Höllen-Lärm

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Mit dem schroffen Gesang, den herausstechenden Bassläufen und einer unerschütterlichen Rhythmusgitarre ersetzte Kill ’Em All die hohen, weiner­lichen Töne des Metal der frühen Achtzigerjahre durch dichte, beunruhigende Klänge, die mit der unsagbar schweren und unaufhaltsamen Wucht von Black Sabbath daherkamen, jedoch ohne deren Melancholie zu transportieren. Das Tuckern der beiden Gibson-Flying-V-Gitarren von Hetfield und Hammett wirkte hypnotisch und explosiv, die immer wiederkehrenden Tempowechsel wurden von Hammetts mit rasend schnellen Fingern gespielten Gitarrenein­schüben zusammengehalten. Schon bald wurden die typischen gedämpften Gitarrenriffs zum verblüffenden rhythmischen Element und charakteristisch für den Sound von Metallica. Sie wurden erzeugt, indem man den Ballen der zupfenden Hand unten über die Saiten legte: So entstand ein komprimierter gedämpfter Sound anstelle eines eindringlichen Aufheulens.

Außerdem waren die Stücke auf Kill ’Em All schneller als die aller anderen, abgesehen von Motörhead, deren Einfluss in den galoppierenden Rhythmen und dem donnernden Schlagzeug spürbar blieb. Kill ’Em All mag die erste Platte gewesen sein, die so schnell war, dass ein ganzer Refrain in der Zeit gehört wer­den konnte, die das Vinyl für eine einzige Umdrehung auf dem Plattenspieler brauchte. Katon DePena, dessen Band Hirax zu den schnellsten der Achtziger­jahre gehörte, bemerkte: „Es ist cool, schnell zu spielen, aber man muss auch in der Lage sein, ein Riff zu schreiben. Das machte Metallica so unglaublich.“

Auf der Suche nach einer eigenen Nische wurden Metallica fast zwangs­weise schneller. Durch die enge Beziehung, die Heavy-Metal-Bands über lange Jahre mit ihren Fans aufbauten, wurden Judas Priest und Iron Maiden mit dem Alter tatsächlich immer beliebter, anstatt wie viele arbeitslose Radio-Eintags­fliegen im Nichts zu verschwinden. Neue Metal-Bands hatten keine andere Wahl, als sich am stürmischen Firmament weiter hinauszuwagen. Der Schwei­zer Metal-Visionär Tom Warrior erzählt, wie er Metallica zum ersten Mal hörte: „Nachdem der britische Metal die amerikanische Metal-Welle ausgelöst hatte, konnte ich kaum glauben, mit welchem Druck die amerikanischen Bands alles hinwegfegten. Sie gingen viel klinischer an harte Musik heran. Wo die britischen Bands mit ihrer Aura noch immer etwas an die Pubs erinnerten, klangen die Amerikaner einfach wie schwere Maschinen.“

Da ihnen ein starker Leadsänger fehlte, betonten Metallica ihren Groove, und das sorgte für einen ganz grundlegenden Wandel in der Strukturierung der har­ten Musik. In einer Szene, in der es vor extravaganten Sängern wimmelte, ver­steckte Hetfields barscher, gelassener Gesang die Melodiebogen hinter Killergitar­ren und einem raffinierten Schlagzeug. Der Gesang gab nicht mehr die Richtung vor, ein Unterschied, durch den sich Metallica von den anderen Metal-Acts der damaligen Zeit abhoben.„Ich habe wirklich eine Menge Achtung vor James“,sagt Katon W. DePena. „Ich erinnere mich, dass ich bei ‚No Life ’Til Leather‘ dachte: ‚Wenn James doch nur singen würde wie James, anstatt klingen zu wollen wie Vince Neil, dann wäre es gut.‘ Als Kill ’Em All rauskam, hat er genau das gemacht.“

Doch auch nach der Veröffentlichung ihres Debüts waren Metallica von Hetfield als Sänger noch nicht recht überzeugt. Obwohl er sich immer siche­rer in seiner Rolle fühlte, sang er nur, weil es niemand sonst tun wollte. Die Band dachte noch immer darüber nach, einen konventionellen Leadsänger und Frontmann zu engagieren und Hetfield an die Rhythmusgitarre zu verbannen. „So was wirkt sich auf den Auftritt aus, wenn man mittendrin ein Songarrange­ment ändern muss“, erzählte Lars Ulrich Kick Ass Monthly. „Besonders wenn man keinen Frontmann hat, der bei technischen Problemen einfach mal fünf Minuten lang mit der Menge redet. Das ist einer der Gründe, weshalb wir einen Frontmann suchen, den wir wahrscheinlich niemals finden werden, weil nie­mand irre genug ist, dass er bei uns reinpassen würde.“

Selbst 1984 gab es noch einen möglichen Kandidaten. „Es gab nur einen Typen, den wir echt gern in der Band gehabt hätten – das ist eigentlich kein Geheimnis mehr“, sagte Ulrich in Kick Ass. „Und das ist der Frontmann von Armored Saint, John Bush. Aber die sind wie Kinder, die zusammen aufge­wachsen sind, und ich glaube, er wäre sehr unsicher, wenn er sein vertrautes Umfeld verlassen müsste. Er hat verdammt noch mal die beste Stimme. Egal, in welcher Band er ist – in ungefähr fünf Jahren, er ist ja jetzt erst neunzehn, wird er einer der größten Sänger und Frontmänner sein. Der wird auf einer Stufe mit Dio stehen.“

John Bush erinnert sich, von Metallica umworben worden zu sein, ein Pro­zess, bei dem sowohl Ulrich als auch Johnny Z. regelmäßig Druck auf ihn aus­übten. „Als sie sich noch die Sache mit dem Sänger überlegten, hatten Armo­red Saint gerade erst angefangen“, meint Bush. „Wir waren cool, und ich nehme an, die fanden mich hip – jedenfalls haben sie mich immer gelöchert, ob ich nicht bei ihnen einsteigen will. Ich kannte die gar nicht und fragte mich anfangs: ‚Was ist das denn für eine Band?‘ Die Jungs von Armored Saint und ich sind zusammen aufgewachsen, also wollte ich die Band von meinen Kumpels nicht verlassen. Ich hab’s niemals bereut – das hätte alles verändert. Es sollte nicht sein, dass ich bei Metallica einsteige. So war das eben.“

Um sich von anderen zu unterschieden, bezeichneten junge Bands wie Metal­lica ihre Musik als „Power Metal“. Es gab keinen großen stilistischen Unter­schied zwischen etablierten Leuten wie Dio und Newcomern wie Armored Saint und Manowar, aber die Power-Metal-Bands setzten alles daran, die Wir­kung der Riffs und der vermittelten Bilder noch zu verstärken. Vielleicht hätte man davon ausgehen können, dass sich diese Kanten mit zunehmendem kom­merziellem Erfolg abschleifen würden. 1983 jedoch führten Metallica neue Codes und Tricks ein, die den Sound satter und einfacher machten. Sie schufen damit eine magnetische, durch und durch auf Metal geeichte Musik, die sich für eine kommerzielle Verwandlung kaum eignete.

Kill ’Em All verkaufte sich innerhalb der ersten zwei Wochen nach Ver­öffentlichung überraschenderweise siebzehntausendmal, und das in erster Linie über die Vertriebswege, die vor allem die kleinen Ein-Mann-Plattenläden bedienten. Viele Headbanger hatten in ihren Plattensammlungen Platz für Intensiveres als Iron Maiden geschaffen. Wie Dan Beehler von Exciter dem kanadischen Fernsehen mitteilte: „Die europäischen Kids von heute haben genug von Priest und Sabbath. Sie scheinen sich mehr für Venom zu inter­essieren und kommen bei Exciter, Metallica und Anvil – dem jüngeren Metal – auf den Geschmack. Anscheinend stehen sie jetzt auf sehr schnellen Metal, so heavy wie möglich.“

Die Offenbarungen der NWOBHM von 1980 waren für junge Fans zu blo­ßen Glaubensartikeln verblasst – die Zeit war reif für Fortschritt. Im Zuge des Erfolgs von Kill ’Em All akquirierte Megaforce eine unschlagbare Mannschaft, die gerade diese neue Art Metal, der sich nicht am Radio oder an MTV orien­tierte, eindrucksvoll präsentierte. Als befänden sie sich auf einer Mission, nahm das Label Manowar, Exciter, Anthrax und Raven unter Vertrag. Jede dieser Bands brachte ein durchschlagendes Album nach dem anderen heraus. Der Sound hatte nichts Homogenes, doch den Kriegerhymnen von Manowar und dem Hochgeschwindigkeitschaos von Raven war eine faszinierende Sehnsucht nach Neuem gemeinsam.

Anthrax, die noch immer entsetzlich unerfahren wirkten, sich aber rasch weiterentwickelten, reagierten direkt auf Metallica und legten mit Fistful Of Metal noch einen Zahn zu; dabei stützten sie sich stärker auf Rhythmusgitar­ren und ein Schlagzeug mit zwei Bassdrums. Nachdem sie sich dem Power Metal verschrieben hatten, musste dem komplizierten Songhandwerk britischer Prägung auch mit angemessen donnerndem Tempo begegnet werden, was durch Charlie Benante, einen aggressiv schnellen Drummer, möglich wurde. „Er hat uns ganz entschieden gedrängt, Songs wie ‚Panic‘ ins Programm auf­zunehmen – Songs wie gutes geschmolzenes Metall“, meint Bassist Dan Lilker, „und sie dann schneller zu spielen, damit sie eine verzweifelte, panische Kan­tigkeit bekamen.“ Anthrax waren Kinder der Siebzigerjahre – sie nahmen den Song „I’m Eighteen“ von Alice Cooper für Fistful Of Metal auf, einen Tag nach dem neunzehnten Geburtstag des jüngsten Bandmitglieds.

Im Unterschied zu den charmanten, jedoch noch unerprobten Anthrax spielte die erfahrenere dänische Band Mercyful Fate raffinierte, lebendige Kom­positionen, die selbst das schroffe Hämmern von Metallica in den Schatten stell­ten. Leider saß sie in Dänemark auf dem Trockenen, weit entfernt von den Brut­stätten des Metal. Das änderte sich, als Roadrunner Records, das Label des hol­ländischen Unternehmers Cees Wessels, begann, amerikanische Produkte von Metal Blade, Megaforce und anderen Firmen für den Verkauf in Europa zu lizenzieren. Zuvor musste jeder, der aus der fanatischen Metal-Begeisterung der Europäer Profit schlagen wollte, seine Koffer packen, jedes Land einzeln berei­sen und dort die Plattenläden aufsuchen. Als Roadrunner zur zentralen Lizenz-stelle für den Kontinent wurde, ging es für Wessels ebenso aufwärts wie für die Labels auf der anderen Seite des Atlantiks, mit denen er zusammenarbeitete. Music for Nations traf schon bald ähnliche Arrangements in England.

Während Roadrunner Metallica-Platten nach Europa importierte, schloss man auch einen Vertrag mit Mercyful Fate ab, deren Album Melissa man dann in Lizenz an Megaforce weiterreichte. Melissa kam zu einem wahrhaft magi­schen Moment – am Scheideweg zwischen klassischem Heavy Metal, Power Metal und dem noch versteckt operierenden Black Metal –, konnte jedoch kei­nem dieser Stile richtig zugeordnet werden. Dominiert vom vielseitigen und oft verblüffenden Gesang King Diamonds, setzte das dänische Quintett archaische Gitarrentonleitern und eingängige, galoppierende Rhythmusriffs ein, um eine dunkle Abfolge rauchiger Songs über das Übernatürliche heraufzubeschwören. Jeder Track auf Melissa – einschließlich „Evil“, „Curse Of The Pharaohs“ und „Satan’s Fall“ – lud die Hörer zu einer Fahrt mit einer von schwarzen Pferden gezogenen Kutsche ein, die zu Orten in anderen Welten führte, und verbrei­tete einen unvergleichlichen mystisch-emotionalen Zauber.

 

Der ungewöhnliche Sänger King Diamond setzte dem Sound von Mercy­ful Fate mit seinem Gesangsstil, der von einem hallenden Falsett bis zu einem wütenden Knurren anstieg und wieder abfiel,ein Glanzlicht auf.„Es schien,als wären die Songs heute aufgenommen, aber vor langer Zeit geschrieben wor­den“, sagt Diamond über Melissa. „Das hatte natürlich eine Menge mit dem Sound zu tun, zu dem aber immer dieses einzigartige Songwriting kam. Ich habe keine Band gehört, die so klingt. Sogar die einfachsten Passagen kamen von Herzen, und die Leute erkennen Mercyful Fate an nur ganz wenigen Tönen.“ Wie der Sänger in einem Interview 1983 bemerkte: „Ich möchte, dass Leute nachhause gehen und denken: ‚Ich hab’s gehört und gesehen, aber ich weiß nicht, wie sie das gemacht haben.‘“

Melissa gilt bis heute als Kultalbum, das gleichermaßen von frühen Thra­shern wie Dave Mustaine und Dan Lilker geschätzt wird wie auch von den Mit­gliedern der norwegischen Black-Metal-Band Emperor und den Platin ein­heimsenden Hitschreibern Slipknot. „Melissa war wirklich unglaublich“, erinnert sich Trey Azagthoth von Morbid Angel fasziniert. „Das ist was ganz Besonderes. Die Songs waren sehr unorthodox strukturiert. Da gab es Gitar­renparts, die waren so merkwürdig. Da hat nicht einfach nur eine Band gespielt – das waren Musiker bei einer Zeremonie, und der Sänger sang wie ein Hohe­priester, der eine Geschichte erzählt. Auf mich hat das genauso zeremoniell gewirkt wie Black Sabbath.“

Trotz solch künstlerischer Erfolge blieben Megaforce einige Irrtümer nicht erspart. In der zuversichtlichen Annahme, dass die Gruppe Metal Church aus Seattle bei seinem unaufhaltsam im Aufwind begriffenen Label unterschreiben würde, ließ Johnny Z. vorzeitig Anzeigen drucken, in denen er sie gemeinsam mit Metallica und Mercyful Fate ankündigte.„Nichts gegen Johnny Z.“,sagt der Sänger von Metal Church, David Wayne, „aber unser Anwalt meinte, der Ver­trag sei kompletter Müll, und wir schickten ihn zurück. Johnny hat unseren Anwalt heftig beschimpft, also haben wir das Album schließlich selbst produ­ziert.“ Unverdrossen versuchte Johnny Z. ein Zeitalter zu überspringen, indem er Blue Cheer, das legendäre Sludge-Power-Trio aus den Sechzigern, unter Ver­trag nahm, deren Coverversion von „Summertime Blues“ angeblich für eine neue Sorte LSD geworben hatte. Ihr Comebackversuch, das Roots-Metal-Album The Beast Is Back, war ein kurzer Trip ins Nirgendwo. Power-Metalheads orientierten sich an der Zukunft.

POWER METAL

Als junge Bands die ohnehin schon umwerfenden Eigenschaften des Heavy Metal noch stärker herausstrichen und seinen explosivsten Momenten Steroide und Sprengstoff zusetzten, entstand Power Metal. Der Begriff bezeichnete allgemein alles, von der Klangmauer von Exciter bis zu den unheilvollen schwarzen Schreien von Mercyful Fate, und er definierte schließlich einen Sound, der die Durchschlagskraft des klassischen Heavy Metal um das Doppelte übertraf. Doppelt so schnell, doppelt so viele Nieten – im Power Metal war alles doppelt so viel. Accept, Jag Panzer und Warlock stärkten die Macht der doppelten Gitarren, des theatralischen Gesangs und des stampfenden Schlagzeugs – ohne die von Judas Priest und Iron Maiden aufgestellten Regeln radikal zu verändern. Durch sie wandelte sich auch das Image des Heavy Metal: Metallica trugen schwarze Spandexhosen und Patronengürtel, Anthraxwarfen sich in imitiertes Fell, Manowar schlüpften lieber in echtes, und King Diamond von Mercyful Fate schminkte sich ein Geistergesicht. Ihre Musik schützte den harten Kern des Metal vor MTV-Videokompromissen und ebnete kurze Zeit später dem Thrash Metal den Weg.

Fäuste nach oben:

Accept, Restless And Wild (1983)

Anthrax, Fistful Of Metal (1984)

Anvil, Metal On Metal (1982)

Exciter, Violence And Force (1984)

Jag Panzer, Ample Destruction (1984)

Manowar, Hail To England (1984)

Mercyful Fate, Don’t Break The Oath (1984)

Metallica, Kill ’Em All (1983)

Raven, All For One (1983)

Savatage, Sirens (1983)

Thrust, Fist Held High (1984)

Warlock, Burning The Witches (1984)

Warlord, Deliver Us (1983)

Das Versprechen, das von den Megaforce-Zöglingen ausging, stand in krassem Gegensatz zu den ärmlichen Verhältnissen, die ihren Alltag prägten. Mercyful Fate, die vor dem Vertragsabschluss mit Roadrunner vier Tage Studiozeit von einem winzigen holländischen Label angeboten bekommen hatten, machten sich auf den Weg in die Niederlande. „Das Studio befand sich auf dem Dach­boden einer Schule – es sah aus wie ein Feldkrankenhaus“, meint King Dia­mond. „Da haben wir gearbeitet. Dann haben wir drei oder vier Auftritte in Holland gehabt. Unser Auto war voll bis zum Dach mit Equipment, wir saßen drin und hatten Verstärker auf dem Schoß. Die Fahrt von Dänemark nach Hol­land dauerte achtzehn oder neunzehn Stunden. Als wir ankamen, konnten wir kaum gerade stehen – unsere Beine waren tot, unsere Arme waren tot, das war echt irre. Die Räder vom Transporter hatten sich nach außen verbogen. Unsere Freunde dachten, wir würden es nicht mal bis zur Grenze schaffen.“

Als Mercyful Fate 1984 in Amerika ankamen, hatten sie ihr Erscheinungs­bild auf der Bühne ihren zeremoniellen Ansprüchen angepasst. King Diamonds Mikrofon steckte auf einem Stativ, das aussah, als sei es aus Menschenknochen gefertigt; in San Francisco befanden sich die Mitglieder von Metallica unter der wartenden Menschenmasse. „Slayer klangen irgendwie wie Venom, und eine Weile klangen Metallica irgendwie wie eine aufgedrehte Fassung von Motör­head“,erinnert sich Ron Quintana.„Aber niemand klang wie Mercyful Fate,die schockierend gut waren und die, als wir sie dann endlich zu hören bekamen, wesentlich fortschrittlicher wirkten.“

Die Lebensumstände der Band hatten sich jedoch noch immer nicht verbessert. „Auf unserer ersten Tour durch Amerika mit Motörhead haben wir uns einen Bus geteilt, und es gab einfach kein Geld“, sagt King Diamond. „Ständig hatten wir das Problem, Geld für Benzin auftreiben zu müssen, um in die nächste Stadt zu kom­men. Wir bekamen drei Dollar pro Tag, und man musste sich entscheiden, ob man sich ein Päckchen Zigaretten oder einen Burger davon kaufte. Wir mussten uns Geld von zwielichtigen Leuten leihen und es ihnen später zurückzahlen, damit wir es in die nächste Stadt schafften. Wir haben das aber nicht als Problem betrachtet, weil wir es nicht anders gewöhnt waren. Wenn man dann später unter anderen Bedingungen auf Tour ist, weiß man den Erfolg echt zu schätzen. Wenn wir immer noch so touren würden, wäre ich inzwischen tot.“

Trotz dieser Belastungen sehnten sich die neuen, bei kleinen Labels unter Vertrag stehenden Bands danach, die legendären Touren von Iron Maiden und die Eroberungsfeldzüge, die Judas Priest und Black Sabbath vor ihnen unternommen hatten, neu zu inszenieren. Obwohl sich Metallica mit unzuverlässigem Equipment herumschlugen, war die Band dabei, einen Heavy-Metal-Traum zu verwirklichen: Sie spielte vor einem wach­senden Publikum unermüdlicher Fans bislang ungekannte Musik. Während Iron Maiden und Dio ihre Lkw-Flotten voller Scheinwerfergerüste und Laser­technik über Amerikas Autobahnen lenkten, waren Metallica bereit, über die Nebenstrecken zu fahren.

1983 organisierte Johnny Z. die erste Amerikatournee für seinen Top-Act Raven, deren energiegeladene LP All For One er von Neat Records lizenziert hatte.Auf der Suche nach einer Vorgruppe zog er seinen Joker.„Johnny Z.wollte uns rüberholen, damit wir in Amerika tourten“, sagt John Gallagher von Raven. „Er meinte: ‚Wir haben da diese junge Band, in Kalifornien sind das die Größ­ten.‘ Ich dachte: ‚Was? Größer als Y&T?‘ Dann legte er eine Cassette von der Band ein und es machte: ‚RRRRRRR!‘ Ich war völlig platt: ‚Was zum Teufel ist das denn?‘ Das waren natürlich Metallica.“

Zwar fiel es den Power-Metal-Bands leicht, in den Fanzines ebenso viel Aufmerksamkeit zu erhalten wie die Heavy-Metal-Stars, aber dennoch blieb es schwierig, ohne Unterstützung durch ein Majorlabel einigermaßen bequem auf Tour zu gehen. Die so genannte Kill ’Em All For One-Tour hatte Zazula selbst gebucht, und sie führte Raven, Metallica und die Tourcrew ohne größere Annehmlichkeiten durch das ganze Land. Siebzehn Leute wohnten wochenlang in einem einfachen Winnebago-Wohnmobil, das eigentlich für den Urlaub einer vierköpfigen Familie gebaut worden war. „Nach dem dritten Auftritt trie­ben wir den Tourmanager in die Ecke“,meint John Gallagher.„Wir verlangten: ‚Besorge uns Betten, in denen wir schlafen können, sonst bringen wir dich um.‘ Wir lebten von zehn Dollar pro Tag. Das war der totale Guerillakrieg.“

In den größeren Städten kam das Programm gut an. In Chicago probierte James Hetfield ein paar Showelemente aus, die er von Saxon abgeguckt hatte, und versuchte die Menge dazu zu bewegen, im Chor „Metal up your ass!“ mit­zugrölen. Zum Mitsingen funktionierte der abgelehnte Albumtitel gut – die Fans stellten sich vor der Bühne auf, reckten die Fäuste und schüttelten ihr schmutziges Haar in Anerkennung dieser derben jungen Band. Ein paar Exem­plare von Kill ’Em All, die Hetfield in die Menge geworfen hatte, wurden wie rohes Fleisch in den Fängen eines hungrigen Wolfs in Fetzen gerissen. Andere Auftritte waren weniger ermutigend. „In Arkansas wachten wir in einem Frei­lufttheater auf“,erinnert sich John Gallagher,„es war ein Amphitheater in einer natürlichen Senke mit einer Bühne, die von Totempfählen umgeben war. Drau­ßen parkten Lastwagen, von denen herunter Welse verkauft wurden. Die Leute von dort konnten keinen von uns Ausländern verstehen. Wir kamen mit unse­rer kleinen Ausrüstung an, um vor eintausend Leuten in einem Club zu spie­len, und die hatten uns in eine Arena mit zehntausend Plätzen gesteckt. An zwei Gabelstaplern war ein kleines Lichtgerüst befestigt, und es waren vielleicht drei­hundert Leute da. Peinlich ist gar kein Ausdruck.“

Vor allem aber besaßen beide Bands eine charmante Blauäugigkeit. „James hat die Musik gemacht, und Lars hat ihr den Anstoß gegeben“, sagt John Gal-lagher. „Wir waren ein paar Jahre älter und hatten sehr viel mehr gespielt. Die waren einfach echt glücklich, auf Tour zu sein. Man merkte, dass Lars der Geschäftemacher war. Lars konnte an seinem Schlagzeug oben und unten nicht unterscheiden. Er musste das Resonanzfell seiner Snaredrum wechseln, wusste aber nicht, wie man den Snare-Teppich ausbaut, also hat er ihn mit einer Zange abgezwackt. Das war egal.“

Obwohl Power Metal noch weit davon entfernt war, seinen Erfolg in Platin-Platten messen zu können, trieb ihn die Unterstützung der Fans rasch voran. Junge Metal-Fans erinnerten sich an selbst gemachte Demotapes wie „No Life ’Til Leather“, die Metallica-Cassette, die inzwischen tausendfach kopiert wor­den war, gründeten eigene wilde, neue Bands und verbreiteten und bewarben deren Musik in Briefen und Fanzines. Während Brian Slagel kaum genug Bands gehabt hatte, um den ersten Metal Massacre-Sampler zu füllen, überfluteten ihn nun jede Woche dutzende Gruppen mit ihrer Musik.

Die fanatische, wilde Anhängerschaft spielte beim Aufstieg des Power Metal eine derart große Rolle, dass sie kaum überschätzt werden kann. Cassettentausch war ein einzigartiges Verbreitungs- und Promotionsystem, das bei zunehmen­dem Erfolg des betreffenden Künstlers entsprechend an Dynamik gewann, die Kreativität generell anregte und auch Minitrends förderte. Durchgeknallte Bands wie Overkill, Hirax und Voivod verkauften tausende von Demobändern allein deshalb, weil sie in der Fanzinepresse gelobt, in Anzeigen von Cassettenhändlern genannt oder in den Dankeslisten auf den Platten und Cassetten anderer Bands erschienen waren. Danach schlossen sie Plattenverträge ab, durch die ihnen gewisse, wenn auch beschränkte Verkaufszahlen sicher waren.

Wie die NWOBHM bestand auch die Power-Metal-Bewegung aus autarken, innovationssüchtigen Erfindern. Statt sich aber in einer Stadt wie London zu bal­len, waren die Bands geografisch verstreut. Während sich ein breites Netzwerk aus Fanzines und winzigsten Plattenlabels entwickelte, hob das öffentliche Bewusst­sein die Underground-Szene auf ein neues Niveau der Möglichkeiten. Immer mehr Fans begannen, über MTV hinauszublicken.„Wir hatten keine Ahnung, dass so ein Monster daraus entstehen würde“,sagt Dan Lilkervon Anthrax.„Es war sehr aufregend, und wir hofften, die ganze Geschichte würde sich gut entwickeln. Das war eine ganz entscheidende Zeit für dieses Zeug in Amerika.“

 

Im ganzen Land entwickelten sich die Musik und das Drum­herum immer wilder und abgefah­rener. Nasty Savage aus Florida lie­ßen die sensationellen Showein­lagen der Plasmatics wieder auf­leben, indem sie einen Fernseher auf der Bühne zerschlugen, verbes­sert allerdings dadurch, dass er auf dem gepanzerten Brustkorb des Sängers Nasty Ronnie zerschmet­tert wurde. Die Band Medieval ähnelte einer verzerrten Form von Metallica aus den Vorstädten von Michigan. Auf ihrem Demo „All Knobs To The Right“ war schlam­miger Thrash von Bandmitglie­dern zu hören, die alle den krypti­schen Künstlernamen „Ambuist“ angenommen hatten. Dann gab es noch Agent Steel aus Los Angeles mit ihrem Frontmann John Cyriis, der sich selbst als Weltraum-Alien bezeichnete. Der naive Schreihals, der eine kurze Afrofrisur trug und sich mit einem Patronengürtel behängte, hatte seine robusten Mitstreiter überredet, ihre Lederklamotten gegen aufeinander abgestimmte orangefarbene Overalls einzutauschen. Die Under­ground-Metal-Szene förderte derartige Visionen. Die Bezugspunkte, die sich daraus ergaben, definierten – wenn man sie miteinander zu einem Umriss ver­band – eine Bewegung.

Obwohl die Bilderwelt des Power Metal unsagbar machomäßig sein konnte, war es dennoch wichtig festzustellen, dass die Musik junge Frauen ebenso ansprach wie Männer. Lange bevor Xena dies unter Beweis stellte, gab es bereits viele Frauen,die lieber mit Schwertern als mit Barbiepuppen spielten.„Ein Mäd­chen sein? Das hat mir überhaupt nichts gesagt“, meint „Metal“ Maria Ferrero, die sich ihre Motörhead-Platten bei Johnny Z. gekauft hatte, bevor sie die erste Angestellte von Megaforce Records wurde. „Ich hatte nie das Gefühl, dass mich die Tatsache, dass ich eine Frau war, von irgendetwas abgehalten hat oder dass man mich deswegen anders angesehen hätte. Ich fühlte mich eher stärker, weil ich mit dem ganzen Kram zu tun hatte und viele andere Frauen nicht.“

In einem Zeitalter der Falsettschreie waren Frauen durch ihre von Natur aus höhere Stimmlage erstaunlich gut als Sängerinnen für Power-Metal-Bands geeignet, die nach den höchsten, durchdringendsten Klagelauten Ausschau hiel­ten. Die Stimmen von Betsy Weiss von der frühen Metal-Blade-Band Bitch, Nicole Lee von Znowhite,Doro Pesch von der deutschen Band Warlock,„Kate“ von der belgischen Gruppe Acid, Dawn Crosby von DŽtente, Ann Boleyn von Hellion, Debbie Gunn von Sentinel Beast aus Sacramento, die französische Thrash-Band Witches und die schwedische Band Ice Age, Lynda „Tam“ Simp­son von Sacrilege aus Großbritannien und Lori Bravo von Nuclear Death deck­ten alle das gesamte Spektrum vom Glissando bis zum Kehllaut ab. Diese Musi­kerinnen bekamen es, als sie dem Vorbild der weiblichen Metal-Pioniere Girl­school folgten, im Plattenbusiness mit Diskriminierung zu tun, aber sie konn­ten sich gegen die häufigen Chauvinismen zur Wehr setzen, indem sie auf die alte Botschaft des Metal setzten, auf die eigene Kraft zu vertrauen. In dieser Gründerphase war die Metal-Szene eine progressive Bewegung und sehr viel weniger sexistisch als die Rockmusik insgesamt.

Dennoch schien das Musikbusiness noch immer von Heavy Metal über­fordert. Noch im September 1984, als jeder, der einen Puls hatte, das Pochen von Metallica spüren konnte, torkelte Musicians durch eine Heavy-Metal-Sonderausgabe, in der die lederbejackten Teenybopper Billy Idol und Joan Jett als Highlights präsentiert, die zweitrangigen Bands Fastway und Krokus geprie­sen und die heiligen Iron Maiden zur schlechtesten aktuellen Metal-Band erklärt wurden. Es schien, als wollten die Herausgeber metrische Gewichte mit dem Zollstock messen – als seien sie vollkommen unfähig, die Veränderungen um sich herum zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn Johnny Z. es jedoch geschafft hätte, Metallica einen Vertrag zu ver­mitteln, anstatt ihre Alben in Eigenregie zu veröffentlichen, wäre die Flugbahn des Heavy Metal eine ganz entschieden andere gewesen. Zur Zit von Kill ’Em All riss sich die Musikindustrie darum, Heavy-Metal-Bands unter Vertrag zu nehmen. Darunter verstand sie häufig „metallisierte“ Versionen von Hardrock­bands der Siebziger wie Y&T, Rainbow und sogar Michael Bolton. Selbst im Fall so ungestümer Gruppen wie Tygers of Pan Tang und der Schweizer Krokus unterschrieb kein Label einen Vertrag, ohne die Musik in radiofreundliches Gewässer zu lenken und sie damit genau jener Härte zu berauben, welche die Fans in erster Linie ansprach. Glücklicherweise wurde der Sound von Metallica von den Talentsuchern kaum anders wahrgenommen als amateurhafter Lärm, der sich kein bisschen für den öffentlichen Konsum eignete.

Zum Glück begannen die großen Plattenfirmen dem Metal-Underground erst nach den Erfolgen von Megaforce ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Als diese Zeit schließlich gekommen war, konnten sich die härteren Bands längst auf eine loyale nationale und internationale Anhängerschaft stützen, die sie über Fanzines und aufreibende Touren aufgebaut hatten. Eine wachsende Zahl von Fans hatte gelernt, die großen Namen links liegen zu lassen und sich direkt auf den harten Stoff zu stürzen. Es allein geschafft zu haben gab den Musikern bei Verhandlungen mit der Industrie entscheidende Druckmittel in die Hand – und ambitionierte Bands wie Metallica gewannen dadurch die Zeit, länger an ihrem akustischen Angriff zu feilen und unter ihren eigenen impul­siven Bedingungen zu wachsen.


Metal Forces Nr. 3


Das erste offizielle Metallica-Foto (Megaforce Records)


Die New Yorker Thrasher Anthrax mit ihrem hoch gewachsenen Sänger Neil Turbin, 1983


Das Shirt zur Kill ’Em All For One-Tour 1983


Nasty Ronnie von Nasty Savage schreibt nette Zeilen

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