Was dieses Weib so alles treibt

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Was dieses Weib so alles treibt
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Monika Starzengruber

Was dieses Weib so alles treibt

Geschichte einer liebenswerten, agilen Seniorin

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Der Einzug

Der Alltag beginnt

Der veränderte Alltag

Es grünt so grün

Der Tagesplan eines Babys

Wo ist das Baby?

Mit Musik geht alles besser

Arbeit macht die Freizeit süß

Vogelpflege gefällig?

Putzi der Papagei

Tante Else

Ein schwarzer Freitag

Der Jugendfimmel

Gartenfest der guten Nachbarschaft

Der Besuch

Weitere Werke von Monika Starzengruber

Impressum neobooks

Widmung

Ich liebe Doris Day Slapstik-Komödien. Auch heute noch verkörpern sie für mich Unterhaltung pur. Zum Dank für viele unbeschwerte Stunden widme ich Doris Day dieses Buch.

Der Einzug

Verflixt, wieder rot.

Heftig stieg Luisa auf die Bremse. Gerade noch, bevor sie die Stoßstange ihres Vordermannes rammte. Gebannt auf die Ampel sehend trommelte sie nervös mit den Fingern auf das Lenkrad und wünschte, dass dieses verdammte Ding endlich die Farbe wechselte.

„Verfluchte Scheiße!“

Luisa horchte auf und sah in den Rückspiegel, worin sie Florian, ihren Fünfjährigen, erblickte oder der besser gesagt - nicht erblickte, da ihn sämtliche Kartons verdeckten. Und er, wie es schien, einen aussichtslosen Kampf mit ihnen führte. Wie oft hatte sie diesem Bengel schon verboten solche Worte zu verwenden!

„Eine verfluchte Scheiße haben wir nicht im Auto, Flori, und du wirst ihr auch sonst nirgends begegnen, also lass gefälligst diesen Ausdruck!“

Hinter den Kartons, die vor Luisas Bremsung noch stolz die beachtliche Höhe eines Turmes bildeten, kam schüchtern Bewegung auf. Angestrengt versuchte der fünf Jahre alte Florian, sich die vollgestopften Schachteln vom Leibe zu halten. Sein finsterer Blick sprach Bände.

„Die blöden Schachteln fallen immer auf mich, wenn du bremst.“

Luisas Nervosität stieg. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst sie festhalten!“

„Sie sind so schwer!“ Als Bestätigung für seine Worte kippten zwei Kartons, die er von der Schulter drückte, auf seine Oberschenkel. Eine Ladung von Flaschen, zum Glück aus Plastik, Nudeln, Konservendosen, Milchpackungen und letzten Endes fünf nagelneue Zahnbürsten beehrten ihn auf dem Schoß. Luisa behauptete ja schon immer, dass der Kofferraum dieses Wagens zu klein für den Bedarf einer fünfköpfigen Familie war. Immer wurde am falschen Platz gespart und was war der Erfolg? Armer Flori! In einer jähen Aufwallung von Mitleid für ihren Jüngsten kniete sie sich auf den Fahrersitz und versuchte den Grund der Beanstandung zu entfernen. Inzwischen wechselte die Ampel von Rot auf Grün. Luisa in ihrem Eifer merkte nicht, was um sie herum geschah.

„Fass doch mit an, Flori!“

„Wie?! Ich hab bloß zwei Hände, aber wenn du willst, kann ich loslassen.“

Luisa begriff. „Nein - niiicht!“ Zu spät. Die Pracht der verstauten Lebensmittel war endgültig im Eimer. Ungeduldiges Hupen ertönte. Der Mitleidsturm der Luisa Sekunden vorher erfasst hatte, verebbte schlagartig.

„Ja, jaaa, schon gut, ich fahr ja schon!“ In ihrer Aufregung legte sie den vierten Gang ein, wofür sich das Auto mit Bocken und Hüpfen bedankte. Für Florian war das ein Grund an seinen Vater zu denken, der solche Situationen stets mit einem Erklärendem: „Frauen“, abtat.

„Mama, der Fahrer hinter uns hupt.“

„Wirklich? Und ich dachte schon das Radio spielt.“ Luisa versuchte, den ersten Gang einzulegen.

„Soll ich den Fahrer fragen, ob er ein Seil hat?“

„Wie? ... Was? ... Wofür brauchst du ein Seil?“ Luisa drehte den Zündschlüssel, der Motor kurbelte an. Abschleppen? Das fehlte noch! Sie gab vorsichtig Gas und atmete hörbar auf. „Nicht nötig, wir fahren schon.“ Luisas Eile und ihre Nervosität hatten einen Grund und der hieß: Mutter. Das war es aber nicht allein, es gab einen zweiten Grund: Es war Freitag. Für jeden anderen mochte es ein ganz alltäglicher Freitag sein, aber nicht für Luisa, Klaus ihren Mann und ihre drei Kinder. An diesem Freitag sollten sie Familienzuwachs erhalten. Kein Baby. Mutter. Luisa befiel leichte Übelkeit bei dem Gedanken. Nicht, weil Mutter zu ihnen ziehen wollte, es war der ungünstigste Zeitpunkt dafür. Die Tapezierer breiteten sich im Haus gerade aus, wie eine Seuche, die nicht mehr aufzuhalten war. Den Räumen fehlte jede Gemütlichkeit. Das Zimmer, das für Mutter bestimmt war, diente zur Stunde für alles Mögliche, nur nicht zum Wohnen. Wo sollte Mutter bloß schlafen? Daniel weigerte sich bisher strikt seiner Großmutter vorübergehend sein Zimmer zu überlassen und auf der Couch im Wohnzimmer zu übernachten, so lange bis die Tapezierarbeiten beendet waren. Mit fünfzehn Jahren brauche er seine Intimsphäre, erklärte er. Für Luisa war das natürlich kein stichhaltiges Argument, trotzdem verstand sie ihren Jungen. Im Wohnzimmer lagen unzählige Tapetenrollen herum, die noch verklebt werden wollten. Daneben thronte der Tapetentisch mit Werkzeug oben drauf, zwei mannshohe Leitern engten die Bewegungsfreiheit ein und der horrende Vorrat von Tapetenkleister und die teilweise noch klebrigen Tapetenschnipsel am Boden erinnerten an Besen und Putzlappen. Möbel waren unter den weißen Laken so gut wie keine zu sehen. Wem kam da schon ein müdes Gähnen aus? Höchstens ein Fluch, weil das Zeug an den Füßen kleben bleibt.

Seit zwei Wochen bevölkerten die Arbeiter das Haus. Die Geduld des Familienrates verformte unmerklich in Ungeduld, und so tauchte bald die Frage auf, ob sie nicht schneller arbeiten könnten. Worauf sie schlicht zu hören bekamen: „Zeit ist Geld.“ Sie hätten sie besser nach Tapetenrolle bezahlen sollen. Aber hinterher war man immer klüger.

„Ob Klaus mit Oma schon zu Hause ist?“

Luisa war in Gedanken. Die Worte ihres Sprösslings bahnten sich dennoch schleichend in ihr Denken. Im ersten Moment kam sie nicht darauf, wen Florian meinte. Doch als sie begriff, tadelte sie: „Du sollst deinen Vater nicht beim Vornamen nennen, wo bleibt da der nötige Respekt?“

„Du meinst, weil er ein Professor ist und in der Schule ein Lehrer?“

„Nein, weil er dein Vater ist.“

„Was ist Respekt? Will der auch mitkommen?“

Ups. Gerade noch bei Gelb über die Kreuzung.

„Was sagtest du, Flori?“

„Ob der Respekt auch mitkommt“, leierte er, jede Silbe im gleichen Tonfall, und scheinbar gelangweilt herunter.

Luisa stutzte. „Also, wenn du mich ärgern willst, dafür ist nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.“

Florian kicherte albern. Der Verkehr wurde dichter und Luisa hatte Mühe sich darauf zu konzentrieren. Noch nie war ihr der Weg nach Hause so endlos vorgekommen. Sonst, wenn sie an das eigene Heim dachte, regte sich so etwas Wohlbehagen und Geborgenheit in ihr. Derzeit keine Spur davon. Wenn sie geahnt hätte, was mit dem Tapezieren der Wände alles auf sie zukommen würde, hätte sie nie darauf gedrängt und liebend gerne verzichtet. Anfangs wollten sie nur ein Zimmer tapezieren lassen. Das Schlafzimmer. Es hatte es am dringendsten nötig. Aber dann fand Gerda, die Wände in ihrem Zimmer bräuchten auch frischen Teint. Trotz ihrer jugendlichen neun Jahre war sie manchmal sehr anspruchsvoll. Daniel wollte natürlich nicht hinter seiner kleinen Schwester stehen und plötzlich auch neue Tapeten. Irgendwann in dem Durcheinander kam einer auf die glorreiche Idee, dem ganzen Haus ein neues Aussehen zu geben. Wer das wohl war? Also wurden weitere Tapetenrollen aus dem Baumarkt angeschleppt. Darauf bedacht, die gröbsten Arbeiten so schnell wie möglich hinter sich zu bringen wurde in allen Zimmern zugleich angefangen. Luisa wusste nun, Zeit hatten sie damit keine gespart, im Gegenteil. Wie heißt es so schön? Beim nächsten Mal wird alles anders ...

Tapezieren hieß: Möbel rücken, heben, schleifen, in ein anderes Zimmer einstellen, daraufstellen, unterstellen, einzwängen, durchschlüpfen, darübersteigen, darüberfallen, je nachdem. Es bedeutete ein ewiges Suchen nach etwas, das man nicht fand und schließlich fand man etwas, so war es am Ende das, was man bereits vor einigen Tagen gebraucht hätte. Mit ein paar Worten ausgedrückt - im Haus herrschte ein einziges Chaos.

 

„Ich finde meine Schuhe nicht, hast du sie gesehen? Die Haarbürste lag vorhin noch da, wer hat sie weggenommen? Ohne Schultasche kann ich nicht in die Schule, aber in meinem Zimmer ist sie nicht. Wo sind meine Socken? Wo ist der verdammte Füllhalter?!“ So und ähnlich verlief der familiäre Dialog seit Tagen ohne Pause. Stets schien einer irgendwas zu suchen. Im Geiste hörte Luisa die mahnende Stimme ihrer Mutter: „Was machst du bloß den ganzen Tag?“ Was bloß. Wenn sie darauf antworten würde: Putzen, putzen und nochmals putzen, weil das Tapezieren Dreck mit sich brächte, wüsste Mutter: „Du hast schon immer einen Putzfimmel gehabt.„

Florian wurde im Fond des Wagens ungeduldig. „Sind wir bald da? Mir tun die Hände weh. Kann ich die Schachteln loslassen?“

Luisa erschrak. „Bloß nicht!“ Es lagen schon genug Lebensmittel im Auto herum. Es fehlte noch, dass auch die Eier zu Bruch gingen.

Luisa seufzte. Warum war es ihr nicht vergönnt einen Nachmittag ruhig und gemütlich zu verbringen, so wie tausend andere Hausfrauen auch? Ein Besuch im Café, beim Friseur oder ein kleiner Stadtbummel war überfällig. Unbewusst griff sie sich mit der Hand ins Haar. Es fühlte sich trocken und spröde an. Das Blondiermittel hinterließ jedes Mal mehr seine Spuren. Am praktischsten wäre es, ihren Pagenschnitt Ratzebutz in einen Bubikopf umzumodeln. Wenigstens mit ihrer Figur konnte sie zufrieden sein. Konfektionsgröße achtunddreißig, das war doch was in ihrem Alter. Trotzdem wäre ein Fitness-Center nicht zu verachten, aber das würde Zeit beanspruchen, die ihr meistens fehlte. Was sie brauchte und was sie wollte – darum schien sich kein Aasfresser zu raufen. Luisas Selbstmitleid wuchs - grundlos. Selbstverständlich besaßen die Kinder und auch Klaus eine gesunde Portion Egoismus, aber er ging nicht soweit, dass sie damit andere Familienmitglieder unterdrückt hätten oder die Bedürfnisse der anderen ausnutzten, das wusste Luisa ganz genau. Aber im Augenblick hätte sie das um nichts auf der Welt zugegeben. So wie sie auch nie zugegeben hätte, dass ihr mulmig davor war, mit Mutter in Zukunft unter einem Dach zu leben. Luisa liebte ihre Mutter sehr, oh ja, doch sie zu lieben und mit ihr zu wohnen waren zwei verschiedene Dinge. Mutter war mit ihren achtundsechzig Jahren eigensinnig und viel zu spontan. Luisa erwartete in ihrer Nähe stets Komplikationen, die meistens eintraten. Manchmal fragte sie sich, wer von ihnen beiden die Mutter und wer die Tochter war. Mutter benahm sich oft wirklich nicht wie eine Mutter und schon gar nicht, wie eine Großmutter. Das bewies sie erst kürzlich wieder. Luisa dachte dabei an den Anruf, den sie kürzlich vom Hausarzt ihrer Mutter erhalten hatte. Ihr fuhr der Schreck durch alle Knochen, sie hatte geglaubt, Mutter wäre etwas passiert. Stattdessen musste sie hören, dass sie einen Hungerstreik durchführte – seit zwei Tagen! Dessen brachte ihr einen Schwächeanfall ein, sodass sie den Arzt benötigte!

„Wenn sie heute auch nichts zu sich nimmt, sehe ich schwarz für ihre Gesundheit“, meinte der Arzt. So etwas sei ihm in seiner langjährigen Arztpraxis noch nie passiert, und ob Luisa der Mutter nicht ins Gewissen reden könne, denn ihm wäre es nicht geglückt, sie zu überzeugen etwas zu essen. Das machte Luisa noch selbigen Tages. Auf die Frage, warum sie plötzlich auf solche Kindereien verfallen sei, antwortete Mutter verschnupft: "Sieh mich an, ich bin viel zu dick. Ich mag keine unnötigen Kilos mehr mit mir herumschleppen. Das ist viel zu anstrengend.“

„Wenn du so weitermachst wird es dir zu anstrengend sein zu leben“, schimpfte Luisa, stellte sich in die Küche und fing zu kochen an. Rindfleisch mit Semmelkren und Wurzelgemüse. Mutters Lieblingsspeise.

„Du bist zu viel allein“, meinte sie, wie schon so oft, „deshalb kommst du auf dumme Gedanken. Am Besten du gibst deine Wohnung auf. Sie ist sowieso zu groß für dich allein. Am Besten du ziehst zu uns. Die Kinder würden sich freuen“, sagte Luisa, während sie das Gemüse putzte, das Fleisch würzte und den Herd anstellte.

Und wenn sie ihr als Gründe die Bibel von vorne bis hinten vorgebetet hätte, wäre Luisa bei Mutter auf taube Ohren gestoßen. Dabei wohnte Luisa mit Mann und Kindern in einem schmucken Einfamilienhäuschen, in einem gepflegten Viertel am Rande der Stadt und hatte Platz genug, um Mutter aufzunehmen. Aber die wollte partout nichts davon wissen.

„Alt und Jung unter einem Dach, das tut nicht gut, auf Dauer“, meinte sie weise. Dasselbe Thema war oft schon Sache gewesen. Luisa schlug Mutter vor bei ihr einzuziehen und Mutter lehnte dankend ab.

„Was sagt Lore zu deiner Fastenkur?“, wollte Luisa wissen. Lore war Mutters beste Freundin.

„Die hat keine Ahnung, warum soll ich ihr davon erzählen? Sie würde mich nur davon abbringen wollen, wie du.“

Sie kamen auf Robert, Luisas Bruder zu sprechen. „Weiß er von deinen Eskapaden?“

„Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.“

Bei jedem Besuch sprach Luisa dasselbe Thema an und versuchte, Mutter zu überreden. Bis sie schließlich aufgab und sagte: „Aber erst auf Probe. Meine Wohnung mit meinen Sachen behalte ich.“

Luisa glaubte, nicht recht gehört zu haben und freute sich. Sie dachte, dass sie mit diesem Entschluss von Mutter ein Problem weniger hatte. Wie heißt es so schön? Du sollst dich nicht täuschen.

„Du willst wirklich bei uns einziehen? Kein Scherz?“

„Und du wärst damit einverstanden?“

Sie blickten sich an. Ein paar Sekunden lang war es still, zwischen den beiden. Dann war es mit Luisas Beherrschung vorbei. Lachend hob sie den Zeigefinger und drohte schelmisch: „Aber das Eine sage ich dir, ausziehen kommt nicht mehr in Frage.“

Später beschäftigte Luisa eines: Wie bringe ich es der Familie bei? Was die Kinder betraf, sollte sich eine Rückfrage als überflüssig erweisen. Sie waren Feuer und Flamme für diese Idee, was sich so anhörte: „Toll, endlich hören die blöden Besuche bei Oma auf.“ Florian legte ein bisschen mehr Herzlichkeit hinzu: "Mann, ein Superding, Oma kommt uns nicht mehr besuchen.“

Klaus konnte sich allerdings nur langsam für die Aussicht erwärmen, seine Schwiegermutter stets um sich zu haben. Jedoch ein Blick in Luisas bittende Augen genügte, um ihn schließlich dafür einzunehmen. „Wann zieht sie ein?“

„Am Freitag.“

Klaus sah dumm drein. „Doch nicht morgen.“

Luisa gab sich betreten.

„Um Himmels willen, wo willst du sie unterbringen?! Wenn es in diesem Tempo weitergeht, sind die Tapezierer nächstes Jahr noch da.“

Davon wollte Luisa nichts hören. Eine wegwerfende Handbewegung unterstrich ihre Worte: „Ach, eine Schlafgelegenheit wird sich schon finden in der kurzen Zeit. Als Mutter schließlich einlenkte doch zu uns zu ziehen, wollte ich nicht mehr warten. Sonst überlegt sie es sich womöglich wieder anders.“

Klaus zeigte um sich. „Weiß sie, was sich hier tut?“

Was für eine Frage. „Klaus, ich bin mir bewusst, dass es der ungünstigste Moment ist. Doch Mutter meinte, mit ihrer Hilfe würden wir das Haus schneller wieder in Ordnung kriegen und damit hat sie Recht. Wir können jede Hilfe brauchen.“

Er war anderer Meinung. „Mutter wird das Zuviel. Sie ist älter als du, falls dir das entgangen ist.“

Liusa wurde ärgerlich. „Vielen Dank für die Aufklärung, aber ich kenne Mutter seit meiner Geburt.“ Musste er unbedingt ein Drama aus der Situation machen? Einlenkend fügte sie hinzu: „Sie braucht ja nicht die schwersten Dinge zu erledigen. Ich finde, wenn Mutter sich das zutraut, sollten wir es ihr auch zutrauen.“

Das Argument überzeugte Klaus zwar auch nicht, doch hatte er keine Lust noch länger mit seiner Frau über eine Sache zu debattieren, die sich ohnehin von selbst zeigen und erledigen würde. In in komischer Verzweiflung resignierte er.

„Aber sagt dann nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“

Somit war der "Familienzuwachs" beschlossene Sache.

„Nun hättest du fast den Hund überfahren!“

Florian, der noch immer sein Bestes tat und krampfhaft die Schachteln mit seinen Armen stützte, blickte vorwurfsvoll auf seine Mutter.

„Auch Hunde können nicht über die Straße laufen, wenn es ihnen gerade passt“, versuchte Luisa sich herauszureden. Dabei gab sie ihrem Sohn insgeheim Recht. Sie fuhr zu unkonzentriert. Rasant bog sie in die nächste Straße ein und hielt nach ein paar Metern den Wagen an, was Florian zwang, einen letzten, verzweifelten Kampf mit den Kartons durchzustehen. Leider nur mit halbem Erfolg. Luisa brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass weitere Lebensmittel sich dank der Fliehkraft selbständig gemacht hatten. Sie stöhnte. Das Geklirr und Geplumpse zerrte nicht nur an ihrem Geldbeutel.

„Ich kann nichts dafür“, fuhr Florian auf, „du bist zu wild gefahren.“

Luisa setzte eine Verschwörermiene auf: „Das behältst du aber für dich, klar?“

Florian hielt ohne zu überlegen die Hand auf. „Kostet einen Euro.“

Der Geschäftssinn ihres Jungen beeindruckte sie nicht so, wie seine Unbescheidenheit. „Du wirst mit jedem Mal teurer“, meinte sie, kletterte aus dem engen Wagen und öffnete den Kofferraum. Florian unterdessen lief einen Rennwagen nachahmend, aufs Haus zu. Luisa rief ihm nach: „Sag Marie sie soll mir helfen!“

Warum mussten Bierkisten so schwer sein, durchfuhr es Luisa, während sie eine anhob. Gleich darauf setzte sie die Kiste wieder ab, weil ihr ein roter, nasser Fleck in die Augen stach. War das Blut? Wie hypnotisiert fixierte sie den Fleck auf der Rücksitzlehne. Sie fuhr mit dem Zeigefinger darüber und kostete. Ketchup. Mit unheilvoller Ahnung im Bauch beugte sie sich vor und ächzte: „Oh, nein!“ Der ganze Sitz war verschmiert. Der rote Brei war im Überfluss vorhanden, nur von der Verpackung war nichts mehr zu sehen. Und wenn schon, mit einer zerbrochenen Ketchupflasche wollte Luisa sich nicht aufhalten, die musste warten. Weil die Armbanduhr ihr sagte, es war höchste Zeit. Jeden Augenblick konnte Klaus mit Mutter eintreffen. Und bisher war sie bloß zum Einkaufen gekommen. Von der Arbeit im Haus, die noch auf sie wartete, ganz zu schweigen. Ziehender Stress machte sich in ihr bemerkbar und der steigernde Wunsch nach zehn Armen und acht paar Beinen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn sie ihren Großeinkauf auf einen anderen, ruhigeren Tag verschoben hätte. Dieser plötzliche Weitblick half ihr aber auch nicht, den stressigen Druck unter ihrer Haut loszuwerden. Im Gegenteil. Er steigerte sich und drohte in Panik auszuarten. Aber dann fiel ihr Marie ein und ihre Nerven beruhigten sich. Wie sie Marie kannte, hatte sie schon damit begonnen, den Tapezier-Dreck gleichmäßig zu verteilen.

Marie war das Hausmädchen und hieß eigentlich Viktoria. Aber diesen Namen fand Luisa zu lang für das Amt einer Haushaltshilfe. So kam sie auf Marie. Und da "Marie" nicht auf das zusätzliche Geld verzichten wollte, das sie bei Luisa verdienen würde, musste es ihr recht sein, fortan so zu heißen. Zweimal in der Woche, Montag und Freitag, war sie bei Luisa Mädchen für alles. Ursprünglich hätte Luisa Marie ja für drei Tage in der Woche eingestellt. Jedoch gleich zu Anfang verkündete die Gute, nicht öfter als zwei Tage erscheinen zu können, denn: Dienstag und Donnerstag sei sie bei Frau Emmerich und Mittwoch bei Regierungsrat Holte in Stellung. Samstag helfe sie an einem Kiosk aus und Sonntag gedenke sie flach zu liegen. Schließlich sei man kein Roboter. Dem war nichts hinzuzufügen, fand Luisa, und da keine andere Hilfe in Aussicht stand, machte sie Marie mit ihren zukünftigen Arbeiten im Haus vertraut. Die hauptsächlich aus Schuhe und die Fenster zu putzen, bügeln und die Böden zu pflegen bestand. Zum größten Bedauern von Marie, die nichts so sehr hasste, wie putzen und bügeln. Doch da Luisa für diese Arbeiten ebenso empfand, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dafür zu „opfern“. Arme Marie. Aber auch arme Luisa. Denn, wenn einer glaubte, sie konnte nun wenigstens an zwei Tagen in der Woche ausspannen – weit gefehlt. Marie arbeitete zwar wie ein Pferd, jedoch ausschlaggebend war, wie sie arbeitete. Ob sie es nicht bemerkte oder nur nicht bemerken wollte, würde Luisa wohl ewig ein Rätsel bleiben. Marie besaß die Angewohnheit, um nicht zu sagen, den Tick, nie eine angefangene Arbeit zu beenden. Bügelte sie, blieben garantiert ein paar Wäschestücke ungebügelt liegen. Trotzdem pflegte sie strahlend zu verkünden: „Ich bin fertig. Diesmal noch schneller.“

Wollte sie einen Rekord aufstellen? Einmal schoss Marie den größten Vogel ab, indem sie den Parkettboden von nur einem halben Zimmer mit Glanzextrakt einließ. Darauf angesprochen erklärte sie: „Das ganze Zimmer einzulassen ist unnötig, wo man den Glanz nur im Gegenschein zum Fenster richtig sieht. Haben Sie noch nie was von Putzmittelersparnis und Umweltentlastung gehört?“

 

Wie oft meinte Klaus, Luisa sei zu nachsichtig mit Marie, und wie oft nahm sich Luisa vor, strenger mit ihr zu sein. Aber Personal war rar, und schließlich war es besser eine schlechte Arbeitskraft zu behalten, als alles selbst zu tun.

Luisa sah sich um. Wo blieb Marie? Keine Spur von ihr. Was bestätigte: die eigene Arbeitskraft war die verlässlichste und so fing Luisa schon mal an, das Auto von den Lebensmitteln zu befreien. Ächzend hob sie Karton für Karton heraus und stellte sie daneben, auf den Boden. Anschließend sammelte sie die verstreut herumliegenden Sachen im Fond des Wagens ein, die, oh Graus, mit Ketchup vollgeschmiert waren. Und während sie auf der Suche nach einem Taschentuch war, um den roten Tomatenbrei von ihren Händen abzuwischen, drang aus einiger Entfernung eine allzu bekannte Stimme an ihr Ohr: „Juhuuu, Frau Karl!“

Luisa machte auf taube Ohren. Gleichzeitig wünschte sie ihre Nachbarin wer weiß wohin, denn die liebe Frau hieß zwar Stumm, aber zum Leidwesen aller in der Straße war sie es nicht. Äußerlich unterschied Frau Stumm nichts von ihren weiblichen Mitmenschen in der Straße. Äußerlich sah sie aus, wie eine Frau und sie benahm sich auch, wie eine Frau. Und es gab manchmal kleine, nichts sagende Meinungsverschiedenheiten mit ihr, wie sie unter femininen Nachbarn oft üblich sind. Der große Unterschied lag innerlich. In einem tragischen Geburtsfehler. Er war genetisch bedingt. Was bewirkte, dass die Arme als wandelndes Tratschblatt ihr Dasein fristen musste. Bedauerlich für alle, die mit ihr in Berührung kamen. Luisa erinnerte sich nicht, jemals wieder so viel über ihre umliegenden Nachbarn erfahren zu haben, als in den Minuten, in denen Frau Stumm ihr die Zeit verkürzte. Da Luisa für Tratsch überhaupt kein Interesse aufbringen konnte, war sie auf der Hut, sobald ihre Nachbarin auftauchte.

„Guten Tag, Frau Karl, man sieht sich so selten, in letzter Zeit.“.

Mit, aufgesetzter aber liebenswürdiger Miene wandte Luisa sich der Nachbarin zu.

„Oh, guten Tag, Frau Stumm.“

Frau Stumm deutete auf die Schachteln auf den Boden.

„Was treiben Sie denn da? Man könnte meinen, Sie erhalten Zuwachs bei den vielen Kartons. Was in Gottes Namen ist da drin?“

Neugierig reckte sie ihren Hals vor, und da sie nichts als Lebensmittel entdecken konnte, und das ihre Neugier nicht befriedigte, kam nochmals: „Was denn, in Gottes Namen?“

„Lebensmittel“, lautete die erschöpfende Antwort.

„So viel?“ Frau Stumm betrachtete die Schachteln und war ehrlich entsetzt.

„Das verdirbt doch alles, das gute Zeug.“

Bei ihr sei noch nie etwas weggeworfen worden, entgegnete Luisa, wobei sie allerdings ein wenig flunkerte. Denn die Jausenbrote, die von den Kindern in der Schule verschmäht wurden, segneten stets das Zeitliche im Biomüll. Frau Stumm ahnte wohl, viel mehr würde sie von Luisa nicht erfahren und zuckte die Schultern.

„Mich geht es natürlich nichts an.“

Endlich ein Wort, dem sich Luisa voll und ganz anschloss.

„Übrigens, Frau Karl ...“

Wenn Frau Stumm mit "übrigens" anfing, wusste Luisa, was folgte. Eilig machte sie sich an den Kartons zu schaffen, damit sie wegkam.

„... haben Sie schon gehört, die "Neuen", die erst vorige Woche zugezogen sind...“

Das fehlte Luisa noch und das war etwas, was sie im Moment am allerwenigsten gebrauchen konnte – Altweiberklatsch pur, der ihre knapp bemessene Zeit in Anspruch nahm.

„... und da haben sie doch tatsächlich gesagt ...“

Die Verkäuferin hätte die Schachteln nicht so vollstopfen sollen, dachte Luisa, als sie sich anschickte, zwei hochzuheben.

„... was sagen Sie dazu, Frau Karl, ist das nicht eine bodenlose Frechheit?“

„Wie? Oh, ja, natürlich.“ Wovon sprach sie überhaupt?

„Solche Leute sollte man gar nicht hierher ziehen lassen. Die üben bloß einen schlechten Einfluss auf unsere Kinder aus, finden Sie nicht?“

Seit wann hat Frau Stumm denn Kinder?, wunderte sich Luisa.

„... und gestern, Frau Karl ...“

Luisa griff sich an die Stirn. Ihre Nervosität stieg. Und wieder einmal überkam sie der Wunsch nach acht paar Armen. Und nach Siebenmeilenstiefel, die sie von Frau Stumm, die ihrem Namen so gar keine Ehre machte, fortbrachten.

„... na, das sollen die erst mal versuchen, aber solche Menschen schrecken vor nichts zurück ...“

Besser, ich trage einen Karton, überlegte Luisa und nahm einen kleineren hoch. Dabei hoffte sie, dass er wenigstens so lange standhielt, bis sie im Haus war, die Lebensmittel drückten ganz schön durch. Den weiteren Wortschwall von Frau Stumm würgte sie ab, indem sie sich zum Gehen wandte und sagte: „Die Kartons tragen sich leider nicht allein ins Haus, obwohl es sehr praktisch wäre, finden Sie nicht?“

„... und ich habe gesagt - wie meinen Sie?“

Frau Stumm begriff zwar nicht, trotzdem winkte sie Luisa nach, während es in ihr sichtlich arbeitete und sie wohl dachte: Was will sie haben? Einen Karton, der sich ins Haus trägt?

Ihre liebliche Meinung über die Nachbarin verstärkte sich umgehend, was ihre Miene zur Schau trug: Die hat einen gewaltigen Vogel.

Ruhe und Entspannung, davon konnte Luisa nur träumen. Wenn ihr alles vergönnt war, das nicht. Gleich im Vorzimmer fiel sie über eine Leiter, die am Boden lag, was zur Folge hatte, dass sie stolperte und auf dem Allerwertesten landete. Der Karton in ihrer Hand machte sich, daneben sie irgendwo vergebens Halt suchte, selbständig, und flog durchs Zimmer, wobei sämtlicher Inhalt herausfiel und geräuschvoll zu Boden krachte. Zum Glück waren keine Flaschen dabei. Aber Eier.

Luisa wusste nicht wieso, plötzlich kam ihr das Sprichwort "Trautes Heim, Glück allein" in den Sinn. Angebrachter wäre gewesen "Ein Unglück kommt selten allein". Denn im nächsten Moment ertönte ein freudiges "Wau, Wau" hinter ihr. Gleich darauf spürte sie zwei behaarte, braune Pfoten an ihrem Körper, voll bekleckert von den zerbrochenen Eiern, die überall am Boden herumlagen. Stasi, ein übergroßer, weißbrauner Bernhardiner störte sich nicht daran, die Kleider seines Frauchens damit überall zu beschmieren. Kräftig brachte er seine Wiedersehensfreude zum Ausdruck, indem er einen Freudentanz um Luisa aufführte, schließlich die Pfoten auf ihre Schultern legte und hingebungsvoll ihr Gesicht leckte. Energisch versuchte Luisa den Hund abzuwehren. „Stasi, wirst du wohl aufhören.“ Sie schubste ihn weg. „Stasi ... verschwinde, pfui - geh Platz!“ Vergebens.

Die Küchentür wurde aufgestoßen. Florian erschien auf der Bildfläche und rief aufgebracht: „Ich habe es ihr gesagt, aber sie hört nicht, sie guckt immer so komisch“, Florian leiser, „Marie ist plemplem.“ Er tupfte sich mit dem Zeigefinger auf die Schläfe.

Endlich ließ Stasi von Luisa ab. Er zog es vor, bei Florian weiterzumachen. Luisa, die zunächst ihre Sinne ordnen musste, wollte etwas erwidern, vergaß es wieder, da im nächsten Augenblick Marie aus der Küche stürzte, um gleich danach ihr rasantes Tempo abzubremsen, wie ein Ferrari auf dem Nürburgring im Boxenstopp. Die aufgestellten Möbelstücke des oberen Stockwerkes waren wohl nicht schuldlos daran. Wer wollte schon auf hartem Holz landen. Noch dazu mit so viel Schwung, zwei Gläsern und einen Besen in der Hand? „Sie sind schon hier?“, fragte sie erstaunt, als sie Luisa erblickte. Diese tadelte Florian: „Ich dachte, du hast es ihr gesagt?“

Er rang die Hände. „Aber davon rede ich die ganze Zeit. Marie ist taub, ehrlich!“

Luisa versuchte aufzustehen. Sie rutsche auf dem mit Ei verschierten Boden aus und landete nochmals auf dem Allerwertesten. Dadurch erblickte Marie den versauten Boden, sah auf Luisas Kleidung, die ebenso aussah und fragte: „Was machen Sie denn da?“

Für Florian eine überflüssige Frage. „Mama sitzt auf dem Boden, siehst du das nicht?“

„Hä?“ Marie machte ein Gesicht, als hätte sie nicht verstanden. Dann legte sich über ihre Miene so etwas wie eine Erleuchtung und sie zog zwei Ohrenpfropfen aus ihren Ohren, die sie der verdutzten Luisa hinhielt.

„Was sagtest du, Florian?“

„Dass Mama auf dem Boden sitzt!“

„Du brauchst nicht so zu schreien, ich bin nicht schwerhörig.“

„Nein, nicht mehr“, ergänzte Luisa. Hinter ihrer Stirn braute sich eine Wolkenbrut zusammen, die drohte, sich jeden Augenblick zu entladen. Bevor sie zum Einkaufen fuhr, trug sie Marie auf, die Leiter wegzuschaffen und was war geschehen? Ja, sie hatte sie beiseitegeschafft, weiß Gott. Bestimmt einen Meter weiter nach rechts oder nach links!

Marie entging Luisas finsterer Gesichtsausdruck nicht. Im Glauben, die Ohrenpfropfen seien schuld daran, erklärte sie rasch: „Die Tapezierer machten solchen Lärm.“

Luisa war es zwar unbegreiflich, wie man mit Tapeten und Kleister Lärm verursachen konnte, aber da sie im Moment nicht in der Verfassung war, sich diesen „mystischem Problem“ weiter zu widmen, musste sie wohl oder übel noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Diesmal noch. Viel dringender erschien ihr im Moment die Lösung ihrer eigenen Problematik und die versuchte sie zu finden, indem sie abermals ansetzte aufzustehen. „Flori, hilfst du mir?“ Aber Florian war nicht mehr da und Marie vertrollte sich eingeschnappt in die Küche, ganz ihr Denken präsentierend: Meine Hilfe ist nicht gefragt ... Wie heißt es so schön? Irren ist menschlich. Seufzend ergab sich Luisa ihrem geplagten Hausfrauen-Schicksal und mühte sich allein hoch. Sie spreizte die Finger. Wenn nur nicht alles so klebrig wär …

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