Höllen-Lärm

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Obwohl „Smoke On The Water“ eine einwandfreie Metal-Hymne war und das Basisriff für das erste Repertoire eines jeden langhaarigen Gitarristen lie­ferte, begriff sich die Band selbst nicht als Heavy Metal. „Das waren wir nie“, sagte der Organist Jon Lord zehn Jahre später der Zeitschrift Kerrang!. „Wir haben niemals Nietenarmbänder getragen oder mit Blut in den Mundwinkeln für Fotos posiert. Solche Sachen sind okay, aber etwas für Leute, die auf einen anderen Musikstil abfahren als wir.“ Trotzdem waren Deep Purple auf In Rock von 1970 und Machine Head von 1972 nach allen Regeln der Kunst heavy und drückten elegant eine beinahe magische technologische Raserei aus.

Als die Beatles loslegten, konnten sie ihre winzigen Verstärker wegen des Lärms der schreienden Massen nicht hören. Anfang der Siebzigerjahre hatten Hersteller wie Marshall, Orange und Sunn eine Industrie begründet, die wider­standsfähigere Vakuumröhren produzierte und damit dem betäubenden Auf­schrei der Gitarren unendliche Möglichkeiten schuf. Für Sabbath, Zeppelin und Purple wurde Lautstärke selbst zu einem zusätzlichen Bandmitglied – ebenso bei dem textlich anspruchsvollen kanadischen Hardrock-Act Rush, den auf­regenden Blue Öyster Cult aus Long Island, der überzogen theatralischen Lon­doner Band Queen oder den beeindruckenden britischen Virtuosen King Crim­son. Innerhalb dieses neu entdeckten Universums waren sie die Götter, die defi­nierten, was Exzess und bombastische musikalische Zauberkunst in der Rock­musik bedeuteten. Durch ihre Karrieren setzten sie den Standard, der nicht an Hitsingles gemessen wurde, sondern an langen Reihen hart erarbeiteter Alben. Ihre wilden, erschöpfend innovativen Experimente wurden in den folgenden zehn Jahren unablässig nachgeahmt.

Sehr viele Bands bedienten sich einer ganzen Bandbreite unausgereifter Stile und wetteiferten beim Dezibelniveau mit den Flughäfen ihrer Umgebung. Ver­gessene Melodien des Proto-Metal durchzogen die Musik von The Asterix, Tita­nic (aus Norwegen), Lucifer’s Friend (aus England und Deutschland), den har­ten Krautrockern Guru Guru, den schwermütigen May Blitz (ebenfalls bei Ver­tigo), Master’s Apprentices (aus Australien), Captain Beyond (gegründet von Mit­gliedern von Deep Purple und Iron Butterfly), Bang, den relativ sanften Arma­geddon, den morbiden Texanern Bloodrock, den langlebigen britischen Bud­gie und den von Tony Iommi produzierten Nec­romandus. Diese obskuren Bands hatten die Szene mit einigen kraftvollen Ein­drücken gepfeffert, aber ihre Aufnahmeaktivitäten meist innerhalb weniger Jahre eingestellt. Dennoch hatte ihre Existenz kleinere Fan-gemeinden mit Potenzial angelockt.

Black Sabbath, die sich bereits die Trophäen für eine Million verkaufter Alben hinter die Ledergür­tel klemmen konnten, blie­ben eine gewagte und origi­nelle Band und veröffent­lichten bald schon zwei mitreißende Partyalben für katatonische Seelen. Master Of Reality brach mit dem epischen, endlosen Husten von „Sweet Leaf“ über das Jahr 1971 herein, einem Liebeslied, das dem Marihuana gewidmet war. Verankert in einigen der härtesten Riffs, die Tony Iommi je hervorgebracht hatte, sandten Sabbath ihren Friedenswunsch in die hoffnungsvolle Unterwelt der „Children Of The Grave“ und starteten temporeich in die verlorene Raumfahrtmission von „Into The Void“. Trotz ihrer Morbidität waren dies mitfühlende Songs voller Sanftheit und Stärke. Auf dem ultrazerbrechlichen und trostlosen „Solitude“ traute sich Iommi sogar wieder eine Flöte einzubauen – er hatte sie Jahre vorher aus Angst, Sabbath würden mit Jethro Tull verglichen, aufgegeben.

Das sinnigerweise Vol. 4 betitelte vierte Album wurde 1972 veröffentlicht und erstrahlte im Licht schöner akustischer Melodien. Sowohl der Kokainschrei von „Snowblind“ und das an Santana erinnernde Instrumental „Laguna Sunrise“ spiegeln den unbeschwerten Einfluss der Zeit, die Black Sabbath auf Tourneen in Amerika und besonders in Kalifornien verbracht hatten. „Wheels Of Confusion“ und „Supernaut“ jedoch beschäftigten sich ebenso intensiv mit dem Wahnsinn wie die Songs auf Paranoid. Geezer Butler lieferte Ozzy nach wie vor Texte, die tief in die Psyche drangen, und die Stimmung der Musik blieb ausgesprochen heavy. Mit Vol. 4 konnten Sabbath ihren Erfolgskurs ausbauen, das Album folgte Master Of Reality in die Billboard-Top-Twenty in Amerika. Die Band feierte ihren Erfolg und genoss zum ersten Mal die Vorzüge des Rock­stardaseins: neue Häuser, Luxusautos, Mädchen und Drogen – nach Ozzys zunehmend bizarren Verhaltensweisen zu urteilen nicht unbedingt immer in dieser Reihenfolge.

Die große Rock ’n’ Roll-Explosion schleuderte in den frühen Siebzigern kleine Heavy-Metal-Splitter über ganz Amerika, die schon zuvor bei Woodstock sichtbar geworden, bei Monterey aufgeflammt und bei Altamont in Blut getaucht worden waren. Sie kamen nun auf gigantischen Festivals wie Cal Jam zusammen – wo Black Sabbath 1974 völlig stoned im Hubschrauber einflogen, um vor vierhun­dertfünfzigtausend Fans zu spielen. Es war eine Zeit relativer Mediendürre, und Konzerte waren die einzige Möglichkeit, harte Musik selbst zu erleben. In dieser zukunftsweisenden Zeit setzte man, wenn man auf Hardrock stand, alles daran, Konzerte zu besuchen – man schwänzte die Schule, nahm sich von der Arbeit frei und fuhr so weit wie nötig, um die Katharsis live aus erster Hand zu erleben.

Superstarbands wie Led Zeppelin, die von Stadt zu Stadt jetteten, trans­portierten den Sound der Hochgeschwindigkeitsgitarren aus den kleineren Konzerthallen in die Sportarenen. Statt wochenlang in einer Reihe kleiner Clubs zu gastieren, konnten die Musiker quer durch Amerika reisen und in wenigen Monaten vor der Hälfte der gesamten Teenagerbevölkerung des Landes spie­len. Das bedeutete auch, dass man keinen festen Wohnsitz hatte. Auf ihren Tourneen lernten Rockstars, ein Leben auszuhalten und zu genießen, das sich ausschließlich in Garderoben und Motels abspielte, während sie den Vorsitz bei der acidgetränkten Entstehung einer riesigen Konzertkultur übernahmen. Die Fans taten das Ihre, übernachteten vor den Kartenverkaufsstellen in Schlaf­säcken, schmuggelten Grass und Schnaps in die Hallen und verhandelten über den Zutritt zum wilden Paradies hinter der Bühne.

1975 verblasste die Macht von Deep Purple, als Ritchie Blackmore ausstieg und Rainbow gründete, eine von mythologischen Elementen inspirierte Band.

Von Elf warb er den jungen Sänger Ronnie James Dio ab, der sich ganz der Dekadenz jener Zeit hingab. Er war mit Ronnie Dio and the Prophets in den Sechzigern im länd­lichen Norden des Bundes­staats New York ein Teenidol gewesen, aber von Liebes­tränken wie „Love Potion #9“ war das neue Gebräu weit ent­fernt. „Bei Rainbow war ich ja noch sehr jung und hatte das erste Mal die Chance zu erle­ben, was Erfolg ist. Ich hatte so etwas ja noch nie gesehen“, sagt Dio. „In der Anfangszeit ging’s darum, Fernseher aus dem Fenster zu werfen. Wir dachten halt: ‚Hey, wir können das jetzt einfach machen? Okay!‘ Es ist blöd, echt, wenn man drüber nachdenkt. Man sollte ja Rockstar sein, und das hat man dann eben gemacht. Man hat die ganze Nacht gevögelt, mit allen, und Sex war wunderbar. Es gab kein Aids – schlimmstenfalls konnte man sich ’nen Tripper holen. Wir lebten das Leben, das Zeppelin und Sabbath und Purple uns vorgemacht hatten.“

Außerhalb des Allerheiligsten beobachtete die Öffentlichkeit, wie die bei Rockkonzerten entfesselte Energie auf die Gemeinden in der Umgebung über­griff und kleinere Aufstände losbrachen. Spätere Heavy-Metal-Musiker, damals noch unschuldige, naive Jungs, erinnern sich an Straßenschlägereien. Thomas Fischer alias Tom Warrior, der später Celtic Frost gründete, ging zu dieser Zeit noch in der Schweiz zur Schule. „Anfang der Siebziger habe ich Deep Purple gesehen“, erzählt er, „und in den Nachrichten wurde gezeigt, dass die Konzert-halle hinterher kurz und klein geschlagen wurde. Ich erinnere mich, dass Eltern total ausgeflippt sind, wenn sich ihre Kinder so etwas angehört haben.“

Nachdem sich der revolutionäre Geist der Sechzigerjahre in eine lockerere, liberalere Haltung gegenüber Drogen, Sex und bacchantischer Pracht verwandelt hatte, widmete sich Amerika in den Siebzigern dem leichten Leben – eine Wohl­tat angesichts der sozialen Veränderungen der jüngeren Vergangenheit. Rock­musik, von jeher eine Bastion jugendlicher Rebellion, wurde schnell zum ersehn­ten Lebensstil, und die konservative Mittelklasse wusste nicht, wie sie damit umge­hen sollte. Eine verzweifelte Mutter, deren Tochter davongelaufen war, um mit langhaarigen Rockern in einem Tourbus zu leben, wandte sich auf der Kummer­kastenseite einer Zeitung an die Ratgeberkolumnistin Ann Landers, die ihr riet, die Tochter nicht zu verstoßen. Stattdessen solle sie die Schmach ertragen, die ihr die widerspenstige Jugend zufügte, sei es auch nur um der vielen unvermeidlichen unehelichen Kinder willen – eine triste Perspektive für die junge Freiheit.

Während Teenager mit ihrer Vorliebe für Sex und Drogen Erwachsenen allerorts einen Schrecken einjagten, versetzten die okkulten Aspekte des Heavy Rock besonders die Bewohner der bibeltreuen US-Gebiete in Angst. „In den Siebzigern war es keine leichte Aufgabe, nach Miami oder Baton Rouge in Loui­siana zu fahren oder nach Corpus Christi in Texas zu reisen“, meint Bill Ward, der Schlagzeuger von Sabbath. „Wir mussten den Bürgermeistern Rede und Antwort stehen. Wir bekamen ständig Auftrittsverbot. Sie hatten Angst vor uns. Die haben wirklich gedacht, wir würden sie mit einem Fluch belegen. Wir beka­men es mit vierzig oder fünfzig Bullen oder so zu tun.“

Die auffälligsten Rocker reagierten auf die bürgerliche Entrüstung, indem sie die Grenzen des Geschmacks weiter dehnten und den Angstfaktor verstärk­ten. Der wunderbar schauerliche Alice Cooper trat in die hochhackigen Fuß­stapfen der Crazy World Of Arthur Brown und entwickelte eine blutrünstige Bühnenshow, die mit kostümierten Zwergen und Eimern voller Blut auf dem französischen Grand-Guignol-Straßentheater des neunzehnten Jahrhunderts aufbaute. 1975 hatte Cooper sich dahin gehend gesteigert, dass er allabendlich auf der Bühne seinen eigenen Selbstmord vortäuschte. „Es schien, als wäre er gar kein Mensch“, sagt der Metaller Kim Bendix Peterson alias King Diamond, der sein Gesicht hinter einer Maske aus Schminke verbarg. „Wenn man ihn berührt hätte, hätte er sich wahrscheinlich in Luft aufgelöst. Es kam einfach so wahnsinnig gut rüber.“

 

Eine opportunistische Gruppe von New-Yorkern namens Kiss intensivierte Alice Coopers Bemühungen und setzte dem Durchschnittsamerika ein völlig durchgeknalltes Image vor die Nase. Das silberne Make-up der Band, die Glit­zerkostüme und die speziell angefertigten Gitarren gaben dem Rockgemisch aus langen Haaren und Leder einen kräftigen Schuss Raumfahrtzeitalter und NASA und fassten zwei große Sechziger-Ereignisse in Form einer spektakulä­ren Entfesselung zusammen – die Mondlandung und die Erfindung lauter Gitarren. Die ersten drei Kiss-Alben, die zwischen Februar 1974 und August 1975 entstanden – Kiss, Hotter Than Hell und Dressed To Kill – verkauften sich eher schleppend. Der nächste Streich war das böse und gemeine Doppel-Live­album Alive!, das ebenfalls 1975 erschien und wegen der Überzeugungskraft lauter, eingängiger Lieder wie „Deuce“ und „Cold Gin“ Platin erhielt. Es han­delte sich um Rockbonbons mit Heavy-Metal-Zuckerguss, eine Art Kaugummi mit Black-Sabbath-Geschmack.

Kiss wendeten sich an ein Publikum, das zu jung war, um Vietnam zu ver­stehen. Die an Cartoon-Ästhetik angelehnte Bühnenshow strotzte nur so von ägyptischen Katzenstatuen, Kristallgebilden und verfallenen Steinmauern. Es war ein finanzielles Risiko, das man zugunsten eines unvergesslichen Ereignis­ses auf sich nahm. „Als wir anfingen, waren die Leute einfach nur verwirrt“, meint der Gitarrist Stanley Eisen alias Paul Stanley. „Wir trugen Plateaustiefel. Unser Make-up war absurd. Der größte Künstler in Amerika war damals John Denver. Wir waren nicht cool, aber wir waren von unserer Sache überzeugt. Es war eine Kamikazemission. Wir ließen uns keine andere Wahl, als erfolgreich zu sein. Es hätte entsetzlich schief gehen können.“

Die Destroyer-Tour schlug 1976 den Bogen zwischen jung und hungrig auf der einen und überlebensgroß auf der anderen Seite. Trotz ihrer extravagan­ten Plastikpräsenz wateten Kiss noch immer im Schlamm – bei einer Show in El Paso, Texas, spielte die Gruppe vor zehntausend Grenzstadtarbeitern in einer Scheune, die sonst regelmäßig für Viehauktionen genutzt wurde. In diesem Sommer kämpften Kiss in ganz Amerika einen Lautstärkekrieg, überdröhnten Vorbands wie Bob Seger und Ted Nugent und zahlten später die doppelte Stromrechnung für ihren gleißend hellen Bühnenhintergrund aus grellen Scheinwerfern. In einer Zeit, in der es noch keine allmächtige Konzertkarten­agentur wie Ticket Master, keine professionellen Sicherheitsunternehmen oder Metalldetektoren gab, trafen Kiss auf ein schlecht organisiertes Chaos. Am Ende waren sie Superstars und halfen bei der Entstehung einer professionellen Kon­zertkultur, die zur Nabelschnur des Heavy Metal wurde.

Das Make-up, das Blut und das Feuer hinterließen einen unauslöschlichen Eindruck bei den Fans, von denen viele die Musik zuvor überhaupt nicht gehört hatten. Kiss überbrückten die sich vergrößernde Kluft zwischen den Genera­tionen mit Merchandise, schufen Puppen, Schlafanzüge, Kaugummiaufkleber, ein Gesellschaftsspiel, ein von Marvel veröffentlichtes Comicheft und einen Flipperautomaten. Längst waren sie kostümierte Überwesen und wurden bald Stars ihres eigenen Sciencefiction-Films, Kiss Meets the Phantom of the Park. Bald gehörte es zum Initiationsritual in amerikanischen Grundschulen, Kinder­buchautor Dr. Seuss den Rücken zu kehren und sich stattdessen für „Dr. Love“ zu entscheiden. Derart geprägt, wendete sich ein riesiger Teil der Bevölkerung nach dem Ende der Kindheit mit versengten Augen dem Heavy Metal zu – in der Erwartung, dort denselben Schock und Donner zu erleben.

Black Sabbath boten dem Hörer mehr als nur drei Akkorde und eine gute Show – aber Sounds von ähnlicher Durchschlagskraft musste das Publikum noch immer suchen. Mitte der Siebziger konnte man die Heavy-Metal-Ästhetik wie ein mythisches Ungeheuer in dem traurigen Bass und den komplexen Gitarren von Thin Lizzy, der Bühnenkunst von Alice Cooper, der zischenden Gitarre und dem protzigen Gesang bei Queen oder den wuchtigen mittelalterlichen The­men bei Rainbow entdecken. Dann kamen Judas Priest 1974 im Gefolge von Black Sabbath aus Birmingham und vereinigten und erweiterten die verschie­denen Highlights auf der Klangpalette des Hardrock. Zum ersten Mal wurde Heavy Metal ein wirklich eigenständiges Genre.

Judas Priest stellten die schleppende Wucht von Deep Purple in den Dienst eines bedrohlichen Angriffs, neben dem die theatralischen Höhen von Led Zep­pelin im Vergleich wie kleine Scharmützel wirkten. Nichts zuvor kam an das Tempo von Glenn Tipton und K. K. Downings Gitarren oder die großartige Theatralik in Rob Halfords phänomenaler Stimme heran. Judas Priest schöpf­ten die intensivsten Momente aus der Vergangenheit in einen Kessel und mix­ten sie zu einer neuen magischen Art der Wahrnehmung zusammen.„ Ich habe meine Gesangstechnik eigentlich beim Singen erfunden“,sagt Rob Halford.„Ich habe mich nie nach Leuten umgesehen, die sich cool anhörten, und dann ver­sucht, genauso zu klingen.“

Judas Priest machten kein Geheimnis aus ihrem Ziel: Sie wollten die ulti­mative Heavy-Metal-Band der Welt sein. Dabei bestanden durchaus einige wit­zige Verbindungen zu Sabbath. Die hatten beispielsweise der jüngeren Band ihren Probenraum überlassen, und ein Judas-Priest-Musiker hatte kurzzeitig mit Earth zu tun, der Band, aus der Black Sabbath entstanden war.

Verglichen mit Sabbath jedoch war die Musik von Judas Priest sehr formal, streng um Breaks, Bridges und dynamische Höhepunkte herum organisiert. Wäh­rend sich Black Sabbath eher nach „Gefühl“ richteten und nicht nach einem steti­gen Metronomtakt, bevorzugten Judas Priest eine stark geordnete Herangehens-weise. Bei dem melodischen, bewusstseinserweiternden Zusammenspiel von Tip­ton und Downing wurden zwei Leadgitarren wie Schnitzwerkzeug verwendet, um den Sound bei hoher Dezibelstärke geschickt herauszuschneiden und zu formen. Jeder sengende Break der Leadgitarre war in eine perfekte Songvertiefung einge­lassen,die den Weg zu neuen unverwüstlichen Kreationen wies.Anders als bei den ausgesprochen urwüchsigen Black Sabbath eiferten junge Musiker Priest nach, ohne aber wie deren Kopie zu klingen – das erstaunliche Repertoire musikalischer Techniken verlangte nach eingehenderer Beschäftigung mit der Band.

So, wie bei Paranoid Politik und Machtkämpfe angesprochen wurden, so bediente sich Rob Halford beim Erzeugen der unheimlichen Momente auf Sad Wings Of Destiny bei den Ausführungen von Sunzi (Die Kunst des Krieges) und den Dramen von Shakespeare. Er entzündete sie mit glühendem Gesangs­feuerwerk. „Ich bin mit außergewöhnlichen Stimmbändern gesegnet, mit denen ich einige bizarre Sachen anstellen kann“, sagt Halford, „und ich versuche immer eher, von Song zu Song zu sehen, was man anders und neu machen kann. Es ging vor allen Dingen immer ums Experimentieren.“

HARDROCK

Dutzende früher Zeitgenossen von Black Sabbath beteiligten sich an der Entwicklung dessen, was später als Heavy Metal bezeichnet werden sollte. Einige orientierten sich am Blues wie Led Zeppelin und Deep Purple; King Crimson, Queen, Rush und andere verwendeten Elemente klassischer Musik. Blue Cheer und die Stooges drehten dagegen einfach ihre Verstärker bis zum Anschlag auf und ließen es scheppern. Alle waren langhaarig und laut, trugen Schlaghosen und hatten Courage. Sie hatten sich vorgenommen, die Rock ’n’Roll-Explosion der Sechziger in zehnfacher Lautstärke zu überdröhnen. Selbst als ihre Musik schließlich in Vergessenheit geriet, blieb Heavy Metal der Kühnheit dieses Pionierzeitalters verpflichtet.

Freakografie:

Alice Cooper, Killer (1971)

Blue Cheer, Vincebus Eruptum (1967)

Blue Öyster Cult, Tyranny And Mutation (1973)

Deep Purple, Machine Head (1972)

Flower Travelin’ Band, Satori (1972)

Hawkwind, Hall Of The Mountain Grill (1974)

Jimi Hendrix, Electric Ladyland (1968)

King Crimson, Starless And Bible Black (1974)

Led Zeppelin, IV (1971)

Queen, A Night At The Opera (1975)

Rush, 2112 (1976)

The Stooges, Raw Power (1973)

Cream, Disraeli Gears (1967)

MC5, Kick Out The Jams (1969)

Obwohl die „flashing senseless sabers“ in „Genocide“ als Schlachtfeldfanta­sie aufgefasst werden konnten, wurde der Song im selben Jahr geschrieben, in dem Pol Pot den Gefängnisstaat Kambodscha von ethnischen Minderheiten „säu­berte“ und viele dieser eineinhalb Millionen Menschen mit Schwertern ent­hauptet wurden. Denn darin bestand die Mission des Heavy Metal: sich dem gan­zen Bild zu stellen – eine Verbindung zwischen dem Leben und dem Kosmos zu schaffen. Wenn es Liebeslieder gab, dann waren es epische Erzählungen, keine Oden oder niedliche Teenagergeschichten über Liebe im Limoladen. Konflikte wurden in den Texten immer im großen Maßstab behandelt, was in den Siebzi­gerjahren bedeutete, dass man auf Despoten, Diktatoren und antidemokratische Watergate-Einbrecher eindrosch.„Ich habe Rock immer als Form der Revolution jüngerer Leute gegen das Establishment verstanden“, sagt der Metaller Tom War­rior von Celtic Frost.„Obwohl es heute natürlich eine einzige große kommerzielle Maschinerie ist, steckt dieser Geist noch immer in mir drin. Das kann ich nicht verleugnen, weil ich mit dieser Vorstellung groß geworden bin.“

Andere Heavy-Metal-Bands der neuen Generation waren skrupellos ketze­risch und mussten sich sehr harscher Kritik stellen. Nach ihrem Space-Rock-Debüt 1972 komprimierten die deutschen Hardrocker Scorpions achtminütige Jams zu gitarrengetriebenem Overdrive. Sie flirteten mit Tabus. Auf ihrem Album Virgin Killer von 1976 war ein nacktes vierzehnjähriges Mädchen mit einer zer­brochenen Glasscheibe vor ihrer pubertären Schamgegend zu sehen – prompt wurde die Platte in Amerika verboten. Das Bild war eine Überzeichnung der vor­herrschenden Haltung gegenüber sexueller Experimentierlust, und die Musik zeugte von einer wilden neuen Mentalität, die lautstark erregende Konzepte for­derte. Das Heavy-Metal-Publikum wollte geschockt werden, und es sehnte sich nach dem Reiz schwieriger Themen. „Wir haben andere Bands wie Deep Purple und Led Zeppelin respektiert, aber wir wollten es anders machen“, sagt Rudolf Schenker, Gitarrist der Scorpions. „Wir waren eine andere Generation.“

Black Sabbath, die vorzeitig als Minimalisten abgestempelt wurden, behaup­teten ihre metallische Meisterschaft auf ihrem sechsten Album, dem 1975 erschie­nenen Sabotage. Die Band raste wie von realen Albträumen bedrängt durch die­ses Album, verfolgte dabei aber den Weg, den sie mit Sabbath Bloody Sabbath 1973 beschritten hatte, konsequent weiter. „Hole In The Sky“ und „Symptom Of The Universe“ waren seit langem überfällige, eindringliche psychedelische Meister­werke einer Gruppe, die allmählich neue Realitäten schuf; das vorherrschende Thema auf Sabotage war jedoch die protzige Darstellung der eigenen Größe gegenüber kalten, finanzstarken Eindringlingen – die übermächtige Klaustro­phobie in „Megalomania“ und „The Writ“ schubste die Anwälte und Manager weg, welche die Band hatten ausbluten lassen. Zu diesem Zeitpunkt durchlebten Sabbath die für Rockstars typischen ersten Scheidungen und Drogenzusammen­brüche, und „Am I Going Insane“ dokumentierte Ozzys Moment der Klarheit, nachdem er die gesamte Zeit von 1972 bis 1974 angeblich im LSD-Rausch ver­bracht hatte. Sabotage war ein Höhepunkt für die Band. Black Sabbath, die bei dem opulenten „Supertzar“ vom English Chamber Choir unterstützt wurden, behaupteten stolz ihren Wahn und ihre Größe.

Judas Priest traten aus dem Schatten ihrer Mentoren heraus und präsen­tierten sich auf der 1978 erschienenen Stained Class mit einem rundum moder­nisierten Sound. Als Kommentar auf das Informationszeitalter bildete das Cover einen metallischen, menschenähnlichen Kopf ab, der von bunten Licht­strahlen durchbohrt wurde. Statt protestierend gegen die herrschenden Mächte aufzuschreien, sprachen Songs wie „Exciter“ und „Saints In Hell“ vom autori­tären Standpunkt aus und schwenkten die unnachgiebige Kraft der Musik wie eine Waffe. Obwohl Ozzy Osbournes Stimme eine bemerkenswerte emotionale Qualität besaß, wurde er im Allgemeinen nicht als begabter Sänger betrachtet; Rob Halford jedoch perfektionierte den brennenden, vibrierend-erschüttern­den Gesangsstil, der von gespenstischem Heulen bis zum wütenden, gepressten Knurren reichte. In Kombination mit modernen Studioeffekten und dem Zwie­gespräch der knackigen Gitarren von Tipton und Downing führte die Verbin­dung von Talent und Technik zu genialem Metal-Sound auf höchstem Niveau.

 

Da Heavy Metal in der Presse noch immer marginalisiert wurde, richtete er sich an ein noch unentdecktes Publikum – und Künstler aus dem Metal-Sektor begannen sich auf der Suche nach ihrer Gefolgschaft zu langen Konzerttourneen zusammenzutun. „Mit jedem weiteren Album haben wir wirklich und wahr­haftig mehr und mehr Metal-Fans geschaffen“,meint Rob Halford.„Damals gab es keine breite Metal-Kultur. Wir fuhren durch England und Europa und schließ­lich rüber nach Amerika, und die Leute sprangen auf diesen brandneuen Stil und Sound erst sehr langsam an. Jede Generation sucht nach einer Musik, die sie ihrem Lebensgefühl zuordnen kann, sie will sich mit etwas identifizieren, das nur ihr gehört – und so entstand die Beziehung zu unseren ersten Fans.“

Die Nahrung, von der Heavy Metal während seines langen Lebens zehren sollte, war bereitgestellt. Als Black Sabbath auftauchten, war der Sound eine Abweichung, die viele nachahmten, aber kaum weiterentwickelten und aus­bauten. Mit der Ankunft von Judas Priest wurde aus Heavy Metal eine voll aus­gereifte Bewegung, die ihre Flugbahn von A nach B zurückverfolgen konnte. Als sich die nächste Welle von Bands auf den Weg machte, glich die Bewegung einer Lawine, die sich mit wachsender Wucht ihren Weg bahnte.

Gegen Ende der Siebzigerjahre fiel der Name Black Sabbath in Großbritannien häufig, wenn neue Bands über ihre Einflüsse sprachen – dennoch versagte die Band als Einheit. Die siedende Energie einer neuen Generation von Bewunde­rern hätte den Lebensgeistern von Sabbath Auftrieb geben können, allerdings hatte die Band 1976 England verlassen und war nach Los Angeles gezogen, um die exorbitant hohe britische Einkommensteuer zu umgehen. Ozzy, Iommi, Butler und Ward waren zu weit entfernt und erlebten die damalige Musikszene Großbritanniens der späten Siebzigerjahre wie abwesende Väter – nur bei gele­gentlichen Besuchen. Die abgeschlossene Welt, in der sie lebten, begann sich aufzulösen, und zehn Jahre der Tourneen, persönliche Isolation, juristische Pro­bleme und der Missbrauch harter Drogen forderten ihren Tribut.

Ozzy Osbourne, der sich in sein Alkoholikerdasein verkrochen hatte, verließ Black Sabbath vor den Aufnahmen für Never Say Die von 1978 und wurde kurzer­hand durch den Sänger von Savoy Brown, Dave Walker, ersetzt. Zwar kehrte Ozzy zurück, um das Album fertig zu stellen, verließ Sabbath aber endgültig im Anschluss an eine katastrophale Tour durch Großbritannien, die sich nieder­schmetternd auf die Stimmung der Band ausgewirkt hatte. Eine merkwürdige New-Yorker Band namens The Ramones spielte in jenem Jahr als Sabbath-Vor­gruppe in den Vereinigten Staaten, während Van Halen aus Los Angeles – die sich ursprünglich nach einem Instrumentalstück auf Paranoid Rat Salad genannt hatten – anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens im Vorprogramm von Sabbaths Englandtournee auftraten. Die athletischen Auftritte von Van Halen stellten die alternden Dämonen aus Birming­ham Abend für Abend in den Schatten. „Die waren so gut“, sagt Ozzy, „und wir waren am Ende unse­rer Kräfte.“

Die beiden letzten Alben der Ozzy-Ära, Never Say Die und Tech­nical Ecstasy von 1976 zeigten eine erschöpfte Band. Es scheint, als hätten sich Black Sabbath auf dem siebten Album ausge­ruht – und auf dem achten schon wieder. Die mitreißende Härte von Sabotage machte einem lässigen, bluesartigen Swing Platz, der den Zuhörern eine Ver­schnaufpause gewährte; die großartig beklemmenden Gefühle wurden durch Zuversicht ersetzt. Die Band wollte den Fortschritt, zog sich dann aber doch wieder oft auf reine Therapie zurück. Wie Let It Be von den Beatles war es der Sound alter Freunde, die sich gegenseitig bei einer allerletzten Runde unter die Arme griffen. Bill Ward erinnert sich sogar daran, bei den Aufnahmen für Never Say Die als Orientierungshilfe für Ozzy Gesangsspuren eingesungen zu haben.

Als Ozzy Osbourne Black Sabbath schließlich verließ, war es mehr als nur das Ende einer Ära. Mit seinem Weggang verschwand die persönliche Chemie, die seit der Zeit bestanden hatte, als der Schulhofrüpel Tony Iommi Ozzy als Teenager verprügelte und die acht Alben lang Musik in eine schwermütige, dröhnende, neue, verheerende Tiefe getrieben hatte. Ob Black Sabbath ohne Ozzy weitermachen würden, stand nicht fest. Wer auch immer seinen Platz ein­nehmen würde – wenn die Band überhaupt ohne ihn weitermachen wollte –, musste in die Fußstapfen eines Riesen treten.

So, wie sich die Beatles trennten, löste auch Ozzy die Band auf, indem er die Anweisungen für ein neues musikalisches Protokoll einprogrammierte. Obwohl sie vorübergehend selbst nicht am Drücker waren, beeinflussten Black Sabbath weiterhin die jüngere Generation, wenn auch von der anderen Seite des Ozeans. Wie sich herausstellen sollte, wurde Heavy Metal immer wieder am besten aus der Ferne inspiriert – von dort, wo starke Eindrücke, Erinnerungen und Bilder dazu führen, dass die Fantasie Amok läuft. Als immer mehr Bands auftauchten, die sich die von Sabbath in Gang gesetzten Kräfte zunutze mach­ten, sollten schließlich der Erfolg und die Exzesse aller anderen Hardrock-Supergroups der Siebzigerjahre daneben verblassen.

PROTO-METAL DER SIEBZIGER

Ende der Siebzigerjahre spürten junge Bands die Härte in den unerforschten Felsspalten auf, welche die Dinosaurier des Hardrock hinterlassen hatten. Kiss und AC/DC komprimierten die großartigsten Sounds der Vergangenheit zu mundgerechten Hymnen. Judas Priest und die Scorpions fügten elektrifizierende, sich duellierende Gitarren hinzu – eine unglaubliche neue Dimension, die schließlich das Fundament des Heavy-Metal-Songwritings bildete. Obwohl sie wie Hardrocker aussahen, schufen diese Bands die Grundlage für etwas Neues. Ihre Texte waren weniger abstrakt und stärker dem Leben verpflichtet, wie es sich tatsächlich auf den Straßen abspielte. In den Siebzigern gewannen sie an Macht, nacheinander ließen sie die schleppende Gangart des Hardrock hinter sich und gingen ganz und gar zum Heavy Metal über.

Aller Anfang ist hart:

AC/DC, If You Want Blood, You’ve Got It (1978)

Judas Priest, Sad Wings Of Destiny (1976)

Kiss, Double Platinum (1978)

Led Zeppelin, Presence (1976)

New York Dolls, New York Dolls (1973)

Rainbow, Rising (1976)

The Runaways, Queens Of Noise (1977)

Scorpions, In Trance (1975)

Scorpions, Tokyo Tapes (1978)

Robin Trower, Live (1976)

UFO, Lights Out (1977)

Bloodrock, 3 (1971)

Thin Lizzy, Jailbreak (1976)


Das Cover von Black Sabbaths Evil Woman


Ritchie Blackmore bei Rainbow (Roy Dressel Photography)


Black Sabbath um 1973 (Warner Bros.)


Ronnie James Dio (Roy Dressel Photography)


Das Programm der Never Say Die-Tour (aus der Sammlung von Omid Yamini)


Ozzy Osbourne 1977 (Austin [Hardrock69] Majors)

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