einer!"
Er nahm die Waffen aus dem Gürtel und ließ die vier Hähne
spielen. Ich fragte den Bejat abermals:
"Weshalb hat sich der Khan entfernt?"
Die Antwort ließ nicht einen Augenblick auf sich warten.
"Um die Bebbeh zu überfallen."
"Die Bebbeh? So hat er mich also belogen! Er sagte, daß er die
Dschiaf besuchen wolle."
"Herr, Khan Heider Mirlam sagt nie eine Lüge! Er will wirklich
zu den Dschiaf, wenn ihm der Ueberfall gelungen ist."
Jetzt fiel mir ein, daß er mich gefragt hatte, ob ich mit den
Bebbeh Freund oder Feind sei. Er hatte mir seinen Schutz
angedeihen lassen und mir doch auch meine Unbefangenheit
bewahren wollen.
"Lebt ihr mit den Bebbeh in Unfrieden?" fragte ich weiter.
"Sie mit uns, Herr. Wir werden ihnen dafür heute ihre Herden,
ihre Teppiche und Waffen wegnehmen.
Hundertundfünfzig Männer werden diese Beute heimschaffen,
und fünfzig werden mit dem Khan zu den Dschiaf gehen."
"Wenn die Bebbeh es erlauben," fügte ich hinzu.
Trotz der Dunkelheit bemerkte ich, daß er den Kopf stolz
emporwarf.
"Diese? Die Bebbeh sind Feiglinge! Hast du nicht gesehen, daß
dieser Mann heute vor uns geflohen ist?"
"Einer vor zweihundert!"
"Und du allein hast ihn gefangen!"
"Bah! Ich fange unter Umständen ebenso gut zehn Bejat. Zum
Beispiele: Du und diese vier, die Wache draußen und die neun
drüben im andern Lager, ihr seid jetzt meine Gefangenen. Halef,
bewache den Ausgang. Wer diesen Platz ohne meine Erlaubnis
betreten oder verlassen will, den erschießest du!"
Der wackere Hadschi verschwand sofort nach dem Ausgange
hin; der Bejat sagte ängstlich:
hin; der Bejat sagte ängstlich:
"Herr, du scherzest!"
"Ich scherze nicht. Der Khan hat mir das Wichtigste
verschwiegen, und auch du hast nur darum gesprochen, weil ich
dich gezwungen habe. Darum sollt ihr mir dafür bürgen, daß ich
hier sicher bin.
Kommt herbei, ihr Viere!"
Sie folgten meinem Befehle.
"Legt eure Waffen hier zu meinen Füßen nieder!" - Und als sie
zögerten, fügte ich hinzu: "Ihr habt von uns gehört! Meint ihr es
ehrlich mit uns, so geschieht euch nichts und ihr erhaltet eure
Waffen wieder; weigert ihr euch aber, mir zu gehorchen, so kann
euch kein Dschinni und Scheïtan helfen!"
Jetzt taten sie, was ich von ihnen verlangt hatte. Ich übergab die
Gewehre den Gefährten und instruierte Mohammed Emin, wie er
sich nun weiter zu verhalten habe. Dann verließ ich den Platz, um
dem Laufe des Baches in das Freie hinaus zu folgen.
Draußen fand ich zwischen Steinen die Wache, welche mich
gleich erkannte.
"Wer hat dich hergestellt?" fragte ich.
"Der Khan."
"Der Khan."
"Wozu?"
"Damit er, wenn er kommt, gleich weiß, daß alles in Ordnung
ist."
"Sehr gut! Gehe einmal hinein, und sage meinen Gefährten, daß
ich gleich wieder kommen werde."
"Ich darf diese Stelle nicht verlassen."
"Der Khan weiß nichts davon."
"Er wird es erfahren."
"Das ist möglich; aber ich werde ihm sagen, daß ich es dir
befohlen habe."
Jetzt ging der Mann. Ich wußte, daß er von Mohammed
zurückbehalten und entwaffnet werden würde. Nun hatte ich
mich zwar nicht erkundigt, wo das zweite Lager sei; aber ich
hatte am Abend in der Nähe des unserigen Stimmen vernommen
und glaubte daher, die Stelle leicht finden zu können. So geschah
es auch; ich hörte ein Pferd stampfen, und als ich dem Laute
nachging, fand ich die neun am Boden sitzenden Bejat, die mich
in der Dunkelheit für ihren Kameraden hielten, denn der eine rief:
"Was sagte er?"
"Was sagte er?"
"Wer?"
"Der fremde Emir!"
"Hier steht er selbst," antwortete ich.
Jetzt erkannten sie mich und standen auf.
"Oh, Emir, hilf uns!" bat der eine. "Der Bebbeh ist uns entflohen,
und wenn der Khan zurückkehrt, so wird es uns sehr schlimm
ergehen."
"Wie ist er entkommen? Hattet ihr ihn denn nicht gebunden?"
"Er war gebunden, aber er muß seine Bande nach und nach
gelockert haben, und als wir schliefen, hat er sein Pferd nebst
unsern Gewehren genommen und ist entwischt."
"Nehmt eure Pferde, und folgt mir!"
Sie gehorchten sofort, und ich führte sie nach unserm Lagerplatz.
Als wir denselben erreichten, hatte der Haddedihn indes ein
kleines Feuer angebrannt, um die Umgebung zu erleuchten. Die
Wache saß bereits waffenlos bei den andern Bejat. Die neun
Männer, welche ich jetzt brachte, waren von dem ihnen
widerfahrenen Unfalle so niedergeschmettert, daß sie mir ohne
Widerrede ihre Messer und Lanzen übergaben. Ich erklärte den
fünfzehn Männern, daß sie nur dann von uns etwas zu fürchten
fünfzehn Männern, daß sie nur dann von uns etwas zu fürchten
hätten, wenn es ihrem Khan einfallen sollte, einen Verrat an uns
zu begehen; den entflohenen Bebbeh aber könne ich ihnen
unmöglich wieder bringen.
Master Lindsay hatte sich während meiner Abwesenheit, so gut
es bei seinem Mangel an Sprachkenntnis möglich war, von Halef
das ihm noch Unverständliche erklären lassen. Jetzt trat er zu
mir.
"Sir, was tun wir mit den Kerls?"
"Das soll sich erst finden, wenn der Khan zurückkehrt."
"Wenn sie aber ausreißen?"
"Das gelingt ihnen nicht. Wir überwachen sie ja, und übrigens
werde ich unsern Hadschi Halef Omar an den Ausgang stellen."
"Dorthin?" - Er deutete nach dem Gange, der in das Freie führte.
Als ich nickte, fügte er bei: "Ist nicht genug! - Gibt noch einen
zweiten Ausgang. Da hinten! Yes!"
Ich sah nach der Richtung, welche mir seine Hand andeutete,
und gewahrte beim Scheine der Flamme ein hohes Felsenstück,
vor welchem ein Busch stand.
"Ihr scherzt, Sir!" sagte ich. "Wer kann über diesen Stein
kommen! Er ist wenigstens fünf Meter hoch."
kommen! Er ist wenigstens fünf Meter hoch."
Er lachte mit dem ganzen Gesichte, so daß sein Mund das
berühmte Trapezoid bildete, innerhalb dessen Linien die großen
gelben Zähne sichtbar wurden.
"Hm! Seid ein gescheiter Kerl, Master! Aber David Lindsay ist
doch noch klüger. Well!"
"Erklärt Euch, Sir!"
"Geht einmal hin, und seht Euch den Stein und den Busch an!"
"Also wirklich? Aber hingehen kann ich nicht, denn ich würde die
Bejat auf diesen Ausgang aufmerksam machen, wenn er wirklich
vorhanden ist."
"Er ist da, wirklich da, Master! Yes!"
"Inwiefern?"
"Das ist nicht ein Stein, sondern es sind zwei Steine, und
zwischen der schmalen Lücke steht der Busch.
Verstanden?"
"Ah, das kann für uns von großem Vorteile sein. Wissen die
Bejat etwas davon?"
"Glaube nicht; denn als ich dort war, haben sie nicht auf mich
"Glaube nicht; denn als ich dort war, haben sie nicht auf mich
geachtet."
"Ist die Lücke sehr schmal?"
"Man kann mit einem Pferde hindurch."
"Und wie ist das Terrain dann hinter ihr?"
"Weiß nicht. Konnte es nicht sehen."
Das war so wichtig, daß ich es gleich untersuchen mußte. Ich
machte die Gefährten auf mein Vorhaben aufmerksam und
verließ den Lagerplatz. Draußen umging ich das Felsengewirr
und fand wegen der Dunkelheit nur mit vieler Mühe endlich den
Ort, wo der Busch zwischen den beiden Felsen stand. Die
Oeffnung, welche er maskierte, war etwas über zwei Meter
breit. Hinter ihr gab es zwar auch noch eine Menge bunt
durcheinander geworfenen Gesteins, aber es war wenigstens
beim Lichte des Tages nicht schwer, ein Pferd hindurch zu
lenken.
Da ich nicht wußte, was uns begegnen konnte, so zog ich mein
Messer, trat an den Busch heran und machte so tiefe Einschnitte
in einige der Stämmchen, daß sie nach außen fallen mußten, falls
man mit dem Pferde darüber hinwegstrich. Natürlich geschah
dies so vorsichtig, daß die dahinter lagernden Bejat nichts davon
merkten. Dann kehrte ich zu dem Lagerplatz zurück und stellte
Halef am Eingange desselben auf. Er erhielt die Weisung, uns
Halef am Eingange desselben auf. Er erhielt die Weisung, uns
jede Annäherung sofort zu melden.
"Was hast du gefunden, Effendi?" fragte Mohammed Emin.
"Einen prachtvollen Ausweg für den Fall, daß wir uns ohne
»Sallam« entfernen müßten."
"Durch den Busch hinaus?"
"Ja. Ich habe ihn durchschnitten. Sobald ein Reiter
hindurchbricht, wird der Strauch umgerissen und die Folgenden
haben dann freie Bahn."
"Gibt es dann noch Gestein?"
"Ja, große Steinbrocken mit Dorn und Pflanzenwerk dazwischen;
aber wenn es hell ist, kommt man recht gut hindurch."
"Meinst du denn, daß wir diesen Weg gebrauchen werden?"
"Ich weiß es nicht, aber ich ahne es. Lache nicht über mich,
Mohammed Emin; aber bereits seit meiner Kindheit habe ich ein
gewisses Ahnungsvermögen besessen, welches mich oft auf noch
entfernte Dinge aufmerksam machte."
"Ich glaube dir. Allah ist groß!"
"Freudige Dinge ahne ich nie vorher. Aber zuweilen erfaßt mich
eine Unruhe, eine Angst, als hätte ich etwas Böses begangen,
eine Unruhe, eine Angst, als hätte ich etwas Böses begangen,
dessen Folgen ich nun fürchten müsse. Dann ist sicher und
regelmäßig etwas geschehen, was mir Schaden bringt. Und wenn
ich später die Zeit vergleiche, so stimmt es ganz genau: die
Gefahr hat in demselben Augenblick begonnen, an welchem mich
die Angst überfiel."
"So wollen wir auf die Warnung achten, welche dir Allah
sendet."
Meine Besorgnis äußerte ihre Wirkung auch auf die Gefährten.
Das Gespräch stockte, und wir lagen wortlos beieinander, bis
der Tag anbrach. Kaum aber war es möglich, den Blick in die
Ferne zu richten, so kam Halef hereingeeilt und meldete, daß er
viele Reiter gesehen habe. Ihre genaue Zahl hatte er nicht
unterscheiden können.
Ich trat zum Pferde, nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und
folgte Halef. Man erkannte mit dem bloßen Auge draußen auf
der Ebene eine Menge dunkler Gestalten; durch das Rohr
konnte ich sie deutlicher unterscheiden.
"Sihdi, wer ist es?" fragte Halef.
"Die Bejat sind es."
"Aber ihrer sind nicht so viele!"
"Sie kehren mit dem Raube zurück. Sie führen die Herden der
"Sie kehren mit dem Raube zurück. Sie führen die Herden der
Bebbeh bei sich. Wie es scheint, reitet der Khan mit einer Schar
schnell voran. Er wird also eher da sein, als die Andern."
"Was tun wir?"
"Hm! Warte! Ich werde dir Nachricht geben."
Ich kehrte zu den Gefährten zurück und unterrichtete sie von
dem, was ich gesehen hatte. Sie waren gleich mir überzeugt, wir
hätten von dem Khan nichts zu befürchten. Wir konnten ihm
keinen andern Vorwurf machen, als daß er uns von seinem
Vorhaben keine Mitteilung gemacht hatte. Wäre dies geschehen,
so hätten wir uns ihm nicht angeschlossen; denn es lag ja sicher
eine Gefahr für uns darin, in der Gesellschaft eines
Herdenräubers gesehen zu werden. Wir kamen überein, ihn zwar
vorsichtig, aber doch höflich zu empfangen.
Nun kehrte ich, vollständig bewaffnet, zu Halef zurück.
Der Khan kam mit seinem Trupp im Galopp herbei, und ehe fünf
Minuten vergangen waren, hielt er sein Pferd vor mir an.
"Sallam, Emir!" grüßte er. "Du hast dich wohl gewundert, mich
nicht bei euch zu sehen, als du erwachtest.
Aber ich hatte ein dringliches Geschäft zu besorgen. Es ist
gelungen. Blicke hinter dich!"
Ich sah nur ihm ins Gesicht.
"Du hast gestohlen, Khan Heider Mirlam!"
"Gestohlen?" fragte er mit ganz erstaunter Miene. "Wer seinen
Feinden nimmt, was er ihnen nehmen kann, ist der ein Dieb?"
"Die Christen sagen: ja, er ist ein Dieb, und du weißt, daß ich ein
Christ bin. Warum aber hast du gegen uns geschwiegen?"
"Weil wir dann Feinde geworden wären. Du hättest uns
verlassen?"
"Allerdings."
"Und die Bebbeh gewarnt?"
"Ich hätte sie nicht aufgesucht, und ich wußte ja auch nicht,
welches Lager oder welchen Ort du überfallen wolltest. Aber
wäre mir ein Bebbeh begegnet, so hätte ich ihn von der Gefahr
benachrichtigt, die ihm drohte."
"Siehest du, Emir, daß ich recht habe! Ich konnte nur zweierlei
tun: - entweder mußte ich dir mein Vorhaben verschweigen, oder
ich mußte dich gefangen nehmen und mit Gewalt bei mir
behalten, bis alles vorüber war. Da ich dein Freund war, so habe
ich das erstere getan."
"Ich aber bin in der Nacht in das Lager zu den zehn Männern
gegangen, die du dort zurückgelassen hattest," lautete meine
ruhige Antwort.
"Was wolltest du bei ihnen?" fragte der Khan.
"Sie gefangen nehmen."
"Allah! Warum?"
"Weil ich erfuhr, daß du uns verlassen hattest. Ich wußte nicht,
was mir geschehen könnte; darum nahm ich alle da gebliebenen
Bejat gefangen, um sie als Bürgschaft meiner Sicherheit zu
gebrauchen."
"Herr, du bist ein sehr vorsichtiger Mann; aber du konntest mir
trauen. Was hast du mit dem Bebbeh getan?"
"Nichts. Ich bekam ihn gar nicht zu sehen, denn er war
entflohen."
Der Khan entfärbte sich und rief:
"Derigh (* Persische Interjektion für "o wehe!")! Das ist ja ganz
unmöglich! Das kann mir alles verderben.
Laß mich hinein zu diesen Hunden, welche sicher geschlafen
haben, als sie wachen sollten!"
Jetzt erst sprang er vom Pferde, ließ es stehen und stürmte
zwischen den Felsen hindurch dem Lagerplatze zu. Wir folgten
ihm beide, Halef und ich. Zwischen dem Khane und seinen
Leuten gab es nun eine Szene, die kaum zu beschreiben ist. Er
tobte wie ein angeschossener Eber, teilte Fußtritte und
Faustschläge aus und war nicht eher zu beruhigen, als bis er seine
Kräfte erschöpft hatte. Ich hätte diesem Manne eine solche Wut
gar nicht zugetraut.
"Laß deinen Zorn schwinden, Khan," bat ich schließlich. "Du
hättest diesen Mann doch frei lassen müssen."
"Ich hätte es getan," zürnte er; "aber heut noch nicht, denn mein
Plan soll nicht verraten werden."
"Welches ist dein Plan?"
"Wir haben alles mitgenommen, was wir bei den Bebbeh
gefunden haben. Jetzt nun wird das Gute von dem Schlechten
getrennt. Alles Wertvolle schicke ich auf weiten, aber sicheren
Umwegen zu den Unserigen; alles Schlechte aber nehmen wir
Andern, die wir zu den Dschiaf gehen, mit uns. Unterwegs lassen
wir es stellenweise zurück. Auf diese Art lenken wir die
Verfolgung auf uns; die Bebbeh glauben, sie seien von einer
Abteilung der Dschiaf überfallen worden, und meine Leute
kommen mit der Beute sicher zu den Lagerplätzen und Dörfern
der Bejat."
"Dieser Plan ist gut ausgedacht."
"Aber nun wohl ohne Erfolg. Der gefangene Bebbeh gehörte zu
der Abteilung, die wir überfallen haben; er wußte, daß wir Bejat
sind, und wird alles verraten. Er hat sicher geahnt, was wir
beabsichtigten. Er hat ein sehr gutes Pferd. Wie nun, wenn er,
noch während wir mit dem Ueberfalle beschäftigt waren, die
Schnelligkeit seines Tieres benutzt hat, um die befreundeten
Lager in der Nähe in Alarm zu bringen?"
"Das wäre schlimm für euch und auch für uns, denn er hat uns bei
euch gesehen," antwortete ich.
"Er kennt auch unsern Lagerplatz, und es steht zu erwarten, daß
der Eingang zu diesen Felsen den Bebbeh bekannt ist."
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so erscholl vom
Eingang her ein lauter Ruf:
"Allah 'l Allah! Da sind sie! Nehmt sie lebendig gefangen!"
Wir drehten uns um und erkannten den entflohenen Bebbeh,
welcher mit funkelnden Augen auf mich zusprang; hinter ihm
quoll ein zahlreiches Gefolge durch die Enge auf den Platz, und
zugleich erhob sich ein fürchterliches Geheul, mit zahlreichen
Flintenschüssen untermischt. Wir hatten den Vorgang außerhalb
des Lagers gar nicht beachtet und sogar vergessen, den Eingang
bewachen zu lassen.
bewachen zu lassen.
Ich hatte übrigens nicht die mindeste Zeit zum Nachdenken, denn
der Bebbeh, in welchem ich jetzt einen Khan oder Scheik
vermutete, kam auf mich zu. Er trug weder Lanze noch Büchse
bei sich, ganz so wie seine Gefährten; aber in seiner Hand
funkelte der gewundene afghanische Dolch.
Ich empfing den kühnen Gegner mit freien Händen, ohne nach
einer Waffe zu greifen. Mit der Linken umfaßte ich mit raschem
Griff seine Rechte, welche den Dolch hielt, und meine Rechte
legte ich ihm um den Hals.
"Stirb, Räuber!" rief er, unter einem gewaltigen Ruck, seine
bewaffnete Faust freizumachen.
"Du irrst," antwortete ich. "Ich bin kein Bejat; ich wußte nicht,
daß ihr überfallen werden solltet!"
"Du bist ein Dieb, ein Hund! Du hast mich gefangen genommen;
jetzt aber sollst du mein Gefangener werden. Ich bin Scheik
Gasahl Gaboya, dem noch keiner entgangen ist!"
Wie ein Blitz zuckte mir die Erinnerung durch das Hirn, daß ich
diesen Namen schon als denjenigen eines der tapfersten Kurden
gehört hatte. Da galt es kein Bedenken mehr.
"So nimm du mich gefangen, wenn du kannst!" antwortete ich.
Bei diesen Worten ließ ich beide Hände von ihm ab und trat
zurück. Er mochte dies als eine Schwäche von mir erkennen,
stieß einen triumphierenden Schrei aus und erhob den Arm hoch
zum Stoße. Das wollte ich haben: ich rannte ihm meine Faust mit
solcher Gewalt in die entblößte Achselhöhle, daß seine Füße
augenblicklich den Halt verloren. Sein Körper beschrieb einen
weiten Bogen und stürzte sechs Schritte von mir entfernt zu
Boden, und ehe er sich wieder aufraffen konnte, schlug ich ihm
die geballte Faust auf die Schläfe, so daß er liegen blieb.
"Auf die Pferde, und mir nach!" rief ich.
Ein Blick zeigte mir die ganze Szene. Es waren ungefähr zwanzig
Bebbeh eingedrungen. Die Bejat standen mit ihnen im Kampfe.
Master Lindsay hatte zwei gegen sich und entledigte sich soeben
des einen mit einem Schlage seines Büchsenkolbens; die beiden
Haddedihn hatten sich nebeneinander an den Felsen gelehnt und
ließen keinen an sich kommen, und der kleine Halef kniete auf
einem niedergeworfenen Feinde, dessen Kopf er mit dem
Kolben seiner Pistole bearbeitete.
"Sihdi, nicht fliehen! Wir werden mit ihnen fertig!" beantwortete
der mutige Hadschi meinen Ruf.
"Draußen sind mehrere; die Bejat sind überfallen. Vorwärts!
Schnell!"
Ich entriß dem an der Erde liegenden Gasahl Gaboya seinen
Ich entriß dem an der Erde liegenden Gasahl Gaboya seinen
Dolch, um ein Andenken an diesen unglücklich beginnenden Tag
mitzunehmen, und sprang auf mein Pferd. Um den gehörigen
Anlauf zu bekommen und zugleich auch den Freunden Luft zu
verschaffen, zog ich den Rappen empor, gab ihm die Sporen und
trieb ihn mitten in die Bebbeh hinein. Hier ließ ich ihn nach allen
Seiten ausschlagen, bis ich die vier Gefährten beritten sah, und
trieb ihn dann mit einem weiten Satze in [Illustration Nr. 2] den
Busch hinein, den er mit seinen Hufen niederriß. Draußen mußte
ich sofort halten, da man nur im Schritte vorwärts kommen
konnte; doch erhielten die vier Kameraden immerhin Raum
genug, um mir augenblicklich folgen zu können.
Sobald ich die Felsen hinter mir hatte und mich mit einem Blick
überzeugte, daß alle vier entkommen waren, gab ich dem
Hengste die Schenkel und galoppierte in die offene Ebene
hinaus. Die Andern folgten.
Eine kurze Umschau erklärte mir den ganzen Sachverhalt. Dieser
Scheik Gasahl Gaboya war wirklich ein kluger Mann; denn
anstatt seine Abteilung zu warnen, die doch zum Wider- stande
[Widerstande] zu schwach gewesen wäre, war er bemüht
gewesen, die ganze Umgegend in Aufruhr zu versetzen, und
während die mit Beute beladenen Bejat ahnungslos ihrem Lager
zuzogen, war dasselbe bereits von drei Seiten, wenn auch in sehr
weiter Entfernung, so eingeschlossen, daß die Räuber froh sein
mußten, mit dem nackten Leben zu entkommen. Hinter uns tobte
der Kampf. Wie es den Bebbeh dort gelungen war, unbemerkt
der Kampf. Wie es den Bebbeh dort gelungen war, unbemerkt
und plötzlich an die Bejat zu kommen, das zu untersuchen, hatte
ich keine Zeit. Links von uns sah ich eine breite Linie von Reitern
im Galopp sich dem Kampfplatze nahen. Und rechts von uns
war die ganze Gegend bis hinaus zum äußersten Horizont mit
beweglichen Punkten bestreut; auch das waren Reiter.
"Vorwärts, Effendi!" rief Mohammed Emin. "Sonst schließen sie
uns ein! Bist du mit heiler Haut davongekommen?"
"Ja. Und du?"
"Eine kleine Schramme."
Wirklich blutete er an der Wange, aber der Riß konnte nicht
gefährlich sein.
"Kommt heran!" bat ich. "Wir bilden eine gerade Linie. Wer uns
von der Seite sieht, wird uns von weitem für einen einzigen Reiter
halten."
Diese List wurde befolgt, aber die Bebbeh, welche sich hinter
uns befanden, konnten nicht getäuscht werden, und wir
bemerkten gar bald, daß wir von einer ansehnlichen Schar
verfolgt wurden.
"Sihdi, werden sie uns einholen?" fragte Halef.
"Wer weiß es! Es kommt darauf an, welche Art von Pferden sie
"Wer weiß es! Es kommt darauf an, welche Art von Pferden sie
reiten. Aber, Hadschi Halef Omar, was ist's mit deinem Auge?
Ist es schlimm?"
Sein Auge war geschwollen, trotzdem nur wenige Minuten seit
dem Ueberfalle vergangen waren.
"Es ist nichts, Sihdi," antwortete er. "Dieser Bebbeh war fünfmal
länger als ich und hat mir einen kleinen Hieb gegeben.
Hamdulillah, er wird es nicht wieder tun!"
"Du hast ihn doch nicht getötet?"
"Nein. Ich weiß, daß du dies nicht willst, Effendi."
Es gewährte mir allerdings eine nicht geringe Freude, daß keiner
der Feinde von uns an seinem Leben geschädigt worden war.
Dies mußte uns, selbst vom Standpunkte der reinen Berechnung
aus betrachtet, lieb und beruhigend sein; denn wenn wir den
Bebbeh ja in die Hände fielen, so hatten sie doch wenigstens
keine Blutrache an uns zu nehmen.
Wir setzten unsern Galopp wohl über eine Viertelstunde lang
fort. Der Kampfplatz war uns dabei aus den Augen
geschwunden, aber die Verfolger waren hinter uns geblieben. Sie
hatten sich geteilt. Diejenigen, welche gute Pferde hatten, waren
uns näher gekommen, während die Anderen weit zurückblieben.
"Emir, sie werden uns einholen, wenn wir nicht schneller reiten,"
"Emir, sie werden uns einholen, wenn wir nicht schneller reiten,"
meinte Amad el Ghandur.
"Wir dürfen unsere Tiere nicht jetzt gleich zu sehr anstrengen.
Uebrigens haben sich die Verfolger getrennt, und es ist besser,
einmal mit ihnen zu reden, als sich von ihnen abhetzen zu lassen."
"Maschallah! Du willst mit ihnen sprechen?" rief Mohammed
Emin.
"Allerdings. Ich hoffe, sie so weit zu bringen, daß sie von der
Verfolgung abstehen. Reitet weiter! Ich werde hier halten
bleiben."
Sie ritten im gleichen Tempo weiter. Ich aber stieg vom Pferde,
nahm meine Waffen zu mir, setzte mich zur Erde und richtete das
Gesicht gegen die Verfolger.
Als sie noch ungefähr tausend Schritte entfernt waren, nahm ich
mein Turbantuch herab und wehte damit durch die Luft. Sie
fielen sofort aus dem Galopp in Schritt und hielten auf der Hälfte
der soeben angegebenen Entfernung an. Nach einer kurzen
Besprechung kam einer von ihnen näher herbeigeritten und
fragte:
"Warum sitzest du an der Erde? Ist es List oder Wahrheit?"
"Ich will mit euch reden."
"Mit uns allen oder nur mit einem?"
"Mit uns allen oder nur mit einem?"
"Mit einem, den ihr euch wählen und mir dann senden werdet."
"Du hast deine Waffen bei dir."
"Er kann die seinigen auch mitbringen."
"Lege sie weit von dir; dann wird einer von uns kommen."
"Dann muß auch er die Waffen zurücklassen!"
"Er wird sie ablegen."
Ich erhob mich, legte die beiden Dolche und die Revolver auf die
Erde und hing die Büchse und den Stutzen an den Sattel. Dann
setzte ich mich wieder nieder. Diese Leute konnten unmöglich
wissen, wie viele und was für Waffen ich bei mir trug; es wäre
mir also leicht gewesen, wenigstens die Revolver bei mir zu
behalten; aber ich wollte ehrlich gegen sie sein, um von ihnen
ebenso ehrlich behandelt zu werden.
Ich zählte elf Mann. Der mit mir gesprochen hatte, kehrte zu
ihnen zurück und sprach mit ihnen. Dann stieg er ab, legte seine
Büchse, seinen Wurfspieß und sein Messer nieder und kam
langsam auf mich zugeschritten. Er war ein schöner, schlank
gebauter Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Seine schwarzen
Augen funkelten mich feindselig an, aber er setzte sich still und
wortlos grad vor mich hin.
wortlos grad vor mich hin.
Da ich schwieg und er ungeduldig war, begann er doch endlich
die Unterhaltung, indem er fragte:
"Was willst du von uns?"
"Ich will mit dir sprechen."
"So sprich!"
"Ich kann nicht."
"Allah! Warum?"
Ich zeigte hinter mich.
"Siehe, ich trug mehr Waffen bei mir, als ihr erwarten konntet,
und habe sie alle von mir getan. Auch du hast mir versprochen,
die deinigen abzulegen. Seit wann sind die Bebbeh Lügner
geworden?"
"Lüge ich etwa?"
"Was tut die Keule unter deinem Gewande?"
Ich sah an einer Erhöhung seines Brustkleides, daß er eine Keule
darunter verborgen hatte. Er errötete sichtlich, griff unter das
Gewand und warf die Waffe hinter sich.
"Ich hatte sie vergessen," entschuldigte er sich.
Der Umstand, daß er sie fortwarf, überzeugte mich, daß es nicht
auf eine Treulosigkeit gegen mich abgesehen gewesen war. Er
hatte mir nicht getraut und sich also heimlich vorsehen wollen. Ich
begann:
"So! Nun sei Frieden zwischen uns, bis unsere Unterredung zu
Ende ist. Versprichst du mir dies?"
"Ich verspreche es."
"Reiche mir deine Hand darauf!"
"Hier, nimm sie!"
"Warum verfolgt ihr uns?" fragte ich nun.
Er blickte mir ganz erstaunt in das Angesicht.
"Bist du toll?" rief er. "Ihr beraubt uns; ihr kommt als Feinde, als
Räuber über unsere Grenzen, und du fragst, warum wir euch
verfolgen!"
"Wir kamen weder als Räuber noch als eure Feinde."
Er machte ein noch viel überraschteres Gesicht.
"Nicht? Allah 'l Allah! Und nahmt uns doch unsere Herden und
"Nicht? Allah 'l Allah! Und nahmt uns doch unsere Herden und
unsere Zelte nebst allem, was darinnen war!"
"Du irrst! Nicht wir, sondern die Bejat haben dies getan!"
"Aber ihr seid doch Bejat!"
"Nein! Wir sind fünf friedliche Männer. Einer von ihnen und ich
sind Krieger aus dem fernen Frankistan; der dritte ist mein
Diener, ein Araber, der jenseits weit hinter Mekka geboren
wurde, und die beiden letzten sind Beni Arab aus dem Westen
von hier, die noch niemals eure Feinde gewesen sind."
"Das sagst du, um mich zu täuschen. Auf diese Weise werdet ihr
uns nicht entkommen. Ihr seid Bejat!"
Ich warf den Burnus zurück und schob den weiten Aermel
meiner Jacke empor; dann entfernte ich auch das Unterkleid.
"Hat ein Bejat, ein Kurde, oder ein Araber einen solchen Arm?"
fragte ich.
"Er ist weiß," antwortete er. "Ist dein ganzer Körper so?"
"Natürlich. Kannst du lesen?"
"Ja," antwortete er stolz.
Ich nahm mein Notizbuch heraus und hielt es ihm hin.
"Ist dies die Schrift eines Kurden oder Arabers?"
"Das ist eine fremde Schrift."
Ich steckte das Buch wieder ein und öffnete den Paß.
"Kennst du dieses Siegel?"
"Katera Allah - bei Gott! Das ist das Siegel des Großherrn!"
"Und dieses Siegel mußt du achten, denn du bist ein Krieger des
Pascha von Sulimania, der dem Sultan Rechenschaft geben muß.
Glaubst du nun, daß ich kein Bejat bin?"
"Ich glaube es."
"Ebenso wahr ist auch das, was ich dir von den Andern sagte."
"Aber ihr wart ja bei den Bejat!"
"Wir trafen sie eine Tagreise im Norden von hier. Sie nahmen
uns als ihre Gäste auf und sagten, daß sie zu einem Feste der
Dschiaf reiten wollten. Wir wußten nicht, daß sie Feinde der
Bebbeh sind; wir ahnten also auch nicht, daß sie euch überfallen
und berauben wollten. Gestern abend schliefen wir unter ihrem
Schutze ein; sie aber schlichen sich fort, und als sie
wiederkehrten, erkannten wir erst, daß wir das Brot von
Räubern und Dieben gegessen hatten. Ich zankte darüber mit
Räubern und Dieben gegessen hatten. Ich zankte darüber mit
Khan Heider Mirlam, und unterdessen wurden wir von euch
angegriffen."
"Oh! Allah gebe, daß Heider Mirlam uns nicht entkommt! Habt
ihr euch gegen die Unserigen gewehrt?"
"Ja. Wir mußten es, weil sie uns angriffen."
"Habt ihr einen getötet?"
"Keinen einzigen."
"Beschwöre es!"
"Ich schwöre nicht; ich bin ein Christ."
"Ein Christ!" meinte er überrascht und mit einer mitleidigen
Miene. "O, nun weiß ich, daß du wirklich kein Kurde und kein
Turkomane bist, denn ein Moslem wird niemals sagen, daß er ein
Christ sei. Nun glaube ich auch, daß ihr keinen von den
Unserigen getötet habt, sondern geflohen seid. Wie kann ein
Christ einen Moslem töten!"
Es lag so viel Verachtung in seinem Tone, daß ich ihm am
liebsten eine kräftige Ohrfeige gegeben hätte; aber um unseres
eigenen Vorteiles willen mußte ich seine Beleidigung ruhig
ertragen. Ich befand mich in einer keineswegs sehr angenehmen
Lage, denn die zurückgebliebenen Bebbeh waren mittlerweile
auch herbeigekommen und hatten sich mit den Andern vereinigt,
auch herbeigekommen und hatten sich mit den Andern vereinigt,
so daß nur fünfhundert Schritte von mir entfernt über dreißig
Feinde hielten. Die geringste Unvorsichtigkeit konnte mein
augenblickliches Verderben sein.
"Du siehst also, daß wir nicht eure Feinde sind, und wirst uns
ungehindert gehen lassen?"
"Wohin wollt ihr gehen?"
"Gegen Bagdad hin."
"Bleibe hier. Ich werde mit den Bebbeh reden!"
Er stand auf und ging zurück, ohne im Vorüberschreiten seine
weggeworfene Keule eines Blickes zu würdigen. Es war eine
lange, sehr lange Unterredung, die nun erfolgte; man sprach für
und wider, wie ich aus den Gebärden ersah, und es war über
eine Viertelstunde vergangen, ehe er zu mir zurückkehrte.
Er setzte sich nicht wieder; darum stand ich gleichfalls auf.
"Du könntest gehen," entschied er; "aber wir haben deine
Gefährten noch nicht gesehen. Rufe sie herbei!
Auf meinen Wink werden auch vier Bebbeh erscheinen; dann
sind wir gleich."
Dieser Vorschlag war ganz außerordentlich gefährlich. Ich hatte
Dieser Vorschlag war ganz außerordentlich gefährlich. Ich hatte
mich gar noch nicht wieder nach den Gefährten umgesehen, um
nichts an Respekt bei dem Abgesandten einzubüßen; aber als ich
mich jetzt umdrehte, sah ich sie in einer Entfernung von
wenigstens zweitausend Schritten von uns halten. Sollten sie
diesen günstigen Vorsprung aufgeben, um sich vielleicht fangen
zu lassen? Ich mußte vorsichtig handeln.
"Du irrst," antwortete ich; "dann sind wir nicht gleich."
"Warum nicht? Ihr seid fünf und wir auch."
"Sieh den Vorsprung, den meine Brüder jetzt haben, und denke
an den, welchen sie dann haben werden, wenn sie hier sind und
ihr ihnen nicht den Frieden bietet!"
Er machte eine Armbewegung der unendlichsten
Geringschätzung.
"Fürchte nichts, Giaur! Wir sind Bebbeh und keine Bejat. Wir
werden euch ganz denselben Vorsprung wieder lassen."
Unter andern Verhältnissen hätte ich diesem Manne für seinen
"Giaur" sicherlich ganz anders geantwortet; jetzt aber hielt ich es
für das Klügste, diese Beleidigung gar nicht gehört zu haben.
Darum erwiderte ich nur:
"Ich traue dir! Werden deine vier Männer bewaffnet kommen?"
"Wie du es willst."
"Sie mögen ihre Waffen behalten, und auch wir beide wollen die
unserigen wieder nehmen."
Er nickte stumm und kehrte zurück. Ich steckte Dolche und
Revolver wieder in den Gürtel und stieg zu Pferde. Dann winkte
ich den Gefährten. Die Atmosphäre war so rein und klar, daß sie
selbst auf eine solche Entfernung hin meine Armbewegung
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