Iaidô

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1. Kapitel Der Geist: Ein Augenblick, der über Leben und Tod entscheidet



Kuroda Ichitaro sensei, 8. Dan, vom Ōmori-ryū.

Zuerst muss man schneiden.

Okada Morihiro

1.1. Iaijutsu: Angreifen beim Schwertziehen

1.1.1. Battōjutsu oder kenjutsu: Die ersten »Wege« des Schwerts

Die Herkunft dessen, was heute als iaidō bezeichnet wird, ist untrennbar mit der Geschichte des kenjutsu, der Technik (jutsu) des Schwerts (ken) verbunden. Die Geschichte des Weges des Schwerts ist die der japanischen Kaste der Krieger (bushi), insbesondere die der Samurai, der Kriegerelite. Schon früh in der japanischen Geschichte wurde das katana (Schwert) zur edelsten und am höchsten geschätzten Waffe des bujutsu, der Techniken des Krieges. Als Teil der drei kaiserlichen Insignien (ken, das Schwert, symbolisiert den Blitz, kagami, der Spiegel, symbolisiert die Sonne, und hoseki, die Krummjuwelen – kommaförmige Jadesteine –, stehen für den Mond) zählt es auch zu den ursprünglichen Symbolen des Reichs der Aufgehenden Sonne. Seine Entwicklung ist eng mit der sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung des Landes verknüpft. Auf nationaler Ebene wie auch für die Vertreter der privilegierten Kriegerkaste des mittelalterlichen Japans wurde aus dem Schwert rasch das Symbol schlechthin für die Macht und für die höchsten menschlichen Tugenden: Tapferkeit, Loyalität, Rechtschaffenheit. Ein Schwert in seinem Besitz zu haben war nun ein erbliches Privileg geworden, und es überrascht nicht, dass schon bald das katana als die Seele des Kriegers angesehen wurde. Verlor ein Krieger sein Schwert, so war dies mit dem Verlust seiner Ehre gleichzusetzen.

Bereits aus der Nara-Zeit (Nara-jidai: 710 - 794; Nara, ursprünglich Heijō-kyō, war die erste permanente Hauptstadt Japans) gibt es Überlieferungen – die Texte Kojiki (712) und Nihonshoki (720) –, in denen die Praxis des »Weges des Schwerts« (tachi-gaki, kumi-tachi) bei der Ausbildung des kuge (kaiserlicher Adel) erwähnt wird.

794 wurde eine neue Hauptstadt errichtet, Heian-kyō, am Ort des heutigen Kyōto, die einer neuen Ära ihren Namen gab, Heian-jidai (794 - 1185). Während mehrerer Jahrhunderte öffnete sich Japan der verfeinerten Zivilisation Chinas und legte bedeutend weniger Wert auf kriegerische Angelegenheiten. Der Hof gab somit nicht allzu sehr Acht auf die zunehmende Emanzipation der großen feudalen Familien (buke), die in ihren Provinzen zu immer mehr Autonomie gelangten. Und jeder dieser Klane sorgte dafür, dass seine eigenen Krieger ausgebildet wurden. Dies geschah im Rahmen der ersten individuellen Kampfkunstschulen, den ryū-ha, wo die mit den Klanen verbundenen Ausbilder erstmals versuchten, Techniken zu kodifizieren. Nach und nach verringerte sich die Bedeutung der Zentralmacht, während die militärische Macht der großen Familien wuchs. Die Krieger in ihren Diensten nannten sich Saburai (von »Saburo«, demjenigen, der nahe ist, der dient) bzw. Samurai. Für sie war das Training des bujutsu, vor allem des kenjutsu, Alltag.

Besonders zwei Klane erlebten in jener Zeit einen bedeutenden Aufstieg, der der Taira (auch Heike genannt) und der der Minamoto (beziehungsweise Genji). Fatalerweise standen sie einander feindlich gegenüber im Bestreben, die zentrale Macht zu ergreifen. Das berühmte Werk Heike-monogatari erzählt diesen epischen Kampf, der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stattgefunden hat. Nach einem ersten Sieg der Taira im Jahre 1160 gelang es dem tapferen Minamoto Yoshitsune, dem Halbbruder des Klanoberhaupts der Minamoto, Yoritomo, die Taira in der entscheidenden Schlacht von Dan-no-Ura 1185 vernichtend zu schlagen. Minamoto Yoritomo ließ sich vom Kaiser, der nur noch die Rolle eines Strohmanns spielte und über den er nach seinem Belieben verfügte, zum shōgun ernennen, und er führte eine Militärdiktatur ein. Seine große Macht verdankte er seinen bushi. Damit begann das Goldene Zeitalter dieser Krieger und somit auch der »Weg des Schwerts«6

Die geradezu allmächtig gewordenen Minamoto richteten ihre Hauptstadt und ihr Befehlszentrum in Kamakura ein. Die Kamakura-Zeit (Kamakura-jidai: 1185 - 1333) begann mit der Einrichtung der Militärregierung des bakufu (wörtlich »Regierung unter dem Zelt«, denn die »Hauptstadt« war zu Beginn nichts weiter als ein einfaches Zeltdorf), welche das Land regierte. Der Kaiser hingegen, dem lediglich eine rein symbolische und religiöse Macht gelassen wurde, blieb mitsamt seinem Hof in Kyōto. Yoritomo starb 1199, aber die neue politische Ausrichtung, die er dem Land gegeben hat, brachte Japan mehr als ein Jahrhundert inneren Friedens. Die Kriegerkaste, die nun an der Macht war, versäumte es nicht, der Ethik, die sich während des mörderischen Konflikts zwischen den Taira und den Minamoto herausgebildet hatte, eine endgültige Form zu geben. Die Begriffe der Loyalität, der Ehre, der absoluten Opferbereitschaft, des blinden Gehorsams und der Pflichterfüllung um jeden Preis verschmolzen zu einer Art ungeschriebenen Moralkodex. Verstärkt wurde dieser noch durch die strengen Lehren des Zenbuddhismus, die in Japan seit dem Ende des 12. Jahrhunderts Fuß fassten. Einige Jahrhunderte später entstand auf dieser Grundlage das berühmte bushidō (der »Weg des Kriegers« als Moralkodex). Ebenfalls in jener Zeit bildeten sich verschiedene Richtungen der Schwertschmiedekunst heraus (das Zeitalter des Gokaden, der fünf klassischen Schwertschmiedetraditionen aus den alten Provinzen Yamato, Sōshū (Sagami), Bizen, Yamashiro und Mino (Seki)). Die alten Meister perfektionierten die Qualität und die Schönheit der Klingen, ihre Form sowie die Montur.7

Zuvor waren die Schwerter für den Kampf zu Pferd bestimmt gewesen; die Kavallerie war die »Königin der Schlachten«. Die Klingen waren lang (tachi), gerade oder leicht gebogen und wurden mit der Schneide nach unten getragen. Mit der Zeit wurde die Ästhetik der Schwerter jedoch ebenso wichtig wie ihr Nutzwert; sie wurden kürzer, man fand die ideale Krümmung für eine leichtere Handhabung, und sie waren somit besser für den Zweikampf am Boden geeignet. Die Klingen dieses Zeitalters werden als koto (alte Klingen) bezeichnet, im Unterschied zu den shinto (neue Klingen), welche ab Mitte des 16. Jahrhunderts gefertigt wurden.

Am Ende der Kamakura-Zeit fand ein Ereignis statt, das entscheidende Auswirkungen auf die Kriegerkaste und in der Folge auf die Schwertschmiedekunst haben sollte: In den Jahren 1274 und 1281 versuchten mongolische Horden unter Kubilai Khan, Japan zu erobern. Dies führte zu einer Solidarisierung der japanischen Klane angesichts der zwingenden Notwendigkeit, das Archipel zu verteidigen; der daraus erwachsende Zusammenhalt der japanischen Nation ist bis zum heutigen Tag lebendig geblieben. Darüber hinaus beflügelte es die Militärwirtschaft. Diese Tatsache wird heute von japanischen Historikern gern stillschweigend übergangen, was unschwer zu verstehen ist: 1281 ereignete sich durch wunderbare Fügung ein Taifun (kamikaze, »göttlicher Wind«). Dieser Sturm, der die Flotte der Mongolen, die unmittelbar vor der Landung an den südlichen Gestaden Japans stand, in einer Nacht hinwegfegte, soll durch Gebete des Priesters Nichiren (1222 - 1282) heraufbeschworen worden sein. Die Japaner, die auf diese Weise vor der Invasion durch 150 000 mongolische Krieger bewahrt wurden, mussten nur noch die Überlebenden, die mit den Wracks an Land gespült wurden, massakrieren und die Waffen des Invasionsheeres einsammeln.

Man fand schnell heraus, dass die Bögen der Mongolen leistungsfähiger als die der Insulaner waren, und dass der mongolische Stahl dem der Japaner bedeutend überlegen war. Diese schockierende Lektion wurde rasch in einen Vorteil verwandelt. Die japanischen Schmiede untersuchten den Stahl der am Strand gefundenen Waffen, und schon bald konnten sie dessen Qualität reproduzieren. Ebenfalls ist bekannt, dass die Kunst des kyūjutsu, des militärischen Bogenschießens, von diesem Zeitpunkt an eine neue Ausrichtung bekam, mit Kurzbögen, welche direkt von denen der Mongolen inspiriert wurden (die Bögen, die heute im kyūdō verwendet werden, sind hingegen gänzlich anderer Art). Die Japaner haben also schon früh gelernt, wie man etwas kopiert und gleichzeitig vervollkommnet. Von dieser Zeit an wurden die japanischen Klingen geradezu perfekt, und ihre Herstellung erlebte einen phantastischen Aufschwung. Die Reinheit, Haltbarkeit und Schönheit des Stahls ließen die japanischen Schwerter in ganz Asien zum begehrten Handels- und Tauschobjekt werden.

Im Jahre 1333 begann die sogenannte Muromachi-Zeit (1333 - 1573), die durch die Herrschaft der shōgune des Klans der Ashikaga geprägt wurde. Zu Beginn dieser Ära wurden die Kampfkünste wenig gefördert. Der erste shōgun, Ashikaga Takauji (1305 - 1358), der den amtierenden Kaiser Go-Daigo entmachtet und einen ihm genehmen Kaiser eingesetzt hatte, verlegte die Hauptstadt nach Muromachi, einem Stadtteil von Edo (dem heutigen Tokio). Sein Enkel Ashikaga Yoshimitsu (1358 - 1408) sorgte für die Eröffnung von Trainingsstätten für Kampfkünste (dōjō), was zweifelsohne einen ersten Versuch darstellte, den aufrührerischen Geist der Kriegerklane zu besänftigen, die noch immer sehr unmutig darüber waren, nicht angemessen dafür belohnt worden zu sein, Japan vor der mongolischen Invasion bewahrt zu haben. Doch für Besänftigungen war es zu spät oder auch zu früh: Die Muromachi-Zeit war geprägt durch Kriege zwischen den großen Lehnsherren (daimyō), die das Land mit Feuer und Schwert verwüsteten, während die Zentralmacht an Einfluss verlor. Der Ōnin-Krieg (1467 - 1477) war der Auftakt einer langen Epoche der Bürgerkriege (Sengoku-jidai, Zeit der streitenden Reiche, 1477 - 1573), für die natürlich vor allem das gewöhnliche Volk teuer zu bezahlen hatte. Für die Krieger hingegen glich diese Zeit einem fruchtbaren Nährboden, aus dem neue Techniken für den Kampf ums Überleben sprossen, vor allem hinsichtlich des »Weges des Schwerts«. In dieser Zeit lebte im übrigen auch Hayashizaki Jinsuke (ca. 1546 - 1621), der von vielen als der eigentliche Vater des iaijutsu angesehen wird. Von ihm wird noch ausführlich die Rede sein.

 

Tsumaki Seirin, 8. Dan, hanshi, 14. sōke des Tamiya-ryū, bei einer Vorführung im Alter von 85 Jahren.

Nie zuvor waren die verschiedenen Kampfkünste im ganzen Land so intensiv studiert und kodifiziert worden, wie damals in den vielen Schulen (ryū) der Meister des Kampfes, die im Solde der großen daimyō standen. Die Techniken des kenjutsu nahmen langsam, aber sicher Gestalt an. Die Kodifizierung und die Praxis waren damals jedoch frei von jeglichen »Schnörkeln« und »Verzierungen«, die auf dem Schlachtfeld nichts genutzt hätten. Jeder Fehler in der Kampftechnik wurde gnadenlos bestraft – der Tod lauerte überall. Da es an genauen und glaubhaften Quellen mangelt, werden wir nie erfahren, wie viele effektive Kampftechniken damals auf empirische Weise entdeckt wurden. Auch wenn sich zweifelsohne nicht jede davon durch besondere Originalität ausgezeichnet hat, so muss es doch damals Hunderte Schulen gegeben haben, denen Hunderte Schwertkämpfer vorstanden, deren Geschicklichkeit – vielleicht auch manchmal nur Glück im Kampf – sie aus der Masse heraushob. Manche dieser Schulen bestehen bis zum heutigen Tag, und ihre Vertreter behaupten, dass sie mit deren Wurzeln nach wie vor verbunden seien und somit ihre Techniken sich durch besondere Authentizität auszeichnen sollen. Das zu überprüfen ist natürlich unmöglich.

Zu den bedeutendsten Schulen jener Epoche zählen die folgenden, die im »Nihon Kengo Hyaku Sen« aufgelistet sind:

 Nen-ryū (von Nennami Jion), wahrscheinlich die älteste; sie wurde um 1400 gegründet.

 Tenshin Shōden Katori Shintō-ryū (von Iizasa Choisai Ieano).

 Bokuden-ryū (von Tsukahara Bokuden).

 Hayashizaki-ryū bzw. Musō Shinden-ryū bzw. Jushin-ryū (von Hayashizaki Jinsuke Shigenobu).

 Nitten Ichi-ryū (von Miyamoto Musashi).

 Yoshioka-ryū, Kage-ryū, Ittō-ryū

Es ist auch nicht möglich zu sagen, welche von den vielen Schwertkampftechniken, die unter den verschiedensten Bezeichnungen zum kenjutsu gerechnet wurden, speziell zu den Vorläufern des heutigen iaidō zählen. Denn letzteres, die Kunst des Schwertziehens, ist eine Auswahl von Techniken, die es ermöglichen, mit einer spontanen und gewissermaßen natürlichen Bewegung auf einen unverhofften Angriff zu reagieren, der aus einer beliebigen Richtung erfolgen kann. Es gibt keinen Zweifel, dass man schon damals beide Grundtypen von Schwertkampftechniken praktizierte: Zunächst wird mit der Bewegung des Schwertziehens ein erster Schlag ausgeführt, wobei man den Schlag des Gegners pariert oder ihm ausweicht, indem man zur Seite oder über den Angriff hinweg springt. Anschließend, wenn der Kampf noch nicht entschieden ist, wird mit den Techniken des kenjutsu weitergekämpft.

Jean-Pierre Raick, 7. Dan, in einer Phase der seitei-gata (siehe weiter hinten).

In der Mitte des 16. Jahrhunderts kamen erstmals portugiesische Händler auf die japanische Insel Kyūshu und brachten die ersten Feuerwaffen ins Land. Wenige Jahre später folgten jesuitische Missionare und später andere ausländische Händler. Diese unverhoffte Konfrontation mit einer neuen, fremdländischen Kriegstechnik erschütterte die Kriegerelite Japans in ihren Grundfesten. Die kriegerische Tradition, die auf der Beherrschung von Hieb-, Stich- und Stoßwaffen durch ein extrem anspruchsvolles Training beruhte, dem alles andere untergeordnet war, ging in der furchtbaren Schlacht von Nagashino im Jahre 1575 unter, in der die Blüte der Samuraireiterschaft des Takeda-Klans vernichtet wurde, bevor sie auch nur mit dem Feind in Berührung kommen konnte. Oda Nobunaga, der gegnerische Feldherr, hatte einige Hundert seiner Männer – mitunter sogar einfache Bauern – mit Musketen ausgestattet, die japanische Waffenschmiede nach europäischem Vorbild gebaut hatten. Einige Salven aus diesen Waffen reichten, um eine jahrhundertealte Tradition ritterlichen Kampfes für immer zu beenden. Auf diese Weise gelangte Nobunaga an die Macht im Lande, und zugleich verbreiteten sich Zweifel an der traditionellen Ausbildung der Samurai, einschließlich des Schwertkampfes.

Doch die Tradition hielt diesem Angriff stand. Zunächst einmal war das Schwert das Symbol schlechthin für den Rang eines bushi, und selbst die Erkenntnis, dass die Feuerwaffen den traditionellen Waffen überlegen waren, konnte die Krieger nicht davon überzeugen, hinfort auf das Schwert zu verzichten. Manche traditionellen Schulen bezogen allerdings von nun an den Umgang mit den neuartigen Waffen in ihre Lehren ein. Hinzu kam, dass Japan schon wenige Jahre nach dieser Schlacht in eine außerordentlich lange Periode des Friedens eintreten sollte, in der jegliche kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Klanen durch das Tokugawa-Shōgunat verboten wurde.

1598 starb der taikō Toyotomi Hideyoshi und hinterließ die Macht fünf Regenten – unter ihnen der mächtige daimyō Tokugawa Ieyasu –, die jedoch untereinander um die Alleinherrschaft stritten. Im Jahre 1600 fand die Schlacht von Sekigahara statt. Diese stellte den Versuch der letzten rebellischen daimyō dar, sich der Machtergreifung durch die Tokugawa in den Weg zu stellen. Tokugawa Ieyasu ging als Sieger daraus hervor und ließ sich 1603 vom Kaiser zum shōgun ernennen. Zudem wählte er als neue Hauptstadt des Landes Edo (Tokio). Damit begann die Epoche des Tokugawa-Shōgunats, die bis zum Jahre 1868 andauern sollte. Für die Krieger des Kaiserreichs bedeutete dies eine starke Disziplinierung.

Die japanischen Gesellschaft wurde streng hierarchisch regiert. An der Spitze der Hierarchie standen die bushi (Samurai). Natürlich waren damit bedeutende Privilegien verbunden. Aber zugleich mussten sich die Samurai streng an die Regeln halten und wurden unaufhörlich überwacht, um jede Möglichkeit einer Rebellion gegen die Zentralmacht von vornherein zu vereiteln. Der von den Tokugawa aufgezwungene Frieden im Lande richtete den kriegerischen Geist der Samurai auf das Kampftraining in den dōjō. Nach und nach begannen die Ästhetik der Bewegungen und die Ergründung des Selbst dabei eine immer größere Rolle zu spielen, da selbst die einst als Mittel des Kräftemessens üblichen blutigen Duelle (kettō) per Gesetz verboten worden waren. Viele Meister der Waffenkünste (sensei) eröffneten dōjō in den Städten und auf den Burgen der daimyō. Das ist der Grund dafür, dass die traditionellen Kampfkünste in einer Zeit überleben und sogar perfektioniert werden konnten, in der die klassischen Waffen wie das Schwert technologisch längst überholt waren. Die Techniken des battōjutsu und des iaijutsu blieben so erhalten und wurden sogar durch neue Konzepte bereichert, vor allem philosophischer Natur, und die gelehrten Formen näherten sich allmählich den heute bekannten an.

1.1.2. Hayashizaki Jinsuke, der Vater des iaijutsu

Die Überlieferung verknüpft die Schaffung und den Aufschwung des iaijutsu, dem direkten Vorläufer des heutigen iaidō, mit einem ganz bestimmten Namen. Es handelt sich um Hayashizaki Jinsuke Shigenobu (oder auch Hōjō Jinsuke Shigenobu – manche Historiker sehen in ihm einen Nachkommen des einst sehr mächtigen Hōjō-Klans). Das meiste, was man über sein Leben an Informationen findet, scheint Legenden entsprungen zu sein. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um eine historische Persönlichkeit handelt, die wahrscheinlich 1549 in der Provinz Sagami (der heutigen Präfektur Kanagawa) zur Welt kam. Er entstammte einer Bushi-Familie. Es ist möglich, dass er seine ersten bedeutenden Kampferfahrungen auf dem Schlachtfeld sammelte. Ebenfalls denkbar ist aber auch, dass er in seiner Jugend Japan durchstreifte, wie es die Art vieler junger Krieger war, die den Kampf mit jedem, der sich auf eine Herausforderung einließ, suchten, um ihre Kampfstärke zu prüfen und zu verbessern. Dies war die Praxis des musha-shugyō. Vielleicht geschah es in diesem Zusammenhang, dass er im Tempel von Hayashizaki beim Meditieren die Eingebung für das Wesen des iaijutsu empfing. Dieser Tempel befand sich im Dorf Okura, nahe Kitamaruyama, in der Provinz Oshu, und er war der Gottheit Hayashi Myojin geweiht. Solch eine unverhoffte göttliche Eingebung (tenshin-sho) war ein geradezu klassischer Vorgang, der dem Gründer einer Schule die erforderliche Aura verlieh und der Schule ihren endgültigen Namen.8 Allerdings findet sich in dem Buch »Bujutsu Taihaku Seiden« die Aussage, dass Hayashizaki, der sich als »inspiriert von den Göttern« betrachtete, sich dem Studium des Schwertkampfes zwischen 1595 und 1601 widmete, was bedeuten würde, dass er erst mit 46 Jahren damit begonnen haben soll. – Wie auch immer; die Persönlichkeit dieses Mannes war so stark, dass die Zahl seiner Schüler groß war und sein Einfluss prägend für das weitere Schicksal vieler von ihnen wurde. Weiterhin heißt es, dass sich die Spur des Meisters verlor, als er im Alter von 73 Jahren eine zweite Reise durch Japan als musha-shugyōsha vollführte. Doch was er hinterlassen hatte, hatte Bestand. Mehr als 200 Schulen des iai waren entstanden, inspiriert von seinen Lehren.

Hayashizaki Jinsuke Shigenobu nannte seine Schwertkampfschule zunächst Junpaku Den und später Musō-ryū Hayashizaki. Doch seine Schüler (deshi) und Nachfolger bevorzugten die Bezeichnung Shin Musō Hayashizaki-ryū oder Shinmei Musō Hayashizaki-ryū, wobei die Vorsilben shin bzw. shinmei auf die göttliche Inspiration anspielten. Mitunter finden sich auch die Namen Rinzaki-ryū, wobei Rinzaki eine andere Lesart der japanischen Schriftzeichen für Hayashizaki darstellt.

Wie lässt sich eine solch erstaunliche Wirkung der Lehren dieses Mannes erklären? Der entscheidende Punkt ist, dass Jinsuke Hayashizakis battōjutsu eine klare Ausrichtung auf Vergeistigung des Schwertkampfes besaß, und dies in einer Zeit, da die zu Untätigkeit gezwungenen Samurai nach einem neuen Sinn für ihre Anstrengungen beim Training suchten, einem neuen Grund, über sich selbst hinauszuwachsen, ganz im Sinne der Kriegerethik der tapferen bushi vergangener Zeiten. Der neue von Jinsuke entwickelte Stil hob sich von allen anderen im Lande ab, da er sowohl die chinesischen Theorien von Yin (in), dem negativen Element, und Yang (yo), dem positiven, als auch die Lehren des Zenbuddhismus des berühmten Mönches Takuan (1573 - 1645) – einen Weg des inneren Friedens und der Selbstvervollkommnung – in sich einschloss. Nach seinen Lehren, die auch das Wesen des echten iaidō unserer Zeit prägen, bestand das höchste Ziel des Schwertkampftrainings nicht mehr nur darin, das Schwert in vollendeter Weise als Waffe einzusetzen. Dank Jinsuke gewann die Kunst, die bereits als »das Ziehen des Schwertes« bekannt war, eine nichtaggressive Ausrichtung: Nur zur Verteidigung durfte sie im Kampf eingesetzt werden. Letztendlich ging es sogar um das Prinzip des Nicht-Kämpfens, was die Kampftechniken in ein Mittel der spirituellen Suche des Kriegers verwandelte. Die Kunst des Jinsuke ist ein Weg, der es dem Menschen ermöglicht, unter allen Umständen den Gleichmut zu bewahren und sein Ego zu disziplinieren. Dieser Weg führt zu einer solchen Schärfe des Geistes, dass der Praktizierende die sichtbare wie die unsichtbare Welt besser verstehen lernt. Der Feind ist am Ende nicht mehr außerhalb, sondern im Innern.

 

Eine solche Entwicklung rief auch Kritiker auf den Plan. Wie sollte bei solchen konzeptionellen Veränderungen, die natürlich auch zu einer Wandlung der Techniken führten, die Effektivität im realen Kampf gewährleistet werden im Vergleich zu den alten Techniken, für die die geistige Komponente noch keine größere Rolle spielte? So beginnen viele der Techniken, die Jinsuke zugeschrieben werden, in einer knieenden Position (seiza), was den alten Kriegern Japans aus den von zahllosen Schlachten geprägten Zeitaltern höchst sonderbar vorgekommen wäre. Diese Position wie auch die Haltung, bei der man mit erhobenem rechten Knie auf der linken Ferse sitzt (tate-hiza) ist eine »tote«, das heißt, starre Haltung.9 Hinzu kommt, dass die Samurai als Symbol ihrer Privilegien und als äußeres Zeichen ihres sozialen Ranges das daishō trugen, das heißt, das Paar aus langem (ōdachi) und kurzem Schwert (kodachi). Man kann leicht zeigen, dass ein iaidōka in knieender Position, der sein katana auf korrekte Weise im Gürtel trägt, das heißt, mit nach oben gerichteter Schneide und dem tsuba (Stichblatt) in der Mitte des Körpers auf Höhe des Nabels, so wie es der Stil vorschreibt, unmöglich das kurze Schwert im selben Gürtel tragen kann. Darüber, was ein Krieger tun soll, wenn er sich, wie es bei bestimmten Gelegenheiten erforderlich war, von seinem Langschwert trennen musste, schweigt das Shin Musō Hayashizaki-ryū. Normalerweise konnte ein Samurai in diesem Fall sich wenigstens noch mit seinem Kurzschwert verteidigen, wenn dies erforderlich war. Doch kein Praktizierender des Shin Musō Hayashizaki-ryū übt sich im Gebrauch desselben. Und es gab noch ein Problem: Die Art und Weise, wie im Shin Musō Hayashizaki-ryū das einzige Schwert am Gürtel befestigt wird, entspricht nicht der Trageweise des daishō. Das wiederum bedeutete einen Verstoß gegen die Etikette und zudem eine reelle Gefahr. Indem man die Scheide (saya) an der linken Seite nach hinten gerichtet trug, bestand das Risiko, damit versehentlich an das Schwert eines anderen Samurai zu stoßen. Solch ein saya-ate wurde als absichtliche Provokation aufgefasst, als eine Kränkung, die unverzüglich zu rächen der Gekränkte jedes Recht hatte, selbst mit einem Schwertstoß in den Rücken. In manchen Schulen, wie dem Shinkage-ryū (Bishu Yagyū), wurde das saya-ate als Taktik, sich »kränken« zu lassen, gelehrt, damit man den »Angreifer«, ohne ihm entgegentreten zu müssen, mit einem guten Vorwand niederstrecken konnte.

Ist das Shin Musō Hayashizaki-ryū nun eine ausschließlich spirituelle Übung oder noch immer eine Kampfkunst? Zweifelsohne trifft beides zu, selbst wenn die Techniken mit der Waffe extrem vereinfacht wurden. Man kann auch sagen, dass gerade diese Vereinfachung, die Präzision und Klarheit der Bewegung, die Konzentration und die Schnelligkeit der Handlung vieles, das für gewöhnlich als für den Kampf vorteilhafter gilt, ersetzt. Das heißt tatsächlich, dass dieser neue Geisteszustand, der durch die Praxis des iaidō entwickelt wird, dem entspricht, was in allen japanischen Kampfkünsten als sen-no-sen bezeichnet wird: Man strebt danach, den Gegner zu besiegen, indem man in genau dem Augenblick blank zieht, in welchem sich in dessen Geist die Absicht anzugreifen formt. Dies ist das Konzept des kobo-ichi – Angriff und Verteidigung sind eins –, welches den Kern jeder echten Kampfkunst bildet.

In diesem Sinne ließen die Lehren des Jinsuke seine Schüler zu wahren Pionieren der Kunst, das heute als iaidō bezeichnet wird, werden, die mit dem iaijutsu von einst nur noch teilweise zu tun hat.

Schulen wie das Musō Shinden-ryū und das Musō Jikiden Eishin-ryū, die zu den heutigen Erben der Lehren Jinsuke Hayashizakis zählen, stellen hervorragende Beispiele für Budō-Disziplinen dar, in welchen der Abstand, der die reine Techniklehre (jutsu) von einem echten Weg () trennt, deutlich erkennbar wird. Mit dem – zu Recht oder zu Unrecht – Hayashizaki Jinsuke Shigenobu zugeschriebenen geistigen Beitrag wurde der »Weg des Schwertes« zu einer klassischen Kunst.


Wenig zählt die Länge seines Schwertes, wenn der Mann nicht um die Tugend weiß.

Chinesisches Sprichwort

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