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Kandide oder Die beste aller Welten

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Ehe Kandide die Sache zu gerichtlichen Weitläufigkeiten gedeihen ließ, bot er auf Anraten Martins und seines Herzens, das sich äußerst nach der wahren Kunegunde sehnte, dem Gefreiten drei kleine Diamanten an; jeder ungefähr dreitausend Dublonen wert.

O mein Herr, schrie der Mann mit dem elfenbeinernen Stabe, und hätten Sie auch Allerweltsmissetaten begangen, so sind Sie doch der bravste Kavalier auf Gottes Erdboden! Mir drei Diamanten zu geben! Jeden zu dreitausend Dublonen. Totschlagen will ich mich eh'r für Sie lassen, Herr Milord, als Sie ins Gefängnis führen. Zwar haben wir die strengste Order, jedweden Fremden zu arretieren, wes Standes und Würden er auch sei: ich will aber das Ding schon 'rumzudrehen wissen. Ich habe zu Dieppe in der Normandie einen Bruder, zu dem will ich Sie bringen, und haben Sie noch einen Diamanten d'ran zu spendieren, so wird er so gut für Sie sorgen, als wär' ich's selbst.

Und warum werden hier alle Fremden in Haft genommen? frug Kandide. Jetzt ergriff der Abbé das Wort und sagte: Darum, weil ein elender Schuft aus dem Lande Atrebatien (Artois) jämmerlichen, elenden Schnickschnack gehört hatte, bloß deshalb hatte er einen grausamen Vatermord begangen, einen solchen freilich nicht, wie er 1610 im Maimonat begangen wurde (Ravaillac), sondern einen solchen, als 1594 im Monat Dezember vorfiel (J. Châtel); auf dessen Schlag nachher noch viele andre Mordtaten in andern Jahren und andern Monaten von andern elenden Schuften aus gleichen Gründen sind ausgeführt worden.

Der Gefreite erklärte jetzt, was der Abbé im dunkeln gelassen hatte. Ha! die Ungeheuer! schrie Kandide. Wie? solche gräßliche Taten werden unter einem Volke verübt, das singt und tanzt! Kam' ich doch aufs schnellste aus einem Lande, wo Affen Tiger aufhetzen! Bären sah ich in meinem Vaterlande, Menschen nur in Eldorado! Um Gottes willen, Herr Gefreiter, schaffen Sie mich nach Venedig, wo ich Baroneß Kunegunden erwarten muß.

Weiter kann ich Sie nicht bringen, lieber Herr Baron, als nach der unteren Normandie, versetzte der Anführer der Sbirren. Sogleich ließ er ihm seine Bande abnehmen, sagte: es wäre ein Versehn, schickte seine Leute zurück, führte Kandiden und Martinen nach Dieppe, wo er sie in den Händen seines Bruders ließ. Es lag ein kleines holländisches Schiff auf der Reede. Der Normann, der mittels dreier andrer Diamanten das dienstfertigste Geschöpf von der Welt geworden war, nahm Kandiden und seine Leute auf dies Schiff, das nach Portsmouth in England ging. Freilich war das nicht der Weg nach Venedig, allein Kandide nahm sich vor, ihn bei erster bester Gelegenheit einzuschlagen. Jetzt dankt er nur Gott, daß er aus der Hölle heraus war.

Kapitel 23
Kandide und Martin kommen an die englischen Küsten; was sie dort sehn

Kandide. Ha,Panglos!Panglos! Ha,Martin!Martin! Ha,meine traute Kunegunde! was ist diese Welt hier! sagte Kandide auf dem holländischen Schiff.

Martin. Ein erzpudelnärrsches und erzabscheuliches Gemachte. Kandide. Sie sind doch in England bekannt, gibt's dort ebensolche Toren wie in Frankreich?

Martin. Eben! nur von anderm Schnitt und von andrer Farbe. Sie wissen, diese beiden Nationen führen wegen ein paar lumpichter Hufen Schnee, die gegen Kanada liegen, Krieg, und verschwenden bei diesem allerliebsten Kriege weit mehr, als das ganze Kanada wert ist. Ihnen genau zu bestimmen, ob's hier zu Lande mehr Leute gibt, die man an die Kette legen sollte, wie in jenem, das vermag ich nicht; dazu hab' ich zu wenig Auge. Bloß das weiß ich, daß die Leute, wo wir jetzt hinkommen, eine starke Dosis schwarzer Galle bei sich führen.

So hatten sie sich an die Gestade von Portsmouth hingeplaudert. Eine Menge Pöbel strömte zum Ufer hin und schaute mit unverrücktem Auge nach einem ziemlich großen, dicken Mann, der mit verbundnen Augen auf dem Verdeck eines Schiffs aus der Flotte kniete. Ihm gegenüber standen vier Soldaten, die ihm mit dem kältesten Herzen und Auge drei Kugeln ins Gehirn jagten, und die ganze Versammlung ging in der vergnügtesten Laune auseinander.

Was heißt das! sagte Kandide. Üben denn überall böse Geister ihre Macht! Wer war denn der Sir Wanst, den Ihr mit solchen Solennitäten umbrachtet? fragte er einen von den Umstehenden. Ein Admiral, war die Antwort. Und wozu tötet Ihr diesen Admiral? „Er hat nicht Leute genug umgebracht; er ficht mit einem französischen Admiral, und nachher findet sich's, daß er ihm nicht dicht genug auf der Haut gewesen ist." Aber, sagte Kandide, der französische Admiral war ja so weit vom englischen als dieser von jenem. „Nicht zu leugnen, indes kann's hier zu Lande gar nicht schaden, wenn einmal ein Admiral arquebusiert wird, desto mehr lodert den übrigen der Mut an."

Der gehabte Anblick, die eben gehörte Rede hatten Kandiden so betäubt, wurmten ihm so sehr, daß er nicht einmal den Fuß ans Land setzen wollte, und auf der Stelle mit dem holländischen Schiffer bedung, ihn ungesäumt nach Venedig zu bringen; sollte selbiger ihn auch gleich wie der surinamsche Schiffspatron begaunern.

Binnen zwei Tagen war der Schiffer klar. Es ging an den Küsten von Frankreich weg, dicht vor Lissabon vorbei, wo Kandiden kalter Schauer über den Nacken lief; hinein in die Straße von Gibraltar und so ins Mittelländische Meer; endlich lag man vor Venedig.

Gottlob, sagte Kandide zu Martinen, den er feurig umarmte, hier werd' ich sie wiedersehn, die schöne Kunegunde! Auf Kakambo'n rechne ich wie auf mich selbst. Oh! es geht alles gut! alles! es kann gar nicht besser sein.

Kapitel 24
Von Gertruden und Bruder Viola'n

Kaum hatten sie den Fuß in die Stadt Venedig gesetzt, so ließ er Kakambo'n in allen Wirtshäusern suchen, in allen Kaffeehäusern, bei allen Töchtern der Freude; kein Kakambo zu finden. Täglich mußten seine Leute nach dem Hafen und nachfragen; es mochte Schiff oder Barke gekommen sein. Nichts zu hören noch zu sehn von Kakambo'n!

Das ist mir unbegreiflich, sagte Kandide zu Martin. Ich bin von Surinam nach Bordeaux gegangen, von Bordeaux nach Paris, von Paris nach Dieppe, von Dieppe nach Portsmouth, bin Spanien und Portugal längs gesegelt, habe das ganze Mittelländische Meer durchstrichen, etliche Monate zu Venedig verbracht, und doch hat sich in all' der Zeit Baroneß Gundchen nicht eingestellt! Ich habe statt ihrer weiter nichts gefunden als eine Hure und einen Abbe aus Perigord. Ganz gewiß ist sie tot, meine Gunde! Ihr nach ist noch das einzige, was du tun kannst, Kandide! – – – Ha! war' ich doch in dem Paradiese, im Eldorado geblieben und nicht nach dem Drachenneste, dem Europa zurückgekehrt! Sie haben ganz recht, lieber Martin! Es ist alles in der Welt leerer blauer Dunst! Ist allenthalben Trug und Elend!

Es befiel ihn so düstere Schwermut, daß er weder an der opera alla moda, noch an irgendeiner Faschingslustbarkeit teilnahm, sogar bei einer Danae von Mädchen stieg ihm kein Fünkchen Begier auf.

Gute, treuherzige Seele! sagte Martin, sich einzubilden, ein Mestize von Bedienten mit fünf oder sechs Millionen in der Tasche wird hingehn bis ans Ende der Welt und Ihre Geliebte aufsuchen. Findet er sie, so fischt er sie für sich selbst weg; findet er sie nicht, so wirft er seinen wohlbespickten Köder einem andern Dirnchen in den Rachen. Mein Rat ist der: Schlagen Sie sich alle beide aus dem Sinn: Ihren Kerl, den Kakambo, und Ihre Geliebte, die Baroneß Kunegunde.

Martin war kein guter Tröster, auch wuchs Kandidens Schwermut täglich, und täglich rieb ihm der Manichäer die Ohren mit dem Beweise, daß es in der Welt nur wenig Tugend gäbe, wenig Glück, ausgenommen etwa im Eldorado, wo niemand hinkönne.

Eines Tages, wie sie über diese wichtige Materie streitend und Kunegunden noch immer erwartend, über den St. Markusplatz gingen, ward Kandide einen jungen Theatinermönch gewahr, der ein Mädchen unterm Arm hatte. Der Theatiner war ein frischblühender, feister, herkulischer Gesell, mit kühnumschauendem Adlerblick, stolzer Miene und kecken Ganges. Sein Liebchen ein gar niedliches Ding, sie schäkerte singend neben ihm her, warf den vollen Blick der Liebe auf ihren Theatiner, und kniff ihm manchmal in die runden, vollen Backen. Nun, diese beiden Leute werden Sie doch wohl für glücklich erklären, sagte Kandide zu Martin; auf der ganzen bewohnten Erdkugel hab' ich, ausgenommen im Eldorade, nichts als Unglückliche gefunden; daß aber dies Mädchen und dieser Theatiner vollglückliche Geschöpfe sind, darauf wollt' ich wetten.

Ich wette, sie sind's nicht! sagte Martin. Ich darf sie nur zu Gaste bitten, versetzte Kandide, so sehn wir gleich, ob ich mich geirrt habe.

Sofort ging er auf sie zu, machte ihnen sein Kompliment und bat sie, in seinen Gasthof zu kommen und mit Makkaroni, lombardischen Rebhühnern, Stör-Rogen und etlichen Flaschen Montepulciano, Lacrimae Christi und Cyper- und Samoswein vorliebzunehmen. Das Mädchen ward rot, der Theatiner nahm die Einladung an. Das junge Frauenzimmer folgte ihm, blickte Kandiden mit einem Auge an, worin sich Bestürzung und Beschämung malte und manche Träne trat.

Kaum waren sie im Hause, so sagte die Dirn, die Kandiden abseits genommen hatte: Kennen Sie denn Gertruden nicht mehr, lieber Herr Kandide? Dieser, dem Kunegunde stets vor Augen schwebte, hatte vorher nur einen flüchtigen Blick auf dies Mädchen geworfen, jetzt faßt' er sie fest ins Auge und sagte: Wären Sie's wirklich, liebes Kind, Sie, die dem armen Magister ein so schönes Geschenk gemacht haben?

Ach ja, mein Herr, ich bin's, sagte Gertrud. Wie ich höre, so wissen Sie bereits alles! Nun ich weiß auch, wie höchst kläglich es dem ganzen Hause der Frau Baronessin ergangen ist, und was die schöne Baroneß Gundchen für ein entsetzliches Ende gehabt haben. Aber ich war, weiß Gott, die Zeit über auch nicht auf Rosen gebettet, hab' auf Dornen und Disteln gesessen. Als ich hin auf den Edelhof kam, war ich noch ganz unschuldig; darum fiel's meinem Beichtvater, einem Franziskaner gar leicht, mich zu verführen. Oh! was für gräßliche Folgen entstanden daraus; ich mußte das Schloß nicht lange nachher verlassen, als Sie der Herr Baron mit derben Tritten in den Hintern 'nausgeschubst hatte.

 

Hätte sich nicht ein berühmter Doktor meiner erbarmt, ich wäre sicher drauf gegangen. Aus Erkenntlichkeit ward ich 'ne Zeitlang seine Mätresse. Seine Frau, das rasendeifersüchtigste Tier von der Welt, ein zehnmal ärgrer Satan von Weibe wie Xantippe, bläute mich tagtäglich so unbarmherzig wie'n neugebacknes Leutnantchen seines Hauptmanns Kompagnie. Ein unglücklichere Mädchen gab's wohl nicht wie ich. Tagtäglich richtig meine derbe Tracht Prügel eines Mannes wegen, den ich nicht lieben konnte, und tagtäglich Karessen und Liebkosungen diesem Manne, der 'ne wahre, alte Blocksbergsfratze war.

's ist 'n gefährlich Ding, wenn ein Zankteufel eine Doktorsfrau ist. Madame Brummeisen erfuhr's. Ihr Mann hatte endlich das Ding satt, gab ihr eines Tages, um sie vom Schnupfen zu kurieren, eine so wirksame Arzenei, daß sie zwei Stunden drauf mit den jämmerlichsten Verzückungen abschurrte.

Die Anverwandten der Frau Doktern spannen einen Kriminalprozeß gegen den Mann an, der sich glücklich aus dem Staube machte und mich drin sitzen ließ. Man warf mich ins Gefängnis, woraus mich nicht meine Unschuld rettete, sondern meine ganz leidliche Gestalt. Der Richter setzte mich auf freien Fuß unterm Beding, des Doktors Stelle einnehmen zu dürfen. In einem Husch wurd' ich ausgestochen, mußte ohn' einen Heller von dannen wandern, und sah' mich genötigt, jenes abscheuliche Handwerk zu ergreifen, was euch Mannspersonen so angenehm dünkt und was für uns eine vollströmende unerschöpfliche Quelle des Elends ist.

Ich ging nach Venedig, um hier mein Gewerbe zu treiben. Oh! mein Herr! Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Höllenmarter ist, alles durch die Bank weg karessieren zu müssen; bald 'nen alten Kaufmann, bald 'nen Advokaten, bald 'nen Mönch, bald 'nen Gondelführer, bald 'nen Abbate; jeder Beschimpfung preisgegeben zu sein; sich aufs Prellen zu verlegen. Oft ist man so rein herunter, daß man vom Juden ein armselig Fähnchen borgen muß, um sich's von der ekelhaftesten, fatalsten Prise, vom schlechtesten Schufte aufdecken zu lassen. Das bißchen, was man von dem einen verdient, wird einem von dem andern wegstipitzt; man schwebt immer untern Klauen der heiligen Engel, und hat im Prospekt weiter nichts als das Zuchthaus oder gar das Lazarett oder den Misthaufen, woselbst alsdann das abgemergelte, halbverfaulte, verrunzelte und verschrunzelte Gerippe fast in der Blüte der Jahre sein Leben verkeuchen muß.

Wenn Sie sich das alles so recht lebhaft denken, so werden Sie sehn, daß es keine unglücklichere Kreatur auf der Welt gibt als mich.

So schüttete Gertrud in einem Kabinett ihr Herz gegen den biedern Kandiden aus. Ha! halb war 'die Wette gewonnen! rief Martin, der mit zugegen war. Bruder Viola war im Speisesaal geblieben, und hatte sich derweil' an eine Flasche Cyperwein gemacht.

„Du sahst mir aber so fröhlich, so zufrieden aus, Truddien. Wie ich dir begegnete, sangst so aus vollem Herzen, karessiertest deinen Theatiner mit so ungeheuchelter Liebeswärme, daß du mir eben so glücklich schienst, als du dich unglücklich ausgibst."

Ach lieber Herr Kandide, sagte Gertrud. Das ist eben mit das ärgste Kreuz bei meinem Handwerk. Noch gestern wichste mich ein Offizierchen rein durch und zog mich rattenkahl aus, und heute muß ich die fröhlichste Laune affektieren, um mich bei einem Pfaffen anzuschmeicheln.

Nun hatte Kandide schon genug und gab Martinen recht. Sie setzten sich beide mit Gertruden und dem Theatiner an den Tisch; hielten ein recht fröhliches Mahl und wurden beim Wein ganz offen.

Herr Pater, sagte Kandide zum Mönch, Sie scheinen mir ein Los zu genießen, um das Sie jedermann beneiden muß; die blühendste Gesundheit lacht aus Ihrem Gesicht, Sonnenschein sitzt über Ihren Augbrauen und verkündigt, wie vollglücklich Sie sind, Sie haben das niedlichste Mädchen zum Zeitvertreib und scheinen mit Ihrem Theatinerstand höchst vergnügt.

Ich wollte, alle Theatiner hätten einen Mühlstein am Hals und lägen im Meere, wo's am tiefsten ist, sagte Bruder Viola. Ich bin wohl schon hundertmal willens gewesen, das Kloster anzustecken und hinzugehn, und ein Türk zu werden. In meinem fünfzehnten Jahre mußt' ich nolens volens die verwünschte Jacke anziehn, damit mein ältrer Bruder – Gott und alle Heiligen verdammen ihn, den prassenden, putenjunkerschen Buben! – recht à son aise schwelgen kann. Ich wurd' in ein Kloster gebannt, das man gemeiniglich für einen Wohnsitz der religiösesten Ruhe hält; und das beim Lichte besehn weiter nichts ist als der Tummelplatz der Eifersucht, der Zwietracht und des Ingrimms.

's ist wahr, ich habe mir manchmal mit einem jämmerlichen Schnickschnack ein'ge Batzen in die Tasche gepredigt. Aber was hat's geholfen? Die Hälfte davon stiehlt mir der Prior weg und um's übrige bringen mich die Menschen. Wenn ich des Abends ins Kloster komme, bin ich so fuchswild, daß ich gleich den Kopf gegen die Wand rennen möchte, und all' meinen Brüdern in Paulo geht's nicht ein Haar besser.

Nun hab' ich nicht die Wette ganz gewonnen, sagte Martin, indem er sich mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit gegen Kandiden wandte? Kandide gab Gertruden zweitausend Piaster und Bruder Viola'n tausend. Nun werden sie glücklich sein, sagte er, dafür haft' ich. Ich wahrlich nicht! versetzte Martin. Vielleicht machen Sie sie dadurch noch unglücklicher. Mag's ausfallen, wie's will! sagte Kandide. Ich tröste mich jetzt damit, daß ich sehe, wie man oft Leute wiederfindet, die man nie wiederzufinden verhofft hat; da ich meinen roten Hammel und Gertruden wiedergefunden habe, so kann sich's wohl noch fügen, daß ich Kunegunden wieder antreffe.

Martin. Ich wünsch' es von Herzen, daß selbige Sie dereinst glücklich machen möge; zweifle aber noch sehr daran.

Kandide. Hartherziger Mann.

Martin. Was gar nicht zu verwundern. Ich habe lang' in der Welt gelebt.

Kandide. Sehn Sie einmal jene Gondelführer an. Singen sie nicht mit dem frohsten Herzen vom frühen Morgen an bis zum dämmernden Abend.

Martin. Werfen Sie einmal einen Blick in ihre vier Pfähle! Da werden Sie sehn, wie sie schmollen bei ihren Weibern und ihren Wechselbälgen von Kindern; Sie werden finden, daß Sorg' und Verdruß sowohl unterm Schindeldache des Gondelführers wohnt als unterm Palaste des Dogen. Recht beim Lichte besehn ist der Gondelführer immer glücklicher als der Doge. Doch die Waage zur Hand zu nehmen und abzuwägen, um wieviel, lohnt wahrlich! der Mühe nicht. Es ist, glaub' ich, ein so winzig Teilchen mehr, daß eine Mücke es auf dem Schwanze über den Rhein führen kann.

Kandide. Ich habe mir sagen lassen, der Senator Pococurante, der dort in dem schönen Palaste auf der Brenta wohnt und jeden Fremden so freundschaftlich empfängt, soll der glücklichste Mann auf Gottes Erdboden sein; noch nie soll ihn ein Quentchen Unmut gedrückt haben.

Martin. Das Wundergeschöpf möcht' ich wohl sehn. Sogleich schickte Kandide zum Signor Pococurante und ließ um die Erlaubnis bitten, ihm morgen aufwarten zu dürfen.

Kapitel 25
Besuch beim Signor Pocourante, Nobile di Venezia

Kandide und Martin setzten auf einer Gondel über die Brenta und kamen im Palaste des Nobile Pococurante an. Die Gärten waren sehr umfänglich und mit trefflichen marmornen Bildsäulen ausgeschmückt, der Palast im schönsten neusten Geschmack erbaut. Der Herr vom Hause, ein Sechziger und steinreich, nahm unsre beiden Neugierigen mit ungemeiner Höflichkeit auf; aber mit wahrer hofmännischer Kälte, was Kandiden nicht wenig stutzig machte, Martinen aber gar nicht mißbehagte.

Sogleich trugen zwei niedliche, wohlgekleidete Mädchen Schokolat' auf, die sie zum perlendsten Schaum zerquirleten. Kandide konnte nicht umhin, sie wegen ihrer Schönheit, wegen ihres Anstandes und wegen ihrer Gewandtheit zu loben.

Sind so ziemlich gute Krabben! sagte Senator Pococurante. Manchmal nehm' ich sie mit ins Bette. Denn Eure Stadtdamen bin ich überdrüssig; ich kann ihre Kokettereien, Eifersüchteleien, Kritteleien, Launen, Aufblasereien und Albereien unmöglich aushalten, und ihre ewige Bestellereien von Liedchen, selbst oder vor irgendeinem Mietspoeten gemacht. Doch bei alledem werden mir auch diese Dirnen schon höchst unleidlich.

Nach dem Frühstück besahen sie die Bildergalerie; einen sehr großen geräumigen Saal

Voll Menschen Glut und Geistes

Kandiden war bei dem Beschauen dieser Meisterwerke ganz wunderbar zu Mute;

 
Sein Busen war so voll und bang
Von hundert Welten trächtig;
 

sein ganzes Wesen schien aufgelöst in einem Meer von Entzücken. Endlich rief er: Von welchem Meister? Und deutete auf ein paar Gemälde, woran er sich am meisten ergötzt, an welchen sein Auge noch mit unbeschreiblicher Bewundrung und liebewarm hing.

Von Raphael, sagte der Senator. Ich war solcher alter Geck und kaufte sie vor etlichen Jahren rasend teuer; ließ mich dazu beschwatzen, weil man mir versicherte, schönre Werke der Kunst gäb's in ganz Italien nicht; ich kann aber nicht sagen, daß sie mir anstünden. Die Farben sind zu dunkel gehalten; die Figuren haben keine Rundung, nichts Hervorspringendes genug, die Draperien nichts weniger als Ähnlichkeit mit Gewändern. Mit einem Worte, was man auch drüber tratscht, treukopierte Natur find' ich gar nicht drinnen. Natur, Natur, die liebe Natur verlang' ich ohn' alle Ziererei so wie allenthalben, auch in Gemälden; aber wo gäb's solche Gemälde? Ich habe Kleckereien und Sudeleien die Menge, mag sie aber gar nicht mehr ansehn.

Pococurante ließ, während das Diner besorgt wurde, ein Konzert geben. Kandide schwamm in Vergnügen, glaubte Sphärenklang zu hören. Auf eine Viertelstunde hört man das Gequinkeliere, den Dideldumdei wohl an, sagte Pococurante, aber währt's länger, so ist's jedermann überdrüssig, ohne daß eine Seele das Herz hat, es zu gestehn. Heutzutage nimmt die Musik hohen, sonnenhohen Flug, und da mag's der Teufel aushalten und lange mitfliegen.

Vielleicht behagte mir die Oper besser, wann man nicht das Kunststückchen ausfindig gemacht hätte, sie zu einem Ungeheuer umzuschaffen, wobei sich mein Magen empört. Geh' hin, wer da will, in eure elenden musikalischen Trauerspiele, wo jede Szene dazu angelegt ist, querfeldein zwei oder drei lächerliche Liederchen anzubringen, welche die Kehle der Aktrice ins Licht setzen müssen. Fall vor Vergnügen in Ohnmacht, wer da will oder kann, wenn er einen Kastraten den Cäsar oder Kato hertrillern hört oder mit anmaßlicher Noblesse auf dem Brettergerüste herumspazieren sieht. Ich meines Orts habe schon längst all' diesen Lappereien entsagt, die heutigen Tages den Stolz von Italien ausmachen und die von auswärtigen Potentaten so teuer bezahlt werden.

Kandide disputierte hierüber mit ihm, aber mit vieler Bescheidenheit, Martin aber war völlig der Meinung des Senators.

Man setzte sich zur Tafel und nahm ein prächtiges Mittagsmahl ein. Wie man abgespeist hatte, ging man in Pococurantes Bibliothek. Kandiden fiel ein prächtiggebundner Homer ins Auge, und er machte dem Illustrissimo zu seinem Geschmack ein Kompliment. An diesem Werke, rief er, weidete sich der große Panglos, der beste Philosoph in ganz Deutschland. Und ich mich nicht im geringsten, sagte Pococurante ganz kalt. Ehmals wollte man mich bereden, ich fände an dessen Lektüre Vergnügen. Allein das ewige Vorgeleier von Schlachten, die sich ähnlich sehn, wie'n Ei dem andern, diese Götter, die in einem fort handeln und doch nichts Entscheidendes zustande bringen, jene Helena, die den ganzen Krieg angesponnen hat und die sich fast immer hinter der Kulisse hält; jenes Troja, das man immer belagert und niemals einnimmt; alles das wurmte mich so sehr, daß ich den Bettel in den Kamin werfen wollte. Ich fragte manchmal Gelehrte, ob sie nicht ebensoviel Langeweile bei dem alten Salbader empfänden. Wer offenherzig war, gestand mir, es ging' ihm nicht besser, doch müßte man ihn immer in seiner Bibliothek haben, ihn aufbewahren als ein Denkmal des Altertums und wie jene verrosteten Schaumünzen, die nicht mehr im Gange sind.

Kandide. So denken doch Vossignoria nicht von Virgil?

Pococurante. Ich räum' es ein, daß das zweite, vierte und sechste Buch seiner Aeneide trefflich sind, was aber seinen frommen Aeneas anlangt, den starken Kloanthes und Freund Achates, den kleinen Askan, den König Schwachkopf Latinus, die Spießbürgerin Amata und den Laffen von Weibe, die Lavinia, so glaub' ich nicht, daß man je was Matteres, Widerlicheres gesehn hat. Viel lieber will ich den Tasso lesen und all die Ammenmärchen des Ariost, worüber man stehend einnicken möchte.

 

Kandide. Verzeihung, gnädiger Herr, finden sie viel Vergnügen daran, den Horaz zu lesen?

Pococurante. Er hat Maximen, die ein Mann von Welt benutzen kann und die wegen ihrer angenehmen, lebhaften Einkleidung sich dem Gedächtnisse um so leichter einprägen. Allein seine Reise nach Brindisi und seine Beschreibung eines Mittagsbrots, das zusammengesudelt worden, sein Zankdialog im Karnschiebertone zwischen Gott weiß was für einem Rupilius, dessen Worte, wie er sagt, von Eiter troffen, und einem andern, dessen Worte nach echt italienischem Weinessig schmeckten, das alles ist mir höchst kahl und schal. Mit äußerstem Widerwillen hab' ich die Grobheiten gelesen, die er den alten Weibern und Hexen in den Bart wirft, ich seh' auch gar nicht ein, was das für ein großer oder kühner Gedanke ist, wenn er zu seinem Freunde Mäcen sagt: Wenn Du mich unter die lyrischen Dichter rechnest, werd' ich mit erhabnem Nacken an die Sterne stoßen.

Aber so geht's; an einem beliebten Autor staunen die Blödhämmel alles als göttlich an. Ich lese bloß für mich, und was nicht in meinen Kram dient, steht mir auch nicht an.

Kandide, der von der Amm' an zu nichts weiter gewöhnt war als zum Nachbeten, erstaunte höchlich über alles das, was er hörte, Martin aber fand Pococurantes Urteile gar nicht uneben.

Ha! ein Cicero, rief Kandide. Den großen Mann werden Sie gewiß nicht müde zu lesen? Wahrlich nicht! antwortete der Venediger, denn ich les' ihn nie. Was schiert's mich, ob er dem Rabirius oder Cluentius den Prozeß geführt hat. Ich habe so Prozesse die Menge abzuurteln. Seine philosophischen Schriften wären noch eher mein Kasus gewesen; wie ich aber sähe, daß er alles bezweifelte, so schloß ich, daß ich grade so viel wüßte wie er, und daß ich niemandes Hilfe bedürfte, um unwissend zu sein.

Oh! da sind vierundzwanzig Bände vermischte Schriften von einer Akademie der Wissenschaften, schrie Martin. Darunter könnte wohl was Guts sein! Und wäre auch, sagte Pococurante, wenn nur ein einziger von all' den Schmierern die Kunst erfunden hätte, Nähnadeln zu machen, so aber enthält der ganzeBraß nichts als Systeme, lauter Luftgut und nicht ein Spierchen Brauchbares.

Was für eine Menge Schauspiele seh' ich dort, rief Kandide, italienische, spanische, teutsche, französische! Jawohl! sagte der Senator, es sind über dreitausend Stück, und der guten nicht drei Dutzend. Daß ich diese Sammlungen Predigten, die insgesamt nicht zwei Seiten von Addison aufwiegen, und alle jene dicken Folianten von Kirchenvätern und allen möglichen Theologastern nie aufgemacht habe, so wenig wie sonst jemand, das werden Sie mir wohl unversichert glauben.

Martin ward einen Schrank gewahr, worin lauter englische Bücher standen: Ich glaube, es muß Wonne für einen Republikaner sein, die meisten dieser Werke zu lesen, die den Geist der Freiheit so stark atmen. Freilich ist's schön, hinschreiben zu dürfen was man denkt, sagte Pococurante, das ist das Vorrecht des Menschen. Allein in unserm ganzen Italien schreibt man bloß, was man nicht denkt; die jetzigen Bewohner der Gegenden, wo die Cäsars herrschten und die Antone, dürfen sich nicht unterstehn, einen Gedanken zu haben, wenn's ein Dominikaner nicht erlaubt. Wie gesagt, ich wäre sehr mit der Freiheit zufrieden, die den genievollen Briten begeistert, wenn nicht Leidenschaft und Parteigeist alles verdürben, was diese köstliche Freiheit Schätzbares hat.

Kandide ward einen Milton gewahr und fragte, ob er nicht diesen Dichter für einen großen Mann hielte? „Ich, den Barbaren, der über das erste Kapitel des ersten Buchs Mose in zehn Büchern rauher Verse einen weitschweifigen Kommentar gemacht hat? Den plumpen Nachäffer der Griechen, der die Schöpfungsgeschichte ganz verhunzt hat, der, indem Moses den Allmächtigen schildert, wie er durch ein Werde die Welt hervorwinkt, seinen Messias einen großen Kompaß aus einem Wandschranke des Himmels hervorholen läßt, um einen Riß seines Weltgebäudes zu entwerfen? Ich, ihn schätzen, derTasso's Höll' und Teufel verpfuscht hat, der den Lucifer bald in eine Kröte, bald in einen Zwerg verkappt, der ihn die Leier immer herableiern läßt, die er ihm einmal in die Hand gegeben hat, der ihm theologische Dispute in den Mund legt. Ich sollte den Mann schätzen, der Ariost's komische Erfindung mit dem Schießgewehr in gutem Ernst nachäfft und sich die Teufel in dem Himmel herumkanonieren läßt. Weder mir noch sonst irgend jemand in Italien können sie gefallen, diese kahlmäuserschen Alfanzereien. Welcher Mann, der nur ein wenig Gefühl fürs Schöne hat, kann die Heirat der Sünde und des Todes und die Schlangen, die Frau Sünde gebiert, lesen, ohne daß sich sein Magen empört! Und seine weitläufige, weitschweifige Beschreibung vom Hospitale gehört nur für einen Totengräber."

„Dies dunkle, phantastische, ekelhafte Gedicht ward bei seiner ersten Erscheinung verachtet; und ich tue jetzt das, was gegen Milton seine Landsleute und Zeitverwandte taten. Übrigens sag' ich, was ich denke, und kümmre mich wenig darum, ob andre ebenso denken wie ich."

Kandiden hatten diese Urteile ein wenig gebeugt, er hielt den Homer hoch und liebte den Milton. Sie kamen nunmehr vor einen Schrank, worin teutsche Dichter standen. Lassen Sie uns vorübergehn, lieber Martin, flüsterte Kandide ihm zu. Es möchte sonst wieder ein unbarmherziges Gericht ergehn. Wobei mancher von den Herren nicht mehr als sein Recht erhalten würde, sagte Martin. Das wohl, antwortete Kandide, aber er könnte so nebenher meine Lieblinge antasten, und das hielt' ich nicht aus.

Pococurante beehrte sie noch mit einigen von seinen Urteilen; wir sind's aber satt, mehrere Schiefköpfigkeiten nachzuschreiben, und der Leser ist es auch gewiß, selbige zu lesen. Kandide brummte in den Bart: Ein großer, großer Kopf. Das nenn' ich noch Genie! Dem kann niemand etwas zu Danke machen !

Nachdem besagtermaßen Pococurantes Bücher die Mustrung passiert hatten, stiegen sie in den Garten herab. Kandide lobte alle dessen Schönheiten. Schönheiten? sagte der Eigner des Gartens. Das nennen Sie Schönheiten? Ist nichts als lauter Flitter- und Klipperkram:

 
Ist purer purer Schneider Scherz
Trägt nur der Schere Spur
Und nicht das große, volle Herz
Von Mutterlieb Natur.
 

Doch nur Geduld, morgen liegt der ganze Bettel hier in einem Klumpen, und aus dem Schutt und Graus soll ein gar ander Ding aufstehn. Wo man hintritt, wo man hinriecht und hinsieht, soll Natur entgegenwittern, und doch soll's nicht so kunterbunt, so regellos wild sein wie in den so hochgepriesnen Gärten der Engländer.

Als unsre beiden Neugierigen von dem Illustrissimo Abschied genommen hatten, sagte Kandide zu Martinen: Daß der Mann der Glücklichste unter allen Menschen ist, werden Sie mir doch wohl zugeben; er ist weit über alles erhaben, was er besitzt.

Martin. Sehn Sie denn nicht, daß er alles dessen überdrüssig ist. Die Mägen sind nicht die besten, hat schon Plato vor Jahrhunderten gesagt, die nicht jede Speise vertragen können.

Kandide. Aber, ist es nicht Wollust, jedes Ding zu bekritteln, Fehler aufzuspüren, wo andre Leute mit ihrer schlechtgeschliffnen Brille nichts als Schönheiten sehn?

Martin. Das heißt verdolmetscht, es ist Wollust, gar keine Wollust zu genießen.

Kandide. Nun dann! so bin ich denn allein der Glückliche, wenn ich mein Gundchen in den Armen haben werde.

Martin. Hoffnung ist noch das Beste, was der Mensch hat!

Indessen verflossen Tage, Wochen, Monate, und kein Kakambo erschien. Kandide war in einem solchen Meer von Wehmut versenkt, daß es ihm gar nicht einfiel, wie weder Gertrud, noch Bruder Viola wiedergekommen waren und sich für die dreitausend Piaster bedankt hatten.

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