Unter der Sonne geboren - 2. Teil

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Marie nickte lächelnd. „Mein Onkel ebenfalls“, erklärte sie. „Ich glaube, man gönnt uns unser Glück.“ Dann ritten sie weiter. Erst am Abend trafen sie in den Rastorten wieder mit ihrer Reisegesellschaft zusammen. Man aß und trank, spielte Gitarre und sang.

Die Einzige, die ihr Missfallen nicht verbergen konnte, war Madame de Venel. Doch alles, was sie von den Liebenden dafür erntete, war Lachen und Spott. Die Gouvernante konnte kaum glauben, wie kindisch fast erwachsene Menschen durch das hemmungslose Ausleben ihrer Verliebtheit werden konnten.

Einmal brachte ihr Ludwig eine wunderbar bemalte Schachtel als Geschenk mit. Zögernd nahm sie sie entgegen. „Süßigkeiten, Sire?“, erkundigte sie sich vorsichtig. Ludwig verneigte sich und Verließ den Raum. Madame de Venel öffnete die Schachtel und ließ sie gleich darauf schreiend zu Boden fallen. Anstelle der Pralinen, die sie erwartet hatte, sprangen ihr zwölf Mäuse entgegen. Madame de Venel starb fast vor Schreck. Sie war überzeugt, dass sie in ihrem Innersten nie wieder Achtung vor diesem König haben konnte.

Marie bekam andere Geschenke. Als sie wieder in Paris waren, verlangte Ludwig von Mazarin ein Präsent für seine Liebste. Mazarin zögerte. Er war nicht gegen diese offenkundig immer noch unschuldige Verbindung seines Patensohns und seiner Nichte. Sie kam ihm sogar ganz gelegen, wusste doch ganz Europa bereits davon, auch die Katholische Majestät, was Mazarin bei seinen Verhandlungen mit Pimentel zugutekam. Philipp von Spanien musste damit rechnen, dass sein Heiratsangebot abgelehnt wurde, wenn er zu viel dafür verlangte. Wenn man sich allerdings geeinigt hatte, mussten die verliebten Spielchen ein Ende haben.

„Ich bin Maries Vormund!“, beruhigte Mazarin die Königin, der alles schon viel zu weit ging und die Marie immer weniger ausstehen konnte. Trotzdem umarmte sie sie manchmal zärtlich Und nannte sie „liebes Kind“. Marie konnte nicht ahnen, wie schwankend der Boden war, auf dem sie sich bewegte.

Ludwig schenkte ihr das kostbarste Perlencollier, das es in Europa gab. Zuvor war es im Besitz der englischen Königin gewesen. Als man deren Gemahl enthauptet hatte, war Henriette nach Frankreich geflohen. Der Verkauf des Colliers bewahrte sie davor, Königin Anna wegen jeder Kleinigkeit um Unterstützung zu bitten. Siebzigtausend Livre war das Schmuckstück wert. Ein wahrhaft königliches Geschenk, das Ludwig da seiner Angebeteten um den Hals legte. Nur zähneknirschend hatte Mazarin das Geld herausgerückt. Er tröstete sich damit, dass der Besitz eines so wertvollen Schmuck-stücks seiner Nichte den unausweichlichen Abschied versüßen würde.

Vielleicht würde es bis zu diesem Abschied gar nicht mehr so lange dauern. Zwar wurde der Krieg an der Front immer noch blutig weitergeführt, doch die Verhandlungen gingen ihrem Ende entgegen. Zum ersten Mal kamen Besucher aus Spanien nach Paris.

Don Juan d'Austria, Gouverneur der Niederlande und natürlicher Sohn Philipps IV., besuchte seine Tante, Königin Anna, im Louvre und wurde liebevoll aufgenommen. Auch Don Antonio Pimentel hätte sich keinen freundlicheren Empfang wünschen können, und als der Sonderbotschafter Frankreichs, Gramont, nach Madrid reiste, wurde ihm sogar gestattet, der spanischen Königin, die allein zu speisen pflegte, bei ihrem Diner zuzuschauen. Zwei Hofdamen, ganz in Weiß gekleidet, bedienten kniend ihre Herrin, während der Botschafter das Gefühl hatte, sich auf einem anderen Stern zu befinden. Doch es war wohl eine große Ehre, die ihm da zuteilwurde, und so verbarg er sein Befremden hinter der undurchdringlichen Miene, die am spanischen Hof wohl üblich war.

Marie begriff nicht, was das Hin und Her spanischer Gäste zu bedeuten hatte. Allzu sicher fühlte sie sich durch Ludwigs Liebe, die von Tag zu Tag größer zu werden schien. Das Perlencollier, das er ihr umgelegt hatte, kam ihr wie ein heimliches Verlobungsgeschenk vor. Dass Madame de Venel Bedenken äußerte, überhörte Marie mit Bedacht.

„Man sollte keine Präsente annehmen, wenn man mit dem Betreffenden nicht verheiratet ist!“, tadelte die Gouvernante. „Habe ich Sie das nicht gelehrt, Mademoiselle?“

Marie lachte. „Sogar mein Onkel wusste davon, Madame“, widersprach sie. „Wollen Sie strenger sein als der Kardinal?“

Madame de Venel schwieg. Es stand ihr nicht zu, ihren Herrn zu kritisieren. Trotzdem fand sie, dass er diesmal, bei all seiner Güte, das Falsche getan hatte. „Noch dazu Perlen!“, fügte sie hinzu. „Wissen Sie nicht, dass Perlen Tränen bedeuten?“

Marie betrachtete sich wohlgefällig im Spiegel und fuhr lächelnd mit den Fingerspitzen über das schimmernde Collier, „Diese nicht!“, versicherte sie leise. „Glauben Sie mir, Madame! Diese nicht!“

Man verhandelte bereits über den Termin und die Modalitäten des Friedensschlusses und der Hochzeit mit der Infantin, da trat Ludwig vor seinen Paten hin und bat ihn um die Hand seiner Nichte Marie. „Ich wüsste kein besseres Mittel als diese Heirat, Sie für Ihre wertvollen, langjährigen Dienste zu entlohnen, mein lieber Pate!“, sagte er herzlich. Er zweifelte nicht daran, dass sich der Kardinal über den Antrag freuen würde.

Mazarin, dessen Gedanken in diesen Tagen nur um das Thema der Verhandlungen mit Pimentel kreisten, blickte Ludwig verblüfft an. Nicht einmal zornig wurde er. Er konnte nur nicht glauben, dass dieser junge Mensch, den er zur Vernunft erzogen hatte, ein solches Ansinnen an ihn stellte. „Als Sie ein Kind waren, Sire“, antwortete er in schleppendem Ton, „suchten wir nach einer Lektüre, die Ihren Charakter formen sollte. Sie sollten lernen, was einen guten König von einem mittelmäßigen oder einem schlechten unterscheidet.“ Seine Miene veränderte sich nicht. „Wir hatten viel Freude an Ihrer Entwicklung. Wir dachten, Sie hätten Klarheit darüber, was es bedeutet, König zu sein.“

Ludwig runzelte die Stirn. Er merkte, dass das Gespräch ganz aners verlief, als er es erwartet hatte. „Ich denke schon, dass ich das weiß, Eminenz“, antwortete er. Er war plötzlich auf der Hut, obwohl er noch vor wenigen Minuten darauf vertraut hatte, dass ihn sein Pate verstehen würde.

Mazarins Blick war hart und ohne Erbarmen. Ein Leben lang halte er um Ansehen gekämpft, um einen ehrenvollen Platz in der Geschichte. Sollte nun die Verwirrung eines Jünglings den Traum zerstören, dessen Erfüllung zum Greifen nahe war? „Wir haben Ihre Freundschaft mit meiner Nichte geduldet“, sagte er.

„Wir haben Ihnen erlaubt, ihr wertvolle Geschenke zu machen. Von einer Heirat war jedoch nie die Rede.“

„Und von Liebe?“ Schon während er es sagte, wusste Ludwig, dass Liebe für Mazarin kein Argument war. Der Kardinal sprach es nicht aus, doch Ludwig wusste, was er dachte. Ein bürgerliches Mädchen kam für einen König von Frankreich als Gemahlin nicht infrage. Frauen wie Marie Mancini heiratete ein Bourbone nicht. Er nahm sie sich höchstens als Mätresse.

„Marie ist Ihre eigene Nichte!“, beharrte Ludwig. „Missfällt Ihnen der Gedanke, eine Ihrer Verwandten könnte Königin von Frankreich werden?“

Mazarin blickte zum Fenster hinaus. Der Himmel war grau und verhangen. „Wem würde ein solcher Gedanke nicht gefallen?“, antwortete er. „Doch er ist undurchführbar. Die Folge wäre eine neue Fronde. Die Folge wäre eine Fortdauer des Krieges mit Spanien. Die Folge wäre ein Chaos und der Untergang dieser Monarchie. Mit Marie als Gemahlin wären Sie bald kein König mehr, sondern irgendwo im Ausland auf der Flucht.“

Er erhob sich und trat ans Fenster. „Dann stünden Sie im nächsten Buch über die Könige von Frankreich als >Ludwig der Törichte< oder als >Ludwig der Letztem<.“

Ludwig spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden, Eminenz!“, rief er. „Vergessen Sie nicht: Ich bin einundzwanzig und ich bin der König! Ein Befehl von mir, und Sie sind heimatlos.“

Mazarin schaute immer noch zum Fenster hinaus. Der Gedanke kam ihm, dass er noch in dieser Stunde vor den Scherben seines Lebenswerks stehen konnte. Trotzdem veränderte sich der Ton seiner Stimme nicht. „Wenn es denn sein soll, Majestät“, sagte er ruhig. „Sprechen Sie diesen Befehl, wenn Sie es wünschen! Wir werden ohnedies am Ende sein, wenn Sie Ihren Willen durchsetzen.“

Ludwig war blass geworden. „Ist das Ihr letztes Wort, Eminenz?“, fragte er kalt.

Mazarin drehte sich zu ihm um und hob in einer hilflosen Geste die Arme. „Welche Wahl hätte ich denn?“, fragte er. „Ich kann Sie nur anflehen, noch einmal darüber nachzudenken. In der Zwischenzeit vertraue ich auf Ihre Vernunft und setze die Verhandlungen mit Spanien fort.“

Ludwig merkte, dass er zu weit gegangen war. „Warum sollte es nicht möglich sein, über den Frieden zu verhandeln, doch auf die Heirat mit der Infantin zu verzichten?“, lenkte er ein.

Mazarin ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er setzte sich Und legte die Finger an die Schläfen. „Weil es dafür längst zu spät ist“, antwortete er müde. „Es wäre immer schon zu spät gewesen, Weil von Anfang an feststand, dass Sie und die Infantin füreinander bestimmt sind.“

„Sie meinen, es gibt keinen Ausweg für mich?“, Ludwig schien zu begreifen, doch er war noch weit davon entfernt, sich zu beugen.

„Es gab niemals einen Ausweg, Sire. In Wahrheit hatten Sie nie eine Wahl.“

„Hat ein Mensch nicht immer eine Wahl, mein Pate? Wären Sie hier, wo Sie sind, wenn Sie nicht immer wieder Ihre Wahl getroffen hätten?“

Mazarin schüttelte den Kopf. „Von mir ist nicht die Rede“, antwortete er. „Doch auf der Waage, die über Ihr Leben entscheidet, ist das Gewicht auf der einen Seite so schwer, dass es durch nichts aufgewogen werden kann.“

„Aber welches Gewicht wäre das?“

Mazarin zuckte die Achseln. „Die Krone natürlich!“, antworte er. Seine Stimme wurde scharf. „Vielleicht steht sogar Ihr Kopf auf dem Spiel, Sire! Denken sie an den König von England, Ihren Verwandten! Bis zum Schluss hatte er nicht die geringste Ahnung, in welcher Gefahr er schwebte.“

 

Ludwig suchte nach einer Antwort, doch er fand keine. Da drehte er sich um und eilte hinaus. Mazarin blieb zurück. Mit einem leisen Stöhnen strich er über seine Waden, die ihn so sehr schmerzten, dass er manchmal dachte, so müsse man sich im Fegefeuer fühlen. Für kurze Zeit schloss er die Augen. Dann seufzte er und wandte sich wieder seinem Entwurf des Friedensvertrags zu, der nach dem Wunsch der Katholischen Majestät erst nach der Hochzeit von Ludwig und Maria Theresia in Kraft treten sollte.

Politische Pläne

Es war, als hätte man eine brennende Fackel in einen ausgedörrten Heuhaufen geworfen. Geschrei und Tränen überall. Am schlimmsten gebärdete sich Königin Anna, die alle Schuld auf Marie häufte. „Ich weiß, es sind Ihre Nichten, mein Lieber!“, fiel sie über Mazarin her. „Aber das allein sagt noch nichts über ihren Charakter aus.“ Sie raufte sich buchstäblich die Haare. „Erst Olympia, die war schon schlimm genug! Aber sie spielte wenigstens nicht die kühle Preziöse. Bei ihr wusste man, woran man war. Doch Marie! Mein Gott, wer hätte gedacht, dass mein armer Ludwig auf so etwas hereinfällt!“ Sie sank auf ihr Sofa. „Wir sind alle viel zu gutmütig. Die Medici-Frauen hätten gewusst, wie man mit einem derartigen Problem fertig wird.“ Sie winkte ab. „Ja, ja, mein Freund. Ich höre schon auf. Trotzdem müssen wir der Sache ein Ende setzen. Sofort und für immer.“

Doch auch Marie entfesselte die italienische furia, für die ihre Familie berüchtigt war. „Sind Sie der König, oder nicht?“, fragte sie Ludwig und brach in Schluchzen aus. „Mein Onkel ist Ihr Minister, sonst nichts. Was Sie befehlen, hat er auszuführen. Wenn er das nicht einsieht, muss er eben gehen.“

Ludwig, um den sich alles drehte, stand zwischen den Fronten. Er warf sich seiner Mutter zu Füßen und schilderte ihr seine Liebe.

In seiner Gegenwart wagte Anna nicht, sich gegen Marie zu äußern. Sie führte ihm nur die politischen Folgen seines Handelns vor Augen. Dann brach auch sie weinend zusammen und überließ Mazarin das Schlachtfeld. Der erinnerte sich inzwischen daran, dass ihn seine Schwester immer schon vor Marie gewarnt hatte. „Sie ist als Störenfried geboren!“, sagte er zu Ludwig, der es inzwischen aufgegeben hatte, seine Tränen vor ihm zu verbergen. „Sie ist von Ehrgeiz besessen, jähzornig und ohne Rücksicht auf andere. Sie hat tausend Fehler. Mir fiele keine einzige Eigenschaft ein, die sie der Ehre Ihres Wohlwollens würdig machte, Sire!“ Danach beging er den Fehler, mit seinem Rücktritt zu drohen.

Ein gefährliches Schweigen entstand. Anna, die auf ihrem Sofa leise vor sich hin geweint hatte, horchte auf. Auch Ludwig wusste erst keine Antwort. Dann wurde er plötzlich ganz ruhig. „Machen Sie, was Sie wollen, Eminenz!“, antwortete er kühl. „Wenn Sie unsere Angelegenheiten nicht mehr führen wollen, gibt es genügend an-dere, die es gern tun werden.“ Damit verließ er den Raum. Von draußen hörte er, wie seine Mutter aufschrie und beschwörend auf den Kardinal einredete.

Zur gleichen Zeit wurden die Verhandlungen mit Spanien weiter gerührt. Auch hier ging es drunter und drüber. Man feilschte um Grenzgebiete, um Provinzen und Städte und um das Schicksal des Großen Conde, dem sich Spanien verpflichtet fühlte. Für Mazarin war er nur ein Verräter. Trotzdem würde man ihn wohl in allen Ehren wieder aufnehmen müssen. „Das alles ist zu viel für mich!“, sagte Mazarin eines Abends zu Nicolas Fouquet, der darauf drängte, den Friedensvertrag endlich zu unterzeichnen. „Wir können uns diesen Krieg nicht länger leisten, Eminenz!“, sagte er. „Meine Kreditgeber verweigern mir schon die Zusammenarbeit. Wie kommt es, dass plötzlich wir die Spanier hinhalten?“

Mazarin schilderte ihm Ludwigs leidige Liebesgeschichte. Nicolas hörte ihm kopfschüttelnd zu. „Der arme Junge!“, murmelte er. Mazarin fuhr auf. „Sie haben doch wohl nicht Verständnis für eine solche Dummheit?“, rief er. Nicolas zuckte die Achseln. „Für die Dummheit schon, Eminenz. Doch ich hätte kein Verständnis, wenn Sie sie zuließen.“ Er schüttelte den Kopf. „Diese Heirat ist unmöglich. Seine Majestät muss darauf verzichten. Trotzdem zeigt er uns mit seiner Unvernunft, dass er ein Mensch ist, der lieben kann. Wir sollten für ihn da sein.“

Mazarin starrte ihn finster an. „Sie sind mir keine Hilfe, Monseigneur!“, murrte er. „Zumindest nicht in dieser Angelegenheit.“ Dann begab er sich in Ludwigs Gemächer und teilte ihm mit, er könne nicht mit ansehen, wie Ludwig das Werk seiner Väter zer-störe. Sollte er nicht auf diese Heirat verzichten, werde er, Kardinal Jules Mazarin, mit seinen noch unverheirateten Nichten Frankreich verlassen und nach Italien ziehen. Als Maries Vormund werde er ihr eine Heirat mit dem König verbieten. Nur so sei Frankreich noch zu retten.

Ludwig hatte nächtelang nicht geschlafen. Er war erschöpft und niedergeschlagen. Wenn er Marie traf, lagen sie einander in den Armen und schworen sich ewige Liebe. Doch gleich danach überkam sie wieder die Verbitterung über den Widerstand, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Sie überboten sich in Angriffen auf die Königin und den Kardinal, bis es ihnen selbst zu viel wurde und sie anfingen, aneinander zu leiden. So gingen sie für kurze Zeit auseinander, und Ludwig begab sich wieder zum Kardinal, obwohl sich seit dem letzten Gespräch nichts geändert hatte.

Doch auch Mazarin konnte nicht mehr. „Ich schäme mich schon vor meinen spanischen Gesprächspartnern, Sire“, erklärte er müde. „Sie drängen auf Klarheit, und ich vertröste sie nur.“ Er legte die Lupe aus der Hand, die er in letzter Zeit zum Lesen benötigte. „Ich brauche eine bindende Entscheidung von Ihnen: Soll ich die Frie-densverhandlungen fortführen oder nicht? Verstehen Sie mich recht, Sire: Friedensverhandlungen bedeuten immer auch Verhandlungen über den Heiratsvertrag. Auf etwas anderes lässt sich König Philipp nicht ein.“ Er senkte den Kopf. „Es tut mir leid, mein Lieber. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich in eine solche Situation kommen könnte. Auch Ihnen hätte ich mehr Glück gewünscht.“ Er blickte Ludwig in die Augen. „Aber es geht nicht anders, verstehen Sie mich? Es geht nicht anders.“

Ludwig schwieg lange. Dann nickte er. „Machen Sie weiter wie bisher, Eminenz!“, bestimmte er. Seine Lippen zitterten.

Mazarin atmete auf. „Und Marie?“, fragte er. „Die Spanier wissen genau, dass Sie sich immer noch mit ihr treffen.“

Ludwig kämpfte mit sich. „Wir werden uns für kurze Zeit trennen“, gab er nach. „Vielleicht nicht für immer. Und wir werden uns schreiben, sooft wir wollen. Darauf bestehe ich.“ Er meinte, gleich müssten ihm wieder die Tränen kommen wie so oft in den vergangenen Tagen. Doch nichts geschah.

Er war nur müde. Entsetzlich müde und traurig. Dein Reich, o Liebe, ist ein grausames Reich!, dachte er.

Am nächsten Morgen, es war der 22. Juni 1659, führte Ludwig Marie zu ihrer Karosse. Er half ihr beim Einsteigen und blieb dann noch lange bei ihr stehen. Er blickte in ihr Gesicht, das ihm so vertraut und kostbar erschien wie kein anderes auf der Welt.

Marie schaute zu ihm hinunter. „Ach, Sire“, sagte sie leise. „Es ist eine verkehrte Welt. Sie sind der König, Sie weinen, und ich gehe.“

Der Kutscher schloss den Wagenschlag. Marie steckte ihre Hand durchs Fenster. Ludwig griff danach und hielt sie fest. Da gab Marie dem Kutscher ein Zeichen und riss sich los. „Ich bin verlassen!“, rief sie, als der Wagen davonfuhr.

Ludwig blieb zurück. Alles schien ihm verloren. Er ließ sich sein Pferd bringen und ritt stundenlang durch den Wald. Danach kehrte er zurück und schrieb den ersten von unzähligen Briefen, die Marie aus ihrer Verbannung mit Hortense und Madame de Venel alle beantwortete.

Zwei Mal trafen sie einander noch. Beim ersten Mal sagte Marie, sie müsse sich dem Willen ihres Onkels unterwerfen und bitte Ludwig, ihr nicht mehr zu schreiben und auch ihre früheren Briefe zu verbrennen. Ludwig konnte es nicht glauben. Wieder und wieder schrieb er ihr trotzdem und schickte ihr sein Schoßhündchen Friponne. Am Halsband trug es einen silbernen Anhänger mit der Inschrift „Ich gehöre Marie Mancini.“

Marie wusste trotzdem, dass sie verloren hatte. Der Kardinal teilte ihr mit, er habe einen Gemahl für sie gefunden, einen aus den allerhöchsten Kreisen: den Prinzen Lorenzo Colonna, dem seine eigenen Vorfahren einst als Kammerherrn gedient hatten.

Doch Marie hatte kein Gefühl für den Aufstieg ihrer Familie. „Ein Italiener?“, fragte sie. „Ihre Majestät sagte mir, auch Prinz Karl von Lothringen käme für mich infrage. Dann könnte ich in Frankreich bleiben.“

Mazarin schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, mein Kind“, antwortete er, ohne ihren Einwand zu beachten. „Die Entscheidung ist bereits gefallen.“

„Prinz Colonna also?“

Mazarin nickte. „Endgültig.“

Marie fügte sich. Auch Ludwig verbrannte nun ihre Briefe.

Seine verzweifelten Ritte durch den Wald wurden seltener, als seine Mutter anfing, Maries Ruf zu untergraben. Ständig sei das junge Mädchen auf Festen. Dem Prinzen Karl von Lothringen habe sie so offen schöne Augen gemacht, dass schon alle Welt darüber rede.

Ludwig glaubte, das Herz zerreiße ihm. „Ist das wahr, Maman?“, rief er.

Anna sah ihm tief in die Augen. „Habe ich jemals gelogen, mein Sohn?“, fragte sie. Ludwig wusste, wie streng Annas Beichtvater mit ihr war, und schenkte ihr Glauben. So kam es, dass er sich bei der zweiten Begegnung nach der Trennung nur kühl vor Marie verneigte.

Für Marie selbst hatte sich nichts verändert. „Ludwig!“, sagte sie zärtlich. „Wie geht es Ihnen?“

Der Klang ihrer Stimme traf ihn ins Herz. Trotzdem blieb seine Miene beherrscht. „Ich danke für die Nachfrage, Mademoiselle“, antwortete er abweisend. Noch einmal verneigte er sich kalt. Dann ließ er sie stehen.

Marie starrte ihm nach. Sie war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ihre Schwester Hortense eilte herbei und führte sie wie eine Kranke in ihre Gemächer. Ludwig aber ritt ein letztes Mal durch den Wald und nahm endgültig Abschied von seiner Liebe. Er wusste, dass er nie mehr dergleichen empfinden würde. Nie mehr würde er so glücklich sein wie mit Marie, nie mehr aber auch so verletzlich.

Als Marie nach Italien ging, um den Prinzen Colonna zu heiraten, äußerte dieser seinen Verwandten gegenüber, er sei überrascht. „Ich hätte nicht erwartet, in der Liebe von Königen Unschuld zu finden!“, stellte er fest. Trotzdem blieben die beiden einander fremd.

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