Читать книгу: «Warrior & Peace», страница 7
»Ach, ist das so?«, fragte die Göttin trügerisch ruhig. Ein seltsames Leuchten huschte über ihre Augen. »Ich wurde also von Zeus aus dem Olymp geworfen, um nach meiner ungehorsamen Tochter zu sehen wegen rein gar nichts?«
Ängstlich kniff ich die Augen zusammen und duckte mich instinktiv, als die geballte Macht der Göttin mich fixierte und wie ein Faustschlag in den Magen traf. Keuchend krümmte ich mich zusammen und spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen.
»Das ist deine letzte Chance, mir freiwillig zu erzählen, was heute passiert ist, Warrior!«, warnte mich Aphrodite. Die Macht in ihrer Stimme riss mir die Worte praktisch aus dem Mund. Ich sollte es ihr erzählen! Sollte ihr beichten, dass ich meinen Ausweis vergessen, den Arzttermin verpasst und aus Versehen für den Tod von einem der Höllenhunde verantwortlich war. Außerdem roch ich so penetrant nach Blumen, dass die halbe vampirische Unterwelt hinter mir her war und ich nicht mehr nach Abaddon durfte. Ich sollte es ihr einfach beichten, meine Strafe kassieren und in mein Zimmer verschwinden. Ich sollte … Ach, ich sollte viel und würde es dennoch nicht tun.
»Wie du willst!«, fauchte Aphrodite. Magie erfüllte den Raum und durchschnitt meine sorgfältig errichtete Selbstbeherrschung so mühelos wie ein heißes Messer, das durch Butter schnitt. Unbarmherzig trat die Göttin der Liebe auf mich zu, packte mein Kinn und drang mit roher Gewalt in meinen Verstand ein. Wie ein heißer Schürhaken schlug ihre Macht durch meinen Schädel und begann sich durch meine Gehirnwindungen zu bohren. Schmerzerfüllt schrie ich auf und schmeckte süßes Blut auf der Zunge, während Aphrodite meinen Kopf durchwühlte. Hilflos wand ich mich unter dem festen Griff ihrer Finger, als sie mit erschreckend chirurgischer Genauigkeit meine Erinnerungen der letzten Stunde freilegte.
»Zeig mir, was du schon wieder angestellt hast, Warrior. Zeig mir, wieso dein Vater glaubt, ich sollte dich am besten heute noch wegsperren! Was verbirgst du vor mir?«
»Mutter, bitte nicht!« In den kalten hellblauen Augen der Göttin konnte ich mein eigenes verhülltes Spiegelbild sehen. Die bleiche Haut unter den scharfen, rot lackierten Fingernägeln. Ich sah mich selbst. Klein, schwach und minderwertig. Wenn die Göttin Informationen wollte, konnte niemand sie davon abhalten.
Niemand konnte die Liebe belügen.
Gewaltsam holte sie meine Gefühle hervor. Diese ungefilterte Flut ließ mich zitternd nach Luft schnappen. Die Kapuze rutschte mir vom Kopf. Eine Kaskade aus goldenen Locken floss über meinen Rücken. Sterne tanzten vor meinen Augen, während sich der Geruch nach Rosen mit dem süßen Geschmack von Blut in meinem Mund vermischte.
»Bitte, Mutter! Aufhören!«, stieß ich keuchend hervor.
Leider hatte die Göttin erst mit ihrer Bestrafung begonnen. Eine Erinnerung nach der anderen kam an die Oberfläche. Sie entriss mir jeden gehässigen Gedanken gegen meine Brüder, jedes Lachen mit Sokrates, jedes Gefühl der Zuneigung für Madox. Angst und Abneigung gegen die Hölle kamen hervor. Das Gefühl der Einsamkeit.
Klackernd fiel meine Sonnenbrille zu Boden, sodass ich ungeschützt in das blendend helle Gesicht der Liebesgöttin blicken musste. Tränen quollen mir aus den Augenwinkeln. Der Schmerz in meinem zerwühlten Kopf wurde beinahe unerträglich. Er pulsierte, fühlte sich dick und geschwollen an, während meine Nase zu bluten begann. Warme Nässe füllte meinen Mund. Es kam mir vor, als würde die Liebesgöttin mein hässlichstes Innerstes nach außen kehren, bis nur noch eine leere Hülle zurückblieb.
Langsam wurde mir schwarz vor Augen. Meine Atmung stockte und mein Herz pochte vor Anstrengung. Ohne Mitgefühl sah die Göttin auf mich herab. Keinerlei Menschlichkeit war in ihren Augen zu erkennen. Sie würde mich umbringen! Panik überfiel mich, als mich die Erkenntnis wie eine Ohrfeige traf. Meine Mutter würde mich in diesem Zustand sofort und ohne mit der Wimper zu zucken töten. In Augenblicken wie diesen war sie nicht meine Mutter, sondern die Göttin. Wenn sie wollte, würde sie mir auch noch den letzten Rest meiner Gedanken entreißen, bis mein Herz vor Anstrengung versagte. Panisch versuchte ich, meine Hand zu heben. Versuchte, ihren Griff um mein Kinn zu lockern, und schaffte es nicht einmal mehr, richtig zu atmen. Immer schneller spürte ich meine Erinnerungen und Gefühle hervorquellen. Spürte, wie sich mein Hirn in konfuse Leere auflöste, bis sich ein Bild, viel schärfer und klarer als all die anderen, vor meine Augen schob. Aphrodite sah es ebenfalls. Ihre Nägel rissen vor Schreck die Haut an meiner Wange auf. Das Bild eines wunderschönen jungen Mannes mit dunklen blauen Haaren tauchte vor uns auf. Beinahe glaubte ich, den Geruch nach Ozon einzuatmen, während kleine Blitze durch seine Haare zuckten. Seine Präsenz war, obwohl sie nur eine Erinnerung war, genauso überwältigend wie wenige Stunden zuvor. Eine atemberaubende Aura von Macht umgab ihn. Die Erinnerung des Jungen runzelte seine Stirn. Das Grau seiner Augen war kälter als Eis, während er uns ebenfalls zu beobachten schien.
»Bei allen Göttern! Er …«, hörte ich Aphrodite wie aus weiter Ferne flüstern. Die Worte drangen tief in meinen Verstand ein. Die Erinnerung begann sich zu regen. Sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse. Grelle Blitze zuckten über seine Alabasterhaut.
»Lass sie los!«, bellte der Junge. Seine Stimme dröhnte mit der Macht eines Gewitters durch meinen Kopf. Mein Verstand wackelte, als hätte ein Blitz ihn durchschlagen. Aphrodite und ich schrien gleichzeitig auf. Die Finger der Liebesgöttin lösten sich von meiner Haut. Wie zäher Schleim floss ihre Präsenz aus meinem Kopf heraus. Keuchend schnappte ich nach Luft. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Langsam ebbten die Schmerzen zu einem heftigen Pochen ab. Meine Erinnerungen wirbelten aufgeschreckt durcheinander. Mir wurde schlecht, als mich Aphrodite hart von sich stieß. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Die Lippen geöffnet, während sie heftig ein- und ausatmete.
Magie peitschte unvermindert in wütenden Böen um ihren perfekten Körper, der unaufhörlich sein Aussehen veränderte. Neben ihr standen meine Schwestern und starrten uns entsetzt an. Diamond war furchtbar blass um die Nase. Opal sah aus, als würde sie jeden Augenblick mit einem affektierten Schrei in Ohnmacht fallen. Eine drückende Stille legte sich über das Wohnzimmer.
»M-Mutter?«, fragte ich und schluckte den bittersüßen Geschmack nach Blut hinunter. In den Augen der Göttin stand nackte Mordlust. Ihr Körper zitterte immer noch. Zappte von einem Aussehen zum nächsten.
»Was hast du getan? Du miese kleine …«, setzte sie an, als sich plötzlich eine zarte Hand auf ihre Schulter legte. »Mutter. Ich denke, Warrior hat ihre Lektion gelernt. Sie wird auf ihr Zimmer gehen und es in den nächsten Tagen nicht mehr verlassen. Das verspreche ich!« Diamond lächelte tapfer. Die Augen der Göttin verengten sich zu Schlitzen. Trotzdem schienen Diamonds sachliche Worte und ihre ruhige Stimme sie auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Das hektische Wechseln ihrer Erscheinung ließ nach. In meinen Ohren knackte es, als würde ein großer Druck aus ihnen weichen. Die Luft schien endlich wieder ungehindert durch meine Lunge zu strömen.
»Mutter, ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Ruby schockiert. Den warnenden Blick, den Diamond ihr dabei zuwarf, schien sie gar nicht zu bemerken.
Ruckartig fuhr der Kopf der Göttin zu ihr herum. Ihre Haare wurden tiefschwarz, genau wie ihre Augen. »Mach dich nicht lächerlich, ich bin eine Göttin!«, zischte sie, während Ruby nach hinten stolperte und beschwichtigend die Hände hob.
»Ich … Mutter, selbstverständlich!«, stammelte Ruby, doch die Göttin drehte sich, ohne weiter auf sie zu achten, zu mir. Der Blick, den sie mir dabei zuwarf, zog mir die Eingeweide zusammen.
»Du wirst dieses Haus nicht mehr verlassen, Warrior! Du wirst in dein Zimmer gehen und dort ab sofort bleiben. Du hältst dich von sämtlichen Ausgängen und Fenstern in diesem Haus fern. Du redest mit niemandem. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Zitternd nickte ich. »Ich werde mein Zimmer nicht verlassen«, flüsterte ich mit heiserer Stimme.
»Und?«, fragte die Göttin in trügerisch sanftem Ton.
»Ich werde mit niemandem über heute reden.«
»Ganz genau. Dein Vater war so freundlich, ein paar Höllenhunde vorbeizuschicken, damit das auch so bleibt.«
Ihr Lächeln hätte jeden Höllenhund in die Flucht geschlagen. Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus.
»Diamond, du passt auf sie auf!«, wies Aphrodite meine Schwester an. Diese nickte stumm und schlug die Augen nieder.
»Sehr schön, dann werde ich jetzt in den Olymp zurückkehren.« Mit gerümpfter Nase klopfte sie sich imaginären Staub von den Kleidern. Ein Geruch nach geschmolzenem Zucker verbreitete sich im Raum, als die Göttin in einem grellen Lichtblitz verschwand.
Wie betäubt saß ich auf dem Sofa und spürte, wie mir heiße Tränen über die Wange liefen. Warmes Blut verklebte mir Nase und ein paar Haarsträhnen, die mir aus der verrutschen Kapuze hervorgequollen waren.
»Nun komm schon, Warrior! Hör auf zu weinen, wisch dir den ekelhaften Rotz aus dem Gesicht und verhülle dich. Du siehst grauenhaft aus.« Die spitze Bemerkung von Diamond durchbrach meine Schockstarre. Als ich zu ihr hochblickte, hielt sie mir ein Taschentuch entgegen.
»Danke«, hauchte ich, zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und drückte mir das Schnoddertuch aufs Gesicht.
»Sie wurde regelrecht zerstückelt«, kicherte Opal leise und warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Sie ist einfach nur peinlich.«
»Halt deinen Mund«, fuhr Diamond unsere Schwester an und bedachte mich mit einem strengen Blick. »Steh auf, leg dich ins Bett, Warrior, und wisch dir endlich das Blut ab.«
»Ist das überhaupt Blut?«, fragte Ruby naserümpfend, als ich mich mit steifen Gliedern aufstellte.
»Natürlich ist es das«, murmelte ich schwach und zuckte bei dem rauen Klang meiner eigenen Stimme zusammen.
»Und seit wann ist es silber?«, fragte Ruby patzig, was mich verwirrt auf das Taschentuch in meiner Hand hinabblicken ließ.
»Das …« Mir blieben die Worte im Hals stecken.
»Das sieht aus wie Quecksilber«, staunte Diamond und beugte sich näher zu mir herab. »Lass mal sehen!«
»Was? Nein!« Erschrocken zuckte ich vor ihren neugierigen Fingern zurück und zerknüllte die Rotzfahne.
»Warrior!«, warnte mich Diamond und sah mich streng mit ihren kristallblauen Augen an. »Wenn etwas mit dir nicht stimmt, müssen wir das sofort dem Olymp melden.«
»Hast du sie noch alle? Mutter wird mich umbringen! Mit mir ist alles in Ordnung.«
»Aber wenn …«
»Nichts, wenn!« Giftig starrten wir uns an. »Es ist nichts! Und wenn ihr nur ein wenig Mitleid mit mir habt, lasst ihr mich jetzt bitte ins Bett gehen? Es war nicht gerade ein angenehmer Tag.«
Unentschlossen kniff Diamond ihre Lippen zusammen und erdolchte mich mit einem eisigen Blick. Es kostete mich viel Kraft, überhaupt noch auf den Beinen zu stehen. Kraft, die rapide zu schwinden begann. Der Tag fühlte sich bereits unendlich lang an.
Schließlich nickte die blonde Schönheit, während ein Ausdruck von unerwarteter Sanftheit über ihre Züge huschte. »Na schön, Warrior. Geh nach oben. Aber hör auf Aphrodite. Verlasse nicht das Zimmer, ich werde dich ansonsten nicht beschützen können.«
»Werde ich nicht«, murmelte ich, ließ die drei im Wohnzimmer zurück und ging durch den mit Marmor ausgelegten Eingangsbereich. Eine geschwungene Treppe führte nach oben in den Schlafzimmerbereich. Wie auch bei Hades war das Stadthaus meiner Mutter ein Zeugnis längst vergangener Jahrhunderte. Es war um die Jahrhundertwende erbaut worden und seitdem nur spärlich mit den neuesten technischen Errungenschaften ausgestattet worden. Die Wände waren stilistisch hoch gebaut und mit cremefarbenen Stuckverzierungen versehen. Überall hingen Bildnisse der Liebesgöttin an den Wänden. Kunstgegenstände aus längst vergangener Zeit stellten meine Mutter in den verschiedensten Gestalten und mit den unterschiedlichsten Gesichtern dar. Stets ein verführerisches Lächeln auf den vollen Lippen. Wie gefährlich die Liebe in Wirklichkeit war, zeigte kein einziges davon. Die wenigen Minuten, die ich brauchte, um von dem Salon in mein Zimmer zu gelangen, glichen dem Besuch in einem Museum. Jede Stufe, die ich mich hochquälte, zog sich schmerzhaft in die Länge, wobei ich mich fest ans Ebenholzgeländer klammerte. Der unerwartet heftige Zorn meiner Mutter würde noch die nächsten Tage seine Auswirkungen zeigen, mein Zusammenstoß mit dem Höllenhund heute Nachmittag nicht zu vergessen.
Das Leben eines Gottkindes war grundsätzlich nicht einfach. Aber das Kind der Liebe und des Todes zu sein, das war besonders scheiße. Selbst ohne mein Handicap. Die schönsten und mächtigsten Kinder konnten zumindest hoffen, in den Olymp aufgenommen zu werden und als Zofe oder Günstling der Götter zu dienen. Die weniger glücklichen von uns mussten sich mit einem Leben im ewigen Schatten einer glanzvollen Welt zufriedengeben und ihr Glück in der Welt der Sterblichen oder in der Unterwelt finden. Die Kriminalitätsrate unter den Gottkindern war enorm hoch. Viele waren Mitglieder der Mafia oder arbeiteten für die menschliche Regierung in politischen Belangen.
Für mich blieben all diese Wege versperrt. Der Olymp wollte mich nicht und für die Welt der Sterblichen war ich eine zu große Gefahr. Im Grunde blieb mir nur Abaddon, und wie dort meine Zukunft aussehen sollte, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Meine Augen brannten und ich blieb kurz stehen. Vielleicht sollte ich mir Madox schnappen und für ein paar Jahre untertauchen. Als Kind hatte ich immer Prinzessin werden wollen. Madox übrigens auch. Leider sah ich unsere Chancen in dieser Hinsicht als schwindend gering an. Wir könnten nach Bali fliegen und das Tauchen lernen oder so etwas. Aber nein! Ich konnte ja keinen Badeanzug anziehen. Verdammt. Ich biss mir auf die Unterlippe und setzte meinen Weg nach oben fort. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, die nächste Zeit in meinem Zimmer zu verbringen. Ich war eine absolute Katastrophe! Vollkommen erschöpft wankte ich endlich in mein persönliches Reich. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, das Licht einzuschalten. Mit brennenden Augen streifte ich mir die Schuhe von den Füßen und fiel mit dem Gesicht voran ins Bett. Jetzt konnte ich nur noch für einen schnellen und hoffentlich albtraumlosen Schlaf beten.
Sechs

Ich wollte viel lieber von Lollipops und regenbogenpupsenden Einhörnern träumen!
»Du hast es verkackt!«
»Ich weiß …«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du die Tragweite verstehst, Junge. Du hast versagt! Du hast deinen Arsch in verdammte Schwierigkeiten gebracht und uns damit beinahe alle verraten.«
»Noch mal: Ich weiß es, verfluchte Scheiße!« Die Stimme klang dumpf und gepresst. Schmerzerfüllt und doch samtweich – Ein Klang, bei dem sich auf meinem Körper Gänsehaut ausbreitete.
Verwirrt blinzelte ich. Wo zum Teufel war ich? Gerade hatte ich noch gemütlich in meinem Bett gelegen und jetzt …
Kritisch musterte ich meine Umgebung. Ein Zimmer mit niedriger Decke, das streng nach Desinfektionsmittel und künstlicher Zitrone roch. Operationstische, die normalerweise in Krankenhäusern standen, stapelten sich mitsamt schimmerndem Operationsbesteck in jeder freien Ecke. Am Boden lag ein fürchterliches Chaos aus wild verstreuten Zetteln und halb leeren Reagenzgläsern mit undefinierbarem Inhalt. Scherben knirschten unter meinen Füßen, als ich leicht angeekelt einen klebrigen Zettel von meinem rechten Schuh pflückte.
»Weißt du überhaupt, was für ein unverschämtes Glück du hattest? Die Zähne der Höllenhunde hätten bei deiner Dummheit noch viel tiefer in deinem Hintern stecken sollen!«
»Aua! Sie stecken … aua, in meinem Rück… auuaa! Pass doch auf! Sie stecken in meinem Rücken … nicht in meinem Arsch! Und stundenlange Folter nenne ich nicht unbedingt Glück.«
»Du bist am Leben, also hattest du Glück!«
Ein ungutes Gefühl überkam mich. Verunsichert musterte ich meine Umgebung erneut. Wo war ich? Mein Umfeld ähnelte einem von einem Tornado zerstörten Krankenhaus oder durchgeknallten Experimentierlabor für Menschenversuche. Angefangen bei den grün blinkenden LED-Lichtern bis zu den schmutzigen zersprungenen Fliesen an den Wänden. Langsam wurde mir bewusst, dass ich träumen musste. Misstrauisch musterte ich ein großes Glas, in dem etwas, das verdächtig nach Hirn aussah, herumschwamm. Steif stand ich im Raum und versuchte, so leise wie möglich zu sein. Die Stimmen jagten mir eine Heidenangst ein. Trotzdem konnte ich nicht ewig wie ein Trottel herumstehen und darauf warten, dass man mich entdeckte. Ich sollte zumindest den Ursprung der Stimmen herausfinden. Danach konnte ich mich immer noch verstecken oder panisch schreiend davonlaufen. Glasscherben knirschten unter meinen Füßen, als ich an der Wand entlangschlich. Ein großes rostiges Regal versperrte mir den Weg. Vorsichtig lugte ich um die Ecke, dabei fiel eine lange Locke aus meiner Kapuze und kitzelte meine Wange. Hinter dem Regal erspähte ich einen Operationstisch, auf dem ein großer und vor allem muskulöser Körper lag, der seinerseits von einem schmaleren Mann abgeschirmt wurde. Beide wurden von einer grellen Operationslampe beschienen. Sie beleuchtete das blaue Haar des Mannes, der sich unter offensichtlichen Schmerzen auf dem blanken Stahltisch krümmte. Erschrocken hielt ich die Luft an und starrte auf die unverkennbare Haarfarbe meines Beinahe-Mörders. Das war dieser Hornochse, der mich in Abaddon den Hunden zum Fraß vorgeworfen hatte! Scheiße! Was machte der denn in meinem Traum? Besser gesagt, was hatte ich hier zu suchen? Ich wollte viel lieber von Lollipops und regenbogenpupsenden Einhörnern träumen!
Ich zog mich weiter hinter das Regal und lauschte ihrer Unterhaltung.
»Hast du sie wenigstens gefunden?«, fragte der hagere Mann – offenbar ein Arzt – meinen just zum Erzfeind erklärten Blauhaarigen. Dieser stieß einen saftigen Fluch aus, als der Arzt etwas mit einem Schmatzen aus seiner rechten Schulter zog.
»Nein, habe ich nicht! Ich war nahe dran, aber dann kam dieses Mädchen und …«
»Was? Du hast wegen eines Mädchens die gesamte Mission in den Sand gesetzt? Bist du noch ganz bei Trost?«, brummte der Mediziner und bohrte mit einer langen Zange in dem Fleisch des anderen herum.
Seine schlanken Finger verkrallten sich in die Kanten des Tisches. Knisternde Blitze zuckten über seinen vor Schmerz angespannten Körper. Unbeeindruckt schnalzte der Arzt mit der Zunge und bohrte kraftvoll tiefer. Fasziniert musterte ich das Gesicht meines Beinahe-Mörders. Seine makellose Schönheit war durchbrochen von Blutergüssen und Quetschungen, die sich quer über seinen Körper zogen. Seine Nase saß seltsam schief im blassen Gesicht, während sein Brustkorb aussah, als hätte ein Rudel räudiger Katzen ihn als Kratzbaum missbraucht. Jeder seiner Fingernägel war entweder ausgerissen oder zersplittert. Er sah aus, als wäre er gefoltert worden.
»Himmel! Es war nicht nur das Mädchen, ich habe Hades unterschätzt«, unterbrach der Blauhaarige mein fasziniertes Starren. »Die Höllenhunde saßen mir bereits im Nacken. Ich hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso nicht mehr weiter geschafft. Aber die Kleine rannte wie ein Rammbock in mich hinein.«
»Hast du ihr wenigstens den Garaus gemacht? Sie könnte dich erkannt haben.« Mein Erzfeind schnaubte abfällig, was mich wütend mit den Zähnen knirschen ließ. Mistkerl. Seine Arroganz ging mir jetzt schon auf die Nerven.
»Natürlich. Ich bin doch kein Vollidiot!« Mhm, über das mit dem Idioten ließ sich meiner Meinung nach noch streiten. »Sie tat mir fast leid. Die Kleine hatte unübersehbar Todesangst vor mir. Es hat mich tatsächlich Überwindung gekostet, sie aus dem Weg zu räumen. Sie hatte verflucht noch mal die schönste Stimme, die ich jemals gehört habe!«
»Hört, hört! Der große Peace Tantalos zeigt tatsächlich Interesse an einem Mädchen!«, höhnte der Arzt. Geschickt fuhr er mit den Fingern in eine der klaffenden Wunden an seinem Rücken.
Mein Erzfeind, der offensichtlich Peace hieß – was für ein beschissener Name war das denn?! – stieß dabei ein bellendes Knurren aus. Seine Kieferknochen spannten sich an, während ihm eine schweißnasse Locke ins Gesicht fiel.
»Einem toten Mädchen! Der Höllenhund hat sie zerfetzt, aber wenigstens hatte ich dadurch genug Zeit, um … sag mal! Riechst du das auch?«
»Riechen? Was denn?«
»Es riecht nach Rosen.«
Peace’ Nasenflügel bebten. Die einzige Vorwarnung, die ich bekam, bevor er kraftvoll und geschmeidig wie eine Raubkatze vom Tisch aufsprang. Blut spritze in alle Richtungen. Einige Tropfen blieben eine Handbreit von meinem Versteck am Boden kleben. Mein Atem stockte, als ich nach unten starrte. Das Blut war nicht rot, sondern … silbern.
»Peace, was machst du?«
Die Frage des Arztes riss mich aus meiner Erstarrung. Schnell sah ich auf und blickte in zwei leuchtend silbergraue Augen. Mit blutverschmiertem Oberkörper und zornig verzogenem Gesicht ragte Peace wie ein geballter Berg aus Muskeln und Macht vor mir auf. Ein Knurren, das die Wände wackeln ließ, gellte durch den Raum. Einige bereits zerbrochene Fliesen fielen zu Boden.
»Ich kann dich riechen. Ich kann dich fühlen! Zeig dich!«, brüllte er mir direkt ins Gesicht. Schreiend stolperte ich zurück. Mein Herz pochte erschrocken, als ich den Halt verlor und ins Straucheln geriet. Ich stürzte. Doch anstatt hart auf dem Boden aufzuschlagen, durchbrach ich ihn und die Oberfläche zerbarst wie Glas. Splitter und Fragmente flogen mir um die Ohren. Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Wie durch zähen Honig sah ich mich selbst fallen. Peace stand über mir und für einen kurzen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Seine Augen weiteten sich. Erkennen durchzuckte die silbrig glänzenden Spiegel. Brüllend schnellte er nach vorne und streckte die Arme nach mir aus, als wollte er mich auffangen. Die Zeit beschleunigte sich wieder. Wurde rasend schnell, als seine Finger wie Rauch durch meinen Körper fuhren. Ich fiel. Fiel in bodenlose Schwärze – mit dem Geruch nach Ozon und Eis in der Nase.
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