme zu hören glaubte.

 

Die Verwirrung seiner Ideen wurde schrecklich, ein Haar richtete sich auf seinem Kopfe empor, ein Herz schlug, als wollte es eine Brust sprengen; er stützte sich auf eine Hände, um sich dem Anblicke dieses Bildes zu entziehen, und er begann mit aufgeregter und bebender Stimme zu beten.

»Mein Gott,« sagte er, »befreie mich von dieser wahnsinnigen Liebe, gestatte nicht, daß ich unterliege. Du hast mir eine bescheidene und arme Stellung gegeben; habe ich denn nicht Deinen Willen verehrt? Hat es mir denn an Muth und Resignation gefehlt? Warum lässest Du mich auf diese Weise darniederbeugen? Laß mich der Versuchung nicht unterliegen, o mein Gott! Siehe, sie verfolgt mich bis vor Deine Altäre mit den Zügen, die ich fürchte, ohne aufhören zu können, sie zu verehren; sie zeigt sie mir in den Zügen einer Deiner Erwählten – ich flehe Dich an und ich zittere, daß Du mein Gebet nicht erhörest – ich beschwöre Dich, die Ruhe in meine Seele zurückzuführen, und ich frage mich, ob diese Ruhe nicht ebenso schrecklich sein wird, wie die des Todes. O Du, deren Namen sie führt, selige Heilige, die Du so viel gelitten, weil Du so viel geliebt hat, bitte Gott, daß er mir die Stärke schicke, die ich in mir selber nicht finde, bitte ihn, daß er geben möge, daß ich sie vergesse und daß dieser Name Madeleine mich nicht mehr, wie in diesem Augenblicke mit Qualen erfülle, die zugleich köstlich und schrecklich sind –«

Das Gebet unseres Marius wurde von einem erstickten Schrei, nur zwei Schritte hinter ihm, unterbrochen.

Er wendete sich um und bemerkte eine einfach aber elegant gekleidete junge Dame, welche die Kapelle zu verlassen im Begriff war. Ein über das Gesicht dieser Dame herabgelassener Schleier verhinderte, ihre Züge zu unterscheiden. Stühle und Bänke standen ihr im Wege und sie entfernte sie mit einer Aufregung, welche zeigte, daß sie nicht weniger unruhig war, als der junge Mann.

Dieser blieb stumm und wie vernichtet zurück, fast ebenso unbeweglich wie die florentinischen Statuen, welche die Kirche schmückten; ein Gedanke ging ihm durch den Kopf, aber eine Vernunft weigerte sich, daran zu glauben.

Als die junge Dame sah, daß Marius eine Aufmerksamkeit auf sie lenkte, schien sie den Kopf zu verlieren; sie stieß einen Betschemel um, blieb mit dem Fuße daran hängen und stolperte.

Milettens Sohn eilte herbei, um ihr zu Hilfe zu kommen, aber ehe er bis zu ihr gekommen war, hatte sie sich aufgerichtet, und leicht wie ein Schatten verschwand sie unter den zahlreichen Pfeilern der Kathedrale.

Einem mächtigen Eindruck nachgebend, wollte Marius ihr folgen, als er Etwas am Boden liegen sah, was die Unbekannte auf ihrer Flucht hatte fallen lassen. Er hob es auf; es war ein Meßbuch, und auf dem Maroquindeckel des Buches fanden die beiden gothischen Buchstaben M. R.

Es war ihm nicht mehr zu zweifeln gestattet; die junge Dame war Madeleine; sie hatte gehört, was er Gott allein anzuvertrauen geglaubt hatte.

Er beendete ein Gebet nicht und verließ die Kirche, noch mehr erschüttert, als da er eingetreten war.

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