Читать книгу: «Volles Rohr», страница 5

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‚Genial’, dachte der. ‚Den habe ich dermaßen in der Hand mit allem, was ich über ihn weiß, dass er sich ein NEIN gar nicht leisten kann.’ Ein Zustand, den er nur zu gerne hatte. Er mochte es, wenn er Menschen wie Marionetten bewegen konnte.

Dass ‚Doc Fury’ ‚nur’ Veterinär war, kümmerte Klaf nicht die Bohne. Eine Wunde nähen könnte der allemal.

Und dann rief er ihn an. Die Nummer hatte er via Smartphone aus dem Internet geholt. Doch Joe Kalbrenner war auf Anhieb wenig begeistert von Klafs Ansinnen. Wegen des Eingriffs an einem Menschen. Er wollte sich nicht auf illegales Terrain begeben.

„So, so“, hatte Klaf gesagt. „Aber Deine Kokserei ist legal. Was meinst Du, was passiert, wenn ich diese Info mal ein wenig in der Öffentlichkeit streue. Dann kannst Du Deinen Laden zusperren und allenfalls mal Pferdezöpfe flechten.“

„Du bist ein solches Arschloch“, hatte ihm der Arzt geantwortet. Doch als dem noch zusätzlich 5.000 Euro und ein Monat gratis ‚sniefen’ angeboten wurden, knickte er schließlich ein.

Er solle zum Haingraben in Schwarzenau kommen. Dort gebe es oben einen kleinen Verbindungsweg. Auf dem werde er erwartet.

Zehn Minuten später war Klaf am verabredeten Ort. Zwanzig Minuten danach tauchte der Arzt auf. „Komm, steig in meinen Wagen. Für Deinen wird es ein wenig zu holprig auf dem Weg zum Operationssaal.“ Klaf übte sich in einem schrägen Humor, mit dem der Doc nichts anfangen konnte. Jedenfalls nicht zu dieser Tageszeit. Aber er folgte der Aufforderung und wollte mit einer Taschenlampe zunächst einmal nach der offenen Wunde schauen.

„Lass den Scheiß. Dafür hast Du gleich Gelegenheit genug“, pfiff ihn der Demolierte an und gab Gas. Vom Oberen Hüttental ging´s grob in Richtung Berleburg. Aber auf halber Strecke bremste Klaf scharf ab und bog nach links in einen Waldweg ein. Wieder gab er Gas. Doch der Hummer fing an auf der unebenen Strecke zu springen und zu schlingern.

„Sag mal, bist du bekloppt? Du kannst doch hier nicht fahren wie ein Schwein.“

„Doch, kann ich. Diesen Weg kenne ich seit meiner frühesten Jugend. Mein Opa hatte hier zig Jahre lang die Jagd. Später mein Vater. Und ich war oft dabei. Vor allem, wenn´s anschließend ‘ne Fete in unserer Jagdhütte gab.“

„Und die gibt´s immer noch?“

„Was?“

„Na, die Jagdhütte.“

„Klar, die haben wir behalten. Mein Bruder hat so ‘ne Art Wochenenddomizil draus gemacht.“

Nach einem weniger bedeutenden Hopser und einem halben Dreher hinter einer Kurve hatten sie plötzlich vor der Hütte gestanden, für die Klaf sogar einen Schlüssel besaß. Dem Doktor war speiübel. Als er ausstieg rief er dem Dealer zu: „Noch so eine Fahrt überleb´ ich nicht.“

‚Keine Sorge’, hatte Klaf gedacht, ‚die Rückfahrt wirst du sowieso nicht lebend antreten.’ Denn er hatte nicht im Traum daran gedacht, den Arzt als lebende Zeitbombe draußen herumlaufen zu lassen.

Aber dann, wenige Stunden später, hatte er vor einem weitaus größeren Problem gestanden. Er brauchte dringend professionelle Hilfe. Doch die Chancen standen bei Null.

Der Weg zu seinem Wagen war nach derzeitigem Stand der Dinge von ihm nicht zu bewältigen. Der Akku seines Mobiltelefons war leer; das Ladegerät dafür lag dankenswerterweise im Hummer. Und das Handy von Dr. Kalbrenner hatte er persönlich ‚entsorgt’, indem er es kurzerhand aus dem Fenster warf, während sich der Doc die Hände für die OP wusch. In der Zwischenzeit hatte er das Teil schon mehr als zehnmal klingeln hören. Draußen wohlgemerkt. Dort, wo er nicht hinkam. „Herrgott, steh mir bei“, sandte dieser Unmensch ein Stoßgebet zum Himmel.

Sven Lukas war richtig gut drauf. Es hatte einfach alles vorzüglich geklappt, was er seit dem Morgen angepackt hatte. Fehlte eigentlich nur noch das Einverständnis des Chefs, diesen Mistbock namens Falk endlich fangen zu dürfen. Doch Klaiser saß noch immer mit dem Staatsanwalt und Jürgen Winter zusammen, um über den Schutz für ‚Monkey’ Schneider zu beraten.

Also war er kurz rüber zum „Café Wahl“ gelaufen, um sich zwei süße Stückchen zum zweiten Frühstück zu holen. Auf dem Rückweg schaute er schnell bei Rüdiger Mertz vorbei, der Dienst am Funkpult hatte.

„Grüß Dich, mein Lieber. Wie läuft´s?“

„Och, eigentlich gut. Warte mal eben. Muss gerade noch ‘ne Fahndung rausgeben.“

„Was habt Ihr?“

„In Arfeld hyperventiliert die Frau eines Tierarztes, der in aller Herrgottsfrühe zu einem Fall raus und noch nicht wieder aufgetaucht ist.“

„Ich Vollidiot!“, brüllte der ‚Freak’ los. „Das darf doch alles nicht wahr sein! Wie heißt der Mann denn? Und wo ist er verschwunden?“

Rüdiger Mertz schaute den Kollegen verständnislos an. „Dr. Joe Kalbrenner. In Arfeld ist er verschwunden. Aber was hat das denn mit Dir zu tun?“

„Ach so, ja, kannst Du ja nicht wissen.“ Sven wurde hektisch. „Wir haben alle Kliniken und Ärzte im weiten Umkreis abgeklappert, um zu erfahren, ob jemand diesen Drogenbaron, diesen Klaf, zusammengeflickt hat. Weißt Du, diesen Typen, der gestern Abend in Langewiese einen Mann halb totgeschlagen hat und selbst ganz derbe auf die Fresse geflogen ist.“

„Ach so. Und Du meinst, den Job hätte auch ein Tierarzt machen können?“ Er überlegte einen Moment. „Na klar, warum eigentlich auch nicht.“

Die beiden Polizisten schauten sich groß an. „Au Mann“, rief der ‚Freak’ beim Rauslaufen, „hoffentlich ist das nicht wahr. Und wenn, hoffentlich ist das gut gegangen.“ Aber das war natürlich so etwas wie das Pfeifen im Winde. Denn wenn es wahr gewesen und gut gegangen wäre, warum war der Veterinär dann nicht wieder aufgetaucht?

Mit Riesensprüngen hatte der ‚Freak’ die Treppe nach oben genommen und war in das Büro von Born gestürmt. „Sitzen die noch immer zusammen?“

„Nee. Der Chef sitzt drüben und hat schon nach Dir gefragt.“

„Okay, komm mit rüber zu Klaus. Ich habe gerade ‘ne ganz üble Story erfahren. Ich vermute jedenfalls, dass ich da richtig liege.“

Nach einmaligem Anklopfen rannte er hinein zu Klaus und bat um ein kurzes Hearing, an dem auch Pattrick und Jürgen teilnehmen sollten. Er habe extrem Wichtiges. Klaus nickte und bat schnell noch Winter dazu.

Kurz und knackig berichtete Sven Lukas von seinen Ermittlungsergebnissen, vom Fehlschlag bei der Suche nach einem Operateur und der Feststellung der Personalien Falks und seines Wohnortes Arfeld.

„Und jetzt haltet Euch fest. Ich hab´ eben unten bei den Kollegen der Schutzpolizei mitbekommen, dass seit heute Morgen in aller Herrgottsfrühe ein Tierarzt wie vom Erdboden verschwunden ist. Und dieser Arzt kommt …?“

„Sag jetzt nicht ‚aus Arfeld’,“ antwortete Klaus.

Der ‚Freak’ nickte. „Exakt. Er kommt aus Arfeld. Ist das Zufall, oder was ist das?“

„Wir glauben ja grundsätzlich nicht an Zufälle. Leute, die Geschichte hier stinkt. Da bin ich mir so sicher wie Sven. Wie seht Ihr das?“, fragte der Boss in die Runde.

„Sehe ich genauso“, meinte Jürgen.

„Ich auch“, legte Pattrick nach.

„Begründung?“, fragte Klaiser nach.

„Begründung? Ich mein´, nach all den Schilderungen über seine Verletzung musste der Typ ja zu irgendeinem Arzt“, antwortete Born. „Zu einem x-beliebigen zu gehen, das wäre viel zu gefährlich für Falk geworden. Er musste davon ausgehen, dass wir auf der Suche nach ihm die Mediziner schon alle informiert hatten. Also musste er einen nehmen, von dem er glauben konnte, dass wir den garantiert nicht auf der Liste haben. Einen Tierarzt also. Naja und zu Wohnort Arfeld und Arzt aus Arfeld muss man wohl nicht mehr allzu viel sagen.“

„Bin ganz Deiner Meinung“, zeigte sich Klaus äußerst zufrieden. Auch Jürgen nickte zustimmend.

„Okay, wo fangen wir an? Sven, hast Du alle Infos über Doktor Kalbrenner?“

„Nee, aber die stehen jetzt garantiert alle in der Fahndung. Die müsste draußen sein.“ Der ‚Freak’ war schon wieder halb durch die Tür nach draußen verschwunden. Er stand unter Strom.

„Das heißt, ab jetzt suchen alle nach dem Tierarzt und nach seinem Wagen.“

„Das mit dem Wagen hat sich erledigt, der ist schon gefunden worden.“ Rüdiger Mertz stand plötzlich neben dem ‚Freak’ und überbrachte die Botschaft persönlich. „Die Kollegen haben das Fahrzeug vor ein paar Minuten verlassen in Schwarzenau im Oberen Hüttental gefunden. War ein Glücksfall. Die Jungs mussten eine Unfallstrecke vermessen, als die Fahndung per Funk kam. Sie standen gerade mal fünfzig Meter weg von dem gesuchten Pkw.“

„Haben sie irgendwelche Besonderheiten am oder im Wagen festgestellt?“

„Offensichtlich nicht. Der Kuga stehe da, wie von einem Touristen abgestellt, der von dort aus eine Wanderung gestartet habe.“

„Irgendeine Spur von Doktor Kalbrenner?“

„Keine. Aber wir werden den Fundort natürlich zum Ausgangspunkt für eine Suchaktion nehmen.“

„Alles klar. Da sollten wir vorher noch ein Briefing machen. Weil nicht auszuschließen ist, dass die Kollegen da auf eine ganz fiese Socke treffen. Einen gewaltbereiten Drecksack, der den Arzt womöglich in seiner Gewalt hat. Der nennt sich Klaf, heißt aber Falk. Ach, übrigens, wir sollten die Spurensicherung zum Wagen des Arztes schicken.“

„Schon passiert. Und Frau Kalbrenner werden wir auch informieren. Ist zwar in diesem Stadium vielleicht keine gute Idee, aber wir brauchen den Zweitschlüssel des Wagens.“

„Und Sie sind sicher, dass Sie diese Frau schon mal gesehen haben, Frau ääh …?“

„Feistauer heiße ich. Margarete Feistauer. Aber nicht nur einmal, Herr Wachtmeister. Ich habe sie oft gesehen. Hin und wieder zweimal die Woche. Immer zu Fuß. Mal in den Ort und mal zurück.“

Obermeister Sam Weinrebe staunte nicht schlecht, als ihm die betagte Erndtebrückerin von ihren Begegnungen mit Anna Berg erzählte. Der Polizist hatte sie in der Ortsmitte angesprochen, wo sie gerade aus dem „Buchladen Weiand“ gekommen war.

„Ich wohne in der Ederfeldstraße. Und dort kommt sie immer vorbei. Immer in denselben Sachen, die Arme. Als ob sie nichts anderes hat. Und immer mit einem Rucksack. Den trägt sie übrigens vor der Brust.“

‚Endlich’, dachte Sam Weinrebe, ‚endlich gibt es jemanden, der sich erinnern kann, diese Frau gesehen zu haben.’ Diese ewige Fragerei, das Vorzeigen eines Fotos und die Rumsteherei am Bahnhof und vor Supermärkten war ihm gehörig auf den Wecker gegangen. Dabei hatte er erst am Morgen damit angefangen.

„Einmal habe ich sogar mit ihr gesprochen“, erzählte die alte Dame weiter. „Da war ich gerade beim Schneeschippen, als sie vorbei kam. Sie fragte mich, ob es denn niemanden gäbe, der diese schwere Arbeit für mich machen könnte. Als ich ihr erzählte, dass ich allein lebe, hat sie mir kurzerhand die Schneeschaufel aus der Hand genommen und den Hauszugang vom Gehweg her freigeräumt.“

„Das ist ja mal eine schöne Geschichte“, war Weinrebe regelrecht begeistert.

„Ja. Und als ich ihr dann als Dankeschön eine Tasse Tee angeboten habe, hat sie abgewunken und gesagt, sie müsse sich jetzt beeilen. Sonst verpasse sie den Zug. Ich habe ihr dann schnell fünf Euro aus dem Haus geholt und in die Hand gedrückt. Da hat sie sich gefreut.“

„Ist Ihnen an der Frau irgendetwas Besonderes aufgefallen?“

„Nein, eigentlich nicht. Oder doch, warten sie mal. Sie roch ganz eigentümlich. Irgendwie nach … Ach, ich weiß nicht. So, als wenn ihre Kleidung in einem modrigen Keller gehangen hätte.“

Weinrebe schrieb eifrig mit und fragte schließlich noch: „Frau Feistauer, konnten Sie sehen, wo die Frau hingegangen ist?“

„Konnte ich nicht. Wissen Sie, ich wohne ziemlich weit hinten in der Ederfeldstraße, nicht weit weg von einer Kurve. Dort verschwand sie immer aus meinem Sichtfeld, wenn sie Richtung Ortsausgang lief. Und in Richtung Ort geht es einfach geradeaus. Aber warum hätte ich ihr hinterherschauen sollen?“

„Da haben Sie recht“, wollte der Polizist das Gespräch beenden.

„Aber sagen Sie mal, Herr Wachtmeister, warum fragen Sie eigentlich nach der Frau. Ist ihr irgendetwas zugestoßen?“

„Nein, nein. Ihr geht es gut. Sie ist da nur in eine dumme Sache verwickelt. Ich darf Ihnen aber leider nichts Genaueres sagen. Bitte haben Sie Verständnis.“

Schnell schrieb Weinrebe noch die Personalien und die Erreichbarkeiten der netten Dame auf. Dann verabschiedete er sich. ‚Vielleicht sollte ich mich noch ein wenig im Ederfeld umhören’, dachte er, bevor er in den Wagen stieg.

Sven Lukas war mal wieder bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen. Passwort knacken. Nicht zuletzt deshalb hatte man ihm den Spitznamen ‚Freak’ gegeben. Weil er sich wie ein Verrückter in solche Aufgaben stürzen konnte und nicht aufgab, bevor er eine Lösung parat hatte.

Vor ihm auf dem Tisch lag Anna Bergs Smartphone. Und über den Bildschirm seines Labor-PC rauschten Buchstaben- und Zahlenkolonnen. Für solche ‚Spielchen’ hatte er sich eigens eine Universal-Docking-Station besorgt, die es ihm erlaubte, jede nur denkbare Mobiltelefon-Variante an seinen Computer anzuschließen. Und das Programm für den PC hatte er aus stockdunklen Kanälen bezogen, über dessen Existenz sein Chef und die Kollegen besser nichts wussten.

Plötzlich stoppte die rasende Reihe auf dem Display. Und es ertönte eine Siegesfanfare. Der ‚Freak’ grinste über beide Backen, ballte die Faust und ließ ein leises „Yes, we did it“ hören. „Ja, wir haben es geschafft“ wäre ihm angesichts der möglichen Tragweite seines Erfolgs zu trivial gewesen. Man konnte ja nie wissen, was ein solcher Computer mit Telefoneinrichtung, und nichts anderes war ein Smartphone, an Geheimnissen und Offenbarungen birgt.

„Mal sehen, was die junge Dame an Bekanntschaften hat“, murmelte er vor sich hin und ließ das Namens- und Adressverzeichnis von A – Z auf den Speicher seines PC laufen, während er streng darauf achtete, dass ihm die Namen Falk oder Klaf tunlichst nicht durch die Lappen gingen. Beide konnte er jedoch unter den ohnehin sehr wenigen nicht ausmachen.

Überhaupt hatte die Berg ausgesprochen wenig auf dem Smartphone gespeichert. Nicht einmal die Nummern aboder eingehender Telefongespräche. Die hatte sie allesamt gelöscht. Nicht allerdings eine stattliche Anzahl SMS. Gierig stürzte sich der ‚Freak’ darauf. In der Hoffnung, habhafte Infos über die Frau oder ihren Bekanntenkreis zu bekommen.

Doch beim Öffnen machte sich bei Sven Ernüchterung breit. In welche Message er auch immer schaute, bekam er dieselbe Nachricht: „Es ist wieder Dreck im Rohr.“ Zehn-, fünfzehnmal unisono die gleichlautende Nachricht, dass wieder ‚Dreck im Rohr’ sei. ‚Entweder haben die nicht alle Tassen im Schrank’, dachte er, ‚oder ist das ist eine Art Code für irgendwas?’

Lukas scrollte zurück in der Liste bis ganz zum Anfang. Die erste Nachricht stammte vom 15. Oktober des Vorjahres. Die zweite war dann erst am 12. November gekommen. Und die dritte am 2. Dezember. Dann allerdings lagen die Messages dichter beieinander. Es gab sogar schon mal zwei pro Woche. Die letzte war von 2:14 Uhr am Vortag.

Klaus Klaiser freute sich auf das Mittagessen. Nach gut drei Wochen hatte Ute endlich mal wieder gekocht. Es gab Rouladen mit Kartoffelpüree und Leipziger Allerlei. Eine seiner Lieblingsmahlzeiten. Nach Luisas Geburt hatte Klaus zunächst die Regie in der Küche übernommen und versucht, Ute mit seinen amateurhaften Kochkünsten zu verwöhnen. Dankbar ließ sie ihn gewähren. Auch wenn ihm nicht jeder seiner Versuche geglückt war.

Aber ihr Essen war ein Traum. Niemand konnte die Rouladen so gut wie Ute. Und in ihrem Kartoffelpüree hätte Klaus baden können. Allein dafür gab es mindestens drei Küsse extra. Überhaupt waren sie nicht geizig in derlei Liebesbekundungen. Ihre Ehe war einfach mustergültig. Und jetzt, wo die kleine Luisa da war, konnte es eigentlich nicht schöner sein.

„Duuuhuuu“, hauchte Ute, nachdem sie auch den Nachtisch, einen Birnenkompott, gegessen hatten. „Jaaahaaa“, antworte er lachend. „Was hast Du denn auf dem Herzen, mein Schatz?“ Er kannte sie zu gut um zu wissen, dass sich hier etwas Besonderes anbahnte.

„Ich bekomme heute Nachmittag Besuch.“

„Ui“, lachte er noch mehr, „das muss ja mindestens ein Kronprinz sein.“

„Nee, isses nicht. Es ist eine alte Freundin.“

„Kenne ich die?“

„Klar kennst Du sie. Aber nicht böse sein, bitte.“

Klaus überlegte einen Moment. „Doch nicht etwa Corinna, oder?!“

„Doch, es ist Corinna. Sie kommt mit ihrem kleinen Paul. Für ein, zwei Stunden. Bist Du jetzt sauer?“

Ihr Mann wusste nicht, was er war. Überrascht auf alle Fälle. Aber sauer?

„Nee, sauer bin ich nicht, mein Schatz. Ich bin eher … irgendwie bewegt.“ Ute fiel ihm um den Hals. Bewegt, das war die richtige Beschreibung auch für ihren Gemütszustand nach Corinnas Anruf vom Vormittag. Sie hatten beide viel geweint während des Telefonats. Weil sie sich gegenseitig so sehr gefehlt hatten, nach den heftigen Auseinandersetzungen im vergangenen Jahr. Als sogar Ute ihrer besten Freundin die Tür gewiesen hatte.

Als Ute ihrem Mann davon berichtete, hätte auch er beinahe Tränen vergossen.

„Du glaubst gar nicht, welch großen Gefallen Du mir damit tust. Mir hat die Sache so sehr um die Füße gehangen. Das kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Zumal sie mir ja auch dienstlich noch diverse Probleme bereitet hat. Aber je länger das zurückliegt, desto mehr hat sie mir auch gefehlt. Als Deine oder unsere Freundin. Aber auch als Kollegin.“

„Ihr tut das alles so unendlich leid. Sie sagte mir, sie sei monatelang in psychotherapeutischer Behandlung gewesen und dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass sie dienstlich wohl des Öfteren weit über das Ziel hinausgeschossen sei.“

„Ach“, schmunzelte Klaus. „Da scheint sie ja bei einem richtigen Fachmann gewesen zu sein.“

„Bitte, mein Liebster, für Sarkasmus ist da echt kein Platz. Sie bereut wirklich bitter und ist Dir dankbar, dass Du ihr disziplinarisch keinen Strick gedreht hast, aus ihrem Verhalten.“

„Oh ja“, wurde er wieder ernst. „Da habe ich wirklich lange mit mir gerungen. Aber ich wollte ihr die Zukunft nicht verbauen.“ Wieder bekam er einen Kuss von seiner Gattin, die sich neben ihn aufs Sofa gelümmelt und an seiner Schulter angelehnt hatte.

„Einen Chef wie Dich kann man sich nur …“ Sein Handy klingelte.

Lachend setzte er sich auf und fragte, während er zum Handy griff: „Na? Was kann man sich?“ Wieder klingelte es. „Soviel Zeit muss sein. Was kann man?“

„Jetzt sei nicht so neugierig und geh´ endlich dran.“

„Klaiser“, meldete er sich. Und nach kurzem Zuhören sprang er auf. „Das kann doch nicht wahr sein! Wo ist das? … Ja, … ja das weiß ich. Alles so lassen, nichts …, na, Du weißt schon. Okay, bis gleich.“

„Was Schlimmes?“ Ute wusste, dass diese Frage überflüssig war.

„Ja, sehr schlimm. Zwei Tote. Beides Männer, die wir gesucht haben.“

„Um Gottes Willen. Erzähl´ bitte nicht weiter.“

Bevor er ging, wollte er noch mal schnell nach Luisa schauen. Natürlich gemeinsam mit Ute. Die Süße lang auf dem Rücken und schlief selig. „Sieh mal“, flüsterte Klaus stolz, „sie lächelt.“

„Tatsächlich. Das gibt´s doch nicht, ganz kurz. Da, schon wieder. Als würde sie sich freuen, uns zu sehen.“

„Als würde sie sich freuen, uns glücklich zu sehen“, flüsterte er Ute ins Ohr und zog sie mit hinaus aus dem Kinderzimmer. „Ciao, Schatz. Ich muss. Tut mir leid. Grüß’ bitte Corinna von mir.“ Einen langen, innigen Kuss später beeilte er sich, wegzukommen.

„Bitte sei vorsichtig!“, rief Ute ihm von der Tür nach. Dann startete er seinen A5, setzte das Blaulicht aufs Dach und brauste davon.

„Wie habt Ihr sie überhaupt gefunden? Das ist ja ewig weit weg vom Oberen Hüttental.“ Klaiser stand kopfschüttelnd neben Rüdiger Mertz in der Jagdhütte. Zu ihren Füßen in der Küche, der erschossene Doktor Joe Kalbrenner und Mike Falk, ebenfalls mit einem Einschussloch rechts im Kopf. Allerdings auch mit einem riesigen Loch auf der gegenüberliegenden Seite.

„Über Handy-Ortung. Sven Lukas hatte die Idee und uns gefragt, ob wir das schon mal probiert hätten. Auf die Idee war dummerweise von uns noch keiner gekommen. Obwohl wir natürlich die Nummer von Kalbrenner kannten.“

„Kann passieren. Wär´ ich auch auf Anhieb nicht drauf gekommen. Und wie ging das weiter?“

„Ja, dann hat Sven das Mobiltelefon von Joe Kalbrenner geortet. Alles andere ging ruckzuck. Es war dann auch überhaupt kein Problem, die Hütte zu finden. Wir sind mit zwei Vierergruppen im Vollschutz hier hin und sind da vorne ausgestiegen. Dort, wo die beiden Bullis stehen. Als wir uns der Hütte näherten, hörten wir plötzlich einen Schuss im Inneren.

Zunächst dachten wir, da hätte jemand das Feuer auf uns eröffnet. Wir sind also ausgeschwärmt und haben die Hütte umstellt. Aber dann passierte nichts mehr. Es war mucksmäuschenstill. Irgendwie wurde uns dann auch klar, dass weder aus einem Fenster, noch aus der Tür heraus geschossen worden sein konnte. Weil nichts offen war und auch keine der Scheiben beschädigt.

Als sich immer noch nichts rührte und auch niemand auf unsere Rufe reagiert hat, bin ich dann zusammen mit Harry Senftleben hier rein. Weitere zwei Kollegen hinter uns. Und dann lagen sie da. Ein furchtbares Bild.“ Mertz drehte sich weg.

„Habt Ihr die Toten denn genau so gefunden, wie sie hier liegen?“

„Ziemlich genau so. Nur der Notarzt hat sein verdrehtes linkes Bein gerichtet. Ansonsten ist das Bild ja auch zu eindeutig.“

„Denke ich auch“, antwortete Klaus. „Die Frage, wer hier wen erschossen hat, können wir uns ja wohl sparen. Und warum dieser Falk den Arzt umgebracht hat, dürfte auch klar sein.“

„Natürlich“, entgegnete Mertz, „dieser …, oh nein, über Tote soll man ja nichts Schlechtes sagen. Also dieser Drogendealer da hatte offenbar Angst, dass er von seinem Nothelfer verpfiffen wird. Aber er muss schon ein brutaler Hund gewesen sein. Wegen so was bringt man doch keinen Menschen um. So eine unglaubliche Scheiße, Mann.“

„Du hast ja recht. Aber jetzt erklär´ mir mal, warum sich Klaf, entschuldige, warum sich Falk selbst erschossen hat. So wie das aussieht, ist doch der Arzt schon Stunden länger tot.“

„Verdammt gute Frage. Die haben wir uns natürlich auch gestellt, aber eine schlüssige Antwort erst gefunden, als der Notarzt sein linkes Bein gerade gemacht hat. Der Mann hat sich die Hüfte gebrochen. Der konnte nicht mehr laufen. Sonst hätte er ja jederzeit abhauen können. Sein Hummer sprang auf Anhieb an und hätte ihn ohne Schwierigkeiten hier wieder rausbringen können.

Und Hilfe hätte er keine anfordern können. Denn der Akku seines Handys war leer. Und das Mobiltelefon des Doktors lag hinterm Haus. Nicht weit weg vom Küchenfenster. Wird wohl einer von den beiden rausgeworfen haben.“

„Komische Geschichte“, befand Klaiser. „Wo ist eigentlich Senftleben?“

„Oh, der ist draußen. Dem geht´s, glaub´ ich, nicht so besonders gut.“

„Wie, was ist passiert?“, wollte Klaiser wissen.

„Dem ist das alles hier sehr auf den Magen geschlagen. Ich glaub´, der hat draußen gekotzt wie ein Reiher.“

Das war ihm auch nicht zu verdenken angesichts des Bildes, das sich hier bot. Dort die Leiche des erschossenen Tierarztes in einer riesigen Blutlache, deren Farbe mittlerweile ins Bräunliche übergegangen war. Bizarr verrenkt durch den Sturz vom Küchenstuhl. Und direkt daneben der tote Falk, dem die 9mm Para-Munition der ‚08’ ein ordentliches Loch in die linke Gesichtshälfte gerissen hatte. Blut, Knochensplitter und Gewebefetzen waren im ganzen Raum verteilt.

„Ich fürchte, wir werden hier dicht machen müssen, bis KTU und Rechtsmedizin hier sind.“

„Alles klar.“ Rüdiger Mertz schaute sich noch einmal in der Küche um, ob nicht eventuell Ausrüstungsgegenstände von ihm oder Kollegen im Raum liegen geblieben wären. Dann schloss er ab und nahm den Schlüssel an sich.

Klaiser suchte derweil draußen den Kollegen Senftleben. Es fiel ihm nicht besonders schwer, den Mann zu finden. Er war der Blasseste von allen, hockte auf einem Baumstumpf und starrte teilnahmslos ins Leere.

„Harry Senftleben?“, fragte er leise, als er neben ihm stand und ihm auf die Schulter tippte.

Der Angesprochene zuckte etwas zusammen und blickte zu ihm auf. „Ja?“

„Hallo, wir haben uns ja erst heute Morgen vorm Revier getroffen“

„Ja, stimmt. Hauptkommissar Klaiser. Richtig?“

„Richtig. Wie geht´s Dir?“

„Wieder besser. Das sah ja mies aus da drin. So was hatte ich zuvor noch nie in natura gesehen. Dieser arme Tierarzt. Wer weiß, was sich da abgespielt hat. Geht einem ganz schön an die Nieren.“

„Du wärest kein fühlendes Wesen, wenn Dich das unberührt ließe.“

„Danke. Ich hab´ mich schon richtig geschämt vor den anderen.“

„Musst Du nicht. Wirklich nicht.“ ‚Senftleben ist ein richtig guter Typ’, dachte Klaus, ‚jemand, der noch Mitleid hat.’ Aber er hatte noch Fragen.

„Rüdiger Mertz hat mir schon ziemlich genau erzählt, was Ihr hier draußen erlebt habt. Wie hat sich Euer Einsatz aus Deiner Sicht dargestellt?“

Harry Senftleben wusste in seinem Bericht nicht viel anderes zu erzählen als der Kollege Mertz. Er war lediglich etwas blumiger in der Satzgestaltung und insgesamt etwas ausführlicher. Aber ansonsten weitestgehend deckungsgleich.

„Und Du bist sicher, es ist nur ein Schuss gefallen.“

„Absolut sicher. Und das war in der Jagdhütte.“

Mirco Mihaliakk hatte die Schnauze gestrichen voll. Immer diese Kutscherei auf dieser Scheiß-Straße über Lützel. Immer dieses Rumgestehe vor der Ampel auf der nicht enden wollenden Baustelle. Und dann das oft endlose Warten auf eine günstige Gelegenheit, den Stoff zu deponieren.

Vorige Woche wäre er um ein Haar erwischt worden. Von zwei Wachdienst-Mitarbeitern, die zur Unzeit ihre Runde drehten. Eigentlich wusste er ganz genau, wann und wo diese Typen ihre Streife liefen. Er hatte sogar Aufzeichnungen darüber gemacht. Aber dieses Mal waren sie vollkommen aus der Reihe.

Nur mit ganz viel Glück hatte er es über einen Zaun geschafft und sich hinter einem Erdwall verstecken können, bevor ihn die Lichtkegel ihrer starken Stablampen erreichen konnten. Zurück zu seinem Lastzug hätte er es nicht geschafft.

„Da war doch was“, hatte der eine geflüstert.

„Ja, hab´ ich auch gehört. Guck mal da, der Zaun wackelt ja noch.“

Eine ganze Weile hatten die beiden Wachleute an ein und derselben Stelle verharrt und immer wieder mit ihren Lampen ziemlich genau die Stelle beleuchtet, an der Mirco hinter dem Buckel verschwunden war. Der Eindringling atmete in seine Jacke hinein, um nicht etwa durch aufsteigende Wölkchen verraten zu werden. Denn es war deutlich unter null Grad. Der Winter hatte noch mal richtig Gas gegeben. Hier allerdings ohne Schnee im Gepäck.

„Komm, lass´ gut sein“, raunte schließlich einer der Männer. „Wird wohl ‘ne Eule gewesen sein.“ Dann waren sie weiter gezogen. Und Mirco hatte sie noch eine ganze Weile beobachtet. Bis sie auf dem beleuchteten Gelände des Werks um die nächste Hallenecke verschwunden waren. Dann war er wieder über den Zaun geklettert und über den kleinen Trampelpfad zurück zu seinem Truck auf dem Parkplatz gelaufen.

Den Stoff hatte er ganz nebenbei in einem schwarzen Beutel im vorletzten Rohr, untere Reihe, auf dem Lagerplatz deponiert und das abgerissene Gebüschteil dahinter geschoben, das vorher schon darin gesteckt hatte. Passte hervorragend zur Umgebung und fiel selbst dem nicht auf, der zufällig dort vorbeikommen würde.

Wer immer sich das hatte einfallen lassen, der Mensch war gut informiert. Denn bei all dem Durchlauf, der auf dem Gelände herrschte, musste man wissen, dass ausgerechnet dieses Rohr liegen bleiben würde. Und das lag tatsächlich seit Monaten so.

Obwohl ausnahmsweise am helllichten Tag, hatte er vier Tage später keinerlei Probleme, seine Ladung an Marihuana und Speed im Rohr zu deponieren. Schnell war er wieder zurück auf dem Fußweg zum Parkplatz und hätte jedem sagen können, er habe sich nur ein wenig die Beine vertreten wollen, nach der langen Fahrt hierher. Dann machte er es sich in seiner Kabine bequem, um erst etwas zu essen und ein wenig zu schlafen. Wenn es klappte, würde er noch am selben Tag Ladung nehmen und wieder in den Duisburger Hafen fahren. Von dort aus gingen die Rohre, die er transportierte, nach Rotterdam und dann weiter auf einem Hochseefrachter zum Pipeline-Bau, irgendwo im Mittelmeer.

Mirco war nur einer von zehn oder zwölf Fahrern, die ständig mit ihren Tiefladern zwischen Erndtebrück und DuisburgRuhrort pendelten. Aber er war seines Wissens der einzige, der auch als Drogenkurier tätig war. In unregelmäßigen Abständen. Oft dauerte es nur wenige Tage, bis er wieder einen neuen Lieferauftrag samt Ware bekam. Nur selten waren es zwei Wochen. Das variierte. Aber darum musste er sich nicht kümmern. Er kannte nicht mal seinen oder seine Auftraggeber.

Genauso wie sein Honorar, bekam er auch den Stoff „frei Lkw“ geliefert. Er musste nur unter die Schlafdecke in seiner Kabine schauen, wenn er am frühen Abend losfuhr. Irgendjemand besaß einen Zweitschlüssel für seinen DAF-Truck. Vermutlich jemand von der Spedition, für die er fuhr. Denn ungesehen würde niemand auf das Gelände seiner Firma kommen und sich an einem der dort abgestellten Lastzüge zu schaffen machen können. Aber er vertiefte die Frage nach dem „woher“ nicht. Denn er war überaus zufrieden mit seinem Honorar.

Klar, ein Risiko ging er schon ein als Kurier. Er müsste auf der Hinfahrt nur einmal in eine Kontrolle kommen, bei der sein ‚Bock‘ auf den Kopf gestellt würde. Dann wäre er geliefert. Auch wenn er ein wunderbares Versteck hinter einer Klappe in seinen Werkzeugkasten gebaut hatte, der am Chassis des Brummis befestigt war. ‚Die finden alles, wenn sie dich erstmal am Kanthaken haben’, sagte er sich immer wieder. Und damit sah er die Summe schon gerechtfertigt, die er vom großen Unbekannten bekam.

Wenn er die Ware sicher im Depot untergebracht hatte, gab es für ihn eigentlich nur noch eine Aufgabe. Er musste eine SMS absetzen mit dem Text „Es ist wieder Dreck im Rohr.“ Dafür hatte er eigens ein Handy, das keine Absender-Infos versendete und in dem nur zwei Nummern gespeichert waren. Einmal unter „Kunde“ und einmal unter „Grossist“. Seine Message vom „Dreck im Rohr“ ging jeweils an beide. Sollte aber mal etwas schiefgehen, dann würde lediglich „Grossist“ informiert. Die Nachricht würde dann lauten: „Schade, schade.“ Alles Weitere musste dann, auf Anforderung hin, über eine weitere SMS erklärt werden.

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