GEN CRASH

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Peter Schmidt

GEN CRASH

Thriller

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN

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WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Seit der Wiedervereinigung hat sich viel geändert für die Geheimdienste in Ost und West. Sie verloren ihre alten Feindbilder – und manche ihre Existenzberechtigung. Adrian Haag, Ostexperte in Pullacher Diensten, soll für ein geheimes Projekt mit dem Codenamen »Schafspelz« hochexplosives Material aus dem Kreml auf Echtheit prüfen. Doch bald entdeckt er, dass er von entscheidenden Informationen ausgeschlossen bleibt – und kommt einem Komplott auf die Spur, das die Machtverhältnisse in der Welt auf den Kopf stellen könnte ...

“Schafspelz“ gehört zu jenen Spionage- und Politthrillern, die mit Romanen wie „Augenschein“, "Die Regeln der Gewalt", „Das Veteranentreffen“, „Erfindergeist“ und „Ein Fall von großer Redlichkeit“ Peter Schmidts Ruf begründeten, einer der schärfsten Analytiker und erfindungsreichsten Autoren des Genres zu sein.

PRESSESTIMMEN

http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/

Gießener Anzeiger

"Sage noch einer, die Deutschen könnten keine guten Krimis schreiben. Und wie sie können: Spannend, hochaktuell und eine gehörige Portion Ironie: Das ist der Polit-Thriller ‚Schafspelz’ von Peter Schmidt."

NDR

"Ein Roman über die durchaus denkbaren Obsessionen westlicher Geheimdienste angesichts des drohenden Friedens."

J. Kehrer BUCHMESSE SPEZIAL

"Den interessantesten Roman, der die Spionagewelt nach dem Fall der Mauer reflektiert, hat erstaunlicherweise ein Deutscher geschrieben: Peter Schmidt."

Sender Freies Berlin Der Thrillerpoet Peter Schmidt aus Gelsenkirchen ist 'Krimiautor des Monats'".

Hamburger Abendblatt "Ein hochaktueller, intelligenter, ungewöhnlich phantasiereicher Thriller."

STUTTGARTER ZEITUNG

"Schmidt schreibt... ganz locker, sehr spannend und leicht zynisch aus der Sicht eines Agenten, der lange nicht wahrhaben will, was um ihn herum passiert."

Darmstädter Echo "Der Autor ruft auch mit seinem jüngsten Thriller Erinnerungen an Altmeister des Agentengenres wie John le Carré und Len Deighton wach... auch bei diesem Autor besteht das Lesevergnügen weniger im zugrundeliegenden Plot, der Story, wie raffiniert sie auch ersonnen sei, sondern im unterkühlten nüchternen Stil, der seinen Reiz auch bei erneutem Lesen nicht verliert. Der Spionage-Roman, von einigen vorschnell totgesagt, erweist sich bei Peter Schmidt als noch sehr lebendig."

Capital

"Der Westfale Peter Schmidt ist als erster deutscher Autor erfolgreich ins angloamerikanische Thriller-Monopol eingebrochen."

Besprechungsblatt für Öffentliche Bibliotheken "Ein Glanzstück für alle Bibliotheken"

Film Illustrierte "Peter Schmidt, Spitzenautor des Genres, schafft das Kunststück, schon von der ersten Seite an Spannung zu erzeugen und diese Spannung von Seite zu Seite kontinuierlich bis zum Höhepunkt zu steigern. Ein Buch, dessen Inhalt direkt nach Verfilmung schreit."

WAZ

"Schmidt weiß Pointen zu setzen, mit dramaturgischen Kniffen zu spielen, den Spannungsbogen klug aufzubauen. Der Roman bietet sich zur Verfilmung an. Schmidts Stärke liegt in der Präzision, mit der er Charaktere und Situationen beschreibt."

PRINZ

"Die Technik der Desinformation hat jedoch in Peter Schmidts Roman, und das macht ihn so aktuell und originell, keine ideologischen Ursachen mehr. Sie ist zum Selbstzweck geworden."

AUTORENINFO

http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/

1

Er frisst kleine Mädchen. Er geht manchmal auf Pirsch, um seiner alten Leidenschaft als Killer zu frönen. Die Natur ist brutal, die Erschaffung der Welt ist eine Brutalität ersten Ranges. Nur ein Teufel kann sich den Kampf ums Überleben ausgedacht haben.

Also sieht auch Sehlen keinen Anlass, in Mildtätigkeit und Verständigung zu machen. Sehlen ist eine Bestie, ein Würfelspiel der Gene oder das Ergebnis eines abgrundtief verderbten Planes, die Welt ins Unglück zu stürzen – ich glaube, so oder ähnlich lauteten damals die Meinungen über ihn, als er die Abteilung übernahm.

Er war in den besten Geheimdiensten der Welt geschult worden. Er und nicht etwa Forum, wie manche Gerüchte wissen wollten, war als "Beauftragter für die Koordinierung neuer Methoden" nach London und Langley gegangen. Per Beschluss und Dekret einiger vom Geist des neuen Denkens erleuchteten Eierköpfe, die plötzlich auf die naheliegende Idee verfallen waren, es gäbe immer Details in der Methode, bei denen man von der Konkurrenz lernen könne.

Die Geheimhaltungsstufe war topsecret (oder noch ein wenig mehr, falls es das gab) – was bedeutete, dass Strafen für Indiskretionen schmerzlicher als der Tod sein würden.

Ich traf Sehlen in einem verfallenen Hotel hinter den Stranddünen von Zandvoort.

Ein dreistöckiger Bau mit Holzfenstern und Erkertürmchen, der viel vom Ambiente eines wilhelminischen Bordells hatte.

Es schien, als sei er per Zauberspruch oder fliegendem Teppich in den weißen Sand mit seinem spärlichen Bewuchs geraten, und jedenfalls, ohne vom Zoll oder von der niederländischen Luftaufklärung entdeckt zu werden. Rechts oben an der Dachrinne hing ein verwittertes Brett, das einmal das Hotelschild gewesen sein musste. Gedrungene Strandkiefern mit weit ausladenden Ästen rahmten das Portal hinter dem versandeten Fahrweg ein.

 

Als ich mich dem Haus näherte, kam Sehlen mir über die Treppe entgegen und streckte seine Hand aus.

Er war einen Kopf kleiner als ich, ein breitschultriger Faun mit einer unmerklichen blauroten Narbe unter dem linken Wangenknochen.

"Sie sind Haag, der Dichter und Intellektuelle in unseren Reihen, hab ich recht …?"

Es war pure Ironie, kein Zweifel. Seine südländisch wirkenden braunen Augen ruhten in jener charakteristischen Weise auf mir – besser gesagt: folgten dem Umriss meines Gesichts, um irgendeine Schwäche zu finden –, die vermutlich jeden verunsicherte, der zum ersten Mal damit konfrontiert wurde.

Aber damals glaubte ich, es sei nur eine persönliche Marotte von mir. Eine Art Unterlegenheitsgefühl, wenn man einem Fremden mit ausgeprägtem Charisma begegnet.

Ich kam mir vor, als hockte ich auf einer umgedrehten Apfelsinenkiste, während er von einem thronähnlichen Sitzgebilde Audienz gewährte.

Der billige Eloxalring mit amethystfarbenem Glasstein am kleinen Finger seiner linken Hand, den er manchmal nachdenklich am Hosenbein rieb, unterstrich noch das Bild eines Potentaten ohne Fürstentum, wenn man auch nicht recht zu sagen wusste, auf welche adlige Abstammung sich der Eindruck stützen sollte.

"Intellektueller" – diesen Ausdruck gebrauchte er, weil ich mich mit den Folgen von Gorbatschows Verständigungspolitik beschäftigte – ein anrüchiges Thema, ein heißes Eisen bei den altgedienten Hasen.

Sie ahnten, welche brisanten Folgen der frische Wind aus dem Osten haben würde. Die Riege der Betonköpfe fürchtete um ihre Pfründe. Solange der kalte Krieg auf Hochtouren gelaufen war, und auch später noch, in der entschärften Phase, hatte das Gewerbe der Informationsbeschaffung – eine vornehme Untertreibung, denn wie jeder weiß, handelt es sich dabei hauptsächlich um Erpressung und Irreführung – genug für alle abgeworfen.

Aber was passierte mit uns, wenn Glasnost auch die Geheimdienste erreichte?

"Sie machen kein erfreutes Gesicht, Haag", sagte er, während er mich ins Haus brachte.

"Ich mag's nicht, wenn man mich als Spinner bezeichnet …"

Die Räume hinter dem Flur waren leer und dunkel. Er schaltete die Deckenbeleuchtung ein, und ich sah, dass auf dem Kamin und den Holzfußböden dicke Staubschichten lagen. Zwei einander wie Mondgesichter anblickende Tischuhren, deren Zeiger auf Viertel nach zwölf und Viertel nach eins standen, bildeten den kümmerlichen Rest des Mobiliars.

Ihren goldfarbigen Gipsrosetten sah man an, dass der Inhaber des Hotels einem etwas barocken Geschmack gehuldigt hatte.

Aber was ich viel bemerkenswerter fand: Im Staub gab es Fußspuren; sie führten vom Salon durch ein Nebenzimmer in die zweite Diele, die einen Ausgang zu den Dünen besaß. Sehlen folgte den Abdrücken wie ein Jagdhund, der seine Witterung verloren hatte.

Als wir die Küche passierten, blieb er stehen und musterte das Loch in der Decke. Es war etwa so groß, dass ein Mann mit normalem Körperumfang bequem hindurchsteigen konnte, vorausgesetzt, er besaß eine Leiter. Die Decken in diesen alten holländischen Häusern sind manchmal mehr als vier Meter hoch.

"Meteoriteneinschlag?", fragte ich.

"Nein, einer von unseren Leuten hat unsachgemäß mit einer Eierhandgranate hantiert", sagte er ganz ernst, ohne auf meinen ironischen Tonfall einzugehen.

Sein Kopf folgte witternd den Fußabdrücken; ich bemerkte, dass es ein grobes Continental-Profil war, die dicke Gummisohle eines Männerschuhs. Nummer 46 oder größer.

"War Ihr Riesenbaby da der Glücksritter?"

"Mein Riesenbaby?"

"Die Fußspur "

"Oh, Kompliment, Haag – Sie haben eine gute Beobachtungsgabe. Riesenbaby, ha, ha. Nein, der Mann, der mit der Handgranate hantierte, kam dabei um. Einer von diesen englischen Schwachköpfen, die MI5 uns für Sonderaufgaben zugeteilt hatte.

Er nahm das Ding aus einem Verschlag im Fußboden – und blieb am Abzug hängen."

"Sie war mit einem dünnen Perlonfaden an der Ringöse zwischen den Bodenbrettern befestigt, als Sicherung gegen Unbefugte? Es war ein geheimes Waffenlager?"

"Sie sind ein Schlaukopf, Haag. Er hatte die Regeln vernachlässigt. Die Regeln zu vernachlässigen, heißt in unserem Gewerbe nun mal, sein Leben zu riskieren."

Der Rest unserer Begegnung in Holland war eine merkwürdig ungreifbare Farce. Später habe ich mich oft gefragt, ob er mich bewusst ins Leere laufen ließ – um mich zu disziplinieren und mir schon in dieser frühen Phase zu zeigen, wer der Herr im Hause war – oder ob sich alles ganz zufällig so entwickelte.

Er hätte mir abgegriffene schmierige Schwarzweißfotos von kleinen Mädchen in winzigen Negligés zeigen können – oder ein ebenso schmuddeliges Foto mit seiner Freundin, er war unverheiratet, das sie beide in eindeutiger Pose zeigte. Bilder von seinen Jahren in Kambodscha, wo er als Söldner und militärischer Berater Pol Pots gearbeitet hatte (tatsächlich aber als Agent der Gegenseite), den Fallschirmspringerstiefel auf einem Haufen bleicher Totenschädel und seine israelische Maschinenpistole mit soviel Selbstgefälligkeit und Arroganz auf dem Unterarm, als posiere er für ein Safarifoto im Busch von Kenia.

Es hätte mich, nach allem, was ich über ihn wusste, weniger verblüfft als das winzige Erkerzimmerchen mit Blick auf die Dünen, in das er mich an jenem Sonntagnachmittag führte.

Eine komplett eingerichtete Idylle: englische Mahagonimöbel, niederländische Variante, Standuhr, grüne Hartblattgewächse, die wie beim Wettbewerb der Floristen in ihren porzellanenen Übertöpfen prunkten, lindgrün gestrichener Dielenboden, ein gemütliches Dreisitzer-Sofa, Rüschenkissen, Nippfiguren.

Und inmitten dieser anheimelnden Puppenstube eine echte holländische Kaffeetafel. Gedeck für zwei Personen.

"Wo sind die anderen?", fragte ich. "Wir arbeiten doch nicht allein?"

"Hier hat früher der alte van der Haaren gehaust", sagte er. "Das Erkerzimmer war sein Refugium, sein Fluchtpunkt, wenn ihm der Hotelbetrieb auf die Nerven ging. Verschlang Unmengen Sahnehörnchen und Cremeschnitten, der arme Kerl. In seinen besten Zeiten ließ er sich Schwarzwälder Kirsch aus Deutschland einfliegen. Sie sind doch auch kein Kostverächter, Haag?"

"So, wie kommen Sie darauf?"

"Ihre Frau, mein Bester, traf sie mal auf Forums Geburtstag. Sein zweiundvierzigster. Sie kamen damals etwas später, Ihr Taxi hatte eine Reifenpanne. Unter uns gesagt, glauben Sie nicht auch, dass er vom anderen Ufer des Flusses herübergesetzt hat?", fragte er und blinzelte arglos.

"Soviel ich weiß, ist Forum glücklich verheiratet."

"Das beweist gar nichts."

Ich verspürte wenig Lust, mich über seine sexuellen Gewohnheiten auszulassen. Außerdem hielt ich Sehlens Bemerkung für ein Ablenkungsmanöver. Er hatte sich zu weit vorgewagt, er hatte zu erkennen gegeben, dass er sich vor unserem Treffen gründlicher als nötig über mich informiert hatte, und das gab mir zu denken.

"Meine Frau hat Ihnen das anvertraut?"

"Sie sind zwar ein magerer Hering, wegen der Drüsen, oder was weiß ich, aber für die letzte Cremeschnitte schubsen Sie doch 'ne alte Frau von der Rolltreppe, Haag."

"Ich frage mich bloß, wie Sie auf diesen Mist kommen, Sehlen?"

"Margrit und ich sind so gut wie befreundet miteinander – seit damals." Seine braunen Augen mit dem südländischen Flair versuchten ein einnehmendes oder beifallheischendes Lächeln. Aber irgendwie kam ihm dabei seine blaurote Narbe unter dem Wangenknochen in die Quere. Es wurde eine Grimasse von unbestimmter Bedeutung, weder Fleisch noch Knochen.

"Warum nicht gleich verheiratet?"

"Sie sollten mir gegenüber keine so krasse Abwehr an den Tag legen, schließlich habe ich Ihnen nichts getan. Dass Sie ausgerechnet mir zugeteilt wurden, ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Es gibt noch genügend andere, weniger halsbrecherische Kommandos momentan. Forum brauchte einen Experten für Ostpolitik, und dabei ist er wohl auf Sie verfallen."

Einen Augenblick verfinsterten sich seine Züge, man sah seinem Gesicht an, dass er bei dem Gedanken auch nicht glücklicher war als ich. Und merkwürdigerweise versöhnte mich diese Beobachtung wieder etwas. Ich dachte: Jemand, der so offenkundig sein Missfallen zu erkennen gibt, ist kaum der gewiefte Taktiker, für den man ihn hält.

"Ihr Ruf ist nun mal nicht der beste."

"Was man in den Diensten über mich erzählt, sind Ammenmärchen, Haag."

"Warum sollte man Sie zum Buhmann machen?"

"Keine Ahnung." Er kaute nachdenklich an seiner Unterlippe. "Jemand wirft irgendeine Bemerkung in den Raum, bei einer Party oder Geburtstagsfeier. Alle sind angesäuselt, die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, und schon macht der Mist die Runde. Nichts entwickelt so viel Eigendynamik wie ein Gerücht.

Und wie entstehen solche Hirngespinste? Vielleicht hat er's sich ja aus den Fingern gesogen, als er morgens im Bett seinen Kater auskurierte, zwischen Traum und Wachen – mit 'nem Eisbeutel auf dem Kopf! Gott, sicher war ich in Kambodscha. Und wir waren nicht gerade nett zu den Eingeborenen. Aber die Gegenseite war auch nicht nett zu uns."

"Sie sind das Opfer falscher Verdächtigungen, was?"

"Ich bin ein Dreckskerl, um es klar herauszusagen. Ich bin einer dieser miesen kleinen Geheimdiensttypen, die ihre eigenen Eier – und die ihrer Freunde dazu – als türkische Delikatesse verhökern würden, wenn es nur genug Silberlinge dafür gäbe. Das wollen Sie doch hören?" Er setzte sich an den Tisch und goss uns aus der Porzellankanne Kaffee ein, dabei zeigte er auf den gegenüberliegenden Stuhl.

"Ich mag Ihre vulgären Bemerkungen nicht, Sehlen."

"Also gut, nun setzen Sie sich schon. Ist auch nicht mein Stil – Sie haben mich herausgefordert. Wir sollten kooperieren, das wäre für beide Seiten ersprießlicher." Er streckte seine sonnengebräunte Hand aus. "Nennen Sie mich Ronald. Ihr Vorname ist, glaube ich ?"

"Den kennen Sie doch genauso gut wie ich."

"Sie spielen darauf an, dass man sie in Ihrer Jugend immer damit gehänselt hat?"

"Mein Vater war ein religiöser Eiferer", sagte ich ohne sonderliche Neigung, das Thema zu vertiefen.

"Er verehrte Ambrosius als Kirchenlehrer. Das gab den Ausschlag."

"Er setzte gegen den Willen meiner Mutter durch, dass ich diesen Namen bekam. Auf dem Amt riet man ihnen dringend davon ab. Es wurde die Hölle für mich, wie erwartet. In der Schule und auch später."

Sehlen nickte, als sei er bestens darüber informiert. Mir kam der Gedanke gar nicht mehr so abwegig vor, die Panne des Taxis damals könnte von ihm inszeniert worden sein, um in Ruhe meine Frau auszuhorchen. Er schien keine Ahnung davon zu haben, dass ich später den Vornamen Adrian angenommen hatte. Selbst einige meiner engsten Freunde ahnten nicht, dass ich Ambrosius hieß. Ich war mir sogar nie zu schade gewesen, meinen Pass eilig verschwinden zu lassen, zum Beispiel nach der Passkontrolle, wenn jemand sagte:

"Lass doch mal einen Blick auf dein altes Foto werfen, Adrian." Oder wenn ich ihn an der Hotelrezeption vorlegen musste:

"Hübscher alter Pass. Bestimmt tausend Stempel drin, bei deinem Pensum an Fernreisen, Addi? Darf ich ?"

Es mag seltsam klingen, aber vielleicht war dieser – in den Augen mancher Leute nichtige – Grund auch der Anlass dafür gewesen, dass ich später soviel Gefallen an jenem Spiel mit falschen Pässen fand, das man in unseren Kreisen zu höchster Vollkommenheit perfektioniert hat.

"Ronald ist auch nicht viel besser. Hat mir irgendein dummdreister Stiefvater angehängt, der gleich nach meiner Geburt zur Stelle war. Seines Zeichens in die Briten vernarrter Handlungsreisender zwischen Ostende und Dover. Das Anglophile saß ihm in den na ja, reden wir nicht mehr darüber.

Er vertrieb eine sensationelle neue Art von Korkenzieher, die seine Großeltern vor etwas mehr als dreißig Jahren im Riesengebirge erfunden hatten."

"Ronald hat 'nen unangenehmen Beigeschmack", bestätigte ich. "Erinnert zu sehr an die konservativen Zeiten der amerikanischen Außenpolitik."

 

"Ich weiß, dass Sie Gorbatschows Politik aus heimlicher Seelen- und Geistesverwandtschaft studieren, Ambrosius. Da sollten Sie mir nichts vormachen – ich bin nicht Forum. Dem können Sie weismachen, Sie seien eigentlich ein waschechter Hardliner. Ihre Tochter ist doch mit 'nem ehemaligen Bürgerrechtler liiert, oder?

Neunundachtzig, noch zu Zeiten des starrköpfigen alten Stamm-Saarländers mit Schimpf und Schande aus der Republik geflogen, hab ich recht? Hat sich in Leipzig an seinen Protestkerzen gründlich die Finger verbrannt."

"Sie machen Ihrem Ruf alle Ehre, Sehlen."

"Ich bin nun mal ein unbestechlicher Zeitzeuge, und da nehme ich uns selbst nicht aus. Sie liegen ganz gut im Rennen, Amb. Sie gehen still und beharrlich Ihrer Arbeit nach, Sie machen kein Trallala, aber alle nehmen Ihre Meinung ernst. Sie sind so was wie die unauffälligste graue Eminenz in Forums Laden, die es je gegeben hat."

"Unsinn, da unterschätzen Sie meinen Einfluss gewaltig."

"Und dahinter steckt – wenn ich mal raten darf – Ihre Frau, oder?"

"Margrit kümmert sich nicht um meine Arbeit."

"Ich meine natürlich indirekt. Sie hält Sie der höchsten Weihen für würdig. Sie möchte liebend gern aus Ihnen den König machen. Ihre eigene Unzufriedenheit, Kochtopf, Haushalt, treibt sie dazu, Ihnen diese Flausen in den Kopf zu setzen, Amb. Sie ist 'n bisschen autoritär, und Sie sind eher der stille Typ. Gibt 'n gutes Gespann ab. Auf die Weise ist schon Weltgeschichte gemacht worden."

"Nennen Sie mich nicht Amb."

"Schlagen Sie sich erst mal den Bauch mit dem köstlichen Zeug da voll – hebt die Seelenlage! Wäre ich Mediziner, würde ich sagen: Alles Chemie, mein Lieber. Der Mensch ist ein Chemismus, hab ich mal irgendwo gelesen. Der Einfluss der Cremeschnitte auf die hintersten Gehirnwindungen – den sollte mal einer untersuchen, nicht immer diesen Schmant von frühkindlichem Liebesentzug."

Manchmal hatte ich den Eindruck, er gebärde sich bloß als Ungeheuer, um mich nachher damit überraschen zu können, dass er ganz harmlos war.

Wir aßen schweigend. Er beobachtete mich aus zusammengekniffenen Augen und ließ seinen Blick über den Umriss meines Gesichts wandern, als sei es eine Landkarte. Er machte sich ein Bild von mir. Dass ich ihm Paroli bot, schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken. Sehlen war sich seiner Überlegenheit bewusst, das spürte man bei jeder Geste.

Er wollte klare Verhältnisse schaffen. Forum höchstpersönlich hatte mich zu diesem unerquicklichen Treffen abkommandiert, also würde ich mich wohl fürs erste damit abfinden müssen. Er schätzte es nicht, wenn man sich vor einer Aufgabe zu drücken versuchte. Dann witterte er sofort irgendeine Schwäche oder Allergie. Und Allergien, ob politischer oder persönlicher Art, behandelt man am besten mit einer Überdosis des Allergens.

"Sie wirken plötzlich so nachdenklich, Amb?"

"Sollten wir jetzt nicht endlich mal zur Sache kommen, Ronald? Sie tischen mir Sahnetorte auf, ich schütte den Kaffee wie russischen Wodka in mich hinein. Mein Magen und meine Eingeweide kommen langsam in Wallung, von meinen Hirnwindungen ganz zu schweigen …"

"Forum hat Ihnen doch das Schlüsselwort genannt, oder?" Er drehte interessiert den Kopf. Er sah irgendwie raubäugig aus dabei, wie eine Katze, die, eher aus Jagdinstinkt als aus Appetit, zum tödlichen Nackenbiss ansetzte. Oder wie ein englischer Pointer, der sein Karnickel foppte, bevor er sich dafür entschied, dem ungleichen Spiel ein grausames Ende zu bereiten.

"Schafspelz, ja."

"Sprechen Sie das Wort um Gottes willen nie in der Öffentlichkeit aus. Schafspelz ist so geheim, dass es darüber nicht einmal Aufzeichnungen gibt."

"Also gut, fangen wir ganz von vorn an." Ich deutete durch das Fenster in die Dünen. "Da draußen stehen doch jetzt ein paar von unseren Leuten und sichern die Kommandozentrale, oder? Wie viele sind wir?"

"Hauptsächlich Sie und ich", sagte er. "Wir haben ein paar Zuarbeiter. Fahrer, Boten, Hauspersonal. An den Fäden ziehen nur wir beide." Er lachte, als bekomme er einen Erstickungsanfall. Der Gedanke (oder das, was er wirklich dachte) schien überaus amüsant für ihn zu sein. Ich versuchte der Vorstellung genauso viel Komik abzugewinnen, aber es misslang.

"Riesenbaby ist also nur unser Zuarbeiter?"

"Riesenbaby, ha, ha – nimmt uns die Muskelarbeit ab", bestätigte er. "Kopf freihalten von allen Nebensachen. Ich rate Ihnen: Stellen Sie sich gut mit Rie-sen-ba-by. Und nicht bloß, weil er den Fahrer macht oder die Sahneschnittchen besorgt. Seine alte Mutter hat mir anvertraut, er sei manchmal 'n bisschen verwirrt. Drückt sich so aus, dass er Freund und Feind verwechselt."

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