Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk

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Berlin 12. Juni

Fedor wich dem Vater nicht von der Seite. Zunächst hatten sie den Leihwagen abgegeben, dann den Check-in und die Sicherheitskontrolle durchlaufen. Nun warteten beide auf den Aufruf zum Einsteigen. Stimmengewirr und unglaublich viele verschiedene Düfte machten es dem Jungen schwer, sich zu konzentrieren. Geflogen war er bereits mehrmals, in angenehm warme Urlaubsgegenden.

»Ich darf Laura wirklich gar nichts sagen?«, flüsterte Fedor. »Sie wird sehr enttäuscht von mir sein.«

»Vielleicht. Aber sie wird sich unglaublich freuen, wenn du dich zurückmeldest und wenn alles vorbei und wieder gut ist, mein Schatz. Versprochen.«

»Das finde ich ziemlich blöd.« Fedor zögerte. »Was ist dieser Alexander Komsomolzev für einer?«, fragte der Junge.

Sorokin hielt eine Zeitung vor Gesicht und Körper, ohne darin zu lesen. »Du hast dir seinen Namen gemerkt?«

»Warum nicht? Seinetwegen fliegen wir doch nach Moskau, oder?«

»Du und deine Lauschangriffe.« Zunächst holte Sorokin tief Luft. »Ich weiß nicht, was die Gesellschaft aus ihm gemacht hat. Damals, in Magnitogorsk, als wir so alt waren, wie du jetzt bist, da waren wir noch beste Freunde. Wir unternahmen alles zusammen, sind in den Bergen gewandert und besuchten verbotene Orte, die wir gar nicht sehen durften. Wir waren zusammen bei Tanzveranstaltungen und haben uns gemeinsam nach Mädchen umgeschaut, als wir alt genug dafür waren. Wir kannten deine Mama aus der Schule und sie gehörte genauso zu meinen Freunden wie Sascha. Galina sagte immer, ich wäre ihr Freund und Sascha ihr bester Kumpel. Wir gingen als Trio durch dick und dünn. Zeitig entschieden Alexander und ich uns dafür, dass wir beide zur Polizei gehen wollten. Es gab keine große Auswahl in Magnitogorsk. Stahlwerke, Bergbau oder der Dienst in der Öffentlichkeit. Die Polizei hatte etwas von unseren Träumen. Abenteuer, Waffen, Gerechtigkeit. Und dann, so ziemlich von einem Tag auf den anderen, wurde Alex an eine Schule nach Moskau berufen. Kurz darauf ging ich zur Polizei-Spezialeinheit OMON. Da waren wir siebzehn. Hin und wieder hörte ich noch was von ihm, doch irgendwann war Ruhe eingekehrt. Erst einen Tag nachdem du geboren warst, nahm ich wieder Kontakt zu ihm auf, erzählte ihm von deiner Geburt und davon, wie glücklich Mama zunächst war. Bald erfuhr er auch von deiner Blindheit, was ihn scheinbar sehr betroffen machte. Dann starb deine Mama. Ich bat ihn um Hilfe, denn ich vermutete ja, dass es kein Unfall war, bei dem Galina ums Leben gekommen war. Er sagte, dass er sich um alles kümmern würde. Doch wie es scheint, hatte Alex irgendetwas mit dem Tod deiner Mutter zu tun. Und ich bat ihn tatsächlich, mir bei der Aufklärung zu helfen!«

»Du meinst, es könnte sein, dass er Mama ...«

Noch einmal holte Sorokin tief Luft. »Ja«, sagte er lediglich. »Auch das wäre möglich.«

Die Maschine wurde aufgerufen. Sorokin griff nach der rechten Hand des Jungen und nahm die kleine Reisetasche auf. Fedor hielt die Luft an, als die Maschine abhob. »Fliegen wir schon?«, hatte er bereits seit Minuten immer wieder gefragt.

»Jetzt fliegen wir«, antwortete Sorokin, der nicht sonderlich gern in Flugzeugen saß, seitdem er vor etlichen Jahren am Stadtrand von Magnitogorsk hatte helfen müssen, vierunddreißig verstümmelte und verbrannte Leichen aus einer Unglücksmaschine zu bergen, die bei schlechtem Wetter abgestürzt war. »Willst du reden?«

»Willst du denn?«, fragte Fedor zurück.

»Nicht zwingend.«

»Darf ich mein Handy wieder einschalten?«

»Ich denke ja.«

»Okay.« Der Junge steckte sich die Ohrhörer in die Ohren und hörte Musik.

Moskau 12. Juni

»Vielen Dank, Sergei Michailowitsch Smirnow. Die Stadtregierung wird das Angebot Ihrer Bauunternehmungen tiefgründig prüfen.«

Smirnow nickte.

Prof. Dr. Helge Grollmann, der deutsche Architekt, erhob sich voller Ehrfurcht. »Sollten Sie noch Fragen haben, Herr Bürgermeister, meine ehrenwerten Herren, so stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.« Er sprach gebrochenes Russisch und nahm wieder Platz.

»Haben wir realistische Chancen? Danach werde ich zweifelsohne gefragt.« Smirnow hatte diese Frage mit vollem Bewusstsein gestellt. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass es Wettbewerber gibt, die das deutsche Angebot auf unlauterem Weg ausblenden wollen.«

Erstaunt sah der Moskauer Bürgermeister in die Runde. »Was sagen Sie da, Sergei Michailowitsch Smirnow? Das ist mir neu. Derartige Vorwürfe höre ich heute zum ersten Mal. Könnte ich bitte detailliert informiert werden?« Er schaute in die Runde. Sein Blick blieb an Schtscherbarkow haften.

Schtscherbarkow, ein untersetzter, wohlbeleibter Fünfzigjähriger, Mitglied im Kontrollausschuss für Baugroßprojekte der Stadt, klopfte träge mit seinen dicken Fingern auf die Tischplatte. »Herr Bürgermeister«, sagte er in einem Tonfall, der schon fast vorwurfsvoll klang. Wer weiß, was Sergei Michailowitsch Smirnow da gehört haben will. Von solchen Machenschaften ist mir nichts bekannt. Letztendlich müssen wir – als verantwortliches Gremium einer Millionenmetropole – die Interessen aller Bürger wahren. Das gilt für Neubauprojekte, aber auch in Hinsicht auf die Vermarktung der neuen Stadtgebiete.« Er grinste Smirnow an. »Mein lieber Sergei Michailowitsch Smirnow, Sie kennen sich gut genug mit solch wichtigen Entscheidungen aus. Letztendlich wird nur ein einziges Angebot das Rennen machen. Und wahrscheinlich wird es – wie so oft – geschehen, dass uns alle unterlegenen Anbieter unlauteren Wettbewerb vorwerfen werden. Das kennen wir ja. Und die Boulevard-Presse lauert bereits darauf, derartige Vermutungen ausschlachten zu können.«

In Smirnows Gehirn arbeitete es fieberhaft. Schtscherbarkow! Einer der korruptesten Politiker, die die Stadt aufzubieten hatte, einer jener Genossen, die sich als junge Politiker vor sämtlichen Präsidenten Russlands den Buckel rundgebeugt hatten, schmierig wie eine Ölspur und völlig uneinsichtig. Unter einem dieser Präsidenten wurde Schtscherbarkow für seine Verdienste rund um die Stadt Moskau zum Helden der Sowjetunion erklärt, was all seine politischen Gegner auf den Plan holte. Ihm stand Prof. Pawel Pawlow, angeblich ein Nachkomme des vorletzten Ministerpräsidenten der UdSSR, sehr nahe – so hieß es wenigstens. Pawel Pawlow sollte Schtscherbarkow bei anderen, ähnlich großen Projekten, mit Millionen geködert haben. Er war der stets lächelnde Machthaber der Firma SSO – so nannte sich das Konstrukt von Pawlows Unternehmen der Bau- und Konstruktions-Assoziation, die so ziemlich all das machte, was Profit versprach.

Den Bürgermeister nicht aus den Augen verlierend, fragte Smirnow in die wartende Runde: »Es sind mehr als Vermutungen. Es sind konkrete Drohungen. Steckt vielleicht Pawlow dahinter?«

»Vielleicht sollten Sie sich besser an die Miliz wenden als an uns?« Schtscherbarkow wurde keinesfalls unruhiger, als er es ohnehin bereits war. »Mein lieber Sergei Michailowitsch Smirnow. Unser hochgeehrter Doktor nauk Pawel Pawlow rechnet sich selbstverständlich gute Chancen in diesem Wettbewerb aus. Gerade erst hat er aus seinen schier unerschöpflichen Mitteln weite Landstriche in den neu eingemeindeten Südwest-Gebieten unserer Stadt erworben. Seine Pläne sahen nicht nur die Besiedlung dieser Außengebiete mit Menschen, sondern vor allem unglaubliche Infrastrukturmaßnahmen vor. Ich kann mir wahrlich nicht erklären, warum Sergei Michailowitsch Smirnow unseren hochgeschätzten Herrn Doktor nauk Pawel Pawlow zu denunzieren versucht.«

»Oh nein!«, erwiderte Smirnow sogleich. »Ich glaube fast, dass mich Genosse – Verzeihung –, dass mich Herr Schtscherbarkow ein wenig missversteht. Lieber Herr Bürgermeister, eine Denunzierung liegt mir selbstverständlich fern.«

Der Bürgermeister grinste breit, angeregt durch Smirnows »Genosse«. »Nicht so tragisch«, sagte er.

Der dicke Schtscherbarkow hüstelte. »Vielleicht redet Sergei Michailowitsch Smirnow ein klein wenig wirres Zeug, weil erst kürzlich sein Söhnchen verstarb?«

Dem Bürgermeister verging das Grinsen.

Grollmann schaute erstaunt auf.

Smirnow erhob sich, warf die übrigen Unterlagen in seine Aktentasche und verschloss sie sorgfältig mit einem Schlüssel. Dann verbeugte er sich geschwind vor dem Bürgermeister. »Ich möchte zweierlei Dinge betonen, Herr Bürgermeister: Erstens bin ich keinesfalls verwirrt. Im Gegenteil. Und zweitens: Wie wahrscheinlich jeder Vater eines ermordeten Sohnes werde ich mit meinen Unterstützern jeden am Mord meines Kindes Beteiligten und auch jeden, der auch nur im Entferntesten davon wusste, ohne mich zu informieren, vor Gericht bringen und dort für dessen Tod kämpfen.«

»Vor Gericht?« Schtscherbarkow grinste unverschämt. »Das wäre ja etwas ganz Neues. Gewöhnlich schicken Sie doch eine Privatarmee. Oder?«

»Das ist keine Frage der Ehre, sondern eine der Effektivität.« Smirnow lächelte eisig zurück. »Verwirrte würden augenblicklich losziehen und einen jeden hinrichten lassen, von dem sie eine Mitschuld vermuten. Bewiesen oder nicht. Daher sollte der eine oder andere hier im Raum glücklich darüber sein, dass ich noch nicht gänzlich verwirrt bin.« Er reichte Prof. Dr. Grollmann die rechte Hand. »Schön, dass Sie hier waren, Herr Professor. Auch wenn es nicht zu viele Fragen gab. Die Herren kennen sich eben mit der reinen Geldverteilung besser aus als mit der Statik von Gebäuden. – Herr Bürgermeister, liebe Vertreter der Stadt ...« Er machte eine unscheinbare Verbeugung, ließ sich von einem Lakaien den Mantel überlegen und verließ den Raum.

»Schtscherbarkow und Pawlow stecken bestimmt dahinter«, raunte Smirnow mit trockener Stimme.

»Sicher?«, fragte Artjom und betätigte den Knopf am Aufzug.

 

Smirnow nickte. »Ganz sicher.«

Der breite Aufzug gab einen Signallaut von sich, die Türen öffneten sich. Drei Herren und eine Dame stiegen aus.

Blitze zuckten aus Smirnows Augen. »Pawlow!«

Die rechten Hände von zwei der Herren verschwanden ruckartig in ihren Manteltaschen.

Prof. Pawlow, ein sportlicher, in die Jahre gekommener Mann, grauhaarig, unberechenbar, lächelnd, hielt inne und drehte sich zu Smirnow um, der wie ein sprungbereiter Tiger neben der Aufzugtür stand. »Sergei Michailowitsch! Noch immer nicht auf dem elektrischen Stuhl gelandet?«

»Ich kriege dich, Pawlow. Wenn du dich an meinem Kind vergriffen hast, kannst du dein Testament schreiben. Schtscherbarkow hat geplaudert!«

Pawlows Begleiter streckten Smirnow ihre Pistolen entgegen. Artjom richtete seine gleichzeitig auf Pawlows Gehirn.

Ein klassisches Patt.

Pawlow grinste weiterhin, als wäre absolut nichts geschehen, während seine blutjunge Sekretärin unmittelbar neben ihm stehen blieb. »Immer noch ein so jähzorniger Draufgänger«, sagte Pawlow, »cholerisch, hysterisch und explosiv, unser Sergei Michailowitsch, hasserfüllt wie eh und je. Und einen Pistolenträger hat er sich auch zugelegt, nicht wahr, Artjom? Solltest du dich nicht von Waffen fernhalten, seitdem du deinen eigenen Kollegen umgenietet hast, mein Junge? – Hör mir gut zu, mein lieber Sergei Michailowitsch, ich habe es nicht nötig, mich an kleinen Kindern zu vergreifen. Das überlasse ich gern Kampfmaschinen ohne Gehirn, wie dem da.« Er nickte in Richtung Artjom. »Was mit deinem Söhnchen geschah, wurde mir selbstverständlich zugetragen. Eine äußerst traurige Geschichte. Ein Jammer. Ja, die Zeiten sind schlecht. Was sagt denn deine Exfrau dazu? Sie wird nicht erfreut sein. Und Schtscherbarkow? Oh nein, mein lieber Sergei Michailowitsch! Traust du mir tatsächlich zu, dass ich in Gegenwart dieses fetten Schlachtschweinchens, das für ein paar Kopeken die eigene Mutter verraten würde, auch nur ein einziges Wörtchen über meine Geschäftsgebaren verlieren würde? Ich wäre zutiefst enttäuscht von dir, solltest du derartigen Gedanken nachgehen. Sehr enttäuscht. Dass du heute völlig umsonst hier warst, müsste selbst dir einleuchten, Sergei Michailowitsch. Ich habe ein gewaltiges Loch im Stadtsäckel mit sauberem Geld gestopft. Geld für ein paar Landstriche, wo ich wahrscheinlich ein paar Plattenbauten für Landstreicher bauen werde, damit sie Moskauer Bürger werden, und zweifellos ein paar hochmoderne Regierungsgebäude, damit sich eine noch größere Anzahl von gut verdienenden Beamten im warmen Büro an der ungerechten Verteilung der Steuergelder laben kann. Im Zuge dieser – wie du feststellen wirst – völlig uneigennützigen Hilfsleistung für die Moskauer Stadtherren wurde mir das Projekt ›Russia Tower‹ bereits verbal zugesichert. Man will möglichst viel Geld im Hinterland wissen, verstehst du? Noch ein solch jämmerliches Fiasko wie das vom Herbst 2008, als unter dem Deckmantel einer Finanzkrise das Projekt zunächst beendet werden musste, obwohl man gerade mal ein bisschen im Boden gepopelt hatte, kann sich Moskau wahrlich nicht leisten. Und übrigens«, Pawlows Grinsen mutierte zu einem verzerrten Feixen, »fanden die Mitglieder des Ausschusses den Bericht über die kleinen Problemchen am neuen deutschen Flughafen Berlin Brandenburg außerordentlich imposant. Soviel ich weiß, stand in dem Bericht, dass im Jahr 2004 eins Komma sieben Milliarden Euro für den Bau veranschlagt wurden. Meine Ingenieure wurden darüber informiert, dass dieser Flughafen nach neusten Schätzungen wohl satte sechs Milliarden Euro verschlingen wird, falls das Prachtstück jemals freigegeben wird. Und ausgerechnet heute – gewissermaßen als Schmeckerchen zu meinem einzigartigen Angebot – kann ich die aktuellen, ein wenig abstoßenden Zahlen zum Projekt Stuttgart 21 vorlegen, ein kleiner, unterirdischer Bahnhof, der Milliarden Euro mehr verschlingen wird, als von deutschen Planern angenommen. Das sind keine guten Omen für dich und die Germanen. Wenn du mich fragst, die Deutschen machen stets die gleichen Fehler, denn all das ist ein bisschen Afghanistan. Dort wird reingebuttert und reingebuttert, aber es wird nie fertig und es gibt auch keinen Profit. Schau dir hingegen die Russen an. Sie machten das Projekt platt, als ihr Einfluss in Afghanistan schwand. Sie zogen ganz sauber eine Notbremse und hinterließen einen unaufgeräumten Spielplatz für die Amerikaner und ihre deutschen Helfershelfer. Niemand ist deswegen noch sauer auf die Russen. – Nun, mein lieber Sergei Michailowitsch«, ungeachtet der Waffen legte er seine rechte Hand, die trotz sommerlicher Temperaturen in einem Lederhandschuh steckte, auf Smirnows linke Schulter, »überlege dir gut, was du zukünftig über meine Person von dir gibst. Ich wiederhole mich gar nicht gern. Übrigens wurde auch ich bedroht. Und ich werde schon bald wissen, wer dahintersteckt. Eine Ahnung habe ich bereits. – Und nun nehmt bitte endlich die Waffen runter, ihr verhaltet euch wie unartige Schulkinder. Ich habe jetzt ein wichtiges Angebot abzugeben. Und mein Freund, der Bürgermeister, wartet nicht allzu gern.«

Ohne weitere Worte zu verlieren, ging er, verfolgt von seiner katzenartigen Sekretärin, quer durch die Gruppe und öffnete die Tür zum Vorraum des Konferenzsaales mit einem lauten »Einen wunderschönen guten Tag, meine lieben Freunde!«.

Artjom und Pawlows Bodyguards nickten sich zu und ließen gleichzeitig die Waffen sinken.

Smirnow eilte Pawlow dennoch nach. Er blieb in der Tür des Vorraumes stehen. »Nenn mir deine Vermutung, Pawel! Tu es für meinen Jungen!«, rief er in den Vorraum.

Der Chef der SSO drehte sich nach wie vor lächelnd um. »In seiner Wut läuft selbst der klügste Fuchs in die Falle. Der Erste wird der Letzte sein, Sergei Michailowitsch. Pass gut auf dich auf!« Er betrat den Konferenzsaal und war verschwunden.

Smirnow bewegte sich nachdenklich zu Artjom, der geduldig am Aufzug wartete. Er sagte zunächst kein Wort. Erst im Taxi – einem riesigen, prähistorischen und bereits beim Einsteigen schaukelnden Wolga – schloss er seinen Koffer auf, öffnete ihn und entnahm ihm ein Dokument – die Einladung für den heutigen Tag durch die Stadt Moskau. Sein rechter Zeigefinger glitt über das Blatt.

»Wohin?«, fragte der Taxifahrer.

Smirnow ließ sich nicht stören. »Zuletzt wird die Kun Sisters Capital Corporation Limited ein Angebot abgeben, das von einer internationalen Gruppe kommt und von Chinesen finanziert wird, davor gibt Pawlow seins ab und davor haben wir es getan. Heute Morgen – und zwar ganz zuerst – hat die mir bislang nur dem Namen nach bekannte P.I.K.«, er las vor, »die Sankt Petersburg Investizionnaja Kompania, vertreten durch Sascha Kowaljow, ein Angebot unterbreitet. Die P.I.K. hat bereits etliche Großprojekte in St. Petersburg gestemmt. – Kennst du diesen Kowaljow?«

»Was ist nun? Wohin?«, fragte der Taxifahrer erneut. Da er wieder keine Antwort erhielt, zog er eine filterlose Zigarette aus der Brusttasche seines speckigen Hemdes, stieg aus und raunte: »Die Uhr läuft! Geben Sie Bescheid, wenn es losgehen kann!« Er ließ den Motor laufen und warf die Tür zu.

Der auf dem Beifahrersitz hockende Artjom zuckte mit den breiten Schultern. »Ich kenne wenigstens fünfzig Leute mit dem Namen Kowaljow.« Aber sicher. Kowaljow – die russische Bezeichnung für einen Schmied. »Was gefällt dir an dem nicht?«

Ein wenig beugte sich Smirnow nach vorn. »Pawlows letzte Worte eben waren: ›Der Erste wird der Letzte sein.‹ Er sagte es wie eine Phrase auf meine Frage, was seine Vermutung wäre, wer Igor auf dem Gewissen haben könnte. Der Erste. Verstehst du? Der Erste beim Angebot.«

»Wenn Pawlow damit aber meinte, dass der Letzte als Erster in Frage käme?«

Smirnow schüttelte den Kopf. »Dann hätte er eine andere Phrase benutzt. Und außerdem: Das sind Chinesen.«

»Na und?«, fragte Artjom erstaunt. »Traust du denen so etwas nicht zu?«

»Nein. Nicht in diesem Zusammenhang.«

Smirnow zuckte zusammen.

»Runter!«, brüllte Artjom und lag plötzlich selbst auf Fahrer- und Beifahrersitz, die Waffe entsichert in der Hand.

Scheiben zersplitterten, Einschüsse klickten. Der Fahrer, der draußen gestanden hatte, rutschte mit blutender Wange direkt über das Glas, das auf der Fahrerseite am Boden lag. Dabei fiel ihm die Zigarette aus dem Mund.

Artjom übernahm in einer kurzen Feuerpause das Steuer des altehrwürdigen russischen Straßenkreuzers, lenkte scharf ein und fuhr Funken sprühend und mit quietschenden Reifen zwischen zwei Betonpollern über eine Wiese, anschließend auf einen Gehweg in Richtung eines verglasten Treppenzugangs, der hinauf zur futuristisch anmutenden Bagrationbrücke führte, direkt auf einen Kerl zu, der noch einmal schoss, dann umkehrte und in das gläserne Treppenhaus flüchtete, bevor der Wolga ihn erwischt hätte.

»Bleib hier!«, rief Artjom. Er hechtete aus dem Fahrzeug und rannte zum Treppenhaus. Der fremde Schütze hastete bereits die Betontreppe hinauf, der Hüne folgte ihm mit der Waffe in der Hand. Oben erreichte er eine Tür, die in die belebte Geschäftsetage der Brücke führte. Menschen schrien auf, Frauen versteckten ihre Kinder hinter den eigenen Körpern.

Der Schütze drehte sich um und schoss noch einmal in Richtung Artjom, hinter dem eine Glasscheibe durchbohrt wurde. Artjom feuerte angesichts der vielen Menschen nicht, jagte stattdessen dem Mann hinterher, der sehr jugendlich wirkte und die Metrostation Wystawotschnaya zu erreichen versuchte. Der Fremde sprang über eine Baustellenabsperrung, schrie etwas und verschwand zwischen vielen Menschen.

Artjom trat unverrichteter Dinge den Rückweg an. Unten hatte sich eine Traube Menschen um den Taxifahrer gebildet, der am Boden lag. Der Hüne blickte um sich. Smirnow saß noch immer geduckt im Taxi-Wolga. Niemand kümmerte sich um ihn. Also stieg Artjom in das Fahrzeug, legte den Rückwärtsgang ein, fuhr mit Getöse zwischen den Pollern hindurch und verließ das Gelände. »Ich habe ihn nicht erwischt«, sagte er. In der Nähe des Fili-Parks stellte er den Wolga ab, wo das Fahrzeug nicht so bald gefunden werden würde. Zu Fuß ging es weiter zur Seslavinskaya Ulitsa. Artjom beobachtete zunächst den Hauseingang, dann nickte er in Richtung Westen. »Die beiden Schnüffler warten an der Ecke in einem silbernen Volkswagen. Es sind Komsomolzev und Lebedev.« Er nahm das Handy aus der Tasche und telefonierte kurz. Minuten darauf kam aus einem Hauseingang in der Nähe ein adrettes Mädchen im Minirock, das anstachelnd bedächtig am Fahrzeug der Geheimdienstler vorüberging, mit einem Handtäschchen wackelte, hinten gegen die Scheibe des VW klopfte und hinein winkte. Während sich die beiden Geheimdienstler umdrehten und sich angesichts des Mädchens lautstark erregten, verschwanden Smirnow und Artjom bereits im Hauseingang und kurz darauf in Artjoms kleiner Wohnung.

*

Fedor fiel zunächst auf, dass hier viel mehr Lärm herrschte als in der gewohnten deutschen Umgebung, obwohl es bereits kurz vor Mitternacht war. Sorokin ging nach der Gepäckausgabe und dem Zoll sofort zu einem öffentlichen Telefon und benutzte nicht das eigene Handy.

»Es ist sehr ernst«, sagte Smirnow am anderen Ende. »Heute wurde auf mich geschossen.«

»Hör mir zu, Sergei, ich muss mit Artjom sprechen. Fedor ist bei mir.«

»Ich gebe dir Artjom«, raunte Smirnow.

Kurz darauf war der Hüne dran, dessen Stimme weniger bedrohlich wirkte als sein Aussehen. »In der Bol’shaya Filevskaya Ulitsa ist ein kleines Hotel, gegenüber vom Fili-Park. Lasst euch dorthin fahren. Morgen früh bin ich bei euch.«

»Komsomolzev«, sagte Sorokin. »Wisst ihr, wo er ist?«

Artjom lachte. »Der läuft nicht weg. Im Moment steht er zwanzig Schritte von meinem Hauseingang entfernt und wartet darauf, dass ich nach Hause komme. Dieser Idiot hat mich nicht reingehen sehen.«

Sorokin erwiderte nur: »Okay. Ich brauche dringend eine Waffe.«

»Lässt sich arrangieren. Morgen früh.« Schon hatte Artjom aufgelegt.

Sorokin ergriff die Hand des Jungen. »Alles klar mit dir?«

»Alles klar«, antwortete Fedor, der in alle Richtungen lauschte und unablässig mit der Echoortung und den Klicklauten arbeitete, um die Ausmaße des riesigen Flughafengebäudes zu verinnerlichen. Den Blindenstock hatte der Dreizehnjährige auf ein Minimum an Länge zusammengeschoben und in einer schmalen, langen Tasche seiner Hose verstaut.

»Wir fahren jetzt gleich in ein Hotel. Dort können wir vielleicht noch etwas essen und trinken. Und wir werden ein paar Stunden schlafen.« Sorokin gab dem Jungen einen Kuss auf die Wange. »Herzlich willkommen in deinem Geburtsland, Fedor.«

 

Fedor lauschte. Zwar hatte er Russisch als zweite Sprache gelernt und mit dem Vater ausreichend geübt, trotzdem redeten die Menschen hier oft viel zu schnell für ihn. Außerdem lenkten ihn die üppigen Geräusche ab, die er nicht zuordnen konnte. Nun flüsterte er: »Dobryy den, Matushka-Rossiya« und ergriff die linke Hand des Vaters, der über der rechten Schulter Reise- und Tragetasche schleppte und sich stetig umsah. »Guten Tag, Mütterchen Russland.«

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