Unter der Sonne geboren - 2. Teil

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Er stand ihr bei. „Das ist nicht der richtige Augenblick für eine solche Frage!“, erklärte er streng. Die Franzosen murrten enttäuscht. Doch Philippe, der neue Herzog von Orleans, wollte nicht, dass sein Bruder ohne Antwort entlassen wurde. „Liebe Schwester“, sagte er mit seinem schelmischen Lächeln, „sagen Sie mir bitte: Wie gefällt Ihnen die Tür?“

Maria Theresia hielt den Atem an. Ohne Zweifel spürte sie, dass alle auf ihre Antwort warteten. Alle, auch ihr junger Gemahl, der ihr so schön erschien wie kein anderer Mann auf der Welt. So vergaß sie für einen Augenblick auf jedes Zeremoniell und sogar auf die Meinung ihres Vaters. „Die Tür ist sehr schön, mein Bruder!“, flüsterte sie und wagte sogar ein winziges Lächeln. „Sie gefällt mir sehr gut.“

Gegen Abend verließen die königlichen Gäste die Insel wieder. Im Boot der Katholischen Majestät nahm man eine wertvolle frühe mit, die Ludwig an seine Braut geschickt hatte. Sie war voll mit Juwelen und anderen kostbaren Überraschungen. Philippe von Orleans hatte sie überbracht. Nachdem er sie Maria Theresia zu Füßen gestellt hatte, wartete er darauf, dass seine Schwägerin sie öffnete. „Dürfen wir Ihre Freude miterleben, liebe Schwester?“, fragte er lächelnd.

Doch Maria Theresia hatte sich wieder auf das besonnen, was man sie gelehrt hatte. Sie schüttelte den Kopf und erklärte leise, das wäre nicht passend. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihren Hofdamen, sich um den Transport der Truhe zu kümmern. Enttäuscht kehrte Philippe auf die französische Seite zurück. Er konnte nicht ahnen, mit welcher übermütigen Freude seine Schwägerin am Abend ihre Präsente auspackte. Sie legte die Schmuckstücke an, drehte sich vor dem Spiegel und schwärmte ihren Damen vor, wie wunderbar ihr Gemahl sei und wie sehr er sie lieben müsse, um ihr solche Geschenke zu machen.

Die ganze Nacht konnte sie nicht schlafen. Bis weit nach Mittag blieb sie in ihrem Bett liegen, während ihr Vater und ihr Gemahl nun ganz offiziell auf der Fasaneninsel zusammentrafen, um vor dem Abschied noch einmal den gemeinsamen Frieden zu bekräftigen.

In der Mitte des Konferenzsaals hatte man einen niedrigen Tisch aufgestellt, die eine Hälfte in Spanien, die andere in Frankreich. Mit gemessenen, würdevollen Bewegungen knieten die beiden Könige davor nieder und legten ihre rechten Hände auf zwei völlig gleiche Kruzifixe. In abwechselnder Rede und jeder in seiner eigenen Sprache schworen sie einander Frieden, Bündnistreue und ewige Freundschaft. Ihre beiden Sprachen verwoben sich melodisch ineinander. Die eine schien die Schönheit und den Wohlklang der jeweils anderen noch zu erhöhen und zu verstärken.

Die Stimme eines alten Mannes und eines ganz jungen. Ein Spanier und ein Franzose - vor kurzem noch Feinde, doch nun zur Versöhnung bereit.

Am nächsten Morgen trennte man sich für immer. Anna weinte die bittersten Tränen ihres Lebens. „In unserem Alter dürfen wir nicht mehr darauf hoffen, dass uns das Schicksal ein zweites Wiedersehen schenken wird!“, flüsterte sie. Diesmal wagte sie nicht, sich ihrem Bruder zu nähern. Nun aber tat er es. Er umarmte sie und nannte sie seine „geliebte Schwester“. Damit raubte er ihr vollends die Fassung.

Auch Maria Theresia war einer Ohnmacht nahe. Drei Mal warf sie sich weinend vor ihrem Vater auf die Knie. Drei Mal hob er sie wieder zu sich hoch und umarmte sie. Dann drehte sie sich um und ging fort - einen Augenblick lang ganz allein und einsam. Königin Anna sah es und eilte ihr nach. Tröstend legte sie den Arm um die Schultern ihrer Schwiegertochter und führte sie zum Boot. Niemand konnte besser wissen als sie, was Maria Theresia in dieser Stunde verlor.

Die Katholische Majestät schaute seiner Schwester und seiner Tochter nach und blickte dann auf sein schwarz gewandetes Gefolge, das untadelige Haltung von ihm erwartete. So wandte auch er sich um und kehrte zu seinem Boot zurück. Während es auf das spanische Ufer zufuhr, blickte er hinüber auf die andere Seite der Bidassoa, wo sich das Boot mit seiner Tochter dem französischen Ufer näherte. Er konnte die Endgültigkeit dieses Anblicks kaum ertragen, doch er hatte nicht die Kraft wegzusehen. Da drüben saß seine Tochter, und wie er sie kannte, weinte sie wohl.

Doch das war nun nicht mehr seine Angelegenheit. Von jetzt an konnte er sie nicht mehr trösten oder beschützen. Philipp wusste, dass Maria Theresia noch in dieser Stunde unter Aufsicht ihrer Schwiegermutter und der hohen Damen des französischen Hofes alle ihre Kleider ablegen musste. Nicht das kleinste Stück Stoff aus ihrer Heimat durfte sie mitnehmen, keine Wäsche, keinen Schal, kein Taschentuch. Die Infantin von Spanien gab es nicht mehr. Es gab nur noch die Königin von Frankreich, die man aus Tradition wahrscheinlich genauso einkleiden würde wie einst seine Schwester, als sie ihrem Gemahl nach Frankreich folgte: in eine prachtvolle, leuchtend rote Atlasrobe, die mit Gold und Silber bestickt und mit Juwelen in schweren Goldfassungen behängt war.

Als man Philipp diese Kleidung damals beschrieben hatte, hatte er sich geschämt. „Das ist das Gewand einer Dirne!“, hatte er gerufen und mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Auch diesmal wollte er am liebsten nicht daran denken, dass sein bescheidenes, gehorsames Kind, dem bisher seine gottgeschenkte goldene Haarpracht als Schmuck genügt hatte, so liederlich herausgeputzt wurde. Der heimliche Zorn auf die Franzosen, den er fast schon überwunden geglaubt hatte, überkam ihn wieder.

Zugleich erinnerte er sich an den Freundschaftsschwur, den er gemeinsam mit seinem Schwiegersohn vor dem Kruzifix geleistet hatte. Ein Versprechen im Namen Gottes - es durfte nicht gebrochen werden, auch nicht in Gedanken. „Verzeih mir, Herr!“, mur-melte Philipp und bekreuzigte sich. Dann befahl er mit lauter Stimme, man solle noch vor dem Abendessen seinen Beichtvater zu ihm schicken.

In Frankreich nannte das Volk Maria Theresia die „Braut mit dem Frieden als Mitgift“. Allein schon dafür liebte man sie. In der langen Geschichte Frankreichs war nur selten eine Hochzeit so allgemein bejubelt worden. Man glaubte fest daran: Mit dem Eheversprechen zwischen Ludwig und Maria Theresia würde eine Friedenszeit be-ginnen, ein Goldenes Zeitalter, in dem Milch und Honig flössen.

Auch die Hochzeitsgesellschaft war sich der eigenen Bedeutung bewusst. Hatte man die Fahrt nach Süden noch als eine Art Vergnügungsreise begonnen, so änderte man nach und nach diese Einstellung und sah sich selbst als Teil eines geschichtlichen Ereignisses. Man fühlte sich wie unter einer Glasglocke: von allen gesehen, doch zugleich auch von allem getrennt. Ein kleiner Kosmos mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich immer mehr einspielten, sodass man sich nach ein paar Wochen schon nicht mehr vorstellen konnte, wieder sesshaft zu sein.

Schon immer waren die französischen Könige durch ihr Land gezogen, doch nie war man so lange von Paris fortgeblieben. Das war schon keine Reise mehr, die als Ausnahmefall zwischen Phasen der Ruhe stattfand. Nein, die Hochzeitsfahrt Ludwigs XIV. war ein Zustand an sich. Freundschaften und Liebesbeziehungen entstanden, Feindschaften brachen aus. Kinder wurden unterwegs geboren, und Menschen erkrankten und mussten an fremden Orten zurückgelassen werden, wo sie vielleicht sogar sterben würden.

Zu allem Erfreulichen war soeben auch noch die Nachricht eingetroffen, dass Karl II. am 31. Mai, seinem dreißigsten Geburtstag, auf den englischen Thron zurückgekehrt war. Damit war die Zeit der bürgerlichen Emporkömmlinge unter Cromwell, die seinen Vater ermordet hatten, endgültig vorbei. Das Blatt hatte sich gewendet. Das Jahr 1660 war das beste Jahr für Könige seit langer Zeit, und wenn Gott es wollte, konnte alles so wunderbar weitergehen, wie es angefangen hatte.

Das Erscheinen der jungen Königin

Maria Theresia erscheint in ihrem ersten französischen Kleid. Frankreich umweht sie mit seiner Luft, sie ist umhüllt von rosenroter, mit Gold und Silber bestickter Seide und umflutet vom Feuer ihrer Juwelen.

In Saint-Jean-de-Luz nimmt Maria Theresia ihre erste französische Mahlzeit ein in dem Haus, in dem Anna von Österreich residiert.

Am 8. Juni: Anproben. Es ist der Tag der Schneiderinnen und Friseure. Line der beiden Hauptfiguren des großen Schauspiels wird für die Bühne zurechtgemacht. Am 9. Juni: die Eheschließung in Saint-Jean-de-Luz. Vor den Häusern, in denen die Mitglieder der königlichen Familie wohnen, ist der Erdboden mit kostbaren Teppichen bedeckt. Auf beiden Seiten des Weges erheben sich weiß-goldene Säulen, die durch Girlanden verbunden sind. Die Regimenter der Schweizer und französischen Garden stehen Spaliere. Ohrenbetäubendes Geläut der Glocken. Und natürlich eine ungeheure Menschenmenge, die vor Begeisterung jubelt, als sähe sie Gott und seine Engel.

Der Hochzeitszug bewegt sich zu Fuß voran. An der Spitze der Prinz von Conti. Dann Kardinal Mazarin, stärker noch als sonst geschminkt, parfümiert und gelockt; er verbirgt seine Schmerzen unter seinem Hermelinkragen und seinem wallenden Purpurgewand.

Ganz allein, der König. Wie ist er gekleidet? Die Grande Mademoiselle hat plötzlich ihr Gedächtnis verloren. Sie sagt in ihren Memoiren nichts darüber. In Fontarabia hat sie genau gesehen, wie Philipp IV. angezogen war.

Wahrscheinlich erinnert sie sich nicht mehr, weil sie Ludwig XIV. hatte heiraten wollen und weil diese Hochzeit den Zusammenbruch ihrer Träume bedeutet. „Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie er gekleidet war. Ich glaube, dass er sehr mit Gold bestickt war, und Monsieur ebenfalls. Dass ihre Hutbänder mit Diamanten besetzt waren. Ich glaube, dass Monsieur die Königin führte.“ Augenzeugen, die ein besseres Erinnerungsvermögen haben, bezeugen, dass der König ein Habit aus Goldstoff mit schwarzen Verzierungen trug.

 

Maria Theresia hat zu ihrer Rechten den Herzog von Orleans, den Bruder des Königs, zu ihrer Linken ihren Ehren-Chevalier, Herrn von Bernaville. Über ihrer Silberbrokatrobe trägt sie einen lilafarbenen Samtumhang, der mit goldenen Lilien bestickt und zehn Ellen (zwölf Meter) lang ist. Diese samtene Flut wird seitlich von den Damen von Valois und Alencon gehalten, und das Ende der Schleppe von der Prinzessin von Carignan. Zwei Damen halten die Krone über dem Haupt der neuen Königin.

Schwarze, mit Silber durchwirkte Schleier mildern die Spuren, die die Zeit bei der Königinmutter hinterlassen hat; sie bewahrt die Schönheit einer prächtigen Rose, die langsam verwelkt.

Am Ende des Zuges geht die Grande Mademoiselle, in Schwarz, um den Hals eine aus zwanzig Reihen bestehender Perlenkette. Sie trägt Trauer um ihren Vater und um ihre dahingeschwundenen Illusionen. Als der Festzug die Kirche erreichte, hatte die Hochzeitsgesellschaft drinnen bereits ihre Plätze eingenommen. Als wären sie nicht Gäste, sondern nur Zuschauer, versuchten alle, die Neuvermählten zu sehen, als sie sich unter ihren Thronhimmel begaben, der mit den Lilien der Bourbonen bestickt und mit Helmbüschen geschmückt war. Für Königin Anna war ein separater Platz auf ei-ner mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Estrade vorbereitet, überwölbt von einem Baldachin aus dem gleichen Stoff.

Der Bischof von Bayonne vollzog die Trauung. Maria Theresia, die sonst so leicht in Tränen ausbrach, blieb gefasst. Sie hatte erreicht, was sie immer ersehnt hatte. Doch es war nicht die Krone von Frankreich, um die es ihr ging. Viel lieber wäre sie Königin von Spanien gewesen. Nein, es war dieser junge Mann an ihrer Seite, der Einzige auf der Welt, der ihr ebenbürtig war.

Wie allen Infantinnen war auch Maria Theresia von ihrem Beichtvater erzählt worden, dass Könige nur Königinnen lieben könnten, und Umgekehrt sei es genauso. Maria Theresia hatte es geglaubt, wie die spanischen Prinzessinnen vor ihr. Kein einziges Mal hatte sie einem anderen Mann absichtlich in die Augen geblickt. Immer hatte es nur Ludwig für sie gegeben, obwohl sie ihn noch nicht mal gekannt hatte. Als ihr ihre Zwergin zuflüsterte, Ludwig poussiere mit einer Italienerin, hatte Maria Theresia nur gleichgültig die Achseln gezuckt.

Nach der Trauung erhoben sie sich von ihren Samtkissen. Die Damen ordneten Maria Theresias Mantel und Schleppe. Dabei blickte die junge Königin verstohlen zur Seite. Sie hatte Glück. Ihre und Ludwigs Augen begegneten einander. Maria Theresias erster Impuls war, sich schnell wieder wegzudrehen. Dann aber fasste sie sich ein Herz und schaute ihrem Gemahl geradewegs in die Augen. Auch er blickte sie an. Dann lächelte er plötzlich und neigte kaum merklich den Kopf. Maria Theresia wurde blutrot. Sie wagte nicht, Ludwigs Lächeln zu erwidern, doch während sie sich wieder abwandte, dachte sie in Dankbarkeit an ihren Beichtvater, als hätte er das wunderbare Gesetz königlicher Liebe erwirkt.

Wolken von Weihrauch erfüllten das Gotteshaus, und die Glocken läuteten noch kräftiger als zuvor, als der Bischof mit seiner Begleitung den Neuvermählten voranschritt. Die königliche Familie und die Hochzeitsgäste schlössen sich an. Unter dem Jubel der Zuschauer traten sie durch das Hauptportal hinaus auf den sonnigen Vorplatz.

Als sich die Kirche geleert hatte, löschten Ministranten die Kerzen, und ein Priester verschloss unter dem Beifall der Bevölkerung das Hauptportal. Bis in alle Ewigkeit, so hatte Königin Anna verfügt, sollte dieses Tor nicht mehr geöffnet werden, um die nachfolgenden Generationen daran zu erinnern, welch erhabenes und glückliches Ereignis hier stattgefunden hatte.

Nach der Zeremonie Festmahl des Königs, der beiden Königinnen und Monsieurs. Vom Balkon herunter bedanken sich die Neuvermählten für die Zurufe des Volkes und werfen Geldstücke in die Menge.

Es war noch Nachmittag und ganz hell, als Ludwig plötzlich erklärte, es sei nun an der Zeit, schlafen zu gehen. Niemand antwortete, nur Maria Theresia rief entsetzt: „Aber es ist doch noch viel zu früh!“

Dann schlug sie, erschrocken über ihre eigene Auflehnung, die Hände vor den Mund, erhob sich schnell und lief in ihr Schlafgemach. Dort befahl sie ihren Kammerfrauen, die Vorhänge ganz dicht zuzuziehen und ihr danach gleich beim Auskleiden zu helfen. Auch sie schien es auf einmal eilig zu haben. „Rasch!“, trieb sie ihre Hofdamen an. „Beeilt euch! Der König erwartet mich!“

Sie war aufgeregt wie ein Kind, als Ludwig ins Zimmer trat. Auch Anna, Mazarin und die Mitglieder der königlichen Familie erschienen nun sowie mehrere ausgewählte Vertreter der Hofgesellschaft. Sie alle stellten sich an der Wand gegenüber dem königlichen Alkoven auf und sahen zu, wie Ludwig und Maria Theresia in ihr Bett stiegen.

Seit Jahrhunderten war es üblich, dass die Zeugen der königlichen Hochzeitsnacht bis nach dem Vollzug der Ehe anwesend blieben. Doch Anna sorgte dafür, dass es diesmal anders war. Zu quälend war die Erinnerung an den Beginn ihrer eigenen Ehe, als sie die neugierigen Augen der Höflinge hinter dem angestrengten Gesicht ihres Ehemannes gesehen und nicht gewusst hatte, wer ihr Schlimmeres antat: ihr Gemahl, der ihren Körper verletzte, obwohl er es eigentlich nicht wollte, oder diese Fremden, denen sie jeden Tag begegnen würde und die sie mit ihren Blicken demütigten.

Ihrem Sohn und seiner Gemahlin wollte Anna diese Erfahrungen ersparen. So wartete sie, bis sie sich unter die Decke gelegt hatten. Dann küsste sie die beiden auf die Stirn, segnete sie und Ihren Bund und zog dann eigenhändig die Vorhänge zu. Danach wandte sie sich an die enttäuschten Zeugen. „Unsere Aufgabe ist erfüllt!“, entschied sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Wir wollen uns nun zurückziehen.“

Erst am nächsten Morgen kehrten die Zeugen zurück. Man öffnete die Vorhänge wieder und blickte auf das junge Paar, das an die vielen Kissen gelehnt in seinem Bett saß. Ludwig verzog keine Miene, doch Maria Theresia erstaunte alle, weil sie, viel weniger schüchtern als erwartet, ihre kleinen, weißen Hände aneinander rieb und dann liebevoll lächelnd auf ihren Gemahl blickte. Alle wunderten sich noch über die Veränderung, die mit der scheuen Infantin vorgegangen war, da fing sie plötzlich, wie nach einer gelungenen Theateraufführung, an zu klatschen. Die Zeugen tauschten betretene Blicke und entschlossen sich dann einer nach dem anderen, ebenfalls Bei-fall zu spenden.

Nur Anna beteiligte sich nicht. Stattdessen nahm sie sich vor, mit ihrer Schwiegertochter behutsam über das Verhalten einer Königin zu sprechen.

Maria Theresia legte ihre Händchen auf die Bettdecke. „Ich möchte gerne die Heilige Kommunion empfangen, liebe Mutter“, erklärte sie, zu Anna gewandt. „Man muss dafür beten, dass der Himmel nach der gegebenen Frist Frankreich ein Kind schenkt.“

Einige Schriftsteller und Historiker halten Maria Theresia für eine Haremssultanin, weil sie gern Stofftiere um sich hat und Zwerge, und weil sie morgens beim Lever in die Hände klatscht, um den Hof darüber zu unterrichten, dass der König sie in der Nacht mit seinem Besuch beehrt hat. Aber Maria Theresia ist auch eine ihren Mann abgöttisch liebende Frau, eine Kindfrau, die in ihrer Naivität und ihrer Unkenntnis des Französischen inmitten dieses grausamen Hofs wie eingemauert lebt. Einige bedauern die in ihre Kindlichkeit und Liebe verstrickte Gefangene. Nach der Hochzeitsnacht nimmt der König die erste Mahlzeit ohne sie ein. Man kann sich vorstellen, mit welchen Glossen die Höflinge das Ereignis kommentieren. Um allen Spöttereien ein Ende zu machen, beschließt Seine Majestät, während der Rückreise mit seiner jungen Frau zusammenzuwohnen.

Dennoch entzieht sich Ludwig XIV. diesem Paradezug unter Triumphbogen, mit denen Frankreich ihn als Symbol des Friedens feiert. Am 27. in Bllintes verkündet er gebieterisch, die Königinnen und der Hof sollten den Weg bis Saint-Jean-d'Angely fortsetzen, während er sich zur Inspektion mich La Rochelle begeben würde. Anna von Österreich und Mazarin sind entsetzt, sie ahnen, dass er an Marie Mancini denkt und dass die Wunde noch nicht geheilt ist. Der Kardinal versucht sich einzuschalten; er führt den Titel eines Statthalters der Saintonge. Ihm käme die Ehre zu, Seine Majestät durch seine Provinz zu geleiten. Doch der König lehnt dieses zu fadenscheinige Angebot ab. Er nimmt nur Philippe Mancini und zwei andere Edelleute mit.

In La Rochelle besichtigt der König einige Schiffe. Am 28. Juni verbringt er die Nacht in Brouage, in dem Bett, in dem Marie so viel und so oft an ihn gedacht hat. Ludwig liegt lange schlaflos, er ist nicht mehr der König, sondern ein von Tränen überwältigter junger Mann, der seiner Verzweiflung nachgibt.

Ein endloser Tränenstrom, der tief aus der Jugend kommt und seine Pflichten überflutet, die letzten Tränen reiner Liebe eines Mannes, der nur sich selbst gehört und die gleichen Freuden und Schmerzen wie der bescheidenste der Menschen empfindet. Hier am Meeresufer erlebt er seinen Ölberg, die verzweiflungsvolle Nachtwache, während der die letzten Schwächen von ihm abfallen. Am folgenden Tag, als er in Saint-Jean-d'Angely wieder mit dem Hof zusammentrifft, ist er der König, hart geworden, gepanzert, bereit, sein Kreuz zu tragen.

Am 25. August 1660 ziehen der König und die Königin feierlich in Paris ein. Gott steigt auf die Erde herab, um den Menschen die Ordnung und den Frieden zu bringen. Es ist der Triumphzug des Sonnenkönigs, der die in vierundzwanzig Unglücksjahren zusammengeballten Wolken teilt und die Menschheit mit Licht überflutet. Dem Volk von Paris, bis zum letzten Lastenträger, scheinen alle diese Bilder aus dem Musenhimmel zu kommen und durch die Straßen zu ziehen. Die abstrakten Bilder verschwinden, der König erscheint „so wie die Dichter uns jene Menschen schildern, die sie vergöttlicht haben“.

An der Porte Saint Antoine, wo Conde und Turenne ihr brudermörderisches Duell ausgefochten haben, erhebt sich, um dieses erinnerungsschwere Ereignis zu überdecken, ein monumentaler Triumphbogen. Der König und die Königin sitzen auf zwei Thronsesseln und nehmen aus den Händen des Vorstehers der Kaufleute die Schlüssel der Stadt in Empfang. Dann besteigt Seine Majestät einen spanischen Falben, der unter einem Brokatbaldachin tänzelt. Die Königin steigt in ihre offene, ebenfalls von einem Baldachin überdeckte, dem Prachtwagen der Göttinnen gleichende Karosse. Unter unbeschreiblichen Begeisterungsausbrüchen setzt sich der Zug nach Paris hinein in Bewegung. Als sollte das während der Fronde vergossene Blut unsichtbar gemacht werden, haben die Pariser die Pflastersteine, die einst zur Errichtung der Barrikaden dienten, mit einem so dicken Teppich von Blüten und Blättern bedeckt, dass von den Rädern der Kutschen Wohlgerüche aufgewirbelt werden.

Der Zug braucht am Nachmittag vier Stunden, um von der Place du Trone, über die Ile de la Cite zum Louvre zu gelangen.

Der Hofstaat Mazarins, der Hofstaat des Königs und der beiden Königinnen, die Kanzlei, die Chevaulegers, die Beamten der Krone, der König selber, von Gold und Edelsteinen funkelnd, sein Bruder, Monsieur, die Prinzen von Geblüt, die lächelnde Königin, deren Karosse von einem Schwärm weißgekleideter Pagen umgeben ist, diese ganze Märchenpracht zieht durch Paris, das sich in einen Garten betäubender Düfte verwandelt hat. Der prächtigste Triumphbogen steht auf der Place Dauphine, Le Brun, der spätere Hofmaler und Hofdekorateur, hat ihn errichtet, anscheinend mehr zum Ruhm Mazarins als zum Ruhm des Königs. Die Allegorien stellen den Eifer dar, mit dem der Kardinal die Staatsgeschäfte und Friedensverhandlungen geführt hat. Verherrlichung des Königs, Triumph des Ministers. Neben dem König und der Königin ist der dritte Anziehungspunkt dieser Kavalkade „der Aufzug Seiner Eminenz“.

Mazarin entfaltet bei dieser Inszenierung die Kunst der klugen Steigerung. Zuerst zweiundsiebzig Maultiere, von fünfundzwanzig grünlivrierten Männer geführt. Vierundzwanzig dieser Maultiere tragen einfache rote Decken sowie „Federn und gewöhnlichen Kopfschmuck“. Die nächsten vierundzwanzig tragen Schabracken „aus feinstem Seidengewebe mit eingewirkten goldenen Figuren“, Glöckchen, Kopfgeschirre und Zaumzeug aus massivem Silber. Die letzten vierundzwanzig sind geschmückt mit „großen karminroten Samtdecken, auf denen Wappen und Wappensprüche eingestickt sind, daneben Füllhörner, aus denen Früchte und Blumen quellen“, Auf dem Kopf tragen sie „prächtige weiße und rote Straußenfedern“, aus denen wiederum Reiherfedern sprießen. „Dann kamen“, erzählt der venezianische Gesandte, „der Stallmeister Seiner Eminenz mit vierundzwanzig reichgekleideten und wohlberittenen Pagen, dann zwölf prächtige, mit karminrotem, gold- und silberbe-sticktem Samt bedeckte Pferde, die von zwölf Männern an der Hand geführt wurden; danach andere Pferde und Reiter in der Livree des Kardinals.“ Dann eine weitere Steigerung in der Reihe der Herrlichkeiten: elf sechsspännige Karossen, „die Pferde jeweils in gleicher Größe und Farbe ausgesucht, und nach ihrem Geburtsort“, welch Raffinement!

 

Zum Schluss, wie bei den Raketen eines Feuerwerks, das große Bukett, das sich in Sterne auflöst, aus denen wiederum Sterne fallen und dann, nach einer winzigen Pause, die schönste Himmelsperle.

Fünfzig Reiter, alle von hohem Rang, in reicher Kleidung auf unglaublich wertvollen Pferden“. Nun aber, als letzter und endgültiger Höhepunkt, auf den alle Welt während des ganzen Aufzugs wartet: die Karosse Seiner Eminenz. Von acht und nicht von sechs „herrlichen Pferden“ gezogen. Doch ist diese Prachtkarosse - eine phantastische Koketterie dieses „unnachahmlichen Lebens“ - nicht etwa die größte, sondern die kleinste. Wie ein Schrein, der den Diamanten der Diamanten enthält, der für sich allein unermesslich viel teurer ist als alle anderen Glanzstücke.

Und nun der Theatercoup. Der Zauberer führt sein letztes Kunststück vor: diese Karosse ist leer. Der Illusionist entzieht sich den Schmerzen, dem Tod. Er lässt sich selbst verschwinden. Wo ist er? Sucht ihn! Ein wahres Bilderrätsel Der Künstler hat sich das unendlich lange Rollen im Wagen über das holprige Pflaster ersparen wol-len, er hat die Fähigkeit zu fliegen. Den Qualen des Körpers, den Verheerungen, die die Zeit ihm zugefügt hat, entrinnend, schwebt er oben in den Lüften, wie in der Oper der „deus tx machina“ in seiner Luftgondel. Er ist auf einem der Balkone des Hauses der Frau von Beauvais in der Rue Samt-Antoine gelandet, von wo aus er dem Schauspiel zusieht. Lächelt er selber, oder ist es seine geschminkte Mumie? Man vermag es nicht mehr zu unterscheiden. Auf welchem der drei Balkone sitzt er? Er hat den Historikern eine solche Wolke von Puder ins Gesicht gestreut, dass sie nicht mehr klar sehen können. Einige behaupten, ihn auf dem Balkon der Königinmutter zu erblicken: die beiden Liebenden, auf dem Höhepunkt ihres gemeinsamen Werks vereint, nehmen unter Tränen die jubelnden Zurufe der Bevölkerung entgegen. Andere sagen, auf dem mittleren Balkon, dem größten und am weitesten vorspringenden, habe unter einem Baldachin die Königinmutter gesessen, zu ihrer Rechten die Königin von England und deren Tochter, die spätere Herzogin von Orleans.

Auf dem zweiten Balkon befinden sich die Hofdamen der Königinnen. Unter ihnen Marie Mancini, von innerer Erregung geschüttelt, und Madame Scarron, die dann Madame de Maintenon wird: das Gestern und das Morden, die Schauspielerinnen des Stückes, denen das Schicksal den Augenblick ihres Auftritts und Abgangs von der Bühne bezeichnet.

Auf dem dritten Balkon „der Herr Kardinal von Mazarin, der fast die ganze Zeit Herrn von Turenne im schwarzen Habit bei sich hatte . . .“

Als der König unter dem Balkon ankommt, lässt er sein Pferd schwenken. Mit der ihm eigenen, unnachahmlichen Würde zieht er den mit weißen Federn geschmückten Hut und grüßt lange und ehrerbietig seine Mutter und den Kardinal. Seine Mutter, die er verehrt und in der vielleicht schon die Krebsgeschwulst schwärt, an der sie fünf Jahre später stirbt. Den Kardinal, der ihn geformt und der ihm seinen Thron bewahrt, der ihm die Wege zu einer großen Regierungszeit geebnet hat und der unter seinem Purpurgewand bereits ein Leichnam ist.

Madame Scarron, die spätere heimliche Gemahlin des Königs, sie selber also spätere Königin von Frankreich, ist fasziniert von dieser göttlichen Grußbezeigung. Am Tag darauf schreibt sie an eine Freundin, in ihren Worten offenbart sich ihre Höflings Seele. „Ich glaube nicht, dass man etwas Schöneres erleben kann. Die Königin hat sich gestern Abend, sicherlich völlig überwältigt von dem Ehemann, den sie sich erwählt hat, schlafen gelegt.“ „Völlig überwältigt“, wie ganz Frankreich, das verliebt in seinen König ist. Aber was soll das heißen: „der Ehemann, den sie sich erwählt hat“?

In der Menschenmenge stehen auch zwei Dichter, die das Ereignis besingen: Racine, zwanzig Jahre, La Fontaine, neununddreißig Jahre alt. Racine verfasst eine höfische Ode, „Die Nymphe der Seine“, und lässt sie durch seinen Vetter Charles Perrault vorlegen. Der Verfasser der „Märchen“ wirft Racine vor, er habe die neue Königin mit Venus, der Prostituierten, verglichen. Und persönlich trägt Racine seine Ode zu Chapelain, dem allmächtigen Papst der Literatur, der wiederum den Ausdruck „die Tritonen der Seine“ bemängelt. Denn die „Tritonen“ leben nur in Salzwasser, und deswegen muss Racine die ganze Strophe umdichten. Am liebsten hätte er sie wohl alle ertränkt!

La Fontaine hingegen, der ewige Anfänger, denkt nicht daran, irgendjemand den Hof zu machen. Dem prächtigen Maultier-Aufzug Seiner Eminenz gegenüber lässt er eher Bosheit und Spott in seinem Gedicht anklingen. Er bezeigt gallische Impertinenz, er macht deutlich, dass in jedem Franzosen, auch wenn er ein Dichter ist, ein misstrauischer Steuerzahler steckt. Was hat das alles gekostet?

Es war nicht der Prunk allein, der Ludwigs Zuschauer mitriss. Prächtige Auftritte des Königs war man in Paris gewöhnt. Es war vielmehr die Lebenslust, die der königliche Hof auf einmal ausstrahlte. Das übermütige Selbstbewusstsein nach den Jahren des Streits und des Krieges. Seht her!, schien der König zu rufen, als er in seinem silbernen Gewand neben der Karosse seiner Gemahlin durch die Straßen ritt. Seht her, ich bringe euch den Frieden! Ich bringe euch die Jugend! Ich bringe euch die Zukunft!

Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren statt der bisher nur alte Männer, die ihre griesgrämige Macht ausgeübt hatten. Zweiundzwanzig Jahre auch seine Gemahlin, die als süßestes aller Geschenke den Frieden mitbrachte: Maria Theresia, deren Haar wie Gold in der Sonne leuchtete. Viel mehr als das konnte man von ihr nicht sehen. Nur dieses wunderbare Haar und eine kleine weiße Hand, die - von einem großen Diamantring beschwert - aus dem Fenster winkte. Doch das genügte schon, um die Zuschauer zu begeistern. Sie sei bereits guter Hoffnung, erzählte man sich. Aber das konnte auch ein bloßes Gerücht sein - wie ganz Paris in diesen Tagen voll war von Gerüchten, eines erfreulicher als das andere. Ein zerrissenes, verunsichertes Volk fand sich selbst wieder, war aufgeregt und begeistert und glaubte endlich wieder daran, dass von nun an alles besser werden würde; dass das glorreiche Frankreich zum Wohlstand zurückkehrte, zur Einigkeit und vielleicht sogar zur Vorherrschaft über die anderen Völker des Kontinents.

Die junge Königin habe Ludwig das Versprechen abgenommen, jede Nacht bei ihr zu beenden, erzählte einer und schwor, seine Quellen seien sicher. Wie spät es auch immer sei, dass er zu Bett gehe: Es müsse immer das ihre sein. Alle lachten. „Spanische Weisheit!“, erklärte man. Ein anderer berichtete, wenn der König Maria Theresia seine Gunst erwiesen habe, bekreuzige sie sich und riefe nach dem Segen der Heiligen Jungfrau. Bei Hofe nenne man diesen Vorgang inzwischen schon „zu Maria kommen“, weil sogar Ludwig selbst einmal gesagt habe, auch er ziehe es vor, im Zimmer seiner Gemahlin zu schlafen. Da könne man bequemer „zu Maria kom-men“. Lange Diskussionen über die Liebesgewohnheiten der Spanier folgten, die den Franzosen nach der langen Feindschaft fast genauso exotisch vorkamen wie die Völker des tiefsten Afrika.

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