Mann, Frau, Affe

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Die neuesten Glossen von Volker Hagedorn

Informationen zum Autor

Volker Hagedorn, Jahrgang 1961, lebt als Journalist und Musiker in der Nähe von Hannover. Er studierte Viola und war Feuilletonredakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung. Seit 1996 schreibt Volker Hagedorn als freier Journalist vor allem für WDR, Deutschlandradio, die Zeit, den Tagesspiegel; seine regelmäßig in der Hannoverschen Allgemeinen erscheinenden Kolumnen wurden auch in den Büchern »Wo bin ich?« und »Der Wolkenkoffer« veröffentlicht. Für Zeit Geschichte konzipierte er die Ausgaben »Wer ist Mozart?« und »Herbert von Karajan«, zudem leitete er die Redaktion der 20-bändigen Zeit Klassik Edition. Als Barockbratscher spielt Volker Hagedorn bei Cantus Cölln.

Volker Hagedorn

Mann, Frau, Affe

Kolumnen III


Impressum

©2012 zu Klampen Verlag • Röse 21 • D-31832 Springe

info@zuklampen.de • www.zuklampen.de Umschlaggestaltung: Stefan Hilden, München, www.hildendesign.de Umschlagmotiv: © HildenDesign/shutterstock.com Konvertierung: Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart ISBN 978-3-86674-194-2 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

Zahl’n jetzt, luuki luuki!

Gedränge im Bistro an Gate B am Wiener Flughafen. »Zahl’n Sie das?« Der Mann hinter dem Tresen deutet auf ein Tablett mit Cappuccino und Ciabatta. »Zahl’n Sie das?« Ach, der meint mich. »Nein«, sage ich. Seine Kollegin zeigt auf einen Reisenden neben mir. »Der Herr dort …« »Acht vierzig«, sagt der Kellner. Der Mann sieht ihn freundlich abwartend an. Vielleicht versteht er nichts, oder er fühlt sich ebenfalls nicht angesprochen. Oder er wartet auf ein »bitte«. Jetzt zückt er aber sein Portemonnaie. »Eight forty. Eight forty«, wiederholt der Kassierer ungeduldiger, »eight forty, zahl’n jetzt, luuki luuki, hier steht’s!« Er zeigt mit großer Gebärde auf das Kassendisplay.

»Also ein bisschen netter könnten Sie schon sein zu den Leuten«, sage ich, »Sie reden ja wie mit Blöden.« »Na, auf Sie hab’ i g’wart«, sagt er, »auf Sie hab’ i grad g’wart«. »Dann ist es ja prima, dass ich endlich da bin«, sage ich in einem Anfall von Geistesgegenwart. »Drei zwanzig«, schnarrt er, mit Blick auf den Cappuccino vor mir. »Nee, es kommt noch was dazu«, sage ich. Während die Imbissfrau mein aufgeheiztes Baguette holt, sortiert er Geschirr und murmelt die ganze Zeit empört vor sich hin, dass ich es nur ja höre. »Sicher a Professor. Scherzkeks. Auf den hab’ i grad’ g’wart’. Acht zwanzig.« »Nun beruhigen Sie sich mal«, meine ich und bezahle. »I reg mi net auf.« »Seien Sie einfach ein bisschen netter zu den Leuten.« »Aber nicht mit Ihnen!«

Es könnte eine reizvolle Aufgabe für den kreativen Deutschunterricht sein, den Dialog nun fortzuspinnen, wobei allerdings meine Rolle einen Bruch erlitte. Ich habe den realen Dialog an dieser Stelle beendet, weil ich sowas gern schnell hinter mich bringe und niemals z. B. so weitermachen würde: »Darf ich mal das Schildchen sehen? Ich möchte mir Ihren Namen notieren.« »A Hobbykieberer! Scherzkeks! Schreiben’S nur. Faschist Sie!« Oder: »Ich habe den Eindruck, dass Sie im Grunde ein unglücklicher Mensch sind.« »Bitte, des is a Frechheit! Was geht Sie des an! (unterdrückt ein Schluchzen) Ah, was sois. A Wochen isses jetzt her, genau a Wochen, da hat’s mi verlassen! Nach vierzehn Jahr!«

Oder: »Sie sind ja ein echter Kotzbrocken in der Servicewüste. Nächstes Mal fliege ich über Salzburg!« »Passt scho, da arbeit’ mei Bruder, der is no besser.« Ganz schlichte Pennäler favorisieren wahrscheinlich die Variante »PENG!« »Aaarrgh …«, die, global betrachtet, realistischer ist als die folgende: »Sie ahnen gar nicht, wie gut mir unser Gespräch gefallen hat. Ich bin nämlich Kolumnist, da schreibt sich die nächste Kolumne jetzt wie von selbst.« »Kommunist, hab’ i mir do glei dacht. Mit Ihrer Kommune will i nix z’ tun ham … naa, was sagen’S? Wo erscheint des? Des möcht’ i ja les’n.« »Dann besorgen Sie sich das Buch ›Mann, Frau, Affe‹ und machen einfach mal luuki luuki. Okay?« Nee, wär’ zu schön gewesen.

Erwachsene sind peinlich

Schon zum Frühstück kommt sie mit perfektem Make-up, die Augen mit Kajalstift akzentuiert, der Mund glänzend erdbeerrot, die Klamotten frisch gebügelt. Diese Zwölfjährige, Tochter von Freunden, ist der bestgestylte Mensch, den ich kenne. Dass sie überhaupt kommt, ist erstaunlich, denn ihr Leitspruch lautet: »Erwachsene sind peinlich.« Andererseits scheint es ihr zu gefallen, diese Erwachsenen an einem Sonntagmorgen, wenn sich alle ungebügelt und angeknittert um den großen Küchentisch versammeln, mit ihrer eigenen, vollendeten und strahlenden Erscheinung zu konfrontieren.

Ich nenne sie für mich Paris Hilton, wegen der Sachen, die sie später am Tag trägt und die deutlich am Outfit reicher Partyschnepfen ausgerichtet sind. Eigentlich ist das unfair. Lila, wie sie hier mal heißen soll, ist viel intelligenter als Frl. Hilton, zu schlau für ein Leben mit dem Mainstream, dem sie aber vorerst generell huldigt. Sie hat mir mal die Top Ten genannt, die man hören muss, eine Liste, die jetzt, ein Jahr später, längst nicht mehr gilt. Sie will alles richtig machen, wobei sie Prioritäten setzt: Schminken geht vor Schule. Sie kommt eher zu spät, als dass sie sich mit unvollendetem Make-up blicken ließe.

Als ich sie kennenlernte, war Lila neun. Sie sah mich hilflos an der Kaffeemaschine herumwursteln und sagte: »Darf ich dir diese Mühe ersparen? Was möchtest du?« Zwei Minuten später reichte sie mir einen perfekt beschäumten Cappuccino. Als wir uns neulich nachts über sie unterhielten und rätselten, warum sich ausgerechnet ein Kind aus einem mainstreamfernen Kreativhaushalt derart dem Diktat der Mode unterwirft, lehnte das Mädchen plötzlich mit dem Lächeln einer Diva in der Küchentür und sagte: »Das ist ja hochinteressant, was man hier so über sich zu hören bekommt.« Peinlich …

Lilas Mutter macht sich ein bisschen Sorge über den Outfit-Perfektionismus ihrer Tochter, ist aber zuversichtlich, dass die das hinter sich bringt. Andere Kinder beginnen erst mit sechzehn oder sogar nie, sich gegen die Vorstellungen ihrer Eltern zu profilieren, Lila hingegen wird mit sechzehn womöglich Lachkrämpfe kriegen, wenn sie Paris Hilton sieht, und sich dem Studium der Teilchenphysik widmen. Womöglich. Man weiß es nicht. Auch Intelligenz schützt nicht vor einer Laufbahn, die auf dem Chefsessel der »Vogue« gipfelt, und Lila wäre wahrscheinlich der schlaueste Teufel, der je Prada trug.

Nun aber sitzt sie zwischen sieben zerknitterten, gut gelaunten, peinlichen Erwachsenen am Frühstückstisch und zieht eine Fünf-Kilo-Dose Nutella zu sich heran, ein Monument der Versorgungssicherheit, und häuft sich genüsslich das Zeug aufs Brötchen. Ohne Rücksicht auf Linie und Lippenstift schlingt sie es runter. Bei Erwachsenen muss man nicht so manierlich sein, und immerhin ist es Markenware. Es gibt sogar Croissants. Peinlich eigentlich.

Der Nachbar aus Nummer 13

Kafka ist gar nicht so. So kafkaesk. Ich begegne ihm jetzt manchmal, mit einem Abstand von 85 Jahren zwar, aber nachbarschaftlich. Er wohnt bloß sieben Häuser weiter, an derselben Straße im Süden von Berlin. Kafka musste damals nicht den Strom der Autos abwarten, um sie zu überqueren und zum Botanischen Garten zu spazieren. Eine Viertelstunde brauchte er bis dahin, ziemlich zügig für seinen geschwächten Zustand. »Meine Gasse ist etwa die letzte halb städtische, und hinter ihr löst sich das Land in Gärten und Villen auf, alte üppige Gärten.« Das schrieb er aus seiner ersten Wohnung hier im Stadtteil, ehe er noch näher an die Gärten zog, in meine Straße. Meine?

Dass ich eigentlich in seine geraten bin, wusste ich zuerst gar nicht. Das ist auch besser so. Womöglich hätte es mich von der Gegend abgeschreckt. Ich verehre ihn, aber bis vor einiger Zeit fand ich ihn auch irgendwie unheimlich, als Typ, das ist schwer zu erklären. Dann kam ich an einer netten kleinen Villa vorbei, an der eine Gedenktafel hängt, las die Tafel und erfuhr, dass er da gewohnt hat, in seinem letzten Lebensjahr. Mit vierzig. Das Haus hat eine völlig unkafkaeske Ausstrahlung. Als Vorteile nannte der Mieter aus Prag ein sonniges Wohnzimmer, »Centralheizung und elektrisches Licht«. Er blieb nur zehn Wochen, ehe er mit seiner neuen Freundin woanders zusammenzog.

Aber Leute wie er sind immer da. Ich versuche ihn manchmal zu sehen, klein und viel zu mager und mit diesen großen Augen und seiner schräggestreiften Krawatte. Denn ich weiß, dass er hier rumlief, am Lidl vorbei, am Fahrradgeschäft, wo natürlich andere Geschäfte sich befanden, zum Rathausplatz, der damals noch keine städteplanerische Idiotie mit Asbesthochhaus war, aber mit Buchhandlungen dreimal so gut ausgestattet. Und ich finde ihn nicht mehr unheimlich. Seit Kafka für mich Passant ist und Mieter in der kleinen Villa, nicht mehr nur Dichter, hat er was Normales, ein Typ, der hier viel spazierengeht, freundlich, frisch verliebt, nicht berühmt.

 

Einmal gerät er irgendwie ins Lidl. Da guckt er sich die Kameras an, das triste Licht, die Warenstapel, sucht vergeblich nach Verkäufern, auch nach Produkten, die er ihrer Verpackung wegen nicht erkennen kann, das ist für ihn noch rätselhafter als für uns sein »Schloss«. Da kriegt er vor der Tiefkühltruhe einen Hustenanfall und will weg, und ich sage vorsichtig »Hallo, Herr Kafka« und führe ihn an der Kasse vorbei. Von da findet er den Weg zum Botanischen Garten, die Ampeln verschwinden, die Autos werden rar. Ich bin trotzdem nicht neidisch: Für seine zwei Zimmer muss er eine halbe Billion zahlen, wegen Inflation. Aber stolz bin ich schon auf ihn, den Mann aus Nummer 13.

Der Wind weht, wo er will

In glutheißen Tagen kaufte ich einen der letzten Sonnenschirme, die in der Stadt zu haben waren. Durchmesser gut zwei Meter, Sonderangebot: 19,90 Euro. Von der besonderen Eigenschaft gerade dieses Exemplars konnte da niemand etwas ahnen. Ich kaufte den Schirm und einen sandgefüllten Fuß dazu und schleppte beides ins dritte Obergeschoss. Der Balkon geht nach Süden. Die Luft, von keiner Brise gerührt, stand zitternd über dem Estrich, die Pflanzen ächzten vor Durst, obwohl sie morgens gegossen worden waren. Ich stellte den Schirm auf und entfaltete ihn. Sehr schön. Er beschattete fast den ganzen Balkon, das Orange passte schön zum Pflanzengrün und wirkte mediterran.

Ich setzte mich an den Schreibtisch und genoss das gemilderte Licht, das nun vom Balkon her ins Zimmer fiel. Nach wenigen Minuten wurde es auf einmal heller, ich blickte auf. Der Schirm war umgefallen. Da musste ein bisschen Wind aufgekommen sein, hatte sich aber schon wieder gelegt. Ich stellte den Schirm auf, da kam erneut Wind auf. Er griff so unters Tuch, dass die Stange sich aus dem Fuß zu heben drohte. Ich zurrte das Ganze mit Bindfäden fest. Der Wind wurde heftiger, aus heiterem Himmel. Also fixierte ich die Stange noch mit Spanngurten am Balkongeländer. Der Schirm konnte jetzt weder wegfliegen noch kippen. Der Wind wurde so heftig, dass die Speichen sich verbogen. »Also nee«, sagte ich, »so kann ich nicht arbeiten.« Ich klappte den Schirm zusammen.

Der Wind ließ nach. Ich hatte einen Verdacht, fand ihn idiotisch und versuchte es immer wieder. Tagelang. Schirm auf: Wind, Schirm zu: Ruhe. Es ist, als hocke auf einem Sims am Haus eine Windsbraut, die jedesmal, wenn dieser orangefarbene Kreis sich entfaltet, außer sich gerät. Als ich ihn mal eine Stunde lang offenhielt, schräg gegen die Böen gestemmt, folgten alsbald die ersten Gewitterstürme des Sommers. Vielleicht würden mir die Chinesen ein Wahnsinnsgeld für den Schirm bezahlen. Das olympische Segelrevier vor der Küste von Qingdao leidet nämlich unter chronischer Windstille. Aber wie heißt es in der Bibel? »Der Wind weht, wo er will.« Vorhersagbar am Wind ist nur, dass er bestimmt nicht so weht, wie ich oder die Segler es wollen.

Wobei das mit dem Schirm immer noch Zufall sein kann. Aber das mit dem Rauch kennt jeder. Setzen Sie einen Raucher und einen Nichtraucher an einen Tisch, einander gegenüber. Prüfen Sie die Luftbewegung. Entweder ist es windstill, oder es weht dem Raucher ins Gesicht. Gut. Der Raucher entzündet seine Zigarette. Und natürlich zieht jetzt der Rauch ganz genau auf den Nichtraucher zu, der Raucher muss die Kippe ausdrücken. Ist Gott Nichtraucher? Aber was ist dann mit dem Weihrauch? Werden nur die Konfessionslosen unter den Rauchern und Sonnenschirmbesitzern gestraft? Fragen, denen ich auf meinem Raucherbalkon nachsinne. In praller Sonne, unbeschirmt, während der blaue Dunst kerzengerade gen Himmel steigt.

You smiling! Bellissimo! Bambolotto!

Rodolfo ist in den allerbesten Jahren, also leicht über sechzig, schwarzer Schnauzbart über blitzenden Zähnen. Er trägt den Kragen seines weißen Hemdes hochgestellt und offen, so dass man die Goldkette sieht, und zur schwarzen Hose trägt er Zugstiefeletten. Den Männern legt er die Hand auf die Schulter, den Frauen macht er Komplimente, er redet laut in krachendem Englisch und singendem Italienisch. Ein italienischer Macho, wie er im Buch steht? Nein, so steht und geht er im Garten seines kleinen Hotels in der Toscana, stärker als jedes Klischee. Falls Rodolfo das Klischee bewusst ist, das die Völker nördlich der Alpen vom feurigen Südländer haben, zieht er es an wie sein Hemd, es beengt ihn nicht, er bewegt sich darin mit Freude.

Schon im Normalfall ist Rodolfo eine Frohnatur, die in die leisen Urlaubergespräche an den Tischen hineinfährt wie ein fröhliches Gewitter, aber seit das Baby da ist, ist endgültig Schluss mit der Ruhe. Denn Rodolfo ist nicht nur Macho in Reinform, sondern auch Babybewunderer, wie alle Italiener. Er hat eine Frau, »my beautiful wife«, wie er sie ruft, und eine schöne Tochter, vielleicht sehnt er sich nach Enkeln. Und da ist nun ein Paar mit einem kleinen Kerl angekommen, sechs Monate alt, den hat er sofort adoptiert. »Ahh!« schreit Rodolfo auf, sobald der Kleine, nennen wir ihn Frido, mit seinen Eltern zum Frühstück erscheint. Es sind Deutsche, eher die stille Sorte, und dem Furor des Wirts machtlos ausgeliefert.

»Ma ciao! Ma ciao!«, ruft Rodolfo und humpelt – Nachwirkung eines Skiunfalls – breit lächelnd zum Tisch. Frido strahlt übers ganze Gesicht, Rodolfo gerät außer sich. »You smiling! Bellissimo! Bambolotto!« Bambolotto heißt »dickes Baby«, in der Tat ist Frido von barocker Statur.«S’warzenegger!”, ruft der Hotelier, das ist noch der geringste der Vergleiche. Am zweiten Tag wird Frido mit George Clooney verglichen, am dritten Tag legt Rodolfo den Kopf schief, sagt »George Clooney? Pfff!« und zeigt mit dem Daumen nach unten: Gegen diesen Bambolotto hat Clooney keine Chance. Er habe, versichert der Hotelier den verlegen lächelnden Eltern, schon viele Babys gesehen, dieses sei das schönste. »Un Angelo!« Und er prophezeit ihm eine Karriere als Playboy.

Für ein Lächeln des Kerlchens tut er alles. Er schiebt tänzelnd und winkend die rote Müllkarre im Kreis herum, die er »my Ferrari« nennt und in die er die Frühstücksabfälle entsorgt. Dem Kleinen entgeht nichts. Ob er liegt oder sitzt, Brei verzehrt oder am Tischtuch zerrt, immer sieht er nach, was sein furioser Bewunderer gerade macht. Neue Gäste führt der Wirt zuerst zu Frido, »bellissima creatura del dio!«, und zwingt sie, ihm zu huldigen, ehe sie ihren Cappuccino bestellen. Einmal weint das Baby. Da macht es seine Mutter wie der Wirt: »Ma ciao! Ma ciao! Bambolotto!« Und tatsächlich, er strahlt. »S’warzenegger«, höre ich den Vater verstohlen seinem Sohn zuraunen. Ich nehme an, nächstes Jahr werden sie alle drei wiederkommen.

M48 mit Döner und Elchtest

Berlinreisenden wird immer wieder die Buslinie 100 empfohlen, da sie allerlei Sehenswürdigkeiten berührt von Zoo bis Alex. Mit dem gewöhnlichen Berliner Leben hat diese Linie nichts zu tun. Das ereignet sich, was Busse angeht, zum Beispiel auf den Linien M 48 und M 85, die den Südwesten der Stadt mit dem Nordosten verbinden und sich die feinstaubhaltige Strecke vom Botanischen Garten bis zur Philharmonie teilen. Zwischen diesen beiden Haltestellen bin ich viel unterwegs. Es ist keineswegs eine schöne Strecke, und die meisten Passagiere haben völlig anderes im Sinn als Seerosen und Sinfonien.

Sie kämpfen um die Plätze. Die Busse, obschon Doppeldecker, sind tagsüber rappelvoll, mit Kindern und Erwachsenen, Babys und Senioren, Babykarren und Rollstühlen. In anderen Städten wird Behinderten und Eltern mit Kindern ein gewisser Respekt entgegengebracht, hier nicht, will auch keiner. Berlin ist im Grunde brutal. Mütter – meistens sind es ja doch noch die Mütter – rammen ihre Wagen in Kniekehlen und an Kniescheiben ebenso wie die Betreuer der Behinderten. Wagenburgen bilden sich in der Busmitte, um die herum sich grimmige alte Damen um Plätze balgen.

»Ich hab ’n kaputtes Bein«, ruft eine und will sich an einer anderen vorbeizwängen, die ihr entgegenschleudert: »Und ich ’n kaputten Rücken!«, während sie ihren Behindertenausweis zum Beweis hochhebt. Man könnte beklagen, dass es an Platz mangelt, aber viel mehr Busse als sowieso schon können eigentlich gar nicht eingesetzt werden. Beim Platzkampf entfalten die Leute eine Vitalität, in der es fast nebensächlich wird, auf wie vielen Beinen und in welchem Alter man unterwegs ist. Was den Stress noch steigert, sind die Lichtschranken an den Türen. Selbst erfahrene Passagiere können sich partout nicht merken, wo man nicht stehen darf.

»Bitte machense den Türbereich frei«, sagt der Fahrer, »sonst steh’n wa morgen noch hier.« Das ist höflich angesichts der Tatsache, dass er auf Höhe Bierpinsel schon fünf Minuten Verspätung hat in seinem 48er, während ihm der 85er im Heck klebt mit einem Kollegen, dem auch gleich das Lachen vergehen wird, weil ein Fahrgast die Kurzstrecke mit Kupfergeld bezahlen will, dass er noch nicht abgezählt hat. Es riecht nach Döner mit alles und vollen Babywindeln und, weil wegen der Lichtschranke immer noch die Tür offen ist, Abgasen.

Dem Fahrer reicht’s. Er würgt den Motor ab und lässt ihn neu an, so kann er die Lichtschranke austricksen und kriegt die Tür zu. Kavalierstart, kombiniert mit Elchtest. Wrooom! Zum Umfallen ist es eh zu eng. Nachts nicht. Dann taumeln hier die Betrunkenen, und einer ruft beim Aussteigen: »Viel Glück in der Ewigkeit, wa!« Aber Linie 100? Das ist nur sanfter Tourismus.

Poeten hinter Gittern

Neulich sprach uns im Botanischen Garten der Bundeshauptstadt ein Dichter an. Ein beleibter Mann in Sandalen, in der Hand ein Notizbuch. »Darf ich Ihnen was vorlesen?« rief er, »gerade fertig geworden.« »Ja.« Das Gedicht war relativ kurz und handelte von der Sonne, die sich nachts vom Tag erholt. Das Gedicht war schön. »Schön«, sagten wir und gingen weiter, und der Dichter lächelte mild. »Das ist typisch Berlin!« sagen die Leute, die derzeit in Scharen aus schönen Städten hierher ziehen, »dass da einfach so ein Dichter auf der Bank sitzt!«

Ich muss alle, die auch noch hierher ziehen wollen, warnen. Es sitzen eben nicht überall in Berlin solche Freaks herum. Es gibt für die unterschiedlichen Arten von Menschen hier streng abgemessene Gehege, und die milden Freaks, eben die lyrischen, gehen in den Botanischen Garten. Sie würden nie am Potsdamer Platz sitzen, der nur eine öde Schneise und ausschließlich Touristen vorbehalten ist, aber ebenso wenig auf dem Prenzlauer Berg, den, genau wie das Vorurteil behauptet, Schwaben und Art Directors unter sich und ihren dort in Rekordfrequenz zur Welt kommenden Kindern aufteilen.

Ich kenne keine Stadt, in der die Zünfte, Kasten, Schichten, Stadtteile so grotesk getrennt sind – vielleicht weil eine verbindende Mitte fehlt, geografisch wie geschichtlich. Die Busse bis Steglitz sind voll mit strapazierten Schlechtverdienern, die Busse nach Dahlem locker besetzt mit teuer gekleideten Kindern sorgloser Villenbesitzer, man wähnt sich in einer völlig anderen Stadt. Wir wohnen genau an der Kante. »In Steglitz?« sagte neulich eine Hochschulprofessorin und sah mich groß an. »Da kenne ich keinen!« Was soviel hieß wie: Da wohnt man doch nicht als zivilisierter Mensch. »Ich kenne da auch keinen, außer Kafka«, sagte ich stolz. Kafka ist allerdings vor 86 Jahren weggezogen. Kostümbildner, Medientypen, Akademiker wohnen in Mitte, Kreuzberg und Schöneberg, was nicht heißt, dass sie sich dort vermischen. Musikwissenschaftler laden keine Musiker ein, Germanisten haben mit Galeristen nichts zu tun. Es gibt Imbissbuden, die man meiden sollte, wenn man nicht in türkisch-kurdische Grenzkonflikte geraten will. Wer sein Gehege gefunden hat, hält Berlin für eine offene Stadt, wie auch jene, die auf der Suche nach sich selbst sind und die Revierrituale noch für Vibrations halten.

Es hat seinen tiefen Sinn, dass der cliquenfernste Ort Berlins vom längsten Gitter der Stadt umgeben ist, eben der Botanische Garten. Für die Leute aus den Kreativvierteln ist er zu weit weg, für die Hells Angels zu schlecht asphaltiert, Grillen darf man auch nicht. Hier haben Dichter und Kolumnisten ihre Ruhe. Ich bin da täglich – Jahreskarte! – und blicke mit Befremden auf Besucher, die hier nicht so hinpassen. Als Insider erkennt man die einfach.

 
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