Dichtung und Wahrheit

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Из серии: Klassiker bei Null Papier
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Eine be­son­de­re Lieb­ha­be­rei mei­nes Va­ters mach­te uns Kin­dern viel Un­be­quem­lich­keit. Es war näm­lich die Sei­den­zucht, von de­ren Vor­teil, wenn sie all­ge­mei­ner ver­brei­tet wür­de, er einen großen Be­griff hat­te. Ei­ni­ge Be­kannt­schaf­ten in Hanau, wo man die Zucht der Wür­mer sehr sorg­fäl­tig be­trieb, ga­ben ihm die nächs­te Ver­an­las­sung. Von dort­her wur­den ihm zu rech­ter Zeit die Eier ge­sen­det; und so­bald die Maul­beer­bäu­me ge­nug­sa­mes Laub zeig­ten, ließ man sie aus­schlüp­fen und war­te­te der kaum sicht­ba­ren Ge­schöp­fe mit großer Sorg­falt. In ei­nem Man­sard­zim­mer wa­ren Ti­sche und Ge­stel­le mit Bret­tern auf­ge­schla­gen, um ih­nen mehr Raum und Un­ter­halt zu be­rei­ten: denn sie wuch­sen schnell und wa­ren nach der letz­ten Häu­tung so heiß­hung­rig, dass man kaum Blät­ter ge­nug her­bei­schaf­fen konn­te, sie zu näh­ren; ja sie muss­ten Tag und Nacht ge­füt­tert wer­den, weil eben al­les dar­auf an­kommt, dass sie der Nah­rung ja nicht zu ei­ner Zeit er­man­geln, wo die große und wun­der­sa­me Ver­än­de­rung in ih­nen vor­ge­hen soll. War die Wit­te­rung güns­tig, so konn­te man frei­lich die­ses Ge­schäft als eine lus­ti­ge Un­ter­hal­tung an­se­hen; trat aber Käl­te ein, dass die Maul­beer­bäu­me lit­ten, so mach­te es große Not. Noch un­an­ge­neh­mer aber war es, wenn in der letz­ten Epo­che Re­gen ein­fiel: denn die­se Ge­schöp­fe kön­nen die Feuch­tig­keit gar nicht ver­tra­gen; und so muss­ten die be­netz­ten Blät­ter sorg­fäl­tig ab­ge­wischt und ge­trock­net wer­den, wel­ches denn doch nicht im­mer so ge­nau ge­sche­hen konn­te, und aus die­ser oder viel­leicht auch ei­ner an­de­ren Ur­sa­che ka­men man­cher­lei Krank­hei­ten un­ter die Her­de, wo­durch die ar­men Krea­tu­ren zu Tau­sen­den hin­ge­rafft wur­den. Die dar­aus ent­ste­hen­de Fäul­nis er­reg­te einen wirk­lich pest­ar­ti­gen Ge­ruch, und da man die to­ten und kran­ken weg­schaf­fen und von den ge­sun­den ab­son­dern muss­te, um nur ei­ni­ge zu ret­ten, so war es in der Tat ein äu­ßerst be­schwer­li­ches und wi­der­li­ches Ge­schäft, das uns Kin­dern man­che böse Stun­de ver­ur­sach­te.

Nach­dem wir nun ei­nes Jahrs die schöns­ten Früh­lings- und Som­mer­wo­chen mit War­tung der Sei­den­wür­mer hin­ge­bracht, muss­ten wir dem Va­ter in ei­nem an­de­ren Ge­schäft bei­ste­hen, das, ob­gleich ein­fa­cher, uns den­noch nicht we­ni­ger be­schwer­lich ward. Die rö­mi­schen Pro­spek­te näm­lich, wel­che in dem al­ten Hau­se, in schwar­ze Stä­be oben und un­ten ein­ge­fasst, an den Wän­den meh­re­re Jah­re ge­han­gen hat­ten, wa­ren durch Licht, Staub und Rauch sehr ver­gilbt und durch die Flie­gen nicht we­nig un­schein­bar ge­wor­den. War nun eine sol­che Un­rein­lich­keit in dem neu­en Hau­se nicht zu­läs­sig, so hat­ten die­se Bil­der für mei­nen Va­ter auch durch sei­ne län­ge­re Ent­fernt­heit von den vor­ge­stell­ten Ge­gen­den an Wert ge­won­nen. Denn im An­fan­ge die­nen uns der­glei­chen Ab­bil­dun­gen, die erst kurz vor­her emp­fan­ge­nen Ein­drücke auf­zu­fri­schen und zu be­le­ben. Sie schei­nen uns ge­ring ge­gen die­se und meis­tens nur ein trau­ri­ges Sur­ro­gat. Ver­lischt hin­ge­gen das An­den­ken der Ur­ge­stal­ten im­mer mehr und mehr, so tre­ten die Nach­bil­dun­gen un­ver­merkt an ihre Stel­le, sie wer­den uns so teu­er, als es jene wa­ren, und was wir an­fangs miss­ge­ach­tet, er­wirbt sich nun­mehr uns­re Schät­zung und Nei­gung. So geht es mit al­len Ab­bil­dun­gen, be­son­ders auch mit Por­trä­ten. Nicht leicht ist je­mand mit dem Kon­ter­fei ei­nes Ge­gen­wär­ti­gen zu­frie­den, und wie er­wünscht ist uns je­der Schat­ten­riss ei­nes Ab­we­sen­den oder gar Ab­ge­schie­de­nen.

Ge­nug, in die­sem Ge­fühl sei­ner bis­he­ri­gen Ver­schwen­dung woll­te mein Va­ter jene Kup­fer­sti­che so viel wie mög­lich wie­der her­ge­stellt wis­sen. Dass die­ses durch Blei­chen mög­lich sei, war be­kannt; und die­se bei großen Blät­tern im­mer be­denk­li­che Ope­ra­ti­on wur­de un­ter ziem­lich un­güns­ti­gen Lo­ka­lum­stän­den vor­ge­nom­men. Denn die großen Bret­ter, wor­auf die an­ge­rauch­ten Kup­fer be­feuch­tet und der Son­ne aus­ge­stellt wur­den, stan­den vor Man­sard­fens­tern in den Dach­rin­nen an das Dach ge­lehnt und wa­ren da­her man­chen Un­fäl­len aus­ge­setzt. Da­bei war die Haupt­sa­che, dass das Pa­pier nie­mals aus­trock­nen durf­te, son­dern im­mer feucht ge­hal­ten wer­den muss­te. Die­se Ob­lie­gen­heit hat­te ich und mei­ne Schwes­ter, wo­bei uns denn we­gen der Lan­gen­wei­le und Un­ge­duld, we­gen der Auf­merk­sam­keit, die uns kei­ne Zer­streu­ung zuließ, ein sonst so sehr er­wünsch­ter Mü­ßig­gang zur höchs­ten Qual ge­reich­te. Die Sa­che ward gleich­wohl durch­ge­setzt, und der Buch­bin­der, der je­des Blatt auf star­kes Pa­pier auf­zog, tat sein Bes­tes, die hier und da durch uns­re Fahr­läs­sig­keit zer­ris­se­nen Rän­der aus­zu­glei­chen und her­zu­stel­len. Die sämt­li­chen Blät­ter wur­den in einen Band zu­sam­men­ge­fasst und wa­ren für dies­mal ge­ret­tet.

Da­mit es uns Kin­dern aber ja nicht an dem Al­ler­lei des Le­bens und Ler­nens feh­len möch­te, so muss­te sich ge­ra­de um die­se Zeit ein eng­li­scher Sprach­meis­ter mel­den, wel­cher sich an­hei­schig mach­te, in­ner­halb vier Wo­chen einen je­den, der nicht ganz roh in Spra­chen sei, die eng­li­sche zu leh­ren und ihn so weit zu brin­gen, dass er sich mit ei­ni­gem Fleiß wei­ter hel­fen kön­ne. Er nahm ein mä­ßi­ges Ho­no­rar; die An­zahl der Schü­ler in ei­ner Stun­de war ihm gleich­gül­tig. Mein Va­ter ent­schloss sich auf der Stel­le, den Ver­such zu ma­chen, und nahm mir und mei­ner Schwes­ter bei dem ex­pe­di­ten Meis­ter Lek­ti­on. Die Stun­den wur­den treu­lich ge­hal­ten, am Re­pe­tie­ren fehl­te es auch nicht: man ließ die vier Wo­chen über eher ei­ni­ge an­de­re Übun­gen lie­gen; der Leh­rer schied von uns und wir von ihm mit Zufrie­den­heit. Da er sich län­ger in der Stadt auf­hielt und vie­le Kun­den fand, so kam er von Zeit zu Zeit, nach­zu­se­hen und nach­zu­hel­fen, dank­bar, dass wir un­ter die ers­ten ge­hör­ten, wel­che Zu­trau­en zu ihm ge­habt, und stolz, uns den üb­ri­gen als Mus­ter an­füh­ren zu kön­nen.

In Ge­folg von die­sem heg­te mein Va­ter eine neue Sorg­falt, dass auch das Eng­li­sche hübsch in der Rei­he der üb­ri­gen Sprach­be­schäf­ti­gun­gen blie­be. Nun be­ken­ne ich, dass es mir im­mer läs­ti­ger wur­de, bald aus die­ser, bald aus je­ner Gram­ma­tik oder Bei­spiel­samm­lung, bald aus die­sem oder je­nem Au­tor den An­lass zu mei­nen Ar­bei­ten zu neh­men und so mei­nen An­teil an den Ge­gen­stän­den zu­gleich mit den Stun­den zu ver­zet­teln. Ich kam da­her auf den Ge­dan­ken, al­les mit ein­mal ab­zu­tun, und er­fand einen Ro­man von sechs bis sie­ben Ge­schwis­tern, die, von­ein­an­der ent­fernt und in der Welt zer­streut, sich wech­sel­sei­tig Nach­richt von ih­ren Zu­stän­den und Emp­fin­dun­gen mit­tei­len. Der äl­tes­te Bru­der gibt in gu­tem Deutsch Be­richt von al­ler­lei Ge­gen­stän­den und Er­eig­nis­sen sei­ner Rei­se. Die Schwes­ter, in ei­nem frau­en­zim­mer­li­chen Stil, mit lau­ter Punk­ten und in kur­z­en Sät­zen, un­ge­fähr wie nach­her »Sieg­wart« ge­schrie­ben wur­de, er­wi­dert bald ihm, bald den an­de­ren Ge­schwis­tern, was sie teils von häus­li­chen Ver­hält­nis­sen, teils von Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten zu er­zäh­len hat. Ein Bru­der stu­diert Theo­lo­gie und schreibt ein sehr förm­li­ches La­tein, dem er manch­mal ein grie­chi­sches Post­skript hin­zu­fügt. Ei­nem fol­gen­den, in Ham­burg als Hand­lungs­die­ner an­ge­stellt, ward na­tür­lich die eng­li­sche Kor­re­spon­denz zu teil, so wie ei­nem jün­gern, der sich in Mar­seil­le auf­hielt, die fran­zö­si­sche. Zum Ita­liä­ni­schen fand sich ein Mu­si­kus auf sei­nem ers­ten Aus­flug in die Welt, und der jüngs­te, eine Art von na­se­wei­sem Nest­qua­ckel­chen, hat­te, da ihm die üb­ri­gen Spra­chen ab­ge­schnit­ten wa­ren, sich aufs Ju­den­deutsch ge­legt und brach­te durch sei­ne schreck­li­chen Chif­fern die üb­ri­gen in Verzweif­lung und die El­tern über den gu­ten Ein­fall zum La­chen.

Für die­se wun­der­li­che Form such­te ich mir ei­ni­gen Ge­halt, in­dem ich die Geo­gra­fie der Ge­gen­den, wo mei­ne Ge­schöp­fe sich auf­hiel­ten, stu­dier­te und zu je­nen tro­ckenen Lo­ka­li­tä­ten al­ler­lei Men­sch­lich­kei­ten hin­zu er­fand, die mit dem Cha­rak­ter der Per­so­nen und ih­rer Be­schäf­ti­gung ei­ni­ge Ver­wandt­schaft hat­ten. Auf die­se Wei­se wur­den mei­ne Ex­er­zi­ti­en­bü­cher viel vo­lu­mi­nöser; der Va­ter war zu­frie­de­ner, und ich ward eher ge­wahr, was mir an ei­ge­nem Vor­rat und an Fer­tig­kei­ten ab­ging.

Wie nun der­glei­chen Din­ge, wenn sie ein­mal im Gang sind, kein Ende und kei­ne Gren­zen ha­ben, so ging es auch hier: denn in­dem ich mir das ba­ro­cke Ju­den­deutsch zu­zu­eig­nen und es eben so gut zu schrei­ben such­te, als ich es le­sen konn­te, fand ich bald, dass mir die Kennt­nis des He­bräi­schen fehl­te, wo­von sich das mo­der­ne ver­dor­be­ne und ver­zerr­te al­lein ab­lei­ten und mit ei­ni­ger Si­cher­heit be­han­deln ließ. Ich er­öff­ne­te da­her mei­nem Va­ter die Not­wen­dig­keit, He­brä­isch zu ler­nen, und be­trieb sehr leb­haft sei­ne Ein­wil­li­gung: denn ich hat­te noch einen hö­hern Zweck. Über­all hör­te ich sa­gen, dass zum Ver­ständ­nis des Al­ten Te­sta­ments so wie des Neu­en die Grund­spra­chen nö­tig wä­ren. Das letz­te las ich ganz be­quem, weil die so­ge­nann­ten Evan­ge­li­en und Epis­teln, da­mit es ja auch Sonn­tags nicht an Übung feh­le, nach der Kir­che re­zi­tiert, über­setzt und ei­ni­ger­ma­ßen er­klärt wer­den muss­ten. Eben so dach­te ich es nun auch mit dem Al­ten Te­sta­men­te zu hal­ten, das mir we­gen sei­ner Ei­gen­tüm­lich­keit ganz be­son­ders von je­her zu­ge­sagt hat­te.

Mein Va­ter, der nicht gern et­was halb tat, be­schloss, den Rek­tor un­se­res Gym­na­si­ums, Dok­tor Al­brecht, um Pri­vat­stun­den zu er­su­chen, die er mir wö­chent­lich so lan­ge ge­ben soll­te, bis ich von ei­ner so ein­fa­chen Spra­che das Nö­tigs­te ge­fasst hät­te; denn er hoff­te, sie wer­de, wo nicht so schnell, doch we­nigs­tens in dop­pel­ter Zeit als die eng­li­sche sich ab­tun las­sen.

 

Der Rek­tor Al­brecht war eine der ori­gi­nals­ten Fi­gu­ren von der Welt, klein, nicht dick, aber breit, un­förm­lich, ohne ver­wach­sen zu sein, kurz ein Ae­sop mit Chor­rock und Perücke, sein über sieb­zig­jäh­ri­ges Ge­sicht war durch­aus zu ei­nem sar­kas­ti­schen Lä­cheln ver­zo­gen, wo­bei sei­ne Au­gen im­mer groß blie­ben und, ob­gleich rot, doch im­mer leuch­tend und geist­reich wa­ren. Er wohn­te in dem al­ten Klos­ter zu den Bar­fü­ßern, dem Sitz des Gym­na­si­ums. Ich hat­te schon als Kind, mei­ne El­tern be­glei­tend, ihn manch­mal be­sucht und die lan­gen dunklen Gän­ge, die in Vi­si­ten­zim­mer ver­wan­del­ten Ka­pel­len, das un­ter­broch­ne trep­pen- und win­kel­haf­te Lo­kal mit schau­ri­gem Be­ha­gen durch­stri­chen. Ohne mir un­be­quem zu sein, ex­ami­nier­te er mich, so oft er mich sah, und lob­te und er­mun­ter­te mich. Ei­nes Ta­ges, bei der Trans­lo­ka­ti­on nach öf­fent­li­chem Ex­amen, sah er mich als einen aus­wär­ti­gen Zuschau­er, wäh­rend er die sil­ber­nen prae­mia vir­tu­tis et di­li­gen­tiae aus­teil­te, nicht weit von sei­nem Ka­the­der ste­hen. Ich moch­te gar sehn­lich nach dem Beu­tel­chen bli­cken, aus wel­chem er die Schau­mün­zen her­vor­zog; er wink­te mir, trat eine Stu­fe her­un­ter und reich­te mir einen sol­chen Sil­ber­ling. Mei­ne Freu­de war groß, ob­gleich an­de­re die­se ei­nem Nicht-Schul­kna­ben ge­währ­te Gabe au­ßer al­ler Ord­nung fan­den. Al­lein dar­an war dem gu­ten Al­ten we­nig ge­le­gen, der über­haupt den Son­der­ling und zwar in ei­ner auf­fal­len­den Wei­se spiel­te. Er hat­te als Schul­mann einen sehr gu­ten Ruf und ver­stand sein Hand­werk, ob ihm gleich das Al­ter sol­ches aus­zuü­ben nicht mehr ganz ge­stat­te­te. Aber bei­na­he noch mehr als durch ei­ge­ne Ge­brech­lich­keit fühl­te er sich durch äu­ße­re Um­stän­de ge­hin­dert, und wie ich schon frü­her wuss­te, war er we­der mit dem Kon­sis­to­ri­um, noch den Schol­ar­chen, noch den Geist­li­chen, noch auch den Leh­rern zu­frie­den. Sei­nem Na­tu­rell, das sich zum Auf­pas­sen auf Feh­ler und Män­gel und zur Sa­ti­re hin­neig­te, ließ er so­wohl in Pro­gram­men als in öf­fent­li­chen Re­den frei­en Lauf, und wie Lu­ci­an fast der ein­zi­ge Schrift­stel­ler war, den er las und schätz­te, so würz­te er al­les, was er sag­te und schrieb, mit bei­zen­den In­gre­di­en­zi­en.

Glück­li­cher­wei­se für die­je­ni­gen, mit wel­chen er un­zu­frie­den war, ging er nie­mals di­rekt zu Wer­ke, son­dern schraub­te nur mit Be­zü­gen, An­spie­lun­gen, klas­si­schen Stel­len und bib­li­schen Sprü­chen auf die Män­gel hin, die er zu rü­gen ge­dach­te. Da­bei war sein münd­li­cher Vor­trag (er las sei­ne Re­den je­der­zeit ab) un­an­ge­nehm, un­ver­ständ­lich und über al­les die­ses manch­mal durch einen Hus­ten, öf­ters aber durch ein hoh­les bauch­schüt­tern­des La­chen un­ter­bro­chen, wo­mit er die bei­ßen­den Stel­len an­zu­kün­di­gen und zu be­glei­ten pfleg­te. Die­sen selt­sa­men Mann fand ich mild und wil­lig, als ich an­fing, mei­ne Stun­den bei ihm zu neh­men. Ich ging nun täg­lich abends um sechs Uhr zu ihm und fühl­te im­mer ein heim­li­ches Be­ha­gen, wenn sich die Klin­gel­tü­re hin­ter mir schloss und ich nun den lan­gen düs­tern Klos­ter­gang durch­zu­wan­deln hat­te. Wir sa­ßen in sei­ner Biblio­thek an ei­nem mit Wachs­tuch be­schla­ge­nen Ti­sche; ein sehr durch­le­se­ner Lu­ci­an kam nie von sei­ner Sei­te.

Un­ge­ach­tet al­les Wohl­wol­lens ge­lang­te ich doch nicht ohne Ein­stand zur Sa­che: denn mein Leh­rer konn­te ge­wis­se spöt­ti­sche An­mer­kun­gen, und was es denn mit dem He­bräi­schen ei­gent­lich sol­le, nicht un­ter­drücken. Ich ver­schwieg ihm die Ab­sicht auf das Ju­den­deutsch und sprach von bes­se­rem Ver­ständ­nis des Grund­tex­tes. Da­rauf lä­chel­te er und mein­te, ich sol­le schon zu­frie­den sein, wenn ich nur le­sen lern­te. Dies ver­dross mich im Stil­len, und ich nahm alle mei­ne Auf­merk­sam­keit zu­sam­men, als es an die Buch­sta­ben kam. Ich fand ein Al­pha­bet, das un­ge­fähr dem grie­chi­schen zur Sei­te ging, des­sen Ge­stal­ten fass­lich, des­sen Be­nen­nun­gen mir zum größ­ten Teil nicht fremd wa­ren. Ich hat­te dies al­les sehr bald be­grif­fen und be­hal­ten und dach­te, es soll­te nun ans Le­sen ge­hen. Dass die­ses von der rech­ten zur lin­ken Zei­le ge­sch­ehe, war mir wohl be­wusst. Nun aber trat auf ein­mal ein neu­es Heer von klei­nen Buch­stäb­chen und Zei­chen her­vor, von Punk­ten und Stri­chel­chen al­ler Art, wel­che ei­gent­lich die Vo­ka­le vor­stel­len soll­ten, wor­über ich mich umso mehr ver­wun­der­te, als sich in dem grö­ßern Al­pha­be­te of­fen­bar Vo­ka­le be­fan­den und die üb­ri­gen nur un­ter frem­den Be­nen­nun­gen ver­bor­gen zu sein schie­nen. Auch ward ge­lehrt, dass die jü­di­sche Na­ti­on, so lan­ge sie ge­blüht, wirk­lich sich mit je­nen ers­ten Zei­chen be­gnügt und kei­ne an­de­re Art zu schrei­ben und zu le­sen ge­kannt habe. Ich wäre nun gar zu gern auf die­sem al­ter­tüm­li­chen, wie mir schi­en be­que­me­ren Wege ge­gan­gen; al­lein mein Al­ter er­klär­te et­was streng: man müs­se nach der Gram­ma­tik ver­fah­ren, wie sie ein­mal be­liebt und ver­fasst wor­den. Das Le­sen ohne die­se Punk­te und Stri­che sei eine sehr schwe­re Auf­ga­be und kön­ne nur von Ge­lehr­ten und den Ge­üb­tes­ten ge­leis­tet wer­den. Ich muss­te mich also be­que­men, auch die­se klei­nen Merk­zei­chen ken­nen zu ler­nen; aber die Sa­che ward mir im­mer ver­worr­ner. Nun soll­ten ei­ni­ge der ers­ten grö­ßern Ur­zei­chen an ih­rer Stel­le gar nichts gel­ten, da­mit ihre klei­nen Nach­ge­bor­nen doch ja nicht um­sonst da­ste­hen möch­ten. Dann soll­ten sie ein­mal wie­der einen lei­sen Hauch, dann einen mehr oder we­ni­ger har­ten Kehl­laut an­deu­ten, bald gar nur als Stüt­ze und Wi­der­la­ge die­nen. Zu­letzt aber, wenn man sich al­les wohl ge­merkt zu ha­ben glaub­te, wur­den ei­ni­ge der großen so­wohl als der Klei­nen Per­so­na­gen in den Ru­he­stand ver­setzt, so­dass das Auge im­mer sehr viel und die Lip­pe sehr we­nig zu tun hat­te.

In­dem ich nun das­je­ni­ge, was mir dem In­halt nach schon be­kannt war, in ei­nem frem­den kau­der­wel­schen1 Idi­om her­stot­tern soll­te, wo­bei mir denn ein ge­wis­ses Nä­seln und Gur­geln als ein Un­er­reich­ba­res nicht we­nig emp­foh­len wur­de, so kam ich ge­wis­ser­ma­ßen von der Sa­che ganz ab und amü­sier­te mich auf eine kin­di­sche Wei­se an den selt­sa­men Na­men die­ser ge­häuf­ten Zei­chen. Da wa­ren Kai­ser, Kö­ni­ge und Her­zo­ge, die, als Ak­zen­te hie und da do­mi­nie­rend, mich nicht we­nig un­ter­hiel­ten. Aber auch die­se scha­len Spä­ße ver­lo­ren bald ih­ren Reiz. Doch wur­de ich da­durch schad­los ge­hal­ten, dass mir beim Le­sen, Über­set­zen, Wie­der­ho­len, Aus­wen­dig­ler­nen der In­halt des Buchs umso leb­haf­ter ent­ge­gen­trat, und die­ser war es ei­gent­lich, über wel­chen ich von mei­nem al­ten Herrn Auf­klä­rung ver­lang­te. Denn schon vor­her wa­ren mir die Wi­der­sprü­che der Über­lie­fe­rung mit dem Wirk­li­chen und Mög­li­chen sehr auf­fal­lend ge­we­sen, und ich hat­te mei­ne Haus­leh­rer durch die Son­ne, die zu Gi­be­on, und den Mond, der im Tal Aja­lon still­stand, in man­che Not ver­setzt; ge­wis­ser an­de­rer Un­wahr­schein­lich­kei­ten und In­kon­gru­en­zen nicht zu ge­den­ken. Al­les der­glei­chen ward nun auf­ge­regt, in­dem ich mich, um von dem He­bräi­schen Meis­ter zu wer­den, mit dem Al­ten Te­sta­ment aus­schließ­lich be­schäf­tig­te und sol­ches nicht mehr in Luthers Über­set­zung, son­dern in der wört­li­chen bei­ge­druck­ten Ver­si­on des Se­bas­ti­an Schmidt, den mir mein Va­ter so­gleich an­ge­schafft hat­te, durch­stu­dier­te. Hier fin­gen uns­re Stun­den lei­der an, was die Sprach­übun­gen be­trifft, lücken­haft zu wer­den. Le­sen, Ex­po­nie­ren, Gram­ma­tik, Auf­schrei­ben und Her­sa­gen von Wör­tern dau­er­te sel­ten eine völ­li­ge hal­be Stun­de: denn ich fing so­gleich an, auf den Sinn der Sa­che los­zu­ge­hen und, ob wir gleich noch in dem ers­ten Bu­che Mo­sis be­fan­gen wa­ren, man­cher­lei Din­ge zur Spra­che zu brin­gen, wel­che mir aus den spä­tern Bü­chern im Sin­ne la­gen. An­fangs such­te der gute Alte mich von sol­chen Ab­schwei­fun­gen zu­rück­zu­füh­ren; zu­letzt aber schi­en es ihn selbst zu un­ter­hal­ten. Er kam nach sei­ner Art nicht aus dem Hus­ten und La­chen, und wie­wohl er sich sehr hü­te­te, mir eine Aus­kunft zu ge­ben, die ihn hät­te kom­pro­mit­tie­ren kön­nen, so ließ mei­ne Zu­dring­lich­keit doch nicht nach; ja da mir mehr dar­an ge­le­gen war, mei­ne Zwei­fel vor­zu­brin­gen, als die Auf­lö­sung der­sel­ben zu er­fah­ren, so wur­de ich im­mer leb­haf­ter und küh­ner, wozu er mich durch sein Be­tra­gen zu be­rech­ti­gen schi­en. Üb­ri­gens konn­te ich nichts aus ihm brin­gen, als dass er ein über das an­de­re Mal mit sei­nem bauch­schüt­tern­den La­chen aus­rief: »Er när­ri­scher Kerl! Er när­ri­scher Jun­ge!«

In­des­sen moch­te ihm mei­ne, die Bi­bel nach al­len Sei­ten durch­kreu­zen­de kin­di­sche Leb­haf­tig­keit doch ziem­lich ernst­haft und ei­ni­ger Nach­hil­fe wert ge­schie­nen ha­ben. Er ver­wies mich da­her nach ei­ni­ger Zeit auf das große eng­li­sche Bi­bel­werk, wel­ches in sei­ner Biblio­thek be­reit stand und in wel­chem die Aus­le­gung schwe­rer und be­denk­li­cher Stel­len auf eine ver­stän­di­ge und klu­ge Wei­se un­ter­nom­men war. Die Über­set­zung hat­te durch die großen Be­mü­hun­gen deut­scher Got­tes­ge­lehr­ten Vor­zü­ge vor dem Ori­gi­nal er­hal­ten. Die ver­schie­de­nen Mei­nun­gen wa­ren an­ge­führt und zu­letzt eine Art von Ver­mit­te­lung ver­sucht, wo­bei die Wür­de des Buchs, der Grund der Re­li­gi­on und der Men­schen­ver­stand ei­ni­ger­ma­ßen ne­ben ein­an­der be­ste­hen konn­ten. So oft ich nun ge­gen Ende der Stun­de mit her­ge­brach­ten Fra­gen und Zwei­feln auf­trat, so oft deu­te­te er auf das Re­po­si­to­ri­um; ich hol­te mir den Band, er ließ mich le­sen, blät­ter­te in sei­nem Lu­ci­an, und wenn ich über das Buch mei­ne An­mer­kun­gen mach­te, war sein ge­wöhn­li­ches La­chen al­les, wo­durch er mei­nen Scharf­sinn er­wi­der­te. In den lan­gen Som­mer­ta­gen ließ er mich sit­zen, so lan­ge ich le­sen konn­te, manch­mal al­lein; nur dau­er­te es eine Wei­le, bis er mir er­laub­te, einen Band nach dem an­de­ren mit nach Hau­se zu neh­men.

Der Mensch mag sich wen­den, wo­hin er will, er mag un­ter­neh­men, was es auch sei, stets wird er auf je­nen Weg wie­der zu­rück­keh­ren, den ihm die Na­tur ein­mal vor­ge­zeich­net hat. 5o er­ging es auch mir im ge­gen­wär­ti­gen Fal­le. Die Be­mü­hun­gen um die Spra­che, um den In­halt der hei­li­gen Schrif­ten selbst en­dig­ten zu­letzt da­mit, dass von je­nem schö­nen und viel ge­prie­se­nen Lan­de, sei­ner Um­ge­bung und Nach­bar­schaft, so wie von den Völ­kern und Er­eig­nis­sen, wel­che je­nen Fleck der Erde durch Jahr­tau­sen­de hin­durch ver­herr­lich­ten, eine leb­haf­te­re Vor­stel­lung in mei­ner Ein­bil­dungs­kraft her­vor­ging.

Die­ser klei­ne Raum soll­te den Ur­sprung und das Wachs­tum des Men­schen­ge­schlechts se­hen; von dort­her soll­ten die ers­ten und ein­zigs­ten Nach­rich­ten der Ur­ge­schich­te zu uns ge­lan­gen, und ein sol­ches Lo­kal soll­te zu­gleich so ein­fach und fass­lich, als man­nig­fal­tig und zu den wun­der­sams­ten Wan­de­run­gen und An­sie­de­lun­gen ge­eig­net, vor un­se­rer Ein­bil­dungs­kraft lie­gen. Hier, zwi­schen vier be­nann­ten Flüs­sen, war aus der gan­zen zu be­woh­nen­den Erde ein klei­ner, höchst an­mu­ti­ger Raum dem ju­gend­li­chen Men­schen aus­ge­son­dert. Hier soll­te er sei­ne ers­ten Fä­hig­kei­ten ent­wi­ckeln, und hier soll­te ihn zu­gleich das Los tref­fen, das sei­ner gan­zen Nach­kom­men­schaft be­schie­den war, sei­ne Ruhe zu ver­lie­ren, in­dem er nach Er­kennt­nis streb­te. Das Pa­ra­dies war ver­scherzt; die Men­schen mehr­ten und ver­schlim­mer­ten sich; die an die Un­ar­ten die­ses Ge­schlechts noch nicht ge­wohn­ten Elo­him wur­den un­ge­dul­dig und ver­nich­te­ten es von Grund aus. Nur we­ni­ge wur­den aus der all­ge­mei­nen Über­schwem­mung ge­ret­tet; und kaum hat­te sich die­se gräu­li­che Flut ver­lau­fen, als der be­kann­te va­ter­län­di­sche Bo­den schon wie­der vor den Bli­cken der dank­ba­ren Ge­ret­te­ten lag. Zwei Flüs­se von vie­ren, Eu­phrat und Ti­gris, flos­sen noch in ih­ren Bet­ten. Der Name des ers­ten blieb; den an­de­ren schi­en sein Lauf zu be­zeich­nen. Ge­naue­re Spu­ren des Pa­ra­die­ses wä­ren nach ei­ner so großen Um­wäl­zung nicht zu for­dern ge­we­sen. Das er­neu­te Men­schen­ge­schlecht ging von hier zum zwei­ten Mal aus; es fand Ge­le­gen­heit, sich auf alle Ar­ten zu näh­ren und zu be­schäf­ti­gen, am meis­ten aber große Her­den zah­mer Ge­schöp­fe um sich zu ver­sam­meln und mit ih­nen nach al­len Sei­ten hin­zu­zie­hen.

 

Die­se Le­bens­wei­se, so wie die Ver­meh­rung der Stäm­me, nö­tig­te die Völ­ker bald, sich von­ein­an­der zu ent­fer­nen. Sie konn­ten sich so­gleich nicht ent­schlie­ßen, ihre Ver­wand­ten und Freun­de für im­mer fah­ren zu las­sen; sie ka­men auf den Ge­dan­ken einen ho­hen Turm zu bau­en, der ih­nen aus wei­ter Fer­ne den Weg wie­der zu­rück­wei­sen soll­te. Aber die­ser Ver­such miss­lang wie je­nes ers­te Be­stre­ben. Sie soll­ten nicht so­gleich glück­lich und klug, zahl­reich und ei­nig sein. Die Elo­him ver­wirr­ten sie, der Bau un­ter­blieb, die Men­schen zer­streu­ten sich; die Welt war be­völ­kert, aber ent­zweit.

Un­ser Blick, un­ser An­teil bleibt aber noch im­mer an die­se Ge­gen­den ge­hef­tet. End­lich geht aber­mals ein Stamm­va­ter von hier aus, der so glück­lich ist, sei­nen Nach­kom­men einen ent­schie­de­nen Cha­rak­ter auf­zu­prä­gen und sie da­durch für ewi­ge Zei­ten zu ei­ner großen und bei al­lem Glücks- und Orts­wech­sel zu­sam­men­hal­ten­den Na­ti­on zu ver­ei­ni­gen.

Vom Eu­phrat aus, nicht ohne gött­li­chen Fin­ger­zeig, wan­dert Abra­ham ge­gen Wes­ten. Die Wüs­te setzt sei­nem Zug kein ent­schie­de­nes Hin­der­nis ent­ge­gen; er ge­langt an den Jor­dan, zieht über den Fluss und ver­brei­tet sich in den schö­nen mit­tä­gi­gen Ge­gen­den von Pa­läs­ti­na. Die­ses Land war schon frü­her in Be­sitz ge­nom­men und ziem­lich be­wohnt. Ber­ge, nicht all­zu hoch, aber stei­nig und un­frucht­bar, wa­ren von vie­len be­wäs­ser­ten, dem An­bau güns­ti­gen Tä­lern durch­schnit­ten. Städ­te, Fle­cken, ein­zel­ne An­sie­de­lun­gen la­gen zer­streut auf der Flä­che, auf Ab­hän­gen des großen Tals, des­sen Was­ser sich im Jor­dan sam­meln. So be­wohnt, so be­baut war das Land, aber die Welt noch groß ge­nug und die Men­schen nicht auf den Grad sorg­fäl­tig, be­dürf­nis­voll und tä­tig, um sich gleich al­ler ih­rer Um­ge­bun­gen zu be­mäch­ti­gen. Zwi­schen je­nen Be­sit­zun­gen er­streck­ten sich große Räu­me, in wel­chen wei­den­de Züge sich be­quem hin und her be­we­gen konn­ten. In sol­chen Räu­men hält sich Abra­ham auf, sein Bru­der Lot ist bei ihm; aber sie kön­nen nicht lan­ge an sol­chen Or­ten ver­blei­ben. Eben jene Ver­fas­sung des Lan­des, des­sen Be­völ­ke­rung bald zu- bald ab­nimmt und des­sen Er­zeug­nis­se sich nie­mals mit dem Be­dürf­nis im Gleich­ge­wicht er­hal­ten, bringt un­ver­se­hens eine Hun­gers­not her­vor, und der Ein­ge­wan­der­te lei­det mit dem Ein­hei­mi­schen, dem er durch sei­ne zu­fäl­li­ge Ge­gen­wart die eig­ne Nah­rung ver­küm­mert hat. Die bei­den chal­däi­schen Brü­der zie­hen nach Ägyp­ten, und so ist uns der Schau­platz vor­ge­zeich­net, auf dem ei­ni­ge tau­send Jah­re die be­deu­tends­ten Be­ge­ben­hei­ten der Welt vor­ge­hen soll­ten. Vom Ti­gris zum Eu­phrat, vom Eu­phrat zum Nil se­hen wir die Erde be­völ­kert und in die­sem Rau­me einen be­kann­ten, den Göt­tern ge­lieb­ten, uns schon wert ge­wor­de­nen Mann mit Her­den und Gü­tern hin und wi­der zie­hen und sie in kur­z­er Zeit aufs reich­lichs­te ver­meh­ren. Die Brü­der kom­men zu­rück; al­lein ge­wit­zigt durch die aus­ge­stan­de­ne Not, fas­sen sie den Ent­schluss, sich von­ein­an­der zu tren­nen. Bei­de ver­wei­len zwar im mit­tä­gi­gen Kanaan; aber in­dem Abra­ham zu He­bron ge­gen dem Hain Mam­re bleibt, zieht sich Lot nach dem Tale Sid­dim, das, wenn un­se­re Ein­bil­dungs­kraft kühn ge­nug ist, dem Jor­dan einen un­ter­ir­di­schen Aus­fluss zu ge­ben, um an der Stel­le des ge­gen­wär­ti­gen As­phalt­sees einen trock­nen Bo­den zu ge­win­nen, uns als ein zwei­tes Pa­ra­dies er­schei­nen kann und muss; umso mehr, weil die Be­woh­ner und An­woh­ner des­sel­ben, als Weich­lin­ge und Frev­ler be­rüch­tigt, uns da­durch auf ein be­que­mes und üp­pi­ges Le­ben schlie­ßen las­sen. Lot wohnt un­ter ih­nen, je­doch ab­ge­son­dert.

Aber He­bron und der Hain Mam­re er­schei­nen uns als die wich­ti­ge Stät­te, wo der Herr mit Abra­ham spricht und ihm al­les Land ver­heißt, so weit sein Blick nur in vier Welt­ge­gen­den rei­chen mag. Aus die­sen stil­len Be­zir­ken, von die­sen Hir­ten­völ­kern, die mit den Himm­li­schen um­ge­hen dür­fen, sie als Gäs­te be­wir­ten und man­che Zwie­spra­che mir ih­nen hal­ten, wer­den wir ge­nö­tigt, den Blick aber­mals ge­gen Os­ten zu wen­den und an die Ver­fas­sung der Ne­ben­welt zu den­ken, die im gan­zen wohl der ein­zel­nen Ver­fas­sung von Kanaan glei­chen moch­te.

Fa­mi­li­en hal­ten zu­sam­men; sie ver­ei­ni­gen sich, und die Le­bens­art der Stäm­me wird durch das Lo­kal be­stimmt, das sie sich zu­ge­eig­net ha­ben oder zu­eig­nen. Auf den Ge­bir­gen, die ihr Was­ser nach dem Ti­gris hin­un­ter­sen­den, fin­den wir krie­ge­ri­sche Völ­ker, die schon sehr früh auf jene Wel­tero­be­rer und Welt­be­herr­scher hin­deu­ten und in ei­nem für jene Zei­ten un­ge­heu­ren Feld­zug uns ein Vor­spiel künf­ti­ger Groß­ta­ten ge­ben. Ke­dor Lao­mor, Kö­nig von Elam, wirkt schon mäch­tig auf Ver­bün­de­te. Er herrscht lan­ge Zeit: denn schon zwölf Jah­re vor Abra­hams An­kunft in Kanaan hat­te er bis an den Jor­dan die Völ­ker zins­bar ge­macht. Sie wa­ren end­lich ab­ge­fal­len, und die Ver­bün­de­ten rüs­ten sich zum Krie­ge. Wir fin­den sie un­ver­mu­tet auf ei­nem Wege, auf dem wahr­schein­lich auch Abra­ham nach Kanaan ge­lang­te. Die Völ­ker an der lin­ken und un­tern Sei­te des Jor­dan wer­den be­zwun­gen, Ke­dor Lao­mor rich­tet sei­nen Zug süd­wärts nach den Völ­kern der Wüs­te, so­dann, sich nord­wärts wen­dend, schlägt er die Ama­le­ki­ter, und als er auch die Amo­ri­ter über­wun­den, ge­langt er nach Kanaan, über­fällt die Kö­ni­ge des Tals Sid­dim, schlägt und zer­streut sie und zieht mit großer Beu­te den Jor­dan auf­wärts, um sei­nen Sie­ger­zug bis ge­gen den Li­ba­non aus­zu­deh­nen.

Un­ter den Ge­fan­ge­nen, Beraub­ten, mit ih­rer Habe Fort­ge­schlepp­ten be­fin­det sich auch Lot, der das Schick­sal des Lan­des teilt, worin er als Gast sich be­fin­det. Abra­ham ver­nimmt es, und hier se­hen wir so­gleich den Erz­va­ter als Krie­ger und Hel­den. Er rafft sei­ne Knech­te zu­sam­men, teilt sie in Hau­fen, fällt auf den be­schwer­li­chen Beu­te­tross, ver­wirrt die Sieg­haf­ten, die im Rücken kei­nen Feind mehr ver­mu­ten konn­ten, und bringt sei­nen Bru­der und des­sen Habe nebst man­chem von der Habe der über­wun­de­nen Kö­ni­ge zu­rück. Durch die­sen kur­z­en Kriegs­zug nimmt Abra­ham gleich­sam von dem Lan­de Be­sitz. Den Ein­woh­nern er­scheint er als Be­schüt­zer, als Ret­ter, und durch sei­ne Unei­gen­nüt­zig­keit als Kö­nig. Dank­bar emp­fan­gen ihn die Kö­ni­ge des Tals, seg­nend Mel­chi­se­dek, der Kö­nig und Pries­ter.

Nun wer­den die Weis­sa­gun­gen ei­ner un­end­li­chen Nach­kom­men­schaft er­neut, ja sie ge­hen im­mer mehr ins Wei­te. Vom Was­ser des Eu­phrat bis zum Fluss Ägyp­tens wer­den ihm die sämt­li­chen Land­stre­cken ver­spro­chen; aber noch sieht es mit sei­nen un­mit­tel­ba­ren Lei­be­ser­ben miss­lich aus. Er ist acht­zig Jahr alt und hat kei­nen Sohn. Zara, we­ni­ger den Göt­tern ver­trau­end als er, wird un­ge­dul­dig; sie will nach ori­en­ta­li­scher Sit­te durch ihre Magd einen Nach­kom­men ha­ben. Aber kaum ist Ha­gar dem Haus­herrn ver­traut, kaum ist Hoff­nung zu ei­nem Soh­ne, so zeigt sich der Zwie­spalt im Hau­se. Die Frau be­geg­net ih­rer eig­nen Be­schütz­ten übel ge­nug, und Ha­gar flieht, um bei an­de­ren Hor­den einen bes­sern Zu­stand zu fin­den. Nicht ohne hö­hern Wink kehrt sie zu­rück, und Is­ma­el wird ge­bo­ren.

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