Unter der Sonne geboren - 2. Teil

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

„Niemand vermisst mich!“, beklagte sich Anna leise, während auf der Straße die Menschen sangen und tanzten. „Ich will die Aufmerksamkeit nicht von Ihnen ablenken“, hatte sie zu Ludwig und Maria Theresia gesagt. „Deshalb werde ich einen Tag vor Ihnen inkognito nach Paris fahren und als einfache Zuschauerin an Ihrem Triumph teilnehmen.“

Dass es ein solcher Triumph werden würde, hatte Anna allerdings nicht erwartet. Auch nicht, dass es keine einzige Stimme gab, die nach ihr rief. Bisher war sie die Königin gewesen, die Erste Dame, wo auch immer sie auftrat. Dass auf einmal niemand mehr nach ihr zu fragen schien, versetzte ihr einen Schlag, der ihr wehtat. Sie sah den Diamanten, der an Maria Theresias kleiner Hand in der Sonne blitzte, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass von nun an diese junge Frau die Stelle einnehmen würde, die bisher ihr, Anna, zugekommen war.

Von Anfang an war Anna entschlossen gewesen, ihre Schwiegertochter und Nichte zu lieben wie ein eigenes Kind. Inzwischen fühlte sie sich allerdings ernüchtert. Maria Theresia hatte ihre Erwartungen enttäuscht. Dass sie die französische Sprache nicht beherrschte, konnte ihr nicht angelastet werden. Ebenso wenig, dass ihr Verstand unter dem Durchschnitt geblieben war. Maria Theresia war verspielt wie ein Kind. Nie war sie glücklicher, als würde sie mit ihren Schoßtieren und Zwerginnen spielen konnte, und immer stand ein Tellerchen mit Naschwerk dabei. Auch ihr Umgang mit Ludwig hatte etwas Treuherziges und Kindliches. Wenn Maria Theresia Liebe machte, tat sie es auf die gleiche naiv-sinnliche Weise, mit der sie ihre Pralinen genoss oder den Finger in die Marmelade tauchte.

Anna, die die beiden aufmerksam beobachtete, hatte den Eindruck, dass Ludwig dennoch mit seiner Ehe zufrieden war. Doch Wie lange noch? Wie sollte sich ein Mann, der der Liebhaber von Oympia Mancini gewesen war und Marie Mancini geliebt hatte, auf Dauer mit einer Frau begnügen, die immer noch jeden Morgen klatschte, um den Hofstaat über seine nächtliche Leistungen zu informieren, und die immer noch davon überzeugt war, dass ein König nur eine Königin lieben könne?

Sie blickte hinunter auf die Straße, wo nun hinter dem Wagen der Königin die Equipagen des Kardinals auftauchten. Auch ihnen winkte das Volk gutmütig zu. Längst hatte man aufgehört, Mazarin zu hassen. Dieser Tag war auch sein Triumph.

Alle wussten, dass es Mazarin gewesen war, der den Frieden herbeigeführt und listig erschachert hatte. „Vive le cardinal!“, riefen einzelne, raue Stimme. Trotzdem konnte man hinter den Scheiben der ersten Equipage, in der man den Kardinal vermutete, nichts erkennen. Keinen Umriss eines Menschen, keine winkende Hand. Niemand ahnte, dass die Equipagen des Kardinals leer waren.

Schon seit einem Jahr hatte sich Mazarin krank gefühlt. Nur die riesige Herausforderung des Friedens mit Spanien hatte ihn noch aufrechterhalten. Schon während der Rückfahrt aber hatten ihn immer öfter seine Kräfte verlassen. Die Gicht quälte ihn, dass er es kaum noch aushielt, und nachts rang er nach Luft. Die meiste Zeit konnte er nicht einmal mehr liegen, sondern saß, der Verzweiflung nahe, aufrecht in seinem Himmelbett. Er dachte an Rom, an den Vatikan und wie viel noch bedacht und organisiert werden musste, bis der gegenwärtige Papst das Zeitliche segnete.

Mazarin lachte bitter auf, während sein Beichtvater, der Theatiner Joly, an seinem Bett saß, das Kinn auf der Brust und die Augen geschlossen. „Womöglich bin ich früher dran als er!“, klagte Mazarin und schüttelte den Kopf.

Der Mönch schreckte hoch. „Wer, Eminenz?“, fragte er schlaftrunken. Als Mazarin nicht antwortete, dachte der kleine Mönch, dass Eminentissime auch nicht jünger wurde und manchmal nicht mehr ganz richtig im Kopf war.

Die Prozession war vorbeigezogen. Die Menschen am Straßenrand folgten ihr. Nach und nach wurde es ruhig. „Darf ich Sie in den Salon bitten, Majestät?“, fragte Catherine de Beauvais. Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen. Ihr Gesicht ließ nicht erkennen, was sie dachte, als da unten ihr kleiner König in all seinem Glanz vorbei ritt.

Der Tod des Paten

Mazarin arbeitet sich zu Tode. Um sein Werk zu vollenden, hält er sich durch heroische Zauberkunststücke am Leben. Dann verfliegt der Zauber, und Frankreich wird gewahr, dass er schon seit langem tot ist.

Kein Staatsmann ist grausamer geschmäht worden. Keiner hat je solchen Ruhm geerntet wie er nach dem Pyrenäischen Frieden. Ausländische Fürsten und Minister schreiben ihm, ziehen den Hut vor ihm und bitten um sein Urteil in schwierigen Fällen. Was nie zuvor geschehen ist und nie wieder geschehen wird: das Parlement, das einst einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt hatte, schickt eine Abordnung zu ihm, um ihn zu beglückwünschen.

Hat er daran gedacht, Papst zu werden? Andere haben für ihn daran gedacht. Im Monat Dezember 1655 schon schrieb ihm ein Jesuit:

„In allen Vorzimmern und allen religiösen Körperschaften wird nur von den Verpflichtungen gesprochen, welche die Christenheit Seiner Eminenz gegenüber hat, und man hört nur sein Loblied singen. Alle, die sich auskennen, sind der Meinung, dass Seine Eminenz die Konklaven beherrschen wird und dem die Tiara aufs Haupt setzen kann, der ihm genehm ist, selbst auf sein eigenes Haupt, wenn er Lust dazu hat.“1

Ehe Mazarin am 13. August 1659 den Fuß auf die Fasaneninsel setzt, herrscht in Rom bereits Begeisterung.

Tausendfach wird das Gerücht ausgestreut, „er könne nach der Papstwürde streben oder zumindest einen Pontifex nach seinem Belieben schaffen“. (26. Juli) Benedetti, Mazarins langjähriges Faktotum in Rom, sieht ihn schon auf dem Stuhl des heiligen Petrus sitzen. (Brief vom 28. Juli) Mit jedem Tag, der den Frieden näherbringt, wird die Begeisterung für ihn größer. Noch einmal schreibt Benedetti am 11. August, er ist wie berauscht. Die Kirche und ihre Staaten ersehnen sich einen Papst wie Mazarin. Eine einzige Bedingung ist zu erfüllen: um jeglichen Anwurf zu vermeiden, muss er sich zum Priester weihen lassen.

Viele Jahrzehnte ist Mazarin von Rom als der Antichrist angesehen, ebenso lange in Rom von Spanien bekämpft worden, nun erlebt er es endlich, dass die beiden mächtigsten Parteien im Konklave sich auf seinen Namen einigen würden. Es könnte zu einer triumphalen Papstwahl kommen. Es klingt wie ein Traum: Mazarin als Papst! Einer der außergewöhnlichsten lies ganzen Papsttums. Gäbe es eine Gerechtigkeit in dieser Welt, wären die Menschen vom wohlabgewogenen Interesse geleitet, dieser Rechenkunst dir Leidenschaften und Meinungen, müsste er eigentlich Papst werden, und es ist unbestreitbar, dass die Kirche im 17. Jahrhundert einen solchen Pontifex dringend gebraucht hätte. Das wäre die Krönung der ungewöhnlichen Laufbahn des Sohns eines Verwalters der Colonna! Er, der immer mit der Politik so beschäftigt war, dass er nie die Zeit fand, nach Rom zu gehen, um seinen Kardinalshut in Empfang zu nehmen, würde dort jetzt die Tiara bekommen!

Und dieser Triumph käme zur rechten Zeit. Wenn der Abbe von Choisy behauptet, Mazarin sei gestorben „in der Vorstellung, Papst zu werden“, so hat er große Einsicht bewiesen: „Er wusste, dass der König nichts unterlassen würde, um ihm zum Erfolg zu verhelfen, aus Freundschaft, aus Dankbarkeit, aus Stolz und vielleicht sogar, um sich auf ehrenwerte Art Und Weise von einem Ersten Minister zu trennen, der ihm allmählich lästig wurde.“ (Lavisse)

Mazarin schleppte den Tod aus dem Louvre-Palast in das befestigte Schloss Vicennes. Der von der Arbeit besessene, bis zur letzten Faser verbrauchte Mann muss das Wüten einer Nierenentzündung und eines Lungenödems ertragen. Den Gnadenstoß versetzt ihm die Harnvergiftung. Um den harten Zugriff des Todes zu mildern, zieht Mazarin nach Vincennes um. In dem weitläufigen Park hofft er, Atemluft zu bekommen und den Tod durch das Schauspiel seines Ruhmes und Glanzes einzuschüchtern.

Mazarin ist Gouverneur von Vincennes. Vincennes ist seine feudale Burg und seine Sommerresidenz. Hier kann der Besieger der Feudalherren der Fronde seiner feudalen Neigung nachgehen, hier befindet er sich im Bereich des heiligen Ludwig und Karls V. Der alte Wehrturm ist mit Kanonen bestückt, seine berittenen Musketiere und die dreihundert Garden zu Fuß tragen sein Wappen auf der Schulter.

Er lässt in den Gräben mit der Gebärde eines Großtürken, wie ihn der König in seiner Jugend nannte, einen Tiergarten mit Bären, Löwen und Tigern anlegen, der alle Welt in Staunen und Schrecken versetzt. Und vielleicht lässt sich sogar der Tod abschrecken.

Für die Freuden des Lebens hat Mazarin durch Le Vau moderne Gebäude errichten lassen. Vielleicht verjagen die Maurer den Knochenmann wirkungsvoller als die Kanonen und die Tiger. Seit 1653 sind die Bauarbeiter mit der Kelle am Werk und schaffen bis zu seinem letzten Atemzug. Hier finden auch die vielen Feste statt, die der Kardinal dem König und dem Hof gibt. Als wolle er, nachdem er Europa den Frieden gebracht hat, jetzt der Welt Vergnügungen bringen. Der auf dem Gipfel seines Ruhms stehende Staatsmann verwandelt sich zum Maitre de plaisir für die Jugend. Die Theatertruppen von Floridor und Moliere treten für diesen unvergleichlichen Regisseur auf, der sich dem Schauspiel der Träume hingibt, nachdem er das diplomatische Schauspiel der Welt inszeniert hat. Eine schmerzvolle Aufgabe bei den Qualen, die die Krankheit verursacht, aber auch beabsichtigter Rausch: der König soll in einen Wirbel gerissen werden, um mit der jungen Königin die Illusion eines Honigmonds zu genießen.

Spiele, Tänze, Jagden, Theateraufführungen bis hinein in den Januar 1661. Doch in Vincennes ist der Winter härter als in Paris. Der Tod kommt näher. Um ihm auszuweichen, zieht man wieder in den Louvre um. Mazarin arbeitet noch immer. Er hat den Vorsitz, wenn die Ratsgremien zusammentreten. Er führt sich auf wie ein Satrap, der auf nichts und niemand mehr Rücksicht nimmt. „Die Ratssitzungen wurden in seinem Schlafgemach abgehalten, während er rasiert und angezogen wurde, und oft spielt er mit seiner Grasmücke und seinem Äffchen, während ihm Staatsangelegenheiten vorgetragen wurden. Er bot in seinem Schlafzimmer niemals eine Sitzgelegenheit an, nicht einmal dem Kanzler und dem Marschall Villeroi.“ (Lavisse)

 

Er erzieht und unterrichtet den König auch weiterhin, und dieser zeigt ihm weiterhin tiefen Respekt, obwohl er sich häufig verstellen muss. Sobald der König fertig angezogen ist, begibt er sich zum Kardinal. Diese Besuche erfolgen ohne Zeremoniell, in völliger Zwanglosigkeit.

Der Kardinal verlässt sein Zimmer nicht, er begleitet den König nicht hinaus. Wenn er beschäftigt ist, geruht der König im Vorzimmer zu warten . . .

Gewöhnlich dauert das Zusammensein mehrere Stunden; während dieser Zeit unterrichtet der Kardinal den König über die laufenden Geschäfte, belehrt und bildet ihn. So erfährt Seine Majestät alles aus guter Quelle“, schreibt der venezianische Gesandte Nani in einem Bericht. Doch weist der Diplomat auch auf den undurchschaubaren Charakter des Königs hin: „Er bezeigt jedem gegenüber vollkom-mene Gleichgültigkeit, so dass unter den ihm Nahestehenden niemand sich rühmen kann, von ihm durch Bevorzugung oder besonderes Vertrauen ausgezeichnet worden zu sein. Diese Eigenschaft, die man selten bei einem Fürsten antrifft, ist bei einem Monarchen in der Blüte der Jahre sehr erstaunlich . . .“ Auch beim Kartenspiel versucht Mazarin, den Tod zu hintergehen. Das Spiel ist das erste und letzte seiner Zerstreuungen. Jeden Abend wagt er, drei- bis viertausend Goldpistolen einzusetzen. Der Kardinal ist eine seltsame Mischung aus Verschwendung und Geiz. Er ist imstande, eine kostenlose Lotterie für den Hof zu veranstalten, bei dem die Gewinne mehr als eine Million wert sind. Die Grande Mademoiselle ist erstaunt darüber: >Diese galante Großzügigkeit erregte viel Aufsehen am Hof, überall im Reich und in den fremden Ländern. Sie war außerordentlich, und ich glaube, man hat in Frankreich eine solche Freigebigkeit nie erlebt.“ Seinen Nichten gibt er Louisdors, die sie mit vollen Händen aus den Fenstern des Palais Mazarin werfen, um sich zu amüsieren und zuzuschauen, wie die Diener null darum balgen. Doch kann der Kardinal andrerseits beim Spiel seine Raffgier so weit treiben, dass er die Goldpistolen, die er gewinnt, in der Hand wägt, und die, die er als zu leicht befindet, beiseitelegt, um sie am nächsten Tag einzusetzen.

Mit zunehmendem Alter und fortschreitender Krankheit benimmt er sich auch der Königinmutter gegenüber brummig wie ein alter Ehemann. Er spricht mit ihr wie mit einer „Zofe“. Er lehnt ihr alles ab. Er setzt ihr Haushaltsgeld herunter, ihre Ausgaben für die Tafel, für die Toilette. Er nörgelt über die Lebensführung des königlichen Paares. Er weigert sich, der jungen Königin Geld fürs Kartenspiel zu geben, während er „seiner Nichte, der Gräfin von Soissons, gewaltige Summen zum Spielen gab“.

Als der Hof mit Mazarin nach Vincennes umzieht, bewohnt die getreue Königinmutter die Gemächer, die seinen Zimmern am nächsten liegen, damit sie ihm beistehen kann.

Wenn sie ihn des Nachts bei seinen Erstickungsanfällen schreien hört, stürzt sie zu ihm, um seine Kissen aufzuschütteln. Er schilt sie mit harten Ausdrücken, wie Molieres Greis mit seiner Dienerin tut: „Diese Frau bringt mich noch ins Grab . .. Wird sie mich nie in Ruhe lassen?.. .“

Als Mazarin meint, er habe den Tod von seiner Fährte abgelenkt, offenbart er sich ihm plötzlich unter einem unerwarteten Aspekt. Im Augenblick der Zurichtungen für ein Ballett, das er einüben ließ, wie in seiner Jugendzeit in Rom beim Kardinal Antonio. Dieses der jungen Königin gewidmete Ballett sollte in der Gemäldegalerie des Louvre, die dann zur Apollo-Galerie geworden ist, getanzt werden.

Mazarin hatte es sich in den Kopf gesetzt, diesen Saal völlig italienisch zu dekorieren. Er ließ ihn mit einem Meisterwerk Mailänder Webkunst ausschlagen, die seiner Meinung nach alles, was die Franzosen zu schaffen imstande waren, weit übertraf: goldene Brokatmuster auf grünem und rotem Grund.

Am 6. Februar 1661, mitten im kältesten Winter, brach im Louvre ein heftiges Feuer aus. Im Nu sind die Brokatstoffe von den Flammen verzehrt. Sie verschlingen auch die Porträts der Könige sowie die Wand- und Deckengemälde. Es verwüstete mehrere Räume nicht weit von den Gemächern des Kardinals, den seine Atembeschwerden am Schlaf gehindert hatten. So hörte er schon früh die Entsetzensschreie und das Hin und Her der verschreckten Diener, die sich vergeblich bemühten, den Brand zu löschen.

Es war dunkel im Raum, nur in den Türritzen flackerte der Widerschein des Feuers. Mazarin rief seinen Kammerdiener, der auf einem Bett in der Ecke schlief. Doch die Stimme des Kardinals war nicht kräftig genug. Der Diener fing sogar an zu schnarchen und im Traum jämmerlich zu stöhnen. Fast schon in Panik riss Mazarin am Glockenzug. Doch auch das wurde nicht gehört. So wälzte er sich schließlich aus eigener Kraft mühsam aus dem Bett und torkelte zu dem Diener. Er riss ihm die Decke weg und schrie seinen Namen.

Erst jetzt tauchte der Diener aus seinen Träumen empor. In langen Jahren hatte er gelernt, sofort hellwach zu sein, wenn man ihn rief. Als er den Lärm hörte und das Feuer flackern sah, verstand er sofort. Damit rettete er wohl sich selbst und auch seinem Herrn das Leben.

Kräftig wie er war, hob er den Kardinal wie eine Braut hoch, drückte mit dem Ellbogen die Klinke nieder, stürzte auf den Korridor hinaus und flüchtete dann aus dem Bereich des Feuers hinunter in den Hof. Erst gegen sieben Uhr morgens kann das Feuer ge-löscht werden.

Im Freien war es bitterkalt. Mazarin war fast ohnmächtig. „Nach Vincennes!“, ächzte er. Dann verlor er das Bewusstsein.

Als er wieder erwachte, war es heller Mittag. Er merkte, dass er in seinem Bett in Vincennes lag, das ihm von allen seinen Schlafgelegenheiten immer die liebste gewesen war. Nicht zu hart und nicht zu weich und das Zimmer gut beheizbar. „Was ist geschehen?“, fragte er, obwohl er sich schon im selben Augenblick wieder an den Brand erinnerte.

Sein Leibarzt Quenaud, der mit mehreren anderen Doktoren auf sein Erwachen gewartet hatte, trat näher. „Sie haben sich erkältet, Eminenz“, erklärte er besorgt. „Die eisige Luft, die lange Fahrt in der Kutsche nur mit einer einzigen Decke ... Ich fürchte, es war zu viel für Sie.“

Mazarin versuchte, sich aufzusetzen. Doch er war so schwach, dass Quenaud seine Bewegung nicht einmal als den Wunsch, sich aufzurichten, erkannte. „Sie waren über zwei Tage nicht bei Bewusstsein, Eminenz“, sagte er. Es klang fast vorwurfsvoll. Erst heute Morgen ging das Fieber wieder zurück.“

Mazarin lächelte schief. „Zwei ganze Lebenstage verloren?“, in suchte er zu scherzen. „Als ob ich noch so viel Zeit zu verschenken hätte!“

Quenaud wiegte das Haupt. „Auch vorher haben Sie uns schon große Sorgen bereitet, Eminenz“, gestand er. „Dieses Erlebnis. ...“ Er zögerte.

Mazarin lächelte nicht mehr. „Dieses Erlebnis war der letzte Nagel zu meinem Sarg, nicht wahr?“

Quenaud blickte ihn besorgt an. „Wenn Sie es so ausdrücken wollen, Eminenz.“

Mazarin rang nach Atem. Je wacher er wurde, umso quälender spürte er wieder, wie krank er war. „Wie lange noch?“, fragte er. Es sollte überlegen und sachlich klingen, doch er merkte, wie leiser und heiser seine Stimme war.

„Zwei Monate, Eminenz. Vielleicht ein bisschen mehr.“

„Und ich werde die ganze Zeit so kraftlos sein wie jetzt?

Werde ich nicht wenigstens hin und wieder aufstehen und Besuche empfangen können?“ Quenaud nickte. „Ich denke, es wird auch noch ein paar gute Stunden geben, Eminenz. Wir Ärzte werden jedenfalls unser Bestes tun, seien Sie versichert.“

Mazarin hustete. „Ein paar gute Stunden!“, wiederholte er. „So, so. Gegen Ende muss man sich wohl in Bescheidenheit üben, nicht wahr?“

Mazarin erkannte, dass er seine Zeit nutzen musste. Mit Stolz konnte er behaupten, dass er für seine Familie vortrefflich gesorgt hatte. Am Tag seines Todes würde er ein Vermögen von über fünfunddreißig Millionen Livre hinterlassen. Er bedauerte fast, dass er nicht dabei sein konnte, wenn seinen Hinterbliebenen diese Summe mitgeteilt wurde. Natürlich handelte es sich dabei nicht nur um Bargeld, sondern auch um Grundbesitz, Gebäude, Ämter, Schmuck, Kunstgegenstände, Silber und seine kostbare Bibliothek. Mazarin war mit sich selbst so zufrieden, dass er für kurze Zeit seine Schmerzen vergaß.

Besonders dankbar war er seinem Sekretär Colbert, der ihm einen unbezahlbaren Rat gegeben hatte. Seine Majestät, hatte Colbert gesagt, sei nicht reich. Trotzdem neige er zur Verschwendung. Bestimmt sähe er es gern, wenn das Erbe ihm zufiele. Seine Eminenz solle es ihm ruhig anbieten. Um sein Gesicht zu wahren, werde der König erst einmal ablehnen. Noch ehe er es sich anders überlegen könne, solle sich Mazarin bei ihm entschuldigen, dass er ihm ein so dreistes Angebot gemacht habe. Natürlich sei die Stellung eines Monarchen zu erhaben, als dass er sich herablassen könnte, von einem seiner Diener - und stünde er noch so hoch in der Rangordnung - Güter anzunehmen.

Mazarin tat wie geheißen und erreichte damit das Gewünschte. Ludwig reagierte als König und lehnte ab. Nun konnte der Kardinal frei über seine Reichtümer verfügen. Er überließ sie seinen Neffen und Nichten, wobei sein Liebling Hortense, die noch während der Krankheit ihres Onkels den Marschall de La Meilleraye heiratete, den Löwenanteil erhalten sollte. Dafür war ihr Gemahl verpflichtet, nach dem Ableben des Kardinals den Namen Mazarin anzunehmen sowie auch das zugehörige Wappen.

Trotz Ludwigs Ablehnung fielen ein paar Legate auch an die königliche Familie: kostbare Juwelen, die man nicht als Erbstücke betrachten würde, sondern als persönliche Andenken. Auch der Große Conde und Turenne sollten in diesem Sinne jeder einen Diamanten erhalten.

In seinen Memoiren beschreibt der junge Brienne, der Kindheitsgefährte des Königs, eindrucksvoll das Verhalten des Kardinals. Brienne gegenüber ist meistens Vorsicht geboten, denn er stolziert gern wie ein Pfau im Vordergrund der Bühne umher. Umso mehr kann man ihm Glauben schenken, wenn er Szenen beschreibt, in denen er keine Rolle spielt. Dennoch sollte man nicht blindlings jemandem folgen, der sagt: „Man kann einem Mann Glauben schenken, der diese Zeilen in Saint-Lazare schreibt.“ (Damals das Irrenhaus) Dort stirbt er später, geisteskrank.

Brienne behauptet, er habe gesehen, wie Mazarin aus seinem Schlafgemach kam, gestützt vom Kapitän seiner Garden. Er ist von der Krankheit so ausgehöhlt, dass er meint, das Unheil nicht zu überleben. Für ihn ist es wie eine Warnung des Himmels, wie jenes „mene tekel upharsin“ (gezählt, gewogen, geteilt), das von unsichtbarer Hand an die Mauer des Saals geschrieben wurde, in dem der Babylonierkönig Belsazar, als Cyrus in die Stadt einzog, seine letzte Orgie feierte. Der Kardinal habe gezittert, sagt Brienne, er sei völlig niedergeschlagen gewesen. Der Tod stand ihm im Gesicht geschrieben. Hofleute drängten sich um ihn und redeten auf ihn ein. Er war so verstört, dass er kein Wort herausbrachte. Vier Männer trugen ihn auf einem Stuhl die Treppe hinunter, setzten ihn in seine Karosse und brachten ihn ins Palais Mazarin, während die Flammen den Raum erfassten, den er soeben verlassen hatte. Das Feuer verjagt ihn aus dem Palast der Könige. In diesem Augenblick hat sich Mazarin, dem die Sterne so viel bedeuteten, dem Ende nahe gefühlt wie nie zuvor.

Brienne schildert eine andere erschütternde Szene, deren Zeuge er im Palais Mazarin zwischen dem 6. und 9. Februar gewesen sein will: „Ich wandelte durch die neuen Gemächer seines Palais und befand mich in der kleinen Galerie mit der Scipio-Tapisserie, der schönsten Tapisserie des Kardinals, ganz aus Wolle. Ich vernahm sein Kommen am Schlurfen seiner Pantoffeln, die er wie ein müder, von schwerer Krankheit befallener Mann über den Boden gleiten ließ. Ich versteckte mich und hörte, wie er sagte: >Alles dies muss ich zurücklassen!< Nach jedem Schritt blieb er stehen, denn er war sehr schwach, er stützte sich bald rechts, bald links und ließ seine Augen auf dem Gegenstand ruhen, der in sein Blickfeld geriet.

Und wieder sagte er mit einem tiefen Seufzer: >Alles dies muss ich zurücklassen!< Sich umwendend fügte er hinzu: >Und auch dies! Was hat es für Mühe gekostet, diese Dinge zu erwerben! Kann ich sie ohne Bedauern zurücklassen? Dort, wohin ich gehe, werde ich sie nicht mehr sehen!..<

 

Brienne hat das Lamento wohl ein bisschen zu lang ausgesponnen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Mann, der zu sich selbst spricht, so gut geformte Sätze artikuliert wie „Kann ich sie ohne Bedauern zurücklassen? Dort, wohin ich gehe, werde ich sie nicht mehr sehen“. Doch es ist nicht unwahrscheinlich, dass im Jahrhundert des Theaters ein Italiener, ein geborener Schauspieler und Regisseur, vor sich hin seufzt: „Alles dies muss ich zurücklassen!“ Vielleicht auch: „Was hat es für Mühe gekostet, diese Dinge zu erwerben!“ Von christlicher Entsagung ist nichts zu spüren, das sind Opernklänge, wie die Italiener sie in ihrer klingenden Sprache hervorbringen. Jede Episode des Daseins wird singend erlebt.

Am 8. Februar lässt sich Mazarin nach Vincennes bringen. Hier will er den Tod erwarten. Der Hof folgt ihm. Doch die Anwesenheit des Königs, der Königin, der Königinmutter, des funkelnden Schwarms der Höflinge, seiner berittenen Musketiere und seiner dreihundert Garden zu Fuß genügen ihm nicht zur Abwehr des Todes. Er schart um sich eine Mauer auserwählter Freunde, die er zu sich ruft und „die ihn nicht verlassen sollen“. Unter ihnen der Herzog von Gramont, den er schon 1630, zur Zeit des Feldzugs von Mantua, kennengelernt hat. Ein hervorragender Hofmann, der nach Madrid geschickt worden war, um für den König um die Hand der Infantin zu bitten.

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»