Читать книгу: «Salvator», страница 61
LXXVIII
Wo nachgewiesen ist, daß das Geben, nicht das Erhalten von Empfangsbescheinigungen gefährlich sei
Kaum war Mademoiselle Fisine verschwunden, kaum hatte Salvator die zehn Tausendfrankenbillets in sein Portefouille, und in seine Tasche die neun unberührten und das angebrochene Paket gethan als die Thüre Gibassiers sich öffnete und dieser würdige Geschäftsmann auf der Schwelle erschien, in einem einfachen Beinkleide von weißem Molton, den Kopf mit einem Foulard umwickelt, und die Füße ins gestickten Pantoffeln.
Die Schläge, welche das große Frauenzimmer auf die Thüre geführt, die harten Worte, von welchen diese begleitet waren, der Schreckensschrei, den sie ausgestoßen, als sie Salvator erkannte, der Kampf, der diesem Begegnen folgte, hatte, wie wir gesagt, den Schlaf des ehrbaren Gibassier gestört und zwar in solchem Grade, das er, um sich von dem was auf seiner Flur geschehe, Rechenschaft zugeben, sich zuletzt dem süßen Schlafe entwunden, aus seinem Bette gesprungen, sein Hauskleid angezogen, in seine Pantoffeln geschlüpft und mit leisen Schritten sich der Thüre genähert.
Da er kein Geräusch mehr hörte, erwartete er die Flur leer zu finden.
Er war deshalb sehr erstaunt, als er Salvator sah; wir müssen sogar zum Ruhme der Klugheit Gibassiers sagen, daß er beim ersten Anblick des Fremden vor seiner Thüre wieder schließen wollte. Aber Salvator, der den Galeerensclaven sowohl dem Gesichte, als dem Rufe nach kannte, der wußte, welchen Antheil er an der Entführung Mina’s hatte, der ihn seit jener Zeit theils direct, theils indirekt beobachtete, wollte sich die günstige Gelegenheit, die ihn denselben finden ließ, nicht so unbenutzt entschwinden lassen.
Er widersetzte sich deßhalb, indem er die Hand ausstreckte, seiner Absicht, die Thüre zu schließen, und fragte mit aller Höflichkeit, deren er fähig war:
»Ich habe wohl die Ehre, Herrn Gibassier zusprechen?«
»Ja, mein Herr, antwortete Gibassier, indem er ihn mit ebenso argwöhnischer Miene betrachtete, als es seine noch ganz aufgedunsenen Augen gestatteten. »Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«
»Sie kennen mich nicht? fragte Salvator, in dem er sanft die Thüre aufstieß.
»Wahrhaftig, nein,« sagte der Galeerensträfling, »obgleich ich allerdings Ihr Gesicht irgendwo gesehen zu haben glaube, aber der Teufel weiß wo.«
»Meine Kleidung sagt Ihnen, was ich bin,« versetzte Salvator.
»Commissionär, das sehe ich wohl, aber wie heißen Sie?««
»Salvator.«
»Ah! Ah! halten Sie sich nicht gewöhnlich an der Rue aux Fers auf?« fragte Gibassier mit einer Art von Schrecken.
»Allerdings.«
»Und was wollen Sie?«
»Das werde ich Ihnen zu sagen die Ehre haben, wenn Sie mir einzutreten erlauben.«
»Hm!« machte Gibassier zögernd.
»Sie mißtrauen mir?« fragte Salvator, indem er sich zwischen die Thüre und die Mauer schmiegte.
»Ich? sagte Gibassier, »Weßhalb sollte ich Ihnen mißtrauen? Ich habe Ihnen nie etwas gethan; warum sollten Sie mir übelwollen?«
»Ich habe auch nur Gutes im Sinne,« sagte Salvator, »und ich komme um Ihnen welches zu erzeigen.«
Gibassier stieß einen Seufzer aus, er glaubte ebensowenig an das Gute, das ihm Andere erzeigen wollten, als an das welches er Andern erzeigte.
»Sie zweifeln?« sagte Salvator.
»Ich gestehe, daß ich ein nur sehr schwaches Zutrauen besitze,« antwortete der Galeerensträfling.
»Sie werden selbst urtheilen.«
»So geben Sie sich die Mühe, sich zu setzen.«
»Das ist unnütz,« sagte Salvator, »ich habe große Eile, und mit einem Worte, wenn die Sache, die ich Ihnen vorzuschlagen im Begriffe bin, Ihnen convenirt, so ist sie rasch abgeschlossen,«
»Wie Sie wollen; aber ich setze mich,« sagte Gibassier, der nach einer gewissen Steifigkeit des ganzen Körpers zu urtheilen, noch an den schlimmen Folgen der Nacht litt. »So,« fügte er hinzu, indem er sich auf einem Stuhle bequem machte, »wenn Sie mir jetzt sagen wollen, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft, ich höre.«
»Können Sie über eine Woche verfügen?« fragte Salvator.
»Das hängt von dem Auftrag ab, den ich in dieser Woche ausführen soll; denn bemerken Sie wohl, daß eine Woche der siebzehnhundertsechzente Theil eines Menschenlebens ist, wenn wir die neueste Statistik annehmen, welche die mittlere Lebensdauer eines Menschen auf drei und dreißig Jahre festsetzt.«
»Mein lieber Herr Gibassier,« sagte Salvator mit seinem süßesten Lächeln, indem er diese Durchschnittsberechnung für die übrigen Menschen gelten ließ, »ich sehe mit Vergnügen, daß Sie eine Ausnahme von der Regel machen, und obgleich Sie nicht viel mehr als dreiunddreißig Jahre alt scheinen haben Sie doch unstreitig dieses Alter überschritten.«
»Soll ich mich dessen rühmen?« antwortete der würdige Gibassier zu gleicher Zeit philosophisch und Melancholisch.
»Das ist jetzt nicht die Frage,« sagte Salvator.
»Was denn.«
»Nachdem Sie das gefährliche Alter überschritten, werden Sie aller Wahrscheinlichkeit mach das Doppelte dieser Zahl, das heißt sechsundsechzig erreichen: somit ist eine Woche für Sie der dreitausendvierhundertste Theil des Lebens: und bemerken Sie wohl, daß ich Ihnen dies nicht sage, um mit Ihnen wegen des Preises Ihrer Woche zu markten, sondern Ihr Urtheil in Beziehung auf ihre eigene Lebensdauer zu berichtigen.«
»Ja,« sagte Gibassier, der in dieser Hinsicht überzeugt schien, »aber wird mir die Aufgabe dieser Woche angenehm sein?«
»Angenehm und ersprießlich; Sie werden, was in dieser Welt so selten ist, die Vorschrift des Horaz, dessen Werke ein Gelehrter wie Sie gewiß genau kennt, verwirklichen können und Utile Cum dulci verbinden.«
»Um was handelt es sich?« fragte Gibassier, der Künstler in seiner Art, sich von dem Malerischen der Conversation hinreißen ließ.
»Es handelt sich um Reisen.«
»Ah! Bravo!«
»Sie lieben das Reisen?«
»Leidenschaftlich.«
»Das geht ja ganz vortrefflich.«
»Und welches Land soll ich durchreisen? .
»Deutschland.«
»Germania mater . . . . Immer besser!« rief Gibassier, »ich werde um so bessere Dienste in Deutschland leisten, als ich dieses Land genau kenne und meine Reisen dort stets glücklich waren.«
»Man weiß das. Deßhalb mache ich Ihnen diesen Vorschlag; der Erfolg dieser Sache ist ganz unter den Schutz Ihres Glückes gestellt.«
»Gut!« sagte Gibassier. »Nun das ist ja Alles mögliche ich bin erfreut, eine Gelegenheit zu haben, Frankreich für einige Tage verlassen zu können.«
»Sehen Sie, wie sich das macht!«
»Meiner Gesundheit schadet der Aufenthalt in Paris.«
»Wirklich,« sagte Salvator, »Sie haben geschwollene Augen, einen blau unterlaufenen Hals und das, Blut steigt Ihnen leicht zu Kopfe.«
»Das ist erst diese Nacht in hohem Grade der Fall gewesen, mein lieber Herr Salvator; wie Sie mich da sehen, wäre ich beinahe an einem Blutsturze gestorben,« antwortete Gibassier.
»Glücklicher Weise,« fragte Salvator naiv, »hat man Ihnen noch zur rechten Zeit Ader gelassen?«
»Ja,« antwortete Gibassier, »zur Ader gelassen und zwar eine große Portion Blut«abgezapft.«
»Das ist die beste, Disposition für die Reise; man fühlt sich leicht.«
»O, sehr leicht.«
»Ich kann also meine Frage vorbringen?«
»Nur zu, mein lieber Herr, nur zu. »Um was handelt es sich?«
»»Um etwas sehr Einfaches: es. handelt sich um die Ueberbringung eines Briefes. Das ist Alles.«
»Hm! hm!« murmelte Gibassier zwischen den Zähnen, in dessen Innerem wieder Zweifel aufstiegen. »Einen Mann allein zum Zwecke der Ueberbringung eines Briefes nach Deutschland senden, während die Post so vortrefflich eingerichtet ist? Teufel! Teufel!«
»Sie sagen?« fragte Salvator, indem er ihn aufmerksam ansah.
»Ich sage,« machte Gibassier, indem er den Kopf schüttelte, »das muß ein verteufelt seltsamer Brief sein; denn wenn es ein Brief wie alle andern wäre, würden Sie ihn vermuthlich nicht mit so großen Kosten expediren.«
»Sie haben Recht,« sagte Salvator, »es ist ein Brief von der höchsten Wichtigkeit.«
»Politisch, denke ich wohl.«
»Ganz politisch.«
»Eine höchst delicate Angelegenheit?«
»Ganz außerordentlich delicat.«
»Folglich auch gefährlich.«
»Gefährlich, wenn nicht alle Vorkehrungsmaßregeln getroffen wären.«
»Was verstehen Sie unter Vorkehrungsmaßregeln?«
»Daß der Brief in einem weißen Papier, das ganz offen ist, bestehen wird.«
»Aber die Adresse?«
»Man wird sie Ihnen mündlich mitteilen.«
»So ist die Adresse also mit sympathetischer Tinte geschrieben?«
»Von der Erfindung der Person, welche sie schreibt, eine Erfindung, welche selbst die der Herren Thenard und Orfila weit hinter sich läßt.«
»Aber die Polizei ist ein ganz anderer Chemiker, die Herren Thenard und Orfila.«
»Diese Tinte bietet selber der Polizei Trotz und ich sage Ihnen das ausdrücklich, mein lieber Herr Gibassier, damit Sie nicht in Versuchung kommen, den Brief an Herrn Jackal um das Doppelte des Trägerlohns zu verkaufen.«
»Mein Herr,« machte Gibassier, indem er sich aufrichtete, »Sie glauben mich also fähig?«
»Das Fleisch ist schwach,« antworten Salvator.
»Das ist wahr,« murmelte der Galeerensträfling mit einem Seufzer.
»Sie sehen also,« fuhr Salvator fort, »daß Sie durchaus nichts riskieren.«
»Sagen Sie mir das, um von mir einen billigeren Preis für meine Mission zu erhalten?«
»Durchaus nicht; die Mission wird im Verhältniß zu ihrer Wichtigkeit bezahlt werden.«
»Aber wer wird den Preis feststellen?«
»Sie selbst.«
»Ich muß vor Allem wissen, wohin ich gehe.«
»Nach Heidelberg.«
»Sehr gut. Wann?«
»So bald als möglich.«
»Morgen, ist das zu frühe?«
»Diesen Abend wäre besser.«
»Ich bin zu sehr fatiguirt, um diesen Abend abreisen zu können, ich hatte eine schlimme Nacht.«
»Eine bewegte Nacht?«
»Sehr bewegt.«
»Nun gut, also morgen früh. Aber, mein lieber Herr Gibassier, wie viel verlangen Sie?«
»Nach Heidelberg zu gehen?«
»Ja.«
»Muß ich mich dort aufhalten?«
»So lange bis Sie die Antwort in Empfang genommen und zurückkommen können.«
»Nun, tausend Franken, ist das zu viel?«
»Ich möchte Sie im Gegentheil fragen, ist das genug?«
»Ich bin ökonomisch und wenn ich spare, komme ich, damit aus.«
»Nun gut also, tausend Franken für das Ueberbringen des Briefes. Aber für das Zurück bringen der Antwort?«
»Dasselbe.«
»Also zweitausend Franken; tausend Franken für das Hin und tausend Franken für das Zurück.«
»Tausend Franken für das Hin und tausend, Franken für das Zurück: das ist gut.«
»Nachdem nun der materielle Theil der Reise in’s Reine gebracht ist, gilt es, die Vertrauensseite, den Lohn für die Mission selbst auszumachen.«
»Ah! der Lohn für die Mission ist in den zweitausend Franken nicht einbegriffen?«
»Sie reisen für ein ungeheuer reiches Haus,-mein lieber Herr Gibassier, also tausend Franken mehr oder weniger . . . «
»Ist es zu viel, . wenn ich zweitausend Franken verlange?«
»Man kann nicht billiger sein.«
»Also zweitausend Franken für die Reisekosten, zweitausend Franken für die richtige Besorgung . . . «
»Im Ganzen viertausend Franken.«
Und indem er diese Worte sprach, stieß Gibassier einen Seufzer aus.
»Findens Sie daß es zu wenig ist?« fragte Salvator.
»Nein, ich denke . . . «
»Was?«
»Nichts«
Gibassier log; er dachte an die Mühe, die er, haben sollte, um viertausend Franken zu gewinnen, während er einige Stunden früher mit so viel Leichtigkeit und ohne sich zu derangieren, fünfmal hunderttausend Franken gewonnen hatte.
»Indeß,« sagte Salvator, »ein Herz, das seufzt, hat nicht, was es wünscht.«
»Die Habgier des Menschen ist unersättlich,« sagte Gibassier, indem er auf ein Sprichwort mit einer Sentenz antwortete.
»Unser großer Moralist Lafontaine hat eine Fabel darüber gemacht, sagte Salvator, kommen wir jedoch auf besagten Hammel zurück.«
Er suchte in der Tasche.
»Haben Sie den Brief?« fragte- Gibassier.
»Nein-. er konnte nur dann geschrieben werden, wenn Sie die Mission annahmen.«
»Nun gut, ich nehme sie an.«
»Bedenken Sie sich wohl, ehe Sie annehmen.«
»Ich habe mich bedacht.«
»Sie gehen?
»Morgen, bei Tagesanbruch.«
Salvator zog sein Portefeuille aus seiner Tasche, öffnete es und lies Gibassier ein ganzes Nest von Bankbillets sehen.
»Ach!« machte Gibassier, als wenn bei diesem Anblick ihm ein Dolch das Herz durchbohrte.
Salvator schien nichts zu bemerken; er nahm zwei Bankbillets von den übrigen und sagt, indem er sich an Gibassier wandte:
»Es gibt keinen Handel ohne Draufgeld; hier sind die Reisekosten, bei Ihrer Rückkehr, wenn Sie die Antwort und den Brief bringen, sollen Sie die beiden andern tausend Franken haben.«
Gibassier zögerte, die Hand auszustrecken, Salvator ließ die Bankbillets auf den Tisch fallen.
Der Galeerensclave nahm sie, untersuchte sie sorgfältig, indem er ihre Dicke zwischen Daumen und Zeigefinger prüfte, und ihre Durchsichtigkeit dadurch erforschte, daß er sie zwischen sich und das Licht hielt.
»Ausgezeichnet,« sagte Gibassier.
»Ei, ei, glauben Sie mich im Stande, Ihnen falsche Billets zu geben?«
»Nein; aber Sie hatten selbst getäuscht worden sein können; seit einiger Zeit macht man große Fortschritte in der Industrie.«
»Wem sagen Sie das?« machte Salvator.
»Ich werde Sie also wieder sehen?«
»Diesen Abend; um welche Stunde werden Sie zu Hause sein«
»Ich werde mein Zimmer nicht verlassen.«
»Ach ja! die Steifigkeit . . . «
»Das ist’s«
»Gut denn, um neun Uhr, wenn Sie wollen.«
»Abgemacht, um neun Uhr.«
»Und Salvator ging nach der Thüre.
Er hatte bereite die Hand am Schlüssel, als plötzlich sagte:
»Halt! ich hatte vom andern Ende von Paris wieder zurückkommen müssen.«
»Wie das?«
»Ich vergaß eine Kleinigkeit.«
»Welche?«
»Sie um eine Empfangsbescheinigung zu bitten; Sie begreifen wohl, daß das Geld nicht mir gehört: ein armer Commissionär hat nicht den zehnten Theil von tausend Franken in seinem Portefeuille und bezahlt für seine Couriere nicht viertausend Franken.«
»Das setzte mich auch in Erstaunen.«
»Das- heißt, ich begreife nicht, wie Ihnen das kein Mißtrauen einflößte.«
»Ich begann auch welches zu fassen,« sagte Gibassier.
»Nun, so geben Sie nur eine kleine Empfangsbescheinigung für zweitausend Franken, und Alles ist abgemacht.«-
»Das ist nicht mehr als billig,« machte Gibassier, indem er sein Tintenzeug und ein Blatt Papieren sich zog.«
Dann sich nach Salvator umwendend, sagte er:
»Eine einfache Empfangsbescheinigung, nicht wahr?«
»O, mein Gott, ja. Das Einfachste.«
»Ohne Bezeichnung?«
»Wert in Rechnung; wir wissen in welche Rechnung. Das genügt.«
Gibassier, sei es, daß er dies mechanisch that, sei es, daß er wissend, wie leicht Bankbillets davon fliegen, nicht wollte, daß dies mit den seinen geschehe, Gibassier heftete sie mit seinem linken Ellbogen an den Tisch und begann die Empfangsbescheinigung mit seiner schönsten Schrift zu schreiben.
Dann bot er sie Salvator, der sie aufmerksam las, sie mit einer gewissen Befriedigung zusammenfaltete und langsam in seine Tasche steckte.
Gibassier sah ihm mit einer gewissen Unruhe zu.
Das Lächeln Salvators mißfiel ihm.
Ader es wurde nach ganz anders, als Salvator, die Arme kreuzend und Gibassier in’s Gesicht blickend, indem er seinem Lächeln den Ausdruck des größten Spottes verlieh, zu ihm sagte:
»Man muß gestehen, Meister Gauner, daß Sie von einer seltenen Schaamlosigkeit und einer vollendeten Dummheit sind. Wie! Sie sind so einfältig, an Geschichten zu glauben, wie die, welche ich Ihnen erzähle; Sie sind der Schwachkopf, sich in einer solchen Kinderschlinge fangen zu lassen? Man kann es kaum glauben! Wie! Sie haben geglaubt, man werde wegen Ihres Abenteuers von dieser Nacht keine Nachforschungen anstellen? Sie haben nicht daran gedacht, daß, wenn man nur den geringsten Verdacht auf Sie hatte, nichts leichter sein würde, als eine Zeile von Ihrer Handschrift zu fordern? Aber seien Sie so dumm Sie wollen und stehlen Sie so unverschämt, als sie wollen, das Geld, das Ihnen Herr Jackal gibt! Setzen Sie sich, Herr Graf Ercolano ***, und hören Sie mich!«
Gibassier hatte den Anfang dieser Rede mitwachsendem Erstaunen gehört. Als er sah welche Dummheit er begangen, da er Salvator eine Empfangsbescheinigung von seiner Handschrift gegeben, hatte er sie ihm wieder entreißen wollen und eine Bewegung gemacht, um sich auf ihn zu stürzen: Salvator jedoch, der Alles voraussah, hatte auch diese Bewegung geahnt, denn er zog ein geladenes Pistol aus seiner Tasche, das er dem Galeerensclaven auf die Brust setzte, während er zu gleicher Zeit zu ihm sagte: »Herr Graf Ercolano *** setzen Sie sich und hören Sie mich..«
Gibassier, welcher bei seinem nächtlichen Kampfe mit Jean Taureau entwaffnet worden und überhaupt mehr Mann der List als der Gewalt war, glaubte bei dem Befehle Salvator’s keine andere Parthie ergreifen zu können, als zu gehorchen und fiel mehr auf einen Stuhl, als dass er sich setzte, während sein blasses Gesicht von Schweiß triefte.
Gibassier begriff, daß er wie der Marschall von Villeroy bei der Periode des Lebens angekommen war, wo das Glück uns verläßt und man nichts als Niederlagen zu erwarten hat.
Salvator trat aus die andere Seite des Tisches setzte sich gegenüber von Gibassier und eröffnete das Gespräch wieder, während er mit seinem Pistole spielte:
»Sie wurden wegen erhärteter Diebstähle und Fälschungen zum Bagno verurtheilt und hätten wegen Mords zum Tod verurtheilt werden sollen; da der Mord jedoch nicht bewiesen worden, so sind Sie dem Tode entgangen. Der Mord wurde in einem verpönten Hause der Rue Froidmanteau an einem Manne aus der Provinz Namens Cloude Vincent vollbracht; die Mitschuld traf die Zwergin Bebe und Mademoiselle Fisine; ich kann beweisen, daß Sie es sind, der den ersten Streich geführt, einen Streich mit dem Feuerbock, der den Unglücklichen ohnmächtig zu Boden warf, und da ihm der Garaus durch die beiden liederlichen Frauenzimmer gemacht wurde, von denen die Eine aus einem andern Grunde bereits in den Händen der Justiz ist, während die Andere Ihnen diesen Morgen die fünfmal hunderttausend Franken zurückbrachte, die Sie der Gräfin Rappt gestohlen haben, so kann ich Sie Morgen, Sie und Modemoiselle Fisine, in Hände liefern, aus denen Herr Jackal, so mächtig er ist, sich wohl hüten wird, Sie zu befreien . . . Glauben Sie, daß ich diese Macht habe, und daß Sie Gefahr laufen, wenn Sie mir nicht in Allem zu Diensten sind?«
»Ich glaube es,« murmelte Gibassier traurig.
»Warten Sie, wir sind noch nicht zu Ende.«
»Einige Tage später entkamen Sie aus dem Bagno, Sie entführten ein junges Mädchen aus einem Pensionat von Versailles, auf Befehl des Herrn Lorédan von Valgeneuse. Ihre Mitschuldigen nahmen Ihnen den Theil des Geldes, der Ihnen von dieser hübschen-Unternehmung zukam, und warfen Sie in einen Brunnen, aus dem Sie Herr Jackal zog; seit jenem Tage sind Sie seine ergebene Creatur, aber weder Sie, noch er konnten hindern, daß ich Mina Herrn von Valgeneuse entriß und sie in Sicherheit brachte. Sie sehen also, elender Schuft, daß ich gegen Sie zu kämpfen und selbst wider Ihren Willen zu siegen im Stande bin. Heute, das erkläre ich Ihnen, handelt es sich um eine noch ernstere Sache, als die Entführung eines jungen Mädchens, eine Sache, der ich, wenn es sein müßte, nicht nur die fünfmal hunderttausend Franken opferte, die ich Ihnen diese Nacht wieder abnehmen ließ, sondern selbst das Doppelte, das Dreifache, das Vierfache dieser Summe. Wehe Denen, die sich zwischen mich und mein Ziel stellen, ich werde sie wie Glas zerbrechen. Als mein Freund wird man Alles zu gewinnen, als mein Feind Alles zu verlieren haben. Hören Sie mich deshalb mit offenen Ohren an.«
»Ich höre.«
»Wenn läuft die Frist ab, welche dem Abbé Dominique für seine Reise nach Rom zugestanden worden?«,
»Sie ist heute abgelaufen.«
»Wenn soll Herr Sarranti hingerichtet werden?«
»Morgen Nachmittag um 4 Uhr.«.
Salvator erblaßte und schauerte unwillkürlich bei dieser Gewißheit, die ihm durch den abscheulichen Schurken wurde, mit dem er es zu thun hatte, aber er faßte sich wieder, wie ein Mensch. dem eine letzte Hoffnung übrig bleibt, und rasch ein anderes Gespräch anknüpfend, fragte Salvator:
»Sie kennen den Ehrenwerthen Herrn Gérard von Vanvres?«
»Er ist mein College und mein Freund,« antwortete Gibassier.
»Ich weiß das. Hat er Sie schon eingeladen, ihn auf dem Lande zu besuchen?«
»Niemals.«
»Der Undankbare! Wie, in diesen schönen Sommertagen ist ihm noch nicht mal die, Idee gekommen, einen Freund zu einem ländlichen Frühstück in sein Schloß in Vanvres einzuladen?«
»Die Idee ist ihm noch nie gekommen.«
»Und Sie würden, wenn die Gelegenheit sich Ihnen böte, ihn etwas für seine Undankbarkeit gegen Sie zu strafen, gewiß diese sich nicht entgehen lassen?«
»Wahrhaftig, nein, ich bin zu empfindlich dafür.«
»Nun gut, ich glaube, daß sich heute Ihnen diese Gelegenheit bietet.«
»Wirklich?«
»Herr Gérard ist soeben zum Maire von Vanvres ernannt worden.«
»Es gibt sehr glückliche Leute,« murmelte Gibassier, indem er einen Seufzer ausstieß.
»Gut!« sagte Salvator, »mit Geduld kann Ihnen dasselbe Glück zu Theil werden; Sie haben nur versucht, einen Mord zu begehen, Herr Gérard hat wirklich einen Mord begangen; Sie waren im Bagno; ihm ist bestimmt, in’s Bagno zu kommen, wenn nicht noch weiter. Wenn Sie denn, ein Opfer der Freundschaft, die Sie für ihn hegen, der modernen Zeit eines der großen Beispiele von Brüderlichkeit geben wollen, die uns das Alterthum überliefert, und wie, Nisus mit Ihrem Euryalus sterben . . . «
»Nein.«
»Ich glaube auch, daß es klüger ist. So müssen Sie Punkt für Punkt thun, was ich Ihnen sagen werde.«
»Und wenn ich es thue?«
»Werden Sie keine andere Gefahr laufen, als einem ehrlichen Manne eine gute That vollbringen helfen. Das ist freilich, wie ich weiß, nicht genug für einen so ängstlichen Geist, wie der Ihrige; aber indem Sie diesem ehrbaren Manne eine gute That vollbringen helfen, werden Sie wieder in den Besitz von zehntausend Franken kommen, die Sie verloren glaubten.«
»Ah, richtig, die zehntausend Franken, die ich meinem Pathen lieh!«
»Allerdings.«
»Wahrhaftig! Sie haben Recht, ich glaubte sie verloren.«
»Nun, sie sind es nicht, und der Beweis sind die zweitausend Franken, die Sie bereits in Ihre Tasche stecken können!« – Salvator übergab Gibassier die zweitausend Franken, welche auf dem Tisch lagen, – »und hier weitere dreitausend Franke die Sie zu den übrigen legen können.«
»Und für diese,« fragte Gibassier, »brauchen Sie keine Empfangsbescheinigung?«
»Sieh, sieh,« sagte Salvator-, »Sie sind ein Mann von Geist.«
»Ja, das ist’s, was mich zu Grunde richtet! Zu viel Phantasie, mein Herr, zu viel Phantasie. Aber fahren Sie fort; was muß ich thun? Wohin muß ich geben.«
»Nach Vanvres.«
»Da-s ist nicht weit.«
»Sie würden für viertausend Franken nach Heidelberg gegangen sein, Sie gehen wohl für zehntausend nach Vanvres.«
»Für fünftausend Franken.«
»Für zehntausend, natürlich unter der Bedingung, daß Sie die fünf weiteren erst erhalten, wenn Sie zurückkommen.«
»Ich bin bereit, nach Vanvres zu gehen; aber was muß ich in Vanvres thun?«
»Ich werde Ihnen das sagen. Zu Ehren seiner Ernennung zum Maire gibt Herr Gérard heute ein Diner von zwölf Couverts; er hat Sie nicht eingeladen, aus Furcht, es möchten dreizehn zu Tische sein und dies Unglück für ihn bedeuten.«
»Ich habe wirklich bemerkt, daß er sehr abergläubisch ist,« sagte Gibassier.
»Nun gut, es scheint mir, daß jetzt oder nie die Gelegenheit gekommen ist, ihm eine tüchtige Lection der Höflichkeit zu geben; was denken Sie davon?«
»Ich . . . ich denke nichts, ich verstehe Sie nicht.«
»Ich will deshalb so klar sein, als möglich. Ich sagte Ihnen doch, daß Herr Gérard, Ihr College, heute ein Dutzend Personen zum Diner habe, und unter anderen seinen Adjuncten, seinen Friedensrichter und drei oder vier Municipalräthe; nun gut, aus einem Grunde, den Ihnen zusagen unnütz wäre, muß ich wünschen, daß Herr Gérard mitten in der Mahlzeit eine oder zwei Stunden lang von demselben abwesend sei und . . . und, lieber Herr Gibassier, ich habe zur Ausführung dieses Planes auf Sie gezählt.«
»Auf welche Weise kann ich Sie unterstützen, Herr Salvator?«
»Auf eine sehr einfache Weise. Herr Gérard kann in seiner Lage gegenüber der Polizei sich nicht weigern, einem Befehle des Herrn Jackal zu gehorchen.«
»Das ist ganz unmöglich.«
»Gut denn, nehmen wir an, Herr Jackal befehle Herrn Gérard, sich augenblicklich und Altes liegen und stehend lassend nach dein Hotel Tete noire in St. Cloud zu begeben. Herr Gérard müßte sich doch augenblicklich an den Ort begeben, wo Herr Jackal ihn erwarten will.«
»Das ist ganz meine Ansicht.«
»Nun, so begreifen Sie auch die Sache. Sie begeben sich nach Vanvres zu Herrn Gérard, gerade in dem Momente, während er zu Tische sitzt, um halb sieben Uhr. Um die letzten schönen Tage zu benützten, setzt man sich um fünf Uhr und im Garten zu Tische. Sie kommen ungefähr bei den Entrements dort an; sie nähern sich ihm mit freundschaftlicher Miene, mit lächelndem Munde und sagen zu ihm: »Lieber College. Herr Jackal, unser gemeinschaftlicher Chef, bittet Sie, sich augenblicklich wegen einer höchst wichtigen Sache nach dem Hotel Tete noire in St. Cloud zu verfügen.«
»Und das ist Alles, was Sie von wir verlangen?«
»Durchaus Alles.«
»Das scheint mir ziemlich leicht; ich sage ziemlich und ich täusche mich doch.«
»Wie das?«
»Ja, denn ich werde den Zorn des Herrn Jackal auf mich laden. Lassen Sie sehen; sollte es kein vortheilhafteres Mittel geben, Herrn Gérard von seinem Hause wegzulocken?«
»Glauben Sie, mein lieber Herr Gibassier,« sagte Salvator, »wenn ich ein vortheilhafteres Mittel wüßte, wie Sie sich ausdrücken, »ich würde mich nicht beeilen, es Ihnen vorzuschlagen? aber es gibt kein besseres: denn bemerken Sie wohl, es handelt sich nicht bloß darum, Herrn Gérard aus seinem Hause zu locken, sondern ihn auch zwei Stunden fern von demselben zu halten. Drei Viertelstunden, um von Vanvres nach St. Cloud zu kommen, eine halbe Stunde, um vergeblich auf Herrn Jackal zuwarten, drei Viertelstunden, um zurückzukommen, machen gerade die zwei Stunden aus, die ich nöthig habe.«
»Sprechen wir nicht mehr davon, Herr Salvator, es wird geschehen, wie Sie es wünschen, obgleich ehrlich gesagt, ungern den Zorn meines Patrons errege.«
»Sie können das vermeiden: Sie verlassen Herrn Gérard nicht, Sie folgen ihm nach St. Cloud, Sie geben sich die Miene, als wenn Sie sich mit ihm über das Zögern des Herrn Jackal ärgerten; nach einer halben Stunde brechen Sie in ein Lachen aus und sagen zu ihm: »Nun, lieber Herr Gérard, was denken Sie von dem Streiche, den ich Ihnen gespielt-? Ha! Ha! Ha!« – »Welchem Streiche?« wird er fragen. – »Nun, ganz einfach, sagen Sie ihm, »ich habe durch die öffentliche Stimme erfahren, daß Sie ein kleines ländliches Fest auf Ihrer Villa in Vanvres geben; Sie erzeigten mir nicht mal die Freundschaft, mich einzuladen: ich fand diese Uebergehung unverzeihlich und ich habe mich durch diese Mystifizierung an Ihnen gerächt. Herr Jackal hatte nicht das Geringste mit uns zu schaffen, und ich habe keinen andern Auftrag von ihm, als Ihnen viele Empfehlungen von ihm zu sagen.« Dann machen Sie ihm Ihr Compliment und lassen ihn nach Belieben zu seinen Gästen heimkehren. Aus dieser Vorschrift werden Sie ersehen, daß Sie Niemandes Zorn gegen sich aufreizen, als vielleicht den des Herrn Gérard, und um diesen, glaube ich, werden Sie sich wenig kümmern.«
Gibassier sah Salvator mit Verwunderung an.
»Wahrhaftig,« sagte er, »Sie sind ein großer Mann, Herr Salvator, und wenn es nicht zu viel verlangen hielte, würde ich es mir zur hohen Ehre schätzen, Ihnen die Hand zu berühren.«
»Ja,« sagte Salvator, »Sie wollen sich versichern, nicht wahr, wie stark die Hand ist, die Sie berühren?Finden Sie sie klein und weiß, so glauben Sie, sie seie leicht in der Ihrigen zu zerbrechen? Noch ein Irrthum, von dem ich Sie befreien muß, lieber Herr Gibassier; ich verlange nur so viel Zeit, meinen Handschuh anzuziehen.«
Salvator setzte sein Pistol in Ruhe, steckte es in die Tasche, zog an seine rechte Hand einen dunkeln Handschuh, wie die Elegants sie Morgens tragen und bot Gibassier eine Hand, die keine Frauenhand um ihre Zartheit beneiden dürfte.
Gibassier, voll Vertrauen, ließ seine schwere Hand in die fallen, die ihm dargeboten wurde und suchte nun mit seinen knochigen Fingern zu umfassen.
Aber kaum hatten sich die beiden Hände berührt, als das Gesicht Gibassier’s lebhaftes Erstaunen auszudrücken begann, das nach und nach alle Nuancen wachsenden Schmerzes durchmachte, bis es endlich den höchsten Grad verzweiflungsvoller Pein erreichte.
»Ah! zum Teufel! tausend Donnerwetter! Sie zerbrechen mir ja die Hand,« rief er. »Gnade! Gnade! Gnade!«
Und er sank vor Salvator in die Kniee; der Handschuh war unter der Anstrengung, die er gemacht, zersprungen, aber das Gesicht Salvator’s behielt seinen lächelnden Ausdruck.
Salvator ließ die Hand los, die er in der seinen hielt, als des Blut aus den Nägeln hervorzuspringen begann .
»Als Verhaltungsmaßregel für Sie, Herr Gibassier, und den Gefahren vorzubeugen, in die Sie ihre Unwissenheit stürzen könnte, hielt ich es für geeignet, Ihnen zu beweisen, daß, wenn ich mich gegenüber von Ihnen einer Waffe bediente, es nur geschah um Sie meine derbste Weise kennen zu lehren; Sie wünschten, daß ich Ihnen die Ehre erzeige Ihnen eine Hand zu geben, erinnern Sie sich gefälligst recht lange der Ehre, die ich Ihnen erzeigt.«
»O, zum Teufel; ja, ich werde mich daran erinnern, das verspreche ich Ihnen,« sagte der Galeerensträfling, indem er mit seiner linken Hand die Finger seiner Rechten auseinander riß, die sich fest in einander gepreßt hatten. Ich werde mir diese Lection zu Nutzen machen, Herr Salvator, und Sie sollen sie nicht zu bereuen haben; ein Mensch, der so gut unterrichtet ist, wie ich, ist mindestens ihrer zwei werth.«
»Brechen wir ab.« sagte Salvator.
»Ihre letzten Befehle?«
»Um sechs ein halb werden Sie bei Herrn Gérard sein; Sie lassen ihn nicht früher als halb acht Uhr frei und Morgen früh kommen Sie, Ihre fünftausend Franken bei mir, Rue Macon, Nr. 7, abzuholen; dadurch wird Herr Petrus Ihr vergeblicher Pathe, für das, was Sie ihm gegeben haben, quitt sein.«
»Das genügt.«
»Merken Sie sich, daß Sie beim ersten Streich, den Sie mir spielen, ein Mann des Todes sind, sei es, daß ich, sei er, daß die Justiz den Act vollzieht.«
»Ich verspreche Ihnen, an nichts anderes zu denken, antwortete der Galeerensträfling, indem er sich demüthig vor Salvator verbeugte, der rasch die Treppe hinabschritt und Jean Taureau aufsuchte, welcher auf der Esplanade des Observatoriums zu suchen gegangen war.