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Salvator

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LXXIX
Das Diner auf dem Rasenplatz

Auf einem großen Rasenplatze, der einem vor dem Schlosse ausgebreiteten Teppich glich, und auf den man über die prächtigen steinernen Stufen hinabschritt, welche den Perron bildete, hatte Herr Gérard einen Tisch aufstellen lassen, um welchen elf Personen saßen, die der ehrenwerthe Schloßverwalter unter dem Vorwande eines Diner, in Wirklichkeit aber, um von den nächsten Wahlen sprechen, eingeladen.

»Herr Gérard hatte Sorge getragen, die Zahl der Eingeladenen auf elf zu beschränken; elf Fremde und der Herr des Hauses machten zwölf Tischgenossen. Herr Gérard wäre vor Angst gestorben oder hätte wenigstens ein sehr schlechtes Diner gemacht, wenn dreizehn am Tische gesessen; der ehrbare Mann war sehr abergläubisch.

Diese elf Gäste waren die Notabeln von Vanvres.

Die Notabeln von Vanvres hatten mit großer Freude die Einladung des Gutsherren angenommen; denn Herr Gérard kannte als der Herr von Vanvres betrachtet werden. Sie legten vor den ehrenswerthen Mann, den die Vorsehung zu ihrem Mitbürger gemacht, einen tiefen Respekt an den Tag, und man hätte ihnen eher das Licht der Sonne am hellen Mittag bestreiten können, als die unvergleichliche Tugend ihres Hiob in Zweifel zu sehen, obgleich neidische, eitle, egoistische Bürger, schienen sie ihren Neid, ihre Eitelkeit, ihren Egoismus gegenüber der Bescheidenheit, der Aufopferung und der Selbstverleugnung ihres unvergleichlichen Mitbürgers zu vergessen; Niemand in der That, weder zu Vanvres, noch in der Umgegend, hatte sich über Herrn Gérard zu beklagen, viele dagegen Grund, ihn zu rühmen. Er verdankte Niemanden etwas, während Jedermann ihm etwas verdankte: dieser Geld, jener die Freiheit, ein dritter das Leben.

Die öffentliche Stimme von Vanvres und den umliegenden Dörfern bezeichnete ihn laut als den künftigen Deputirten; einige noch phantastischere Bürger, als die übrigen, hatten sogar das Wort Pairskammer fallen lassen.

Aber man hatte ihnen bemerkt, daß man in die Pairskammer nicht wie in die Academie oder in die Mühle kommt; es war die Zeit, wo das Wort Paul Louis Couriers Glück gemacht: daß man, um in die Pairskammer zu kommen, gewissen Categorien angehören müsse; und da die Deputirtenkammer eines der Mittel war, zur Pairie zu gelangen, so hatten sie sich mit denen ihrer Mitbürger verbunden, welche Herrn Gérard zu einem der Repräsentanten des Departements der Seine vorschlugen.

Zwei oder drei Tage vorher waren die Notabeln des Dorfes erschienen, um als Deputation Herrn Gérard die lebhaften Sympathieen der Einwohner von Vanvres an den Tag zu legen.

Herr Gérard hatte Anfangs bescheiden die Ehre, die man ihm anthun wollte, abgelehnt, indem er erklärte, daß er sich nach bestem Wissen und Gewissen – was wahr sein konnte – derselben unwürdig fühle, indem er hinzufügte, daß er noch nicht genug für das Land, und besonders nicht für Vanvres gethan. Er klagte sich aufrichtig an, ein weit größerer Sünder zu sein, als wofür man ihn hielte; er stellte sich sogar als einen großen Verbrecher hin, was einen Landwirth hatte laut auslachen lassen, der von einer Musterwirtschaft träumte, zu welcher er ihm Held leihen sollte, und der deßhalb Herrn Gérards größter Lobredner war.

Man hatte jedoch trotz dieser abschlägigen Antwort darauf bestanden, ihn in die Kammer zu schicken, und nachdem er seinen ergebenen Mitbürgern gesagt:

»Sie sind es, meine Herren, die mich zwingen; Sie die es gewollt; Sie befehlen, ich gehorche!«

Nachdem er dies und vieles andere gesagt; hatte Herr Gérard zuletzt angenommen und seine Freunde autorisiert, seine Candidatur zu verkünden.

Der Landwirt, als, Royalist, obgleich er vielleicht instinctmäßig als Symbol die Bienen statt der Lilien wählen sollen, der Landwirth übernahm es noch am selben Abende, allen benachbarten Flecken das große Ereigniß der Annahme des Herrn Gérard anzuzeigen und am ersten freien Tage, den ihm seine Bienen gönnten, – der Landwirth trieb in Erwartung seiner Musterwirtschaft einen großen Handel mit Honig – diese Candidatur in allen Journalen von Paris zu verkünden.

Man begreift, daß Herr Gérard die Deputation nicht weggehen ließ, ohne ihr zuerst Erfrischungen aller Art anzubieten und sie dann für nächsten Mittwoch zum Diner einzuladen.

In Folge dieser Einladung saßen die elf Abgeordneten an der Tafel des Herrn Gérard; denn, wie man sich denken kann, Niemand hatte sich einzustellen versäumt und nach dem Vergnügen, das beim Beginn dieses Capitels aus allen Gesichtern sah, hatte es Niemand zu bereuen, dieser Einladung Folge geleistet zu haben.

Es war wirklich ein frischer und milder Nachmittag; die Speisen waren wohlschmeckend, die Weine ausgesucht; es war ungefähr sechs Uhr Abends; man befand sich seit fünf Uhr bei, Tische und einer nach dem andern suchte von der Kühnheit Nutzen zu ziehen, welche ihm die Halbtrunkenheit verlieh, um aus seinem Stuhle eine Tribüne und aus seinem Gespräche eine Harangue zu machen, als wenn man statt am Schlusse eines Diners im Freien, am Ende einer Sitzung in der Kammer wäre.

Der Landwirth gab von seiner Existenz und seiner leibhaften Anwesenheit bei dem Diner keinen andern Beweis, als daß er zwischen jeder Rede mit heißer Stimme einige unzusammenhängende Phrasen murmelte, deren verständlicher Schluß ein unmäßiges Lob des Wirthes war, zu dessen Verfügung er sein und seiner Bienen Leben stellte.

Ein Notar, der beinahe ebenso enthusiastisch war, als der Landwirth, hatte mit der Stimme eines Procurators einen Toast abgelesen, in welchem er Herrn Gérard mit Aristides verglich, in dem er ferner die Ueberlegenheit der Bewohner von Vanvres über die Athenienser proclamirte, die es müde geworden, Aristides beständig den Gerechten zu hören, während die Bewohner von Vanvres nicht müde würden, Herr Gérard den Ehrenmann nennen zu hören.

Ein Huissier, der sich in’s Privatleben zurückgezogen, hatte Couplets gesungen, die für den Augenblick paßten und in welchen er prophezeite, Herr Gérard werde die Hydra der Anarchie mit ebenso großem Erfolge bekämpfen, als der Sohn des Jupiter und der Alkmene die Hydra von Lernos.

Ein Arzt, der toxicologische Untersuchungen über das Pockengift machte, hatte an den Tag erinnert, wo Herr Gérard mit seiner doppelläufigen Flinte bewaffnet, das Land von einem wüthenden Hunde befreit, der die größten Verheerungen angerichtet und auf die Hoffnung getrunken, daß die Wissenschaft ein Mittel gegen die furchtbare Krankheit, genannt die Wuth, finden werde.

Endlich war ein Blumengärtner einen Augenblick vor Tische verschwunden und mit einer Lorbeer- und Veilchenkrone wieder erschienen, die er feierlich auf das Haupt des Herrn Gérard legte, was den rührendsten Effect gemacht hätte, wenn nicht ein kleiner buckliger Mensch, der sich, man wußte nicht unter welchem Titel, in die ehrenwerthe Deputation gedrängt, die Bemerkung gemacht, daß die Lorbeeren der Krone Saucenlorbeeren und die Veilchen duftlose Veilchen seien.

Die Begeisterung hatte ihre höchste Höhe erreicht. Die Freude leuchtete aus allen Augen, das Lob floß aus Aller Mund, keine Wolke hatte dies Familienfest verdunkelt; es war mit einem Worte; ein allgemeiner Enthusiasmus und Jeder hatte augenblicklich sein Leben für einen Blutstropfen des großen Bürgers geopfert, der den Namen Gérard trug.

Diese berauschte Glückseligkeit hatte sich Aller bemächtigt, als der Diener des Herrn Gérard seinem Herrn meldete, daß ein Unbekannter ihn augenblicklich zu sprechen verlange.

»Er hat seinen Namen nicht genannt«?« fragte Herr Gérard.

»Nein, Herr,« antwortete der Diener.

»So sagen Sie ihm,« antwortete der würdige Schloßverwalter majestätisch, »daß ich nur Leute empfange, welche sagen können, wer sie sind und weßhalb sie kommen.«

Der Diener entfernte sich, um die Antwort zu überbringen.

»Bravo! Bravo! Bravo!« riefen die Gäste.

»Das war gut gesagt!« machte der Notar.

»Welche Beredtsamkeit, wenn er mal in der Kammer sitzt!« sagte der Arzt.

»Welche Würde, wenn er Minister sein wird!« rief der Bucklige.

»O! meine Herren, meine Herren!« sagte der ehrenwerthe Herr Gérard bescheiden.

Der Diener erschien wieder.

»Nun gut, was will dieser Unbekannte, und von wem kommt er?« fragte Herr Gérard.

»Er kommt von Herrn Jackal und will Ihnen sagen, daß die Hinrichtung des Herrn Sarranti Morgen stattfinden wird.«

Herr Gérard wurde leichenblaß, sein Gesicht entstellte sich mit Blitzesschnelligkeit; er eilte aus dem Saale und folgte rasch dem Diener, indem er mit bestürzter Stimme rief:

»Ich komme! ich komme!«

So weit die Gäste auch auf dem Wege der Trunkenheit waren, so hatte doch jeder den Eindruck bemerkt, den die doppelte Mittheilung, die ihm gemacht wurde, auf ihn hervorgebracht.

Und wie bei einer Sonnenectipse Nacht dem Tage folgt, so führte die Eclipse des Herrn Gérard augenblickliche Stille an der Stelle der lauten Conversation herbei, welche die Meldung des Dieners unterbrochen hatte.

Indeß, da mehrere in der Angelegenheit des Herrn Sarranti, die viel von sich hatte reden machen, wenigstens oberflächlich, auf dem Laufenden waren, so hing steh das Gespräch, um nicht ganz auszugehen, an diesen Rettungsanker.

Der Notar nahm das Wort und erklärte, wie der Name des Herrn Sarranti, vor dem ehrenwerthen Herrn Gérard ausgesprochen, diese zarte Natur bis in die feinste Fiber erschüttern müsse.

Herr Sarranti oder vielmehr der elende Sarranti, welcher mit der Erziehung der beiden Vetter des Herrn Gérard beauftragt war, habe sich des Meuchelmords an den beiden Kindern schuldig gemacht und sei desselben überwiesen worden, eines Meuchelmords, der mit so großer Vorsicht begangen worden, daß man nicht mal mehr die Leichen auffinden konnte.

Die Erzählung des Notars erklärte die Abwesenden des Herrn Gérard und die Einmischung des wohlbekannten Namens des Herrn Jackal in die Meldung des Dieners.

 

Herr Sarranti, hatte ohne Zweifel im Begriffe, auf das Schaffot zu steigen, Bekenntnisse abzulegen und man schickte vermuthlich von Seiten des Herrn Jackal, um Herrn Gérard zu suchen, damit dieser die Enthüllungen vernehme.

Die Entrüstung gegen Sarranti mehrte sich dadurch. Es war nicht genug, eine beträchtliche Summe unterschlagen, zwei Unschuldige meuchlings ermordet zu haben; er wählte auch noch, um neue Enthüllungen zu machen, die heilige Stunde des Mahls, ganz gegen den Grundsatz des Verfassers der Gastronomie:

»Nichts soll den Menschen störe wenn er beim Speisen sitzt.«

Da man jedoch bei den Entrements war, der Burgunder zu den besten Gewächsen zählte, der Champagner vortrefflich gekühlt war, auf einer nahen Tafel ein ausgezeichnetes Dessert stand, so beschloß man, Herr Gérards Rückkehr plaudernd und trinkend abzuwarten.

Dieser Entschluß wurde durch die Erscheinung eines Dieners bestärkt, welcher über den Perron mit zwei Flaschen herabkam, in jeder Hand eine die er mit den Worten auf den Tisch setzte:

»Herr Gérard bittet Sie, diesen Lafitte, der aus Indien zurückkommt, und diesen Chambertin von 1811 zu kosten, ohne sich seinetwegen zu derangieren. Eine unaufschiebbare Sache ruft ihn nach Pari; er wird in einer halben Stunde wieder hier sein.«

»Bravo! Bravo!« riefen die Gäste wie aus einer Kehle.

Und vier Arme verlängerten sich augenblicklich, um die vier Hälse der vier Flaschen zu ergreifen.

In diesem Momente hörte man das Rollen eines Wagens auf dem Straßenpflaster.

Man begreift, daß es Herr Gérard war, der sich entfernte.

»Auf seine baldige Wiederkehr!« sagte der Arzt.

Jeder der übrigen Gäste stotterte einen Wunsch und versuchte sich zu erheben, um dem Toast mehr Feierlichkeit zu geben; aber der Versuch ging bereits über ihre Kräfte.

So weit war man gekommen: die, welche saßen, suchten aufzustehen; die, welche standen, suchten sich zu setzen, als plötzlich eine neue Persönlichkeit, um so überraschender, da man nichts weniger erwartete, auf dem Rasen erschien und das Gespräch abschnitt.

Diese Person, welche in den Garten drang, ohne daß man wußte, woher sie kam, war unser alter Freund Roland, oder wenn man wegen der Verhältnisse lieber will, Brasil.

Obgleich er wirklich wie ein guter Hund durch die Thüre hereingekommen, war er mit einem Sprung unten an der Treppe und mit zwei weiteren Sprüngen auf dem Rasen.

Der erste der Gäste, der ihn gewahrte, stieß einen Schrei des Schreckens aus.

Die herabhängende Zunge, das blutig unterlaufene Auge und die empor stehenden Haare des Thieres rechtfertigten diesen Schrei.

»Ein wüthender Hund!« sagte der Notar.

»Ein wüthender Hund?« wiederholten die andern Gäste erschrocken.

»Hier, hier, seht!«

Alle Augen wandten sich nach der von dem Notar angedeuteten Richtung und sie sahen wirklich den Hund, der, obgleich wie ein wüthendes Thier schnaubend, nach der Thüre umgekehrt war und jemand zu erwarten schien.

Aber das Warten dauerte ihm ohne Zweifel zu lange: denn mit zu Boden gesenkter Schnauze begann er, wie der Pudel des Faust Kreise zu beschreiben, deren Mittelpunkt der Tisch und die Gäste bildeten, und die sich immer mehr verengten.

Berechnend, daß in einem gegebenen Momente der Hund endlich an die Gäste stoßen müßte, erhoben sich diese, ohne ihren Schrecken zu verbergen zu suchen, freiwillig und dachten auf die Flucht; der eine sah durch seine Lorgnette nach einem Baume der andere nach einem kleinen Schoppen, unter den der Gärtner seine Gartenwerkzeuge stellte, dieser dachte daran, die Mauer zu erreichen, jener eine Zuflucht im Schlosse zu suchen, als plötzlich ein scharfes und langes Pfeifen sich hören ließ, dem der streng ausgesprochene Befehl »Roland hierbei!« Folgte.

Der Hund drehte sich augenblicklich auf den Häcksen um, wie ein Pferd, dem man scharf an dem Mundstück des Zaumes reißt, und wollte gerade auf seien Herrn zu.

Es braucht kaum gesagt zu werden, daß dieser Herr Salvator war.

Aller Augen richteten sich auf ihn. Für die unglücklichen Gäste, welchen der Anblick Rolands so große Furcht eingejagt, war er der antike Gott, der die Tragödie glücklich auflöst.

Der junge Mann erschien in den Strahlen der untergehenden Sonne, welche ihn mit einer Flamme zu bedecken schienen: er war mit der größten Eleganz, durchaus schwarz, gekleidet; seinen Hals umgab eine Cravatte von feinem, weißem Battist; seine behandschuhte Hand spielte mit einem Stock, der einen Lapislazuliknopf hatte.

Er stieg langsam die Stufen des Perrons herab und nahm den Hut vom Kopfe, sobald er den Rand der Allee betrat; dann über den Rasen hinschreitend, gefolgt von Roland , den er mit einer Bewegung der Hand hinter sich ließ, kam er gerad an den Stuhl, welchen Herr Gérard eingenommen und den seine Abwesenheit leer gelassen, und sah sich so mitten unter den Gästen, die er einen nach dem andern mit der ausgesuchtesten Artigkeit grüßte.

»Meine Herren;« sagte er, »ich bin einer der ältesten Bekannten unseres gemeinschaftlichen Freundes, des ehrenwerthen Herrn Gérard; er wollte mir die Ehre erweisen, mich Ihnen vorzustellen, und wir sollten zusammen speisen, aber ich wurde unglücklicher Weise durch denselben Grund in Paris zurückgehalten, der Sie in diesem Augenblicke der Anwesenheit unseres Wirthes beraubt.«

»Ach! ja,« sagte der Notar, der sich in dem Augenblicke zu beruhigen begann, als er den Hund wie an den Blick des jungen Mannes angekettet sah, – »wegen der Sarrantischen Sache.«

»Allerdings. meine Herren, wegen der Sarrantischen Sache.«

»Morgen also wird der Elende hingerichtet?« sagte der Huissier.

»Morgen; wenn man von jetzt bis dahin kein Mittel findet, seine Unschuld zu beweisen.«

»Seine Unschuld? das würde schwierig sein!« sagte der Notar.

»Wer weißt« machte Salvator: »wir haben bei den Alten die Kraniche des Dichters Ibycus; und in neuerer Zeit den Hund des Montargis.«

»Apropos Hund, mein Herr,« sagte der Landwirth mit leiserer Stimme; »ich muß gestehen, daß der Ihre uns so eben eine tüchtige Angst eingejagt hat.«

»Roland?« machte Salvator in naivem Tone.

»Er heißt Roland?« fragte der Notar.

»Allerdings,« sagte der Arzt, »ich hatte einen Augenblick die größte Hoffnung, er sei wüthend.«

»Es scheint mir, Roland war nur rasend,« sagte der Notar und rieb sich die Hände vor Entzücken über sein Bonmont.

»Sie sagten die Hoffnung?« fragte Salvator den Arzt.

»Ja, mein Herr, und ich ändere mein Wort nicht. Wir sind unserer elf; ich hatte somit zehn Chancen gegen eine, daß das Thier einen meiner Freunde und nicht mich angreifen werde: und da ich mich speciell mit der Hundswuth beschäftigt habe, so wäre mir die Gelegenheit geboten gewesen, an seine frische Wunde das Mittel anzuwenden, das ich erfunden und das ich beständig bei mir in der Tasche trage, in der Hoffnung, es werde sich mir zur Anwendung eine Gelegenheit bieten.«

»Ich sehe, mein Herr-,« sagte Salvator, »daß Sie ein ächter Philanthrop sind; unglücklicher Weise ist mein Hund für den Augenblick wenigstens kein Subject, wie man, glaube ich, in der medizinischen Terminologie sagt, und der Beweis dafür. daß er augenblicklich gehorcht, sehen Sie mal!«

Und er deutete ihm unter den Tisch, wie man etwa auf eine Nische deutet:

»Leg’ dich, Brasil« sagte er, »leg’ dich!«

Dann wandte er sich an die Gäste:

»Erstaunen Sie nicht,« sagte Salvator, »daß ich meinen Hund unter den Tisch liegen lasse, wohin ich mich mit Ihnen setze; ich kam um zu speisen, besser später als gar nicht, als ich Herrn Gérard auf dem Wege begegnete; ich wollte mit ihm umkehren; aber er hat so dringend darauf bestanden, ich solle mich zu Ihnen begeben, daß ich, schon zuvor von meinem Verlangen hierher gezogen, nicht widerstehen konnte, um so mehr, als er mich beauftragte, in seiner Abwesenheit die Honneurs der Tafel zu machen.«

»Bravo! Bravo!« rief die Gesellschaft, auf welche das Benehmen Salvator’s den besten Eindruck gemacht.

»Nehmen Sie den Platz unseres Wirthes,« sagte der Notar, »und erlauben Sie mir, Ihr Glas zufüllen und auf seine Gesundheit zu trinken.«

Salvator hielt das Glas hin.

»Das ist nicht mehr als billig,« sagte er, »und Gott lohne ihm, wie er es verdient.«

Und das Glas an den Mund setzend, berührte er den Wein mit den Lippen.

In diesem Augenblick ließ Brasil ein langes Geheul hören.

»O! o! was hat Ihr Hund?" fragte der Notar.

»Nichts; des ist seine Art zuzustimmen, wenn man einen Toast ausbringt,« sagte Salvator.

»Schön!« sagte der Arzt; »Das Thier hat eine gute Erziehung bekommen; nur war sein Sprechen nicht sonderlich heiterer Art.«

»Mein Herrn!« sagte Salvator, »Sie wissen, es haben, ohne daß die Wissenschaft sich Rechenschaft geben konnte, gewisse Thiere Ahnungen; vielleicht droht unserem Freunde Gérard ein unvorhergesehenes Unglück.«

»Ja, " antwortete der Arzt, »man sagt das; aber wir starken Geister glauben nicht an solche Thorheiten.«

»Indessen,« sagte der Blumist, »meine Großmutter . . . «

»Ihre Großmutter war eine Thörin, mein Freund,« sagte der Arzt.

»Verzeihung,« bat der Notar, »aber Sie sprechen von einer Gefahr, die Herrn Gérard drohen könnte?«

»Einer Gefahr?i« sagte ein Geometer; »und welche Gefahr könnte dem ehrenwerthesten Manne von der Welt drohen, einem Manne, der immer den geraden Weg ging?«

»Einem Manne, der der Patriotismus selber ist!« sagte der Huissier.

»Die eingefleischte Aufopferung!« fügte der Arzt hinzu.

»Die Selbstverleugnung selbst!« rief der Notar.

»Ei! Sie wissen doch meine Herrn, daß das Unglück sich gerade an die Ferse des Gerechten hängt. Das Unglück ist der Löwe der h. Schrift, der sucht, wen er verschlinge, und sich besonders an die Tugendhaften machte – man sehe-Hiob.«

»Aber, zum Teufel, was macht denn Ihr Hund?« sagte der Blumist, indem er unter den Tisch sah; »er reißt den Rasen auf.«

»Achten Sie nicht darauf,« antwortete Salvator, »wir sprachen von Herr Gérard und sagten . . . «

»Wir sagten,« versetzte der Notar, »daß ein Land stolz sein müsse, wenn es einen solchen Mann geboren.«

»Er wird die Steuern ermäßigen,« sagte der Arzt.

»Den Preis des Kornes erhöhen,« sagte der Landwirth.

»Den Preis des Brotes herabsetzen,« sagte der Gärtner.

»»Die Nationalschuld tilgen,« sagte der Huissier.

»Die Einrichtung der Ecole der Medizin reformieren,« sagte der Arzt.

»Frankreich einen neuen Cataster unterwerfen,« sagte der Geometer.

»O!« machte der Notar, indem er dieses Concert von Lobeserhebungen unterbrach, »Ihr Hund wirft mir mein ganzes Beinkleid voll Erde.«

»Das ist möglich,« sagte Salvator, »aber beschäftigen wir uns nicht mit ihm.«

»Im Gegentheil, wir wollen uns mit ihm beschäftigen,« sagte der Arzt, der unter den Tisch gesehen hatte; »denn der Hund sieht sehr sonderbar aus: die Zunge hängt ihm zum Maule heraus, die Augen sind blutunterlaufen, das Haar steht ihm zu Berge.«

»Wohl möglich,« sagte Salvator, »aber so lange man ihn nicht in seinem Treiben stört, hat man nichts von ihm zu fürchten: der Hund ist ein Monoman,« fügte Salvator lachend hinzu.

»Ich möchte ihnen bemerken,« sagte der Arzt pretentiös, das das Wort Monoman, das von monos und mania kommt und allein Idee bedeutet, sich nur auf den Menschen anwenden läßt, weil der Mensch allein Ideen und der Hund nur Instinkt hat, allerdings einen sehr vollkommenen, der jedoch mit der erhabenen Organisation des Menschen in keinen Vergleich treten kann.«

»Nun gut,« versetzte Salvator, erklären Sie das, wie Sie wollen, Instinkt oder Idee. Brasil hat nur einen Gedanken.«

»Welchen?«

»Er besaß zwei junge Herren, die er außerordentlich liebte, einen Knaben und ein Mädchen; der Knabe wurde meuchlings ermordet, das Mädchen ist verschwunden; bis jetzt hat er so gut gesucht, das er das junge Mädchen fand.«

»Lebend?«

»Ja, lebend, vollkommen lebend; aber da der Knabe ermordet und begraben wurde, sucht der arme Brasil, der immer noch hofft, den Ort zu finden, wo die Leiche begraben wurde, überall, wohin er kommt.«

»Suche und Du wirst finden sagte der Notar, der gerne seine Bibelsprüche anbrachte.

»Verzeihen Sie,« sagte der Arzt, »aber das ist ein ganzer Roman, was Sie da erzählen, mein Herr.«

»Eine Geschichte, wenn Sie wollen,« sagte Salvator, »und zwar eine der furchtbarsten.«

»Meiner Treu,« machte der Notar, »wir sind gerade zwischen der Birne und der Käse, wie der verstorbene d’Aigrefeuille, gastronomischen Angedenkens, sagte; »das ist der Augenblick zu Geschichten, und wenn Sie uns die Ihrige erzählen wollen, mein lieber Herr, so wird es uns sehr angenehm sein.«

 

»Gerne,« sagte Salvator.

»Das wird sehr interessant werden,« sagte der Arzt.

»Ich glaube wohl,« antwortete Salvator einfach.

»Stille!, Stille!« hieß es von allen Seiten.

Es entstand eine Pause, während welcher Brasil ein so klägliches Geheul ausstieß, daß alle Gäste ein Schauer durchlief und der Gärtner, welcher durch einige Worte angedeutet, daß er kein starker Geist wie der Doctor, sei, unwillkürlich mit den Worten aufsprang:

»Teufel von Hund, geh!«

»Aber setzen Sie sich doch,« sagte der Geometer, indem er ihn an einem Rockschoß zog und ihn zu sitzen nöthigte.

Der Gärtner setzte sich brummend, aber er setzte sich.

»Nun, nun, die Geschichte,« sagten die Gäste.

»Die Geschichte!«

»Meine Herren,« sagte Salvator, »ich werde mein Drama denn es ist eher ein Drama, als eine Geschichte: ,Giraud der Ehrbare’ tituliren.«

»Ei, sagte der Huissier, »das lautet beinahe wie Gérard der Ehrenmann?«

»Es ist allerdings nur der Unterschied von zwei Buchstaben; aber ich möchte dem ersten Titel den Nebentitel hinzufügen: oder man darf dem Schein nicht trauen.«

»Das ist ein exzellenter Titel,« sagte der Notar, »und an Ihrer Stelle wurde ich ihn Herrn Guilbert de Pixerecourt bringen.«

»Ich kann nicht, mein Herr, ich habe ihn für den Procurator des Königs bestimmt.«

»Meine Herren, meine Herren,« sagte der Arzt, »ich mache Ihnen die Bemerkung, daß Sie den Erzähler hindern, seine Erzählung zu beginnen«

»O!« sagte Salvator, »seien Sie ohne Sorgen, »wir kommen schon nach dazu.«

»Stille!« machten der Geometer, »Stille!«

Man hörte Brasil, der den Beben wüthend aufscharrte und laut schnaufte.

Salvator begann.

Unsre Leser kennen das Drama, das er unter erdichteten Namen erzählte. Mit Hilfe von Nachforschungen und Erkundigungen, unterstützt von seinem wunderbaren Scharfsinne, dem der Instinkt Brasils als Führer diente, war es ihm gelungen, die ganze Geschichte sich zu construieren wie eingeschickter Architekt aus einigen Trümmern ein antikes Bauwerk veranschaulicht, wie Cuvier aus einigen Knochen sich ein antediluvianisches Ungeheuer zu rekonstruieren.

Wir folgen deßhalb Salvator nicht in die Deteils dieser Erzählung, die für den Leser nichts Neues bieten, sondern ihm nur das in’s Gedächtnisrufen würde, was er schon weiß.

Als Salvator, nachdem er das Verbrechen Girauds erzählt, den Zuhörern schilderte, mit welcher Heuchelei es dem Mörder und Räuber gelungen war, sich nicht allein die Achtung und den Respekt, sondern auch die Zuneigung, Hingebung und Liebe seiner Mitbürger zu erringen, stieß das Auditorium einen langen Schrei der Entrüstung aus, auf welchen Brasil mit einem dumpfen Knurren antwortet, als wollte er an diesen einstimmigen Verwünschungen auch sein Theil haben.

Als endlich, nachdem er die Scheinheiligkeit des Elenden enthüllt, der Erzähler die rohe Feigheit schilderte, mit der dieser Mensch einen Unschuldigen verurtheilen ließ, während es sich für ihn nur darum handelte, sich zu verbannen, seinen Namen zu ändern und in einer andern Welt sein erstes Verbrechen zu beweinen, statt ein zweites, vielleicht noch viel größeres als das erste zu begehen, hatte die Entrüstung der Gesellschaft die höchste Höhe erreicht, der Zorn verwandelte sich in Muth und Jeder schleuderte seinen Fluch gegen den Mörder.

»Aber,« rief der Notar, »sagten Sie nicht, daß morgen der Unschuldige für den Schuldigen bezahle?«

»Allerdings,« sagte Salvator.

»Aber« versetzte der Arzt, »von heute bis morgen, wie sollte man da einen Beweis finden, welcher der Justiz die Augen öffnet?«

»Die Güte Gottes ist groß!« sagte Salvator, indem er den Kopf senkte, und unter dem Tischtuch die verzweifelte Arbeit sah, welche Brasil verrichtete, der, fühlend, daß sein Herr sich mit ihm beschäftigte, sich einen Augenblick von seiner Arbeit weg wandte, und, als wollte er ihn küssen, die feuchte Nase auf die Hand seines Herrn hielt, dann aber wieder die Erde aufzuwühlen fortfuhr.

»Die Güte Gottes, die Güte Gottes!« wiederholte der Doktor, der, in seiner Eigenschaft als Arzt, außerordentlich sceptisch war: »aber ein guter Beweis wäre noch sicherer.«

»Ohne Zweifel,« antwortete Salvator; »ich hoffe auch, daß dieser Beweis, der mir bereits einmal entschlüpft ist, doch noch in die Hände geliefert werde.«

»Ah!« sagten die Gäste einstimmig, »Sie hatten einen Beweis?«

»Ja,« antwortete Salvator.

»Und dieser Beweis ist Ihnen entschlüpft?«

»Unglücklicherweise.«

»Welcher Beweis wäre das?«

»Ich hatte, Dank sei es Brasil, das Skelett des Kindes gefunden.«

»O!« machten die erschrockenen Gäste.

»Und warum haben Sie nicht eine gerichtliche Beaugenscheinigung unter Zuziehung eines Arztes reclamirt ?« sagte der Doctor.

»Das habe ich gethan, nur der Arzt blieb weg; aber in der Zwischenzeit war das Skelett verschwunden und das Gericht hat mir in das Gesicht gelacht.«

»Der Mörder wird Wind von der Sache bekommen und das Skelett anderswohin geschafft haben,« bemerkte der Notar.

»So daß. Sie noch immer nach dem Leichnam suchen?« fragte der Huissier.

»Allerdings,« machte Salvator; »denn Sie bergreifen wohl, wenn der Leichnam sich an einem Orte befände, wohin ihn Herr Sarranti nicht begraben konnte!«

»Herr Sarranti!« riefen wie aus einem Tone die Gäste; »Herr Sarranti ist also der Unschuldige?«

»Ließ ich mir den Namen entschlüpfen?«

»Sie sagten Sarranti.«

»Wenn ich das sagt, so widerrufe ich nicht.«

»Welches Interesse haben Sie, die Unschuld dieses Mannes ans Licht zu bringen?«

»Er ist der Vater eines meiner Freunde; und wäre ich auch ganz fremd, so glaube ich, es ist die Pflicht jedes Menschen, einen Mitmenschen vom Schaffot zu retten, wenn er die Ueberzeugung von seiner Unschuld hat.«

»Aber,« sagte der Notar, »Sie hoffen doch den Beweis, den Sie suchen, nicht hier zu finden?«

»Vielleicht.«

»Bei Herrn Gérard?«

»Weshalb nicht?«

»Der Hund, als ob er auf die Worte seines Herrn antwortete, ließ ein langanhaltendes düsteres Geheul vernehmen.

»Hören Sie?« machte Salvator; »sehen Sie Brasil sagt mir, daß er nicht verzweifelt.«

»Wie, daß er nicht verzweifelt?«

»Allerdings; habe ich Ihnen nicht gesagt, daß er eine Monomanie habe, und war die, die Leiche seines jungen Herrn wiederzufinden?«

»Allerdings; antworteten die Gäste einstimmig.

»Nun gut,« versetzte Salvator, »während ich die ersten vier Acte des Dramas erzähle, arbeitete er am fünften.«

»Was wollen Sie sagen?« fragten zu gleicher Zeit der Huissier und der Notar, während die Anderen, welche stumm blieben, mit den Augen fragten.

»Sehen Sie unter den Tisch,« machte Salvator, indem er das Tischtuch aushob.

Jedermann sah unter den Tisch.

»Was zum Teufel macht er da? fragte der Arzt, ohne die geringste Angst, denn er dachte, wenn der Hund auch nicht wüthend sei, so biete er doch einen interessanten Vorwurf für das Studium.

»Er macht ein Loch, wie Sie sehen,« antwortete Salvator.

»Und zwar ein enormes Loch,«. bemerkte der Notar.

»Ein Loch von drei Fuß Tiefe und sieben ein halb Fuß Umfang,« sagte der Geometer.

»Und was sucht er?« fragte der Huissier.

»Ein Ueberweisungsmittel,« sagte Salvator.

»Was für eines?« mache der Notar.

»Das Skelett des Kindes,« sagte Salvator.

Das Wort Skelett, so kurz nach der furchtbaren Erzählung Salvators ausgesprochen, und zu einer Stunde, wo die Schattens sich bereits vom Himmel herabsenkten, machte allen das Haar zu Berge stehen; Alle entfernten sich wie auf einen Schlag von dem Loche; der Arzt allein trat näher.

»Der Tisch geniert uns!« sagte er.

»Helfen Sie mir,« sagte Salvator.

Die beiden Männer nahmen den Tisch, hoben ihn in die Höhe, und der Hund stand, nachdem sie ihn einige Schritte entfernt, frei da.

»Brasil schien die Veränderung, welche vorgegangen, nicht zu bemerken, so sehr war er in sein Todtengräbergeschäft vertieft.

»Nun, meine Herren,« sagte Salvator, »etwas Muth zum Teufel,, wir sind ja Männer.«

»Wahrhaftig,« sagte der Notar, »ich gestehe, daß ich neugierig bin, die Entwicklung der Geschichte zu sehen.«

»Wir werden bald so weit sein,« sagte Salvator.

»Vorwärts, vorwärts!« sagten die Andern, näher treten.

Man machte einen Kreis um den Hund.

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