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La San Felice

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Als er den Fürsten erblickte, stieß er einen Freudenschrei aus, warf sich ihm in die Arme und drückte ihn an sein Herz.

Der Fürst erwiederte diese Umarmung mit gewohnter Freundlichkeit, welche durch eine gewisse schwermüthige Zerstreutheit einen noch lebhafteren Ausdruck zu erhalten schien.

San Felice wollte sich mit ihm in das Haus hinein begeben, Caramanico aber, der vom Morgen bis zum Abend in seinem Cabinet gesessen, wollte nicht diese Gelegenheit versäumen, die durch den Orangenwald gewürzte Luft zu athmen.

Ein sanfter Wind wehte vom Meere her; der Himmel war rein, der Mond glänzte an demselben und spiegelte sich in dem Golf Caramanico zeigte auf eine am Stamme des Palmbaumes angebrachte Bank und beide nahmen auf derselben Platz.

Caramanico schwieg einen Augenblick, als ob er sich nicht sofort entschließen könnte, das Schweigen dieser ganzen stummen Natur zu stören. Endlich hob er mit einem Seufzer an:

»Mein Freund, ich komme um Dir Lebewohl zu sagen, vielleicht auf immer.«

San Felice erschrak und sah einen Freund an. Er glaubte nicht recht gehört zu haben. Der Fürst schüttelte wehmüthig den Kopf und fuhr mit dem Ausdruck tiefer Entmuthigung fort:

»Ich bin des Kampfes müde. Ich sehe ein, daß ich mit einem Gegner zu thun habe, der stärker ist als ich. Ein noch länger fortgesetzter Kampf würde mich vielleicht meine Ehre, ganz gewiß aber das Leben kosten.«

»Aber die Königin?«, fragte San Felice.

»Die Königin ist ein Weib, mein Freund,« antwortete Caramanico, »und folglich schwach und unbeständig. Sie sieht heute mit den Augen jenes irländischen Intriguanten, welcher, wie ich sehr fürchte, den Staat seinem Ruin entgegenführen wird. Möge der Thron fallen, aber nur ohne mich. Ich will nicht zu seinem Sturze beitragen – ich gehe.«

»Wohin?« fragte San Felice.

»Ich habe den Gesandtschaftsposten in London angenommen; es ist das eine ehrenvolle Verbannung. Ich nehme meine Frau und meine Kinder mit, denn ich will sie nicht den Gefahren aussetzen, welche ihnen hier drohen könnten. Dennoch aber gibt es eine Person, die ich in Neapel zurücklassen muß, und ich rechne auf Dich, daß Du mich bei ihr ersetzen wirst.«

»Bei ihr?« wiederholte der Gelehrte mit einem gewissen Grade von Unruhe.

»Sei unbesorgt, sagte der Fürst, indem er zu lächeln versuchte. »Es ist keine Dame, es ist ein Kind.«

San Felice athmete wieder auf.

»Ja,« fuhr der Fürst fort. »Mitten in meinen vielfachen Beschwerden und Mißlichkeiten tröstete mich eine junge Frau. Engel des Himmels, ist sie wieder in diesen emporgestiegen und hat mir eine lebende Erinnerung zurückgelassen – ein kleines Mädchen, welches so eben das fünfte Lebensjahr zurückgelegt hat.«

»Ich höre, sagte San Felice, »ich höre.«

»Ich kann diese Tochter weder als die meinige anerkennen, noch ihr eine sociale Stellung bereiten, weil sie während meiner Ehe geboren ist. Uebrigens weiß auch die Königin nichts von der Existenz dieses Kindes und darf auch nichts davon erfahren.«

»Wo ist die Kleine?«

»In Portici. Von Zeit zu Zeit laß ich mir sie bringen, zuweilen besuche ich sie. Ich liebe dieses unschuldige Wesen, welches, wie ich sehr fürchte, an einem unheilvollen Tage geboren ist. Ich schwöre Dir, San Felice – denn Du wirst es nicht glauben wollen – daß es mir weniger schwer ankommt, meinen Ministerposten niederzulegen und Neapel und mein Vaterland zu verlassen, als mich von diesem Kinder zu trennen, denn es ist wirklich und in der That das Kind meiner Liebe.«

»Auch ich liebe,« sagte der Chevalier in seiner einfachen, sanften Weise; »auch ich liebe, Caramanico.«

»Um so besser!« hob der Fürst wieder an, »denn ich habe auf Dich gezählt, daß Du meine Stelle bei ihr vertreten sollst. Ich will, daß sie ein unabhängiges Vermögen besitze. Hier ist eine auf deinen Namen ausgestellte Anweisung auf fünfzigtausend Ducaten. Diese Summe wird sich unter deiner Verwaltung in vierzehn bis fünfzehn Jahren schon durch die Anhäufung der Zinsen verdoppeln. Du wirft die Kosten der Erziehung meiner Tochter einstweilen aus deinen Mitteln bestreiten und später einmal, wenn sie mündig wird oder heiratet, Dich von ihrem Vermögen wiederbezahlt machen.

« »Caramanico!«

»Verzeihe, lieber Freund,« sagte der Fürst lächelnd. »Ich verlange einen Dienst von Dir und an mir ist es daher, meine Bedingungen zu stellen.«

San Felice senkte das Haupt.

»Solltest Du mich weniger lieben, als ich glaubte?« murmelte er.

»Nein, mein Freund,« hob Caramanico wieder an, »Du bist nicht blos der Mann, den ich am meisten liebe, sondern auch der, welchen ich am höchsten auf der Welt achte. Der Beweis hiervon ist, daß ich Dir den einzigen Theil meines Herzens lasse, welcher rein und unversehrt geblieben ist.«

»Mein Freund,« sagte der Gelehrte ein wenig zögernd, »ich möchte Dich um eine Gunst bitten, und wenn mein Verlangen Dir nicht unangenehm ist, so würde ich mich glücklich schätzen, wenn Du mir es gewährtest.«

»Worin besteht es?«

»Ich lebe allein, ohne Familie, beinahe ohne Freunde. Ich langweile mich niemals, weil es unmöglich ist, daß der Mensch sich langweile, während das große Buch der Natur aufgeschlagen vor seinen Augen liegt. Ich liebe im Allgemeinen Alles. Ich liebe das Gras, welches sich am Morgen unter der Last der Thautropfen wie unter einer allzuschweren Bürde beugt. Ich liebe diese Glühwürmer, welche ich suchte, als Du eintratest. Ich liebe den Käfer mit dem goldenen Flügel, in welchem sich die Sonne spiegelt, meine Bienen, welche mir eine Stadt bauen, meine Ameisen, welche mir eine Republik gründen, aber ich liebe nicht etwas mehr als das andere und ich werde von nichts zärtlich geliebt. Wenn es mir nun erlaubt wäre, deine Tochter hierher zu mir in mein Haus zu nehmen, so würde ich sie, dies fühle ich, mehr als alles Andere lieben und sie würde, sobald sie einsähe, wie sehr ich sie liebe, mich vielleicht auch ein wenig lieben. Die Luft des Pausilippo ist vortrefflich, die Aussicht, die ich von meinen Fenstern aus habe, ist prachtvoll. Deine Tochter hätte hier einen großen Garten, in welchem sie den Schmetterlingen nachlaufen könnte, Blumen, so viel sie deren zu pflücken wünschte, und Orangen, die sie mit dem Munde erreichen könnte. Sie würde heranwachsen wie diese Palme und zugleich die Anmuth und Kraft derselben besitzen. Sag, willst Du, daß dein Kind bei mir wohne, mein Freund?«

Caramanico betrachtete ihn mit Thränen in den Augen und billigte das, was er sagte, durch eine sanfte Bewegung des Kopfes.

»Und dann,« fuhr San Felice fort, denn er glaubte, sein Freund sei noch nicht hinreichend überzeugt, »und übrigens hat ein Gelehrter ja nichts zu thun. Ich werde mir es daher zum Vergnügen machen, deine Tochter zu unterrichten; ich werde sie Englisch und Französisch lesen und schreiben lehren. Ich weiß Vielerlei und bin weit unterrichteter, als man glaubt. Es macht mir Vergnügen, Wissenschaften zu treiben, aber es ist mir langweilig davon zu sprechen. Alle diese neapolitanischen Bücherwürmer, alle Akademiker von Herculanum, alle Wühler von Pompeji verstehen mich nicht und sagen, ich sei unwissend, weil ich mich nicht hochtrabender Worte bediene, sondern einfach von den Dingen der Natur und Gottes spreche. Es ist dies aber nicht wahr, Caramanico. Ich weiß wenigstens eben so viel und vielleicht noch mehr als diese Leute, darauf gebe ich Dir mein Ehrenwort. Du antwortet mir nicht, mein Freund?«

»Nein, ich höre Dich, San Felice; ich höre Dich und bewundere Dich. Du bist das auserwählte Geschöpf Gottes. Ja, Du wirst meine Tochter zu Dir nehmen. Sie wird Dich lieben lernen. Aber Du wirst ihr alle Tage von mir erzählen und sie lehren, daß nächst Dir ich es bin, dem sie auf Erden die meiste Liebe schuldig ist.«

»O wie gut Du bist!« rief der Chevalier, sich die Thränen trocknend. »Also, nicht wahr, Du sagtest, sie sei in Portici? Wie soll ich das Haus finden? Wie heißt sie? Du hast ihr doch hoffentlich einen hübschen Namen gegeben?«

»Freund,« sagte der Fürst, »hier ist ihr Name und die Adresse der Frau, in deren Obhut und Pflege sie sich befindet, eben so wie der Befehl an diese Frau, Dich in meiner Abwesenheit als den wirklichen Vater des Kindes zu betrachten. Leb wohl, San Felice,« sagte der Fürst, indem er sich erhob; »sei stolz, mein Freund. Du hast mir das einzige Glück, die einzige Freude, den einzigen Trost bereitet, welchen es mir erlaubt ist noch zu hoffen.«

Die beiden Freunde umarmten sich wie Kinder und weinten wie Frauen.

Am nächstfolgenden Tag reiste der Fürst Caramanico nach London ab und die kleine Luisa Molina bezog mit ihrer Wärterin das Haus des Palmbaumes.

Zweites Capitel.
Luisa Molina

Am Morgen des Tages, wo die kleine Luisa Molina die Stadt Portici verlassen sollte, sah man den Chevalier San Felice, welcher diese Mission keinem anderen Menschen anvertrauen wollte als sich selbst, die Runde durch die Spielwaarenläden der Toledostrafe machen und weiße Schafe, alleinlaufende Puppen und bewegliche Gliedermänner einkaufen, so daß Jeder, der die Nutzlosigkeit dieser Gegenstände für den würdigen Gelehrten kannte, glauben konnte, derselbe sei von irgend einem fremden Fürsten beauftragt, für dessen Kinder eine Sammlung von neapolitanischen Spielsachen in ihrer vollständigsten Ausdehnung zu besorgen.

Wer dies aber geglaubt hätte, würde doch nicht das Richtige getroffen haben, denn alle diese ungewohnten Einkäufe waren zum Zeitvertreib der kleinen Luisa Molina bestimmt.

Dann schritt man zur häuslichen Einrichtung. Das schönste Zimmer des Hauses, das, welches durch das eine Fenster die Aussicht auf den Golf und durch das andere in den Garten gewährte, ward den neuen Bewohnern überlassen.

Eine jene allerliebsten kleinen Bettstellen von Messing, welche man in Neapel so zierlich fertigt, ward neben das Bett der Wärterin gestellt und ein Mückennetz, welches unter der Aufsicht und der Angabe des gelehrten Chevalier gefertigt worden und welches die geschicktesten Combinationen der Angreifer vereiteln mußte, über dem Bett als ein durchsichtiges Zelt befestigt, welches die Kleine während des Schlafes vor allen Insektenstichen sicherstellte.

 

Einer jener Hirten, welche die Straße von Neapel mit Heerden von Ziegen durchziehen, die sie zuweilen bis in das fünfte Stockwerk der Häuser hinaufbringen, erhielt Befehl, alle Morgen vor der Thür Halt zu machen.

Man wählte aus seiner Heerde eine weiße Ziege, die schönste von allen, um ihre erste Milch der kleinen Luisa zu geben, und die so auserwählte Ziege erhielt sofort den mythologischen Namen Amalthea.

Nachdem der Chevalier auf diese Weise für den Zeitvertreib, die Bequemlichkeit und die materielle Ernährung der Kleinen alle nöthig erscheinenden Vorkehrungen getroffen, ließ er einen großen reich gepolsterten Wagen holen und fuhr damit nach Portici.

Die Uebersiedlung ward ohne irgend welchen Unfall ausgeführt und drei Stunden, nachdem San Felice nach Portici aufgebrochen, kleidete die kleine Luisa, nachdem sie von ihrer neuen Wohnung mit jener Begierde Besitz genommen, welche die Kinder bei einer derartigen Veränderung an den Tag zu legen pflegen, eine Puppe an und aus, die eben so groß war als sie selbst und eine so kostbare und mannigfaltige Garderobe besaß wie die der Madonna des Vescovato.

Viele Wochen, ja sogar viele Monate lang vergaß der Chevalier alle andern Wunder der Natur, um sich nur mit dem zu beschäftigen, welches er jetzt vor Augen hatte.

Was ist auch in der That eine Knospe, welche hervorbricht, eine Blume, welche sich öffnet, oder eine Frucht, welche reift, im Vergleich zu einem jungen Gehirn, welches, indem es sich entwickelt, jeden Tag eine neue Idee gebiert und der am Tage vorher geborenen ein wenig mehr Klarheit verleiht?

Dieser Fortschritt der Intelligenz des Kindes, welcher mit der Ausbildung der Organe gleichen Gang einhält, erweckte in dem Chevalier wohl einige Zweifel in Bezug auf die unsterbliche Seele, welche der Entwickelung der Organe ebenso unterworfen ist, wie die Blume und die Frucht des Baumes von dem Saft abhängen, während im Gegentheil diese selbe Seele, welche man so zu sagen hat geboren werden, groß wachsen und in der Jugend ihre Fähigkeiten erlangen und im reifen Alter dieselben gebrauchen sehen, sie unmerklich aber nichtsdestoweniger sichtbar in demselben Verhältniß verliert, wie diese Organe sich, indem sie alt werden, verhärten und abstumpfen, gerade so wie die Blumen von ihrem Wohlgeruch und die Früchte von ihrem Wohlgeschmack verlieren, wenn ihr Saft vertrocknet.

Wie alle großen Geister war der Chevalier San Felice von jeher ein wenig Pantheist und sogar psychologischer Pantheist gewesen. Indem er Gott zur Universalseele der Welt machte, betrachtete er die individuelle Seele wie etwas Ueberflüssiges. Dennoch bedauerte er sie, eben so wie er bedauerte, daß er nicht Flügel hatte wie der Vogel.

Dennoch grollte er nicht mit der Natur, weil sie an dem Menschen diese himmliche Ersparniß geübt.

Da er sich gezwungen sah, den Glauben an die Fortdauer des Lebens aufzugeben, so flüchtete er sich zu den Umgestaltungen desselben. Die Egypter legten in die Gräber ihrer geliebten Todten einen Käfer. Warum thaten sie das? Weil der Käfer, ebenso wie die Raupe, dreimal stirbt und dreimal wieder geboren wird.

Sollte Gott in seiner unendlichen Güte für den Menschen weniger thun als für das Insekt? So lautete der Ruf jenes Volkes, dessen zahlreiche Nekropolen ihre in geheiligte Binden gewickelten Leichname bis auf uns bewahrt haben.

Der Chevalier San Felice stellte sich allerdings die Frage, die ich mir stelle und die der Leser sicherlich auch sich selbst schon gestellt hat. Erinnert sich die Raupe des Eies? Erinnert sich die Puppe der Raupe? Erinnert sich der Schmetterling der Puppe? Und endlich, um den Kreislauf der Metamorphosen vollständig zu machen, erinnert sich , das Ei des Schmetterlings?

Ach, leider ist dies nicht wahrscheinlich! Gott hat dem Menschen nicht jenen Stolz der Erinnerung geben wollen, eben so wenig, als er ihn den Thieren gegeben hat. Von dem Augenblicke an, wo der Mensch sich dessen erinnern würde, was er gewesen, ehe er Mensch geworden, wäre er unsterblich.

Während der Chevalier alle diese Betrachtungen anstellte, wuchs Luisa heran. Sie hatte, ohne fast es selbst zu bemerken, lesen und schreiben gelernt und stellte auf französisch oder englisch alle Fragen, die sie zu thun hatte, denn der Chevalier hatte ihr ein für allemal begreiflich gemacht, daß er nur die Fragen beantworten würde, welche in einer oder der andern dieser Sprachen erfolgten.

Da nun die kleine Luisa sehr neugierig war und folglich sehr viel Fragen that, so verstand sie sehr bald nicht blos auf französisch und englisch zu fragen, sondern auch zu antworten.

Eben so lernte sie, ohne es zu bemerken, auch noch viele andere Dinge; von der Astronomie so viel, als ein weibliches Wesen wissen muß.

So zum Beispiel:

Luna scheint eine ganz besondere Vorliebe für den Golf von Neapel zu haben, wahrscheinlich weil sie, glücklicher als die Raupe, der Käfer und der Mensch, sich erinnert, früher die Tochter Jupiters und Latonas gewesen, auf schwimmender Insel geboren zu sein, sich Phöbe genannt und Endymion geliebt zu haben und weil sie kokett, wie sie in ihrer Eigenschaft als Dame ist, auf der ganzen Erde keinen helleren Spiegel findet, in welchem sie sich betrachten könnte, als eben den Golf von Neapel.

Luna, welche sie die Lampe des Himmels nannte, beschäftigte überhaupt die kleine Luisa sehr viel. Wenn das Gestirn voll war, so behauptete sie allemal, ein Gesicht darin zu sehen, und wenn es abnahm, so fragte sie, ob es Ratten im Himmel gebe und ob die Ratten da oben den Mond abnagten, wie sie eines Tages hienieden den Käse abgenagt hatten.

Der Chevalier, der sich freute, einem Kinde eine wissenschaftliche Demonstration machen zu müssen, fertigte, um ihr die Sache ihren Verstandeskräften gemäß angemessen zu veranschaulichen, selbst ein Modell von unserem Planetensystem.

Er zeigte ihr, wie der Mond, unser Trabant, neunundvierzigmal kleiner ist als die Erde. Er ließ ihn in einer Minute und unsere Welt den Kreislauf, zu welchem er siebenundzwanzig Tage sieben Stunden und dreiundvierzig Minuten braucht, und gleichzeitig die Umdrehung um sich selbst ausführen, die er in derselben Frist bewirkt.

Er zeigte ihr, daß der Mond bei diesem Umlaufe sich uns abwechselnd nähert und von uns entfernt, daß der fernste Punkt seines Kreislaufes das Apogäum oder die Erdferne heißt, und daß er dann einundneunzigtausend vierhundertundachtzehn Meilen von unserer Erde entfernt ist; daß sein nächster Punkt das Perigäum heißt und nur achtzigtausend und siebenundsiebzig Meilen entfernt ist.

Er erklärte ihr ferner, daß der Mond eben so wie die Erde nur deshalb leuchtet, weil er die Strahlen der Sonne zurückwirft, und daß wir deshalb nur den von der Sonne erleuchteten Theil, aber nicht den sehen können, auf welchen die Erde ihren Schatten wirft, was der Grund ist, daß wir ihn unter verschiedenen Phasen sehen.

Er versicherte ihr, daß das Gesicht, welches sie durchaus im Vollmond sehen wollte, nichts Anderes sei als die Unebenheiten des Mondbodens, die Tiefe der Thäler, worin der Schatten sich verdichtet, und die hervorragenden Gebirge, welche das Licht wiederspiegeln.

Eben so zeigte er ihr auf einem großen Plan unseres Trabanten, den man kürzlich auf der Sternwarte von Neapel gezeichnet, daß das, was sie für das Kinn des Mondes hielt, nichts Anderes war als ein Vulcan, der früher vor Jahrtausenden eben so Feuer ausgeworfen wie jetzt der Vesuv dessen auswarf, und erloschen war, wie der Vesuv einmal verlöschen wird.

Luisa verstand die erste Darlegung nicht, nach der zweiten und dritten aber begann es allmälig in ihrem Geiste zu tagen.

Eines Morgens, als man Tripel gekauft hatte, um ihre kleine hübsche Bettstelle blank zu putzen, sah Luisa den Chevalier eifrig beschäftigt, diesen röthlichen Staub im Mikroskop zu betrachten.

Auf den Fußspitzen schlich sie sich an ihn heran und fragte:

»Was betrachtest Du da, guter Freund San Felice?«

»Wenn ich bedenke, sagte der Chevalier mit sich selbst sprechend und zugleich Luisa's Frage beantwortend, »wenn ich bedenke, daß siebenundachtzig Millionen dieser Infusorien dazu gehören würden, um einen Gran zu wiegen.«

»Hundertsiebenundachtzig Millionen, was?« fragte die Kleine.

Diesmal war die Erklärung eine schwierige und der Chevalier nahm die Kleine auf das Knie und sagte:

»Die Erde, meine kleine Luisa, ist nicht immer das gewesen, was sie jetzt ist, wo wir sie mit Gras bewachsen, mit Blumen geschmückt und von Granat, Orangen- und Lorbeerrosenbäumen beschattet sehen. Ehe sie von den Menschen und den Thieren, welche Du siehst, bewohnt ward, war sie anfangs mit Wasser, dann mit großen Sümpfen, dann mit riesigen Palmbäumen bedeckt. Eben so wie die Häuser nicht von selbst entstanden sind, sondern haben gebaut werden müssen, ebenso hat Gott, der große Baumeister der Welten, auch die Erde bauen lassen. Ebenso nun, wie man Häuser von Steinen, Kalk, Sand und Ziegeln baut, so hat auch Gott die Erde aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt und eines dieser Elemente besteht aus kleinen unsichtbaren Thierchen, welche Schalen haben wie die Austern und Panzer wie die Schildkröten. Diese allein haben die Massen zu jener großen Gebirgskette in Peru geliefert, welche man die Cordilleren nennt. Die Apenninen in Mittelitalien, deren äußerste Gipfel Du von hier aus sieht, bestehen aus ihren Trümmern und die ungreifbaren Bruchstücke ihrer Schuppen sind es, welche diesem Messing, indem sie es glätten, erneuten Glanz geben.«

Und er zeigte auf ihre Bettstelle, welche eben von dem Diener geputzt ward.

Ein andermal, als Luisa einen schönen Korallenbaum sah, welchen ein Schiffer von Torre del Greco dem Chevalier gebracht, fragte sie, warum der Korallenbaum Aeste, aber keine Blätter habe.

Der Chevalier erklärte ihr hierauf, daß die Koralle nicht ein vegetabilisches Erzeugniß sei, wie sie glaube, sondern eine animalische Composition. Er erzählte ihr zu ihrem großen Erstaunen, daß Tausende von Polypen sich vereinigten, um mit dem Kalk, von dem sie leben und den die Gewalt der Wellen von den Felsen abreißt, erst diese Aeste zu bilden, welche, allmälig fester werdend, diese schöne hochrothe Farbe gewinnen, womit die Dichter die Lippen der Frauen vergleichen.

Er sagte ihr ferner, daß ein kleines Thier, welches er ihr einmal im Mikroskop zu zeigen versprach, durch Ausfüllung des leeren Raumes, welchen die Korallen zwischen sich lassen, um ganz Sicilien herum einen Gang, ein Trottoir, baut, während andere kleine Thierchen in der Südsee Inseln von dreißig Stunden im Umkreise entstehen lassen, welche sie durch Riffe miteinander in Verbindung bringen, welche später einmal der Schifffahrt bedeutende Hindernisse bereiten werden.

Nach dem, was wir hier mitgetheilt, kann man sich einen Begriff von der Ausbildung machen, welche die kleine, Luisa Molina von ihrem unermüdlichen und gelehrten Freund erhielt. Sie lernte auf diese anschauliche und klare Weise. Alles kennen, was sich überhaupt erklären läßt, so daß in ihrem Kopfe keiner jener unbestimmten Begriffe zurückblieb, welche sonst die Phantasie der Jugend zu beunruhigen pflegen.

Ganz wie San Felice seinem Freund versprochen, wuchs sie schlank und kräftig heran gleich dem Palmbaum, an dessen Fuße die meisten dieser Erklärungen stattgefunden hatten.

Der Chevalier San Felice stand mit dem Fürsten Caramanico in fortwährendem Briefwechsel. Zweimal monatlich gab er ihm Nachricht über Luisa, welche ihrerseits jedem Briefe ihres Lehrers und Pflegevaters einige Worte an ihren Vater hinzufügte.

Gegen das Jahr 1790 kam Fürst Caramanico als Gesandter von London nach Paris, als aber Toulon von den Royalisten an die Engländer ausgeliefert ward und die Regierung des Königreiches beider Sicilien, ohne sich jedoch zu Mr. Pitts Verbündetem zu erklären, Truppen gegen Frankreich schickte, verlangte Caramanico, zu loyal, um die ihm angewiesene Stellung länger einnehmen zu wollen, seine Zurückberufung.

Zu dieser Zurückberufung wollte Acton sich um keinen Preis verstehen, wenigstens sollte Caramanico nicht wieder nach Italien zurück. Deshalb ließ er ihn an die Stelle des kürzlich verstorbenen Marquis Caraccioli zum Vicekönig von Sicilien ernennen.

Der Fürst begab sich auf seinen Posten, ohne Neapel zu berühren.

Die Intelligenz und angeborne Herzensgüte des Fürsten Caramanico, der nun das schöne Land, welches man Sicilien nennt, zu regieren hatte, bewirkten hier sehr bald förmliche Wunder und zwar gerade in dem Augenblick, wo durch den verderblichen Einfluß Actons und Carolinens, nach entgegengesetzter Richtung hin gedrängt, Neapel mit Riesenschritten seinem Verderben entgegenging, wo die Gefängnisse mit den berühmtesten und angesehensten Bürgern sich füllten, wo die Staatsjunta die Wiedereinführung der seit dem Mittelalter abgeschafften Tortur verlangte und die Hinrichtung Emanueles de Deo, Vitalianos und Gaglianis, das heißt dreier Kinder, anbefahl.

 

Die Neapolitaner verglichen die Schrecknisse, inmitten deren sie lebten, die über ihren Häuptern schwebenden Proscriptions- und Todesstrafen mit dem Loose der Sicilianer und den schutzgewährenden väterlichen Gesetzen, nach welchen diese regiert wurden. Da sie die Königin nur leise anzuklagen wagten, so klagten sie laut ihren Minister Acton an, maßen Alles der Schuld des Ausländers bei und machten aus ihrem Wunsche, daß ebenso wie Acton früher Caramanico verdrängt, jetzt Caramanico jenen verdrängen möchte, kein Hehl.

Man sagte noch mehr. Man sagte, daß die Königin in der süßen Erinnerung an ihre erste Liebe den Wunsch der Neapolitaner theile und, wenn sie sich nicht durch falsche Scham abhalten ließe, sich ebenfalls für Caramanico erklären würde.

Diese Gerüchte gewannen eine Consistenz, welche hätte glauben lassen können, es gäbe in Neapel ein Volk und dieses Volk habe eine Stimme, als eines Tages der Chevalier San Felice von einem Freund einen Brief erhielt, welcher folgendermaßen lautete:

»Freund!

»Ich weiß nicht, was mit mir vorgeht. Seit zehn Tagen erbleicht mein Haar und fällt aus; meine Zähne zittern im Zahnfleisch und lösen sich aus ihren Höhlen. Eine unüberwindliche Mattigkeit, eine totale Niedergeschlagenheit hat sich meiner bemächtigt. Mache Dich, sobald Du diesen Brief erhalten hat, auf den Weg nach Sicilien und beeile Dich anzukommen, ehe ich todt bin.

»Dein Giuseppe.«

Dies geschah gegen das Ende des Jahres 1795. Luisa zählte jetzt neunzehn Jahre und hatte ihren Vater seit vierzehn Jahren nicht gesehen. Sie erinnerte sich seiner Liebe, aber nicht seiner Person. Das Gedächtniß ihres Herzens war treuer gewesen als das ihrer Augen.

San Felice offenbarte ihr nicht sogleich die ganze Wahrheit. Er sagte ihr blos, ihr Vater, welcher leidend sei, wünsche sie zu sehen.

Dann eilte er nach dem Hafendamm, um dort eine Ueberfahrtgelegenheit zu suchen.

Glücklicherweise stand eines jener leichten Fahrzeuge, welche man Speronare nennt, nachdem es Passagiere nach Neapel gebracht, im Begriff leer nach Sicilien zurückzukehren.

Der Chevalier miethete es auf einen Monat, um wegen der Rückreise ohne Sorgen sein zu können, und reiste noch denselben Tag mit Luisa ab.

Alles begünstigte diese traurige Reise. Das Wetter war schön, der Wind war günstig. Nach Verlauf von drei Tagen ging man in dem Hafen von Palermo vor Anker.

Bei dem ersten Schritt, den der Chevalier und Luisa in die Stadt thaten, war es ihnen, als träten sie in eine Todtenstadt.

Eine Atmosphäre der Trauer lag über den Straßen und ein schwarzer Schleier schien die Stadt einzuhüllen, welche sich selbst »die Glückliche« nennt.

Eine Prozession versperrte ihnen den Weg. Man trug die Reliquien der heiligen Rosalia nach der Kathedrale zurück.

Sie kamen vor einer Kirche vorbei. Dieselbe war schwarz ausgeschlagen und man sprach darin das Gebet für die Sterbenden.

»Was gibt es denn?« fragte der Chevalier einen Mann, der in die Kirche wollte. »Warum zeigen alle Palermitaner so betrübte, verzweifelte Mienen?«

»Ihr seid wohl kein Sicilaner?« fragte der Mann.

»Nein, ich bin von Neapel und komme daher.«

»Unser Vater liegt im Sterben,« sagte der Sicilianer.

Und da die Kirche so voll war, daß er nicht mehr hineinkonnte, so kniete er auf die äußern Stufen nieder, und rief, indem er sich auf die Brust schlug, laut:

»Heilige Mutter Gottes, biete mein Leben deinem göttlichen Sohn, wenn das Leben eines armen Fischers wie ich das Leben unseres vielgeliebten Vicekönigs erkaufen kann.«

»Ha!« rief Luisa, »Hörst Du, mein Freund? Mein Vater ist es, für den man betet! Mein Vater ist es, welcher im Sterben liegt. Eilen wir! eilen wir!«

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