Schöpfer der Wirklichkeit

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Anlass zur Hoffnung

Untersuchungen an Schlaganfall-Patienten haben einige spektakuläre Erkenntnisse über das Veränderungspotenzial des Gehirns zutage gefördert. Steht im Gehirn aufgrund einer Durchblutungsstörung plötzlich zu wenig sauerstoffhaltiges Blut zur Verfügung, wird neuronales Gewebe beschädigt. Häufig führen Gehirnschläge (Schlaganfälle) in dem mit Armen oder Beinen verbundenen Bereich des Gehirns zu entsprechenden Lähmungen. Gewöhnlich ging man davon aus, diese Lähmungen wären irreparabel – falls sie sich nicht in den ersten zwei Wochen zurückbildeten.

Doch auch dieser Mythos wird heute durch viele Studien infrage gestellt. Schlaganfall-Patienten, die diese erste Zeit längst hinter sich hatten – selbst über Siebzigjährige mit bis zu 20 Jahre alten Lähmungen –, konnten gewisse motorische Fähigkeiten dauerhaft zurückgewinnen. In einigen Forschungsprojekten, die Ende der 1970er-Jahre an der Abteilung für Neurologie des Bellevue Hospitals in New York City durchgeführt wurden, erlangten bis zu 75 Prozent der Teilnehmer wieder die volle Kontrolle über ihren gelähmten Arm oder ihr gelähmtes Bein. Der »Schlüssel« zur Neuverknüpfung in ihrem Gehirn war: Wiederholung.16

Unter Anleitung übten die Teilnehmer fleißig, ihren Geist auf die mentale Bewegung ihrer gelähmten Gliedmaßen auszurichten. Hoch entwickelte Biofeedback-Apparate lieferten ihnen Rückmeldungen. Konnte ein Patient durch bloßes Denken an die Bewegung dieselben Hirnmuster zu erzeugen, die er bei der Bewegung des entsprechenden nicht gelähmten Körperglieds aktivierte, löste die Lähmung sich allmählich auf. Sobald die Patienten ähnliche neuronale Muster erzeugten, wenn sie das betroffene Glied bewegen wollten, nahm die Stärke des neurologischen Signals an den gelähmten Arm (oder das Bein) und damit dessen Beweglichkeit zu. Unabhängig vom Alter der Patienten und der Dauer ihrer Beschwerden bewies das Gehirn seine erstaunliche Fähigkeit, Neues zu lernen und den Körper zu »reparieren« – einfach durch Geistes-Willenskraft.

Gehirn und Geist – ein verflixtes Mysterium

Diese positiven Ergebnisse bei Schlaganfall-Patienten werfen die Frage auf, was erhöhte Aufmerksamkeit und tägliches Üben dann wohl im Gehirn gesunder Menschen zuwege bringen könnten – vorausgesetzt, die Betreffenden verfügen über die nötigen Kenntnisse und Anleitungen. Hier führt eine Frage zur nächsten und übernächsten, doch fange ich einmal mit folgender an: Wenn das Gehirn eines Menschen in seiner physischen Struktur beschädigt ist, können wir dann daraus Rückschlüsse auf seinen geistigen Zustand ziehen? Sie haben sicher schon von Menschen gehört, die in mancher Hinsicht als geistig behindert oder krank gelten könnten, jedoch gleichzeitig in gewissen Bereichen erstaunliche Begabungen an den Tag legen. Letztlich muss die Frage lauten: Was ist der menschliche Geist, und wie sieht die Beziehung zwischen Gehirn und Geist aus?

Das Gehirn ist das Organ mit der größten Anzahl von Neuronen. Es funktioniert durch Impulse, sowohl bewusst als auch unterbewusst, und steuert unsere physischen und mentalen Funktionen. Ohne das Gehirn kann kein anderes Körpersystem funktionieren.

Der britische Biologe Sir Julian Huxley, der im frühen 20. Jahrhundert einige Schriften zum Thema »Evolution« veröffentlicht hat, schreibt als Antwort auf die Frage, ob der menschliche Geist sich durch das Gehirn erklären lasse: »Das Gehirn allein ist nicht verantwortlich für den Geist, auch wenn es ein für seine Manifestation notwendiges Organ ist. Ein isoliertes Gehirn ist biologisch genauso sinnlos wie ein isoliertes Individuum.«17 Nach Huxley musste der Geist also noch eine weitere Komponente haben.

Schon seit Beginn meiner Collegezeit faszinierte mich der menschliche Geist. Als Studienanfänger rätselte ich, wie es sein konnte, dass man in bestimmten Bereichen der Psychologie versuchte, den menschlichen Geist mithilfe des menschlichen Geistes zu erkennen und zu beobachten. Es erschien mir seltsam, dass man den Geist erforschte, ohne sich mit jenem Organ zu befassen, das den Geist hervorbrachte. So als sähe man einem Auto beim Fahren zu, ohne je unter die Motorhaube zu schauen und herauszufinden, was es eigentlich antreibt. Natürlich ist die Verhaltensforschung wichtig, aber ich fragte mich oft: Was könnte man wohl durch Beobachtungen eines lebendigen, funktionierenden Gehirns über den Geist erfahren?

Schließlich lassen sich aus den Gehirnen von Verstorbenen nur begrenzt Rückschlüsse ziehen. Die leblose Anatomie eines Gehirns zu studieren, um dadurch etwas über seine Funktionsweise zu erfahren – das ist gerade so, als wollte man etwas über die Funktionen eines Computers herausfinden, ohne ihn einzuschalten. Der einzige Weg, den menschlichen Geist wirklich zu verstehen, besteht darin, einem lebendigen menschlichen Gehirn bei der Arbeit zuzusehen.

Heute verfügen wir über die nötige Technologie: Wie wir durch funktionelle Hirnscans wissen, ist der menschliche Geist das Gehirn in Aktion. Das ist die neueste Definition für »Geist« (engl. mind) in den Neurowissenschaften. Ein lebendiges und aktives Gehirn kann Gedanken erzeugen, Intelligenz demonstrieren, neue Informationen aufnehmen, Fähigkeiten erlernen, Erinnerungen abrufen, Gefühle zum Ausdruck bringen, Bewegungen koordinieren, neue Ideen erzeugen und die Funktionen des Körpers aufrechterhalten. Das lebendige Gehirn kann auch Verhalten auslösen, Träume hervorbringen, die Wirklichkeit wahrnehmen, Überzeugungen vertreten, sich inspirieren lassen und – vor allem – sich dem Leben zuwenden. Damit der menschliche Geist existieren kann, muss das Gehirn lebendig sein.

Daher gilt: Unser Gehirn ist nicht unser Geist; es ist der physische Apparat, durch den unser Geist erst entsteht. Ein gesundes, funktionierendes Gehirn führt zu einem gesunden Geist. Das Gehirn ist ein Biocomputer mit drei individuellen anatomischen Strukturen, die drei verschiedene Aspekte des menschlichen Geistes produzieren. Der menschliche Geist ist das Ergebnis eines Gehirns, das die Gedankenimpulse seiner verschiedenen Regionen und Unterstrukturen koordiniert. Weil wir das Gehirn leicht auf unterschiedliche Weisen funktionieren lassen können, gibt es viele verschiedene »Geistes-Zustände«.

Das Gehirn erzeugt den menschlichen Geist in Form eines komplexen Datenverarbeitungssystems, weshalb wir nötigenfalls innerhalb von Sekunden Informationen sammeln, verarbeiten, speichern, abrufen und kommunizieren können, aber auch vorausschauen, Hypothesen erstellen, reagieren, uns verhalten, planen und Vernunft anwenden. Das Gehirn fungiert auch als Kontrollzentrum, durch das der menschliche Geist sämtliche für unser Leben und Überleben notwendigen Stoffwechselfunktionen organisiert und koordiniert. Ist Ihr Biocomputer angeschaltet bzw. lebendig und kann er Informationen verarbeiten, dann bringt er den menschlichen Geist hervor.

Der zurzeit gültigen neurowissenschaftlichen Definition folgend ist der menschliche Geist nicht identisch mit dem Gehirn, sondern vielmehr sein Produkt. Der Geist ist das, was das Gehirn tut. Wir können wahrnehmen, dass die Maschine läuft, ohne die Maschine zu sein. Ist das Gehirn lebendig, erzeugt es den menschlichen Geist. Man könnte also auch sagen: Der Geist ist das belebte Gehirn. Und ohne Gehirn kein Geist.

FORTSCHRITTE IN DER BILDGEBENDEN TECHNOLOGIE

Bis vor Kurzem war unser Verständnis des Gehirns sehr begrenzt, denn es stand uns zu seiner Erforschung lediglich die 80 Jahre alte Technologie des Elektroenzephalogramms (EEG) zur Verfügung. Das EEG lieferte grafische Darstellungen der Leistung eines Gehirns (Hirnstrommessungen), aber keine bildliche Darstellung eines lebendigen Gehirns. Heute lässt sich die Aktivität eines Gehirns von Sekunde zu Sekunde messen. Wir können die Struktur und Aktivität eines lebendigen menschlichen Gehirns mit noch nie dagewesener Detailgenauigkeit betrachten, denn das Verfahren ist in den letzten 30 Jahren revolutioniert worden: Inzwischen können EEGs ein funktionierendes Gehirn mithilfe der Computertechnologie dreidimensional abbilden.

Noch bedeutender sind die Fortschritte auf dem Gebiet der »bildgebenden Verfahren«. Diese Technologie beruht auf verschiedenen Prinzipien der Physik, von Veränderungen in lokalen Magnetfeldern bis zu Messungen radioaktiver Emissionen.

Eine Fülle neuer bildgebender Verfahren bringt eine Vielzahl von Informationen über das lebendige, arbeitende Gehirn hervor (und natürlich auch über den restlichen Körper). Dadurch können die Neurowissenschaftler von heute sich die unmittelbaren physiologischen Aktionen der Hirnsubstanz ansehen und die spezifischen, sich wiederholenden Muster eines funktionierenden Gehirns beobachten.

Als erste dieser neuen Technologien wurde 1972 die Computertomografie vorgestellt, auch CT oder CAT genannt. Ein Gehirn-CT ist eine Art »Schnappschuss« vom Hirninneren, auf dem sich erkennen lässt, ob die strukturellen Komponenten des Gehirns Anomalien, etwa beim Gewebe, aufweisen. CTs stellen nur Momentaufnahmen dar, sie können also nur zeigen, welche anatomischen Strukturen existieren, welche eventuell fehlen, welche Bereiche möglicherweise verletzt oder krank sind, und ob irgendetwas da ist, das nicht da sein sollte. Sie machen keine Aussage darüber, wie ein Gehirn funktioniert, sondern nur, was vielleicht nicht so ist, wie es sein sollte.

Wie wir heute wissen, verfügt das Gehirn über eine Vielzahl chemischer Mechanismen, die zu winzig sind, als dass man sie sichtbar machen könnte, und die wir nur an ihren Wirkungen erkennen. Doch auch sie können wir nur an einem arbeitenden Gehirn beobachten, und das ist mit CT-Scans nicht möglich.

 

Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) dient der Untersuchung der biochemischen Aktivität eines Gehirns. Das PET-Gerät verwendet Gammastrahlen, um Bilder zu erzeugen, die Rückschlüsse auf die Intensität der metabolischen Aktivitäten des jeweiligen Untersuchungsbereichs zulassen – d.h. man kann damit im Lauf der Zeit gewisse Funktionen des Gehirns nachvollziehen.

Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) ist eine radiografische Technik, die auch Bilder vom lebendigen Gehirn zulässt und zeigt, welche Bereiche des Gehirns während einer bestimmten mentalen Tätigkeit aktiv sind. Bei der fMRT wird die Aktivität des Gehirns zwar nicht wirklich abgebildet, aber sie lässt weitreichende Rückschlüsse darauf zu, welche Teile des Gehirns aktiv sind, und zwar über die metabolische Aktion der Nervenzellen, da sie in verschiedenen Hirnregionen Energie und Sauerstoff verbrauchen.

Die Single-Photon-Emissions-Computertomografie (SPECT) verwendet multiple Gammastrahlen-Detektoren, die um den Kopf des Patienten rotieren, um seine Hirnfunktionen zu messen. Durch SPECT erzeugte funktionale Gehirnbilder ermöglichen es, bestimmte Muster von Gehirnaktivitäten mit neurologischen Krankheiten oder psychologischen Zuständen in Beziehung zu setzen. Ähnlich wie die fMRT sind die SPECT-Scans wertvolle Instrumente zur Messung des Energieverbrauchs von Nervenzellen des Gehirns im aktivierten Zustand.

Die drei letztgenannten bildgebenden Verfahren gehen weit über die Qualität von Schnappschüssen hinaus, auf denen – wie bei den typischen CT-Aufnahmen – eher ein Still-Leben zu sehen ist. Funktionale Gehirn-Scans liefern uns bewegte Bilder der gesamten neurologischen Aktivitäten des Gehirns – bezogen auf einen gewissen Zeitraum. Das ist sehr vorteilhaft, denn ein arbeitendes Gehirn verrät uns mehr über die normalen und unnormalen Aktivitäten des menschlichen Geistes. Die funktionale Gehirn-Scan-Technologie ermöglicht uns, den menschlichen Geist neurowissenschaftlich gründlicher zu untersuchen als je zuvor. Forscher entdeckten bei Menschen mit ähnlichen Beschwerden oder Verletzungen ähnliche Muster im Gehirn. Das kann einen Beitrag zu einer besseren Diagnose und Behandlung liefern.

***

Eine Meditation über den menschlichen Geist

Betrachten wir eine relativ neue Untersuchung über die Beziehung zwischen Gehirn und Geist: Die Berichte der National Academy of Sciences vom November 2004 enthalten einen Artikel, der bestätigt, dass mentales Training durch Meditation und geradlinig ausgerichteten Fokus die inneren Funktionen den Gehirns beeinflussen kann.18 Einfach ausgedrückt: Wie der Artikel zeigt, ist es durchaus möglich, die Arbeitsweise des Gehirns und damit den Geist zu verändern.

In der betreffenden Studie wurden buddhistische Mönche mit umfassender Meditationserfahrung gebeten, sich auf bestimmte Geisteszustände wie Mitgefühl und bedingungslose Liebe zu konzentrieren. Um seine Gehirnaktivität möglichst umfassend messen zu können, wurden jedem Teilnehmer 256 Sensoren angehängt. Dabei stellte sich heraus, dass die Mönche Hirnwellen erzeugten, die weit über alles hinausgingen, was die ungeübte Kontrollgruppe zuwege brachte. Manche Mönche hatten bis zu 50000 Stunden Meditationspraxis hinter sich – ihre Gehirne, insbesondere der Frontallappen, bezeugten Aktivitäten, wie sie nur mit höherer mentaler Funktion und höherem Bewusstsein einhergehen können. Tatsächlich konnten sie ihre Gehirnfunktionen sogar auf Kommando verändern.

Bei den Mönchen mit der umfassendsten Meditationspraxis zeigten bestimmte elektrische Gehirnimpulse, die sogenannten Gammawellen, ein Niveau, das höher lag als alles, was die Forscher je bei einem gesunden Menschen gemessen hatten. Werden im Gehirn neue neuronale Verknüpfungen hergestellt, treten diese Gammawellen typischerweise in Erscheinung.

Im linken Frontallappen gibt es einen Bereich, der mit Freude verbunden ist. Bei einem der Mönche war die Aktivität in diesem Bereich so stark, dass die untersuchenden Wissenschaftler meinten, er müsse der glücklichste Mensch auf Erden sein.

»Wir haben festgestellt, dass eine lange Meditationspraxis zu Gehirnaktivitäten eines Ausmaßes führt, wie wir es noch nie zuvor beobachten konnten«, fasst der Leiter des Experiments, Richard Davidson, Ph.D., von der University of Wisconsin, zusammen. »Die mentale Praxis dieser Menschen wirkt sich auf das Gehirn genauso aus, wie eine langjährige Golf- oder Tennis-Karriere die entsprechende Leistung steigert.« In einem späteren Interview sagte Dr. Davidson: »Wie wir festgestellt haben, unterscheidet der trainierte menschliche Geist oder das trainierte menschliche Gehirn sich physisch von einem untrainierten.«19

Aus diesem Experiment wird deutlich, dass wir durch eine Verbesserung der Gehirnleistung tatsächlich den Geist verändern. Lassen Sie uns ein wenig dabei bleiben, was diese Studie bedeutet:

Wenn das Gehirn das Instrument der bewussten und unterbewussten Gedankenimpulse ist und der menschliche Geist das Endprodukt dieses Gehirns – wer oder was bewirkt dann eine Veränderung in Gehirn und Geist? Der Geist kann den Geist nicht verändern, weil er ein Ergebnis des Gehirns ist. Der Geist kann das Gehirn nicht verändern, weil er ein Produkt desselben ist. Und das Gehirn kann die Arbeit des Geistes nicht verändern, weil es nur die Hardware ist, wodurch der Geist wirkt. Und zu guter Letzt kann das Gehirn auch das Gehirn nicht verändern, weil es ohne eine den Geist bewegende Kraft nur ein lebloses Objekt ist.

Wenn es denn möglich ist, die Funktionen von Gehirn und Geist durch gezieltes Training zu verbessern – wer oder was bewirkt dann die Veränderung in Gehirn und Geist? Die Antwort liegt in einem schwer definierbaren Wort: »Bewusstsein«. Dieser Begriff bringt die Wissenschaftler schon seit vielen Jahren in Verlegenheit. Doch lassen sie den Begriff des Bewusstseins seit rund 10 Jahren allmählich als einen Faktor in ihre vielen Theorien über ein Verständnis der Wirklichkeit einfließen.

Ohne zu sehr ins Mystische oder Philosophische abgleiten zu wollen: Bewusstsein ist das, was dem Gehirn Leben schenkt. Es ist jene unsichtbare Essenz, die das Gehirn belebt. Es ist der unsichtbare Aspekt des Selbst, gleichzeitig bewusst und unbewusst, der das Gehirn verwendet, um Gedanken aufzufangen, und sie dann zusammenführt, um den Geist zu erschaffen.20

Geist, Materie und mehr

Als ich mich im Rahmen meiner Promotion in Chiropraktik auch mit Neuroanatomie befassen musste, habe ich unzählige Gehirne seziert und dabei etwas schnell begriffen: Ein Gehirn ohne Leben ist einfach ein Stück Materie, ein Organ, das weder denken noch fühlen, handeln, erzeugen oder sich verändern kann. Zwar mag das Gehirn unser wichtigstes Organ sein, aber es muss belebt werden. Es ist das Organ der Intelligenz, aber es ist eben nur ein Organ. Anders gesagt: Das Gehirn kann sich nicht aus sich selbst heraus verändern, es muss gesteuert werden.

Das Gehirn ist jenes Organ im zentralen Nervensystem, das über die größte Anzahl von Nervenzellen oder neuronalen Gruppen verfügt. Eine hohe Anzahl von Neuronen dient als Hinweis auf Intelligenz. Neuronen sind extrem winzig; auf einer Stecknadelspitze hätten ungefähr 30000-50000 davon Platz. In dem »Neocortex« genannten Bereich unseres Gehirns, dem Sitz unserer bewussten Wahrnehmung, kann jede Nervenzelle sich mit 40000-50000 anderen Nervenzellen verbinden. In einem anderen Bereich, dem Cerebellum, sind jedem Neuron sogar potenziell bis zu einer Million Verbindungen verfügbar. Auf Abbildung 2.1. sind diese beiden Neuronenarten dargestellt.


Abbildung 2.1.

Der Unterschied zwischen der möglichen Anzahl von Dendriten-Verbindungen bei den Neuronen des Neocortex und des Cerebellum.

Das Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Neuronen, die in Myriaden dreidimensionaler Muster miteinander verknüpft sind. Wie bereits erwähnt, nennen die Wissenschaftler die diversen Kombinationen, in denen die Milliarden von Neuronen miteinander verbunden sind und miteinander feuern, »neuronale Netzwerke«.

Wenn wir etwas Neues lernen oder eine neue Erfahrung machen, tun sich Nervenzellen zusammen und erzeugen neue Verbindungen, und das verändert uns tatsächlich. Weil im menschlichen Gehirn so viele Möglichkeiten neuronaler Verbindungen existieren und weil Neuronen sich direkt miteinander austauschen können, kann das Gehirn Gedanken verarbeiten, Neues lernen, Erinnerungen abrufen, Handlungen ausführen, Verhalten aufweisen und Möglichkeiten erwägen – um nur einige seiner Fähigkeiten zu nennen. Es ist die zentrale Informationsverarbeitungseinheit des Körpers. Es ist das Instrument, das wir physisch verwenden, um in unserem Leben unser Verständnis bewusst weiterzuentwickeln und unterbewusst unser Leben aufrechtzuerhalten.

Man kann sich das Bewusstsein als etwas vorstellen, das diesen Biocomputer namens Gehirn bewohnt. Es ist wie der elektrische Strom, der einen Computer mit seinen diversen Programmen erst funktionsfähig macht. Das Gehirn enthält die Hardware- sowie die Softwaresysteme, und das Bewusstsein kann diese verwenden und nach Bedarf »upgraden«.

Das Bewusstsein ermöglicht es uns, zu denken und unseren Denkprozess gleichzeitig zu beobachten. Unter Bewusstsein verstehen wir gewöhnlich unsere Wahrnehmung unserer selbst und unserer Umgebung. Doch gibt es in uns auch eine andere Art der Intelligenz, die uns in jedem Augenblick Leben schenkt, ohne dafür unsere Hilfe zu benötigen: Wir Chiropraktiker nennen es »die allem innewohnende« oder »die innere Intelligenz«. Sie ist in allem Seienden vorhanden. Dieser Philosophie folgend ist unsere durch unser physisches Gehirn hervorgebrachte innere Intelligenz nur der verkörperte Ausdruck der universellen Intelligenz.21

Nach allem, was ich als Chiropraktiker studiert wie auch an der Ramtha-Schule gelernt habe, scheint es bezüglich unseres Bewusstseins zwei Elemente zu geben: Den einen Aspekt werde ich »subjektives Bewusstsein« nennen: Es sorgt für den freien Willen und ermöglicht jedem von uns sein Dasein als denkendes Selbst mit bestimmten Wesenszügen und Eigenschaften. Zu diesem individuellen, subjektiven Teil von uns gehören auch die Fähigkeiten des Lernens, Erinnerns, Träumens, Erschaffens und Wählens. Eben das, was wir gewöhnlich als »Ich« oder »Selbst« bezeichnen.

Das subjektive Bewusstsein kann im Körper oder außerhalb des Körpers existieren. Wenn jemand eine außerkörperliche Erfahrung macht und dabei seinen eigenen Körper im Bett liegen sieht, erfolgt diese Wahrnehmung durch das subjektive, in diesem Augenblick vom Körper unabhängige Bewusstsein. Demnach benutzt das subjektive Bewusstsein den Körper nur. Es ist unsere bewusste Identität und die meiste Zeit unseres Lebens in unserem Körper verankert.

Das andere Element des Bewusstseins ist jene intelligente Aufmerksamkeit in uns, die uns jeden Tag Leben spendet. Ich nenne es »objektives Bewusstsein« oder »Unterbewusstsein«. Es funktioniert anders als der bewusste Geist. Es ist unterbewusst, aber unglaublich intelligent und aufmerksam. Es ist etwas anderes als das denkende Gehirn, aber es wirkt durch die verschiedenen Teile des Gehirns, um den Körper in Ordnung zu halten. Unter dem Regime des objektiven Bewusstseins koordiniert das Gehirn in jeder Sekunde Millionen automatischer Funktionen auf zellulärer Ebene, von denen wir gar nichts mitbekommen. Es sind Aspekte unserer Gesundheit und unseres Lebens wie die Steuerung des Herzschlags, die Verdauung der Nahrung, die Reinigung des Bluts, die Erneuerung der Zellen und die Organisation unserer DNA, die wir einfach als selbstverständlich hinnehmen. Es erfordert ein großes, ein grenzenloses Bewusstsein, all diese Funktionen aufrechtzuerhalten.

Diese objektive Intelligenz weiß so viel mehr als unser persönliches Selbst, auch wenn wir glauben, alles im Griff zu haben. Sie ist ein universeller, fundamentaler Aspekt jedes einzelnen Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung, Religion, sozialem Status oder Kultur. Doch nur wenige von uns halten inne, um ihre Großartigkeit anzuerkennen.

Dieser Aspekt des Bewusstseins schenkt allen Dingen Leben. Es ist eine echte Intelligenz, mit einer quantifizierbaren Energie oder Kraft, die allen Dingen innewohnt. Es ist objektiv und konstant. Man nennt es auch »Nullpunkt-Feld«, »die Quelle« oder »universelle Intelligenz«. Es ist die Quelle, die das Quantenfeld in alle physischen Formen zusammenfallen lässt. Es ist die Lebenskraft im Sinne des Wortes. Die Quantenphysik beginnt gerade, dieses Feld der Potenziale zu (er)messen.

 

Als Menschen verfügen wir über beide Elemente des Bewusstseins. Wir nehmen uns als subjektives Bewusstsein wahr und wir existieren, weil wir an die Lebenskraft des objektiven Bewusstseins angeschlossen sind. Mit unserem freien Willen können wir die Lebensqualität wählen, die wir uns wünschen, und gleichzeitig werden wir in jeder Sekunde von einer größeren Intelligenz am Leben erhalten. Wissenschaftlich betrachtet, könnte man sagen: Wir ahnen heute, dass alles Physische (auch Sie und ich) nur die Spitze eines immensen Eisberges bildet. Die Frage ist: Was ist dieses Feld, das alles zusammenhält, und wie können wir damit in Kontakt treten?

Das Gehirn ist in gewisser Hinsicht dazu ausgerüstet, diese beiden Ebenen von Bewusstsein zu ermöglichen. Ohne Bewusstsein ist das Gehirn untätig und leblos. Wenn das Bewusstsein durch das menschliche Gehirn wirkt, nennen wir das Produkt »Geist« (engl. mind).22 Der Geist ist das Gehirn in Aktion – das mit Leben erfüllte Gehirn. Ohne den physischen Lebensausdruck durch ein funktionierendes Gehirn gibt es keinen Geist.

Wenn das Bewusstsein die verschiedenen neuronalen Gewebe des Gehirns aktiviert, entsteht der Geist. Da beide Arten von Bewusstsein mithilfe des Gehirns einen menschlichen Geist erzeugen, müssen im Gehirn auch zwei Abteilungen dafür bestehen.

Und tatsächlich verfügt das Gehirn über zwei deutlich voneinander verschiedene Hardwaresysteme für die beiden Arten von Bewusstsein. Unser subjektives Bewusstsein ist im Neocortex verankert. Hier hat der freie Wille seinen Sitz, hier wird alles gespeichert, was ein Individuum lernt, erfährt und an Informationen verarbeitet. Die Anordnung der Nervenzellen im Neocortex unterscheidet uns von anderen, macht uns einzigartig. In Abbildung 2.2 sehen Sie den Neocortex.

Sie sind in der Lage, sich Ihrer selbst, Ihrer Taten, Gedanken, Gefühle, Ihrer Umgebung und Ihres Verhaltens bewusst zu sein sowie Gedanken und Ideen zum Ausdruck zu bringen. Die unsichtbaren Qualitäten der Selbstreflexion, der Selbstkontemplation und der Selbstbeobachtung definieren Ihre subjektive Erfahrung Ihrer selbst. Wenn wir davon sprechen, dass jemand »das Bewusstsein verloren« oder »das Bewusstsein wiedergewonnen« hat, meinen wir diese Ebene des Selbstbewusstseins und einer konzeptionellen Erinnerung seiner selbst. All das wird durch den Neocortex, das »neue Gehirn«, verwaltet.


Abbildung 2.2

Schnitt durch das Gehirn: die wesentlichen Regionen

Bleiben wir noch ein wenig bei den bewussten und unterbewussten Aspekten des Geistes. Der bewusste Geist verleiht uns die Fähigkeit, bewusste Gedanken und Informationen zu verarbeiten. Dieser Aspekt unseres Geistes weiß um sich selbst, verfügt über ein Konzept seiner selbst, erkennt sich selbst und nimmt sich selbst wahr. Er macht auch das aus, was wir als unser »Selbst« bezeichnen. Mit seinem freien Willen kann dieser bewusste Aspekt unserer selbst seine Aufmerksamkeit lenken, wohin er will. Das gehört zu den Privilegien des Menschseins. In der Wissenschaft und Philosophie der Chiropraktik nennen wir diesen Aspekt auch den »gebildeten Geist«. Er wird in unserem jüngsten Gehirnbereich, dem Neocortex, verarbeitet.

Die Teile des Gehirns, die vom Unterbewusstsein gesteuert werden, sind das Mittelhirn, das Cerebellum oder Kleinhirn und der Hirnstamm. Diese Bereiche haben im Wesentlichen keine Zentren für Bewusstheit. Doch sie arbeiten unter der Ägide der höheren Intelligenz, von der ich sprach, die nicht nur den Körper in Ordnung hält, sondern darüber hinaus auch eine endlose »Zu-erledigen«-Liste hat. Diese höhere Intelligenz kümmert sich um unsere Gesundheit, damit wir das Leben genießen können. Abbildung 2.2 zeigt auch diese unterbewussten Bereiche des menschlichen Gehirns.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Gehirn ist dasjenige Organ mit der größten Anzahl von Neuronen. Wo die meisten Neuronen sind, ist die höchste Intelligenz. Das Bewusstsein nutzt das Gehirn, um Erlerntes und Erfahrenes in elektrochemische Impulse namens »Gedanken« umzuwandeln. Unser Geist ist demzufolge das Produkt des aktiven Gehirns.

Das Bewusstsein verfügt über zwei spezifische Aspekte:

• Das objektive Bewusstsein, es ist die Lebenskraft, die Quelle, das Nullpunkt-Feld. Sie und ich, wir alle sind mit diesem Feld verbunden, das uns durch das Mittelhirn, das Kleinhirn und den Hirnstamm am Leben erhält. Es ist der unterbewusste Geist.

• Das subjektive Bewusstsein, es sitzt im Neocortex und ist der Forschergeist, die Identität, die ständig lernt und ihr Verständnis erweitert, um dem Leben einen umfassenderen Ausdruck zu verleihen. Dies ist der bewusste Geist.


Abbildung 2.3A


Abbildung 2.3B

Die beiden Betriebssysteme des Gehirns

In den Abbildungen 2.3A und 2.3B werden diese beiden Systeme des Gehirns vereinfacht dargestellt.

Wenn wir verstehen, wie das Gehirn den Geist erzeugt, können wir die Grenzen dessen, was wir bereits wissen, hinter uns lassen. Wir können unseren bewussten Geist mit jenem unbegrenzten Geist und seinem unbegrenzten Potenzial verbinden und erhalten damit Zugang zu einer ganzen Welt neuer Möglichkeiten. Das Bewusstsein ist das Einzige, mit dem sich erklären lässt, wie wir das Gehirn und den Geist verändern können. Es bildet jenen unfassbaren Aspekt unserer selbst, der das Gehirn dazu bringt, den Geist zu erzeugen. In der Zeit, in der wir wirklich bewusst, aufmerksam und präsent sind, können wir auf die Arbeitsweise des Gehirns Einfluss nehmen, und den Geist auf eine neue Ebene erheben.

Wenn wir den bewussten Geist und den unterbewussten Geist zusammenbringen, können wir unsere Hardware verändern und unsere operativen Systeme upgraden. Verschmelzen diese beiden Bewusstseinsebenen miteinander, lässt sich das Gehirn neu verschalten.

Das Ziel dieses Buches besteht darin, Fragen aufzuwerfen und Informationen anzubieten, die Ihnen verstehen helfen, wie das menschliche Gehirn, der menschliche Geist und das menschliche Bewusstsein gemeinsam für Ihre Gesundheit und Ihre Lebenserfahrungen verantwortlich sind. In einfachen Schritten entwickeln wir in Schöpfer der Wirklichkeit ein Arbeitsmodell für unser wundervolles Denkorgan. Dabei werden wir auch einige Beweise der Neurowissenschaft über die verschiedenen Geistes-Ebenen und die Möglichkeiten zur Veränderung des Gehirns näher unter die Lupe nehmen. Sie können Ihren Geist verändern. Wenn Sie das begriffen haben, dürfen Sie sich darauf freuen, diese Veränderung auch in Ihrer Gesundheit, in Ihrem Leben und in Ihrer Zukunft wiederzufinden.

Im nächsten Kapitel werden wir die ersten Kenntnisse über die Nervenzellen erwerben: wie sie funktionieren und sich miteinander verbinden, welche Zweige es im Nervensystem gibt und wie uns die verschiedenen Abteilungen des Nervensystems lebendig und gesund erhalten. Sobald die Grundlagen klar sind, begreifen Sie Stück für Stück, wie wir darauf programmiert sind, so zu sein, wie wir sind. Dann können wir uns damit beschäftigen, auf welche Weise unser Geist sich verändern lässt.

1. Schiefelbein, S.: The powerful river. In: R. Poole (Hrsg.): The Incredible Machine. Washington DC: The National Geographic Society, 1986, S. 99–156. Childre, D. und Martin, H.: The HeartMath Solution: The Institute of HeartMath’s revolutionary program for engaging the power of the heart’s intelligence. HarperCollins, 1999 [dt. Ausg.: Die HerzIntelligenz-Methode].

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