Читать книгу: «Jakob der Letzte», страница 6

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DER JACKERL IST EIN ENGERL WORDEN

An dem Abende des Tages, als der Guldeisner sein Haus verkauft hatte, kamen vom Gebirge her Männer und kehrten im Steppenwirtshause ein. Sie kamen unverrichteter Sache, sie hatten ihn nicht gefunden.

Seit Tagen wurde das älteste Söhnlein des Reuthofers gesucht. Der Knabe war – wie es hieß – wegen Widerspenstigkeit in einen Moosbarren gesperrt gewesen, daraus entkommen und seither verschwunden. Man hatte bei den Nachbarn umgefragt, draußen in Sandeben gefragt, in den Wäldern gesucht, auf den Almen gesucht, man hatte ihn nicht gefunden, keine Spur von ihm entdeckt.

Weit hinten im Donnersgraben hauste ein Pechölbrenner, eines Köhlers Kind, das nie aus dem Walde fortgewesen. Dieser Pechölbrenner war voll Schnurren und Späße, er verstand allerlei Kurzweil. Er schnitt Pfeifen und spielte darauf; er machte aus trockenen Lattichblättern Drachen und Geier und ließ sie steigen; er schnitzte kleine Rädchen mit Hämmern, stellte sie ans Wasser und ließ sie klappern; er meißelte aus Föhrenrinden Hirsche und Kamele; er baute niedliche Grillenhäuschen, Mausfallen, machte Fliegenklappen, Schmetterlingsnetze und dergleichen. Diese Dinge trug er, wenn er mit seiner Pechöllagel hausieren ging, zu den Häusern, verschenkte sie an die Kinder und bekam dafür von der Bäuerin etwas zu essen. Der Pechölbrennernatz ward nie allein gesehen, wenn er über und über mit Sachen behangen in Altenmoos umging; immer folgte ihm ein Schwarm von Kindern, und manches Knäbel stieg ihm nach bis hinauf in den Donnersgraben, wo es dann in der Hütte des Waldmenschen geatzt und gehegt ward.

Der Pechölbrennernatz hatte sein Lebtag drei Weiber gehabt, aber nicht nebeneinander, das ist in Altenmoos niemals der Brauch gewesen, sondern hintereinander. Die erste hatte seinen Erwerb in bunten Wollkleidern und Seidentüchern vertan und mit dem fürnehmen Gewand ihren dürren Leib geziert, daß das Ding nur so gespensterhaft herumgeflattert war in der Gegend. Die zweite hatte seine Groschen in Schnaps vertrunken und nebstbei in den Sommerstadeln und Köhlerhütten herumgeschlafen. Die dritte war arbeitssam und sparsam, hatte aber dem Natz mitunter ein Scheit an die Füße oder an den Rücken geworfen, wenn er von seiner Hausiererei zu wenig Geld heimgebracht. Keine dieser drei Holden hatte ihm ein Kind geboren, und der Natz hätte gar gern so etwas Kleines gehabt, ein lebiges Kindel, oder deren mehrere oder viele. Sein einziger Wunsch war, ein König zu sein und ein Königreich voll Kinder zu haben. Die drei Weiber lagen nun längst draußen in Sandeben friedlich nebeneinander. Der Natz, wenn er an den Sonntagen hinauskam, betete allemal drei Vaterunser bei ihnen und ging dann wohlgemut wieder heim in seine Waldhütte. Jetzt ging ja frisch sein Leben an, er war ein altes Kind mit den Kindern und für die Kinder.

So war man auf die Vermutung verfallen, des Reuthofers Knabe, der Jackerl, sei vielleicht zum Pechölbrennernatz hinaufgegangen. Aber der wußte nichts von ihm, löschte jedoch sofort seinen Pechölofen aus und ging mit auf die Suche.

Jakob der Vater war am ersten Tage der Suche arg zornig gewesen auf seinen ungeratenen Sohn; am zweiten Tage kam er ins Bedenken, ob die Behandlung mit dem Moosbarren wohl das rechte Mittel gewesen sei, den Knaben zu bändigen; am dritten Tage hub eine heimliche Angst an, sein Herz zu zerfleischen. Seinem Weibe – der Maria – zu tat er wohl immer noch, als sei er gegen den Knaben aufgebracht, denn die Maria tat nichts mehr als weinen und beten.

Sie hatte sich mattgelaufen und heiser geschrien in der Gegend, und daß das Kind so lieblos und verblendet gewesen und seinen Eltern und Geschwistern entflohen sein sollte, als wären sie seine grimmigsten Feinde, das tat ihr am meisten wehe. Seine besonderen Wege war der Knabe von erster Kindheit an gern gegangen, mit fremden Leuten war er mehrmals fortgezogen und als fünfjähriger Knabe hatte er sich draußen in Sandeben einmal einer Zigeunerbande angeschlossen. Es hieß damals, die Landstreicher hätten den Knaben verhext und ihm ein Tränklein beigebracht, daß er seither keine Lab’ und Lieb’ daheim mehr empfinden könne. Die Maria bekannte nun, es sei ihr immer vorgegangen, mit diesem Kinde würde es eine andere Wendung nehmen als mit gewöhnlichen Kindern, sie behauptete, es habe immer ein ganz besonderes unerforschliches Wesen gehabt und es sei ihr oft beigekommen, Gott müsse mit ihm etwas Eigenes im Sinne haben. Wenn sich das Weib ausgeweint hatte, dann kam plötzlich wieder die Zuversicht, es müsse mit dem Jackerl zu einem großen Glücke ausschlagen. Wenn er nur so viel gewesen und zu mir gekommen wäre! rief der Pechölnatz häufig aus, wir wollten uns schon unterhalten haben miteinand’. Und hätt’s sein müssen, das Umlaufen, so hätt’ ich ihm die Pechölbutten auf den Buckel geschnallt: Jetzt lauf’ um zu den Leuten, jetzt weißt warum!

Am vierten Tage des Suchens brachte jemand die Nachricht, oben am Fuße des Hochgebirges, im Gottesfrieden, am Rande des kleinen Sees, seien zwei Knabenschuhe gefunden worden. Als man diese Schuhe der Maria zeigte, wendete sie sich rasch davon ab, wankte in den Winkel der Stube und sank dort zu Boden. Es waren die Schuhe des Jackerl. Sie waren handgerecht aufgeriemt und von den Füßen gezogen worden, und das erklärten sich die Leute so: Der Knabe sei auf seiner Wanderung im Gebirge von Hunger befallen worden und habe in dem See Forellen fangen oder sich die wunden Füße baden wollen. Er habe die Schuhe ausgezogen, sei in das Wasser gestiegen, habe sich zu weit vorgewagt und sei in der Tiefe versunken. Etliche meinten, es könne auch anders gewesen sein: Der Knabe habe sich der Schuhe entledigt, um mit bloßen Füßen leichter die Felswand hinanzuklettern, und wenn sein Leichnam im Hochgebirge nicht gefunden werde, so sei er nach dieser Richtung hin davon und werde wohl so leicht nicht eingeholt werden können. Der Untergang im See war übrigens weitaus glaubwürdiger.

Da bis an den fünfundzwanzigsten Juli, als an dem Tage des heiligen Apostels Jakobus, keine Spur gefunden und keine Kunde von dem Knaben gekommen war, begingen sie in der Pfarrkirche zu Sandeben die Totenfeier für den verunglückten Jackerl.

Das Elternpaar war ruhig und ergeben. Der Schmerz hatte ausgetobt, jetzt war der Tag zum Gebet und frommen Gedenken. Es war ein düsterer Hochsommertag mit Regen und Donner. Die Kerzen des Altars widerstrahlten an der Vergoldung und legten ein trübes Rot an die Kirchenwände. Die Kirche war voll von Menschen, die Altenmooser hielten zusammen in Leid wie in Freude. Die Maria kniete in ihrer Bank und schloß die Augen. Frohe Bilder aus Jackerls Kindheit dämmerten in ihrer Seele auf; alle Unarten und Wildheiten des Knaben waren vergessen, heiter, schön, sanft, kindlich und zärtlich, wie man sich das Anbild eines Kindes denkt, so stand der Knabe nun vor dem schöpferischen Mutterauge, und schließlich versammelten sich alle ihre Gedanken und Empfindungen im Gottesfrieden, wo der See ist. Dort stand ihr Herz wie am Eingange der Ewigkeit, und sie klopfte an. Aber der Jackerl wollte nicht kommen, um zu öffnen. Und die Mutter weinte still in sich hinein.

Der Jakob kniete neben seinem Weibe. Sein Auge war tränenlos, sein Gesichtszug fast herb. Das Gedächtnis an sein Kind war nicht rein geworden von Bitterkeit und Vorwurf. Oft stand der körperlich so schön gewesene Knabe wie eine Mißgeburt vor ihm. Der trotzige Junge, dem der Zug aller Jakob Steinreuter, die Anhänglichkeit an Eltern und Heimatserde so ganz und gar mangelte, der das Vaterhaus mißachten und treulos verlassen konnte – war das wirklich ein Altenmooser Kind, war es kein Wechselbalg gewesen? Nichts war von jeher den Steinreuterleuten verächtlicher vorgekommen, als ein Stromer; ohne festen Grund und Halt wie seine Füße sind, ist der Charakter eines Vagabunden. Der rechte, echte, feste und treue Mensch muß irgendwo wurzeln, nicht anders wie ein Baum, ein Kornhalm. – Im Kirchenschiff flogen ein paar Schwalben umher.

Selbst die losesten Geschöpfe, die beflügelten, wenn sie auch fortziehen, sie kommen alljährlich wieder zurück in ihre heimatlichen Dachfirste. Und so ein junger Nichtsnutz! Ein Steinreuterkind in Altenmoos davonlaufen! Davonlaufen! – Es hat ihm das Leben gekostet! – Wenn er sich’s freiwillig genommen hätte! Wenn er in der Heimat sterben wollte, weil er, vom bösen Zauber gehetzt, in der Heimat nicht leben konnte! – Die Tat wäre eines Jakob Steinreuter würdig. Gott schütze uns! Warum hätte er das Wasser gewählt, welches die Teile seines Leibes der Heimatserde entführt und in das weite Weltmeer hinausträgt! – „Er ruhe im Frieden!“ betete der Priester am Altar. Wo? fragte sich Jakob. Er hat im Leben keine Statt gehabt, er hat im Tode keine. Und das ist mein Kind gewesen! – So sann Jakob. Der Bauer zu Altenmoos konnte freilich keine Vorstellung davon haben, daß auch das Geschlecht der Steinreuter seinen Anteil hat an dem Geschicke des Ewigen Juden, daß auch dieses Geschlecht seinen friedlosen Weltpilger gebären muß, und daß solcher Sprößling um so ungebärdiger seine weiten Wege suchen muß, je enger und fester sich der Kreis dieser Familie gehalten hatte. Wenn ein Geschlecht sehr einseitig ist, so steht in ihm plötzlich ein Mitglied auf, das nach der entgegengesetzten Seite ausartet.

Heiterer als der stillblutende Schmerz der Mutter, als die zornige Liebe des Vaters, war bei dem Gedächtnisamte die kindliche Andacht der kleinen Geschwister. Sie saßen neben der Mutter und schauten in das Schiff der Kirche empor, ob mit den Schwalben denn nicht auch ihr Bruder dort umherfliege. Es war ihnen gesagt worden, daß der Jackerl ein Engelein des Himmels geworden sei.

Der störrische, tollwitzige Bruder ein Engelein! Es ließ sich zwar nicht gut reimen, und ein Kinderkopf ist mitunter zu klein, als daß viel Ungereimtes darin Platz hätte. Die kleine Angerl schlichtete aber den Zwiespalt, indem sie dem kleinen Friedel zuflüsterte, es gebe halt auch wilde Engel, so wie es wilde Tauben gibt, und wenn der Jackerl im Himmel Flügel habe, so brauche er nicht durchzugehen, so könne er durchfliegen. Es war den Kindern nicht denkbar, daß der Jackerl in seiner ewigen Heimat ruhig sitzen bleiben würde.

Der Pechölnatz blickte in der Kirche fortwährend auf die zwei Kinder und freute sich sehr, daß sie nicht traurig waren; die Kinder müssen mit allem spielen können, auch mit dem Tode, und wenn sie einem Knochen Federn anbinden, so ist der Engel fertig.

Als sie nach dem Gottesdienste aus der Kirche traten, gerade unter dem Tore, gab der Jakob seinem Weibe etwas unsicher die Hand und sagte: „Es ist vorbei. Machen wir das Kreuz darüber.“

Von diesem Tage an wurde im Reuthofe über den Jackerl kein Wort mehr gesprochen. Wenn dem Vater irgendwo ein Kleidungsstück des verlorenen Knaben in die Hand kam, so schleuderte er es fast unwillig von sich, und doch krümmten sich seine Finger, daß es daran hängen bliebe. Die Maria aber barg solche Stücke in ihrem Gewandkasten und an den langen Sonntagsvormittagen, wenn alle anderen in der Kirche zu Sandeben waren, öffnete sie den Kasten, herzte und küßte die Kleider des Knaben und netzte sie mit ihren heißen Tränen.

KIRSCHENESSEN

So viel öffentliches Leben hatte Altenmoos wohl seit Urzeiten nicht gesehen, als in diesem Sommer.

Sonst waren die Wege nur befahren gewesen mit zweiräderigen Heu- oder Kornkarren, die Straße nach Sandeben mit Holz- und Kohlenfuhren, mit Viehtrieben, mit dem flotten Steirerwäglein, wenn der Guldeisner oder ein anderer, der’s tun konnte, in die Kirche fuhr. Und nun die mit Kisten und Kästen und allerlei Geräten hochbeladenen Wagen, welche vorsichtig die Berglehnen herabglitten und dann der Straße entlang zogen in der gleichen Richtung wie das Wasser. Feierlich gestimmte Menschen saßen auf dem Geräte oder gingen nebenher und hatten ihre Rücken vollgeladen.

Das waren die Auswanderer.

Das Siedeln aus dem Guldeisnerhofe hatte kein Ende nehmen wollen. Es waren zwar auch die Fahrnisse mit verkauft worden, doch hatte der Franz noch sehr viele Sachen, die nicht zum Hause, sondern zu seiner Person gehörten. Da waren alte kunstvoll gearbeitete Schränke, Stühle, Kästen, Bilder, Spiegel, Geschirre und Stockuhren. Die uralten Bettstätten seiner Vorfahren hatte er im Hause zurückgelassen, aber das Lotterbett aus rotem Zeug, das er sich selbst angeschafft, hatte er mitgenommen. Die Hämmer und Beile seines Vaters, das Spinnrad seiner Mutter hatte er im Hause zurückgelassen, den großen Wandspiegel, den er sich selbst zu Zier und Prunk angeschafft, hatte er mitgenommen. Als der Franz das letztemal durch die ausgeleerte Stube geschritten war, widerhallten seine Schritte so laut und unheimlich, daß er erschrocken um sich sah. Das Gewehr an der Schulter, dem Jagdhund pfeifend, so verließ er das Haus seiner Väter. Als Chevalier wollte er fortziehen! Als er am Hausbrunnen vorüberkam, schleuderte ein Windstoß den aus dem Ständer sprudelnden Quell spritzend gegen den Franz hin. Zwei Knechte sahen es und sagte der eine: „Der Ständer besprengt ihn mit Weihbrunn!“ „So schön!“ sagte der andere, „gar der Brunnen spuckt ihm nach!“

Aber die Siedelfuhren des Guldeisner waren lange nicht die einzigen, die fortzogen. Nebst dem Knatschel und dem Klachel und dem Waldstuber hatten auch der Steppenwirt und der Zwieselbaumer ihre Häuser verkauft und selbst der Sepp in der Grub das seine. Der Sepp, der so festständig schien: als er das Geld des Guldeisners sah, war’s um ihn geschehen. Er hatte sich eine Weile gewehrt gegen die Versuchung, aber je länger er mit ihr umtat, je größer wurde sie. Er schlief nicht mehr, er aß nicht mehr und so verfiel er auf die Ausrede: Aus Gesundheitsrücksichten müsse er sein Gut verkaufen und Luft wechseln. Der Steppenwirt hatte sich ausbedungen, daß er auf der Hube sein Leben lang sitzen bleiben und Getränke ausschenken dürfe. Jetzt, da so viel Geld ins Land kam, sollte ja für das Wirtshaus eine gute Zeit anheben. Der Steppenwirt hing ein frisches Reisigbüschel vor die Haustüre als landesübliches Weinzeichen; einem eintretenden Gaste rief er zu: „He, Vetter! Es mahnt zum Einkehren und bleibt selber draußen, was ist das? – Das Wirtsschild ist’s. Na, was schaffest?“

Nun hatte sich der Steppenwirt mit dem Waldmeister verabredet, in seinem Hause ein Auswandererfest zu veranstalten. Das war den Bauern, die ihre Taschen voll hatten, ganz genehm, sie wollten noch einmal lustig sein in Altenmoos, bevor sie davongingen; nicht mehr als kümmerliche Kleinbauern lustig sein, sondern als freie Leute von draußen, als „Herren“. Dem Waldmeister war das Fest darum recht, weil es für das Häuserverkaufen und Auswandern der Übrigen Stimmung machte.

Und der Steppenwirt meinte, er wolle ein Wohltätigkeitsfest daraus machen, denn gute Einnahmen täten ihm immer wohl.

Der erste Sonntag im August war dazu bestimmt und nachmittags um 3 Uhr, als die Leute vom Gottesdienste in Sandeben zurück sein konnten, hub es an.

Der gewesene Guldeisner beteiligte sich nicht daran, der residierte bereits in seinem angekauften „Schlössel“ bei Krebsau im Freisingtal und gab sich mit den Altenmooserleuten nicht mehr ab. Aber zwei Eimer Wein schickte er und ließ sagen, sie sollten auf ihr eigenes Wohl trinken, um das seine brauchten sie sich nicht zu kümmern. Der Wirt nahm vornehmen Wirtsbrauch an, indem er vom gespendeten Wein zwar nicht Stoppelgeld, wohl aber nach seiner Art Zapfengeld einzog. Eingeladen war ganz Altenmoos. Zu den Veranstaltern gehörte auch der Sepp und der Knatschel. Dieser war aus Sandeben gefahren gekommen; er fühlte sich heute als einer der Wichtigsten, war er doch der erste gewesen in der Gegend, der das Haus verkauft hatte, sozusagen der Bahnbrecher hinaus in die Welt.

Der Waldmeister, der zwischen seinem Herrn und den Bauern vielfachen und immer lebhafteren Vermittler abgab, waltete heute seines Amtes. Er hatte viel Reisig hergelassen, um das Haustor und den Tanzboden zu schmücken. Sonst pflegte man in Altenmoos nicht zu tanzen, so lange noch ein Kornhalm auf dem Felde stand, um nicht durch unzeitige Lustbarkeit Gott, den Herrn des Gewitters, zu reizen. Jetzt bangte den Auswanderern nicht mehr vor Sturm und Hagel; die meisten hatten ja auch die diesjährige Ernte, obwohl sie noch nicht reif war, bereits mitverkauft. Und wenn’s den Kampelherrn schlägt, so tut’s nicht weh, und tut’s ihm weh, so helf’ ihm Gott!

Auch der alte Pechölbrennernatz war da; der Lustbarkeit war er kein Feind, und wie ihm sonst die Kinder nachliefen, so tat er es heute den jungen Weibsleuten, und diese taten es ihm, denn er hatte die Zither bei sich. Da ist den Weibsbildern keiner zu alt, tanzt er schon selber nicht mehr, so spielt er doch dazu auf. Etliche Dirndeln hatten sich an den Sandler-Sohn zu Altenmoos, den Sebast, machen wollen, der vor dem Wirtshause etwas gelangweilt umherstrich.

Der Sebast war ein schneidiger Tänzer, und was noch mehr ist, einer zum Heiraten. Der alte Sandler war schon mühselig und sollte demnächst seinen Sandlerhof auf den einzigen Sohn abtreten. Der Vater saß beim Wirtstisch, der Sebast setzte sich nicht dazu. Er war heute verstimmt. Da hatte ihn der Waldmeister fast zärtlich angesprochen, ob er nicht seinen Vorteil wahrnehmen wolle? Der alte Vater Sandler habe einen sorgenfreien Feierabend vollauf verdient und der Junge würde sich mit dem gescheiten Köpfel überall besser stehen, als da auf dem Berge oben, wo die Nachtigallen kohlschwarz wären und „krah! krah!“ schrien. Der Sebast erkenne gewiß die neue Zeit und werde sie nutzen wollen. Allerwärts streben die Leute was Besseres an und trachten vorwärts zu kommen, warum sollte gerade der Bauer auf seiner jämmerlichen Scholle sitzen bleiben? Der Sebast möge seinem Vater raten, das Gütel zu verkaufen. Ein so günstiger Zeitpunkt komme sobald nicht wieder. Er – der Oberförster – wisse zwar nicht sicher, ob es der Kampelherr nehme, würde aber sein Wort dafür einlegen, und was der Herr kaufe, das werde auch anständig bezahlt.

Der Bursche hatte auf solche Vorstellungen nicht viel gesagt, sondern sich langsam gegen die Kugelbahn hingezogen. Dort schob er die Kugel hinaus, traf aber nichts. Er hatte zu scharf geschoben, da war sie links in die Ecke gefahren, dort an der aus Weiden geflochtenen Wand hoch aufgesprungen, dann niedergefallen und im Winkel liegen geblieben. – Ja, just so! Das Haus verkaufen! Jetzt! Jetzt, wo er gerade die Dullerl heiraten will!

Die Dullerl – der er gedachte – war heute daheim in ihrem Bachhäusel beim Vieh. So wollte es auch dem Sebast nicht behagen im Wirtshaus. Was gehen ihn die Auswanderer an! – Er verließ das Wirtshaus, ging über die Sandachbrücke und an dem scharf niedertosenden Wässerlein eines Seitengrabens entlang hinauf gegen seinen Hof. Er war immer gern daheim, und besonders wenn man nicht gut gestimmt ist, tut sich’s daheim besser, als unten beim Wirt. Höchstens zum Raufen, sonst ist er heute zu nichts aufgelegt.

Der Sebast war nicht gar hoch gewachsen, aber dafür wohl untersetzt und kernig. Auf dem sehnigen Leib saß ein stattlicher Kopf, an dem die Haare stets kurz geschoren waren, weil es der Bursche liebte, des Morgens und des Abends das Haupt in den Wassertrog zu stecken. Er hatte in seiner Kindheit viel an Augenentzündung gelitten und da war er auf den Gedanken gekommen, das Blut in andere Winkel des Körpers zu jagen, wo es weniger Übel anrichten könne, als in den Augen. Diese waren nun wirklich recht gesund, klar und keck geworden, und so viel Geblüt war immer noch im Kopf geblieben, um frischrote Wangen und Lippen zu besorgen. Mit dem Bart sah es noch etwas kümmerlich aus, sintemal der Mensch mit zwanzig Jahren sein Wachstum besser verwerten kann, als um mit ihm aus jungem Fleisch und Blut Haare hervorzuspinnen, die doch keine Freude geben, hingegen Schmerzen machen, wenn eine Bosheit kommt und daran umzupft. Nur bei einer, dachte sich der Sebast manchmal, bei einer einzigen müßte das Zupfen Spaß machen, doch dieselbige – dieselbige ist so gottlos rückhältig … Geheiratet wird sie aber doch.

Am Waldstuber Feldrain dahin ging eine Gruppe von jungen Leuten, Burschen und Dirndeln durcheinander. Sie schäkerten, sie liefen auseinander, spielten Abfangen und schritten dann wieder zu Paaren langsam dahin.

Sie huben an zu singen. Eines der Dirndeln begann:

Wann die Glock’n hell klingt

Und das Büaberl schön singt

Und der Kuckuck recht schreit,

Ist die lustigi Zeit!

Diese Veranlassung benützte ein Bursche zu folgendem Liedel:

Im Tauern tuat’s schauern,

Tuat’s Grießerln werfn,

Und ih werd’ mei Dirndel

Doh gern habn derfn!

Hierauf sang sie:

Ih Nixnutz, du Nixnutz,

Geld habn mir all’s verputzt,

Ih nix schön, du nix schön,

Wie wird’s uns geh’n!

Der Bursche legte seinen Arm um den Nacken der munteren Sängerin und trällerte:

Z’nächst habn ma’s Wiesel g’maht,

’s Dirndel hat d’ Mahd’n ausg’strat (gestreut),

Habn uns in Schattn g’setzt,

Habn amal g’wetzt.

Auf solches entgegnete das Dirndel:

’s Wetzn is lusti,

Wann d’ Sensn schön klingt,

Aber lustiger is’s,

Wann da liabsti Bua kimmt.

So waren sie nach und nach gegen den jungen Lärchenanwachs gekommen, der Fußsteig führte hinein.

Der Sebast hatte der fröhlichen Gesellschaft von weitem zugeschaut und zugehört. Jetzt, da er sie nicht mehr sah, wollte ihm schier seine Einsamkeit anheben, wehzutun.

Hinter dem Sandlerhause, am Raine des Pfrängers standen etliche Wildkirschenbäume. Die einen trugen rote Kirschen, die anderen schwarze; reif waren beide Gattungen. Die schwarzen sind süßer, die roten sind würziger, dachte sich der Sebast und stieg rasch einen Baum hinan, der rote Kirschen trug. Er atzte sich; das ist besser wie der Steppenwirtswein. Und vom Guldeisner Almosenwein trinken, steht ihm nicht an. Die Kerne schnellte er mit den Lippen ins Laubwerk, zwischen dem sie zu Boden rieselten. Es heißt, daß aus jedem Kirschkern, der in die Erde kommt, ein Baum wachsen kann. Dann hat der Sandler-Sebast alle Kirschbäume, die in fünfzig Jahren an diesem Platze stehen werden, im Mund gehabt.

Da sollte nun aber dieser Sonntagsnachmittag für den Burschen eine ungeahnte Wendung nehmen.

Lange hatte er noch nicht Rotkirschen gepflückt, als unten auf dem Wege etwas dahertrappelte. Etwas Sechsfüßiges war’s. Des Bachhäuslers Dullerl kam und führte am Strick ein falbes Rind. Als sie merkte, daß jemand oben im dicken Geäste des Baumes war, sagte sie zu ihrer Gefährtin: „Oha, bleib’ stehen.“ Dann rief sie hinauf: „Ist der Sandler oben? Unsere Kalm hätt’ ich da und mein Vater läßt schön bitten um den Jodel!“

„So“, antwortete der Bursche oben im Laubwerk.

„Vor vierzehn Tagen“, berichtete das Dirndel, „bin ich mit ihr beim Grubbauer Jodel gewest, der ist aber nichts nutz, und sie ist nicht geblieben. Heute hat ihr der Vater einen lebendigen Fisch eingegeben, und jetzt, denk ich, wird’s es wohl tun. Bitt’ gar schön. Will nachher gern einen halben Tag Korn schneiden helfen dafür.“

„Ist schon recht“, sagte der Bursche, stieg rasch niederwärts und sprang auf den Rasen. Schier erschrak sie. „Du bist es, Sebast“, sagte sie verblüfft, „jetzt hab’ ich bumfest gemeint, es wär’ dein Vater oben.“

„Mein Vater, der ist heut’ bei der Lustbarkeit“, antwortete der Bursch. „Wart’, Dullerl, tu’ deine Kalm da in den Pfränger, ich mach’ die Schranken auf. So. Und jetzt werd’ ich ihn gleich bringen.“

Er ging in den Stall und kam bald mit dem klotzigen Rind zurück, das einen dicken Hals mit schlotternder Fahne hatte, an Farbe fast schwarz war bis auf die weiß verbrämte Schnauze und den lichten Streifen über das Rückgrat hin. Der Bursche hatte den stattlichen Gesellen fest bei einem der kurzen dicken Hörner gefaßt, dergestalt leitete er ihn herbei und durch die Schranke in den Pfränger hinein zur Kalm.

„So“, sagte er hierauf und schloß die Schranke. „Wir zwei können derweil Kirschen essen. Magst ihrer, Dullerl?“

„Kirschen mag ich schon“, antwortete sie, blickte ihn aber nicht an, sondern ging von ihm hinweg gegen den Gartenzaun hinüber, wo man weder auf den Pfränger noch auf die Kirschbäume sehen konnte. Dort lehnte sie sich an die Planke und betrachtete den schönen Salat, die vielen gelben Rüben und den Meerrettich, so die Sandlerleute hatten.

Lange ließ sie der Sebast nicht allein, er kam und brachte in seiner Zipfelmütze Kirschen. Rote und schwarze durcheinander.

„Magst dich nicht in den Schatten setzen?“ fragte er das Dirndel. Es war ein Holunderbusch in der Nähe.

„Mir schadet auch die Sonne nicht“, gab sie zurück.

„Willst ’leicht noch besser zeitig werden?“ fragte er und blinzelte sie an.

Um diese Meinung Lügen zu strafen, setzte sie sich in den Schatten des Holunderbusches.

Er setzte sich langsam zu ihr, tat auf dem Rasen seine Zipfelmütze auseinander und lud sie ein: „Laß dir’s schmecken, Dullerl.“

Sie griff zu und griff immer nach den schwarzen. Er wendete sich herwärts, stützte seinen Arm auf die Erde, den Kopf auf den Ellbogen und schaute sie an. Herzig war sie. Ihr gelbseidenes Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten und den Zopf wie einen Kranz um das Köpfel gewunden. Die schwarzen langen Augenwimpern senkten sich wie Dachvorsprünge über helle Fensterlein. Die roten vollen Lippen waren wie zwei sachte aneinandergelegte Kißchen und das Stumpfnäslein stülpte sich ein wenig auf, als wollte es sagen: Sebastel, wenn du etwa bei den Lippen was zu schaffen haben solltest, ich stehe dir nicht im Wege.

„Dullerl“, flüsterte der Bursche, „jetzt hab’ ich dich einmal, wo ich dich haben will.“

„So“, entgegnete sie spitzig, „das wäre mir was Neues.“

„So selten allein kann eins mit dir sein.“

„Und bei mir bist auch nicht allein“, lachte sie, „haben eh’ nichts zu tun beieinander.“

Er spielte mit einem Grashalm und entgegnete leise, fast gedrückt: „Da bin ich anderer Meinung. Schau, Dirndel, einmal müssen wir’s doch richtig machen miteinand’. Weißt eh’, weswegen.“

Sie spielte jetzt mit einem Kirschenstengel, den sie auf ein Kleeblatt wie auf eine Wagschale legen wollte. Das Blatt neigte sich aber immer und ließ den Stengel hinabgleiten. Endlich hielt er fest, da sagte sie fast traumhaft leise und ohne aufzublicken: „Heiraten.“

„Schau, Dirndel, gleich hast mich verstanden. Ich weiß es ja, du magst.“

„Wenn du mich heiraten willst?“

„Ich schwöre dir’s!“

Sie hielt ihm mit der flachen Hand den Mund zu: „Nicht schwören, Sebast! Daß du willst, kann ich mir ja denken. Aber ob du auch darfst, das ist eine andere Frag’.“

„Ich darf nicht bloß, ich will nicht bloß, ich muß!“ sagte der junge Sandler. „Mein Vater ist alt und kann der Wirtschaft nimmer recht Herr sein. Seit die Mutter nicht mehr ist, freut ihn auch nichts. Und ich, wenn ich das Haus nicht wollt’ übernehmen, wär’ aufs Jahr bei der Stellung.“

„Bei der Stellung schon?“ fragte sie lebhafter, „Sebast, dich können sie leicht behalten!“

„Meinst, daß ich tauglich bin?“

„Warum denn nicht?“

„So nimm mich du!“ sagte er schalkhaft und schlug sein Knie um, das gegen Himmel gestanden war, „bei dir stell’ ich mich lieber.“

„Ich brauch’ keine Soldaten“, sagte sie.

Dann schwiegen beide. Sie spielte mit dem Kleeblatt, er mit dem Rispenhalm, den er wie einen Reifen bog. „Dullerl“, sagte er nach einer Weile fast blöde, „ein bissel eine Freud’ wirst doch haben zu mir.“

Sie war sehr vertieft in ihr grünes Blättchen. Endlich sagte sie treuherzig: „Keine Arme wirst halt nicht mögen.“

Der Bursche versetzte: „Auf’s Geld ist der Sandlerhof nicht eingerichtet, aber auf die Arbeit. Hausvater und Hausmutter müssen bei uns die besten zwei Dienstboten sein, so ist es alleweil gewesen. Wenn sie einander gern haben, arbeiten tun sie mit Willen. Und ein bissel gern haben, Dullerl, das wirst mich doch!“

Sie nickte kaum merklich mit dem Kopf.

Er tastete nach ihrer Hand und flüsterte: „Gehört hab’ ich’s nicht, aber gesehen hab’ ich’s. Das ist mir noch lieber. Es ist ausgemacht, du bist schon mein!“

Den Halm warf er weg und wälzte sich ganz über, so daß er nahe an ihr war. Sie saß fest und wich nicht zurück, die Zipfelmütze mit dem Rest der Kirschen legte sie hinter sich auf den Rasen. Dann wollte sie aufstehen, er hielt sie zurück, nahm mit beiden Händen keck ihr Köpfchen und preßte einen derben Kuß auf ihre Lippen. Sie schlug ihr braunes Auge auf und schaute ihn verblüfft an …

Der Schatten eines Holunderbusches pflegt sich sonst sehr langsam zu drehen; jetzt aber, da die beiden jungen Leute sich nach ihm umsahen, war er ihnen davongelaufen. Erschrocken merkten sie’s: sie hockten in eitel Sonnenschein.

Die Dullerl erinnerte sich plötzlich der Kalm. Als sie in den Pfränger gingen, stand sie gelangweilt an der Schranke. An der gegenüberliegenden Zaunecke stand etwas kopfhängerisch der schwarze Gespons.

„So, jetzt treib’ ich heim“, sagte das Dirndel und legte den Strick um die Hörner der Kalm. „Schön’ Dank!“ setzte sie bei, etwas nachlässig gegen den jungen Sandler gewendet, „sagst es halt, wenn du eine Schnitterin brauchst.“

„Ich hol’ sie selber!“ rief er, dann ging sie. Er blickte hin, plötzlich sprang er ihr nach und flüsterte ihr ins Ohr: „Von jetzt an verdrießt mich jede Stunde Alleinsein. Noch ein Busserl! Noch eins! Behüt’ dich Gott!“ –

Als die Dullerl mit dem Rinde hinabkam zu dem Bachhäusel in der dämmernden Bergschlucht, stand vor demselben der alte buckelige Bachhäusler und rief: „Kommt’s schon, allzwei?“

„Ja, Vater.“

„Wie ist sie gestanden?“

„Gut wird’s sein.“

„Ist recht“, sagte der Alte. „Was hast du nur da auf deinem Buckel für ein Mal? Das ist ein Kirschmal.“

„Ja, Vater“, berichtete sie rasch, „ich hab’ ein wenig Kirschen gegessen beim Sandler oben.“

„So“, sagte der Alte kopfschüttelnd. „Kirschen hast gegessen beim Sandler oben. Andere Leut’ tun mit dem Mund Kirschen essen. Du tust es mit dem Buckel. Ist recht. Ist recht.“

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23 декабря 2023
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9783990404843
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