Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller

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Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller
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Joseph Conrad

Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller

Band 83 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Joseph Conrad – Ein Leben als Seefahrer und Literat

Joseph Conrads Schiffe und Seefahrten

Die „TREMOLINO“

In Gefangenschaft

Herrscher in Ost und West

Die Schattenlinie

Die Schattenlinie – II

Die Schattenlinie – III

Joseph Conrads Leben als Literat

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers


Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in dem Buch ‚Seemannsschicksale’ zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben ReiheZeitzeugen des Alltags“.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch.

Ein Schifffahrtsjournalist urteilte über Band 1: „...heute kam Ihr Buch per Post an - und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen. Einfach toll! In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Storys von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik. Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs. Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt. Da ich in der Schifffahrtsjournalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, - das wirklich Seinesgleichen sucht...“ Uwe V.

Diese Rezension findet man bei amazon:

Ein großartiger Seemann und Erzähler. Seine Beobachtungen gehen tief in die Seele der Menschen hinein und lassen Respekt und Mitgefühl erkennen.

Oder:

Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.

Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen über 70 maritime Bände.

Dieser Band 83 würdigt den in der heutigen Ukraine gebürtigen Polen und späteren britischen Staatsbürger, den Nautiker und Schriftsteller Joseph Conrad, den Klassiker maritimer Weltliteratur. Seine tiefsinnigen Erzählungen sind voller spannender Dramatik und vermögen auch heute noch nach weit über hundert Jahren Seeleute und maritim interessierte Leser tief zu berühren. Nur einige wenige seiner Erzählungen über seine eigenen Erlebnisse auf See werden in diesem Band wiedergegeben.

Hamburg, 2016 Jürgen Ruszkowski


Joseph Conrad – Ein Leben als Seefahrer und Literat

Joseph Conrad

1857 – 1924


Ein Leben als Seefahrer und Literat

Text und Fakten stammen vorwiegend aus

https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Conrad

Joseph Conrad (ursprünglich Josef Teodor Konrad Nalecz Korzeniowski) wurde am 3. Dezember 1857 als Sohn polnischer Eltern in Berdyczów (Berdytschiw) unweit von Kiew (heute Ukraine) geboren, das bis 1793 polnisch gewesen war und nach der zweiten Teilung Polens unter russische Herrschaft kam.


Wappen von Berdytschiw

– Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges lebten in dieser Gegend der ukrainischen Sowjetrepublik noch viele Polen. Sie wurden unter Stalin nach der Westverschiebung Polens in ehemals deutschen Landschaften zwangsweise umgesiedelt. –

Conrads Vater, Apollo Korzeniowski, war Schriftsteller und polnischer Patriot, der William Shakespeare und Victor Hugo ins Polnische übersetzte. Er regte seinen Sohn an, polnische und französische Literatur zu lesen. Aufgrund seines Engagements für die Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit wurde der Vater 1861 verhaftet, zunächst im X. Pavillon der Zitadelle Warschau eingekerkert und neun Monate später ins nordrussische Wologda verbannt, wohin ihn seine Ehefrau Ewelina (geborene Bobrowska) und sein Sohn begleiteten. 1865 starb dort Conrads Mutter (Josef war erst acht Jahre alt). Der Vater wurde aus der Verbannung schließlich entlassen, wohnte noch kurze Zeit in Krakau, wo Conrad das Gymnasium besuchte, und starb 1869 (Josef war also mit 11 Jahren Vollwaise).

Das Sorgerecht für das damals elfjährige Kind erhielt dessen Onkel Tadeusz Bobrowski. Er erlaubte dem sechzehnjährigen Jugendlichen 1874 ins französische Marseille zu gehen, um Seemann zu werden.


Joseph Conrads Schiffe und Seefahrten

Joseph Conrads Schiffe und Seefahrten

Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers durch S. Fischer Verlag entnommen dem Werk ‚Joseph Conrad, Der Tragiker des Westens’

aus von Hermann Stresau – Berlin 1937

(S. = Segelschiff, D. = Dampfer)

1875 – S „MONTBLANC“: Marseille – Westindien (Martinique, St. Thomas) – Le Havre – 25.06.1875 – 24.12.1875

1876-77 S „ST ANTOINE“ – Marseille – St. Pierre, St. Thomas, Port au Prince – Nordküste Südamerikas (Venezuela) – Marseille – 10.07.1876 – 15.02.1877

1877 – S „TREMOLINO“ – Fahrten zwischen Marseille und Barcelona – In Erinnerung an dieses Schiff schrieb Joseph Conrad nachfolgende Erzählung:


Die „TREMOLINO“

Die „TREMOLINO“

Es stand geschrieben, dass ich im Mittelmeer, in der Kinderstube unserer Seefahrerahnen, lernen sollte, auf den Wegen meines Berufes zu wandeln und zuzunehmen in der Liebe zur See. Meine Liebe war blind, wie junge Liebe es oft ist, aber verzehrend und selbstlos, wie alle wahre Liebe sein muss. Ich verlangte nichts von ihr, nicht einmal Abenteuer. Darin zeigte ich vielleicht mehr unbewusste Weisheit als hohe Selbstverleugnung. Abenteuer stellen sich nicht auf Verlangen ein. Wer auszieht, um mit Vorbedacht Abenteuer zu suchen, wird erleben, dass er nur Früchte findet, die beim Pflücken in Staub zerfallen, es sei denn, die Götter liebten ihn und er wäre groß unter den Helden wie der vortreffliche Ritter Don Quijote de la Mancha. Aber wir gewöhnlichen Sterblichen mittelmäßiger Gesinnung, die nur allzu beflissen sind, böse Riesen als ehrliche Windmühlen anzusehen, nehmen die Abenteuer wie Engelserscheinungen auf. Plötzlich und unvermittelt wird unser Behagen von ihnen gestört. Sie kommen, wie ungebetene Gäste es gerne tun, oft zu ungelegenen Zeiten. Und wir sind froh, sie unerkannt und ohne Dank für die hohe Gunst wieder ziehen zu lassen. Wenn man nach vielen Jahren von der mittleren Biegung des Lebensweges aus zurückschaut auf die Ereignisse der Vergangenheit, die uns als ein freundliches Gedränge nachzusehen scheinen, indessen wir eilends dem kimmerischen Ufer zustreben, so mögen wir hier und dort in der grauen Menge eine in schwacher Ausstrahlung glühende Gestalt erkennen, auf die sich scheinbar alles Licht unseres schon abendlichen Himmels vereinigt hat. Und an dieser Glut erkennen wir unsere wirklichen Abenteuer, diese einstmals ungebetenen Gäste, die wir in unserer Jugend unversehens aufgenommen haben.

 

Wenn das Mittelmeer, die ehrwürdige (und manchmal schrecklich missgelaunte) Kinderfrau aller Seefahrer, meine Jugend wiegen sollte, so wurde die Beschaffung der für diese Operation nötigen Wiege durch das Geschick dem zufälligsten Haufen unverantwortlicher junger Leute (immerhin waren sie alle älter als ich) anvertraut, die in frohem Leichtsinn und wie betrunken vom provençalischen Sonnenschein das Leben nach dem Muster von Balzacs Histoire des Treize (Die Geschichte der Dreizehn) vertändelten, wozu denn noch ein Schuss Romantik de cape et d'epJe (von Verwegeneren) kam.

Das Schiff, das meine Wiege war in diesen Jahren, war am Flusse Savona von einem berühmten Schiffbauer gezimmert worden, getakelt hatte es ein anderer tüchtiger Mann in Korsika, und in seinen Papieren war es als Tartane von sechzig Tonnen beschrieben.


Balancelle

In Wirklichkeit war es eine richtige Balancelle mit zwei kurzen, nach vorn geneigten Masten und zwei gebogenen Rahen, die jede die Länge des Rumpfes hatten; sie war ein rechtes Kind des Lateinischen Meeres, ihre beiden riesigen Segel ähnelten den spitzen Schwingen am schlanken Rumpf eines Seevogels, und sie hatte auch wirklich etwas von einem Vogel, wenn sie so leicht über die Wogen hinstreifte, statt sie zu durchschneiden.

Sie hieß „TREMOLINO“. Wie ist das zu übersetzen – der Bebende? Was für ein Name für das tollkühnste kleine Fahrzeug, dessen Seiten jemals in zornige Gischt eintauchten! Es ist wahr, ich habe sie tage- und nächtelang unter meinen Füßen zittern gefühlt, aber das rührte nur von der angespannten Straffheit ihres treuen Mutes her. Sie hat mich in ihrer kurzen, aber glänzenden Laufbahn nichts gelehrt, aber sie hat mir alles gegeben. Ich schulde ihr das Erwachen meiner Liebe zur See, die sich beim Beben ihres schnellen kleinen Körpers und beim Summen des Windes am unteren Liek ihrer Lateinersegel mit sanfter Gewalt in mein Herz stahl und mein Denken unter ihre despotische Herrschaft brachte. Die TREMOLINO! Ich kann bis zum heutigen Tage diesen Namen nicht aussprechen und nicht einmal niederschreiben, ohne dass mir die Brust seltsam eng wird und mir vor der Lust und Scheu meiner ersten empfindsamen Leidenschaft der Atem stockt.

Wir vier bildeten (um ein Wort zu gebrauchen, das heutzutage jeder Gesellschaftsschicht geläufig ist) ein „Syndikat“, dem die TREMOLINO gehörte: ein internationales und erstaunliches Syndikat. Und wir waren alle glühende Royalisten der schneeweißen legitimistischen Richtung – der Himmel allein weiß warum! In allen menschlichen Gemeinschaften findet sich gewöhnlich einer, der ihr durch die Autorität des Alters und der größeren Lebenserfahrung einen Gesamtcharakter verleiht. Wenn ich erwähne, dass der Älteste von uns sehr alt, äußerst alt war – beinahe dreißig Jahre alt – und dass er in ritterlicher Unbekümmertheit zu erklären pflegte: „Ich lebe von meinem Schwerte“, so meine ich, über den Stand unserer Lebensweisheit hinreichend Auskunft gegeben zu haben. Er war ein Gentleman aus Nord-Carolina, J. M. K. B. waren die Initialen seines Namens, und er lebte, soviel ich weiß, wirklich von seinem Schwerte. Er starb auch später durch das Schwert, und zwar bei irgendeiner Balgerei auf dem Balkan um der Sache einiger Serben oder Bulgaren willen, die weder Katholiken noch Gentlemen waren – jedenfalls nicht in dem erhabenen, aber genauen Sinne, den er mit diesem letzten Wort verband.

Armer J. M. K. B., Américain, Catholique et gentilhomme, wie er sich in gehobenen Augenblicken selbst zu bezeichnen liebte. Ich möchte wohl wissen, ob heute in Europa noch Gentlemen zu finden sind, die ein tadelloses Aussehen, kühne Gesichter und elegante, schmale Gestalten, die bezaubernd höfliche Manieren und einen düsteren, schicksalsschweren Blick haben und von ihrem Schwerte leben. Seine Familie war, glaube ich, im Bürgerkrieg ruiniert worden und führte in der Alten Welt ein wanderndes Leben. Henry C…, der Nächste an Alter und Weisheit in unserer Schar, war vor der unbeugsamen Starrheit seiner Familie ausgerissen, die, wenn ich mich recht erinnere, in einem reichen Vorort Londons fest eingewurzelt war. Auf ihr beachtliches Ansehen hin stellte er sich Fremden leutselig als „schwarzes Schaf“ vor. Ich habe niemals einen harmloseren Ausgestoßenen gesehen. Niemals.

Immerhin waren seine Leute so gnädig, ihm dann und wann ein wenig Geld zu schicken. Er war in die Provence und den ganzen Süden verliebt, in seine Menschen, sein Leben, seinen Sonnenschein und seine Dichtung; engbrüstig, lang und kurzsichtig durchschlenderte er die Straßen und Gassen, warf seine langen Beine dem Körper weit voraus und hatte seine weiße Nase und den roten Schnurrbart in ein aufgeschlagenes Buch vergraben, denn er pflegte im Gehen zu lesen. Wie er es fertigbrachte, weder Abhänge noch Treppen oder Kais hinabzustürzen, ist ein großes Geheimnis. Die Seiten seines Mantels beulten sich vor lauter Taschenausgaben verschie­dener Dichter. Wenn er nicht damit beschäftigt war, in Parks, Restaurants, Straßen und an ähnlichen öffentlichen Plätzen Virgil, Homer oder Mistral zu lesen, verfasste er Sonette (auf französisch) über die Augen, die Ohren, das Kinn, die Haare und andere sichtbare Vollkommenheiten einer Nymphe namens Therese, der Tochter, wie mich die Ehrlichkeit festzustellen zwingt, einer gewissen Madame Leonore, die ein kleines Matrosencafe in einer der engsten Straßen der Altstadt betrieb.

Ein reizenderes Gesicht, klar wie eine antike Gemme und in den Farben so köstlich wie Blumenblätter, war niemals auf einen, ach! einen etwas untersetzten Körper gepflanzt worden. Er las ihr in dem Café seine Verse mit der Unschuld eines Kindes und der Eitelkeit eines Dichters laut vor. Wir folgten ihm recht gerne dorthin, sei es auch nur, um die göttliche Therese unter den wachsamen schwarzen Augen Madame Leonores, ihrer Mutter, lachen zu sehen. Sie konnte sehr hübsch lachen, weniger über die Sonette, die sie wohl kaum zu schätzen wusste, als über die französische Aussprache des armen Henry, die ganz einzigartig war. Sie hörte sich wie Vogelgezwitscher an, wenn Vögel jemals stotternd und nasal gezwitschert haben.

Unser dritter Partner war Roger P. de la S..., ein provençalischer Graf vom reinsten skandinavischen Schlag, blond und sechs Fuß groß, wie es sich für einen Nachkommen der seeräuberischen Nordmänner gehört, herrisch, scharf, geistreich und verachtungsvoll; in seiner Tasche hatte er eine Komödie in drei Akten und in seiner Brust ein Herz, das die hoffnungslose Leidenschaft zu seiner schönen Base zerfressen hatte. Sie war mit einem reichen Häute- und Talghändler verheiratet. Er pflegte uns ohne Umstände zum Essen mit in ihr Haus zu nehmen. Ich bewunderte die sanfte Geduld der guten Dame. Ihr Mann war eine verträgliche Seele mit einem großen Vorrat von Selbstverleugnung, die er für „Rogers Freunde“ verbrauchte. Ich vermute, im Stillen schauderte er vor diesen Überfällen. Aber es war ein Carlistensalon, und als solche wurden wir gerne gesehen.


Als Carlismus (auch Karlismus) bezeichnet man eine monarchistische Bewegung in Spanien, die seit 1833 Angehörige einer auf Carlos María Isidro von Bourbon zurückgehenden Seitenlinie des bourbonischen Königshauses und mehrheitlich seit 1952 Angehörige einer auf Francisco Javier von Bourbon-Parma zurückgehenden Seitenlinie des Hauses Bourbon-Parma als Thronprätendenten favorisiert.

Von diesem vordergründigen Ziel abgesehen, waren die Carlisten lange Jahre die Hauptpartei in einem innerspanischen Kulturkampf, welcher sich von der napoleonischen Besatzung bis zum Spanischen Bürgerkrieg von 1936 hinzog und in drei Bürgerkriegen verfochten wurde, den sogenannten Carlistenkriegen. In diesem Kulturkampf kämpften die Carlisten mit ihrer absolutistischen, katholischen aber auch regionale Sonderrechte achtenden Gesinnung gegen die liberalen, später die republikanischen Kräfte in Spanien.

https://de.wikipedia.org/wiki/Carlismus


Die Möglichkeit, Katalonien im Interesse des Rey netto aufzuwiegeln, der damals eben über die Pyrenäen gezogen war, wurde dort viel besprochen.

Don Carlos wird ohne Zweifel viele wunderliche Freunde gehabt haben (es ist das übliche Los aller Thronprätendenten), aber unter ihnen keine maßloseren Phantasten als das TREMOLINO-Syndikat. Wir trafen einander in einer Taverne auf den Kais des Hafens. Die alte Stadt Massilia hat gewiss seit den Tagen der frühesten Phönizier niemals eine wunderlichere Reedergesellschaft kennen gelernt. Wir kamen zusammen, um den Operationsplan für jede Reise der TREMOLINO zu besprechen und festzusetzen. An diesen Operationen war auch ein Bankhaus beteiligt – ein sehr angesehenes Bankhaus. Aber ich fürchte, ich sage am Ende zu viel. Damen waren auch daran beteiligt (ich fürchte wirklich, ich sage zu viel) – alle möglichen Damen, manche waren alt genug, um auf etwas Besseres zu verfallen, als ihre Zuversicht auf Prinzen zu setzen, andere waren jung und voller Illusionen.

Eine dieser letzteren war durch ihre Imitationen verschiedener hochstehender Persönlichkeiten, die sie uns im Vertrauen vorführte, höchst unterhaltend. Sie fuhr andauernd nach Paris, um für die Sache – Por el Rey! (Mit dem König) – zu sprechen. Denn sie war eine Carlistin und zudem von baskischem Geblüt; im Ausdruck ihres tapferen Gesichtes lag etwas von einer Löwin (besonders, wenn sie ihr Haar löste), aber sie hatte die flüchtige kleine Seele eines mit feinen Pariser Federn bekleideten Sperlings, der sich den Spaß machte, unerwartet hervorzuflattern und Verwirrung zu stiften.

Aber ihre Imitation eines wirklich sehr hochstehenden Pariser Standesherrn, den sie darstellte, wie er mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke eines Zimmers stand, sich den Hinterkopf rieb und hilflos jammerte: „Rita, du bist mein Tod“, genügte, um einen (wenn man jung und sorgenfrei war) vor Lachen bersten zu lassen. Sie hatte einen alten Onkel, Pfarrer einer kleinen Berggemeinde in Guipuzcoa und gleichfalls ein sehr eifriger Carlist. Ich als das seefahrende Mitglied des Syndikates (dessen Pläne zu einem großen Teil von Doña Ritas Nachrichten abhingen) wurde oft mit demütig liebevollen Botschaften an den alten Mann betraut. Diese Botschaften hatte ich den aragonesischen Maultiertreibern (die zu gewissen Zeiten die TREMOLINO in der Nachbarschaft des Golfs von Rosas bestimmt erwarteten) zu treulicher Weiterbeförderung landeinwärts zusammen mit den verschiedenen gesetzwidrigen Gütern zu übergeben, die heimlich aus den Luken der TREMOLINO an Land gebracht wurden.

Nun habe ich, was die übliche Fracht meiner Seewiege betrifft, wirklich zu viel verraten (ich befürchtete ja, es würde mir am Ende so gehen). Aber es soll auf sich beruhen. Und wenn jemand zynisch vermerkt, ich müsse damals ein viel versprechender Jüngling gewesen sein, so soll auch das auf sich beruhen. Mich geht nur der gute Ruf der TREMOLINO an, und ich versichere, dass ein Schiff an den Sünden, Vergehen und Torheiten seiner Männer immer unschuldig ist.

Es lag nicht an der TREMOLINO, dass unser Syndikat so sehr auf den Verstand und die Weisheit und die Nachrichten der Doña Rita angewiesen war. Sie hatte zum Besten der Sache – Por el Rey! – ein kleines eingerichtetes Haus am Prado gemietet. Sie mietete immer kleine Häuser zu irgend jemandes Bestem, für Elende oder für Betrübte, für heruntergekommene Künstler, ausgebeutelte Spieler, zeitweise unglückliche Spekulanten, – vieux amis (alte Freunde) – alte Freunde, wie sie entschuldigend und mit einem leich­ten Zucken ihrer schönen Schultern zu erklären pflegte.

 

Ob auch Don Carlos einer der „alten Freunde“ war, lässt sich schwer sagen. Man hat in Rauchsalons von noch unwahrscheinlicheren Dingen gehört. Ich weiß nur, dass ich an einem Abend, als gerade die Nachricht von einem beträchtlichen carlistischen Erfolge die Getreue erreicht hatte, den Salon des kleinen Hauses betrat und plötzlich um Hals und Rücken gefasst und beim Gepolter umfallender Möbel zu einer in warmem tiefem Alt gesummten Walzermelodie rücksichtslos durch das Zimmer gewirbelt wurde.

Als ich aus der schwindlig machenden Umarmung entlassen wurde, setzte ich mich auf den Teppich – plötzlich und ohne Verstellung. In dieser wenig würdevollen Lage wurde ich gewahr, dass J. M. K. B. mir ins Zimmer gefolgt war, elegant, unheilvoll, tadellos mit weißer Schleife und großer Hemdbrust stand er ernst da. Als Antwort auf seinen höflich finsteren, langen Frageblick hörte ich Doña Rita in einiger Verwirrung und Unruhe murmeln: „Vous êtes bête, mon cher. Voyons! ça n’a aucune conséquence.“ (Dumm sind Sie, mein Lieber. Mal sehen! es hat keine Wirkung). Wenn ich auch durchaus zufrieden war, dass dieser Fall keine besonderen Folgen haben sollte, so hatte ich doch die Ansätze zu einem gewissen weltlichen Sinn schon in mir.

Ich brachte meinen Kragen wieder in Ordnung – um die Wahrheit zu sagen: Es hätte ein runder über einer kurzen Jacke sein müssen, aber es war kein runder – und bemerkte passend, ich wäre gekommen, um mich zu verabschieden, denn ich wollte noch in dieser Nacht mit der TREMOLINO in See gehen. Unsere Gastgeberin wandte sich, immer noch ein wenig außer Atem und ein ganz kleines bisschen in Unordnung gebracht, streng an J. M. K. B. und wünschte zu wissen, wann er mit der TREMOLINO oder sonst wie ins königliche Hauptquartier abzureisen gedächte. Beabsichtigte er, fragte sie ironisch, etwa bis zum Vorabend des Einzuges in Madrid zu warten? So stellten wir durch die gescheite Anwendung von Takt und Strenge das atmosphärische Gleichgewicht des Rau­mes wieder her, und zwar lange bevor ich mich um Mitternacht von ihnen trennte, die sich indessen wieder sanft und mild versöhnt hatten. Ich ging zum Hafen hinunter und rief die TREMOLINO von der Kajenkante aus mit dem üblichen leisen Pfiff an, unserem Signal, das der immer wachsame Dominic, der „Padrone“ unweigerlich hörte.

Schweigsam hob er eine Laterne hoch, um mir für die Schritte über die schmale, federnde Laufplanke, unser primitives Fallreep, zu leuchten. „Dann kann es ja losgehen“, murmelte er, sowie mein Fuß das Deck betreten hatte. Ich war der Vorbote plötzlicher Abfahrten, aber nichts in der Welt konnte so plötzlich kommen, dass es Dominic überrascht hätte. Sein dicker, schwarzer Schnurrbart, den er jeden Morgen vom Barbier an der Ecke des Kais brennen ließ, schien ein stetes Lächeln zu verbergen. Aber niemand, glaube ich, hatte jemals den wirklichen Schnitt seiner Lippen gesehen. Wenn man die langsame, unerschütterliche Ernsthaftigkeit dieses breitbrüsti­gen Mannes sah, konnte man meinen, er hätte nie in seinem Leben gelacht. In seinen Augen lauerte ein Schatten völlig abgebrühter Ironie, als wäre seiner Seele keine Erfahrung fremd geblieben; wenn sich seine Nasenlöcher nur um das geringste weiteten, so verliehen sie seinem Gesicht einen ungewöhnlich kühnen Ausdruck. Dies war das einzige Mienenspiel, zu dem er sich verstand; er war ein Südländer vom beherrschten, überlegten Schlag. Sein ebenholzschwarzes Haar kräuselte sich schwach an den Schläfen. Er mag vierzig Jahre alt gewesen sein, und er war ein gewaltiger Seefahrer auf dem Binnenmeer. –

Er war so schlau und verschlagen, dass er an List mit dem von Unglück geschlagenen Sohn des Laertes und der Anticlea hätte wetteifern können. Wenn er seinen Witz und seine Kühnheit nicht gegen die Götter selbst kehrte, so nur, weil die olympischen Götter tot sind. Ihn konnte gewiss keine Frau in Angst und Schrecken versetzen. Ein einäugiger Riese würde nicht die allergeringste Aussicht gegen Dominic Cervoni aus Korsika, nicht Ithaka, gehabt haben; er war auch kein König oder Sohn von Königen, aber doch aus sehr achtbarer Familie – einer echten Caporali, wie er versicherte. Das mag ja nun stimmen oder nicht. Die Caporali-Familien gehen bis ins zwölfte Jahrhundert zurück.

Aus Mangel an erhabeneren Gegnern kehrte Dominic seine an gottlosen Listen fruchtbare Kühnheit gegen die irdischen Mächte, wie sie durch Zollhäuser und alle dazugehörigen Sterblichen – Sekretär, Beamte und Guardacostas zu Lande und zur See – verkörpert werden. Er war der richtige Mann für uns, dieser moderne und ungesetzliche Irrfahrer mit seiner eigenen Legende von Liebe, Gefahr und Blutvergießen. Manchmal erzählte er uns in gemessenem, ironischem Tone Bruchstücke davon. Er sprach Katalonisch, das Italienisch von Korsika und das Französisch der Provence mit der gleichen leichten Ungezwungenheit. In seinem Landzeug, wie ich ihn einmal mit zu Doña Rita nahm, in weißem, gestärktem Hemd, schwarzer Jacke und rundem Hut, sah er sehr stattlich aus. Er verstand es, sich durch taktvolle und raue Zurückhaltung, die noch einen grimmen, wenn auch nicht aufdringlichen Mutwillen in Ton und Gebärde unterstrichen wurde, sehr interessant zu machen.

Er hatte die äußerliche Sicherheit mutiger Männer. Nach einer halbstündigen Unterhaltung im Esszimmer, während der sie auf geradezu erstaunliche Weise miteinander in Fühlung kamen, sagte uns Rita auf ihre beste grande-dame-Manier: „Mais il est Parfait, cet komme.“ (Aber er ist perfekt, dieser Mann) Er war vollkommen. Wenn er an Bord der TREMOLINO in einen schwarzen caban, den male­rischen Mantel der Seeleute des Mittelmeeres, eingehüllt dastand, sah er mit dem dichten Schnurrbart und seinen wissenden, durch den Schatten der tiefen Kapuze betonten Augen piratenhaft und mönchisch aus und überdies geheimnisvoll eingeweiht in die furchtbarsten Mysterien des Meeres.

Jedenfalls war er vollkommen, wie Doña Rita festgestellt hatte. Das einzig Unzulängliche (und sogar Unerklärliche) an unserem Dominic war sein Neffe Cesar. Es war ergreifend, zu sehen, wie ein trostloser Ausdruck der Scham die rücksichtslose Kühn­heit in den Augen dieses Mannes verschleierte, der über alle Skrupel und Ängste erhaben war.

„Ich hätte niemals gewagt, ihn an Bord Ihrer Balancelle zu bringen“, entschuldigte er sich einmal mir gegenüber. „Aber was soll ich tun? Seine Mutter ist tot, und mein Bruder ist in den Busch gegangen.“

Auf diese Weise erfuhr ich, dass unser Dominic einen Bruder hatte. „In den Busch gehen“ heißt nur, dass ein Mann in Verfolg einer erblichen Vendetta seine Pflicht getan hat. Die Blutrache, die seit langer, langer Zeit zwischen den Familien Cervoni und Brunaschi bestand, war so alt, dass sie schließlich beinahe ausgeglommen wäre. Eines Abends saß Pietro Brunaschi nach einem arbeitsreichen Tage unter seinen Olivenbäumen auf einem Stuhl an der Mauer seines Hauses, er hatte eine Schüssel Suppe auf den Knien und ein Stück Brot in der Hand. Dominics Bruder, der mit einem Gewehr auf der Schulter nach Hause ging, fühlte sich durch dieses Bild der Zufriedenheit und Ruhe, das so offensichtlich darauf berechnet war, seine Haas- und Rachegefühle zu wecken, plötzlich beleidigt. Er und Pietro hatten nie einen persönlichen Streit gehabt, aber, wie Dominic erklärte, „walle unsere Toten schrien aus ihm“. Er rief hinter einer Mauer aus Steinen hervor: „O Pietro! Gib acht, was da kommt!“ Und als der andere arglos aufsah, zielte er auf die Stirne und glich die alte Vendettarechnung so sauber aus, dass der tote Mann mit der Suppenschüssel auf den Knien und dem Stück Brot in der Hand still sitzen blieb.

Darum – denn in Korsika verlassen deine Toten dich nicht – musste Dominics Bruder in den maquis gehen, in den wilden Bergbusch, um die Gendarmen für den unbedeutenden Rest seines Lebens an der Nase herumzuführen, darum war Dominic die Obhut über seinen Neffen und die Aufgabe zuteil geworden, einen Mann aus ihm zu machen.

Man kann sich kein aussichtsloseres Vorhaben denken. Es fehlte einfach an Material für die Aufgabe. Wenn die Cervonis keine schönen Männer waren, so waren sie doch gut und kernig in Fleisch und Blut. Aber dieser ungemein magere und fahle Jüngling schien nicht mehr Blut in den Adern zu haben als eine Schnecke.

„Eine verfluchte Hexe muss das Kind meines Bruders aus der Wiege gestohlen und dieses verhungerte Teufelsgezücht dafür hineingelegt haben“, sagte mir Dominic manchmal. „Sehen Sie ihn an! Sehen Sie ihn doch nur an!“

Es war kein Vergnügen, Cesar anzusehen. Seine pergamentartige Haut schimmerte am Schädel totenbleich durch die dünnen Strähnen schmutzig braunen Haares und schien knapp und unmittelbar auf seine großen Knochen geklebt zu sein. Er war keineswegs verunstaltet, aber von allen Wesen, die ich je gesehen oder mir vorgestellt habe, kam er dem, was man üblicherweise unter dem Worte „Scheusal“ versteht, am allernächsten. Dass diese Wirkung seinem inneren Wesen entsprang, unterliegt für mich keinem Zweifel. Eine vollkommen und hoffnungslos verderbte Natur drückte sich körperlich aus, aber wenn man jedes seiner Glieder für sich betrachtete, so war weiter nichts Erschreckendes daran. Man hatte den Ein­druck, er müsse sich feucht und kalt wie eine Schlange anfühlen. Dem geringsten Vorwurf, der mildesten und gerechtesten Ermahnung begegnete er mit tückischem Blick, mit bösem Zucken seiner dünnen, trockenen Oberlippe und einem hassvollen Knurren; gewöhnlich fügte er auch noch das bedrohliche Geräusch knirschender Zähne hinzu.

Nicht um seiner Lügen, seiner Frechheit und Faulheit, sondern um dieses bösartigen Betragens willen schlug sein Onkel ihn manchmal zu Boden. Man darf sich darunter keinen brutalen Angriff vorstellen. Dominics stämmiger Arm machte besonnen eine weite horizontale Bewegung, einen würdevoll wegfegenden Schwung, und Cesare kippte wie ein Kegel um – das sah spaßig aus. Aber wenn er erst dalag, wand und krümmte er sich auf dem Deck und knirschte vor ohnmächtiger Wut – das war ziemlich schrecklich anzusehen. Und es geschah auch mehr als einmal, dass er vollkommen verschwand – das sah überraschend aus. Dies ist die volle Wahrheit. Manche dieser majestätischen Hiebe ließen Cesare zu Boden gehen und verschwinden. Er verschwand Hals über Kopf in offene Luken, in Niedergänge, hinter herumstehende Fässer, je nach dem Platz, an dem er mit seines Onkels mächtigem Arm in Berührung kam.

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