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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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XVI

Catherine

Von der Rue de la Sourdière, bis zu dem Hause, das Gilbert in der Rue Saint-Honoré bewohnte, war es nur ein Schritt.



Dieses Haus lag unsern der Assomption, einem Tischler Namens Duplay gegenüber.



Die Kälte und die Bewegung weckten Sebastian auf. Er wollt, gehen, aber sein Vater widersetzte sich und trug ihn fortwährend in seinen Armen.



Als der Doctor bei der Thüre angelangt war, stellte er Sebastian einen Augenblick aus seine Füße und klopfte stark genug, daß er, so sehr auch der Conciergerie eingeschlafen sein mochte, doch nicht zu lange aus der Straße zu warten hatte.



Ein schwerfälliger, obgleich rascher Tritt erscholl bald jenseits der Thüre.



»Sind Sie es, Herr Gilbert?« fragte eine Stimme.



»Ah!« sagte Sebastian, »das ist die Stimme von Pitou.«



»Gott sei gelobt!« rief Pitou, während er öffnete. »Sebastian ist wiedergefunden!«



Dann wandte er sich gegen die Treppe um, in deren Tiefe man allmälig den Schein einer Kerze erblickte, und rief:



»Herr Billot! Herr Billot! Sebastian ist wiedergefunden, und zwar ohne Unfall, wie ich hoffe, – nicht wahr, Herr Gilbert?«



»Wenigstens ohne einen ernsten Unfall,« erwiederte der Doctor. »Komm, Sebastian, komm!«



Und er überließ Pitou die Sorge, die Thüre zu schließen, hob abermals vor den Augen des erstaunten Concierge, der in der baumwollenen Mütze und im Hemde auf der Schwelle seiner Loge erschien, – Sebastian in seinen Armen auf und fing an die Treppe hinauszusteigen.



Billot schritt, dem Doctor leuchtend, voran, Pitou ging hinter ihnen. Der Doctor wohnte im zweiten Stocke; die weit geöffneten Thüren deuteten an, daß er erwartet wurde. Er legte Sebastian aus sein Bett.



Pitou folgte ängstlich und schüchtern. An dem Kothe, der seine Schuhe, seine Strümpfe, seine Hose bedeckte und seine übrigen Kleidungsstücke befleckte, konnte man leicht sehen, daß er ganz frisch von einer langen Wanderung gekommen war.



Nachdem er die in Thränen zerfließende Catherine zu ihrem Hause zurückgeführt, nachdem er aus dem Munde des Mädchens selbst, das zu tief betroffen war, um seinen Schmerz zu verbergen, erfahren hatte, dieser Schmerz rühre von der Abreise von Herrn Isidor von Charny nach Paris her, hatte Pitou, dem dieser Schmerz doppelt, – als Liebendem und als Freund, – das Herz brach, von Catherine, die sich niedergelegt, und von ihrer Mutter, welche am Fuße des Bettes weinte, Abschied genommen und war mit einem viel langsameren Schritt, als der gewesen, welcher ihn herbeigeführt, nach Haramont zurückgekehrt.



Die Langsamkeit dieses Schrittes und der Umstand, daß er sich so oft umwandte, um traurig nach dem Pachthause zu schauen, von dem er sich, das Herz zugleich angeschwollen vom Schmerz von Catherine und von seinem eigenen Schmerz, entfernte, machten, daß er erst bei Tagesanbruch in Haramont ankam.



Die geistige Beklommenheit, die sich seiner bemächtigt hatte, machte, daß er wie Sertus, da er seine todte Frau wiederfand, sich mit starren Augen und die Hände aus seinem Schooße gekreuzt auf sein Bett setzte.



Endlich erhob er sich, und einem Menschen ähnlich, der, nicht aus seinem Schlafe, sondern aus seinen Gedanken erwacht, schaute er umher und sah bei dem von seiner Hand beschriebenen Blatte Papier ein zweites mit einer andern Schrift bedecktes Blatt.



Er trat an den Tisch und las den Brief von Sebastian.



Zum Lobe von Pitou müssen wir sagen, daß er sogleich seinen persönlichen Kummer vergaß, um nur an die Gefahren zu denken, welche sein Freund während der langen Reise, die er unternommen, laufen konnte.



Dann, ohne sich um den Vorsprung zu bekümmern, den der am Tage vorher abgegangene junge Mensch vor ihm haben mochte, setzte ihm Pitou, auf seine langen Beine vertrauend, nach, mit der Hoffnung, Sebastian einzuholen, hätte Sebastian keine Transportmittel gefunden und wäre er genöthigt gewesen, seinen Marsch zu Fuß zu machen.



Ueberdies müßte Sebastian wohl anhalten, während er immer marschiren würde.



Er bekümmerte sich nicht um irgend ein Gepäcke. Er umgürtete seine Lenden mit einem ledernen Riemen, wie er dies zu thun pflegte, wenn er eine lange Strecke zurückzulegen hatte: er nahm unter seinen Arm einen vierpfündigen Laib Brod, in den er eine Wurst steckte, und in seine Hand seinen Reisestock und begab sich auf den Weg.



Pitou machte mit seinem gewöhnlichen Schritt anderthalb Meilen in der Stunde; nahm er den Schnellschritt, so machte er zwei.



Da er indessen anhalten mußte, um zu trinken, um die Schnüre seiner Schuhe zu knöpfen und um sich nach Sebastian zu erkundigen, so brauchte er zehn Stunden, um vom Ende der Straße von Largny zur Barrière von la Villette zu kommen; sodann eine Stunde, wegen der Hemmnisse durch die Wagen, um von der genannten Barrière zum Hause des Doctor Gilbert zu gelangen: das machte elf Stunden. Er war um neun Uhr Morgens abgegangen und kam um acht Uhr Abends an.



Das war, wie man sich erinnert, gerade der Augenblick, wo Andrée Sebastian aus den Tuilerien wegführte, und wo der Doctor Gilbert mit dem König sprach. Er fand also weder den Doctor Gilbert, noch Sebastian; doch er fand Billot.



Billot hatte durchaus nichts von Sebastian gehört und wußte nicht, zu welcher Stunde Gilbert nach Hause zurückkehren würde.



Der unglückliche Pitou war so besorgt, daß es ihm nicht einfiel, mit Billot von Catherine zu sprechen. Seine ganze Conversation war ein langer Seufzer über das Unglück, welches er gehabt, daß er nicht in seiner Stube gewesen, als Sebastian dahin gekommen war.



Dann, da er den Brief von Sebastian mitgenommen, um sich im Nothfall bei dem Doctor zu rechtfertigen, las er diesen Brief abermals, was sehr unnöthig, denn er hatte ihn so oft gelesen und wiedergelesen, daß er ihn auswendig wußte.



Die Zeit war so langsam und traurig für Pitou und Billot seit acht Uhr Abends bis zwei Uhr Morgens vergangen.



Sechs Stunden, das war sehr lang! Pitou hatte nicht das Doppelte von dieser Zeit gebraucht, um von Villers-Cotterets nach Paris zu kommen.



Um zwei Uhr Morgens erscholl der Klopfer zum zehnten Male seit der Ankunft von Pitou.



Jedes Mal stürzte Pitou nach der Treppe, und trotz der vierzig Stufen, die er hinabzusteigen hatte, kam er immer in dem Augenblick unten an, wo der Concierge die Schnur zog.



Doch jedes Mal wurde er in seiner Hoffnung getäuscht: weder Gilbert, noch Sebastian erschienen, und er ging langsam und traurig wieder zu Billot hinauf.



Wir haben erzählt, wie, als er zum letzten Male noch hastiger als die andern Male hinabstieg, seine Erwartung erfüllt wurde, da er zugleich den Vater und den Sohn, den Doctor Gilbert und Sebastian erscheinen sah.



Gilbert dankte Pitou, wie man dem braven Jungen danken mußte, daß heißt durch einen Händedruck; dann, da er dachte, nach einem Trabe von achtzehn Meilen und einer Erwartung von sechs Stunden müsse der Reisende Ruhe nöthig haben, wünschte er ihm eine gute Nacht und schickte ihn zu Bette.



Doch, über Sebastian beruhigt, hatte Pitou nun Billot eine Mittheilungen zu machen. Er winkte daher Billot, und Billot folgte ihm.



Was Gilbert betrifft, so wollte dieser Niemand die Sorge anvertrauen, Sebastian zu Bette zu bringen und bei ihm zu wachen. Er untersuchte selbst das blaue Mal aus der Brust seines Sohnes und hielt sein Ohr an mehre Stellen des Rumpfes; als er sich sodann versichert hatte, daß der Athem völlig frei war, legte er sich aus ein Canapé bei dem Kinde, das, trotz eines ziemlich starken Fiebers, sogleich entschlummerte.



Bald aber bedachte er nach der Unruhe, die ihn selbst erfüllt hatte, welche Bangigkeit Andrée quälen müsse; er rief seinen Kammerdiener und befahl ihm, auf die nächste Post, damit er bei der ersten Abgabe an seine Adresse käme, einen Brief zu tragen, in welchem nur die Worte standen:



»Beruhigen Sie sich, das Kind ist wiedergefunden und hat kein Unglück erlitten.«



Am andern Tage ließ Billot schon am frühen Morgen Gilbert um Erlaubniß bitten, eintreten zu dürfen, was ihm bewilligt wurde.



Das gute Gesicht von Pitou erschien lächelnd an der Thüre hinter dem von Billot, dessen traurigen, ernsten Ausdruck Gilbert wahrnahm.



»Was gibt es denn, mein Freund, und was haben Sie?« fragte der Doctor.



»Herr Gilbert, Sie haben wohl daran gethan, mich hier zurückzuhalten, da ich Ihnen, Ihnen und dem Kinde, nützlich sein konnte, aber während ich in Paris bleibe, geht dort Alles schlecht.«



Man glaube übrigens nach diesen Worten nicht, Pitou habe die Geheimnisse von Catherine geoffenbart und von der Liebschaft des Mädchens mit Isidor gesprochen. Nein, die ehrliche Seele des wackern Commandanten der Nationalgarde von Haramont sträubte sich gegen eine Angeberei. Er hatte Billot nur gesagt, die Ernte sei schlecht gewesen, der Rocken habe gefehlt, ein Theil vom Getreide sei durch den Hagel niedergeschlagen worden, die Scheunen seien nur zum Drittel voll, und er habe Catherine ohnmächtig auf dem Wege von Villers-Coterets nach Pisseleu gefunden.



Billot hatte sich sehr wenig um den Mangel an Rocken und das Verhageln des Getreides bekümmert, aber es wäre ihm selbst beinahe unwohl geworden, als er die Ohnmacht von Catherine erfuhr.



Der brave Vater Billot wußte, daß ein Mädchen vom Temperament und von der Stärke von Catherine nicht ohne Grund auf der Landstraße ohnmächtig wird.



Ueberdies hatte er Pitou befragt, und welche Zurückhaltung Pitou auch bei seinen Antworten beobachtet, mehr als einmal halte Billot den Kopf geschüttelt und gesagt;



»Ja, ja, ich glaube, es ist Zeit, daß ich zurückkehre.«



Gilbert, der selbst empfunden, was ein Vaterherz leiden kann, begriff diesmal, was in dem von Billot vorging, als ihm Billot die von Pitou überbrachten Nachrichten mittheilte.



»Gehen Sie also, mein lieber Billot, da Gut und Familie Sie zurückfordern,« antwortete er; »aber vergessen Sie nicht, daß ich im Namen des Vaterlandes über Sie verfüge.«

 



»Ein Wort, Herr Gilbert,« versetzte der wackere Pächter, »und in zwölf Stunden bin ich in Paris.«



Nachdem er sodann Sebastian, der sich nach einer glücklich zugebrachten Nacht völlig außer Gefahr befand, umarmt und die zarte feine Hand von Gilbert in seinen zwei breiten Händen gedrückt hatte, schlug Billot den Weg nach seinem Pachthofe ein, den er auf acht Tage verlassen hatte, während er nun seit drei Monaten davon abwesend war.



Pitou folgte ihm; er nahm, – eine Gabe des Doctor Gilbert, – fünf und zwanzig Louis d’or mit, welche zur Kleidung und Equipirung der Nationalgarde von Haramont bestimmt waren.



Sebastian blieb allein bei seinem Vater.




XVII

Waffenstillstand

Eine Woche war zwischen den von uns erzählten Ereignissen und dem Tage verlaufen, wo wir den Leser abermals an der Hand nehmen und in das Schloß der Tuilerien führen, das fortan der Hauptschauplatz der großen Katastrophe, welche in Erfüllung gehen sollte.



O Tuilerien! unseliges Vermächtniß der Königin der Bartholomäus-Nacht, der seltsamen Catharina von Medicis für ihre Abkömmlinge und Nachfolger, Palast des Schwindels, der du anziehst, um zu verschlingen, welche Verblendung findet sich denn in deiner gähnenden Halle, in der sich alle diese wahnsinnigen Gekrönten fangen, welche Könige genannt werden wollen, welche sich nur für wahrhaft gesalbt und geheiligt halten, wenn sie unter deinem mörderischen Täfelwerk geschlafen haben, während du sie einen nach dem andern, diese als Leichname ohne Köpfe, jene als Flüchtlinge ohne Krone, zurückwirfst?



Ohne Zweifel ist in deinen, wie ein Juwel von Benvenuto Cellini, ciselirten Steinen ein Unheilbringendes Zauberwerk; ohne Zweifel liegt unter deiner Schwelle ein tödtlicher Talisman vergraben. Zähle die letzten Könige, die du empfangen, und sage, was du damit gemacht hast! Von diesen fünf Königen ist ein einziger von dir der Gruft zurückgegeben worden, wo ihn seine Ahnen erwarteten, einer wurde dem Schaffot überliefert und die drei andern der Verbannung!



Eines Tags wollte eine ganze Versammlung der Gefahr trotzen, den Platz der Könige einnehmen und sich, als Mandatar des Volks, dahin setzen, wo die Erwählten der Monarchie gesessen hatten. Von diesem Augenblick an erfaßte sie der Schwindel; von diesem Augenblick an zerstörte sie sich selbst: das Schaffot verschlang die Einen, die Verbannung die Andern, und eine seltsame Brüderschaft vereinigte Ludwig XVI. und Robespierre, Collot-d’Herbois und Napoleon, Billaut-Varennes und Karl X., Vadier und Louis Philipp.



O Tuilerien! o Tuilerien! ein Wahnsinniger muß also derjenige sein, welcher es wagt, deine Schwelle zu überschreiten und da einzutreten, wo Ludwig XVI., Napoleon, Karl X. und Louis Philipp eingetreten sind, denn ein wenig später, ein wenig früher wird er durch dieselbe Thüre herauskommen wie sie.



Und doch, unheilvoller Palast! ist Jeder von ihnen in deine Mauern unter den Acclamationen des Volkes eingetreten, und dein doppelter Balcon hat sie, einen nach dem andern, diesen Acclamationen, im Glauben an die Wünsche und Verheißungen der Menge welche dieselben erschallen ließ, zulächeln sehen, was zur Folge hatte, daß, kaum unter dem Thronhimmel sitzend, Jeder von ihnen an seinem Werke zu arbeiten anfing, statt an dem Werke des Volkes zu arbeiten; als dies das Volk eines Tags bemerkte, setzte es ihn vor die Thüre wie einen ungetreuen Pächter, oder es bestrafte ihn wie einen undankbaren Mandatar.



So fand nach dem erschrecklichen Marsch vom 6 October, mitten unter Koth, Blut und Geschrei, die bleiche Sonne des ankern Tages, als sie aufging, den Hof der Tuilerien voll von einem von der Rückkehr seines Königs bewegten und nach seinem Anblick hungerigen Volke.



Den ganzen Tag hindurch empfing der König die constituirten Körper; während dieser Zeit wartete die Menge außen, suchte, bespähte sie ihn durch die Fenster; derjenige, welcher ihn zu erblicken glaubte, stieß einen Freudenschrei aus, zeigte ihn seinem Nachbar und sagte:



»Seht Ihr ihn? seht Ihr ihn, dort ist er!«



Um Mittag mußte er sich auf dem Balcon zeigen, und es erschollen einstimmig Bravos und Händegeklatsche.



Am Abend mußte er in den Garten hinabgehen, und nun waren es nicht mehr Bravos und Händegeklatsche, es waren Rührungen und Thränen.



Madame Elisabeth, ein junges, frommes, naives Herz, zeigte dieses Volk ihrem Bruder und sagte:



»Mir scheint, es ist nicht schwer, über solche Menschen zu regieren:«



Ihre Wohnung war im Erdgeschoß. Am Abend ließ sie die Fenster öffnen und speiste vor aller Welt.



Männer und Weiber schauten zu, klatschten Beifall und grüßten durch die Oeffnungen, die Weiber besonders: sie ließen ihre Kinder auf das Gesims der Fenster steigen, befahlen den unschuldigen Kleinen, der vornehmen Dame Küsse zuzusenden und ihr zu sagen, sie sei sehr schön.



Und die kleinen Kinder wiederholten: »Sie sind sehr schön, Madame!« und sandten ihr mit ihren fleischigen Händchen zahllose und endlose Küsse zu.



Jeder sagte: »Die Revolution ist beendigt; der König ist nun von seinem Versailles, von seinen Höflingen und seinen Räthen befreit. Der Zauber, der fern von seiner Hauptstadt das gefangene Königthum in dieser Welt von Automaten, Statuen und beschnittenen Taxusbäumen hielt, welche man Versailles nennt, ist gebrochen. Gott sei Dank, der König ist wieder in das Leben und in die Wahrheit, daß heißt in die wirkliche Natur des Menschen eingesetzt. Kommen Sie, Sire, kommen Sie unter uns! Bis zu diesem Tag hatten Sie so, wie Sie umgeben waren, nur die Freiheit, das Böse zu thun; heute haben Sie in unserer Mitte, mitten unter Ihrem Volke, die volle Freiheit, das Gute zu thun!«



Oft täuschen sich die Waffen und die Individuen über das, was sie sind, oder vielmehr über das, was sie alsbald sein werden. Die während der Tage des 5. und 6. October ausgestandene Angst hatte zum König nicht nur eine Menge von Herzen, sondern auch viele Geister, viele Interessen zurückgeführt. Dieses Geschrei in der Dunkelheit, dieses Erwachen in der Nacht, diese im Marmorhose angezündeten und mit ihren unheimlichen Reflexen die großen Mauern von Versailles beleuchtenden Feuer, Alles dies halte die ehrlichen Imaginationen stark betroffen. Die Nationalversammlung hatte gewaltig bange gehabt, mehr bange, da der König bedroht worden, als da sie selbst bedroht worden war. Damals schien es ihr noch, als hinge sie vom König ab; es werden nicht sechs Monate verlaufen, ohne daß sie im Gegentheil fühlt, daß der König von ihr abhängt. Hundert und fünfzig von ihren Mitgliedern nahmen Pässe. Mounier und Lally, – der Sohn des auf der Grève gestorbenen Lally, – flüchteten sich.



Die zwei populärsten Männer Frankreichs, Lafayette und Mirabeau, kamen als Royalisten nach Paris zurück.



Mirabeau sprach zu Lafayette: »Vereinigen wir uns und retten wir den König!«



Lafayette, ein vorzugsweise ehrlicher Mann, aber ein beschränkter Geist, verachtete zum Unglück den Charakter von Mirabeau und begriff sein Genie nicht.



Er beschränkte sich daraus, daß er den Herzog von Orleans aufsuchte.



Man hatte viele Dinge über Seine Königliche Hoheit gesagt.



Man hatte gesagt, der Herzog sei, seinen Hut aus die Augen niedergedrückt, ein Stöckchen in der Hand, gesehen worden, wie er die Gruppen im Marmorhofe aufgewiegelt, wie er zur Plünderung des Schlosses angetrieben, in der Hoffnung, die Plünderung würde zugleich die Ermordung sein.



Mirabeau war ganz dem Herzog von Orleans ergeben.



Lafayette, statt sich mit Mirabeau zu verständigen, ging zum Herzog von Orleans und forderte ihn auf, Paris zu verlassen. Der Herzog von Orleans stritt, kämpfte, stemmte sich entgegen; aber Lafayette war so sehr König, daß man ihm gehorchen mußte.



»Und wann werde ich zurückkommen?« fragte er Lafayette.



»Wann ich Ihnen sage, daß es Zeit ist, mein Prinz.«



»Und wenn ich mich langweile und ohne Ihre Erlaubniß zurückkomme, mein Herr?« fragte hoffärtig der Herzog.



»Dann,« erwiederte Lafayette, »dann hoffe ich, Eure Hoheit wird mir am andern Tage nach ihrer Rückkehr die Ehre geben, sich mit mir zu schlagen.«



Der Herzog von Orleans reiste ab und kam erst zurückgerufen wieder.



Lafayette war wenig Royalist vor dem 6. October; nach dem 6. October wurde er es aber wirklich, aufrichtig; er hatte die Königin gerettet und den König beschützt.



Man wird viel anhänglicher durch die Dienste, die man leistet, als durch die, welche man empfängt. Dies rührt davon her, daß im Herzen des Menschen mehr Stolz als Dankbarkeit ist.



Der König und Madame Elisabeth, obgleich sie fühlten, daß unter und vielleicht über all diesem Volke ein Unheil bringendes Element sei, das sich nicht mit ihm mischen wolle, etwas Gehässiges und Rachsüchtiges wie der Zorn des Tigers, welcher brüllt, während er schmeichelt, der König und Madame Elisabeth waren wirklich gerührt gewesen.



Nicht so war es bei Marie Antoinette. Die schlechte Stimmung, in der sich ihr Herz befand, schadete dem Geiste der Königin. Ihre Thränen waren Thränen des Verdrusses, des Schmerzes, der Eifersucht. Von diesen Thränen, die sie vergoß, galten eben so viele Charny, den sie ihren Armen entschlüpfen fühlte, als dem Scepter, den sie ihrer Hand entschlüpfen fühlte.



Sie sah auch all dies Volk, hörte auch all dies Geschrei mit einem gereizten Geiste und einem trockenen Herzen. Sie war in Wirklichkeit jünger als Madame Elisabeth, oder vielmehr von demselben Alter; aber die Jungfräulichkeit der Seele und des Körpers hatten dieser ein Kleid der Unschuld und Frische gemacht, das sie noch nicht abgelegt, während die glühenden Leidenschaften der Königin, Haß und Liebe, ihre Hände dem Elfenbein ähnlich gelb gefärbt, an ihre Zähne ihre gebleichten Lippen angepreßt und unter ihren Augen jene perlmutterartigen, bläulichen Nuancen ausgebreitet hatten, welche ein tiefes, unheilbares, beständiges Uebel offenbaren.



Die Königin war krank, tief krank, krank an einem Uebel, von dem man nicht mehr genest, denn das einzige Mittel dafür ist das Glück und der Friede, und die arme Marie Antoinette fühlte, daß es um ihren Frieden und um ihr Glück geschehen war.



Unter all dieser Begeisterung, unter all diesem Geschrei, unter allen diesen

Vivats

, wenn der König den Männern die Hände reichte, wenn Madame Elisabeth weinte und zugleich den Weibern und den kleinen Kindern zulächelte, fühlte auch die Königin ihr von den Thränen ihres eigenen Schmerzes befeuchtetes Auge vor der öffentlichen Freude wieder trocken werden.



Die Sieger der Bastille waren bei ihr erschienen, und die Königin hatte sich geweigert, sie zu empfangen.



Die Damen der Halle waren ebenfalls gekommen; sie hatte die Damen der Halle empfangen, aber in der Entfernung, getrennt von ihnen durch ungeheure Körbe; überdies hatten sich ihre Frauen wie eine Vorhut, bestimmt, sie vor jeder Berührung zu beschützen, vor sie gestellt.



Das war ein großer Fehler, den Marie Antoinette beging. Die Damen der Halle waren Royalistinnen; viele hatten den 6. October desavouirt.



Diese Weiber hatten sie sodann angeredet, – denn in solchen Gruppen gibt es immer Redner.



Eine Frau, welche kühner als die anderen, hatte sich zum Rathe aufgeworfen.



»Frau Königin,« sagte diese Frau, »wollen Sie mir erlauben, Ihnen einen Rath zu geben, einen Rath, der vom Herzen kommt?«



Die Königin machte mit dem Kopfe ein so unmerkliches Zeichen daß die Frau es nicht sah.



»Sie antworten nicht?« sagte diese. »Gleichviel! ich werde Ihnen den Rath dennoch geben. Sie sind nun unter uns, inmitten Ihres Volkes, das heißt, im Schooße Ihrer wahren Familie. Sie müssen nun von Ihnen alle die Höflinge entfernen, welche die Könige verderben, und ein wenig diese armen Pariser lieben, welche Sie in den zwanzig Jahren, die Sie in Frankreich sind, vielleicht nicht viermal gesehen haben.«



»Madame,« erwiederte trocken die Königin, »Sie sprechen so, weil Sie mein Herz nicht kennen. Ich habe Sie in Versailles geliebt; ich werde Sie ebenso in Paris lieben.«



Das hieß nicht viel versprechen.



Eine andere Rednerin sagte auch:



»Ja, ja, Sie liebten uns in Versailles. Aus Liebe wollten Sie also am 14. Juli die Stadt belagern und sie beschießen lassen? Aus Liebe wollten Sie also am 6. October an die Grenze fliehen, unter dem Vorwande, mitten in der Nacht nach Trianon zu gehen?«



»Das heißt,« versetzte die Königin, »man hat Ihnen das gesagt, und Sie haben es geglaubt: das ist es, was zugleich das Unglück des Volks und das des Königs macht.«



Und dennoch, arme Frau! oder vielmehr arme Königin! dennoch fand sie unter diesen Widerstrebungen ihres Stolzes und unter diesen Zerreißungen ihres Herzens eine glückliche Eingebung!

 



Eine von diesen Frauen, eine Elsäßerin von Geburt sprach sie deutsch an.



»Madame,« erwiederte die Königin, »ich bin dergestalt Französin geworden, daß ich meine Muttersprache vergessen habe.«



Das war reizend zu sagen; leider war es schlecht gesagt.



Die Damen der Halle konnten sich aus vollem Herzen: »Es lebe die Königin!« rufend entfernen.



Sie entfernten sich mit dem Ende der Lippen rufend und zwischen ihren Zähnen brummend.



Am Abend, als der König und Madame Elisabeth beisammen waren, ohne Zweifel, um sich zu trösten und gegenseitig zu befestigen, erinnerten sie sich Alles dessen, was sie Gutes und Tröstliches in diesem Volke gesunken.



Die Königin wußte nur Eines Allem dem beizufügen, ein Wort des Dauphin, das sie mehrere Male an diesem Tag und an den folgenden Tagen wiederholte.



Bei dem Lärmen, den die Damen der Halle in die Gemächer eintretend gemacht hatten, war der arme Kleine zu seiner Mutter gelaufen, hatte sich an sie angeschmiegt und ausgerufen:



»Guter Gott! Mama, ist denn heute abermals gestern?«



Der kleine Dauphin war da; er hörte, was seine Mutter von ihm sagte, und stolz wie alle Kinder, welche sehen, daß man sich mit ihnen beschäftigt, näherte er sich dem König und schaute ihn mit nachdenkender Miene an.



»Was willst Du, Louis?« sagte der König.



»Ich möchte Sie gern etwas sehr Ernstes fragen,« antwortete der Dauphin.



»Nun,« versetzte der König, indem er ihn zwischen seine Beine zog, »was willst Du mich fragen? Laß hören, sprich.«



»Ich wünschte zu wissen,« erwiederte das Kind, »warum Ihr Volk, daß Sie so sehr liebte, plötzlich so ärgerlich gegen Sie geworden ist, und was Sie gethan haben, um es so sehr in Zorn zu bringen.«



»Louis!« murmelte die Königin mit dem Ausdrucke des Vorwurfs.



»Lassen Sie mich ihm antworten,« sagte der König.



Madame Elisabeth lächelte dem Kinde zu.



Ludwig XVI. nahm seinen Sohn auf seinen Schooß und sprach, die Politik des Tages der Fassungskraft des Kindes anpassend:



»Mein Sohn, ich wollte das Volk noch glücklicher machen, als es war. Ich hatte Geld nöthig, um die durch die Kriege veranlagten Ausgaben zu bezahlen; ich verlangte von meinem Volke, wie es meine Vorgänger immer gethan haben, Beamte, welche mein Parlament bilden, widersetzten sich und sagten, mein Volk allein habe das Recht, mir dieses Geld zu votiren. Ich versammelte in Versailles die Ersten jeder Stadt ihrer Geburt, ihrem Vermögen und ihren Talenten nach; das ist das, was man die

Generalstaaten

nennt. Als sie versammelt waren, verlangten sie von mir Dinge, die ich nicht thun kann, weder für mich, noch für Dich, der Du mein Nachfolger sein wirst. Es fanden sich boshafte Menschen, die das Volk aufwiegelten, und die Excesse, zu denen es sich in den letzten Tagen hinreißen ließ, sind ihr Werk! Mein Sohn, man darf dennoch deshalb dem Volke nicht böse sein!«



Bei dieser letzten Ermahnung preßte Marie Antoinette die Lippen zusammen; mit der Erziehung des Dauphin beauftragt, würde sie diese Erziehung offenbar nicht zum Vergessen der Beleidigungen gelenkt haben.



Am andern Tage schickten die Stadt Paris und die Nationalgarde und ließen die Königin bitten, im Theater zu erscheinen, und so durch ihre Gegenwart und durch die des Königs zu bestätigen, daß sie mit Vergnügen in der Hauptstadt residiren.



Die Königin antwortete, es würde ihr ein großes Vergnügen bereiten, der Einladung der Stadt Paris zu entsprechen, aber sie brauche Zeit, um die Erinnerung an die jüngst vergangenen Tage aus dem Gedächtniß zu verlieren. Das Volk halte schon vergessen; es war erstaunt, daß man sich erinnerte.



Als sie erfuhr, ihr Feind der Herzog von Orleans sei von Paris entfernt, hatte sie einen Augenblick der Freude; sie wußte aber Lafayette keinen Dank für diese Entfernung: sie glaubte, es sei eine persönliche Angelegenheit zwischen dem Prinzen und dem General.



Sie glaubte es, oder sie gab sich den Anschein, als glaubte sie es, weil sie Lafayette nichts zu verdanken haben wollte.



Eine wahre Prinzessin aus dem Hause Lothringen, wollte sie siegen und sich rächen.



»Die Königinnen können nicht ertrinken,« sagte Frau Henriette von England mitten in einem Sturme, und sie war der Ansicht von Frau Henriette von England.



War übrigens Maria Theresia nicht noch mehr als sie nahe daran, zu sterben, als sie ihr Kind in ihre Arme genommen und ihren getreuen Ungarn gezeigt hatte?



Diese heroische Erinnerung übte einen Einfluß auf die Tochter aus; das war ein Unrecht, das furchtbare Unrecht von denjenigen, welche die Lagen vergleichen, ohn

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