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Kandide oder Die beste aller Welten

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Seine Wahl fiel endlich auf einen armen Gelehrten, der zehn Jahre für die Amsterdamer Buchhändler gearbeitet hatte. Er glaubte, es könnte auf der Welt unmöglich ein Metier geben, dessen man eher überdrüssig würde.

Dieser Gelehrte, sonst ein herzensguter Mann, war von seiner Frau bestohlen, von seinem Sohne durchgeprügelt und von seiner Tochter um eines jungen Portugiesen willen verlassen worden. Eines Ämtchens, das sein einzger Wagen und Pflug war, hatte man ihn eben entsetzt und die Surinamschen Prediger verfolgten ihn mit Gözischem Eifer, weil sie in ihm einen Socinianer wähnten.

Zur Steuer der Wahrheit müssen wir bekennen, daß die übrigen neunzehn wenigstens ebenso unglücklich waren wie dieser Mann; allein Kandide hoffte, dieser Gelehrte würde auf der Reise alle Langeweile zu verbannen wissen. All seine Nebenbuhler verdroß Kandidens Wahl sehr; sie waren aber gleich wieder besänftigt, wie er jedem hundert Piaster gab.

Kapitel 20
Seeabenteuer Kandidens und Martins

Der alte Gelehrte, der Martin hieß, schiffte sich also mit Kandiden nach Bordeaux ein. Beide hatten viel gesehen, viel erlitten, und wäre das Schiff von Surinam aus über das Vorgebirge der guten Hoffnung nach Japan gegangen, so würd' es ihnen doch nicht an Stoff gefehlt haben, sich die ganze Reise hindurch mit dem physischen und moralischen Übel zu unterhalten. Indes hatte Kandide einen großen Vorteil gegenüber Martin, er hoffte noch immer, Baroneß Gundchen wiederzusehn, und Martin hatte gar keine Hoffnung mehr; überdies besaß jener Gold und Diamanten, und ob er gleich hundert dicke rote Hammel, mit den größten Schätzen der Erde beladen, verloren hatte, ob ihm gleich des holländischen Schiffspatrons Prellerei noch in's Herz schnitt, so schwankte er dennoch, wenn er an den Inhalt seiner Taschen dachte oder von seinem Gundchen sprach und zumal, wenn er die Gläser klingen hörte, nach Panglosens System hin.

Aber was denken Sie von alle dem, lieber Martin? sagte er. Was halten Sie vom physischen und moralischen Übel?

Martin. Lieber Kandide, die Pastoren dort klagten mich als Sozinianer an, aber die rechte Wahrheit zu sagen, ich bin ein Manichäer.

Kandide. Haben Sie mich nicht zum besten. Es gibt ja keine Manichäer mehr in der Welt.

Martin. So bin ich der einzige, ich kann nun einmal nicht anders denken.

Kandide. So muß der Teufel in Sie gefahren sein, Herr.

Martin. Leicht möglich! So wie der hienieden allenthalben herumspukt und sein Wesen hat, kann er's auch in meinem Leibe. Ich muß Ihnen gestehn, wenn ich so einen Blick auf die Erdkugel oder vielmehr auf dies winzige Erdkügelchen werfe, daß mir der Gedanke nicht aus dem Kopf will: Gott habe einem bösen Geiste die Macht eingeräumt, eignes Beliebens damit zu schalten und zu gebaren; Eldorado nehm' ich hiervon aus.

Ich habe keine Stadt gesehn, die nicht nach dem Untergang ihrer Nachbarin dürstete, keine Familie, die nicht nach der Ausrottung einer anderen lechzte; ich seh' allenthalben, wie die Schwachen die Mächtigen verabscheuen, vor welchen sie kriechen müssen, und wie diese jenen als einer Herde begegnen, der Woll' und Fleisch feil ist; sehe wie eine Million eingeregimenteter Schnapphähne Europa von einem Winkel zum andern durchströmt, mordet und straßenraubt, und das alles mit der schärfsten Mannszucht, bloß um ein Stückchen Brot zu verdienen, das er auf keine ehrenvollere Art zu verdienen weiß. Und in Städten, die im völligsten Genuß des Friedens zu sein scheinen, worin Künst' und Wissenschaften blühen, martert, reibt die Einwohner Eifersucht, Gram und Kummer weit mehr auf, als alle Drangsale und Schrecknisse der Hungersnot und Verzweiflung in einer belagerten Stadt es tun können. Herzenskummer ist noch härter, marternder als das allgemeine Elend. Mit einem Wort, ich habe soviel gesehn, soviel erlitten, daß ich Manichäer geworden bin.

Kandide. Doch gibt's noch viel Gutes in der Welt.

Martin. Kann sein, bis dato ist mir's aber noch nicht zu Gesicht gekommen.

In dem Gezeter, das sich hierüber anspann, waren sie noch nicht weit, als sie einige Kanonenschüsse hörten; jeden Augenblick wurden die Schüsse heftiger. Sie nahmen ihre Sehröhren und wurden in einer Entfernung von ungefähr drei Meilen zwei Schiffe gewahr, die aufeinander losfeuerten. Der Wind führte sie alle beide dem französischen Schiffe so nahe, daß man das Treffen ganz gemächlich ansehn konnte. Endlich gab das eine Schiff dem andern so die volle Lage, daß es gleich untersank. Kandide und Martin erblickten auf dem Verdeck des untergehenden Schiffs hundert Menschen, die unter erbärmlichem Zetergeschrei die Hände gen Himmel emporhoben, und im Hui war alles verschlungen.

Nun sehn Sie, so handelt der Mensch gegen seinen Bruder! sagte Martin. Wirklich, dies Verfahren hat was Teuflisches! versetzte Kandide. Bei diesen Worten ward er etwas Glänzendrotes gewahr, das auf sein Schiff zugeschwommen kam. Man machte die Schaluppe los, um zu sehn, was es sei. Es war einer von Kandidens Hammeln. Ein Fund, der ihn mehr freute, als ihn der Verlust von hundert, wohlbepackt mit eldoradoschen Diamanten geschmerzt hatte.

Der französische Hauptmann hatte gar bald bemerkt, daß der Hauptmann des niederbohrenden Schiffs ein Spanier war und der Befehlshaber des niedergebohrten ein holländischer Seeräuber; eben der, der Kandiden bestohlen hatte. All die unermeßlichen Reichtümer, worin der spitzköpfige Bube seine Klauen geschlagen hatte, wurden mit ihm in der Tiefe des Meers begraben, und weiter nichts geborgen als ein Hammel.

Sehn Sie, sagte Kandide zu Martin, das Laster wird bisweilen bestraft; dieser Schurke von holländischem Schiffspatron hat seinen verdienten Lohn erhalten. Recht gut! weshalb mußten aber die Passagiere, die auf seinem Schiffe waren, mit untergehn? sagte Martin. Ich kann mir's nicht anders erklären, als daß Gott den Spitzbuben bestraft, und der Teufel die übrigen ersäuft hat.

Indes ging das französische und das spanische Schiff jedes seinen Gang, und Kandidens und Martins Unterredung den ihrigen. Vierzehn Tage hintereinander hatten sie sich herumdisputiert, und waren am vierzehnten Tage noch nicht weiter als am ersten. Es half wenigstens so viel, daß sie nicht stumm gewesen waren, sich ihre Gedanken mitgeteilt und einander getröstet hatten. Kandide liebherzte seinen Hammel. Da ich Dich wiedergefunden habe, sagt' er, werd' ich auch wohl noch mein Gundchen wiederfinden.

Kapitel 21
Kandide und Martin nähern sich den französischen Küsten. Wovon sie sich unterhalten

Endlich näherten sie sich den französischen Küsten. Sind Sie jemals in Frankreich gewesen, Herr Martin, fragte Kandide.

Martin. Wohl bin ich's; ich habe manche seiner Provinzen durchstrichen, fand in der einen fast lauter Hasenfüße, in dieser und jener, und jener und dieser lauter erzabgefeimte Schlauköpfe, in jener und der, den größten Haufen lammfromm und schafdumm, in noch andern ein paar Schöngeister. Das Hauptsteckenpferd all' dieser Leute aber war Liebe, welches sie mit zwei andern abwechselten, Afterreden und Schnickschnack genannt. Kandide. Haben Sie Paris gesehn, lieber Martin?

Martin. Ich hab's. Da finden Sie all' den Schlag von Leuten in einen Topf geworfen; 's ist ein wahres Chaos. Ein gedrangvoller, lärmreicher Ort, worin alt und jung „dem Vergnügen nachjagt", und meines Bemerkens es niemand findet.

Lange hab' ich mich dort nicht aufgehalten; kaum war ich angekommen, so hatten die Spitzbuben auf dem St.-Germains-Markte mir all' mein bißchen Barschaft weggestohlen. Man hielt mich selbst für einen Spitzbuben; acht Tage lang mußt ich im Gefängnisse sitzen, hernach ward ich Korrektor, um mir nur so viel zu verdienen, daß ich per pedes Apostolorum wieder nach Holland konnte. Ich habe das schmierende, das kabalebrütende und das fanatische Gesindel kennengelernt. Es soll aber noch recht brave, artige Leute in der Stadt geben; ich will's glauben.

Kandide. Ich meines Teils finde gar keinen Trieb, Frankreich zu sehen; Sie können leicht erachten, wenn man einen Monat lang in Eldorado gewesen, daß man weiter nichts zu sehen wünscht als Baroneß Kunegunden. Ich will sie zu Venedig erwarten; wir wollen über Frankreich nach Italien gehn. Sie begleiten mich doch?

Martin. Versteht sich. Zwar sagt man, Venedig sei nur für die Nobili di Venezia, indes nimmt man auch Ausländer recht gut dort auf, wenn sie viel drauf gehn lassen; ich kann's nun nicht, aber Sie können's, und darum zieh' ich mit, wohin Sie wollen.

Kandide. Sagen Sie mir doch, Freund, glauben Sie, was der dicke Foliant da von unserm Schiffskapitän behauptet, daß die Erde im Anbeginn ein Meer gewesen ist?

Martin. Platterdings nicht! so wenig als all, die Alfanzereien, womit das Heer der Schreiberlinge seit einiger Zeit zu Markte gezogen kommt.

Kandide. Zu was Ende ist denn die Welt erschaffen worden? Martin. Damit wir alle sollen rasend werden.

Kandide. Wundern Sie sich nicht über die Liebe der beiden Dirnen für die zwei Paviane, wovon ich ihnen erzählt?

Martin. Nicht im geringsten. Ich sehe gar nicht, wo das Sonderbare dieser Leidenschaft sitzt. Ich habe so viel Außerordentliches gesehn, daß mir jetzt gar nichts mehr außerordentlich vorkommt.

Kandide. Glauben Sie wohl, daß die Menschen von jeher sich niedergemetzelt haben, wie heutzutage? Daß sie stets gelogen und betrogen haben, stets treulose, undankbare, räubrische, flatterhafte, schurkische, neidische, prasserische, versoffene, geizige, ehrsüchtige, blutlechzende, verleumdrische, hurende, schwärmende und alberne Geschöpfe gewesen sind?

Martin. Glauben Sie, daß die Sperber von jeher Tauben gefressen haben, wenn sie ihrer habhaft werden können?

Kandide. Wohl glaub' ich's!

Martin. Nun dann, wenn das immer der Charakter der Sperber gewesen ist, warum sollen grade die Menschen ihren Charakter geändert haben?

 

Kandide. Wohl unterscheiden sich Sperber und Menschen! denn letztere haben ihren freien Willen, können also … Unter diesen Gesprächen waren sie in Bordeaux angekommen.

Kapitel 22
Was Kandiden und Martinen in Frankreich begegnet

Kandide hielt sich nur so lange Zeit in Bordeaux auf, als nötig war, einige eldoradosche Kieselsteine in Gold und Silber umzusetzen und sich eine zweisitzige Kutsche anzuschaffen, denn sein Philosoph Martin war ihm ganz unentbehrlich geworden.

Daß er sich von seinem Hammel trennen mußte, tat ihm herzlich leid. Er überließ ihn der Akademie der Wissenschaften zu Bordeaux, welche die Untersuchung, warum die Wolle dieses Hammels rot sei, zur dermaligen Preisaufgabe machte. Ein nordischer Gelehrter bewies durch A + B – C, dividiert durch Z, daß der Hammel rot sein und an den Pocken sterben müßte, und seine Abhandlung ward preisgekrönt.

Alles, was Kandiden begegnete, ging Hals über Kopf nach Paris; das machte Kandiden auch lüstern, diese Hauptstadt zu sehn; und Hals über Kopf eilt' er ihnen nach. So sehr viel lag es auch eben nicht von dem Wege nach Venedig.

Er kam durch die Vorstadt St. Marceau herein und glaubte sich in dem schmutzigsten Dorfe Westfalens zu befinden. Kaum war er im Gasthofe angekommen, so befiel ihn eine kleine Unpäßlichkeit, eine Frucht seiner Strapazen. Da er einen außerordentlich großen Diamanten an seinem Finger hatte und man unter seinem Gepäck eine recht vollwichtige Schatulle wahrgenommen hatte, so fanden sich gleich unverlangt zwei Ärzte ein, einige sehr warme Freunde und zwei Betschwestern, die ihm seine Suppen wärmten.

Ich erinnre mich doch auch, krank gewesen zu sein, sagte Martin, wie ich zuerst in Paris ankam; da waren aber – denn ich war rattenkahl – weder Freunde noch Ärzte, noch Betschwestern, und ich genas doch.

Durch das viele Arzeneien und Aderlassen ward Kandide endlich in vollem Ernste krank, recht gefährlich krank. Der Vicarius des Viertels kam zu ihm und bat, er möchte doch einen Paß an Sankt Petern mitnehmen, damit er ihn gleich zum Himmelspförtchen einließe. Kandide wollte durchaus nicht; die beiden Betschwestern versicherten, es wäre die neuste Mode, Kandide versicherte ihnen dagegen, er wäre gar nicht für neue Moden. Martin wollte den Vicarius zum Fenster hinauswerfen; der Geistliche schwor, Kandide sollte nie auf den Kirchhof kommen. Martin schwor dagegen, er wolle ihn bald auf den Kirchhof schicken, wenn er ihnen noch länger auf dem Halse läge. Das Gezeter ward sehr heftig, und Martin schleuderte den Pfaffen beim Arme zur Tür' hinaus. Das gab großen Skandal, und die Sache wurde fiskalisch untersucht.

Kandide genas, und während der Genesung hatte er stets gute Gesellschaft zum Souper bei sich. Man spielte hoch. Er bekam nie ein As, was ihn denn nicht wenig Wunder nahm, Martinen aber gar nicht.

Unter denen, die ihm die Honneurs der Stadt machten, befand sich ein winziges Abbuchen aus Perigord. Einer von jenen frechen, bartstreichlerischen, sich in jede Laune schmiegenden und fügenden, bald da, bald dorthin fispernden, ewigen Scharwenzlern, die den Ausländern wegelagern, ihnen die skandalöse Geschichte der Stadt erzählen und ihnen Vergnügungen von jeder Art und für jeden Preis anbieten.

Dies allerliebste Männchen begann damit, daß er Kandiden und Martinen in die Komödie führte. Man gab ein neues Trauerspiel. Kandide saß bei einigen Schöngeistern. Demungeachtet weint' er in einigen meisterhaft gespielten Szenen. Einer von den neben ihm sitzenden Kritlern sagte in einem Zwischenakte: Sie vergießen ohne alle Ursach Tränen, mein Herr. Die Schauspielerin ist erbärmlich, ihr Mitspieler noch erbärmlicher und das Stück noch weit erbärmlicher wie die Schauspieler. Die Szene liegt in Arabien, und doch versteht der Verfasser kein Wort Arabisch; glaubt überdies nicht einmal an angeborne Ideen, der elende Wicht! Morgen will ich Ihnen zwanzig Traktätchen mitbringen, alle gegen den Dramatifex gerichtet.

Wieviel dramatische Stücke haben Sie wohl in Frankreich! frug Kandide den Abbé. Fünf- bis sechstausend, antwortete er. Viel, und wieviel gute darunter? sagte Kandide. Fünfzehn, erwiderte jener. Noch immer viel! versetzte Martin.

Kandide gefiel eine Schauspielerin sehr, welche die Königin Elisabeth in dem ziemlich platten Trauerspiel dieses Namens machte, das wohl bisweilen gegeben wird. Ein recht brav Mädel die Aktrice, sagt' er zum Martin. Sie hat etwas von Baroneß Kunegunden an sich; ich möcht' ihr gern mein Kompliment machen. Der Abbé aus Perigord war gleich mit dem Anerbieten bei der Hand, ihn bei ihr einzuführen. Kandide, in Teutschland geboren und erzogen, fragte, was hiesige Etikette sei, und wie man in Frankreich den Königinnen von England begegnete. In der Provinz, Herr Baron, antwortete der Abbé, führt man sie in's Wirtshaus, zu Paris hält man sie in hohen Ehren und Würden, wenn sie schön sind; sterben sie, so wirft man sie auf den Schindanger. Königinnen auf den Schindanger? fragte Kandide. Ja wahrlich! der Herr Abbé hat Recht, sagte Martin; ich war zu Paris, als Demoiselle Lecouvreur das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschte, wie man zu sagen pflegt; man verweigerte ihr, was die Leute hier zu Lande ein ehrliches Begräbnis nennen, das heißt, man wollte sie nicht mit all' den Bettlern aus einem Stadtviertel auf einem lumpichten Kirchhof zusammen vermodern lassen; ihre Bande verscharrte sie an einer Ecke der Rue de Bourgogne, ganz allein; das muß ihrem armen Seelchen mehr denn die folterndste Höllenpein sein, denn es war immer ein sehr nobeldenkendes Mädchen gewesen.

Sehr ungeschliffen! sagte Kandide. Was tun? antwortete Martin. Die Leute sind nun einmal hier so. Denken Sie sich alle möglichen Widersprüche, alle möglichen Ungereimtheiten in eine Masse zusammengeknetet, so haben Sie die Regierungsform, die Gerichtshöfe, die Kirchen, die Schauspiele dieser drollichten Nation.

Ist es wahr, daß man zu Paris beständig lacht? frug Kandide. Das tut man, sagte der Abbé, es ist aber eine bittre Lache, die Lache kochender Wut; man bringt dort die herzschneidendsten Klagen mit der schallendsten Lache hervor, ja verrichtet sogar die abscheulichsten Handlungen mit lachendem Munde. Wer war denn das dicke Schwein, sagte Kandide, das auf ein Stück lästerte, worin ich so geweint habe, und auf Schauspieler, die mir so gefallen hatten? „Ein elender hungerleiderscher Duckmäuser, der um ein paar Bissen Brot zu verdienen, alle Stücke und alle Bücher herunterlästert; jeden emporkommenden Schriftsteller haßt, wie der Verschnittne den vollglücklichen Liebhaber; eins von jenen Literaturinsekten, die sich bloß von Dreck und Gift und Geifer nähren; es ist ein gallsüchtiger Neidhart." Ein gallsüchtiger Neidhart? sagte Kandide. „Ei ja! So ein Flugblättler, ein gewisser Fréron."

So schwatzten Kandide, Martin und der Abbé aus Perigord auf der Komödienhaustreppe und sahen die Zuschauer alle neben sich vorbeiziehn. So vielen Drang ich auch fühle, Baroneß Kunegunden zu sehn, sagte Kandide, so möcht' ich doch wohl heut abend mit Demoiselle Clairon speisen. Es scheint mir ein ganz herrliches Mädchen.

Der Herr Abbé war ein zu jämmerliches elendes Wichtchen, um Zutritt bei der Demoiselle Clairon zu haben, bei der sich stets der angesehenste Zirkel befand. Auf heut abend ist sie versagt, hub der aus Perigord an, ich werd' aber die Ehre haben, den Herrn Baron zu einer vornehmen Dame zu führen, wo Sie Paris so sollen kennenlernen, als hätten Sie sich vier Jahr hier aufgehalten.

Der von Natur neugierige Kandide ließ sich zu der Dame führen, die am äußersten Ende der Vorstadt St. Honore wohnte. Man war dort mit Pharao beschäftigt. Zwölf sauertöpfige Pointeurs hatten jeglicher sein Büchelchen Karten in der Hand, das eselsgeöhrte Verzeichnis ihrer Unglücksfälle.

Überall war das tiefste Stillschweigen; Totenblässe saß auf der Stirn des Pointeurs; Besorgtheit auf der Stirn des Bankiers, und die Dame vom Hause, die diesem unbarmherzigen Bankier zur Seite saß, gab mit Falkenaugen auf alle Parolis und sept-et-le-va de campagne acht, wozu jeder Spieler seine Karten kniff; streng auflauernd aber mit Feinheit ließ sie alle Eselsohren wieder ausmachen und bange, ihre Kunden zu verlieren, ward sie gar nicht aufgebracht. Diese Dame hieß die Marquise de Parolignac.

Ihre fünfzehnjährige Tochter befand sich unter den Pointeurs und verriet durch einen Augenwink all die Gaunereien dieser armen Teufel, die der ihnen griesgramenden Fortuna ein Lächeln abzwingen wollten.

Der Abbé, Kandide und Martin traten herein. Niemand stand auf, bekomplimentierte sie, blickte gar auf sie hin; sie waren insgesamt mit ihren Karten viel zu sehr beschäftigt. Die Frau Baronessin von Donnerstrunkshausen war weit höflicher, sagte Kandide.

Indes hatte sich der Abbé dem Ohr der Marquise genähert; sie lüpfte sich ein wenig in ihrem Armstuhl, beehrte Kandiden mit einem graziösen Lächeln, Martinen mit einem hochadlichen Kopfneigen, und ließ Kandiden einen Stuhl und Karten reichen. In zwei Taillen hatte er fünfzigtausend Franken verloren. Hierauf nahm man in der größten Fröhlichkeit das Souper. Jedermann erstaunte, daß Kandide bei seinem Verluste so kalt blieb, und die Bedienten sagten untereinander in ihrer Bedientensprache: Das muß mein Seel ein englischer Mylord sein.

Das Souper glich den meisten parisischen Soupers. Erst war alles still, dann entstand mit einemmal ein Wortgetöse, wobei niemand hörte, was er selbst sagte, alsdann strömte man in Scherzen, Einfällen aus, die meistenteils herzlich schal und kahl waren, brachte falsche Neuigkeiten aufs Tapet, schiefe Räsonnements; es ward ein bißchen gekannegießert, und viel geafterredet; man schwätzte und krittelte sogar über neue Bücher.

Der Abbé fragte: Haben sie schon den neuen Roman gelesen, den. der Doktor Theologiä Herr Gauchat, geschrieben? Leider, sagte einer von den Gästen, aber nicht bis zu Ende. Es war mir unmöglich. Es kömmt viel albern Zeug heraus, aber so was Albernes, wie der Wisch vom Herrn Doktor Gauchat, hab' ich noch nie gesehn; die Sündflut von abscheulichen Schriften, womit wir überschwemmt sind, die einem ganz bis ans Kinn dringt, verekelt einem alles Bücherlesen dermaßen, daß ich mich auf's Pointieren gelegt habe. Und was sagen Sie zu den vermischten Schriften des Archidiakonus T… " fragte der Abbé.

Ein unausstehliches Geschöpf! rief die Frau von Parolignac. Wohlbekannte alltägliche Dinge kramt er mit der geheimnisvollsten Miene aus; was nur einer hingeworfnen Bemerkung bedarf, erörtert er aufs weitschweifigste und schwerfälligste; ohn' einen Funken Witz zu haben, eignet er sich andrer Leute ihren zu; was er stiehlt, verdirbt er durch den Senf, den er darüber schüttet. Der Mann macht mich ganz wild! Doch er soll's nicht mehr. Mehr denn zuviel, wenn man vom Herrn Archidiakonus ein paar Seiten gelesen!

Ein Mann von Gelehrsamkeit und Geschmack, der sich mit an der Tafel befand, bekräftigte das Urteil der Marquise. Man kam nachher auf die Trauerspiele. Die Dame fragte, woher es käme, daß manche Trauerspiele in der Vorstellung etwas täten, im Lesen aber nicht auszuhalten wären?

Der Mann von Geschmack setzte es sehr gut auseinander, wie ein Stück etwas Anziehendes haben und demungeachtet doch nichts taugen könnte, bewies mit wenig Worten, daß es nicht genug sei, ein oder zwei Situationen anzubringen, die man in jedem Roman antrifft, und die immer etwas Verführerisches für die Zuschauer haben, sondern daß man originell sein müsse, ohne phantastisch zu sein, erhaben, ohne unter den Sonnen herumzuwandeln, das Herz kennen und es reden lassen, großer Dichter sein, und doch aus keiner von seinen Personen den Dichter hervorstechen lassen, den ganzen Sprachschatz zu benutzen wissen, nie den Wohlklang vergessen, nie einen Gedanken dem Reim aufopfern. Wer all' diese Regeln nicht sorgfältig in acht nimmt, setzt' er hinzu, kann zwar Trauerspiele verfertigen, die auf dem Theater gefallen, er wird aber nie einen Rang unter den guten klassischen Schriftstellern erhalten.

Gute Trauerspiele haben wir sehr wenige. Viele sind ganz wohldialogierte und wohlversifizierte Idyllen, andre ein Schlafmittel in Form eines politischen Geschwätzes oder artige Brechmittel von Übertreibungen; wieder andre das kunterbunteste Tollhäuslergewäsch; zerstückelte Reden, lange Apostrophierungen an die Götter, (denn mit Menschenkindern wissen die Herren nicht zu sprechen) falsche Maximen, hochgeschraubte Gemeinplätze.

Kandide hörte aufmerksam zu, und faßte von diesem Kritiker eine große Meinung; und da die Marquise ihm neben sich einen Platz zu geben die Güte gehabt hatte, so nahm er sich die Freiheit ihr die Frag' ins Ohr zu flüstern: wer der so gesundurteilende Mann wäre?

Ein Gelehrter, sagte die Dame, der nicht pointiert und den der Abbé manchmal zum Abendbrot herbringt; ein großer Kenner von Trauerspielen und Büchern. Er hat eine ausgepfiffne Tragödie gemacht und ein Buch, davon nie ein anders Exemplar aus seines Verlegers Laden gekommen ist als das, so er mir dediziert hat.

 

Ein großer Mann sagte Kandide! ein zweiter Panglos! Hierauf sagt' er sich an ihn wendend: Vermutlich glauben Sie doch auch, mein Herr, daß in der physischen Welt sowohl als in der moralischen alles aufs beste eingerichtet ist, und daß nichts einen andern Gang nehmen kann?

Nichts weniger denn meine Meinung, antwortete der Gelehrte. Ich finde vielmehr, daß bei uns alles der Quere geht, daß niemand weiß, was seines Rangs, seines Amts ist, noch was er tut, noch was er tun soll, und nehm ich die Soupers aus, wobei noch immer Fröhlichkeit herrscht und auch ziemlich viel Eintracht, so bringen die Menschen den ganzen Überrest ihres Lebens mit dem albernsten Gezeter hin. Jansenisten sind gegen Molinisten, Parlamentsglieder gegen Männer von Literatur, Hofschranzen gegen Hofschranzen, Finanzpächter gegen das Volk, Weiber gegen ihre Männer, Anverwandte gegen Anverwandte; kurz, es ist ein ewiger Krieg.

Kandide antwortete ihm: Ich habe noch viel Schlimmers gesehen; allein ein weiser Mann, der nachher das Unglück gehabt, aufgehängt zu werden, lehrte mich, daß alles über die Maßen gut sei und daß das Schlimme bloß das wäre, was der Schatten in einem schönen Gemälde.

Der Herr Weise am Galgen hatte die Leute zum besten, sagte Martin; diese Schatten sind gräßliche Flecke. Die Menschen sind's, die diese Flecke machen, und sie können's nicht vermeiden, sagte Kandide. Sonach ist's nicht ihre Schuld, antwortete Martin.

Die meisten von den Pointeurs, denen dies Rotwälsch war, zechten, Martin unterhielt sich mit dem Gelehrten, und Kandide erzählte einen Teil seiner Abenteuer der Dame vom Hause. Nach dem Souper führte die Marquise Kandiden in ihr Kabinett; er mußte sich auf ein Sofa setzen.

Die Dame. Nun, glühen Sie noch immer für Mademoiselle Cunegonde von Dundertronksaus?

Kandide. Noch immer, gnädige Frau!

Marquise (mit einem zärtlichen Lächeln). Geantwortet wie ein echter junger Westfale. Ein Franzos an Ihrer Stelle hätte zu mir gesagt: Bisher Madam; seit ich Sie aber gesehn, besorg' ich sehr, Mademoiselle Cunegonde nicht mehr zu lieben.

Kandide. O, Madame, sprechen Sie, was ich sagen soll, ich will ja alles sagen.

Marquise. Ihre Leidenschaft für die Baronne begann dadurch, daß Sie ihr Schnupftuch aufhoben, jetzt sollen Sie mir mein Strumpfband aufnehmen. Herzlich gern, Madam, sagte Kandide, und hob's auf. Sie müssen mir's nun wieder umbinden, hub die Dame an, und Kandide tat's. Sehn Sie, sagte die Dame, Sie sind ein Ausländer, meine Pariser Liebhaber laß' ich manchmal fünfzehn Tage schmachten, Ihnen aber ergeb' ich mich in der ersten Nacht, denn einem jungen Westfalen muß man die Honneurs seines Landes machen.

Die Dame war Französin, Kandide glühend vom Wein, noch glühender von den Reizen, die er oberhalb des Knies der Marquise beim Strumpfbandumbinden in dem verführerischsten Prospekte zu sehn Gelegenheit gehabt; das Kabinett wollüstigdämmernd; alles ringsum hatte so viel Anlockendes; allein waren sie; er erlag.

Sie spielten ihr Duodram beide recht brav; die Dame, als eine Frau von Welt geübt in den schlauesten, unterhaltendsten Buhlerinnenkünsten; Kandide, als ein unentnervter junger Westfale; er nahm sich völlig dabei, wie Herkules in der Nacht gegen die Fünfzig.

Nach geendeter Sofaszene lobte die Schöne zwei übergroße Diamanten, die sie bereits längst bei ihrem jungen Fremden wahrgenommen hatte, so treuherzig, daß sie in einem Hui an den Fingern der Marquise saßen.

Wie Kandide mit seinem Abbé nach Hause ging, stiegen ihm einige Skrupel wegen der Untreue auf, die er an der Baroneß Kunegunde begangen hatte; der Herr Abbé nahm an seinem Kummer teil: er hatte an den fünfzigtausend Livres, die Kandide in dem Spiel verloren hatte und an den beiden Brillanten, die halb geschenkt, halb abgedrungen waren, nur sehr geringen Anteil gehabt.

Der Herr Abbé, der jetzt einen tüchtigen Schnitt zu machen dachte, war bemüht, sich bei Kandiden immer mehr einzulieblen, schwatzte ihm viel von Kunegunden vor, und Kandide sagte: er wollte ihr auf den Knien auf's herzinnigste seine Untreue abbitten, wenn er sie zu Venedig sähe.

Der Abbé verdoppelte seine Höflichkeit und seine Aufmerksamkeit, nahm an alle dem, was Kandide sagte, tat, ja noch tun wollte, den wärmsten Anteil.

So haben Sie mit ihr ein Rendezvous zu Venedig verabredet? fragte er. „Das hab' ich, lieber Abbé; ich muß platterdings mein Gundchen wiederfinden." Das Vergnügen, von seiner Geliebten sprechen zu können, riß ihn hin, und er erzählte, nach seiner löblichen Gewohnheit, einen Teil seiner Abenteuer mit dieser berühmten Westfalin.

Baroneß Kunegunde hat zweifelsohne viel Geist, sagte der Abbé, und schreibt treffliche Briefe. „Was ich nicht sagen kann! Ich habe nie welche von ihr bekommen. Als ich wegen meiner Liebe zu ihr war aus dem Schlosse gejagt worden, könnt' ich nicht an sie schreiben; bald darauf erfuhr' ich, sie sei tot, hernach fand ich sie wieder, und verlor sie plötzlich, und jetzt habe ich ihr zweitausendfünfhundert Meilen von hier einen Expressen gesandt, dessen Antwort ich erwarte."

Der Abbé hörte aufmerksam zu und schien ein wenig staunend. Bald darauf nahm er mit der zärtlichsten Umarmung von den beiden Fremden Abschied. Den folgenden Morgen erhielt Kandide einen Brief, folgendermaßen abgefaßt: „Mein Bester, seit acht Tagen lieg ich hier krank. Jetzt eben vernehm ich, daß Sie hier sind. Trügen mich meine Beine, so flög ich in Ihre Arme. Zu Bordeaux erfuhr ich, wohin Sie sich gewandt hatten; ich habe den treuen Kakambo und die Alte dort gelassen, die bald hier eintreffen müssen. Der Gouverneur von Buenos Aires hat mir alles genommen, aber Ihr Herz bleibt mir noch übrig. Kommen Sie, Ihre Gegenwart schenkt mir entweder das Leben wieder oder tötet mich vor Vergnügen."

Ihre Kunegunde

Dieser entzückende, unverhoffte Brief machte Kandiden ganz berauscht vor Freude, allein die Unpäßlichkeit seiner Lieben schlug ihn äußerst nieder. Ein Spielball dieser beiden Empfindungen nahm er sein Gold und seine Diamanten und ließ sich samt Martinen in das Hotel führen, worin Baroneß Gundchen logierte.

Mit hochklopfendem Herzen, an jedem Gliede vor Vergnügen zitternd und mit bebender Stimme stürzt er in ihr Zimmer, wollte die Bettvorhänge aufreißen, wollte Licht haben. Um Gottes willen nicht! 's ist dem Gnädigen Fräulein nichts schädlicher wie's Licht! schrie die Magd, und ritz-ratz! wurden die Vorhänge dicht fest wieder zugezogen.

Was machen Sie, liebste Kunegunde? sagte Kandide mit einem Strom von Tränen. Lassen Sie mich doch wenigstens Ihre Stimme hören, da ich Ihr Gesicht nicht sehen darf. Ja, sprechen darf meine gnädige Herrschaft auch nicht, sagte das Mädchen. Die Dame streckte eine runde, fleischichte Hand zum Bette hinaus, die Kandide lange mit Tränen benetzte, und hernach mit Diamanten anfüllte; auf den Stuhl neben ihrem Bette hatt' er einen Beutel mit Gold hingelegt.

Kandide schwamm in Liebeswonne, als ein Gefreiter mit etlichen Mann hereintrat, der Abbé begleitete ihn. Das sind also die beiden verdächtigen Fremden? sagte ersterer. Sogleich bemächtigte man sich ihrer, und die Muskoten waren auf dem Sprunge, sie ins Gefängnis zu schleppen.

So begegnet man in Eldorado den Fremden nicht, sagte Kandide. Ha! ich bin mehr Manichäer denn je, rief Martin. Aber mein Herr, wo führen Sie uns hin? sagte Kandide. In ein tiefes Loch unter der Erde, antwortete der Gefreite.

Martin, der all' seine Kaltblütigkeit wieder hatte, schloß, die vorgebliche Baroneß Kunegunde sei eine Betrügerin, der Herr Abbé, der sich Kandidens Treuherzigkeit aufs schleunigste zu Nutze gemacht hatte, und der Gefreite ein andrer Spitzbube, den man leicht loswerden könnte.

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