Interviews Aus Dem Kurzen Jahrhundert

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Aung San Suu Kyi



  Friedensnobelpreisträgerin 1991 






Frei von Angst








































  Auf Druck der UNO wurde Aung San Suu Kyi am sechsten März 2002 freigelassen. Die Nachricht ging um die Welt, auch wenn ihre Freiheit nur von kurzer Dauer war. Am dreißigsten Mai 2003 eröffnete eine Gruppe Militärs das Feuer auf ihren Konvoi, in dem sie sich zusammen mit vielen Anhängern befand. Es gab viele Tote und nur den Reflexen ihrer Fahrers Ko Kyaw Soe Lin war es zu verdanken, dass Aung San Suu Kyi sich retten konnte; allerdings wurde sie erneut unter Hausarrest gestellt.  



  Am Tag nach ihrer Freilassung im Mai 2002 gelang es mir auf Grund einiger Kontakte zu birmanischen Dissidenten, ihr eine Reihe von Fragen für ein „Ferninterview“ per Mail zukommen zu lassen.  









  ***** 



  Die Wachen, die vor der Residenz von Aung San Suu Kyi, Leader der demokratischen Opposition von Birma Posten bezogen hatten, waren um zehn Uhr des gestrigen Tages still und heimlich wieder in ihre Kaserne zurückgekehrt. Durch diesen überraschenden Schachzug hatte die Militärjunta von Rangun die Restriktionen aufgehoben, die die Anführerin der Pazifisten oder “die Lady”, wie sie von der birmanischen Bevölkerung genannt wurde, in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten. Die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 stand nämlich bereits seit Juli 1989 unter Hausarrest.  



  Seit gestern Morgen zehn Uhr stand es Aung San Suu Kyi nach fast dreizehn Jahren frei, das Haus am See zu verlassen; sie durfte reden, mit wem sie wollte, sich politisch betätigen, sie durfte ihre Kinder sehen.  



  Aber ist die schreckliche Isolation der “passionierten Birmanin“ wirklich vorbei? Die im Exil befindliche Opposition glaubt noch nicht an die hochtrabenden Worte der Militärjunta, die erklärt hatte, sie ohne Bedingungen freizulassen.  



  Die birmanischen Exilanten warten ungläubig und beten. Seit gestern hat nämlich die birmanische Diaspora in allen buddhistischen Tempeln Thailands und Ostasiens zu Gebetszeremonien aufgerufen.  



  Sie, die      

Lady

      , hat nach ihrer Freilassung keine Zeit verloren und sich sofort im Auto zu ihrer Parteizentrale begeben, zum  



  Hauptquartier der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), die bei den Wahlen von 1990 (mit achtzig Prozent aller Stimmen) eine überwältigende Mehrheit gewinnen konnten, während die Regierungspartei der Nationalen Einheit sich nur zehn der 485 Sitze sichern konnte. Die Militärregierung annullierte das Wahlergebnis, verbot alle Aktivitäten der Opposition, unterdrückte gewaltsam alle Straßendemonstrationen und die Oppositionsführer wurden ins Gefängnis geworfen oder ins Exil verbannt. Das neue Parlament wurde nie einberufen. 










Die italienische Ausgabe ihrer Autobiographie trägt den Titel “Libera dalla paura”. Entspricht das ihren aktuellen Gefühlen?




  Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal nach über zehn Jahren frei, frei im physischen Sinne. Insbesondere frei zu handeln und zu denken. Wie ich in meinem Buch schreibe fühle ich mich schon seit etlichen Jahren “frei von Angst”. Seit ich begriffen habe, dass der in meinem Land herrschende Machtmissbrauch mich verletzen und demütigen konnte, ja mich sogar hätte umbringen können, aber das konnte mir keine Angst mehr machen.  










Heute, kaum in Freiheit, haben Sie sofort erklärt, dass man keinerlei Bedingungen an Ihre Freilassung geknüpft hat und dass die an der Macht befindliche Militärjunta Ihnen gestattet hat, auch ins Ausland zu reisen. Glauben Sie das wirklich?




  Ein Sprecher der Junta hat in einer gestern veröffentlichten schriftlichen Verlautbarung angekündigt, dass «für das Volk von Myanmar und für die internationale Gemeinschaft eine neue Seite im Buch der Geschichte aufgeschlagen werden soll». In den letzten Monaten wurden hunderte von politischen Häftlingen freigelassen und die Militärregierung hat mir versichert, dass man auch weiterhin diejenigen freilassen wird, die – wie sie es ausdrücken – “keine Gefahr für die Gemeinschaft darstellen“. Alle Menschen hier wollen das nur allzu gerne glauben und hoffen, dass dies echte Anzeichen für einen Wandel sind. Die Rückkehr auf diese Straße in Richtung Demokratie, die mit dem Staatsstreich von 1990 plötzlich und gewaltsam unterbrochen wurde, aber im Herzen des birmanischen Volkes stets präsent war.  










Jetzt, da Sie frei sind, befürchten Sie da nicht ausgewiesen- und von ihren Anhängern getrennt zu werden


 ?




  Es sollte jedem klar sein, dass ich nicht gehe. Ich bin Birmanin und habe die britische Staatsbürgerschaft ausgeschlagen, um dem Regime keinen Angriffspunkt zu bieten. Ich habe keine Angst. Das gibt mir Kraft. Aber das Volk hungert, daher die Angst, die die Menschen schwach werden lässt. 










Sie haben mehrfach und mit Nachdruck die Einschüchterungsversuche des Militärregimes gegenüber den Sympathisanten für die Demokratische Liga angeprangert. Gibt es die auch heute noch?




  Wir sind in Besitz von Daten, die besagen, dass allein im Jahr 2001 über tausend militante Kämpfer der Opposition auf Geheiß der Generäle des       slorc festgenommen wurden. Viele andere sahen sich gezwungen, der      

Liga

       abzuschwören, nachdem sie eingeschüchtert und bedroht wurden. Für diese Art von illegalen Pressionen gibt es keine Rechtfertigung. Die Strategie erfolgt flächendeckend nach demselben Muster: Man setzt Einheiten staatlicher Funktionäre auf sie an, die “von Tür zu Tür” gehen und die Bürger auffordern, die      

Liga

       zu verlassen. Den Familien, die sich weigern, droht man mit Repressalien wie dem Verlust des Arbeitsplatzes und oftmals sind es offene Drohungen. Viele Parteizentren wurden geschlossen und tagtäglich kontrollieren die Militärs die Zahlen der ausgetretenen Mitglieder. Das beweist, wie groß die Angst vor der      

Liga

      ist. Die Hoffnung, die wir alle im Augenblick haben ist die, dass dies alles wirklich und wahrhaftig ein Ende gefunden hat.  










Hat Sie die heutige Wende, der Paukenschlag ihrer Befreiung, überrascht oder war es ein von den Militärs sorgfältig geplantes und vorbereitetes Manöver, das aus Gründen des “Ansehens” in aller Welt erfolgte, quasi ein Vorhaben mit „Außenwirkung“?




  Von ’95 bis heute kam es zu einer schrittweisen Lockerung der Isolation von Birma. Die Universität von Rangun wurde wieder geöffnet und möglicherweise haben sich die Lebensumstände leicht verbessert; dennoch wird der Gang der Geschichte von Birma im täglichen Alltag immer noch von Gewalt, Illegalität und Machtmissbrauch, sowohl gegen Dissidenten als auch gegen ethnische Minderheiten (Shan, We, Kajn) bestimmt, die sich nach Autonomie sehnen, sowie ganz generell, gegen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes. Die Militärs haben immer mehr Probleme, sowohl intern als auch international betrachtet. In der Zwischenzeit betreiben sie weiter Drogenhandel, sofern es ihnen nicht gelingt, eine andere, ebenso lukrative Einnahmequelle aufzutun. Nur welche? Die Nation gleicht praktisch einem großen Panzerschrank, von dem nur das Militär die Kombination kennt und es wird nicht leicht werden, die Generäle davon zu überzeugen, diesen Reichtum mit den anderen fünfzig Millionen Birmanen zu teilen.  










Wie sehen aktuell die Bedingungen für eine Dialogbereitschaft aus


 ?




  Wir werden so lange keine wie auch immer geartete Initiative akzeptieren - die Rede ist auch von Wahlen, die von den Generälen einberufen werden – bis das 1990 gewählte Parlament nicht zusammengetreten ist. In meinem Land herrscht auch weiterhin die Angst. Einen echten Frieden wird es so lange nicht geben, so lange es kein echtes Engagement gibt, im Namen aller, die für ein freies und unabhängiges Birma gekämpft haben, auch wenn ihnen bewusst war, dass es nicht möglich sein würde, Frieden und Versöhnung für alle Zeiten zu sichern und dass es daher notwendig sein würde, die Anstrengungen im Sinne von mehr Wachsamkeit zu verdoppeln, mehr Mut zu beweisen und den wahren, aktiven aber gewaltlosen Widerstand im eigenen Herzen zu entwickeln.  










 Was kann die Europäische Union tun, um dem birmanischen Volk zu helfen? 




  Weiterhin Druck machen, damit die Generäle merken, dass die Welt ihnen auf die Finger schaut und dass sie nicht ungestraft weitere Schändlichkeiten begehen können. 



  ***** 



  Am dreizehnten November 2010 erlangte Aung San Suu Kyi endgültig die Freiheit. 2012 bekam sie einen Sitz im birmanischen Parlament und am sechzehnten Juni desselben Jahres konnte sie den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Nachdem die Regierung ihr endlich erlaubte hat, ins Ausland zu reisen, konnte sie nach England fahren, um nach vielen Jahren ihren Sohn wiederzusehen. 



  Am sechsten April 2016 wurde sie zur Staatsrätin (ziviles Staatsoberhaupt) von Myanmar ernannt.  

 



  Birma, die heutige Republik der Union Myanmar, ist noch immer kein völlig freies Land und seine Geschichte wird von der Diktatur der Vergangenheit belastet, die auch Auswirkungen auf die Zukunft der Nation hat, aber die Öffnung des Landes der tausend Pagoden lässt Raum für mehr als nur die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie.  



    7 







Lucia Pinochet











  “   

Asasinar, torturar y hacer desaparecir

      ” 


















































Santiago de Chile, März 1999

      . 



  «Pinochet?      Für die Chilenen ist er wie ein Krebsgeschwür, ein Stück dunkle Vergangenheit, das      

sie male oscuro

       nennen..., etwas Schmerzhaftes. Etwas, von dem man weiß, dass man es hat, aber sich fürchtet, darüber zu reden, auch nur den Namen auszusprechen. Am Ende tut man so, als habe es ihn nie gegeben. Vielleicht, weil wir hoffen, dass wir durch Ignorieren erreichen, dass dieses Böse von selbst verschwindet, ohne dass wir ihm in die Augen schauen müssen...» Die junge Frau, die im      

Cafè El Biografo

      , einem Treffpunkt für Dichter und Studenten im malerischen      

Barrio

       von      

Bellavista

       in Santiago bedient, einem Künstlerviertel mit vielen alten Restaurants und farbenfrohen Häusern ist gerade mal etwas älter als Zwanzig. Vermutlich war sie nicht einmal geboren, als General Augusto Pinochet Ugarte, der “Senador vitalicio”, wie sie ihn hier nennen, befahl, seine Gegner “umzubringen, zu foltern und verschwinden zu lassen” – wie es die Familienangehörigen der über dreitausend Verschwundenen in die Welt hinausschreien - oder, wie seine Bewunderer es ausdrücken, während er mit eiserner Faust versuchte, Chile von der Bedrohung durch den internationalen Bolschewismus zu befreien. Sie will mir ihre persönliche Meinung zu Pinochet sagen und sie hat eine klare Vorstellung: «Pinochet ist hier allgegenwärtig. Egal, ob man pro oder contra ist, in jedem Detail des täglichen Lebens von Chile ist der General präsent. Natürlich in erster Linie in der Politik, klar. Aber auch im Gedächtnis aller, in den Erzählungen meiner Eltern, in den Vorträgen der Lehrer in der Schule. Und als Titelfigur in Romanen und Büchern... im Kino. Ja, auch im Kino. Hier in Chile kann man nur pro oder contra Pinochet sein. Und wir, wir tun so, als ob er nicht existieren würde...”. 



  Tja, dieser eigensinnige ältere Herr, der «mit der Würde eines Soldaten» der britischen Justiz entgegentritt («...armer alter Mann» flüstert mir der Portier des “Circulo de la Prensa” ins Ohr, einem Ort, an dem die engstem Vertrauten des      

Senador vitalicio

      , in den dunklen Jahren der Militärdiktatur aufkreuzten, um unangenehme Journalisten “abzuholen“, direkt hinter dem Palast la Mondea, wo Salvador Allende starb, gejagt nach dem Staatsstreich des Generals), dieser “arme alte Mann” der mittlerweile im Chile des 21. Jahrhunderts zum sperrigen Koloss geworden ist, der mit seinem Umfang jedes Viertel, jeden Winkel, jede Gasse von Santiago füllt, der etwas unentschlossen wirkt, beinahe introvertiert.  



  Aber er ist immer noch das lebende Gedächtnis dieses Landes, ein immenses, einschneidendes, unangenehmes Gedächtnis für seine Anhänger und nervig für seine Gegner und Kritiker. Ein Gedächtnis, das sich ausweitet, klebrig wie der gallertartige      

Blob

       und alles umschließt: Leben, Hoffnungen und Schmerzen – die Vergangenheit und die Zukunft der Chilenen. 









  Pinochet wurde im Oktober 1998, wenige Monate nach seiner Abdankung als Chef des Heeres und eben Senator (auf Lebenszeit) geworden, festgenommen und unter Hausarrest gestellt, während er sich zu medizinischen Behandlungen in London aufhielt. Zunächst in der Klinik, in der er sich einer Rückenoperation unterzogen hatte und später in der von ihm angemieteten Residenz. 



  Ein spanischer Richter, Baltasar Garzón hatte den internationalen Haftbefehl wegen völkerrechtswidrigen Verhaltens unterschrieben. Die Anklagepunkte umfassten annähernd einhundert Fälle von Folter zu Lasten spanischer Staatsbürger und einen Fall von konspirativem Vorgehen zum Zweck von Folter. Großbritannien hatte erst kürzlich die Internationale Anti-Folter Konvention unterzeichnet und sämtliche Vorwürfe bezogen sich auf Taten, die während der letzten vierzehn Monate seiner Herrschaft verübt  



  worden waren.  



  Die chilenische Regierung protestierte sofort gegen die Verhaftung, die Auslieferung und gegen einen Prozess. Es entstand ein hartnäckiger Rechtsstreit vor der Kammer der Lordrichter, dem obersten britischen Gerichtsorgan, der sechzehn Monate andauerte. Pinochet berief sich auf seine diplomatische Immunität als ehemaliger Staatschef, aber diese wurde ihm von den Lords angesichts der Schwere der erhobenen Anklagen abgesprochen und dem Auslieferungsersuchen wurde stattgegeben, allerdings mit diversen Auflagen und Einschränkungen. Kurz darauf ermöglichte jedoch ein zweiter Urteilsspruch derselben Kammer der Lordrichter Pinochet der Auslieferung auf Grund seines prekären Gesundheitszustandes zu entgehen (er war zum Zeitpunkt seiner Festnahme zweiundsechzig Jahre alt), und zwar aus “humanitären” Gründen. Nach einigen medizinischen Untersuchungen gewährte der damalige britische Außenminister Jack Straw Pinochet nach beinahe zwei Jahren Hausarrest oder Klinikaufenthalt im März 2000 die Rückkehr in sein Land. 









  Auf dem Höhepunkt dieses verwickelten internationalen juristischen Tauziehens reiste ich Ende März 1999 nach Santiago de Chile, um für die Tageszeitung      

Il Tempo

      über die aktuelle Ent-wicklung zu berichten und um die älteste Tochter des      

Senador vitalicio

      , Lucia zu treffen. Der High Court in London hatte Pinochet soeben die Immunität verweigert und das Flugzeug, dass – getragen von der Hoffnung der Familie und den Anhängern des Generals – geschickt wurde, um ihn nach Chile zurückzubringen, kam ohne ihn zurück.  



  Die Reaktion auf den Straßen von Santiago ließ nicht lange auf sich warten. In der chilenischen Hauptstadt war am vierundzwanzigsten März das Urteil mit angehaltenem Atem erwartet, worden, auch wenn man keine Panzersperren aufgebaut hatte. Während eine diskrete Präsenz von “Carabineros” die neuralgischen Punkte der chilenischen Hauptstadt kontrollierte – den Präsidentenpalast der Moneda, die Botschaften von Großbritannien und von Spanien und die Amtssitze der Organisationen pro und contra des      

Senador vitalicio

       – verfolgten die Chilenen die Ereignisse im Minutentakt dank der ausführlichen Medienberichterstattung durch die nationalen Netzwerke. Die Aufmerksamkeit galt einem historischen Ereignis, per Satellit direkt mit London, Madrid und diversen Standorten in Santiago verbunden, das     gegen sieben Uhr morgens begonnen hatte und den ganzen Tag über andauerte. Weniger als eine Stunde nach Entscheidung des Lordgerichts, gegen zwölf Uhr Ortszeit brachten zwei Nachmittagszeitungen bereits eine Sonderausgabe. Ein Blatt betitelte die Reportage auf der Titelseite mit folgender Schlagzeile: «Pinochet hat verloren und gewonnen».



  In den entscheidenden Momenten jenes Vormittags versammelten sich viele Bürger von Santiago um die öffentlichen 



  Fernseher, die man überall in den Lokalen installiert hatte, in allen Filialen von McDonald's bis zu den kleinen Gasthäusern. In einem großen Warenhaus des Zentrums war es beinahe zu einer Revolte von erbosten Kunden gekommen, die den Direktor verbal attackierten und forderten, den Fernsehsender auf die Direktleitung nach London einzustellen.  



  Am Nachmittag kam es zu ersten Spannungen, nachdem zuvor alles ruhig geblieben war. Um sechzehn Uhr Ortszeit Santiago kam es im Zentrum der Hauptstadt, an der Kreuzung zwischen 'Alameda

 

 und calle Miraflores zu ersten Zusammenstößen zwischen Studenten und der Polizei. Die Bilanz: etwa zehn Verletzte und an die fünfzig festgenommene Studenten.  



  Es gab viele Appelle und überall wurde zur Ruhe aufgerufen, insbesondere von Seiten der Regierungsvertreter. Es gab auch Drohreden, wie die von General Fernando Rojas Vender, (der Pilot der den Präsidentenpalast der Moneda bombardierte), Kommandant der chilenischen Luftwaffe, der fahnentreuen FACH, die am Dienstag zuvor noch öffentlich behauptet hatte, dass sich im Land ein Klima bilde, «ähnlich wie beim Staatsstreich von '73»; sie waren von der Regierung massiv kritisiert und zensiert worden und man hatte Rojas sogar zu einem öffentlichen Dementi gezwungen. 



  Dann richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die Erklärung des britischen Justizministers Straw. Um seine Figur herum hatte sich bereits ein Propagandaapparat, bestehend aus Pinochet-Anhängern gebildet, die darauf setzten, dass «Straw dasselbe Ende wie Lord Hofmann beschieden sei» oder die versuchten, den britischen Minister durch den Vorwurf zu diskreditieren, er habe in jungen Jahren, als er als Dreißigjähriger Chile bereist hatte, starke und öffentliche Sympathien für die chilenische Linke gezeigt. Es gab sogar Stimmen, die behaupteten, Beweise für ein freundschaftliches Treffen zwischen dem jungen Straw und dem damaligen Präsidenten Allende vorlegen zu können, wobei es um eine Einladung zum Tee ging. 



  Kurzum, zu behandelnde Themen gab es vermutlich viele, dachte ich, während ich mich zu Fuß auf den Weg zum Haus von Lucia Pinochet machte. 









  ***** 



  Inés Lucia Pinochet Hiriart ist die älteste Tochter. Eine schöne Frau, der man ihr Alter nicht ansieht, ganz zu schweigen von ihrem Familiennamen. Ein banaler Gipsverband war der Grund dafür gewesen, weshalb sie ihren Vater nicht zusammen mit ihren Brüdern nach London begleiten konnte. So musste sie unverhofft in Santiago zurückbleiben und ihr fiel die Aufgabe zu, den      

Senador

      zu vertreten und vor allem in diesem nicht ganz einfachen Moment zu verteidigen.  



  In ihrem schönen Haus in einem der höher gelegenen Viertel der Stadt, wo durch die offenen Fenster die Stimmen der Demonstranten dringen, die Slogans für ihren Vaters skandieren, findet das Gespräch mit ihr in Begleitung ihrer drei Söhne, Hernan, Francisco und Rodrigo statt. Wir reden fast eine Stunde über die “brisanten” Themen, die die Geschicke ihres Vaters und unausweichlich auch die Zukunft von ganz Chile betreffen. 










Wie denken Sie über die “humanitäre” Entscheidung zugunsten Ihres Vaters?




  Es wäre mir lieber gewesen, wenn man meinem Vater die uneingeschränkte Immunität gewährt hätte, die ihm als ehemaliger Staatschef eines souveränen Staates zusteht. Aus einem Strafverfahren ist eine politische Diskussion über angebliche Fälle von Folter, diverse Verbrechen und Völkermord geworden. Man hat dem Druck der Sozialisten nachgegeben und Personen geglaubt, die vorgeben, die Menschenrechte verteidigen zu wollen. 










Haben Sie mit Ihrem Vater gesprochen? Wie hat er reagiert?




  Mein Vater ist über diese Lösung nicht glücklich. Man hatte ihm die Möglichkeit einer „humanitären“ Entscheidung in Aussicht gestellt. Und er ist mit Sicherheit nicht glücklich darüber, dass alles in den Händen von Minister Jack Straw liegt... 










Derselbe, der Chile 1966 besucht hatte und von dem man hier munkelt, er sei bei Salvador Allende zum Tee gewesen?




  Genau der und das war uns lange vorher bekannt. Es sollte reichen, sich vor Augen zu halten, dass Straw nach der Verhaftung meines Vaters in London erklärte, für ihn sei ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.  

 










Man hat sich also jetzt von der juristischen Ebene auf die Humanitäre begeben...




  Es war immer schon ein Politikum! Es wäre Augenwischerei gewesen, von einem Gerichtsverfahren zu sprechen, denn London ist nicht der Ort, um über Folter zu diskutieren, sondern allenfalls über die Immunität eines Präsidenten und über territoriale Souveränität. 










Viele Kommentatoren haben sich dahingehend geäußert, dass es sich um ein historisches Urteil handelt, das einen juristischen Präzedenzfall von bedeutender Tragweite bildet. Sehen Sie das auch so?




  Sicher, es ist ja schließlich das erste Mal, dass eine solche Situ-ation zur Debatte steht. Sie dürfen nicht vergessen, dass es bereits seit Jahren Internationale Abkommen gibt, aber es gab nie weder ein gerichtliches Verfahren noch einen eigenständigen Gerichtshof, um über Menschenrechtsverstöße zu richten und diese gegebenenfalls zu bestrafen. Daher muss mein Vater für dieses Experiment den Kopf hinhalten!  










Wie steht es um den Gesundheitszustand des Generals?




  Man darf nicht vergessen, dass er dreiundachtzig ist und sich soeben einer schwierigen Operation unterzogen hat. Er erholt sich langsam aber der Diabetes lässt ihn nicht zur Ruhe kommen und er muss täglich Behandlungen und ärztliche Kontrollen über sich ergehen lassen.  










Fürchten Sie im Fall einer Auslieferung um seine Gesundheit?




  Ja, denn das könnte seinen Zustand gravierend verschlechtern. Ich sorge mich vor allem um die Gesundheit meiner Mutter. Sie war nicht in der Lage, die dramatischen Phasen dieser Geschichte mitzuverfolgen. Als sie den Spruch der Lordrichter im Fernsehen. verfolgte, erlitt sie einen Schwächeanfall und die Ärzte mussten Sie mit verschiedenen Injektionen behandeln, um die Blutdruckschwankungen in den Griff zu bekommen... 










Hat die britische Justiz Sie enttäuscht?




  Nein, denn ich glaube, dass es sich hier nicht um eine Affäre handelt, die per se mit den Engländern in Verbindung steht. Verantwortlich sind vielmehr die aktuellen Machthaber in Großbritannien und die sind, wie man ja weiß, linksgerichtet... 










Glauben Sie, dass es auch in England Menschen gibt, die für Ihre Sache eintreten?




  Viele Engländer sind auf unserer Seite. Das wurde mir bewusst, als ich kürzlich dort war. Viele Menschen sind mit Solidaritätsbekundungen auf mich zugekommen. Und ihr Widerstand in dieser Angelegenheit, mal abgesehen von der Sache, die meinen Vater betrifft, kostet auch den englischen Staatsbürger sehr viel Geld aus der Staatskasse. 










Hat Ihrer Ansicht nach der ehemalige Präsident Frei energisch genug reagiert?




  Ich hätte mir ein energischeres Vorgehen gewünscht. Er hat jedenfalls einiges getan, das muss ich anerkennen und das schätze ich an ihm. Natürlich hätte ich mir einen Vorstoß seinerseits gewünscht, um die Internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, unserem Land den Respekt entgegenzubringen, den es verdient. Es ist nicht hinnehmbar, dass man einen Ex Staatschef, einen Senator der Republik und einen Ex Befehlshaber des Heeres im Ausland festhält. 










Wie werden Sie das Ereignis feiern, falls Ihr Vater nach Chile zurückkehrt?




  Im Kreise der Familie. Das größere Fest wird seiner Rückkehr in die Heimat vorbehalten sein.  










Wird er nach seiner Rückkehr sofort in den Senat zurückkehren oder, wie manch einer jetzt schon behauptet, sich für einige Zeit in eine seiner Residenzen nach Bucalemu, El Melocoton oder nach Iquique zurückziehen, bis sich die Gemüter beruhigt haben?




  Ich verstehe ehrlich gesagt überhaupt nicht, weshalb sein Fall die Gemüter hier in Chile so sehr in

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