Schöpfer der Wirklichkeit

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Koinzidenz Nr. 3: Wir können uns selbst neu erfinden

Diesen aufgrund ihrer physischen und mentalen Erkrankungen hoch motivierten Menschen war etwas klar geworden: Sie mussten konsequent am Denken neuer Gedanken festhalten. Um ein anderer Mensch zu werden, musste jeder sich in ein neues Leben hineindenken. Alle, die ihre Gesundheit wiedergewonnen haben, hatten irgendwann bewusst die Entscheidung getroffen, sich selbst neu zu erfinden. Jeder brach aus seiner täglichen Routine aus, verbrachte Zeit allein, reflektierte und dachte darüber nach, was für eine Art Mensch er denn werden wollte. Alle stellten sie Fragen und zogen ihre bisherigen Annahmen über sich selbst ganz grundsätzlich in Zweifel.

»Was wäre, wenn …«-Fragen spielen bei diesem Prozess eine zentrale Rolle. Was wäre, wenn ich damit aufhörte, ein unglückliches, selbstbezogenes, leidendes Opfer zu sein, und wie stelle ich das an? Was wäre, wenn ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, mich schuldig zu fühlen oder Groll zu hegen? Was wäre, wenn ich anfinge, mir selbst und anderen gegenüber aufrichtig zu sein?

Diese »Was wäre, wenn …«-Fragen münden in andere Fragen: Welche Menschen in meinem Bekanntenkreis sind meistens glücklich und wie verhalten sie sich? Welche historischen Gestalten bewundere ich? Wie könnte ich ihnen ähnlich werden? Wie müsste ich reden, handeln und denken, um mich der Welt anders zu präsentieren? Was möchte ich an mir verändern?

Das Sammeln von Informationen war ein weiterer wichtiger Schritt. Um neue Vorstellungen von sich selbst entwickeln zu können, mussten meine Gesprächspartner das, was sie über sich selbst wussten, entsprechend ummodeln. Jeder leitete erste Ideen aus seinen eigenen Lebenserfahrungen ab. Darüber hinaus durchforsteten sie aber auch Bücher und Filme nach Menschen, die sie beeindruckten. Aus den positiven Aspekten dieser Persönlichkeiten und den ihnen erstrebenswert erscheinenden Qualitäten bildeten sie das Rohmaterial für das Bild ihres eigenen neuen Selbstausdrucks im Leben.

Ihre Erkundungen einer besseren Art des Seins brachte sie auch zu neuen Denkweisen. Sie unterbrachen den Strom der sich wiederholenden Gedanken, die sonst den größten Teil ihres Wachbewusstseins besetzt gehalten hatten. In dem gleichen Maß, wie sie die vertrauten, bequemen Denkgewohnheiten losließen, konnten sie neue Konzepte davon kreieren, wer sie werden wollten, und an die Stelle ihrer alten Vorstellungen von sich selbst neue Ideale setzen. Sie nahmen sich die Zeit, täglich mental zu üben, wie dieser neue Mensch sein würde. Wie im ersten Kapitel erwähnt, stimuliert das mentale Üben das Gehirn, neue neuronale Verbindungen herzustellen, und verändert die Art, wie Gehirn und Geist arbeiten.

1995 wurde im Journal of Neurophysiology ein Artikel veröffentlicht: Er behandelte die Wirkung, die rein mentales Üben auf die neuronalen Netzwerke des Gehirns hat.6

Neuronale Netzwerke sind individuelle Gruppen von Nervenzellen (oder Neuronen), die in einem funktionierenden Gehirn mit einer gewissen Unabhängigkeit zusammenarbeiten. Neuronale Netzwerke sind das neueste Modell, anhand dessen die Neurowissenschaftler darlegen, wie unser Lernen und unsere Erinnerung funktionieren. Sie können auch erklären, wie das Gehirn sich mit jeder neuen Erfahrung verändert, wie verschiedene Arten von Erinnerungen sich ausbilden, wie Fähigkeiten sich entwickeln, wie es zu bewusstem und unbewusstem Handeln und Verhalten kommt, ja selbst, wie alle Formen sensorischer Wahrnehmungen verarbeitet werden. Neuronale Netzwerke bilden das Grundelement, auf dessen Basis die Neurowissenschaft erklärt, wie wir uns auf der Zell-Ebene verändern.

Bei dem speziellen Forschungsprojekt nahmen vier Gruppen von Probanden an einer fünftägigen Studie teil: Ziel des Vorhabens war, zu messen, welche Veränderungen im Gehirn beim Klavierüben stattfinden. Die erste Gruppe lernte eine bestimmte, einhändig zu spielende Sequenz auf dem Klavier, die alle fünf Finger beanspruchte; diese sollte über einen Zeitraum von fünf Tagen täglich zwei Stunden physisch geübt werden. Die Mitglieder der zweiten Gruppe sollten in derselben Zeit einfach wahllos auf dem Klavier herumklimpern. Die dritte Gruppe kam nie einem Klavier nahe: Die Teilnehmer sollten beobachten, was der ersten Gruppe beigebracht wurde, bis sie die Sequenz auswendig konnten, und sie dann mental üben, indem sie sich vorstellten, sie fünf Tage lang täglich zwei Stunden auf dem Klavier zu wiederholen. Die vierte Gruppe diente ausschließlich als Kontrollgruppe und tat gar nichts; in dieser Phase der Studie trat sie nicht einmal in Erscheinung.

Nach Ablauf der fünf Tage wurde bei allen Probanden mithilfe der sogenannten »transcranialen magnetischen Stimulation« und ein paar anderer technologisch hoch entwickelter Apparate gemessen, ob sich in ihrem Gehirn etwas verändert hatte. Zur allgemeinen Überraschung wiesen die Gehirne jener Gruppenteilnehmer, die rein mental geübt hatten, beinahe identische Veränderungen auf – die Erweiterung und Entwicklung neuronaler Netzwerke in dem gleichen Bereich des Gehirns –, wie die Gehirne derjenigen, die tatsächlich physisch Klavier geübt hatten. Die Gehirne der zweiten Gruppe, die nichts Spezifisches gelernt und geübt hatte, zeigten nur geringe Veränderungen: Ihre Übungen hatten aufgrund ihres Zufallscharakters nicht wiederholt dieselben Netzwerke stimuliert und deshalb keine bestimmten Nervenzellverbindungen gestärkt. Und bei der »untätigen« Kontrollgruppe hatte sich gar nichts verändert.

Wie konnte es dazu kommen, dass die dritte Gruppe beinahe identische Veränderungen im Gehirn aufwies wie die erste, wobei doch die Teilnehmer nie eine Klaviertaste berührt hatten? Durch ihren mentalen Fokus hatten sie immer wieder bestimmte neuronale Netzwerke in spezifischen Bereichen des Gehirns feuern lassen. Das bewirkte, dass diese Nervenzellen stärkere Verbindungen untereinander entwickelten. In den Neurowissenschaften nennt man das »Hebb’sches Lernen«.7 Das Konzept ist simpel: »Neurons that fire together, wire together« (»Nervenzellen, die gemeinsam feuern, verschalten sich.«). Werden bestimmte Gruppen von Neuronen regelmäßig stimuliert, verstärken sie ihre Verbindungen zueinander.

Demzufolge hatten die Probanden, die rein mental geübt hatten, ihr Gehirn genauso stark aktiviert wie jene, die tatsächlich Klavier gespielt hatten. Das wiederholte Feuern der Neuronen bildete in einem bestimmten Teil des Gehirns eine Neuronengruppe, die das bewusst gewählte Muster unterstützte. Die damit verbundenen Gedanken wurden dem Gehirn willentlich eingeprägt. Interessanterweise bildeten und verstärkten sich die neuen Netzwerke an genau der gleichen Stelle wie bei der Gruppe, die körperlich übte. Sie veränderten ihr Gehirn einfach durch ihr Denken. Wenn der Fokus stark genug ist, erkennt das Gehirn keinen Unterschied zwischen dem Vorgestellten und dem tatsächlich Ausgeführten.

Sheilas Erfahrungen bei der Heilung ihrer Verdauungsprobleme illustrieren diesen Prozess der Neuerfindung: Sie hatte beschlossen, sich nicht mehr mit Erinnerungen an die Vergangenheit und ihrer damit verbundenen Opferhaltung plagen zu wollen. Sheila hatte die zur Gewohnheit gewordenen Gedankengänge erkannt, die sie loslassen wollte, und genug Aufmerksamkeit entwickelt, um ihren unbewussten Gedankenfluss unterbrechen zu können. Als Resultat feuerten nicht mehr dieselben alten neuronalen Netzwerke täglich in ihr. Nachdem Sheila die Oberhand über die alten Denkmuster gewonnen hatte, begann ihr Gehirn, diese nicht länger genutzten Kreisläufe allmählich aufzulösen. Das ist ein weiterer Aspekt des Hebb’schen Lernens, er lässt sich auf die knappe Formel bringen: Nervenzellen, die nicht mehr gemeinsam feuern, lösen sich voneinander. Hier gilt das alte Sprichwort: »Wer rastet, der rostet.« Dieses Prinzip kann bei der Veränderung unserer selbst wahre Wunder wirken.

Im Lauf der Zeit legte Sheila immer mehr von der Last der hinderlichen alten Gedanken ab, die ihr Leben bis dahin geprägt hatten. Das erleichterte ihr, sich vorzustellen, was für eine Art von Mensch sie sein wollte. Nun gestand sie sich Möglichkeiten zu, die sie früher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. Wochenlang konzentrierte sie sich darauf, wie sie als diese neue, unbekannte Person denken und handeln würde. Sie übte dieses neue Bild von sich selbst ein, sooft es irgend ging, um sich immer wieder daran zu erinnern, wer sie sein würde. Schließlich wurde sie zu einem Menschen, der gesund und glücklich in die Zukunft blickte. Gleich den Klavierspielern hatte auch Sheila neue neuronale Schaltkreise errichtet.

Interessanterweise berichtete der überwiegende Teil meiner Gesprächspartner, sie hätten sich bei diesen Übungen nie disziplinieren müssen. Sie hatten es geliebt, mental zu trainieren, wer sie werden wollten.

Genau wie Sheila war es allen meinen Gesprächspartnern erfolgreich gelungen, sich selbst neu zu erfinden. Sie hielten an ihren neuen Idealen fest, bis diese ihnen »in Fleisch und Blut übergegangen« waren. Sie wurden zu neuen Menschen mit neuen Gewohnheiten. Sie brachen mit den alten Gewohnheiten, ihrem alten Selbst. Wie sie das fertig brachten, bringt uns zum vierten Credo, das alle, die körperliche Heilung erfuhren, gemeinsam haben.

Koinzidenz Nr. 4: Wir sind in der Lage, uns so zu fokussieren, dass wir Zeit und Raum vergessen

Da meine Interviewpartner wussten, dass schon andere vor ihnen sich selbst von Krankheiten geheilt hatten, glaubten sie daran, es sei auch ihnen möglich. Doch wollten sie ihre Heilung nicht dem Zufall überlassen. Einfach hoffen und wünschen würde wohl kaum ausreichen. Auch das bloße Wissen, was zu tun wäre, genügte nicht. Um das erwünschte Ergebnis zu erzielen, mussten diese ungewöhnlichen Menschen ihren Geist bewusst und dauerhaft verändern. Jeder Einzelne musste an den Punkt absoluter Entschlossenheit, Willenskraft, Leidenschaft und Konzentration gelangen. Wie Dean gesagt hatte: Man muss seinen Kopf klar kriegen.

 

Dieser Ansatz erfordert große Anstrengungen. Bei allen bestand der erste Schritt darin, diesem Prozess den wichtigsten Platz in ihrem Leben einzuräumen. Das bedeutete, aus den gewohnten Zeitplänen, sozialen Aktivitäten, Fernsehgewohnheiten und so weiter auszusteigen. Wären sie weiter bei ihrer täglichen Routine geblieben, wären sie auch dieselben Personen geblieben, die ihre Krankheiten entwickelt hatten. Um sich zu verändern, um aufzuhören, ihr altes Selbst zu sein, mussten sie sich auch von ihren typischen Gewohnheiten trennen.

Also setzten sich alle, aber jeder im Alleingang, Tag für Tag hin und unternahmen es, sich selbst neu zu erfinden. Da ihnen das wichtiger war als alles andere, widmeten sie diesem Prozess jede freie Minute. Alle übten sich zunächst darin, ihre gewohnten Gedanken zu beobachten und ließen sich durch nichts davon ablenken.

Vielleicht sagen Sie jetzt: »Angesichts einer ernsthaften Erkrankung ist das ja auch nicht so schwer, aber bei mir steht schließlich nicht gerade das Leben auf dem Spiel.«

Nun, haben wir nicht alle unter irgendwelchen Gebrechen zu leiden – seien sie körperlicher, emotionaler oder spiritueller Natur –, die unsere Lebensqualität einschränken? Verdienen diese Beschwerden nicht dieselbe Aufmerksamkeit?

Natürlich hatten auch meine Gesprächspartner sich mit Zweifeln, widrigen Überzeugungen und Ängsten herumzuschlagen. Jeder musste sich sowohl seiner eigenen, altvertrauten inneren Stimme gegenüber taub stellen wie auch den Kommentaren von außen, von anderen Menschen, die ihm Sorgen einreden wollten und entgegenhielten, was ihn aus schulmedizinischer Sicht erwarte.

Fast alle Betroffenen wiesen darauf hin, diese neue innere Haltung sei nicht so leicht zu erringen. Wie unendlich viel der untrainierte Geist vor sich hin plappert, war ihnen vorher nie klar gewesen. Zuerst fragten sie sich, ob sie wohl in ihre gewohnten Muster zurückfallen oder ob sie überhaupt stark genug sein würden, dem alten Modus Widerstand zu leisten. Würden sie es schaffen, sich den ganzen Tag über ihrer Gedanken bewusst zu sein? Wie sich im Lauf der Zeit jedoch herausstellte, merkten sie es rasch, wenn sie in alte Muster zurückfielen, und so konnten sie das Programm unterbrechen. Je mehr sie trainierten, auf ihre Gedanken zu achten, desto einfacher ging es und desto besser fühlten sie sich hinsichtlich ihrer Zukunft. Und aus diesem Gefühl der Ruhe, Gelassenheit und Klarheit tauchte allmählich ein neues Selbst auf.

Interessanterweise berichteten alle von einem Phänomen, das Teil ihres neuen Lebens wurde: Widmeten sie sich über längere Phasen hinweg der Innenschau und Neuerfindung ihrer selbst, dann konzentrierten sie sich oft so sehr auf den gegenwärtigen Augenblick und ihre Absicht, dass etwas Erstaunliches geschah: Sie verloren vollkommen die Wahrnehmung von Körper, Zeit und Raum. Es existierte nichts mehr für sie – nur ihre Gedanken.

Lassen Sie mich das näher erklären. Unser alltägliches Bewusstsein ist für gewöhnlich mit drei Dingen beschäftigt:

• Erstens sind wir uns bewusst, in einem Körper zu sein. Unser Gehirn empfängt ein Feedback darüber, was im Körper vor sich geht und welche Reize er von unserer Umgebung aufnimmt. Wir bezeichnen das als »Körperempfindungen«.

• Zweitens sind wir uns unserer Umgebung bewusst. Der Raum um uns herum ist unsere Verbindung zur äußeren Wirklichkeit. Wir achten auf die Dinge, Objekte, Personen und Orte in unserer Umgebung.

• Drittens haben wir ein Bewusstsein der verstreichenden Zeit; wir strukturieren unser Leben innerhalb des Konzepts von Zeit.

Doch wenn Menschen sich mithilfe ernsthafter, selbstreflektierender Kontemplation nach innen richten und mental neue Möglichkeiten ausprobieren, wer sie werden könnten, dann versinken sie unter Umständen so tief darin, dass ihre Aufmerksamkeit sich völlig von ihrem Körper und ihrer Umgebung löst; beide scheinen zu verblassen oder ganz zu verschwinden. Selbst das Konzept von Zeit löst sich auf. Und öffnen sie Augen wieder, stellen sie vielleicht fest, dass die Zeitspanne, die ihnen wie Minuten erschien, in Wahrheit Stunden waren. In diesem Zustand wälzen wir keine Probleme und spüren keinen Schmerz. Wir lösen uns von den Empfindungen unseres Körpers und von der Verbindung mit den Dingen um uns herum. Wir können uns so tief auf diesen schöpferischen Prozess einlassen, dass wir uns darüber selbst vergessen.

Taucht dieses Phänomen auf, ist die betreffende Person sich nur noch ihrer Gedanken bewusst. Das Einzige ihr wirklich Erscheinende ist die Wahrnehmung dessen, was sie denkt. Fast alle meine Gesprächspartner haben das mit ähnlichen Worten zum Ausdruck gebracht: »Ich gehe innerlich zu dem anderen Platz in meinem Geist«, sagte eine Frau, »wo es keine Ablenkungen gibt, keine Zeit, wo ich keinen Körper habe, wo es nichts gibt – außer meinen Gedanken.« Alle verließen sie ihre gewohnte Verbindung mit dem »Selbst«, damit, »Jemand« zu sein, und wurden zum »Niemand«.

Und in genau diesem Zustand, so erfuhr ich, konnten sie beginnen, das zu werden, was sie sich vorgestellt hatten. Das menschliche Gehirn, insbesondere der Frontallappen, besitzt die Fähigkeit, Lautstärke zu drosseln, ja äußere Reize ganz auszuschalten, darunter auch die Zeitwahrnehmung. Wie neueste Erkenntnisse der funktionellen Hirnscan-Technologie belegen, kommen die mit den Zeit-, Raum-, Gefühls-, Bewegungs- und Sinneswahrnehmungen beschäftigten neuronalen Schaltkreise bei hoch konzentrierten Menschen buchstäblich zur Ruhe.8 Als Menschen genießen wir einen Vorteil: Wir sind imstande, unsere Gedanken realer werden zu lassen als alles andere, und wenn wir das tun, speichert unser Gehirn diese Eindrücke in den tiefen Falten seines Gewebes. Wenn wir diese Fähigkeit meistern, können wir anfangen, unser Gehirn neu zu programmieren und unser Leben zu verändern.

Was ist Aufmerksamkeit?

Zu den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften gehört: Um die Architektur des Gehirns zu verändern, müssen wir auf unser Erleben im gegenwärtigen Moment achten. Neuronale Netzwerke, die passiv stimuliert werden, d.h. ohne dass wir den Auslöser beachten, bewirken keine Veränderungen im Gehirn. Vielleicht hören Sie während Ihrer Lektüre dieses Buchs beispielsweise in der Wohnung über Ihnen jemanden staubsaugen. Hat dieses Geräusch für Sie keine Bedeutung, werden Sie es nicht weiter beachten, sondern einfach weiterlesen. Was Sie gerade lesen, ist Ihnen sehr wichtig, deswegen aktiviert Ihre Aufmerksamkeit nur ganz bestimmte neuronale Kreisläufe Ihres Gehirns, während andere, unwichtige Wahrnehmungen ausgefiltert werden.

Was also ist Aufmerksamkeit? Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten, missachten Sie währenddessen alle anderen Informationen, die Ihnen sensorisch zur Verfügung stünden. Sie können auch zufällig aufkommende Erinnerungen unterbinden. Sie lassen Ihre Gedanken nicht zu den Überlegungen wandern, was es wohl zum Abendessen gibt, wie das letzte Weihnachtsfest war oder was Sie von Ihrem Kollegen denken. Sie hindern Ihren Geist daran, irgendetwas anderes zu tun als das, was Ihnen in diesem Augenblick wichtig erscheint. Ohne diese Selektionsfähigkeit könnten Sie nicht überleben. Und diese Fähigkeit, Ihre Aufmerksamkeit auf eine kleine Auswahl an Informationen zu konzentrieren, sitzt im Frontallappen Ihres Gehirns.

Der Frontallappen ermöglicht es Ihnen, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache gerichtet zu halten – beispielsweise darauf, diese Seiten zu lesen –, weil er währenddessen andere Gehirnbereiche abschaltet, die mit Empfindungen wie Hören und Schmecken oder dem Bewegen Ihrer Beine, dem Spüren Ihres Gesäßes auf dem Sofa, mit Kopfschmerzen oder auch der Wahrnehmung Ihrer vollen Blase zu tun haben. Je besser es Ihnen daher gelingt, sich auf Ihre inneren mentalen Bilder zu konzentrieren, desto gründlicher können Sie Ihr Gehirn umprogrammieren und desto leichter wird es Ihnen fallen, andere Kreisläufe des Gehirns zu steuern, die ähnliche sensorische Reize verarbeiten. Mit anderen Worten: Aufmerksamkeit ist eine Kunst – und eine notwendige Voraussetzung!

Andere Gemeinsamkeiten

Darüber hinaus enthielten die Schilderungen meiner Gesprächspartner weitere Gemeinsamkeiten, die allerdings weniger gewichtig waren als die vier genannten. Ich beschränke mich auf die Erwähnung von zwei weiteren: Erstens wussten diese Menschen tief in ihrem Inneren mit großer Sicherheit, dass sie geheilt waren. Sie benötigten keinerlei diagnostische Beweise für das Verschwinden ihrer Krankheit – allerdings unterzogen sich dennoch viele bestätigungshalber entsprechenden Tests.

Zweitens hatten etliche der behandelnden Ärzte ihre Entscheidung gegen eine konventionelle Behandlungsmethode für Wahnsinn erklärt. Und sogar, als die Betreffenden sich ihren Ärzten als geheilt präsentierten, wollten diese es zunächst nicht glauben. Das ist in gewisser Weise verständlich, wenn auch sehr bedauerlich. Immerhin sagten die meisten Ärzte angesichts der bei diesen Menschen objektiv messbaren Veränderungen: »Ich weiß zwar nicht, was Sie anstellen, aber was auch immer es sein mag: Machen Sie damit weiter!«

Neue Durchbrüche in der Hirnforschung

Meine Erforschungen des Phänomens der Spontanheilungen ließen mein Interesse an allem, was es über das Gehirn zu wissen gibt, wieder hell aufflammen. Unsere heutige Zeit ist in dieser Hinsicht ungeheuer spannend: Noch nie zuvor konnten wir – dank der Neurowissenschaft – so viel über dieses bemerkenswerte Organ in Erfahrung bringen. Einige der jüngsten Erkenntnisse darüber, wie das Gehirn Gedanken erzeugt, könnten uns Hinweise liefern, wie wir in unserem Körper und in unserem Leben vieles zum Positiven wenden können.

Wer vor über 20 Jahren zur Schule ging, dem wurde noch beigebracht, das Gehirn habe wenig Veränderungsspielraum; unsere angeborenen Nervenzellverbindungen hätten uns im Hinblick auf Neigungen, Charakterzüge und Gewohnheiten bereits weitgehend festgelegt. Aus wissenschaftlicher Sicht galt das Gehirn damals als unveränderlich. Und sicher stimmt auch, dass alle Menschen in bestimmten Bereichen ihres Gehirns auf dieselbe, festgelegte Weise funktionieren, denn wir alle besitzen in vielerlei Hinsicht identische körperliche Strukturen und Funktionen.

Doch wie die heutige Forschung beweist, ist das Gehirn keineswegs so festgelegt, wie wir einst dachten. Wie wir inzwischen wissen, kann jeder von uns, in jedem Alter, neues Wissen erwerben, in seinem Gehirn verarbeiten und zu neuen Gedanken formulieren, wobei diese Prozesse in unserem Gehirn Spuren hinterlassen, genauer gesagt: neue synaptische Verbindungen. Das macht Lernen aus.

Neben Wissen zeichnet das Gehirn auch jede neue Erfahrung auf. Wenn wir etwas erleben, übertragen unsere Sinne Unmengen von Informationen ans Gehirn und übermitteln, was wir sehen, riechen, fühlen, hören und schmecken. Die Neuronen organisieren sich in entsprechenden Verbindungsnetzwerken, die diese Erfahrungen widerspiegeln. Die Neuronen bewirken auch die Ausschüttung von Chemikalien, die bestimmte Gefühle bewirken. Diese unterstützen uns dabei, uns an eine Erfahrung zu erinnern. Der Prozess der Ausformung von Erinnerungen hilft, die neuen neuronalen Verbindungen längerfristig aufrechtzuerhalten. Unser Gedächtnis ist einfach ein Prozess der Aufrechterhaltung neuer synaptischer Verbindungen.9

Die Wissenschaft ist dabei, genauer zu erforschen, wie wiederholte Gedanken diese neurologischen Verbindungen stärken und unsere Gehirnfunktionen beeinflussen. Wie einige interessante Studien belegen, ruft mentales Üben nicht nur Veränderungen im Gehirn hervor, sondern zeigt auch im Körper Wirkung. Probanden, die sich beispielsweise vorstellten, mit einem bestimmten Finger eine Zeit lang Gewichte zu heben, stärkten damit nachweislich den Finger.10

Anders als der Mythos vom festgelegten Gehirn uns glauben machen wollte, wissen wir heute: Das Gehirn verändert sich durch jede Erfahrung, jeden neuen Gedanken und durch alles, was wir neu lernen. Man nennt das »Plastizität«. Und es mehren sich die Beweise dafür, dass das Gehirn sich in jedem Alter verändern und formen lässt. Je tiefer ich in die Erkenntnisse über die Plastizität des Gehirns eindrang, desto mehr faszinierte mich, dass man das Gehirn mithilfe bestimmter Informationen und Fähigkeiten gezielt beeinflussen kann.

 

Die Plastizität des Gehirns ist seine Fähigkeit, sich bis weit in unser Erwachsenenalter hinein umzuformen und umzuorganisieren. Bei professionellen Geigern zum Beispiel findet man eine bemerkenswerte Vergrößerung des somatosensorischen Cortex (der mit dem Tastsinn verbundenen Gehirnregion), allerdings überwiegend im Bereich der linken Hand, die den Geigenhals hält und sich auf dem Griffbrett über die Saiten bewegt, und deutlich weniger im Bereich der rechten, den Bogen führenden Hand. Auch die beiden Gehirnhälften wurden verglichen: Der Bereich des Gehirns, der die Finger der linken Hand koordiniert, war deutlich größer als der (normal groß gebliebene) Bereich für die rechte Hand.11

Erst in den 1980er-Jahren löste die Vorstellung vom festgelegten Gehirn sich allmählich auf. Heute verstehen die Neurowissenschaftler das Gehirn als einen Bereich, der sich im gesamten Leben eines Menschen immer wieder neu organisiert.

Interessante Beweise widerlegen einen alten Mythos über die Nervenzellen. Lange Zeit glaubte man, Nervenzellen könnten sich nicht mehr teilen und vermehren. Wir haben damals gelernt, die Anzahl von Neuronen, über die wir verfügen, sei bei unserer Geburt festgelegt, und einmal beschädigte Nervenzellen könnten nicht mehr ersetzt werden. Das sieht man heute anders. Wie neuere Studien bezeugen, produziert ein normales, gesundes Erwachsenengehirn durchaus neue Gehirnzellen. Man nennt diesen Prozess »Neurogenese«. In den letzten Jahren hat die Forschung gezeigt, dass ausgereifte Nervenzellen im »Hippocampus« genannten Gehirnbereich sich nach Beschädigungen durchaus wieder regenerieren können.12

Und es können nicht nur geschädigte Bereiche wiederhergestellt werden: Es gibt inzwischen sogar Hinweise darauf, dass ein voll ausgereiftes Erwachsenengehirn jeden Tag neue Nervenzellen produzieren kann.

Nach einer Studie im Journal Nature vom Januar 2004 wächst ein bestimmter Bereich des Gehirns, wenn jemand beispielsweise Jonglieren lernt.13 Wie wir aus funktionellen Hirnscans wissen, kann Lernen die Gehirnaktivitäten verändern, doch diese Untersuchung wies nach, dass aus dem Erlernen von etwas Neuem sogar anatomische Veränderungen entstehen können.

Die Forscher der Universität Regensburg hatten 24 Freiwillige, die noch nie jongliert hatten, in zwei gleich große Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe sollte drei Monate lang jeden Tag Jonglieren üben, die andere diente nur als Kontrollgruppe – ohne entsprechende Aufgabe. Am Anfang und am Ende der Studie wurden bei allen teilnehmern Gehirnscans mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt. Untersucht wurden jedoch nicht nur die Unterschiede in der Gehirnaktivität, sondern mittels einer hochkomplexen Analysetechnik (der »voxelbasierten Morphometrie«) prüfte man auch, ob sich Veränderungen in der grauen Substanz des Neocortex ergeben hatten. Die Dicke dieser grauen Substanz ist ein Hinweis auf die Gesamtzahl der Nervenzellen im Gehirn.

Bei den Probanden, die Jonglieren gelernt hatten, zeigte sich ein nachweisbarer Zuwachs der grauen Substanz in den mit visueller und motorischer Aktivität verbundenen Bereichen, und zwar sowohl im Volumen als auch in der Dichte: Ein Hinweis darauf, dass das Gehirn eines Erwachsenen neue Nervenzellen bilden kann. Die Neurowissenschaftlerin und Expertin für bildgebende Verfahren, Dr. Vanessa Sluming von der englischen University of Liverpool, meint dazu: »Was wir im täglichen Leben tun, könnte sich nicht nur auf die Funktion unseres Gehirns auswirken, sondern auch auf unsere Körperstruktur auf makroskopischer Ebene.« Interessanterweise schrumpften die vergrößerten Bereiche der Menschen, die Jonglieren geübt, aber anschließend mit dem Training aufgehört hatten, innerhalb von drei Monaten wieder auf ihre normale Größe zurück.

Selbst die Meditation hat vielversprechende Ergebnisse gezeigt, nicht nur auf die Gehirnwellenmuster, sondern auch bezüglich der Erzeugung neuer Hirnzellen durch achtsam nach innen gerichtete Aufmerksamkeit. Das Journal Neuroreport veröffentlichte im November 2005 eine Studie, die bei 20 Teilnehmern mit umfassender Erfahrung in buddhistischer Meditationspraxis eine vermehrte graue Substanz nachwies.14 Das Beste an den Ergebnissen dieser Studie: Die meisten Teilnehmer waren Normalsterbliche mit Job und Familie, die nur 40 Minuten am Tag meditierten. Man muss also nicht zum Heiligen werden, um seine Gehirnzellen zu vermehren. Die an dieser Studie beteiligten Wissenschaftler vermuten, Meditieren könnte auch die im Alter häufig auftretende Ausdünnung des Frontallappens verlangsamen.

Den Ergebnissen einer Studie von Fred Gage vom Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien, zufolge, weisen Mäuse, die in einem Umfeld leben, das sie mental und physisch zusätzlich stimuliert, 15 Prozent mehr Gehirnzellen auf als Mäuse, aus einer für Nagetiere üblichen Umgebung. Darüber hinaus konnten Gage und eine Gruppe schwedischer Forscher im Oktober 1998 zum ersten Mal demonstrieren, dass menschliche Gehirnzellen über die Fähigkeit zur Regeneration verfügen.15

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