Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen

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Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen
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Clavigo

Personen.

Clavigo, Archivarius des Königs

Carlos, dessen Freund

Beaumarchais

Marie Beaumarchais

Sophie Guilbert, geborne Beaumarchais

Guilbert, ihr Mann

Buenco

Saint George

Der Schauplatz ist zu Madrid.

Erster Akt

Clavigos Wohnung.

Clavigo. Carlos.

CLAVIGO vom Schreibtisch aufstehend. Das Blatt wird eine gute Wirkung tun, es muß alle Weiber bezaubern. Sag mir, Carlos, glaubst du nicht, daß meine Wochenschrift jetzt eine der ersten in Europa ist?

CARLOS. Wir Spanier wenigstens haben keinen neueren Autor, der so viel Stärke des Gedankens, so viel blühende Einbildungskraft mit einem so glänzenden und leichten Stil verbände.

CLAVIGO. Laß mich! Ich muß unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmacks werden. Die Menschen sind willig, allerlei Eindrücke anzunehmen; ich habe einen Ruhm, ein Zutrauen unter meinen Mitbürgern; und, unter uns gesagt, meine Kenntnisse breiten sich täglich aus, meine Empfindungen erweitern sich, und mein Stil bildet sich immer wahrer und stärker.

CARLOS. Gut, Clavigo! Doch wenn du mir's nicht übelnehmen willst, so gefiel mir damals deine Schrift weit besser, als du sie noch zu Mariens Füßen schriebst, als noch das liebliche, muntere Geschöpf auf dich Einfluß hatte. Ich weiß nicht, das Ganze hatte ein jugendlicheres, blühenderes Ansehen.

CLAVIGO. Es waren gute Zeiten, Carlos, die nun vorbei sind. Ich gestehe dir gern, ich schrieb damals mit offnerem Herzen, und wahr ist's, sie hatte viel Anteil an dem Beifall, den das Publikum mir gleich anfangs gewährte. Aber in der Länge, Carlos, man wird der Weiber gar bald satt; und warst du nicht der erste, meinem Entschluß Beifall zu geben, als ich mir vornahm, sie zu verlassen!

CARLOS. Du wärst versauert. Sie sind gar zu einförmig. Nur, dünkt mich, wär's wieder Zeit, daß du dich nach einem neuen Plan umsähest, es ist doch auch nichts, wenn man so ganz auf'm Sand ist.

CLAVIGO. Mein Plan ist der Hof, und da gilt kein Feiern. Hab ich's für einen Fremden, der ohne Stand, ohne Namen, ohne Vermögen hieher kam, nicht weit genug gebracht? Hier an einem Hofe! unter dem Gedräng von Menschen, wo es so schwer hält, sich bemerken zu machen? Mir ist's so wohl, wenn ich den Weg ansehe, den ich zurückgelegt habe. Geliebt von den Ersten des Königreichs! geehrt durch meine Wissenschaften, meinen Rang! Archivarius des Königs! Carlos, das spornt mich alles; ich wäre nichts, wenn ich bliebe, was ich bin! Hinauf! Hinauf! Und da kostet's Mühe und List! Man braucht seinen ganzen Kopf; und die Weiber, die Weiber! Man vertändelt gar zu viel Zeit mit ihnen.

CARLOS. Narre, das ist deine Schuld. Ich kann nie ohne Weiber leben, und mich hindern sie an gar nichts. Auch sag ich ihnen nicht so viel schöne Sachen, röste mich nicht monatelang an Sentiments und dergleichen; wie ich denn mit honetten Mädchen am ungernsten zu tun habe. Ausgeredt hat man bald mit ihnen; hernach schleppt man sich eine Zeitlang herum, und kaum sind sie ein bißchen warm bei einem, hat sie der Teufel gleich mit Heiratsgedanken und Heiratsvorschlägen, die ich fürchte wie die Pest. Du bist nachdenkend, Clavigo?

CLAVIGO. Ich kann die Erinnerung nicht loswerden, daß ich Marien verlassen – hintergangen habe, nenn's, wie du willst.

CARLOS. Wunderlich! Mich dünkt doch, man lebt nur Einmal in der Welt, hat nur Einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor. Und heiraten! heiraten just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll! sich häuslich niederlassen, sich einschränken, da man noch die Hälfte seiner Wanderung nicht zurückgelegt, die Hälfte seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat! Daß du sie liebtest, das war natürlich, daß du ihr die Ehe versprachst, war eine Narrheit, und wenn du Wort gehalten hättest, wär's gar Raserei gewesen.

CLAVIGO. Sieh, ich begreife den Menschen nicht. Ich liebte sie wahrlich, sie zog mich an, sie hielt mich, und wie ich zu ihren Füßen saß, schwur ich ihr, schwur ich mir, daß es ewig so sein sollte, daß ich der Ihrige sein wollte, sobald ich ein Amt hätte, einen Stand – Und nun, Carlos!

CARLOS. Es wird noch Zeit genug sein, wenn du ein gemachter Mann bist, wenn du das erwünschte Ziel erreicht hast, daß du alsdann, um all dein Glück zu krönen und zu befestigen, dich mit einem angesehenen und reichen Hause durch eine kluge Heirat zu verbinden suchst.

CLAVIGO. Sie ist verschwunden! glatt aus meinem Herzen verschwunden, und wenn mir ihr Unglück nicht manchmal durch den Kopf führe – Daß man so veränderlich ist!

CARLOS. Wenn man beständig wäre, wollt ich mich verwundern. Sieh doch, verändert sich nicht alles in der Welt? warum sollten unsere Leidenschaften bleiben? Sei du ruhig, sie ist nicht das erste verlaßne Mädchen, und nicht das erste, das sich getröstet hat. Wenn ich dir raten soll, da ist die junge Witwe gegenüber –

CLAVIGO. Du weißt, ich halte nicht viel auf solche Vorschläge. Ein Roman, der nicht ganz von selbst kommt, ist nicht imstande, mich einzunehmen.

CARLOS. Über die delikaten Leute!

CLAVIGO. Laß das gut sein, und vergiß nicht, daß unser Hauptwerk gegenwärtig sein muß, uns dem neuen Minister notwendig zu machen. Daß Whal das Gouvernement von Indien niederlegt, ist immer beschwerlich für uns. Zwar ist mir's weiter nicht bange; sein Einfluß bleibt – Grimaldi und er sind Freunde, und wir können schwatzen und uns bücken –

CARLOS. Und denken und tun, was wir wollen.

CLAVIGO. Das ist die Hauptsache in der Welt. Schellt dem Bedienten. Tragt das Blatt in die Druckerei!

CARLOS. Sieht man Euch den Abend?

CLAVIGO. Nicht wohl. Nachfragen könnt Ihr ja.

CARLOS. Ich möchte heut abend gar zu gern was unternehmen, das mir das Herz erfreute; ich muß diesen ganzen Nachmittag wieder schreiben. Das endigt nicht.

CLAVIGO. Laß es gut sein! Wenn wir nicht für so viele Leute arbeiteten, wären wir so viel Leuten nicht über den Kopf gewachsen. Ab.

Guilberts Wohnung.

Sophie Guilbert. Marie Beaumarchais. Don Buenco.

BUENCO. Sie haben eine üble Nacht gehabt?

SOPHIE. Ich sagt's ihr gestern abend. Sie war so ausgelassen lustig und hat geschwatzt bis eilfe, da war sie erhitzt, konnte nicht schlafen, und nun hat sie wieder keinen Atem und weint den ganzen Morgen.

MARIE. Daß unser Bruder nicht kommt! Es sind zwei Tage über die Zeit.

SOPHIE. Nur Geduld, er bleibt nicht aus.

MARIE aufstehend. Wie begierig bin ich, diesen Bruder zu sehen; meinen Richter und meinen Retter. Ich erinnere mich seiner kaum.

SOPHIE. O ja, ich kann mir ihn noch wohl vorstellen; er war ein feuriger, offner, braver Knabe von dreizehn Jahren, als uns unser Vater hierher schickte.

MARIE. Eine edle, große Seele Sie haben den Brief gelesen, so den er schrieb, als er mein Unglück erfuhr. Jeder Buchstabe davon steht in meinem Herzen. »Wenn du schuldig bist«, schreibt er, »so erwarte keine Vergebung; über dein Elend soll noch die Verachtung eines Bruders auf dir schwer werden, und der Fluch eines Vaters. Bist du unschuldig – o dann alle Rache, alle, alle glühende Rache auf den Verräter!« – Ich zittere! Er wird kommen. Ich zittere, nicht für mich, ich stehe vor Gott in meiner Unschuld. – Ihr müßt, meine Freunde – Ich weiß nicht, was ich will! O Clavigo!

SOPHIE. Du hörst nicht! Du wirst dich umbringen.

MARIE. Ich will stille sein! Ja ich will nicht weinen. Mich dünkt auch, ich hätte keine Tränen mehr! Und warum Tränen? Es ist mir nur leid, daß ich euch das Leben sauer mache. Denn im Grunde, worüber beklag' ich mich? Ich habe viel Freude gehabt, solang unser alter Freund noch lebte. Clavigos Liebe hat mir viel Freude gemacht, vielleicht mehr als ihm die meinige. Und nun – was ist's nun weiter? Was ist an mir gelegen? an einem Mädchen gelegen, ob ihm das Herz bricht? ob es sich verzehrt und sein armes junges Leben ausquält?

BUENCO. Um Gottes willen, Mademoiselle!

MARIE. Ob's ihm wohl einerlei ist – daß er mich nicht mehr liebt? Ach! warum bin ich nicht mehr liebenswürdig? Aber bedauern, bedauern sollt er mich! daß die Arme, der er sich so notwendig gemacht hatte, nun ohne ihn ihr Leben hinschleichen, hinjammern soll. – Bedauern! Ich mag nicht von dem Menschen bedauert sein.

SOPHIE. Wenn ich dich ihn könnte verachten lehren, den Nichtswürdigen! den Hassenswürdigen!

MARIE. Nein, Schwester, ein Nichtswürdiger ist er nicht; und muß ich denn den verachten, den ich hasse? – Hassen! Ja, manchmal kann ich ihn hassen, manchmal, wenn der spanische Geist über mich kommt. Neulich, o neulich, als wir ihm begegneten, sein Anblick wirkte volle warme Liebe auf mich! und wie ich wieder nach Hause kam, und mir sein Betragen auffiel, und der ruhige, kalte Blick, den er so über mich herwarf an der Seite der glänzenden Donna – da ward ich Spanierin in meinem Herzen, und griff nach meinem Dolch, und nahm Gift zu mir, und verkleidete mich. Ihr erstaunt, Buenco? Alles in Gedanken, versteht sich.

SOPHIE. Närrisches Mädchen!

MARIE. Meine Einbildungskraft führte mich ihm nach, ich sah ihn, wie er zu den Füßen seiner neuen Geliebten alle die Freundlichkeit, alle die Demut verschwendete, mit der er mich vergiftet hat – ich zielte nach dem Herzen des Verräters! Ach, Buenco! – Auf einmal war das gutherzige französische Mädchen wieder da, das keine Liebestränke kennt und keine Dolche zur Rache. Wir sind übel dran! Vaudevilles, unsere Liebhaber zu unterhalten, Fächer, sie zu strafen, und wenn sie untreu sind? – Sag, Schwester, wie machen sie's in Frankreich, wenn die Liebhaber untreu sind?

 

SOPHIE. Man verwünscht sie.

MARIE. Und?

SOPHIE. Und läßt sie laufen.

MARIE. Laufen! Nun, und warum soll ich Clavigo nicht laufen lassen? Wenn das in Frankreich Mode ist, warum soll's nicht in Spanien sein? Warum soll eine Französin in Spanien nicht Französin sein? Wir wollen ihn laufen lassen und uns einen andern nehmen; mich dünkt, sie machen's bei uns auch so.

BUENCO. Er hat eine feierliche Zusage gebrochen, und keinen leichtsinnigen Roman, kein gesellschaftliches Attachement. Mademoiselle, Sie sind bis ins innerste Herz beleidigt, gekränkt. O, mir ist mein Stand, daß ich ein unbedeutender ruhiger Bürger von Madrid bin, nie so beschwerlich, nie so ängstlich gewesen als jetzt, da ich mich so schwach, so unvermögend fühle, Ihnen gegen den falschen Höfling Gerechtigkeit zu schaffen!

MARIE. Wie er noch Clavigo war, noch nicht Archivarius des Königs, wie er der Fremdling, der Ankömmling, der Neueingeführte in unserm Hause war, wie liebenswürdig war er, wie gut! Wie schien all sein Ehrgeiz, all sein Aufstreben ein Kind seiner Liebe zu sein! Für mich rang er nach Namen, Stand, Gütern: er hat's, und ich! – –

Guilbert kommt.

GUILBERT heimlich zu seiner Frau. Der Bruder kommt.

MARIE. Der Bruder! – Sie zittert, man führt sie in einen Sessel. Wo? wo? Bringt mir ihn! Bringt mich hin!

Beaumarchais kommt.

BEAUMARCHAIS. Meine Schwester! Von der ältesten weg, nach der jüngsten zustürzend. Meine Schwester! Meine Freunde! O meine Schwester!

MARIE. Bist du da? Gott sei Dank, du bist da!

BEAUMARCHAIS. Laß mich zu mir selbst kommen!

MARIE. Mein Herz, mein armes Herz!

SOPHIE. Beruhigt euch! Lieber Bruder, ich hoffte, dich gelassener zu sehn.

BEAUMARCHAIS. Gelassener! Seid ihr denn gelassen? Seh ich nicht an der zerstörten Gestalt dieser Lieben, an deinen verweinten Augen, deiner Blässe des Kummers, an dem toten Stillschweigen eurer Freunde, daß ihr so elend seid, wie ich mir euch den ganzen langen Weg vorgestellt habe? Und elender – denn ich seh euch, ich hab euch in meinen Armen, die Gegenwart verdoppelt meine Gefühle, o meine Schwester!

SOPHIE. Und unser Vater?

BEAUMARCHAIS. Er segnet euch und mich, wenn ich euch rette.

BUENCO. Mein Herr, erlauben Sie einem Unbekannten, der den edlen braven Mann in Ihnen beim ersten Anblick erkennt, seinen innigsten Anteil an Tag zu legen, den er bei dieser ganzen Sache empfindet. Mein Herr! Sie machen diese ungeheure Reise, Ihre Schwester zu retten, zu rächen. Willkommen! sein Sie willkommen wie ein Engel, ob Sie uns alle gleich beschämen!

BEAUMARCHAIS. Ich hoffte, mein Herr, in Spanien solche Herzen zu finden, wie das Ihre ist; das hat mich angespornt den Schritt zu tun. Nirgend, nirgend in der Welt mangelt es an teilnehmenden, beistimmenden Seelen; wenn nur einer auftritt, dessen Umstände ihm völlig Freiheit lassen, all seiner Entschlossenheit zu folgen. Und o, meine Freunde ich habe das hoffnungsvolle Gefühl: überall gibt's treffliche Menschen unter den Mächtigen und Großen, und das Ohr der Majestät ist selten taub; nur ist unsere Stimme meist zu schwach, bis dahinauf zu reichen.

SOPHIE. Kommt, Schwester! Kommt! Legt Euch einen Augenblick nieder! Sie ist ganz außer sich. Sie führen sie weg.

MARIE. Mein Bruder!

BEAUMARCHAIS. Will's Gott, du bist unschuldig, und dann alle, alle Rache über den Verräter! Marie, Sophie ab. Mein Bruder! Meine Freunde! ich seh's an euren Blicken, daß ihr's seid. Laßt mich zu mir selbst kommen! Und dann! Eine reine, unparteiische Erzählung der ganzen Geschichte. Die soll meine Handlungen bestimmen. Das Gefühl einer guten Sache soll meinen Entschluß befestigen; und glaubt mir, wenn wir recht haben, werden wir Gerechtigkeit finden.

Zweiter Akt

Das Haus des Clavigo.

Clavigo.

CLAVIGO. Wer die Franzosen sein mögen, die sich bei mir haben melden lassen? – Franzosen! Sonst war mir diese Nation willkommen! – Und warum nicht jetzt? Es ist wunderbar, ein Mensch, der sich über so vieles hinaussetzt, wird doch an einer Ecke mit Zwirnsfäden angebunden. – Weg! – Und wär ich Marien mehr schuldig als mir selbst? und ist's eine Pflicht, mich unglücklich zu machen, weil mich ein Mädchen liebt?

Ein Bedienter.

BEDIENTER. Die Fremden, mein Herr.

CLAVIGO. Führe sie herein! Du sagtest doch ihrem Bedienten, daß ich sie zum Frühstück erwarte?

BEDIENTER. Wie Sie befahlen.

CLAVIGO. Ich bin gleich wieder hier. Ab.

Beaumarchais. Saint George.

Der Bediente setzt ihnen Stühle und geht.

BEAUMARCHAIS. Es ist mir so leicht! so wohl! mein Freund, daß ich endlich hier bin, daß ich ihn habe; er soll mir nicht entwischen. Sein Sie ruhig; wenigstens zeigen Sie ihm die gelassenste Außenseite! Meine Schwester! meine Schwester! Wer glaubte, daß du so unschuldig als unglücklich bist? Es soll an den Tag kommen, du sollst auf das grimmigste gerächt werden. Und du, guter Gott, erhalte mir die Ruhe der Seele, die du mir in diesem Augenblicke gewährest, daß ich mit aller Mäßigung in dem entsetzlichen Schmerz und so klug handle als möglich!

SAINT GEORGE. Ja diese Klugheit, alles, mein Freund, was Sie jemals von Überlegung bewiesen haben, nehm ich in Anspruch. Sagen Sie mir's zu, mein Bester, noch einmal daß Sie bedenken, wo Sie sind. In einem fremden Königreiche, wo alle Ihre Beschützer, wo all Ihr Geld nicht imstande ist, Sie gegen die geheimen Maschinen nichtswürdiger Feinde zu sichern.

BEAUMARCHAIS. Sein Sie ruhig! Spielen Sie Ihre Rolle gut, er soll nicht wissen, mit welchem von uns beiden er's zu tun hat. Ich will ihn martern. O, ich bin guten Humors genug, um den Kerl an einem langsamen Feuer zu braten.

Clavigo kommt wieder.

CLAVIGO. Meine Herren, es ist mir eine Freude, Männer von einer Nation bei mir zu sehen, die ich immer geschätzt habe.

BEAUMARCHAIS. Mein Herr, ich wünsche, daß auch wir der Ehre würdig sein mögen, die Sie unsern Landsleuten anzutun belieben.

SAINT GEORGE. Das Vergnügen, Sie kennen zu lernen, hat bei uns die Bedenklichkeit überwunden, daß wir beschwerlich sein könnten.

CLAVIGO. Personen, die der erste Anblick empfiehlt, sollten die Bescheidenheit nicht so weit treiben.

BEAUMARCHAIS. Freilich kann Ihnen nicht fremd sein, von Unbekannten besucht zu werden, da Sie durch die Vortrefflichkeit Ihrer Schriften sich ebensosehr in auswärtigen Reichen bekannt gemacht haben, als die ansehnlichen Ämter, die Ihro Majestät Ihnen anvertrauen, Sie in Ihrem Vaterlande distinguieren.

CLAVIGO. Der König hat viel Gnade für meine geringen Dienste, und das Publikum viel Nachsicht für die unbedeutenden Versuche meiner Feder; ich wünschte, daß ich einigermaßen etwas zu der Verbesserung des Geschmacks in meinem Lande, zur Ausbreitung der Wissenschaften beitragen könnte. Denn sie sind's allein, die uns mit andern Nationen verbinden, sie sind's, die aus den entferntesten Geistern Freunde machen und die angenehmste Vereinigung unter denen selbst erhalten, die leider durch Staatsverhältnisse öfters getrennt werden.

BEAUMARCHAIS. Es ist entzückend, einen Mann so reden zu hören, der gleichen Einfluß auf den Staat und auf die Wissenschaften hat. Auch muß ich gestehen, Sie haben mir das Wort aus dem Munde genommen, und mich geradeswegs auf das Anliegen gebracht, um dessen willen Sie mich hier sehen. Eine Gesellschaft gelehrter würdiger Männer hat mir den Auftrag gegeben, an jedem Orte, wo ich durchreiste und Gelegenheit fände, einen Briefwechsel zwischen ihnen und den besten Köpfen des Königreichs zu stiften. Wie nun kein Spanier besser schreibt als der Verfasser der Blätter, die unter dem Namen »Der Denker« so bekannt sind, ein Mann, mit dem ich die Ehre habe zu reden –

CLAVIGO macht eine verbindliche Beugung.

BEAUMARCHAIS. Und der eine besondere Zierde der Gelehrten ist, indem er gewußt hat, mit seinen Talenten einen solchen Grad von Weltklugheit zu verbinden; dem es nicht fehlen kann, die glänzenden Stufen zu besteigen, deren ihn sein Charakter und seine Kenntnisse würdig machen – ich glaube, meinen Freunden keinen angenehmern Dienst leisten zu können, als wenn ich sie mit einem solchen Manne verbinde.

CLAVIGO. Kein Vorschlag in der Welt konnte mir erwünschter sein, meine Herren: ich sehe dadurch die angenehmsten Hoffnungen erfüllt, mit denen sich mein Herz oft ohne Aussicht einer glücklichen Gewährung beschäftigte. Nicht daß ich glaubte, durch meinen Briefwechsel den Wünschen Ihrer gelehrten Freunde genugtun zu können; so weit geht meine Eitelkeit nicht. Aber da ich das Glück habe, daß die besten Köpfe in Spanien mit mir zusammenhängen, da mir nichts unbekannt bleiben mag, was in unserm weiten Reiche von einzelnen, oft verborgenen Männern für die Wissenschaften, für die Künste getan wird, so sahe ich mich bisher als einen Kolporteur an, der das geringe Verdienst hat, die Erfindungen anderer gemeinnützig zumachen; nun aber werd' ich durch Ihre Dazwischenkunft zum Handelsmann, der das Glück hat, durch Umsetzung der einheimischen Produkte den Ruhm seines Vaterlandes auszubreiten und darüber es noch mit fremden Schätzen zu bereichern. Und so erlauben Sie, mein Herr, daß ich einen Mann, der mit solcher Freimütigkeit eine so angenehme Botschaft bringt, nicht wie einen Fremden behandle; erlauben Sie, daß ich frage, was für ein Geschäft, was für ein Anliegen Sie diesen weiten Weg geführt hat? Nicht, als wollt ich durch diese Indiskretion eine eitle Neugier befriedigen; nein, glauben Sie vielmehr, daß es in der reinsten Absicht geschieht, alle Kräfte, allen Einfluß, den ich etwa haben mag, für Sie zu verwenden: denn ich sage Ihnen zum voraus, Sie sind an einen Ort gekommen, wo sich einem Fremden zu Ausführung seiner Geschäfte, besonders bei Hofe, unzählige Schwierigkeiten entgegensetzen.

BEAUMARCHAIS. Ich nehme ein so gefälliges Anerbieten mit allem Dank an. Ich habe keine Geheimnisse für Sie, mein Herr, und dieser Freund wird bei meiner Erzählung nicht zuviel sein; er ist sattsam von dem unterrichtet, was ich Ihnen zu sagen habe.

CLAVIGO betrachtet Saint George mit Aufmerksamkeit.

BEAUMARCHAIS. Ein französischer Kaufmann, der bei einer starken Anzahl von Kindern wenig Vermögen besaß, hatte viele Korrespondenten in Spanien. Einer der reichsten kam vor fünfzehn Jahren nach Paris und tat ihm den Vorschlag: »Gebt mir zwei von Euern Töchtern, ich nehme sie mit nach Madrid und versorge sie. Ich bin ledig, bejahrt, ohne Verwandte, sie werden das Glück meiner alten Tage machen, und nach meinem Tode hinterlaß ich ihnen eine der ansehnlichsten Handlungen in Spanien.« Man vertraute ihm die älteste und eine der jüngern Schwestern. Der Vater übernahm, das Haus mit allen französischen Waren zu versehn, die man verlangen würde, und so hatte alles ein gutes Ansehn, bis der Korrespondent mit Tode abging, ohne die Französinnen im geringsten zu bedenken, die sich denn in dem beschwerlichen Falle sahen, allein einer neuen Handlung vorzustehen.

Die älteste hatte unterdessen geheiratet, und unerachtet des geringen Zustandes ihrer Glücksgüter erhielten sie sich durch gute Aufführung und durch die Annehmlichkeit ihres Geistes eine Menge Freunde, die sich wechselsweise beeiferten, ihren Kredit und ihre Geschäfte zu erweitern.

CLAVIGO wird immer aufmerksamer.

BEAUMARCHAIS. Ungefähr um eben die Zeit hatte sich ein junger Mensch, von den Kanarischen Inseln bürtig, in dem Hause vorstellen lassen.

CLAVIGO verliert alle Munterkeit aus seinem Gesicht, und sein Ernst geht nach und nach in eine Verlegenheit über, die immer sichtbarer wird.

BEAUMARCHAIS. Ungeachtet seines geringen Standes und Vermögens nimmt man ihn gefällig auf. Die Frauenzimmer, die eine große Begierde zur französischen Sprache an ihm bemerkten, erleichtern ihm alle Mittel, sich in weniger Zeit große Kenntnisse zu erwerben.

Voll von Begierde, sich einen Namen zu machen, fällt er auf den Gedanken, der Stadt Madrid das seiner Nation noch unbekannte Vergnügen einer Wochenschrift im Geschmack des englischen »Zuschauers« zu geben. Seine Freundinnen lassen es nicht ermangeln, ihm auf alle Art beizustehn; man zweifelt nicht, daß ein solches Unternehmen großen Beifall finden würde; genug, ermuntert durch die Hoffnung, nun bald ein Mensch von einiger Bedeutung werden zu können, wagt er es, der jüngsten einen Heiratsvorschlag zu tun.

 

Man gibt ihm Hoffnung. »Sucht Euer Glück zu machen«, sagt die älteste, »und wenn Euch ein Amt, die Gunst des Hofes, oder irgend sonst ein Mittel ein Recht wird gegeben haben, an meine Schwester zu denken, wenn sie Euch denn andern Freiern vorzieht, kann ich Euch meine Einwilligung nicht versagen.«

CLAVIGO bewegt sich in höchster Verwirrung auf seinem Sessel.

BEAUMARCHAIS. Die jüngste schlägt verschiedene ansehnliche Partieen aus; ihre Neigung gegen den Menschen nimmt zu und hilft ihr die Sorge einer ungewissen Erwartung tragen; sie interessiert sich für sein Glück wie für ihr eigenes, und ermuntert ihn, das erste Blatt seiner Wochenschrift zu geben, das unter einem vielversprechenden Titel erscheint.

CLAVIGO ist in der entsetzlichsten Verlegenheit.

BEAUMARCHAIS ganz kalt. Das Werk macht ein erstaunendes Glück; der König selbst, durch diese liebenswürdige Produktion ergetzt, gab dem Autor öffentliche Zeichen seiner Gnade. Man versprach ihm das erste ansehnliche Amt, das sich auftun würde. Von dem Augenblick an entfernt er alle Nebenbuhler von seiner Geliebten, indem er ganz öffentlich sich um sie bemühte. Die Heirat verzog sich nur in Erwartung der zugesagten Versorgung. – Endlich, nach sechs Jahren Harrens, ununterbrochener Freundschaft, Beistands und Liebe von seiten des Mädchens, nach sechs Jahren Ergebenheit, Dankbarkeit, Bemühungen, heiliger Versicherungen von seiten des Mannes, erscheint das Amt – und er verschwindet.

CLAVIGO es entfährt ihm ein tiefer Seufzer, den er zu verbergen sucht, und ganz außer sich ist.

BEAUMARCHAIS. Die Sache hatte zu großes Aufsehn gemacht, als daß man die Entwicklung sollte gleichgültig angesehen haben. Ein Haus für zwei Familien war gemietet. Die ganze Stadt sprach davon. Alle Freunde waren aufs höchste aufgebracht und suchten Rache. Man wendete sich an mächtige Gönner; allein der Nichtswürdige, der nun schon in die Kabalen des Hofs initiiert war, weiß alle Bemühungen fruchtlos zu machen und geht in seiner Insolenz so weit, daß er es wagt, den Unglücklichen zu drohen, wagt, denen Freunden, die sich zu ihm begeben, ins Gesicht zu sagen: die Französinnen sollten sich in acht nehmen, er biete sie auf, ihm zu schaden, und wenn sie sich unterständen, etwas gegen ihn zu unternehmen, so wär's ihm ein leichtes, sie in einem fremden Lande zu verderben, wo sie ohne Schutz und Hülfe seien. Das arme Mädchen fiel auf die Nachricht in Konvulsionen, die ihr den Tod drohten. In der Tiefe ihres Jammers schreibt die Älteste nach Frankreich die offenbare Beschimpfung, die ihnen angetan worden. Die Nachricht bewegt ihren Bruder aufs schrecklichste, er verlangt seinen Abschied, um in so einer verwirrten Sache selbst Rat und Hülfe zu schaffen, er ist im Fluge von Paris zu Madrid, und der Bruder – bin ich! der alles verlassen hat, Vaterland, Pflichten, Familie, Stand, Vergnügen, um in Spanien eine unschuldige, unglückliche Schwester zu rächen. Ich komme, bewaffnet mit der besten Sache und aller Entschlossenheit, einen Verräter zu entlarven, mit blutigen Zügen seine Seele auf sein Gesicht zu zeichnen, und der Verräter – bist du!

CLAVIGO. Hören Sie mich, mein Herr – Ich bin – Ich habe – Ich zweifle nicht –

BEAUMARCHAIS. Unterbrechen Sie mich nicht. Sie haben mir nichts zu sagen und viel von mir zu hören. Nun um einen Anfang zu machen, sein Sie so gütig, vor diesem Herrn, der expreß mit mir aus Frankreich gekommen ist, zu erklären: ob meine Schwester durch irgend eine Treulosigkeit, Leichtsinn, Schwachheit, Unart oder sonst einen Fehler diese öffentliche Beschimpfung um Sie verdient habe.

CLAVIGO. Nein, mein Herr. Ihre Schwester, Donna Maria, ist ein Frauenzimmer voll Geist, Liebenswürdigkeit und Tugend.

BEAUMARCHAIS. Hat sie Ihnen jemals seit Ihrem Umgange eine Gelegenheit gegeben, sich über sie zu beklagen, oder sie geringer zu achten?

CLAVIGO. Nie! Niemals!

BEAUMARCHAIS aufstehend. Und warum, Ungeheuer! hattest du die Grausamkeit, das Mädchen zu Tode zu quälen? Nur weil dich ihr Herz zehn andern vorzog, die alle rechtschaffner und reicher waren als du.

CLAVIGO. Oh mein Herr! Wenn Sie wüßten, wie ich verhetzt worden bin, wie ich durch mancherlei Ratgeber und Umstände –

BEAUMARCHAIS. Genug! Zu Saint George. Sie haben die Rechtfertigung meiner Schwester gehört; gehn Sie und breiten Sie es aus! Was ich dem Herrn weiter zu sagen habe, braucht keine Zeugen.

Clavigo steht auf. Saint George geht.

BEAUMARCHAIS. Bleiben Sie! Bleiben Sie! Beide setzen sich wieder. Da wir nun so weit sind, will ich Ihnen einen Vorschlag tun, den Sie hoffentlich billigen werden. Es ist Ihre Konvenienz und meine, daß Sie Marien nicht heiraten, und Sie fühlen wohl, daß ich nicht gekommen bin, den Komödienbruder zu machen, der den Roman entwickeln und seiner Schwester einen Mann schaffen will. Sie haben ein ehrliches Mädchen mit kaltem Blute beschimpft, weil Sie glaubten, in einem fremden Lande sei sie ohne Beistand und Rächer. So handelt ein Niederträchtiger, ein Nichtswürdiger. Und also, zuvörderst erklären Sie eigenhändig, freiwillig, bei offenen Türen, in Gegenwart Ihrer Bedienten: daß Sie ein abscheulicher Mensch sind, der meine Schwester betrogen, verraten, sie ohne die mindeste Ursache erniedrigt hat; und mit dieser Erklärung geh ich nach Aranjuez, wo sich unser Gesandter aufhält, ich zeige sie, ich lasse sie drucken, und übermorgen ist der Hof und die Stadt davon überschwemmt. Ich habe mächtige Freunde hier, habe Zeit und Geld, und das alles wend' ich an, um Sie auf alle Weise aufs grausamste zu verfolgen, bis der Zorn meiner Schwester sich legt, befriedigt ist und sie mir selbst Einhalt tut.

CLAVIGO. Ich tue diese Erklärung nicht.

BEAUMARCHAIS. Das glaub ich, denn vielleicht tät ich sie an Ihrer Stelle ebensowenig. Aber hier ist das andere: Schreiben Sie nicht, so bleib ich von diesem Augenblicke bei Ihnen, ich verlasse Sie nicht, ich folge Ihnen überallhin, bis Sie, einer solchen Gesellschaft überdrüssig, hinter Buenretiro meiner loszuwerden gesucht haben. Bin ich glücklicher als Sie: ohne den Gesandten zu sehn, ohne mit einem Menschen hier gesprochen zu haben, fass' ich meine sterbende Schwester in meine Arme, hebe sie in den Wagen und kehre mit ihr nach Frankreich zurück. Begünstigt Sie das Schicksal, so hab ich das Meine getan, und so lachen Sie denn auf unsere Kosten. Unterdessen das Frühstück!

Beaumarchais zieht die Schelle. Ein Bedienter bringt die Schokolade.

Beaumarchais nimmt seine Tasse und geht in der anstoßenden Galerie spazieren, die Gemälde betrachtend.

CLAVIGO. Luft! Luft! – Das hat dich überrascht, angepackt wie einen Knaben – Wo bist du, Clavigo? Wie willst du das enden? – Wie kannst du das enden? – Ein schrecklicher Zustand, in den dich deine Torheit, deine Verräterei gestürzt hat! Er greift nach dem Degen auf dem Tische. Ha! Kurz und gut! – Er läßt ihn liegen. – Und da wäre kein Weg, kein Mittel, als Tod – oder Mord, abscheulicher Mord! – Das unglückliche Mädchen ihres letzten Trostes, ihres einzigen Beistandes zu berauben, ihres Bruders! – Des edeln, braven Menschen Blut zu sehen! – Und so den doppelten unerträglichen Fluch einer vernichteten Familie auf dich zu laden! – O, das war die Aussicht nicht, als das liebenswürdige Geschöpf dich die ersten Stunden ihrer Bekanntschaft mit so viel Reizen anzog! Und da du sie verließest, sahst du nicht die gräßlichen Folgen deiner Schandtat! – Welche Seligkeit wartete dein in ihren Armen in der Freundschaft solch eines Bruders! – Marie! Marie! O daß du vergeben könntest! daß ich zu deinen Füßen das alles abweinen dürfte! – Und warum nicht? – Mein Herz geht mir über; meine Seele geht mir auf in Hoffnung! – Mein Herr!

BEAUMARCHAIS. Was beschließen Sie?

CLAVIGO. Hören Sie mich! Mein Betragen gegen Ihre Schwester ist nicht zu entschuldigen. Die Eitelkeit hat mich verführt. Ich fürchtete, meine Plane, meine Aussichten auf ein ruhmvolles Leben durch diese Heirat zugrunde zu richten. Hätte ich wissen können, daß sie so einen Bruder habe, sie würde in meinen Augen keine unbedeutende Fremde gewesen sein, ich würde die ansehnlichsten Vorteile von dieser Verbindung gehofft haben. Sie erfüllen mich, mein Herr, mit der größesten Hochachtung für Sie; und indem Sie mir auf diese Weise mein Unrecht lebhaft empfinden machen, flößen Sie mir eine Begierde ein, eine Kraft, alles wieder gutzumachen. Ich werfe mich zu Ihren Füßen! Helfen Sie! Helfen Sie, wenn's möglich ist, meine Schuld austilgen und das Unglück endigen! Geben Sie mir Ihre Schwester wieder, mein Herr, geben Sie mich ihr! Wie glücklich wär ich, von Ihrer Hand eine Gattin die Vergebung aller meiner Fehler zu erhalten!

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