Auch Schmetterlinge können sterben

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

4

»So, da bin ich wieder«. Mit dem Telefon am Ohr und ihrer Tasse jetzt kalten Tees ging Julia auf die kleine Couch im hinteren Teil ihres Arbeitszimmers.

»Was treibst du denn da?«, fragte Sonja.

»Tür zumachen, Tee trinken, aufräumen!«

»Musst du nicht noch Köfferchen packen? Haare machen oder so was?«

»Nein, Klassentreffen fällt aus!«

»Wie, fällt aus? Grippewelle? Erdbeben? Auto kaputt? In diesem Fall, meine Liebe, lass dir sagen: Es gibt auch noch die Bahn und Fernbusse.«

Julia schlürfte ein wenig von dem Tee, bevor sie antwortete: »Weder noch. Roman hat überraschend ein Meeting mit den Spaniern. Wir müssen heute Abend schick essen gehen.«

»Und das lässt du einfach zu?«

»Habe ich eine Wahl?«

»Frau hat immer eine Wahl!«, meinte Sonja im Brustton der Überzeugung.

»Ja, wenn sie wie du Single ist. Als Gemahlin von Staranwalt Roman Baker sieht das anders aus«, erwiderte Julia frustriert.

»Fahr alleine«, schlug Sonja vor.

»Ganz bestimmt nicht. Was sollen denn die Geschäftspartner denken, wenn ich meinen Mann nicht auf dieses Dinner begleite?«

»Lass sie denken, was sie wollen!«

Julia zuckte unmerklich zusammen. Letzte Woche hatte sie Roman noch vorgeworfen, sich in der Hauptsache Gedanken darum zu machen, was die Leute dachten. Jetzt blies sie wie selbstverständlich in dasselbe Horn. Es war zum Verrücktwerden. »Da wird doch gleich gemunkelt, wir hätten eine Ehekrise.«

»Habt ihr nicht?«

»Was soll das denn bitte jetzt?« Julia richtete sich auf und stellte die Teetasse geräuschvoll auf dem Glastisch ab. »Scheiße …«, rutschte es ihr heraus. Mit dem Ärmel ihrer Strickjacke wischte sie erst über die Platte, dann über den Tassenboden. Ehekrise! Warum musste Sonja gerade jetzt davon anfangen? Vielleicht war es doch nicht so klug, sich wegen jeder Kleinigkeit bei Sonja auszuheulen.

»Ich meine ja nur«, lenkte Sonja ein und schalt sich selbst eine Idiotin. Sie hätte es wissen müssen. Da konnten im Hause Baker noch so sehr die Fetzen fliegen, es war KEINE Krise – da waren sich Roman und Julia dann ausnahmsweise mal einig. »Vergiss es einfach, ok?«

Als Julia nicht gleich antwortete, sprach Sonja in versöhnlichem Ton weiter: »Also, wenn ich du wäre, dann würde ich fahren. Du hast dich so sehr darauf gefreut. Denk doch mal, wie lange du deine ehemaligen Schulkameraden nicht mehr gesehen hast. Soweit ich mich erinnere, warst du wegen irgendwelchen geschäftlichen Terminen von Roman weder beim 15-jährigen noch beim 10-jährigen Treffen. Ich finde, es wird mal langsam Zeit, dass du dich …«

»Ist ja gut, ist ja gut!«, unterbrach Julia ihre Freundin. »Ich habe dich verstanden.«

»Wie schön«, flötete Sonja durch die Leitung. »Dann freue ich mich wahnsinnig, wenn du mir heute Abend oder heute Nacht«, das breite Grinsen war überdeutlich zu hören, »ein paar interessante Bilder über WhatsApp schickst.«

»Mal sehen.« Julia lächelte nachsichtig: Sonja und ihre schmutzige Fantasie.

Sonja spürte, dass sie fast gewonnen hatte. »Süße, alleine auf ein Klassentreffen gehen ist kein Verbrechen. Niemand sagt, du sollst Ehebruch begehen. Niemand zwingt dich, dir die netten Burschen überhaupt anzusehen. Aber ganz entspannt Hallo zu sagen und vielleicht ein oder zwei Gläschen auf die schöne alte Zeit zu trinken, das wird doch wohl drin sein. Ist das Hotel nicht auch schon gebucht?«

»Hm hm«.

»Na, siehste. Kurzfristig stornieren kostet Geld – wahrscheinlich musst du sogar den vollen Preis zahlen - für nichts! In dem Nest wird wohl spontan eher niemand ein Zimmer suchen …«

»Nest? Du sprichst von meinem Heimatdorf«, unterbrach Julia entrüstet.

»In dem du seit wie vielen Jahren nicht mehr warst?«

»Egal – Heimat bleibt Heimat!«

Sonja atmete hörbar ein. »Also gut. Das Zimmer im Hotel deines Heimatdorfes kostet storniert so viel wie belegt. Das ist rausgeworfenes Geld und würde deinem Herzblatt nicht gefallen. Wo er so hart dafür arbeiten muss.«

»Du fängst schon wieder an …«, wies Julia ihre Freundin zurecht.

»Wie dem auch sei … Los jetzt! Hoch von der Couch und ab unter die Dusche. Und dann weg mit dir.« Sonja sandte einen dicken Schmatzer durchs Telefon und legte auf.

Julia starrte auf das Telefon. Es würde Roman nicht gefallen, wenn sie ohne ihn dort übernachtete – schon gar nicht nach dem Streit. Klar, er hatte gesagt, sie könne alleine fahren. Weil er davon ausgehen konnte, sie würde es sowieso nicht machen. Da war es leicht, sich gönnerhaft zu geben. Andererseits: Vielleicht war es mal an der Zeit, ihm das Gegenteil zu beweisen. Das Hotel war gebucht und bezahlt, die Zusage an das Festkomitee schon vor Wochen raus. Und wer sollte die Rede halten, die sie sich hatte aufschwatzen lassen als ehemalige Klassensprecherin? »Ich könnte sie Rebecca per Mail zukommen lassen«, überlegte Julia. Rebecca war schon zu Schulzeiten die geborene Entertainerin gewesen.

Das Telefon klingelte erneut. Gedankenverloren meldete Julia sich mit einem fragenden »Ja?«. »Habe ich es doch geahnt! Warum bist du noch nicht unter der Dusche?«

»Weil ich noch einen Augenblick nachgedacht habe, Sonja!«

»Du bist wirklich ein schwerer Fall«, seufzte die Freundin dramatisch. »Was gibt es denn noch zu überlegen?«

»Ich weiß einfach nicht, ob das so eine gute Idee ist«, antwortete Julia. »Roman hat zwar gesagt, wenn es mir so wichtig wäre, müsste ich eben allein dahin gehen, aber …«

»Na, dann ist doch alles gut«, warf Sonja ein.

»Eben nicht!«, widersprach Julia. »Ich kenne ihn besser als du. Er geht mit Sicherheit davon aus, dass ich ihn heute Abend begleite.«

»Dann muss eine andere Begleitung her.«

»Soll ich einen Escort-Service buchen oder was?«

»Spare dir das Geld. Ich würde mich opfern und dich bei diesem komischen Dinner vertreten, wenn es dir die Entscheidung erleichtert.«

»Du? Ihr beide seid doch wie Hund und Katz`.«

»Deswegen habe ich ja auch opfern gesagt. Ich werde mich zusammenreißen und die Krallen bei mir behalten«, versprach Sonja.

»Magst du nicht vielleicht lieber mit mir zum Klassentreffen fahren?«

»Um deine Anstandsdame zu mimen? Nein, danke, hab du mal schön alleine Spaß! Und auf notgeile Vierziger habe ich auch keinen Bock.« Sonja machte eine kurze Pause. »Zudem bin ich mir sicher, dass Roman damit noch viel weniger klar käme. Das sieht doch aus, als hätten wir beide nur darauf gewartet. Und dass Roman mich für den schlechtesten Einfluss aller Zeiten für dich hält, weißt du doch wohl? «

»Wo du recht hast, hast du recht!«, gestand Julia ein. »Bleib mal in der Leitung, ich frag' ihn, ob er dich als Ersatz für mich akzeptiert.« Bevor Sonja etwas einwenden konnte, legte Julia das Telefon ab und verließ kurz das Zimmer.

***

»Sonja?« Julia plumpste zurück auf die Couch, »Er ist schon weg! Und anrufen will ich nicht, weil er jetzt bestimmt in dem Meeting sitzt.«

Einen Moment lang schwiegen beide Frauen. Im Hintergrund hörte Julia, wie eine Männerstimme Sonja um irgendeine Akte bat. »Kommt sofort«, hörte sie ihre Freundin sagen und dann wieder zu ihr: »Sei mal mutig und mach' dein eigenes Ding. Fahr einfach! Ich komme nachher rüber und frage deinen Mann ganz artig, ob ich mit darf«, sagte Sonja leicht genervt. »Nur bitte, entscheide dich endlich! Ich kann nicht den ganzen Vormittag privat telefonieren. Also: drei – zwei – eins …«

»Ok - überredet: Ich fahre.« Julia fühlte sich trotz aller guten Argumente nicht wohl dabei. Aber sie gab sich betont heiter. »Wenn Roman es zulässt, dann mach' dir einen schönen Abend mit meinem Mann. Sei so um halb acht da. Das Essen ist für zwanzig Uhr angesetzt. Ich schicke Roman eine Nachricht aufs Handy. Dann hat er wenigstens von mir erfahren, dass ich ohne ihn weg bin.«

»Na, dann will ich dich nicht länger aufhalten!« In Sonjas Stimme lag ein Hauch von Triumph. »Denk' an die Fotos … ich will unbedingt wissen, was da so abgeht.«

»Was soll da denn abgehen?«, entgegnete Julia, aber Sonja hatte bereits eingehängt. »Gar nichts wird da abgehen«, murmelte Julia und rappelte sich von der Couch hoch. »Die Einzige, die jetzt abgeht – nämlich ab unter die Dusche und dann ab ins Auto – bin ich. Sonst überlege ich mir die ganze Sache vielleicht doch noch mal.«

5

Mit einem zufriedenen Lächeln legte Sonja auf. Dass Roman sie womöglich nicht mitnehmen würde, darauf verschwendete sie keinen Gedanken. Es war jetzt halb elf. Um 16:00 Uhr hatte sie Feierabend. Vielleicht würde der Chef ihr auch schon ein bisschen eher frei geben, wenn sie ihn ganz nett darum bat. Etwas mehr Zeit, um sich auf ein luxuriöses Dinner mit Roman vorzubereiten, konnte keinesfalls schaden. Ein Mann wie Roman hatte schließlich ein Anrecht darauf, dass man sich für ihn besonders in Schale warf – selbst, wenn man nur der Ersatz für die verhinderte Gattin war. Vielleicht auch gerade deswegen.

Und da Roman ja leider vergeben war: Vielleicht war einer der anwesenden spanischen Herren eine lohnenswerte Alternative und bereit, ihrem Singledasein ein bezauberndes Ende zu bereiten.

Sonja hatte den Eindruck, dass Julia gar nicht wusste, was für ein Prachtexemplar von Mann sie da als Ehemann hatte. Das ganze Gezeter über zu viel Arbeit und zu wenig Zeit für einander war ihrer Meinung nach Gejammer auf hohem Niveau.

Roman sah toll aus, war intelligent, hatte Style und einen überaus einträglichen Beruf. Selbst wenn Julia ihre Lehrtätigkeit an den Nagel hängen würde, konnte sie ein äußerst angenehmes Leben führen. Ganz im Gegensatz zu ihr, die für einen miesen Vorzimmerjob ebenso mies bezahlt wurde und nach Feierabend in ein leeres, kleines Appartement zurückkehrte.

 

Sonja seufzte. So einer wie Roman wäre genau der Richtige für sie. Er könnte ihr den Lifestyle bieten, von dem sie träumte, seit sie ein Teenager war: Shoppen in Mailand oder Paris; Urlaub an weißen Stränden; Speisen in den exklusivsten Restaurants und ein rassiger Sportwagen. Im Gegenzug würde sie liebend gerne jeden Abend mit und für ihn repräsentieren, Klienten umschmeicheln und das langweilige Damenprogramm über sich ergehen lassen. Aber leider waren Roman und andere beste Männer immer schon vergeben. Und was übrig blieb, taugte höchstens für ein oder zwei gute Nächte. Dann hatten sie entweder das Konto überzogen oder gestanden reumütig, verheiratet zu sein.

Doch von derart trüben Gedanken wollte Sonja sich die Vorfreude nicht vermiesen lassen. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt – sie war nur allzu gerne bereit, sich endlich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

Aber jetzt war erst einmal die Arbeit dran. Sonja nahm den Ordner mit der Aufschrift Umbau – Planung – Kosten aus dem hinteren Schrank und pustete flüchtig über den Rand. Seit Monaten hatte sich da nichts getan. Angeblich fehlten irgendwelche Genehmigungen. Ob es jetzt endlich durchgegangen war? Dann würde sie nämlich bald aus diesem winzigen Büro herauskommen. Das Neue war den Plänen nach mindestens dreimal so groß und hatte eine großzügige Fensterfront mit Blick auf den Stadtpark. In ihrer Vorstellung war es schon perfekt eingerichtet und bot ein exquisites Ambiente.

»So, Chef, hier sind die Unterlagen.« Mit einem breiten Lächeln legte sie den Ordner auf seinen Tisch.

»Danke!« Er sah nicht einmal auf. Sonja räusperte sich verhalten. »Und bitte, kann ich heute eine Stunde früher gehen?«

Ungehalten hob er den Blick. »Wenn es sein muss …«

»Es muss, Chef!« Sie klimperte kokett mit den Wimpern und lächelte dezent. »Würde ich sonst fragen?«

»Von mir aus.« Er nickte widerwillig.

Sonja hatte bereits ein »Danke schön« geflötet und wollte sich wieder zu ihrem Arbeitsplatz begeben, da rief er sie noch einmal zurück. »Ach ja, Frau Stollmann, Ihnen kann ich das schon mal sagen. Sie sind ja verschwiegen: Der Umbau ist fürs Erste auf Eis gelegt.« Er deutete auf den Ordner. »Zu viele Auflagen und zu hohe Kosten. Allein die Summe, die Ihre Fensterfront verschlingen würde …« Es war sicherlich scherzhaft gemeint, dennoch fühlte Sonja sich angegriffen. »Meine Fensterfront?«, dachte sie, »jetzt ist es also meine Schuld, dass die Firma sich einen Umbau nicht leisten kann? Ich bin zwar nur eine kleine Büromaus und überblicke das große Ganze vielleicht nicht so wie der Herr Abteilungsleiter, aber das ist nun wirklich sehr weit hergeholt.«

Trotzdem war sie klug genug, ihre Ansicht für sich zu behalten. Stattdessen antwortete sie: »Das tut mir leid, Chef. Soll ich noch andere Angebote einholen? Oder vielleicht mal nach Lampen gucken? Dann könnten wir die Fensterfront ganz einsparen.«

Er lachte brüllend und klopfte sich auf die Schenkel: »Frau Stollmann, der war gut! Ich habe ja schon immer gewusst, dass Sie Humor haben.« Er wischte sich über die Augen, gluckste noch zweimal verhalten und meinte dann: »Aber jetzt ernsthaft. Vorerst machen wir gar nichts.« Er zögerte kurz, bedachte sie mit einem prüfenden Blick: »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Sehen Sie sich schon mal nach etwas anderem um. Der Firma geht es wirklich nicht gut. Es könnte sein, dass ich mich in absehbarer Zeit tatsächlich von Ihnen trennen muss.«

Sonja war einen Augenblick lang sprachlos. »Verstehe ich Sie richtig? Sie drohen mir mit einer Kündigung?«

»Ich drohe nicht! Ich erwähne eine betriebsbedingte Kündigung als eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit!« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Sie leisten wirklich gute Arbeit, Frau Stollmann. Aber ich befürchte, das wird hier bald niemanden mehr interessieren.«

Sonja schluckte. »Unter diesen Umständen würde ich gerne jetzt Feierabend machen, Chef«, sagte sie.

»Das geht aber nicht!«

»Doch, ich denke schon.« Sie wandte sich entschlossen ab. »Montag bin ich wieder da, versprochen! Aber das verlängerte Wochenende habe ich mir nach Ihrer Hiobsbotschaft mehr als verdient.«

»Denken Sie daran, das ist noch nicht offiziell!«, rief er ihr hinterher.

»Selbstverständlich!«

***

Während der PC herunterfuhr, schloss Sonja alle Schränke ab und nahm ihre Handtasche aus der Schublade. Sie schaltete den Anrufbeantworter ein, machte das Licht aus und verließ ihr Büro.

»Wie? Schon Feierabend?«, wunderte sich einer der Kollegen von der Produktion.

»Für dich ist auch bald Feierabend«, gab Sonja mit einem hintergründigen Lächeln zurück. Frühestens in ein paar Wochen, spätestens in ein paar Monaten würde ihm die Mehrdeutigkeit ihrer Antwort vielleicht auffallen. Der Kollege sah zur Wanduhr und nickte: »Haste auch wieder Recht.«

»Ich weiß!« Sie hob winkend die Hand und verschwand im Aufzug. Ihre Gedanken kreisten um die Mitteilung ihres Vorgesetzten.

Es würde nicht leicht werden. Gute Jobs waren mindestens so rar wie gute Ehemänner.

6

Die Sonne schien, die Stadtautobahn war gut befahrbar und die vor dem Kleiderschrank verlorene Zeit war fast wieder herausgeholt. Wenn jetzt noch das Meeting erfolgreich verlief, war aus einem mäßigen Morgen doch noch ein toller Tag geworden.

Seine Verärgerung über Julias Gezicke hatte sich während der Fahrt gelegt. Auch über den absurden Gedanken, sie könne ihn betrügen, hatte er auf halber Strecke nur noch lachen können. Julia war nun wirklich nicht der Typ für eine heiße Affäre.

Mit Schwung öffnete er die Tür zu seinem Büro: »Guten Morgen, Felizitas!«, meinte er gut gelaunt. Seine Assistentin sah mit einem Lächeln auf. »Guten Morgen Herr Baker!«

»Mediterraner Style!«, beantwortete er die unausgesprochene Frage, die mehr als offensichtlich in ihrem Blick lag. »Eine Hommage an die spanischen Partner.«

»Ein roséfarbenes Hemd und ein beigebraunes Sakko sind mediterran?«

»Nicht?«

»Sie sind der Boss …«

»Prima, dass wir das geklärt haben. Sind die anderen schon da?«

»Konferenzraum zwei.« Felizitas reichte ihm ein Dossier. Roman nickte. »Seien Sie so nett und besorgen Sie mir Blumen. Rote Rosen vielleicht oder nein, lieber irgendetwas Buntes, Frisches, Fröhliches. Und üppig bitte.«

»Ärger im Paradies?« Felizitas sah ihn mitfühlend an. »Was haben Sie angestellt?«

»Ich habe gar nichts angestellt!«, sagte er entrüstet. »Meine Frau ist sauer, dass unser Ausflug zu ihrem Klassentreffen wegen den Spaniern ausfallen muss.«

»Ich verstehe …«

»Ich nicht!«, bekannte Roman. » Aber ich bin ja auch »nur« ein Mann. Also, ich verlasse mich auf Sie, Felizitas. Ansonsten bin ich dann jetzt in diesem Meeting.« An der Tür wandte er sich noch einmal um. »Und wenn Hongkong sich meldet …«

»Gebe ich Ihnen sofort Bescheid«, beendete Felizitas seinen Satz. Sie deutete auf eine Akte neben dem Telefon. »Ich habe bereits Vorbereitungen getroffen. Sie können ganz unbesorgt sein.«

»Sie sind unbezahlbar, Felizitas!«

»Ich werde Sie bei den nächsten Gehaltsverhandlungen daran erinnern«, entgegnete die junge Frau.

»Bis später!« Eilig verließ Roman den Raum. Noch auf dem kurzen Weg zum Konferenzraum warf er einen Blick in das Dossier. Felizitas hatte vorbildliche Arbeit geleistet. Es war immer wieder erstaunlich, was sie aus seinen Notizen herauszuholen wusste. Alles war übersichtlich dargestellt, angemessen formuliert und durch weitere Rechercheergebnisse ergänzt. Die kleine Unstimmigkeit aus dem Memo war auch nicht mehr ersichtlich. Sie hatte es bei der Ausarbeitung natürlich selbst gemerkt.

Es gab in der Kanzlei keine Assistentin, die auch nur ansatzweise so gut recherchieren konnte wie Felizitas. Das kam ihm immer wieder, besonders bei schwierigen oder unübersichtlichen Vertragsverhandlungen, zugute. Meist wusste er schon zu Anfang mehr über die Gegenseite, als dieser lieb sein konnte. Auch jetzt hatte Felizitas ein paar interessante Details zutage gefördert.

Über Romans Gesicht huschte ein siegessicheres Lächeln, das in dem Moment verschwand, als er die Tür zum Konferenzraum öffnete. »Buenos dias, meine Damen und Herren! Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung!« Mit weit ausholenden Schritten durchquerte er den Raum und nahm an der Kopfseite des Konferenztisches Platz. Unbeeindruckt von den abwartenden Blicken der Anwesenden zog er seinen Stift aus der Brusttasche der Jacke und legte ihn beinahe liebevoll neben das Dossier. Er griff nach der Kaffeekanne und goss sich ein, tat einen Löffel Zucker dazu und rührte bedächtig um. Nur das Anschlagen des Metalls an dem dünnen Porzellan war zu hören.

Roman sah in die Runde. »Kaffee ist ein wunderbares Getränk. Es belebt Körper und Geist.« Andächtig hob er die Tasse an und führte sie an die Lippen. Nachdem er kurz genippt hatte, meinte er: »Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.« Die Angesprochenen nickten verbindlich. Roman war zufrieden. Schwungvoll schlug er das Dossier auf, nahm den zuvor so bedächtig abgelegten Stift in die Hand und lehnte sich ein wenig zurück. »Dann lassen Sie uns beginnen! Zeit ist Geld, und beides wollen wir keinesfalls verschwenden.«

7

Julias letzte Zweifel versanken zusammen mit dem weichen Schaum ihres nach Aprikosen duftenden Duschgels im Abflussrohr. Die Vorfreude wuchs und ihre Gedanken kreisten mehr und mehr um das bevorstehende Treffen. Der Wetterbericht sprach von einem warmen Tag und milden Nachttemperaturen. Der ideale Abend für ein Fest. »Was zieh ich an? Lässig oder elegant? Hose oder das neue Kleid? »Natürlich das neue Kleid!«, sagte sie laut, »deswegen habe ich es doch gekauft!«

»Du siehst toll darin aus!«, hatte Roman bewundernd gesagt und toll aussehen wollte sie heute Abend auf jeden Fall. Wenn schon alleine, dann wenigstens nicht wie ein graue Maus.

Zufrieden schlüpfte sie nur wenig später in die engen weißen Jeans und zog eine bunte Tunika über. Es war ein bequemes und trotzdem schickes Outfit für die etwa dreistündige Autofahrt. Anschließend legte Julia ein wenig MakeUp auf und band die noch feuchten Haare zu einem Zopf zusammen. Lag es an der Frisur, dass sie sich mit einem Mal so jung und voller Tatendrang fühlte?

Obwohl es schon auf Mittag zuging, packte Julia ohne Eile ihre Reisetasche und nahm schließlich das neue Kleid samt Bügel vom Kleiderschrank. An der Tür hielt sie noch einmal kurz inne. Sie hatte ein wenig Bargeld eingesteckt und die Kreditkarte; der Ausdruck der Hotelreservierung lag in der Tasche, ebenso das Ladekabel für ihr Handy. »Ich glaube, ich habe alles«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Dann geh' endlich «, antwortete es. »Mach ich!“«

Julia war jetzt fest entschlossen, sich bestmöglich zu amüsieren und das Wiedersehen mit den alten Freunden zu genießen. Was war wohl aus Christian geworden, der in der Pause gerne mal einen Joint rauchte, weil das angeblich seinen Geist befreite? Ob er mittlerweile ein Spießer geworden war? Oder doch unter einer Brücke hauste, wie Lehrer und Mama es prophezeit hatten?

Oder aus Rebecca ? Außer ein paar wenigen banalen Sätzen per Mail wusste sie nichts mehr über ihre ehemalige beste Freundin. Damals saßen sie in viele Kursen nebeneinander und waren auch abends oft zusammen losgezogen. Rebecca war ein kluger Kopf: Sie musste selten richtig lernen – ihr flogen die guten Noten einfach zu. »Du kriegst bestimmt mal den Nobelpreis!«, war Julia überzeugt gewesen. Aber Rebecca hatte nur abgewunken und gelacht. Sie träumte sich schon in der zehnten Klasse lieber ein Leben mit Mann, vielen Kindern und einem Rosengarten. »Ich liebe Rosen und werde Rosenzüchterin«, hatte sie regelmäßig geantwortet, wenn sie nach ihren Zukunftsplänen gefragt worden war.

Julia schüttelte verwundert den Kopf. Sie hatte die ganzen Jahre nicht ein einziges Mal an Rebecca oder die anderen gedacht. Und jetzt kamen so viele Erinnerungen. Wie aus dem Nichts tauchten sie auf, als wäre ein Tor geöffnet worden, hinter dem sich die Vergangenheit versteckt gehalten hatte.

***

Der Motor heulte gequält auf, als Julia das Gaspedal fast bis zum Bodenblech durchtrat. Der Wagen machte einen Satz nach vorne, der Motor soff ab. »Mist!«, fluchte Julia. Der Kleine würde sie doch wohl nicht ausgerechnet heute im Stich lassen? Das Vergnügen wollte sie Roman nun wirklich nicht gönnen. »Komm, mein Schatz«, murmelte sie beschwörend und strich mit einer sanften Handbewegung über Lenkrad und Armaturenbrett, »ich brauch dich und ich zähl' auf dich.« Sie startete erneut, der Motor gluckerte leise und gleichmäßig. Julia hauchte ein Danke und legte krachend den ersten Gang ein. Dann brauste sie davon.

 

Sie schaltete das Radio an und sang gut gelaunt mit. Roman war von ihren Sangeskünsten eher wenig begeistert, weswegen sie bei gemeinsamen Fahrten meist nur sehr verhalten mitsummte. »Aber Roman ist ja nicht hier! Roman hat ein wichtiges Meeting mit den Spaniern«, meinte sie lapidar und drehte Radio und Stimme noch ein bisschen mehr auf.

Im selben Moment schoss wie aus heiterem Himmel ein Fahrradfahrer aus der Seitenstraße heraus. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich ihre Blicke. Julia schrie entsetzt auf und stieg mit aller Macht auf die Bremse. Das Heck des kleinen Stadtflitzers brach aus, die Reifen rutschten quietschend über den Asphalt. Julias Hände krallten sich um das Lenkrad, ihr Herz raste. Jeden Moment erwartete sie den Zusammenstoß. Als der Wagen endlich zum Stehen gekommen war, riss Julia die Tür auf und sprang auf die Straße. Der erste Blick ging unter den Wagen. War der Radfahrer unter die Räder gekommen? Nein, stellte sie erleichtert fest, nur um sich im gleichen Moment zu fragen, wo er denn sonst wohl abgeblieben war.

Das Schlimmste befürchtend ging sie langsam um den Wagen herum.

»Suchen Sie den Fahrradfahrer? Der ist weg!« Auf einem Balkon stand eine ältere Dame. Ihr geblümter Morgenrock leuchtete in einem grellen Pink, die Haare waren auf große Wickler gedreht. »Aber ich hab' alles gesehen. Falls …«

»Danke«, Julia nickte der Frau knapp zu, »das wird wohl nicht nötig sein.« Mit weichen Knien und am ganzen Leib zitternd setzte sie sich wieder hinter das Steuer. Als sie aus dem Blickfeld der Alten verschwunden war, fuhr sie rechts ran, stellte den Motor ab und legte den Kopf aufs Lenkrad. Das Zittern wollte nicht aufhören und ihre Brust war so eng, dass sie kaum noch Luft bekam. Minutenlang saß sie so da, bis sie sich irgendwann mit einem tiefen Seufzer aufrichtete. Bis jetzt war das heute definitiv nicht ihr Tag. Man konnte fast glauben, eine höhere Macht wollte sie von diesem Klassentreffen fernhalten. »Das ist doch absoluter Quatsch!« schimpfte Julia sofort ins Leere. »Einfach ausgemachter Unsinn! Welches Interesse sollte bitte eine höhere Macht daran haben?«

Sie atmete dreimal hintereinander tief durch die Nase ein und mit einem deutlichen pfffffffffff durch den Mund wieder aus. »Lass die Lippen vibrieren«, hörte sie Guru Sri Rami aus Mumbai sagen. Guru Sri Rami, für dessen Vortrag »Reise zu deiner Seele« Sonja ungefragt Karten besorgt und ein kleines Vermögen ausgegeben hatte; Guru Sri Rami, der eigentlich Karl-Heinz hieß und aus Bottrop stammte, wie sich später herausstellen sollte; Guru Sri Rami, ein Scharlatan, der ihnen einen wunderbar lustigen Abend beschert hatte. Alles Humbug, aber das mit dem dreimal Atmen, das half tatsächlich.

Auch jetzt wieder. Das Zittern ebbte ab, frischer Sauerstoff strömte durch ihren Körper und verscheuchte die dummen Gedanken in ihrem Kopf.

Alle guten Dinge sind drei! Julia startete erneut ihr Auto und sparte dabei nicht an Streicheleinheiten und guten Worten. Vorsichtig manövrierte sie zurück auf die Straße. Ab jetzt würde ihr hoffentlich nichts mehr in die Quere kommen und sie nichts mehr aufhalten.

Das Beinaheunglück mit dem Fahrradfahrer rückte mit jedem gefahrenen Kilometer ein bisschen mehr in den Hintergrund, die gute Laune kehrte in gleichem Maße zurück. »Liebe ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler, sehr geehrte anwesende Lehrerinnen und Lehrer! Ich freue mich …«

»Verdammt, wo ist die Zeit geblieben?«, ging es Julia durch den Kopf. Zwanzig Jahre und siebzehn davon mit Roman. In einem Biergarten waren sie sich das erste Mal begegnet. Sie war mit einer Kommilitonin unterwegs gewesen, er mit Freunden. Die Jungs hatten schon das ein oder andere Bier getrunken, waren laut und ziemlich übermütig. »Welch Glanz in unserer Nähe!«, meinte einer von ihnen, als Julia und ihre Freundin sich durch die Tischreihen drängelten. »Mädels, trinkt ihr einen mit?« Sie hatte ablehnen wollen, da war ihr Roman aufgefallen. Halb entschuldigend, halb bittend hatte er sie angesehen mit seinen strahlenden, eisblauen Augen. Sie hatte sich augenblicklich in ihn verliebt. Später am Abend gestand er ihr, dass es ihm genauso gegangen war. »Ich hätte mich vor dir in den Staub geworfen, wenn ihr unsere Einladung abgelehnt hättet«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich glaube – ach was, ich weiß es: Du bist meine Traumfrau!«

»Wir kennen uns gerade mal drei Stunden«, wiegelte sie damals sanft ab. »Ich habe noch die besten Chancen, dein größter Albtraum zu werden!«

Statt einer Antwort gab er ihr den ersten Kuss. Er schmeckte nach Bier und Sommer. Und in Julias Bauch flatterten aufgeregte Schmetterlinge. Die Welt um sie herum versank in Rosarot.

»Ich hasse Spanien!«, sagte Julia laut und schlug wütend gegen das Lenkrad. Es war so schön gewesen, damals, als sie beide noch am Anfang ihrer Beziehung und ihrer Karrieren standen.

Sie waren nahezu unzertrennlich gewesen. Bereits nach einem viertel Jahr war sie bei ihm eingezogen. Schaute ihm zu, wenn er grübelnd über den Gesetzestexten hing, diskutierte

mit ihm strittige Urteile. Er mimte im Gegenzug den Schüler, kochte ihr einen Tee, wenn sie mitten in den Korrekturen einer Klassenarbeit steckte. Sie kochten gemeinsam und gingen zusammen mit Freunden aus. Sie feierten ihre beruflichen Erfolge und stützten sich in schwierigen Zeiten. Für einander und miteinander - sie waren ein tolles Paar – damals! »Jetzt hör auf mit »es war einmal««, rief Julia sich selbst zur Ordnung. »Das ist ja deprimierend. Schau raus: Die Sonne scheint, der Raps blüht und die Wälder sind noch nicht gestorben.« Außerdem hatte sie Hunger. Die Tasse Tee von heute Morgen hatte die Grenze ihres Maximal-Nährwerts längst abgegeben und gegessen hatte Julia ob des Ärgers am Frühstückstisch auch noch nichts. Unterzucker macht schlechte Laune! Kein Wunder, dass sie ständig an früher dachte.

Julia fuhr den nächsten Rasthof an, gönnte sich eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brötchen. Der Salat war welk, die Gurke an den Rändern trocken. Trotzdem hätte es in diesem Moment kaum besser schmecken können. Sie suchte sich einen Platz etwas abseits vom Trubel und hielt das Gesicht in die Sonne. Auch alleine war es schön, einfach nur da zu sitzen und den Augenblick zu genießen. Einen Moment lang schloss sie die Augen, spürte die Sonnenstrahlen auf der Haut und wie sich ihre Muskeln entspannten. Sie stellte sich vor, nicht auf einem Rastplatz, sondern irgendwo im warmen Süden zu sein: Dolce Vita und Eiscreme, danach ein Bad im Meer. Julia seufzte wohlig.

Leider drang der zunehmende Lastverkehr mehr und störend in ihren Tagtraum ein. Schließlich setzte sie sich auf und schaute gelangweilt den an- und abfahrenden Fahrzeugen zu. Da waren alte und beängstigend klapprige Lieferwagen; chromblitzende LKW und ein echter amerikanischer Truck.

Julia winkte einem freundlich hupenden Brummifahrer nach und schaute ein klein wenig wehmütig einer Familie mit zwei kleinen Kindern zu. Irgendwann zwang sie sich energisch, den Blick von dem süßen Baby auf dem Arm der fremden Frau abzuwenden. Sie goss den kalten Kaffee in den Gully und warf den Becher in den Müll. »Frau kann nicht alles haben. Mit so einem kleinen Fratz wärst du jetzt bestimmt nicht auf dem Weg zu deinem Klassentreffen «, tröstete sie sich. »Dann wäre ich eben nicht gefahren! «, gab sie aufmüpfig zurück.

Für einen kurzen Moment erlaubte sie sich, sich ihr Leben als Mama vorzustellen. Ob Junge oder Mädchen wäre egal. Morgens würde sie das Kleine in den Jogger setzen und eine Runde laufen gehen. Sie würde mit ihm spielen und eine dieser Mutter-Kind-Gruppen besuchen, wo man sich traf und plauderte, während die Kinder herumtollten. Roman wäre der perfekte Papa. Weder eine volle Windel noch ein schreiendes Baby brächten ihn aus der Fassung. Geduldig würde er es in den Schlaf wiegen, ihm vorlesen – später das Fahrrad fahren beibringen oder ein Baumhaus bauen. Sie würden ...

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»