Dichtung und Wahrheit

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Из серии: Klassiker bei Null Papier
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Die jun­gen Leu­te, mit de­nen ich auf die­se Wei­se im­mer in nä­he­re Ver­bin­dung kam, wa­ren nicht ei­gent­lich ge­mei­ne, aber doch ge­wöhn­li­che Men­schen. Ihre Tä­tig­keit war lo­bens­wür­dig, und ich hör­te ih­nen mit Ver­gnü­gen zu, wenn sie von den viel­fa­chen Mit­teln und We­gen spra­chen, wie man sich et­was er­wer­ben kön­ne; auch er­zähl­ten sie am liebs­ten von ge­gen­wär­tig sehr rei­chen Leu­ten, die mit nichts an­ge­fan­gen. An­de­re hät­ten als arme Hand­lungs­die­ner sich ih­ren Pa­tro­nen not­wen­dig ge­macht und wä­ren end­lich zu ih­ren Schwie­ger­söh­nen er­ho­ben wor­den; noch an­de­re hät­ten einen klei­nen Kram mit Schwe­fel­fa­den und der­glei­chen so er­wei­tert und ver­edelt, dass sie nun als rei­che Kauf- und Han­dels­män­ner er­schie­nen. Be­son­ders soll­te jun­gen Leu­ten, die gut auf den Bei­nen wä­ren, das Bei­läu­fer- und Mä­k­ler­hand­werk und die Über­nah­me von al­ler­lei Auf­trä­gen und Be­sor­gun­gen für un­be­hilf­li­che Wohl­ha­ben­de durch­aus er­näh­rend und ein­träg­lich sein. Wir alle hör­ten das gern, und je­der dünk­te sich et­was, wenn er sich in dem Au­gen­blick vor­stell­te, dass in ihm selbst so viel vor­han­den sei, nicht nur um in der Welt fort­zu­kom­men, son­dern so­gar ein au­ßer­or­dent­li­ches Glück zu ma­chen. Nie­mand je­doch schi­en dies Ge­spräch ernst­li­cher zu füh­ren als Pyla­des, der zu­letzt ge­stand, dass er ein Mäd­chen au­ßer­or­dent­lich lie­be und sich wirk­lich mit ihr ver­spro­chen habe. Die Ver­mö­gen­sum­stän­de sei­ner El­tern lit­ten nicht, dass er auf Aka­de­mi­en gehe; er habe sich aber ei­ner schö­nen Hand­schrift, des Rech­nens und der neu­ern Spra­chen be­flei­ßigt und wol­le nun, in Hoff­nung auf je­nes häus­li­che Stück, sein Mög­lichs­tes ver­su­chen. Die Vet­tern lob­ten ihn des­halb, ob sie gleich das früh­zei­ti­ge Ver­spre­chen an ein Mäd­chen nicht bil­li­gen woll­ten, und setz­ten hin­zu, sie müss­ten ihn zwar für einen bra­ven und gu­ten Jun­gen an­er­ken­nen, hiel­ten ihn aber we­der für tä­tig noch für un­ter­neh­mend ge­nug, et­was Au­ßer­or­dent­li­ches zu leis­ten. In­dem er nun, zu sei­ner Recht­fer­ti­gung, um­ständ­lich aus­ein­an­der­setz­te, was er sich zu leis­ten ge­traue und wie er es an­zu­fan­gen ge­den­ke, so wur­den die üb­ri­gen auch an­ge­reizt, und je­der fing nun an, zu er­zäh­len, was er schon ver­mö­ge, tue, trei­be, wel­chen Weg er zu­rück­ge­legt und was er zu­nächst vor sich sehe. Die Rei­he kam zu­letzt an mich. Ich soll­te nun auch mei­ne Le­bens­wei­se und Aus­sich­ten dar­stel­len, und in­dem ich mich be­sann, sag­te Pyla­des: »Das ein­zi­ge be­hal­te ich mir vor, da­mit wir nicht gar zu kurz kom­men, dass er die äu­ßern Vor­tei­le sei­ner Lage nicht mit in An­rech­nung brin­ge. Er mag uns lie­ber ein Mär­chen er­zäh­len, wie er es an­fan­gen wür­de, wenn er in die­sem Au­gen­blick, so wie wir, ganz auf sich selbst ge­stellt wäre.«

Gret­chen, die bis die­sen Au­gen­blick fort­ge­spon­nen hat­te, stand auf und setz­te sich wie ge­wöhn­lich ans Ende des Ti­sches. Wir hat­ten schon ei­ni­ge Fla­schen ge­leert, und ich fing mit dem bes­ten Hu­mor mei­ne hy­po­the­ti­sche Le­bens­ge­schich­te zu er­zäh­len an. »Zu­vör­derst also emp­feh­le ich mich euch«, sag­te ich, »dass ihr mir die Kund­schaft er­hal­tet, wel­che mir zu­zu­wei­sen ihr den An­fang ge­macht habt. Wenn ihr mir nach und nach den Ver­dienst der sämt­li­chen Ge­le­gen­heits­ge­dich­te zu­wen­det und wir ihn nicht bloß ver­schmau­sen, so will ich schon zu et­was kom­men. Als­dann müsst ihr mir nicht übel neh­men, wenn ich auch in euer Hand­werk pfu­sche.« Worauf ich ih­nen denn vor­er­zähl­te, was ich mir aus ih­ren Be­schäf­ti­gun­gen ge­merkt hat­te, und zu wel­chen ich mich al­len­falls fä­hig hielt. Ein je­der hat­te vor­her sein Ver­dienst zu Gel­de an­ge­schla­gen, und ich er­such­te sie, mir auch zu Fer­ti­gung mei­nes Etats be­hilf­lich zu sein. Gret­chen hat­te al­les Bis­he­ri­ge sehr auf­merk­sam mit an­ge­hört, und zwar in der Stel­lung, die sie sehr gut klei­de­te, sie moch­te nun zu­hö­ren oder spre­chen, sie fass­te mit bei­den Hän­den ihre über ein­an­der ge­schla­ge­nen Arme und leg­te sie auf den Rand des Ti­sches. So konn­te sie lan­ge sit­zen, ohne et­was andres als den Kopf zu be­we­gen, wel­ches nie­mals ohne An­lass oder Be­deu­tung ge­sch­ah. Sie hat­te manch­mal ein Wört­chen mit ein­ge­spro­chen und über die­ses und je­nes, wenn wir in un­sern Ein­rich­tun­gen stock­ten, nach­ge­hol­fen; dann war sie aber wie­der still und ru­hig wie ge­wöhn­lich. Ich ließ sie nicht aus den Au­gen, und dass ich mei­nen Plan nicht ohne Be­zug auf sie ge­dacht und aus­ge­spro­chen, kann man sich leicht den­ken, und die Nei­gung zu ihr gab dem, was ich sag­te, einen An­schein von Wahr­heit und Mög­lich­keit, dass ich mich selbst einen Au­gen­blick täusch­te, mich so ab­ge­son­dert und hilf­los dach­te, wie mein Mär­chen mich vor­aus­setz­te, und mich da­bei in der Aus­sicht, sie zu be­sit­zen, höchst glück­lich fühl­te. Pyla­des hat­te sei­ne Kon­fes­si­on mit der Hei­rat ge­en­digt, und bei uns an­de­ren war nun auch die Fra­ge, ob wir es in un­sern Pla­nen so weit ge­bracht hät­ten. »Ich zweifle ganz und gar nicht dar­an«, sag­te ich: »denn ei­gent­lich ist ei­nem je­den von uns eine Frau nö­tig, um das im Hau­se zu be­wah­ren und uns im gan­zen ge­nie­ßen zu las­sen, was wir von au­ßen auf eine so wun­der­li­che Wei­se zu­sam­men­stop­peln.« Ich mach­te die Schil­de­rung von ei­ner Gat­tin, wie ich sie wünsch­te, und es müss­te selt­sam zu­ge­gan­gen sein, wenn sie nicht Gret­chens voll­komm­nes Eben­bild ge­we­sen wäre.

Das Lei­chen­car­men war ver­zehrt, das Hoch­zeit­ge­dicht stand nun auch wohl­tä­tig in der Nähe; ich über­wand alle Furcht und Sor­ge und wuss­te, weil ich viel Be­kann­te hat­te, mei­ne ei­gent­li­chen Abend­un­ter­hal­tun­gen vor den Mei­ni­gen zu ver­ber­gen. Das lie­be Mäd­chen zu se­hen und ne­ben ihr zu sein, war nun bald eine un­er­läss­li­che Be­din­gung mei­nes We­sens. Jene hat­ten sich eben so an mich ge­wöhnt, und wir wa­ren fast täg­lich zu­sam­men, als wenn es nicht an­ders sein könn­te. Pyla­des hat­te in­des­sen sei­ne Schö­ne auch in das Haus ge­bracht, und die­ses Paar ver­leb­te man­chen Abend mit uns. Sie, als Braut­leu­te, ob­gleich noch sehr im Kei­me, ver­bar­gen doch nicht ihre Zärt­lich­keit; Gret­chens Be­tra­gen ge­gen mich war nur ge­schickt, mich in Ent­fer­nung zu hal­ten. Sie gab nie­man­den die Hand, auch nicht mir; sie litt kei­ne Berüh­rung, nur setz­te sie sich manch­mal ne­ben mich, be­son­ders wenn ich schrieb oder vor­las, und dann leg­te sie mir ver­trau­lich den Arm auf die Schul­ter, sah mir ins Buch oder aufs Blatt; woll­te ich mir aber eine ähn­li­che Frei­heit ge­gen sie her­aus­neh­men, so wich sie und kam so bald nicht wie­der. Doch wie­der­hol­te sie oft die­se Stel­lung, so wie alle ihre Ges­ten und Be­we­gun­gen sehr ein­för­mig wa­ren, aber im­mer gleich ge­hö­rig, schön und rei­zend. Al­lein jene Ver­trau­lich­keit habe ich sie ge­gen nie­man­den wei­ter aus­üben se­hen.

Eine der un­schul­digs­ten und zu­gleich un­ter­hal­tends­ten Lust­par­ti­en, die ich mit ver­schie­de­nen Ge­sell­schaf­ten jun­ger Leu­te un­ter­nahm, war, dass wir uns in das Höchs­ter Markt­schiff setz­ten, die dar­in ein­ge­pack­ten selt­sa­men Pas­sa­gie­re be­ob­ach­te­ten und uns bald mit die­sem, bald mit je­nem, wie uns Lust oder Mut­wil­le trieb, scherz­haft und ne­ckend ein­lie­ßen. Zu Höchst stie­gen wir aus, wo zu glei­cher Zeit das Markt­schiff von Mainz ein­traf. In ei­nem Gast­ho­fe fand man eine gut be­setz­te Ta­fel, wo die bes­se­ren der Auf- und Ab­fah­ren­den mit­ein­an­der speis­ten und als­dann je­der sei­ne Fahrt wei­ter fort­setz­te: denn bei­de Schif­fe gin­gen wie­der zu­rück. Wir fuh­ren dann je­des Mal nach ein­ge­nom­me­nem Mit­tag­ses­sen hin­auf nach Frank­furt und hat­ten in sehr großer Ge­sell­schaft die wohl­feils­te Was­ser­fahrt ge­macht, die nur mög­lich war. Ein­mal hat­te ich auch mit Gret­chens Vet­tern die­sen Zug un­ter­nom­men, als am Tisch in Höchst sich ein jun­ger Mann zu uns ge­sell­te, der et­was äl­ter als wir sein moch­te. Jene kann­ten ihn, und er ließ sich mir vor­stel­len. Er hat­te in sei­nem We­sen et­was sehr Ge­fäl­li­ges, ohne sonst aus­ge­zeich­net zu sein. Von Mainz her­auf­ge­kom­men, fuhr er nun mit uns nach Frank­furt zu­rück und un­ter­hielt sich mit mir von al­ler­lei Din­gen, wel­che das in­ne­re Stadt­we­sen, die Äm­ter und Stel­len be­tra­fen, worin er mir ganz wohl un­ter­rich­tet schi­en. Als wir uns trenn­ten, emp­fahl er sich mir und füg­te hin­zu: er wün­sche, dass ich gut von ihm den­ken möge, weil er sich ge­le­gent­lich mei­ner Emp­feh­lung zu er­freu­en hof­fe. Ich wuss­te nicht, was er da­mit sa­gen woll­te, aber die Vet­tern klär­ten mich nach ei­ni­gen Ta­gen auf; sie spra­chen Gu­tes von ihm und er­such­ten mich um ein Vor­wort bei mei­nem Groß­va­ter, da jetzt eben eine mitt­le­re Stel­le of­fen sei, zu wel­cher die­ser Freund gern ge­lan­gen möch­te. Ich ent­schul­dig­te mich an­fangs, weil ich mich nie­mals in der­glei­chen Din­ge ge­mischt hat­te; al­lein sie setz­ten mir so lan­ge zu, bis ich mich, es zu tun, ent­schloss. Hat­te ich doch schon manch­mal be­merkt, dass bei sol­chen Äm­ter­ver­ge­bun­gen, wel­che lei­der oft als Gna­den­sa­chen be­trach­tet wer­den, die Vor­spra­che der Groß­mut­ter oder ei­ner Tan­te nicht ohne Wir­kung ge­we­sen. Ich war so weit her­an­ge­wach­sen, um mir auch ei­ni­gen Ein­fluss an­zu­ma­ßen. Des­halb über­wand ich mei­nen Freun­den zu­lieb, wel­che sich auf alle Wei­se für eine sol­che Ge­fäl­lig­keit ver­bun­den er­klär­ten, die Schüch­tern­heit ei­nes En­kels und über­nahm es, ein Bitt­schrei­ben, das mir ein­ge­hän­digt wur­de, zu über­rei­chen.

Ei­nes Sonn­tags nach Ti­sche, als der Groß­va­ter in sei­nem Gar­ten be­schäf­tigt war, umso mehr als der Herbst her­an­nah­te und ich ihm al­lent­hal­ben be­hilf­lich zu sein such­te, rück­te ich nach ei­ni­gem Zö­gern mit mei­nem An­lie­gen und dem Bitt­schrei­ben her­vor. Er sah es an und frag­te mich, ob ich den jun­gen Men­schen ken­ne? Ich er­zähl­te ihm im All­ge­mei­nen, was zu sa­gen war, und er ließ es da­bei be­wen­den. »Wenn er Ver­dienst und sonst ein gu­tes Zeug­nis hat, so will ich ihm um sei­net- und dei­net­wil­len güns­tig sein.« Mehr sag­te er nicht, und ich er­fuhr lan­ge nichts von der Sa­che.

 

Seit ei­ni­ger Zeit hat­te ich be­merkt, dass Gret­chen nicht mehr spann und sich da­ge­gen mit Nä­hen be­schäf­tig­te, und zwar mit sehr fei­ner Ar­beit, wel­ches mich umso mehr wun­der­te, da die Tage schon ab­ge­nom­men hat­ten und der Win­ter her­an­kam. Ich dach­te dar­über nicht wei­ter nach, nur be­un­ru­hig­te es mich, dass ich sie ei­ni­ge Mal des Mor­gens nicht wie sonst zu Hau­se fand und ohne Zu­dring­lich­keit nicht er­fah­ren konn­te, wo sie hin­ge­gan­gen sei. Doch soll­te ich ei­nes Ta­ges sehr wun­der­lich über­rascht wer­den. Mei­ne Schwes­ter, die sich zu ei­nem Bal­le vor­be­rei­te­te, bat mich, ihr bei ei­ner Galan­te­rie­händ­le­rin so­ge­nann­te ita­liä­ni­sche Blu­men zu ho­len. Sie wur­den in Klös­tern ge­macht, wa­ren klein und nied­lich. Myr­ten be­son­ders, Zwer­grös­lein und der­glei­chen fie­len gar schön und na­tür­lich aus. Ich tat ihr die Lie­be und ging in den La­den, in wel­chem ich schon öf­ter mit ihr ge­we­sen war. Kaum war ich hin­ein­ge­tre­ten und hat­te die Ei­gen­tü­me­rin be­grüßt, als ich im Fens­ter ein Frau­en­zim­mer sit­zen sah, das mir un­ter ei­nem Spit­zen­häub­chen gar jung und hübsch und un­ter ei­ner seid­nen Man­til­le2 sehr wohl ge­baut schi­en. Ich konn­te leicht an ihr eine Ge­hil­fin er­ken­nen, denn sie war be­schäf­tigt, Band und Fe­dern auf ein Hüt­chen zu ste­cken. Die Putz­händ­le­rin zeig­te mir den lan­gen Kas­ten mit ein­zel­nen man­nig­fal­ti­gen Blu­men vor; ich be­sah sie und blick­te, in­dem ich wähl­te, wie­der nach dem Frau­en­zim­mer­chen im Fens­ter: aber wie groß war mein Er­stau­nen, als ich eine un­glaub­li­che Ähn­lich­keit mit Gret­chen ge­wahr wur­de, ja zu­letzt mich über­zeu­gen muss­te, es sei Gret­chen selbst. Auch blieb mir kein Zwei­fel üb­rig, als sie mir mit den Au­gen wink­te und ein Zei­chen gab, dass ich uns­re Be­kannt­schaft nicht ver­ra­ten soll­te. Nun brach­te ich mit Wäh­len und Ver­wer­fen die Putz­händ­le­rin in Verzweif­lung, mehr als ein Frau­en­zim­mer selbst hät­te tun kön­nen. Ich hat­te wirk­lich kei­ne Wahl, denn ich war aufs äu­ßers­te ver­wirrt, und zu­gleich lieb­te ich mein Zau­dern, weil es mich in der Nähe des Kin­des hielt, des­sen Mas­ke mich ver­dross und das mir doch in die­ser Mas­ke rei­zen­der vor­kam als je­mals. End­lich moch­te die Putz­händ­le­rin alle Ge­duld ver­lie­ren und such­te mir ei­gen­hän­dig einen gan­zen Pap­pen­kas­ten voll Blu­men aus, den ich mei­ner Schwes­ter vor­stel­len und sie selbst soll­te wäh­len las­sen. So wur­de ich zum La­den gleich­sam hin­aus­ge­trie­ben, in­dem sie den Kas­ten durch ihr Mäd­chen vor­aus­schick­te.

Kaum war ich zu Hau­se an­ge­kom­men, als mein Va­ter mich be­ru­fen ließ und mir die Er­öff­nung tat, es sei nun ganz ge­wiss, dass der Erz­her­zog Jo­seph zum Rö­mi­schen Kö­nig ge­wählt und ge­krönt wer­den sol­le. Ein so höchst be­deu­ten­des Er­eig­nis müs­se man nicht un­vor­be­rei­tet er­war­ten und etwa nur gaf­fend und stau­nend an sich vor­bei­ge­hen las­sen. Er wol­le da­her die Wahl- und Krö­nungs­dia­ri­en der bei­den letz­ten Krö­nun­gen mit mir durch­ge­hen, nicht we­ni­ger die letz­ten Wahl­ka­pi­tu­la­tio­nen, um als­dann zu be­mer­ken, was für neue Be­din­gun­gen man im ge­gen­wär­ti­gen Fal­le hin­zu­fü­gen wer­de. Die Dia­ri­en wur­den auf­ge­schla­gen, und wir be­schäf­tig­ten uns den gan­zen Tag da­mit bis tief in die Nacht, in­des­sen mir das hüb­sche Mäd­chen, bald in ih­rem al­ten Haus­klei­de, bald in ih­rem neu­en Ko­stüm, im­mer zwi­schen den höchs­ten Ge­gen­stän­den des hei­li­gen Rö­mi­schen Reichs hin und wi­der schweb­te. Für die­sen Abend war es un­mög­lich, sie zu se­hen, und ich durch­wach­te eine sehr un­ru­hi­ge Nacht. Das gest­ri­ge Stu­di­um wur­de den an­de­ren Tag eif­rig fort­ge­setzt, und nur ge­gen Abend mach­te ich es mög­lich, mei­ne Schö­ne zu be­su­chen, die ich wie­der in ih­rem ge­wöhn­li­chen Haus­klei­de fand. Sie lä­chel­te, in­dem sie mich an­sah, aber ich ge­trau­te mich nicht, vor den an­de­ren et­was zu er­wäh­nen. Als die gan­ze Ge­sell­schaft wie­der ru­hig zu­sam­mensaß, fing sie an und sag­te: »Es ist un­bil­lig, dass ihr un­serm Freun­de nicht ver­trau­et, was in die­sen Ta­gen von uns be­schlos­sen wor­den.« Sie fuhr dar­auf fort, zu er­zäh­len, dass nach uns­rer neu­li­chen Un­ter­hal­tung, wo die Rede war, wie ein je­der sich in der Welt wol­le gel­tend ma­chen, auch un­ter ih­nen zur Spra­che ge­kom­men, auf wel­che Art ein weib­li­ches We­sen sei­ne Ta­len­te und Ar­bei­ten stei­gern und sei­ne Zeit vor­teil­haft an­wen­den kön­ne. Da­rauf habe der Vet­ter vor­ge­schla­gen, sie sol­le es bei ei­ner Putz­ma­che­rin ver­su­chen, die jetzt eben eine Ge­hil­fin brau­che. Man sei mit der Frau ei­nig ge­wor­den, sie gehe täg­lich so vie­le Stun­den hin, wer­de gut ge­lohnt; nur müs­se sie dort um des An­stands wil­len sich zu ei­nem ge­wis­sen An­putz be­que­men, den sie aber je­der­zeit zu­rück­las­se, weil er zu ih­rem üb­ri­gen Le­ben und We­sen sich gar nicht schi­cken wol­le. Durch die­se Er­klä­rung war ich zwar be­ru­higt, nur woll­te es mir nicht recht ge­fal­len, das hüb­sche Kind in ei­nem öf­fent­li­chen La­den und an ei­nem Orte zu wis­sen, wo die ga­lan­te Welt ge­le­gent­lich ih­ren Sam­mel­platz hat­te. Doch ließ ich mir nichts mer­ken und such­te mei­ne ei­fer­süch­ti­ge Sor­ge im Stil­len bei mir zu ver­ar­bei­ten. Hier­zu gönn­te mir der jün­ge­re Vet­ter nicht lan­ge Zeit, der als­bald wie­der mit dem Auf­trag zu ei­nem Ge­le­gen­heits­ge­dicht her­vor­trat, mir die Per­so­na­li­en er­zähl­te und so­gleich ver­lang­te, dass ich mich zur Er­fin­dung und Dis­po­si­ti­on des Ge­dich­tes an­schi­cken möch­te. Er hat­te schon ei­ni­ge Mal über die Be­hand­lung ei­ner sol­chen Auf­ga­be mit mir ge­spro­chen und, wie ich in sol­chen Fäl­len sehr red­se­lig war, gar leicht von mir er­langt, dass ich ihm, was an die­sen Din­gen rhe­to­risch ist, um­ständ­lich aus­leg­te, ihm einen Be­griff von der Sa­che gab und mei­ne ei­ge­nen und frem­den Ar­bei­ten die­ser Art als Bei­spie­le be­nutz­te. Der jun­ge Mensch war ein gu­ter Kopf, ob­gleich ohne Spur von poe­ti­scher Ader, und nun ging er so sehr ins ein­zel­ne und woll­te von al­lem Re­chen­schaft ha­ben, dass ich mit der Be­mer­kung laut ward: »Sieht es doch aus, als woll­tet Ihr mir ins Hand­werk grei­fen und mir die Kund­schaft ent­zie­hen.« – »Ich will es nicht leug­nen«, sag­te je­ner lä­chelnd, »denn ich tue Euch da­durch kei­nen Scha­den. Wie lan­ge wird’s wäh­ren, so geht Ihr auf die Aka­de­mie, und bis da­hin lasst mich noch im­mer et­was bei Euch pro­fi­tie­ren.« – »Herz­lich gern«, ver­setz­te ich und mun­ter­te ihn auf, selbst eine Dis­po­si­ti­on zu ma­chen, ein Sil­ben­maß nach dem Cha­rak­ter des Ge­gen­stan­des zu wäh­len, und was etwa sonst noch nö­tig schei­nen moch­te. Er ging mit Ernst an die Sa­che; aber es woll­te nicht glücken. Ich muss­te zu­letzt im­mer dar­an so viel um­schrei­ben, dass ich es leich­ter und bes­ser von vorn­her­ein selbst ge­leis­tet hät­te. Die­ses Leh­ren und Ler­nen je­doch, die­ses Mit­tei­len, die­se Wech­sel­ar­beit gab uns eine gute Un­ter­hal­tung; Gret­chen nahm teil dar­an und hat­te man­chen ar­ti­gen Ein­fall, so­dass wir alle ver­gnügt, ja man darf sa­gen, glück­lich wa­ren. Sie ar­bei­te­te des Tags bei der Putz­ma­che­rin; abends ka­men wir ge­wöhn­lich zu­sam­men, und un­se­re Zufrie­den­heit ward selbst da­durch nicht ge­stört, dass es mit den Be­stel­lun­gen zu Ge­le­gen­heits­ge­dich­ten end­lich nicht recht mehr fort woll­te. Schmerz­lich je­doch emp­fan­den wir es, dass uns eins ein­mal mit Pro­test zu­rück­kam, weil es dem Be­stel­ler nicht ge­fiel. In­des trös­te­ten wir uns, weil wir es ge­ra­de für un­se­re bes­te Ar­beit hiel­ten und je­nen für einen schlech­ten Ken­ner er­klä­ren durf­ten. Der Vet­ter, der ein für al­le­mal et­was ler­nen woll­te, ver­an­lass­te nun­mehr fin­gier­te Auf­ga­ben, bei de­ren Auf­lö­sung wir uns zwar noch im­mer gut ge­nug un­ter­hiel­ten, aber frei­lich, da sie nichts ein­brach­ten, uns­re klei­nen Ge­la­ge viel mä­ßi­ger ein­rich­ten muss­ten.

Mit je­nem großen staats­recht­li­chen Ge­gen­stan­de, der Wahl und Krö­nung ei­nes Rö­mi­schen Kö­nigs, woll­te es nun im­mer mehr Ernst wer­den. Der an­fäng­lich auf Augs­burg im Ok­to­ber 1763 aus­ge­schrie­be­ne kur­fürst­li­che Kol­le­gi­al­tag ward nun nach Frank­furt ver­legt, und so­wohl zu Ende die­ses Jahrs als zu An­fang des fol­gen­den reg­ten sich die Vor­be­rei­tun­gen, wel­che die­ses wich­ti­ge Ge­schäft ein­lei­ten soll­ten. Den An­fang mach­te ein von uns noch nie ge­se­he­ner Auf­zug. Eine un­se­rer Kanz­lei­per­so­nen zu Pfer­de, von vier gleich­falls be­ritt­nen Trom­pe­tern be­glei­tet und von ei­ner Fuß­wa­che um­ge­ben, ver­las mit lau­ter und ver­nehm­li­cher Stim­me an al­len Ecken der Stadt ein weit­läu­fi­ges Edikt, das uns von dem Be­vor­ste­hen­den be­nach­rich­tig­te und den Bür­gern ein ge­zie­men­des und den Um­stän­den an­ge­mes­se­nes Be­tra­gen ein­schärf­te. Bei Rat wur­den große Über­le­gun­gen ge­pflo­gen, und es dau­er­te nicht lan­ge, so zeig­te sich der Reichs­quar­tier­meis­ter, vom Erb­mar­schall ab­ge­sen­det, um die Woh­nun­gen der Ge­sand­ten und ih­res Ge­fol­ges nach al­tem Her­kom­men an­zu­ord­nen und zu be­zeich­nen. Un­ser Haus lag im kur­pfäl­zi­schen Spren­gel,3 und wir hat­ten uns ei­ner neu­en, ob­gleich er­freu­li­chern Ein­quar­tie­rung zu ver­se­hen. Der mitt­le­re Stock, wel­chen eh­mals Graf Tho­ra­ne in­ne­ge­habt, wur­de ei­nem kur­pfäl­zi­schen Ka­va­lier ein­ge­räumt, und da Baron von Kö­nigs­thal, Nürn­ber­gi­scher Ge­schäfts­trä­ger, den obe­ren Stock ein­ge­nom­men hat­te, so wa­ren wir noch mehr als zur­zeit der Fran­zo­sen zu­sam­men­ge­drängt. Die­ses diente mir zu ei­nem neu­en Vor­wand, au­ßer dem Hau­se zu sein und die meis­te Zeit des Ta­ges auf der Stra­ße zu­zu­brin­gen, um das, was öf­fent­lich zu se­hen war, ins Auge zu fas­sen.

Nach­dem uns die vor­her­ge­gan­ge­ne Ver­än­de­rung und Ein­rich­tung der Zim­mer auf dem Rat­hau­se se­hens­wert ge­schie­nen, nach­dem die An­kunft der Ge­sand­ten ei­nes nach dem an­de­ren und ihre ers­te so­len­ne4 Ge­samt-Auf­fahrt den 6ten Fe­bru­ar statt­ge­fun­den, so be­wun­der­ten wir nach­her die An­kunft der kai­ser­li­chen Kom­missa­ri­en und de­ren Auf­fahrt, eben­falls auf den Rö­mer, wel­che mit großem Pomp ge­sch­ah. Die wür­di­ge Per­sön­lich­keit des Fürs­ten von Liech­ten­stein mach­te einen gu­ten Ein­druck; doch woll­ten Ken­ner be­haup­ten, die präch­ti­gen Li­vreen sei­en schon ein­mal bei ei­ner an­de­ren Ge­le­gen­heit ge­braucht wor­den, und auch die­se Wahl und Krö­nung wer­de schwer­lich an Glanz je­ner von Karl dem Sie­ben­ten gleich­kom­men. Wir Jün­gern lie­ßen uns das ge­fal­len, was wir vor Au­gen hat­ten: uns deuch­te al­les sehr gut, und man­ches setz­te uns in Er­stau­nen.

Der Wahl­kon­vent war end­lich auf den 3ten März an­be­raumt. Nun kam die Stadt durch neue Förm­lich­kei­ten in Be­we­gung, und die wech­sel­sei­ti­gen Ze­re­mo­ni­ell­be­su­che der Ge­sand­ten hiel­ten uns im­mer auf den Bei­nen. Auch muss­ten wir ge­nau auf­pas­sen, weil wir nicht nur gaf­fen, son­dern al­les wohl be­mer­ken soll­ten, um zu Hau­se ge­hö­rig Re­chen­schaft zu ge­ben, ja man­chen klei­nen Auf­satz aus­zu­fer­ti­gen, wor­über sich mein Va­ter und Herr von Kö­nigs­thal, teils zu un­se­rer Übung, teils zu eig­ner No­tiz, be­re­det hat­ten. Und wirk­lich ge­reich­te mir dies zu be­sondrem Vor­teil, in­dem ich über das Äu­ßer­li­che so ziem­lich ein le­ben­di­ges Wahl- und Krö­nungs­dia­ri­um vor­stel­len konn­te.

Die Per­sön­lich­kei­ten der Ab­ge­ord­ne­ten, wel­che auf mich einen blei­ben­den Ein­druck ge­macht ha­ben, wa­ren zu­nächst die des kur­main­zi­schen ers­ten Bot­schaf­ters, Barons von Er­thal, nach­ma­li­gen Kur­fürs­ten. Ohne ir­gen­det­was Auf­fal­len­des in der Ge­stalt zu ha­ben, woll­te er mir in sei­nem schwar­zen, mit Spit­zen be­setz­ten Talar im­mer gar wohl ge­fal­len. Der zwei­te Bot­schaf­ter, Baron von Gro­schlag, war ein wohl­ge­bau­ter, im Äu­ßern be­quem, aber höchst an­stän­dig sich be­tra­gen­der Welt­mann. Er mach­te über­haupt einen sehr be­hag­li­chen Ein­druck. Fürst Es­ter­ha­zy, der böh­mi­sche Ge­sand­te, war nicht groß, aber wohl ge­baut, leb­haft und zu­gleich vor­nehm an­stän­dig, ohne Stolz und Käl­te. Ich hat­te eine be­sond­re Nei­gung zu ihm, weil er mich an den Mar­schall von Bro­glio er­in­ner­te. Doch ver­schwand ge­wis­ser­ma­ßen die Ge­stalt und Wür­de die­ser treff­li­chen Per­so­nen über dem Vor­ur­teil, das man für den bran­den­bur­gi­schen Ge­sand­ten, Baron von Plo­tho, ge­fasst hat­te. Die­ser Mann, der durch eine ge­wis­se Spär­lich­keit so­wohl in eig­ner Klei­dung als in Li­vreen und Equi­pa­gen sich aus­zeich­ne­te, war vom Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ge her als di­plo­ma­ti­scher Held be­rühmt, hat­te zu Re­gens­burg den No­ta­ri­us Aprill, der ihm die ge­gen sei­nen Kö­nig er­gan­ge­ne Achts­er­klä­rung, von ei­ni­gen Zeu­gen be­glei­tet, zu in­si­nu­ie­ren ge­dach­te, mit der la­ko­ni­schen Ge­gen­re­de: »Was! Er in­si­nu­ie­ren?« die Trep­pe hin­un­ter ge­wor­fen oder wer­fen las­sen. Das ers­te glaub­ten wir, weil es uns bes­ser ge­fiel, und wir es auch dem klei­nen, ge­drung­nen, mit schwar­zen Feu­er­au­gen hin und wi­der bli­cken­den Man­ne gar wohl zu­trau­ten. Al­ler Au­gen wa­ren auf ihn ge­rich­tet, be­son­ders wo er aus­stieg. Es ent­stand je­der­zeit eine Art von fro­hem Zi­scheln, und we­nig fehl­te, dass man ihm ap­plau­diert, Vi­vat oder Bra­vo zu­ge­ru­fen hät­te. So hoch stand der Kö­nig und al­les, was ihm mit Leib und See­le er­ge­ben war, in der Gunst der Men­ge, un­ter der sich au­ßer den Frank­fur­tern schon Deut­sche aus al­len Ge­gen­den be­fan­den.

 

Ei­ner­seits hat­te ich an die­sen Din­gen man­che Lust: weil al­les, was vor­ging, es moch­te sein, von wel­cher Art es woll­te, doch im­mer eine ge­wis­se Deu­tung ver­barg, ir­gend ein in­n­res Ver­hält­nis an­zeig­te, und sol­che sym­bo­li­sche Ze­re­mo­ni­en das durch so vie­le Per­ga­men­te, Pa­pie­re und Bü­cher bei­nah ver­schüt­te­te Deut­sche Reich wie­der für einen Au­gen­blick le­ben­dig dar­stell­ten. And­rer­seits aber konn­te ich mir ein ge­hei­mes Miss­fal­len nicht ver­ber­gen, wenn ich nun zu Hau­se die in­nern Ver­hand­lun­gen zum Be­huf mei­nes Va­ters ab­schrei­ben und da­bei be­mer­ken muss­te, dass hier meh­re­re Ge­wal­ten ein­an­der ge­gen­über stan­den, die sich das Gleich­ge­wicht hiel­ten und nur in­so­fern ei­nig wa­ren, als sie den neu­en Re­gen­ten noch mehr als den al­ten zu be­schrän­ken ge­dach­ten; dass je­der­mann sich nur in­so­fern sei­nes Ein­flus­ses freu­te, als er sei­ne Pri­vi­le­gi­en zu er­hal­ten und zu er­wei­tern und sei­ne Un­ab­hän­gig­keit mehr zu si­chern hoff­te. Ja man war dies­mal noch auf­merk­sa­mer als sonst, weil man sich vor Jo­seph dem Zwei­ten, vor sei­ner Hef­tig­keit und sei­nen ver­mut­li­chen Pla­nen zu fürch­ten an­fing.

Bei mei­nem Groß­va­ter und den üb­ri­gen Rats­ver­wand­ten, de­ren Häu­ser ich zu be­su­chen pfleg­te, war es auch kei­ne gute Zeit: denn sie hat­ten so viel mit Ein­ho­len der vor­neh­men Gäs­te, mit Be­kom­pli­men­tie­ren, mit Über­rei­chung von Ge­schen­ken zu tun. Nicht we­ni­ger hat­te der Ma­gis­trat im gan­zen wie im ein­zel­nen sich im­mer zu weh­ren, zu wi­der­stehn und zu pro­tes­tie­ren, weil bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten ihm je­der­mann et­was ab­zwa­cken oder auf­bür­den will und ihm we­ni­ge von de­nen, die er an­spricht, bei­ste­hen oder zu Hil­fe kom­men. Ge­nug, mir trat al­les nun­mehr leb­haft vor Au­gen, was ich in der Ler­s­ner­schen Chro­nik von ähn­li­chen Vor­fäl­len bei ähn­li­chen Ge­le­gen­hei­ten, mit Be­wun­de­rung der Ge­duld und Aus­dau­er je­ner gu­ten Rats­män­ner, ge­le­sen hat­te.

Man­cher Ver­druss ent­springt auch da­her, dass sich die Stadt nach und nach mit nö­ti­gen und un­nö­ti­gen Per­so­nen an­füllt. Ver­ge­bens wer­den die Höfe von sei­ten der Stadt an die Vor­schrif­ten der frei­lich ver­al­te­ten gold­nen Bul­le er­in­nert. Nicht al­lein die zum Ge­schäft Ver­ord­ne­ten und ihre Beglei­ter, son­dern man­che Stan­des- und an­de­re Per­so­nen, die aus Neu­gier oder zu Pri­vat­z­we­cken her­an­kom­men, ste­hen un­ter Pro­tek­ti­on, und die Fra­ge: wer ei­gent­lich ein­quar­tiert wird und wer selbst sich eine Woh­nung mie­ten soll? ist nicht im­mer so­gleich ent­schie­den. Das Ge­tüm­mel wächst, und selbst die­je­ni­gen, die nichts da­bei zu leis­ten oder zu ver­ant­wor­ten ha­ben, fan­gen an, sich un­be­hag­lich zu füh­len.

Selbst wir jun­gen Leu­te, die wir das al­les wohl mit an­se­hen konn­ten, fan­den doch im­mer nicht ge­nug Be­frie­di­gung für un­se­re Au­gen, für uns­re Ein­bil­dungs­kraft. Die spa­ni­schen Man­tel­klei­der, die großen Fe­der­hü­te der Ge­sand­ten und hie und da noch ei­ni­ges an­de­re ga­ben wohl ein echt al­ter­tüm­li­ches An­se­hen; man­ches da­ge­gen war wie­der so halb neu oder ganz mo­dern, dass über­all nur ein bun­tes, un­be­frie­di­gen­des, öf­ter so­gar ge­schmack­lo­ses We­sen her­vor­trat. Sehr glück­lich mach­te es uns da­her, zu ver­neh­men, dass we­gen der Her­rei­se des Kai­sers und des künf­ti­gen Kö­nigs große An­stal­ten ge­macht wur­den, dass die kur­fürst­li­chen Kol­le­gi­al­hand­lun­gen, bei wel­chen die letz­te Wahl­ka­pi­tu­la­ti­on zum Grun­de lag, eif­rig vor­wärts gin­gen, und dass der Wahl­tag auf den 27s­ten März fest­ge­setzt sei. Nun ward an die Her­bei­schaf­fung der Reichs­in­si­gni­en von Nürn­berg und Aa­chen ge­dacht, und man er­war­te­te zu­nächst den Ein­zug des Kur­fürs­ten von Mainz, wäh­rend mit sei­ner Ge­sandt­schaft die Ir­run­gen we­gen der Quar­tie­re im­mer fort­dau­er­ten.

In­des­sen be­trieb ich mei­ne Kan­ze­lis­ten­ar­beit zu Hau­se sehr leb­haft und wur­de da­bei frei­lich man­cher­lei klein­li­che Mo­ni­ta ge­wahr, die von vie­len Sei­ten ein­lie­fen und bei der neu­en Ka­pi­tu­la­ti­on be­rück­sich­tigt wer­den soll­ten. Je­der Stand woll­te in die­sem Do­ku­ment sei­ne Ge­recht­sa­me ge­wahrt und sein An­se­hen ver­mehrt wis­sen. Gar vie­le sol­cher Be­mer­kun­gen und Wün­sche wur­den je­doch bei­sei­te ge­scho­ben; vie­les blieb, wie es ge­we­sen war: gleich­wohl er­hiel­ten die Mo­nen­ten die bün­digs­ten Ver­si­che­run­gen, dass ih­nen jene Über­ge­hung kei­nes­wegs zum Prä­ju­diz ge­rei­chen sol­le.

Sehr vie­len und be­schwer­li­chen Ge­schäf­ten muss­te sich in­des­sen das Reichs­mar­schall­amt un­ter­zie­hen: die Mas­se der Frem­den wuchs, es wur­de im­mer schwie­ri­ger, sie un­ter­zu­brin­gen. Über die Gren­zen der ver­schie­de­nen kur­fürst­li­chen Be­zir­ke war man nicht ei­nig. Der Ma­gis­trat woll­te von den Bür­gern die Las­ten ab­hal­ten, zu de­nen sie nicht ver­pflich­tet schie­nen, und so gab es, bei Tag und bei Nacht, stünd­lich Be­schwer­den, Re­kur­se, Streit und Miss­hel­lig­kei­ten.

Der Ein­zug des Kur­fürs­ten von Mainz er­folg­te den 21s­ten März. Hier fing nun das Ka­no­nie­ren an, mit dem wir auf lan­ge Zeit mehr­mals be­täubt wer­den soll­ten. Wich­tig in der Rei­he der Ze­re­mo­ni­en war die­se Fest­lich­keit: denn alle die Män­ner, die wir bis­her auf­tre­ten sa­hen, wa­ren, so hoch sie auch stan­den, doch im­mer nur Un­ter­ge­ord­ne­te; hier aber er­schi­en ein Sou­ve­rän, ein selbst­stän­di­ger Fürst, der ers­te nach dem Kai­ser, von ei­nem großen, sei­ner wür­di­gen Ge­fol­ge ein­ge­führt und be­glei­tet. Von dem Pom­pe die­ses Ein­zugs wür­de ich hier man­ches zu er­zäh­len ha­ben, wenn ich nicht spä­ter wie­der dar­auf zu­rück­zu­kom­men ge­däch­te, und zwar bei ei­ner Ge­le­gen­heit, die nie­mand leicht er­ra­ten soll­te.

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