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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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LXXXI
Das Versprechen

Als die Königin in ihr Zimmer zurückkam, sank sie aus ein Canapé und hieß Charny durch einen Wink die Thüre hinter ihm zumachen.

Zum Glück war das Bondoir, in das sie eintrat, verlassen, da Gilbert ohne Zeugen mit der Königin zu sprechen verlangt hatte, um ihr zu sagen, was vorgefallen, und ihr die letzte Ermahnung von Mirabeau zu übergeben.

Kaum saß sie, da überströmte ihr zu volles Herz, und sie brach in ein Schluchzen aus.

Dieses Schluchzen war so stark und so wahr, daß es aus der Tiefe des Herzens von Charny die Ueberreste seiner Liebe hervorrief.

Wir sagen die Ueberreste seiner Liebe, denn wenn eine Leidenschaft der ähnlich, welche wir entstehen und groß werden sahen, im Herzen eines Mannes geglüht hat, so erlischt sie, wenn sie nicht einen von den erschrecklichen Stößen, welche den Haß aus die Liebe folgen lassen, erleidet, nie völlig.

Charny befand sich in jener seltsamen Lage, welche nur diejenigen allein, die sich in einer ähnlichen Lage befunden haben, zu schätzen vermögen: er hatte zugleich eine alte und eine neue Liebe in sich.

Er liebte schon Andrée mit der ganzen Flamme seines Herzens.

Er liebte noch die Königin mit dem ganzen Mitleid seiner Seele.

Bei jedem Zerreißen dieser armen Liebe, einem Zerreißen verursacht durch den Egoismus, daß heißt, durch das Uebermaß dieser Liebe, hatte er sie, so zu sagen, im Herzen der Frau bluten gefühlt, und jedes Mal hatte er, während er diesen Egoismus begriff, wie alle diejenigen, für welche eine vergangene Liebe eine Last wird, nicht die Kraft gehabt, sie zu entschuldigen.

Und dennoch, so oft dieser so wahre Schmerz vor ihm ohne Anschuldigung und ohne Vorwürfe ausbrach, maß er die Tiefe dieser Liebe, erinnerte er sich, wie viel menschliche Vorurtheile, wie viel gesellschaftliche Pflichten diese Frau für ihn verachtet hatte, und über diesen Abgrund geneigt, konnte er sich nicht enthalten, ebenfalls eine Thräne des Bedauerns und ein Wort des Trostes darein fallen zu lassen.

Doch drang durch das Schluchzen der Vorwurf durch, doch traten durch die Thränen die Anschuldigungen an den Tag, dann erinnerte er sich aus der Stelle der Ansprüche dieser Liebe, dieses unumschränkten Willens, dieses königlichen Despotismus, der sich unablässig mit den Ausdrücken der Zärtlichkeit, mit den Beweisen der Leidenschaft vermischt hatte; er stemmte sich gegen die Ansprüche, er bewaffnete sich gegen den Despotismus, er trat in den Kampf gegen diesen Willen, er verglich damit das unstörbare Antlitz von Andrée und fing an diese Natur ganz von Eis, wie er glaubte, mit dem Bilde der Leidenschaft zu vergleichen, das immer bereit war, durch die Augen Blitze seiner Liebe, seiner Leidenschaft oder seines Stolzes zu schleudern.

Dies Mal weinte die Königin, ohne etwas zu sagen.

Es waren mehr als acht Monate vergangen, daß sie Charny nicht mehr gesehen. Getreu dem Versprechen, das er dem König gegeben, hatte sich der Graf während dieser Zeit Niemand geoffenbart. Die Königin war also unwissend über diese Existenz geblieben, welche so innig mit der ihrigen verbunden, daß sie zwei oder drei Jahre lang geglaubt hatte, man könne die eine von der andern nur dadurch trennen, daß man beide breche.

Und Charny hatte sich doch von ihr getrennt, ohne ihr zu sagen, wohin er ging. Nur wußte sie ihn, und das war ihr einziger Trost, im Dienste des Königs verwendet; so daß sie sich sagte: »Indem er für den König arbeitet, arbeitet er auch für mich; er ist also, wollte er mich vergessen, genöthigt, an mich zu denken.«

Doch er war ein schwacher Trost, dieser Gedanke, der ihr durch einen Gegenschlag zukam, während er so lange ihr allein gehört hatte; als sie plötzlich Charny in dem Augenblick wiedersah, wo sie ihn am wenigsten wiederzusehen erwartete, als sie ihn hier beim König bei seiner Rückkehr fast an demselben Orte wiederfand, wo sie ihn am Tage seiner Abreise getroffen, – oh! alle Schmerzen, die ihre Seele gepeinigt, alle Gedanken, die ihr Herz gequält, alle Thränen, die ihre Augen während der langen Abwesenheit des Grafen versengt hatten, überströmten da auch mit einander stürmisch ihre Wangen und erfüllten ihre Brust mit allen Bangigkeiten, die sie verschwunden, mit allen Schmerzen, die sie vorübergegangen glaubte.

Sie weinte, um zu weinen: ihre Thränen hätten sie erstickt, wären sie nicht nach außen entflossen.

Sie weinte, ohne ein Wort zu sprechen. War das Freude? war es Schmerz?  . . .  Vielleicht vom Einen und vom Andern: jede mächtige Gemüthsbewegung faßt sich in Thränen zusammen.

Ohne etwas zu sagen, doch mit mehr Liebe, als Ehrfurcht, näherte sich auch Charny der Königin, machte er eine von den Händen los, mit denen sie ihr Gesicht bedeckte, drückte seine Lippen auf diese Hand und sprach dann:

»Madame, ich bin glücklich und stolz, Sie versichern zu können, daß, seit dem Tage, an welchem ich von Ihnen Abschied genommen, keine Stunde vergangen ist, in der ich mich nicht mit Ihnen beschäftigt habe.«

»Oh! Charny, Charny!« erwiderte die Königin, »es gab eine Zeit, wo Sie sich vielleicht weniger mit mir beschäftigt, aber mehr an mich gedacht hätten.«

»Madame, der König hatte mir eine schwere Verantwortlichkeit auferlegt; diese Verantwortlichkeit gebot mir völliges Stillschweigen bis zu dem Tage, wo meine Sendung erfüllt wäre. Sie ist es heute erst. Heute darf ich Sie wiedersehen, darf ich Sie sprechen, während ich Ihnen bis heute nicht einmal schreiben konnte.«

»Sie haben da ein schönes Beispiel von Redlichkeit gegeben, Olivier,« sagte schwermüthig die Königin, »und ich bedaure bloß Eines: daß Sie es nur auf Kosten eines andern Gefühls geben konnten.«

»Madame,« sprach Charny, »gestatten Sie, da ich vom König hierzu die Erlaubniß erhalten habe, daß ich Sie von dem, was ich für Ihr Wohl gethan, unterrichte.«

»Oh! Charny, Charny!« rief die Königin, »haben Sie mir denn nichts Dringenderes zu sagen?«

Und sie drückte zärtlich dem Grafen die Hand und schaute ihn mit jenem Blicke an, für den er einst sein Leben geboten hätte, welches er immer noch, wenn nicht zu bieten, doch zu opfern bereit war.

Und während sie Charny so anschaute, sah sie ihn, nicht als bestaubten Reisenden, der eben aus einer Postchaise steigt, sondern als einen Hofmann voll Eleganz, der seine Ergebenheit allen Regeln der Etiquette unterworfen hat.

Diese so vollständige Eleganz, mit der die anspruchsvollste Königin hätte zufrieden sein können, beunruhigte die Frau sichtbar.

»Wann sind Sie denn angekommen?« fragte sie.

»Ich komme so eben an,« erwiderte Charny.

»Und Sie kommen?  . . . «

»Von Montmédy.«

»Also haben Sie die Hälfte von Frankreich durchreist?«

»Ich habe neunzig Meilen seit gestern Morgen gemacht.«

»Zu Pferde? im Wagen?«

»In einer Postchaise.«

»Wie geht es aber zu, daß Sie nach dieser langen und ermüdenden Reise, – entschuldigen Sie meine Fragen, Charny, – so gut gebürstet, lackirt, gekämmt sind, als ein Adjutant des General Lafayette, der vom Generalstabe käme? Die Nachrichten, die Sie gebracht haben, waren also nicht sehr wichtig?«

»Im Gegentheil, sehr wichtig, Madame; doch ich dachte, wenn ich im Hofe der Tuilerien mit einer mit Staub und Koth bedeckten Postchaise ankäme, so würde ich die Neugierde erregen. Der König sagte mir noch so eben, wie scharf Sie bewacht seien; und als ich dies hörte, wünschte ich mir Glück, daß ich so vorsichtig gewesen war, zu Fuße und in meiner Uniform zu kommen, wie ein einfacher Officier, der nach einer Abwesenheit von ein paar Wochen bei Hofe erscheint, um seine Ehrfurcht zu bezeigen.«

Die Königin drückte Charny krampfhaft die Hand; man sah, daß ihr noch eine letzte Frage zu machen blieb, und daß sie nur mehr Schwierigkeit halte, diese Frage zu bilden, je wichtiger ihre Frage ihr dünkte.

Sie nahm auch eine andere Form des Fragens an und sagte mit erstickter Stimme:

»Ah ja, ich vergaß, daß Sie ein Absteigequartier in Paris haben.«

Charny bebte. Jetzt erst sah er den Zweck aller dieser Fragen.

»Ich, ein Absteigequartier in Paris?« versetzte er. »Wo denn, Madame?«

Die Königin erwiderte nach einer Anstrengung:

»In der Rue Coq-Héron. Wohnt nicht dort die Gräfin?«

Charny war nahe daran, aufzubrausen wie ein Pferd, das man mit dem Sporn in eine noch frische Wunde drückt; doch es lag in der Stimme der Königin ein solches Gefühl von Zaghaftigkeit, ein solcher Ausdruck von Schmerz, daß er Mitleid mit dem bekam, was sie, die so hoffartig, die so viel Selbstbeherrschung besaß, leiden mußte, um ihre Gemüthserschütterung in diesem Grade sehen zu lassen.

»Madame,« sprach er mit einem Tone tiefer Traurigkeit, der vielleicht nicht ganz durch das Leiden der Königin verursacht wurde, »ich glaubte die Ehre gehabt zu haben, Ihnen vor meiner Abreise zu sagen, daß das Haus von Frau von Charny nicht das meinige ist. Ich bin bei meinem Bruder, dem Vicomte Isidor von Charny, abgestiegen, und bei ihm habe ich die Kleider gewechselt.«

Die Königin that einen Freudenschrei, sank auf ihre Kniee, und zog die Hand von Charny an ihre Lippen.

Doch, eben so rasch als sie, faßte er sie unter beiden Armen, hob sie auf und rief:

»Oh! Madame, was machen Sie?«

»Ich danke Ihnen, Olivier,« erwiderte die Königin mit einer so sanften Stimme, daß Charny Thränen in seine Augen treten fühlte.

»Sie danken mir  . . . « sagte er. »Mein Gott! und wofür?«

»Wofür?, . . Sie fragen mich, wofür?« rief die Königin; »dafür, daß Sie mir den einzigen Augenblick vollständiger Freude gegeben, den ich seit Ihrer Abreise gehabt habe. Mein Gott! ich weiß, es ist etwas Tolles, Wahnsinniges, aber Bemitleidenswerthes um die Eifersucht. Sie sind auch zu einer Zeit eifersüchtig gewesen. Heute vergessen Sie es. Oh! die Männer, wenn sie eifersüchtig sind, sind sehr glücklich; sie können sich mit ihren Nebenbuhlern schlagen, sie tödten, oder getödtet werden. Doch die Frauen, sie können nur weinen, obgleich sie wahrnehmen, daß ihre Thränen vergeblich, gefährlich sind; denn wir wissen es wohl, daß unsere Thränen, statt denjenigen, für welchen wir sie vergießen, uns näher zu bringen, ihn häufig noch mehr von uns entfernen. Das ist aber der Schwindel der Liebe: man sieht den Abgrund, und statt sich davon zurückzuziehen, stürzt man sich darein. Ich danke Ihnen noch einmal, Olivier; Sie sehen, ich bin nun freudig, und ich weine nicht mehr.«

 

Und die Königin suchte in der That zu lachen, doch ihr Lachen, als hätte sie durch die Gewalt der Schmerzen die Freude verlernt, hatte einen so traurigen, so schmerzlichen Ton, daß der Graf darüber schauerte.

»Oh! mein Gott!« murmelte er, »ist es denn möglich, daß Sie so viel gelitten haben?«

Marie Antoinette faltete die Hände und sprach:

»Sei gepriesen, o Herr! denn an dem Tage, wo er meinen Schmerz begreift, wird er nicht die Stärke haben, mich nicht mehr zu lieben.«

Charny fühlte, wie es ihn auf einem Abhange hinzog, wo es ihm in einem gegebenen Augenblicke unmöglich wäre, sich zurückzuhalten. Er machte eine Anstrengung, wie jene Schlittschuhläufer, welche, um sich aufzuhalten, sich zurückbiegen, auf die Gefahr, das Eis zu brechen, auf dem sie hingleiten.

»Madame,« sprach er, »werden Sie mir denn nicht erlauben, die Frucht dieser langen Abwesenheit dadurch zu pflücken, daß ich Ihnen erkläre, was ich für Sie zu thun so glücklich gewesen bin?«

»Oh! Charny,« erwiderte die Königin, »was Sie mir so eben sagten, war mir viel lieber; doch Sie haben Recht: man muß die Frau nicht zu lange vergessen lassen, daß sie Königin ist. Sprechen Sie, Herr Gesandter: die Frau hat Alles erhalten, was sie zu erwarten berechtigt war; die Königin hört Sie.«

Da erzählte ihr Charny Alles: wie er zu Herrn von Bouillé geschickt worden; wie der Graf Louis nach Paris gekommen; wie er, Charny, Busch für Busch, die Straße aufgenommen, aus der die Königin fliehen sollte; wie er endlich zurückgekehrt, um dem König zu melden, daß gewisser Maßen nur noch der materielle Theil des Planes in Ausführung zu bringen sei.

Die Königin hörte Charny mit großer Aufmerksamkeit und zugleich mit tiefer Dankbarkeit an. Es schien ihr unmöglich, daß die einfache Ergebenheit so weit gehe. Die Liebe, und zwar eine glühende, ängstliche Liebe allein, konnte diese Hindernisse vorhersehen und die Mittel ersinnen, welche sie bekämpfen und überwinden sollten.

Sie ließ ihn daher bis zum Ende sprechen. Dann, als er geendigt hatte, fragte sie Charny, indem sie ihn mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Zärtlichkeit anschaute:

»Sie werden also sehr glücklich sein, mich gerettet zu haben, Charny?«

»Oh!« rief der Graf, »Sie fragen mich das, Madame? Das ist der Traum meines Ehrgeizes, und wenn es mir gelingt, so wird es der Ruhm meines Lebens sein!«

»Ich würde es viel mehr vorziehen, wenn es ganz einfach der Lohn Ihrer Liebe wäre,« sprach schwermüthig die Königin. »Doch gleichviel  . . .  Nicht wahr, es ist Ihr glühender Wunsch, daß dieses große Werk der Rettung den Königs, der Königin und des Dauphin von Frankreich durch Sie vollführt werde?«

»Ich erwarte nur Ihre Einwilligung, um diesem Werke mein Dasein zu weihen.«

»Ja, ich begreife, mein Freund, diese Hingebung muß rein sein von jedem fremden Gefühle, von jeder materiellen Zuneigung. Es ist unmöglich, daß mein Gemahl und meine Kinder durch eine Hand gerettet werden, die es nicht wagen würde, sich gegen sie auszustrecken, um sie zu stützen, zu halten, würden sie aus dem Wege, den wir mit einander zu durchlaufen haben, ausgleiten. Ich übergebe Ihnen ihr Leben und das meinige, mein Freund; doch nicht wahr, Sie werden auch Mitleid mit mir haben?«

»Mitleid mit Ihnen, Madame?«

»Ja. Sie werden nicht wollen, daß in den Augenblicken, wo ich meine ganze Stärke, meinen ganzen Muth, meine ganze Geistesgegenwart nöthig haben werde, – eine tolle Idee vielleicht, doch es gibt Leute, die sich nicht in die Nacht hinaus wagen, aus Furcht vor Gespenstern, während sie, wenn der Tag gekommen ist, einsehen, daß es keine gibt, – Sie werden nicht wollen, daß Alles vielleicht verloren ist durch den Mangel eines Versprechens, eines gegebenen Worts? Sie werden das nicht wollen?  . . . «

Charny unterbrach die Königin:

»Madame, ich will das Heil Eurer Majestät; ich will das Glück Frankreichs; ich will den Ruhm, das Werk zu vollenden, das ich begonnen habe, und ich gestehe, ich bin in Verzweiflung, daß ich Ihnen nur ein so schwaches Opfer zu bringen habe: ich schwöre Ihnen, Frau von Charny nur mit der Erlaubniß Eurer Majestät zu sehen.«

Und er verbeugte sich ehrerbietig und kalt vor der Königin und entfernte sich, ohne daß diese, in Eis verwandelt durch den Ton, mit den, er die letzten Worte gesprochen, ihn zurückzuhalten suchte.

Doch kaum hatte er die Thüre hinter sich geschlossen, als Marie Antoinette, die Hände ringend, voll Schmerz ausrief:

»Oh! wie viel mehr würde es mich beglücken, wenn ich es wäre, welche er nicht mehr zu sehen geschworen hätte, und wenn er mich liebte, wie er sie liebt!  . . . «

LXXXII
Doppeltes Gesicht

Auf dem daraus folgenden 19, Juni, gegen acht Uhr Morgens, ging Gilbert mit großen Schritten in seiner Wohnung in der Rue Saint-Honoré auf und ab; von Zeit zu Zeit trat er ans Fenster und neigte sich hinaus wie ein Mensch, der mit Ungeduld Jemand erwartet, den er nicht kommen sieht.

Er hielt in der Hand ein viereckig zusammengelegtes Papier mit Buchstaben und Siegeln, welche von der andern Seite, wo sie ausgedruckt waren, durchschienen. Es war ohne Zweifel ein Papier von großer Wichtigkeit, denn zwei- oder dreimal während dieser ängstlichen Minuten der Erwartung entfaltete es Gilbert, las es, legte es wieder zusammen, um es abermals zu öffnen und abermals zusammenzulegen.

Endlich machte das Geräusch eines Wagens, der vor der Thüre hielt, daß er in aller Eile nach dem Fenster lief; doch es war zu spät: derjenige, welchen der Wagen gebracht hatte, befand sich schon im Gange.

Gilbert zweifelte indessen offenbar nicht an der Identität der Person, denn er stieß die Thüre des Vorzimmers auf und rief:

»Bastian, öffnen Sie dem Herrn Grafen von Charny, den ich erwarte.«

Und zum letzten Male entfaltete er das Papier, das er eben wieder las, als Bastian, statt den Grafen von Charny zu melden, den Herrn Grafen von Cagliostro meldete.

Dieser Name war zu dieser Stunde so fern vom Geiste Gilberts, daß er schauerte, als wäre ein Blitz, ihm den Donner verkündigend, vor seinen Augen vorübergezogen.

Er legte rasch das Papier wieder zusammen und verbarg es in der Seitentasche seines Rockes.

»Der Herr Graf von Cagliostro!« wiederholte er, noch ganz erstaunt über die Meldung.

»Ei! mein Gott, ja, ich selbst, mein lieber Gilbert.« sagte der Graf; »nicht mich erwarteten Sie, ich weiß es wohl, sondern Herrn von Charny; doch Herr von Charny ist beschäftigt, ich werde Ihnen sogleich sagen, womit, so daß er kaum vor einer halben Stunde kommen kann; als ich dies sah, sagte ich, bei meiner Treue, zu mir selbst: »»Da ich mich im Quartier befinde, so will ich einen Augenblick zum Doctor Gilbert hinausgehen.«« Ich hoffe, daß Sie mich, weil Sie mich nicht erwarteten, doch darum nicht minder gut empfangen werden.«

»Lieber Meister,« erwiderte Gilbert, »Sie wissen wohl, daß zu jeder Stunde des Tags und der Nacht zwei Thüren für Sie geöffnet sind: die Thüre des Hauses und die Thüre des Herzens.«

»Ich danke, Gilbert. Eines Tags wird es mir vielleicht auch vergönnt sein, Ihnen zu beweisen, in welchem Grade ich Sie liebe; ist dieser Tag gekommen, so wird der Beweis nicht auf sich warten lassen. Doch plaudern wir nun.«

»Und worüber?« fragte Gilbert lächelnd, denn die Gegenwart von Cagliostro kündigte ihm immer ein neues Erstaunen an.

»Worüber?« wiederholte Cagliostro. »Nun, über das, was das Modegespräch ist, über die nahe bevorstehende Abreise des Königs.«

Gilbert fühlte sich vom Scheitel bis zu den Zehen schaudern, doch das Lächeln verschwand nicht einen Augenblick von seinen Lippen, und durch seine Willenskraft, wenn er auch den Schweiß nicht verhindern konnte, an der Wurzel seiner Haare zu perlen, verhinderte er doch wenigstens die Blässe, auf seinen Wangen zu erscheinen.

»Und da wir einige Zeit zu plaudern haben werden, insofern diese Sache Stoff bietet, so will ich mich setzen,« fügte Cagliostro bei.

Und er setzte sich in der That.

Als indessen die erste Bewegung des Schreckens vorüber war, bedachte Gilbert, daß, wenn ein Zufall Cagliostro zu ihm geführt hatte, dieser Zufall wenigstens providentiell war. Cagliostro, der keine Geheimnisse für ihn zu haben pflegte, würde ihm ohne Zweifel Alles erzählen, was er von dieser Abreise des Königs und der Königin wüßte, von der er ihm ein Wert gesagt.

»Nun,« sprach Cagliostro, als er sah, daß Gilbert wartete, »für Morgen ist es also bestimmt?«

»Liebster Meister,« erwiderte Gilbert, »Sie wissen, daß es meine Gewohnheit ist, Sie bis zum Ende reden zu lassen; selbst wenn Sie sich irren, ist immer etwas für mich zu lernen, und zwar nicht allein in einer Rede, sondern auch in einem Worte von Ihnen.«

»Und worin habe ich mich bis jetzt geirrt, Gilbert? Etwa, als ich Ihnen den Tod von Favras prophezeite, den zu verhindern ich indessen im gegebenen Augenblicke Alles, was ich konnte, gethan habe? Etwa, als ich Sie daraus aufmerksam machte, daß der König selbst gegen Mirabeau intriguire, und daß Mirabeau nicht zum Minister ernannt werde? Etwa, als ich Ihnen sagte, Robespierre werde das Schafott von Karl I. und Buonaparte den Thron von Karl dem Großen wiedererrichten? Was dies betrifft. so können Sie mich des Irrthums beschuldigen, denn die Zeiten sind noch nicht abgelaufen, und von diesen Dingen gehören die einen dem Ende dieses Jahrhunderts und die andern dem Anfange des nächsten an. Heute aber, mein lieber Gilbert, wissen Sie besser als irgend Jemand, daß ich die Wahrheit spreche, wenn ich Ihnen sage, der König soll in der Nacht von morgen fliehen, da Sie Einer der Agenten dieser Flucht sind.«

»Wenn dem so ist,« erwiderte Gilbert, »so erwarten Sie nicht von mir, daß ich es Ihnen gestehe, nicht wahr?«

»Brauche ich Ihr Geständniß? Es ist Ihnen wohl bekannt, nicht nur, daß ich Derjenige bin, welcher ist, sondern auch, daß ich Derjenige bin, welcher weiß

»Aber wenn Sie Derjenige sind, welcher weiß, so wissen Sie, daß die Königin gestern zu Herrn von Montmorin in Betreff der Weigerung von Madame Elisabeth am Sonntag dem Fronleichnamsfeste beizuwohnen, gesagt hat: »»Sie will nicht mit uns nach Saint-Germain-l’Auxerrois; sie betrübt mich, sie könnte doch wohl dem König ihre Meinungen zum Opfer bringen,«« Wenn nun die Königin am Sonntag mit dem König in die Saint-Germain-l’Auxerrois-Kirche geht, so reisen sie morgen Nacht nicht ab oder sie machen wenigstens keine lange Reise.«

»Ja, aber ich weiß auch, daß ein großer Philosoph gesagt hat: »»Das Wort ist dem Menschen gegeben worden, um seine Gedanken zu verbergen.«« Und Gott ist nicht so exclusiv, um den Menschen allein ein so kostbares Geschenk gemacht zu haben.«

»Mein lieber Meister,« sagte Gilbert, der immer aus dem Boden des Scherzes zu bleiben suchte, »Sie kennen die Geschichte vom ungläubigen Apostel.«

»Welcher zu glauben anfing, als ihm Christus seine Füße und seine Hände gezeigt hatte. Wohl, mein lieber Gilbert, die Königin, die an alle ihre Beqnemlichkeiten gewöhnt ist und diese Bequemlichkeiten während ihrer Reise nicht vermissen will, obgleich diese Reise, wenn die Berechnung von Herrn von Charny richtig ist, nur fünfunddreißig bis sechsunddreißig Stunden dauern soll, die Königin hat bei Desbrosses in der Rue Notre-Dame des Victoires ein reizendes Necessaire ganz von Vermeil bestellt, von welchem man glaubt, es sei für ihre Schwester, die Erzherzogin Christine, Statthalterin der Niederlande, bestimmt. Das Necessaire, das erst gestern Morgen fertig wurde, ist gestern Abend in die Tuilerien gebracht worden; dies, was die Hände betrifft. Man fährt in einer großen, geräumigen Reiseberline, welche leicht sechs Personen faßt. Sie ist bei Louis, dem ersten Wagenmacher des Champs-Elysées, durch Herrn von Charny bestellt worden, der sich in diesem Augenblick bei ihm befindet und ihm hundert und zwanzig Louis d’or, das heißt, die Hälfte der vertragsmäßigen Summe, bezahlt. Man hat sie gestern mit vier Postpferden probiert, und sie hat vollkommen ausgehalten; Herr Isidor von Charny hat auch einen vortrefflichen Bericht darüber erstattet, dies, was die Füße betrifft. Endlich hat Herr von Montmorin, ohne zu wissen, was er unterzeichnete, diesen Morgen einen Paß für die Frau Baronin von Korff, ihre zwei Kinder, ihre zwei Kammerfrauen, ihren Intendanten und ihre drei Bedienten unterzeichnet. Frau von Korff ist Frau von Tourzel, Gouvernante der Kinder von Frankreich; ihre zwei Kinder sind Madame Royale und Monseigneur der Dauphin: ihre zwei Kammerfrauen sind die Königin und Madame Elisabeth; ihr Intendant ist der König; ihre drei Bedienten endlich, welche als Couriere gekleidet voranreiten und den Wagen begleiten sollen, sind Herr Isidor von Charny, Herr von Malden und Herr von Valory; dieser Paß ist das Papier, das Sie in der Hand hielten, als ich eintrat, das Sie zusammenfalteten und in Ihrer Tasche verbargen, als Sie mich erblickten; es ist in folgenden Worten abgefaßt:

 

»Im Namen des Königs,«

»Befehlen wir, die Frau Baronin von Korff mit ihren zwei Kindern, einer Kammerfrau, einem, Kammerdiener und drei Bedienten passiren zu lassen.

»Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten,

»Montmorin.«

Dies, was die Seite betrifft . . .  Bin ich gut unterrichtet, mein lieber Gilbert?«

»Abgesehen von einem kleinen Widerspruche zwischen Ihren Worten und der Abfassung des genannten Passes.«

»Nun?«

»Sie sagen, die Königin und Madame Elisabeth stellen die zwei Kammerfrauen von Madame Tourzel vor, und ich sehe auf dem Passe nur eine einzige Kammerfrau.«

»Ah! ja: wenn Sie in Bondy angekommen sind, wird Frau von Tourzel, welche glaubt, sie mache die Reise bis Montmédy mit, gebeten werden, auszusteigen. Herr von Charny, der ein zuverlässiger, vertrauter Mann ist, auf den man rechnen kann, wird an ihrer Stelle einsteigen und die Nase im Nothfall an den Kutschenschlag halten, um, wenn es sein muß, ein Paar Pistolen aus seiner Tasche zu ziehen. Die Königin soll dann Frau von Korff werden, und da außer Madame Royale, welche überdies zu den Kindern gehört, nur eine Frau, Madame Elisabeth, im Wagen sein wird, so war es unnöthig, auf den Paß zwei Kammerfrauen zu setzen. Wollen Sie nun noch andere Details? es sei, es fehlt nicht an solchen, und ich werde Ihnen geben. Die Abreise sollte vor dem 1. Juni stattfinden; Herr von Bouillé lag viel hieran; er hat sogar in dieser Hinsicht an den König einen seltsamen Brief geschrieben, in welchem er ihn auffordert, sich zu beeilen, in Betracht, sagte er, daß die Truppen von Tag zu Tag schlechter werden, und daß er für nichts stehe, wenn man die Soldaten den Eid leisten lasse. Unter diesen Worten, sie werden schlechter,« fügte Cagliostro mit seiner spöttischen Miene bei, »muß man verstehen, die Armee fange an zu erkennen, da sie zwischen einer Monarchie, welche drei Jahrhunderte das Volk dem Adel, den Soldaten dem Officier geopfert hat, und einer Constitution zu wählen habe, welche die Gleichheit vor dem Gesetze proclamirt und auf den Graden die Belohnung des Verdienstes und des Muthes macht, diese undankbare Armee fange an das Wahre zu erkennen und neige sich zur Constitution. Doch weder die Berline, noch das Necessaire waren fertig, und man konnte unmöglich am 1. abreisen, was ein großes Unglück ist, indem seit dem 1. die Armee immer schlechter werden konnte und die Soldaten den Eid auf die Constitution geschworen haben; wonach die Abreise auf den 8. festgesetzt wurde. Doch Herr von Bouillé hat die Bezeichnung dieses Datums zu spät erhalten, und so war er seinerseits genöthigt, zu antworten, er sei nicht bereit; da wurde die Sache einhellig aus den 12. verschoben; man hätte den 11. vorgezogen, aber eine sehr demokratische Frau, welche überdies die Geliebte von Herrn von Gouvion, dem Adjutanten von Herrn von Lafayette, Frau von Rochereul, wenn Sie ihren Namen wissen wollen, hatte den Dienst beim Dauphin, und man befürchtete, sie könnte etwas wahrnehmen und, wie der arme Herr von Mirabeau sagte, von dem verborgenen Kessel, den die Königin immer in einem Winkel ihres Palastes kochen lasse, Anzeige machen. Am 12. bemerkte der König, daß er nur noch sechs Tage zu warten hatte, um ein Quartal von seiner Civilliste, sechs Millionen, zu beziehen. Teufel! Sie werden zugeben, mein lieber Gilbert, das war wohl der Mühe werth, sechs Tage zu warten! Ueberdies hatte Leopold, der große Temporisirer, der Fabius der Könige, versprochen, es werden fünfzehntausend Oesterreicher am 15. die Ausgänge von Arlon besetzen. Ei! Sie begreifen, es fehlt diesen guten Königen nicht am Willen, doch sie haben ihrerseits auch ihre kleinen Angelegenheiten zu Ende zu bringen. Oesterreich hatte Lüttich und Brabant verzehrt und war gerade in der Verdauung von Stadt und Provinz begriffen, wenn aber Oesterreich verdaut, schläft es. Catherine war im Zuge, den kleinen König Gustav VI. zu schlagen, dem sie endlich einen Waffenstillstand bewilligt hat, damit er Zeit habe, in Aix in Savoyen die Königin von Frankreich, wenn sie aus ihrem Wagen steige, zu empfangen; mittlerweile wird sie von der Türkei abnagen, was sie kann, und die Knochen von Polen aussaugen. Das philosophische Preußen und das philanthropische England sind im Zuge, die Haut zu wechseln, damit sich das Eine vernünftig gegen das Ufer des Rheins und das Andere auf der Nordsee ausdehnen kann. Kurz, die Abreise war aus Sonntag den 19. um Mitternacht verschoben worden; am 18. Morgens wurde eine neue Depeche abgefertigt, welche diese Abreise aus Montag den 20. zu derselben Stunde, das heißt, auf morgen Abend verschob, was wohl seinen Uebelstand haben dürfte, insofern Herr von Bonillé schon Befehle an alle seine Detachements geschickt hatte und er Gegenbefehle schicken mußte. Merken Sie wohl auf, mein lieber Gilbert, Alles dies ermüdet die Soldaten und gibt den Einwohnerschaften zu denken.«

»Graf,« erwiderte Gilbert, »ich werde mich keiner List gegen Sie bedienen; Alles, was Sie gesagt haben, ist wahr, und ich will es Ihnen gegenüber um so weniger leugnen, als es nicht meine Ansicht war, daß der König abreisen, oder vielmehr, daß der König Frankreich verlassen sollte. Gestehen Sie nun offenherzig, aus dem Gesichtspunkte der Gefahr für die Königin und ihre Kinder, wenn der König als König bleiben müßte, ist es ihm als Menschen, als Gatten, als Vater nicht gestattet, zu fliehen?«

»Nun denn, soll ich Ihnen Eines sagen, mein lieber Gilbert? Nicht als Vater, nicht als Gatte, nicht als Mensch flieht Ludwig XVI,, nicht wegen des 5, und 6. Octobers verläßt er Frankreich; nein, durch seinen Vater ist er, im Ganzen genommen, Bourbon, und die Bourbonen wissen, was es heißt, der Gefahr ins Auge schauen; nein, er verläßt Frankreich wegen dieser Constitution, die ihm, nachdem Beispiele der Vereinigten Staaten, die Nationalversammlung fabricirt hat, ohne zu bedenken, daß das Modell, dem sie gefolgt, für eine Republik geschnitten ist und, auf eine Monarchie angewendet, dem König kein hinreichendes Quantum athembarer Luft gewährt; nein, er verläßt Frankreich wegen der berüchtigten Geschichte der Ritter vom Dolche, bei der Ihr Freund Lafayette unehrerbietig mit dem Königthum und seinen Getreuen umgegangen ist; nein, er verläßt Frankreich wegen der berüchtigten Geschichte von Saint-Cloud, bei welcher er seine Freiheit bewähren wollte, indeß ihm hierbei das Volk bewies, daß er Gefangener war; nein, sehen Sie, mein lieber Gilbert, Sie, der Sie ehrlich, offenherzig, redlich constitutioneller Royalist sind, Sie, der Sie an das süße und tröstliche Utopien einer durch die Freiheit gemilderten Monarchie glauben, Sie müssen Eines wissen: daß die Könige in Nachahmung Gottes, dessen Stellvertreter aus Erden sie zu sein behaupten, eine Religion haben, die Religion des Königthums; nicht nur ihre in Rheims gesalbte Person ist heilig und unverletzlich, sondern auch ihr Palast ist heilig, ihre Diener sind geheiligt; ihr Palast ist ein Tempel, in den man nur betend eintreten darf; ihre Diener sind Priester, mit denen man nur aus den Knieen sprechen darf; man darf die Könige bei Todesstrafe nicht anrühren! man darf ihre Diener bei Strafe der Excommunication nicht anrühren! Am Tage nun, wo man den König verhindert hat, nach Saint-Cloud zu fahren, hat man den König angerührt; am Tage, wo man aus den Tuilerien die Ritter vom Dolche ausgetrieben, hat man seine Diener angerührt; das ist es, was der König nicht ertragen konnte; das ist der höchste Grad der Ruchlosigkeit; das ist es, warum man Herrn von Charny von Montmédy hat zurückkommen lassen; darum willigt der König, der es ausgeschlagen, sich von Herrn von Favras entführen zu lassen und sich mit seinen Tanten zu flüchten, ein, morgen mit einem Passe von Herrn von Montmorin, der nicht weiß, für wen er den Paß unterzeichnet hat, unter dem Namen Durand und in der Kleidung eines Bedienten zu fliehen, wobei er indessen befohlen hat, nicht zu vergessen, in den Koffer den goldgestickten rothen Rock zu legen, den er in Cherbourg getragen.«

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