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Der Frauenmörder

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Der Frauenmörder
Der Frauenmörder
Аудиокнига
Читает Ulrich Tukur
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»Drei Menschen«

Der Direktor des Kleist-Theaters, Herr Hohlbaum, saß abends, während gerade »Fräulein Julie« von Strindberg gespielt wurde, in seinem prunkvollen Privatbureau und stritt mit seinem ersten Dramaturgen, Dr. Weisl aus Wien.

»Lieber Doktor Weisl, öden Sie mich nicht an! Was heißt, der Name Kleist-Theater verpflichtet? Soll ich pleite gehen, weil das Theater den Namen vom seligen Kleist hat? Ich pfeif‘ Ihnen etwas auf Ihre Literatur! Zugstücke und ausverkaufte Häuser brauch‘ ich, nicht literarische Schmonzes, die in den Zeitungen gelobt werden und keine Katz‘ ins Theater locken! Verpflichtet ist gut gesagt! Wer ist aber verpflichtet, die Pacht und die Gagen zu bezahlen? Kleist oder ich? Na also, wenn ich verpflichtet bin, so sind Sie verpflichtet, gute, das heißt kräftige Stücke herbeizuschaffen!«

Ein Diener kam und brachte den Kassenbericht.

»Nu, da schauen Sie sich die Einnahmen von heute an! Nicht einmal genug, um den halben Tagesetat zu decken. Lieber Weisl, wenn ich pleite machen werde, so habe ich eine Genugtuung: Sie gehen mit mir mechulle!«

Dr. Weisl war wütend und schrie:

»Meinethalben geben Sie den »Schinderhannes«, vielleicht ist das ein Geschäft!«

»Den ‚Schinderhannes‘ gerade nicht, aber wenn ich jemanden finden würde, der mir innerhalb von drei Tagen den Fall Hartwig dramatisiert — Wäre keine schlechte Idee! ‚Der Romancier als Mörder‘ oder ‚Der blutige Roman‘ oder einfach ‚Kämpfende Seelen‘, wie sein Roman heißt.«

Weisl machte eine wegwerfende Bewegung, nahm in einem unbeobachteten Augenblick drei Zigarren aus der Kiste und sagte:

»Also, wollen wir als nächste Novität den neuen Unruh bringen?«

Aber Hohlbaum antwortete nicht. Stierte mit weit aufgerissenen, glasigen Augen vor sich hin, ließ die Zigarrenasche auf seine Weste fallen und begann so schwer zu atmen, daß Weisl fürchtete, der Name Fritz von Unruh werde bei seinem Direktor einen Schlaganfall verursachen.

Plötzlich sprang Direktor Hohlbaum auf, machte einen Satz gegen den Dramaturgen und keuchte heiser:

»Sie, Weisl, entweder bin ich total meschugge oder — Vor ein paar Monaten ist jemand, der Thomas Hertwig oder Hartwig oder Hartung heißt, bei mir mit einem Stück gewesen. Ich habe es gar nicht angeschaut, sondern da in den Kasten geschmissen! Aber so wahr ich Hohlbaum heiße, der Mann war blond und genau so, wie die Zeitungen den Mörder beschreiben — vielleicht ist er es gewesen!«

Auch Weisl wurde von der Erregung des Direktors ergriffen und beide begannen in einem großen Bureauschrank mit Rolltüre zu wühlen, daß die Staubwolken den Raum verdunkelten und Niesanfälle verursachten.

»Die träumende Göttin« — »Elsas Hochzeit« — »Das bittere Ende« — Titel und Namen, begrabene Hoffnungen kamen zum Vorschein und Weisl schrie wütend:

»Warum halten Sie das bei sich, statt es mir zu geben? Bin ich Ihr Dramaturg oder nicht?«

Ein gellender Aufschrei Hohlbaums folgte statt einer Antwort:

»Da ist es, Doktorchen, da — das ist das Stück - ‚Drei Menschen‘ von Thomas Hartwig! Und da steht die Adresse: Novalisstraße zehn — stimmt! Weisl, das ist der große Treffer, das ist die Rettung, das ist die Sensation! Weisl, ich lege Ihnen zur Gage zu - das heißt, wenn das Stück zieht!«

Sauber, in Maschinenschrift, lag das geheftete Manuskript vor ihnen.

Drei Menschen, ein Drama aus dem bürgerlichen Leben von Thomas Hartwig.

Und der Direktor ließ Bier und belegte Brötchen kommen, gab Auftrag, niemand vorzulassen, und Dr. Weisl las langsam das Drama des Mannes vor, der demnächst fünf ruchlose Mordtaten vor den Geschwornen verantworten sollte. Als er fertig war, wischte er sich den Schweiß aus der Stirn und war sehr bleich. Und Direktor Hohlbaum lehnte sich, während es um seine wulstigen Lippen zuckte, mit geschlossenen Augen zurück und gedachte vergangener Zeiten, da er noch ein Mensch gewesen und das Feuer ehrlicher Begeisterung für Theater und Literatur in seiner Brust getragen.

Weisl sagte leise:

»Es ist ein gewaltiges Werk, das verdient hätte, aufgeführt zu werden, auch wenn der Autor nicht des Mordes angeklagt ist.«

»Ja, es ist ein großes Stück! Weisl, das geht die ganze Saison, und wenn der Hartwig geköpft wird, so werden wir die Tantièmen dem Verein zur Rettung entlassener Sträflinge widmen. Das macht einen guten Eindruck!«

Am nächsten Morgen um neun Uhr erschien der Anwalt des Kleist-Theaters im Landgericht, ließ Hartwig vorführen, dessen Augen aufleuchteten, als er hörte, daß sein Stück aufgeführt werden sollte. Er gab ohne weiteres die Einwilligung, nur stellte er zur Bedingung, daß die Erstaufführung an dem Tage stattfinden müsse, an dem sein Prozeß vor den Geschwornen begänne. Auch behielt er sich eine beratende Stimme bei der Rollenbesetzung vor. Nach kurzem telephonischen Hin und Her war das in Ordnung gebracht, mittags enthielten die Zeitungen die ersten Nachrichten von dem kommenden sensationellen Theaterereignis, am Nachmittag wurden die Rollen ausgeschrieben, am nächsten Tag war die erste Leseprobe und bald wartete das sogenannte ganze Berlin mit fieberharter Spannung auf den Prozeß und die Premiere der »Drei Menschen« im Kleist-Theater.

Das große Rätsel

Der vom Gericht zum Verteidiger Hartwigs bestimmte Rechtsanwalt Fritz Nagelstock nahm seine Aufgabe sehr ernst. Er war jung, erst seit zwei Jahren Anwalt, kämpfte mit materiellen Schwierigkeiten, glaubte aber an sich und hatte längst auf einen Fall gewartet, der ihn berühmt machen könnte. Dieser Fall war nun da, einen stärkeren Sensationsprozeß hätte sich auch der bedeutendste Anwalt nicht wünschen können. Allerdings brachte ihn das Verhalten Hartwigs zur hellen Verzweiflung.

»Mensch,« sagte er ihm immer wieder, »spielen Sie doch nicht um Ihren Kopf! Sie haben nur den einen und der ist sehr wertvoll! Wenn Sie schon dem Untersuchungsrichter gegenüber nicht reden wollen, so müssen Sie doch mir alles beichten, damit ich meine Verteidigung aufbauen kann. Ganz Berlin, nein, ganz Europa interessiert sich für Sie, die Zeitungen veröffentlichen täglich seitenlange Artikel über Ihren Roman, über das Stück, Sie werden ja schon bei lebendigem Leib seziert. Nutzen Sie das, geben Sie mir die Möglichkeit, die Geschwornen von Ihrer abnormen Geistesbeschaffenheit zu überzeugen, und wir haben gewonnenes Spiel. Herr Hartwig, tatsächlich liegt bei Ihnen ja auch ganz zweifellos eine schwere Nervenstörung vor, ein psychischer und physischer Riß. Man ermordet doch nicht wegen lumpiger dreißig- oder vierzigtausend Mark fünf Frauenzimmer, wie man Hühner umbringt, um ihre Leber als Ragout zu genießen! Sagen Sie mir, was in Ihnen vorgegangen ist, erklären Sie mir die mystischen Triebe, unter denen Sie leiden, beschreiben Sie die Willenslähmung, von der Sie befallen worden sind, und lassen Sie das andere meine Sache sein. Kenne ich erst Ihr Geheimnis, so werde ich es zu werten wissen! Willenslähmung, Suggestion durch eine mystische Macht, Trübung des Bewußtseins, unwiderstehlicher Trieb — das sind wunderbare Sachen, Herr Hartwigl Man wird Sie nicht verurteilen, sondern nach Dalldorf bringen und dann nach einem Jahr als geheilt entlassen. Nun, in Dalldorf können Sie mit dem Vermögen, das Ihr Buch trägt und Ihr Drama einbringen wird, wie ein Fürst leben und zwei neue Stücke schreiben. Aber reden müssen Sie, Mensch, mir müssen Sie alles sagen!«

Auf welche Ergüsse Hartwig jedesmal ruhig lächelnd erwiderte:

»Ich werde Ihnen gar nichts sagen, lieber Herr Rechtsanwalt! Zunächst wünsche ich, daß die Staatsanwaltschaft mir meine Schuld beweist. Hat Sie dies getan, so werde ich vielleicht sprechen.«

Und dabei blieb es, und Nagelstock mußte sich sagen, daß diese Taktik gar nicht die dümmste sei. Denn in noch größerer Verlegenheit als er befand sich der erste Staatsanwalt am Landgericht Berlin I, Hellmut Röhrich, der die Anklage vertreten mußte.

Ja, welche Anklage denn eigentlich? Zweifellos hatte Hartwig die Müller, die Möller, die Jensen, die Pfeiffer und die Cohen ermordet und beraubt. Also fünffacher Raubmord. Wo aber waren die »Corpora delicti«, wo die Leichen oder wenigstens Teile von ihnen oder zumindestens Gegenstände aus dem Besitz der Weiber, aus deren Beschaffenheit man auf Mord hätte schließen können? Vergebens hatte man wieder und immer wieder die ganze weitere Umgebung Berlins in einem Umkreis von hundert Kilometern, die Gehölze, die Seen und Flüsse abgesucht. Nichts hatte man gefunden. Auch die verschiedenen Haussuchungen im Zimmer Hartwigs und in der ganzen Wohnung der Frau Armbruster waren ergebnislos verlaufen. Nicht ein Band, nicht ein Schmuckstück, nichts fand sich vor, was einer der Ermordeten hätte gehören können. Und dazu kam noch, daß dieser Krause, seit er wieder Joachim von Dengern war, die Behörden vollständig im Stich ließ. Wohl blieb der Kriminalkommissär Dr. von Dengern des öfteren seinem Bureau ferne, weil er angeblich in Sachen Hartwigs Nachforschungen anstellte, in Wirklichkeit aber hatte man von ihm keine Hilfe mehr gefunden, der Fall Hartwig schien für ihn erledigt, er hüllte sich in eisiges Schweigen, und so oft der Staatsanwalt ihn zu sich bat, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen, erklärte er immer wieder achselzuckend:

»Ich habe meine Schuldigkeit getan, tun Sie nun die Ihrige und erheben Sie getrost die Anklage.«

Bis eines Tages im Oktober der Staatsanwalt sich wirklich entschloß, die Anklage gegen Thomas Hartwig wegen Meuchelmord, begangen an Trude Müller, Grete Möller, Annemarie Jensen, Käte Pfeiffer und Selma Cohen zu erheben. Eine rein auf Indizien gestützte Anklage, wie sie eigenartiger, bedenklicher und doch schließlich begründeter kaum jemals in den Annalen der deutschen Rechtsgeschichte erhoben worden war.

 

Nagelstock aber rieb sich vergnügt die Hände. Er wußte ganz gut, daß er von vornherein Einspruch gegen die Klageerhebung hätte einlegen können, daß es schließlich nicht so unmöglich wäre, den Prozeß, wenn schon nicht zu verhindern, doch auf Monate hinaus vertagen zu lassen. Aber darum war es ihm nicht zu tun; er brauchte und wollte diesen Prozeß und je kühner die Anklage, desto größer die Möglichkeit eines Erfolges vor den Geschwornen. Nagelstock kannte den Roman Hartwigs schon fast auswendig; er besuchte nun auch noch alle Proben des Stückes »Drei Menschen«, er studierte Mantegazza und Lombroso und Krafft-Ebing, er korrespondierte mit Freud in Wien, konsultierte die bedeutendsten Psychoanalytiker der Welt, bewog Gelehrte aus Paris, London und Rom, sich als Sachverständige anzubieten, kurzum, er bereitete einen Prozeß vor, wie ihn die Welt noch nicht erlebt haben sollte.

Interessierte sich aber Dengern, seitdem er in Amt und Würden war, wirklich nicht mehr für den Fall Hartwig? Ließ er absichtlich die Anklagebehörde in Stich? Keineswegs! Ohne davon Aufhebens zu machen, forschte er weiter, tat das Möglichste, um die grauenhaften Verbrechen des Romanschriftstellers aufzuklären. Allerdings — er benahm sich nicht wie die Detektivhelden in den Romanen, er untersuchte nicht die Stiefelsohlen Hartwigs, um aus Erdklümpchen auf die Gegend zu schließen, in die der Mörder vielleicht Ausflüge gemacht hatte, er glaubte nicht an Wunder und geheime Spuren bildete sich nicht ein, auf eigene Faust Dinge zu entdecken, die Hunderten von braven, im Dienst erprobten Polizeibeamten und Gendarmen entgangen wären. Aber um so intensiver forschte er der Vergangenheit Hartwigs nach, fuhr nach Köln, um die Jugend des Mannes zu ergründen, nahm immer wieder die fünf Briefe der fünf verschwundenen Mädchen vor, konnte stundenlang ihre hinterlassenen Habseligkeiten betrachten und mustern.

In Köln machte Dengern unschwer Jugendgefährten Hartwigs ausfindig, die mit ihm dort das Gymnasium besucht hatten. Und nach vielen Besprechungen mit ehrsamen Kaufleuten, einem Apotheker, einem Rechtsanwalt, einem Arzt und einem Bummler, der sich als Versicherungsagent durchschlug, entwickelte der Kriminalkommissär folgendes Bild von dem Knaben Hartwig:

Ein wenig zaghaft und zurückhaltend, aber nie Spielverderber. Hilfsbereit den weniger begabten Kameraden gegenüber, für die er, wenn es sein mußte, bis in die Nacht hinein Aufsätze verfaßte. Hartwig was als Knabe und Jüngling jeder Roheit unfähig gewesen, hatte bei ernsten Prügeleien stets vermittelnd eingegriffen, konnte aber jähzornig werden, wenn er Tierquälereien beiwohnte. Den Verkehr mit seinem besten Freund hatte er aufgegeben, weil dieser nicht davon ablassen wollte, Käfer und Schmetterlinge für seine Sammlung zu fangen und zu präparieren.

Dengern bekam vom Rektor des Wilhelm-Gymnasiums in Köln die Erlaubnis, die zu Bündeln verpackten, verstaubten und vermoderten Schulhefte der früheren Jahrgänge zu durchstöbern, um deutsche Schulaufsätze Hartwigs zu finden. Stundenlang suchte er auf dem Dachboden des Gymnasiums in Staub und Spinnetzen, bis er die Hefte fand, in die vor fünfzehn, sechzehn Jahren Thomas Hartwig seine deutschen Arbeiten geschrieben hatte. Mit ihnen eilte er in sein Hotelzimmer und las alle diese gequälten, unnatürlichen und lebensfremden Stilübungen durch, die die Schule unter den Devisen »Schuld und Sühne der Jungfrau von Orleans«, »Das Leben ist kurz, spricht der Weise, spricht der Tor«, »Wie verbrachte ich meine Osterferien?« und so weiter verlangt. Immerhin — manch kühner, origineller Gedanke fiel ihm auf, vor allem aber die meisterhafte Beherrschung der Sprache und das peinliche Bestreben, unpathetisch zu bleiben und der Phrase aus dem Weg zu gehen.

Die glanzlosen, gleichgültigen Augen Dengerns belebten sich. »Was ist das größte Verbrechen, das der Mensch begehen kann?« lautete ein Thema in der Unterprima und Hartwig hatte es präzise, klar und logisch dahin bearbeitet, daß das verdammenswerteste Verbrechen die Vernichtung eines Lebens, der Mord sei. Durch den Mord, zu selbstsüchtigen Zwecken begangen, vernichtet man die ungeahntesten Möglichkeiten, begeht man ein Verbrechen gegen die ewige Harmonie der Natur, vergewaltigt man das Unverletzlichste. Jedes Verbrechen kann gesühnt und verziehen werden, nur der Mord nicht, weil der, der getötet wurde, nicht mehr Verzeihung gewähren kann. Man tötet einen Menschen und vernichtet dadurch nicht nur ihn selbst, sondern vielleicht auch eine große Idee, die dieser Mensch zum Segen der Welt entwickelt und ausgeführt hatte. Wehe der Mutter, die, um Not und Schande zu entgehen, ihr eben geborenes Knäblein tötet. Denn wer weiß, ob sie nicht in ihm einen neuen Heiland, nach dem die Welt lechzt, ermordet hat. Verzeihung allen armen Sündern, allen Gestrauchelten, allen Opfern eines unsinnigen sozialen Kampfes! Nur dem Mörder darf keine Verzeihung gegeben werden, weil fremdes Leben auslöschen, eine Welt vernichten heißt.«

Da der Unterprimaner Hartwig im weiteren Verlaufe des Aufsatzes auch den Krieg als Massenmord verdammt hatte, bekam er ein »Ungenügend« mit dem Zusatz »Wenig patriotisch gedacht!«

Dengern aber war tief ergriffen, steckte das Heft ein, schnitt sein unergründlichstes Gesicht und machte einen ausgedehnten Spaziergang den Rhein entlang, um allerlei Gedanken zu ordnen, Mit Lotte Fröhlich hatte Dengern wieder Verbindung gesucht, aber nicht gefunden. Er hatte ihr auf der Straße aufgelauert und sie angesprochen. Lotte, schön und lieblich wie nur je, wenn auch ein wenig blaß, pfauchte ihn wie eine Wildkatze an:

»Gehen Sie mir aus dem Weg, Sie abscheulicher Mensch! Sie haben sich an mich wie ein Dieb herangeschlichen, um mich auszuforschen. Das ist niedrig und gemein!«

Dengern lächelte müde.

»Sie haben so unrecht nicht, Fraulein Fröhlich, es ist wirklich kein schöner Beruf, Jagd auf Menschen machen zu müssen. Immerhin, es kann das auch seine guten Seiten haben, mein verehrtes, gnädiges Fräulein!«

Mit diesen Worten war Dengern davongeeilt und Lotte blieb ein wenig beschämt und verdutzt stehen.

Dengern machte dann die Bekanntschaft der Frau Lämmlein, bei der Lotte Fröhlich am Lützow-Ufer wohnte, und es gelang ihm, das Vertrauen der alten Dame zu erwerben, um so mehr, als er sich als Wein- und Likörreisender eingeführt hatte, der nie auf Aufträge drängte, aber immer nette, kleine Musterflaschen zur Verfügung stellte. Frau Lämmlein liebte ihre junge, schone Mieterin aufrichtig, fast mutterlich, aber in letzter Zeit nicht mehr so sehr wie einstens.

»Nein, diese jungen Mädchen von heute,« klagte sie. »Früher hieß es immer Hartwig hin und Hartwig her und wenn er mittags anrief, ließ sie den Suppenlöffel vor Eile fallen und ich dachte an eine große Liebe, die sicher früher oder später zur Ehe führen würde. Und nun, als dieser Unglücksmensch, der Hartwig, verhaftet wurde — glauben Sie, das Mädel wäre zusammen-gebrochen? Keine Spur, nicht einmal geweint hat es! ‚Reden wir nicht davon,‘ sagte sie jedesmal abweisend, wenn ich sie trösten wollte! Herzlos, einfach herzlos, sage ich Ihnen!«

Dengern stellte noch andere Fragen, sprach bei jedem Besuch immer wieder über Fräulein Fröhlich, so daß Frau Lämmlein schließlich die Überzeugung gewann, der Weinagent liebe das Mädchen selbst. Um so mehr, als er sie einmal gebeten hatte, das Zimmer des Fräulein Fröhlich zu betreten, da er als Junggeselle noch nie Gelegenheit gehabt, so ein »Jungesmädelzimmer« zu sehen. Frau Lämmlein tat ihm den Gefallen, schon deshalb, weil sie diesmal eine Flasche Eierkognak als Muster erhalten hatte. Und da sie gerade in diesem Augenblick zum Fernsprecher gerufen wurde, hatte Dengern Gelegenheit, einige Minuten in Lottes Zimmer allein zu bleiben.

Der große Prozeß

Endlich konnten die Zeitungen das große Doppelereignis ankündigen. Am 5. November sollte im Schwurgerichtssaal der auf zwei Tage anberaumte Prozeß gegen Thomas Hartwig beginnen, am Abend des 5. November die Erstaufführung von »Drei Menschen« im Kleist-Theater vor sich gehen.

Die Berliner Gesellschaft stand Kopf vor Aufregung und rüstete sich für die schwere Aufgabe, die ihrer harrte. Galt es doch, sich Sitze für die Erstaufführung und eine Einlaßkarte in den Schwurgerichtssaal zu verschaffen. Das eine gehörte unbedingt zum anderen. Man würde tagsüber allen Phasen des Prozesses gegen den schweigenden Mörder lauschen und abends im Frack, in großer Toilette den Worten des redenden Dichters. Und es begann ein gewaltiger Ansturm, ein Wettlaufen um beide Karten, die Einsetzung des ganzen Einflusses, die Erneuerung der Bekanntschaft mit Abgeordneten und anderen einflußreichen Tieren. Denn wenn es auch durch Bezahlung des zehnfachen Preises mit Hilfe von Kartenagenten gelang, einen Sitz oder gar eine Loge in Kleist-Theater zu bekommen, so nützte aller Reichtum für den Schwurgerichtssaal nichts, wenn man nicht durch besondere Beziehungen eine Empfehlung an den Vorsitzenden im Prozeß Landgerichtsrat Muhr oder an den Staatsanwalt Röhrich hatte.

Um zehn Uhr vormittags begann im Kleist-Theater die Generalprobe zu »Drei Menschen« vor geschlossenen Türen, genau um dieselbe Zeit erklärte der Vorsitzende die Verhandlung für eröffnet und erteilte dem Staatsanwalt das Wort zur Verlesung der Anklageschrift.

Hartwig saß zwischen zwei Gefängniswärtern auf der Anklagebank, und obwohl er sich ersichtlich bemühte, den Eindruck vollster Gleichgültigkeit hervorzurufen, sah man ihm doch unschwer die äußerste Aufregung an. Er zuckte mit den kurzsichtigen blauen Augen, fuhr sich immer wieder mit der Hand über das Gesicht und seine blonden Haare klebten feucht an der Stirne. Nur wenn er musternd die Augen über die Zuhörerschaft, die Damen und Herren der ersten Berliner Gesellschaft, die Künstler, Schriftsteller, Zeitungsleute von Rang und Bedeutung gleiten ließ, blitzte es ironisch in seinem Gesicht auf.

Die vielen, vielen Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft oder dem Verteidiger geladen worden waren, mußten vor Verlesung der Anklageschrift den Saal wieder verlassen, nur die auf dringendes Verlangen des Dr. Nagelstock herbeigerufenen Sachverständigen auf psycho-pathisch-pathologisch-analytischem Gebiete blieben und musterten einander mißtrauisch und hämisch. Sowie einer etwas niederschrieb, ergriffen rasch auch die anderen ihre Bleifedern, um zu kritzeln.

Der Staatsanwalt faßte zuerst knapp und nüchtern die Ereignisse zusammen, die zur Verhaftung des Thomas Hartwig geführt hatten, und sagte dann:

»Nie noch ist einer Anklagebehörde eine so seltsame Aufgabe zugefallen wie diesmal. Sie weiß, daß fünf heiratslustige Mädchen verschwunden sind, sie kann exakt nachweisen, daß nur Thomas Hartwig der Bräutigam war, mit dem Jede der Fünf die verhängnisvolle Reise unternommen hat. Sie weiß und kann es beweisen, daß Hartwig einen groß angelegten Plan entworfen hat, um Mädchen, die heiraten wollen, ganz allein im Leben stehen und etwas Vermögen besitzen, an sich zu locken, zu töten und zu berauben. Mit einem Wort: Die Anklagebehörde kann erweisen, daß Thomas Hartwig, der Romancier und Dramatiker, dessen Werk heute seine Taufe erleben wird, ein gemeiner Mörder, ein fünffacher Raubmörder ist, wie er in gleicher Scheußlichkeit noch niemals die Berliner Geschwornen beschäftigt hat. Nur eines kann die Staatsanwaltschaft nicht erbringen: Den greifbaren Beweis dafür, daß die fünf armen Opfer Hartwigs wirklich ermordet worden sind. Es gilt daher ein Indizienverfahren nicht darüber, wer der Mörder ist, sondern darüber, daß der Mörder, den wir haben, auch wirklich gemordet hat! Hartwig selbst spricht nichts, verteidigt sich nicht, verweigert Auskunft und Antwort. Aber gerade diese Verstocktheit und Hinterhältigkeit gibt Zeugnis gegen ihn, und wenn ich auch nicht in der Lage bin, Ihnen, meine Herren Geschwornen, Leichen und schauerliche Körperteile der Ermordeten zu zeigen, so wird doch sehr bald niemand auch nur im entferntesten daran zweifeln können, daß Thomas Hartwig genau so raffiniert, wie er die Verbrechen begangen, auch deren Spuren vertilgt hat.«

Und nun begann das Verhör mit Hartwig, der zuerst die Richtigkeit der vorgelesenen Geburtsdaten bestätigte. Dann fragte der Präsident mit erhobener Stimme:

»Angeklagter, Sie haben die Anklageschrift gehört und verstanden? Bekennen Sie sich der Ihnen zur Last gelegten Taten schuldig?«

Ein Augenblick der Totenstille, dann sagte Hartwig laut und klar:

»Nein!«

Aufregung im Saal, Raunen und Murmeln. Bisher hatte Hartwig sich geweigert, vor dem Untersuchungsrichter diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten. Nunmehr schien sein Nein zu beweisen, daß er die bisherige Taktik der Antwortverweigerung aufzugeben bereit sei. Der Verteidiger Nagelstock, der Staatsanwalt, die Beisitzenden, die Geschwornen, die Zuhörer, sie alle beugten sich gespannt vor, als nun der Präsident eine weitere Frage stellte:

 

»Angeklagter, wollen Sie eine zusammenhängende Darstellung geben oder ziehen Sie es vor, meine Fragen zu beantworten?«

Gesteigerte Aufregung.

»Weder das eine noch das andere, Herr Präsident. Ich erkläre hiemit nochmals, daß ich unschuldig bin, werde aber vorläufig keinerlei Fragen beantworten, sondern behalte mir vor, späterhin weitere Aussagen zu machen. Im übrigen stehe ich nach wie vor auf dem Standpunkt, daß nicht ich meine Unschuld zu beweisen habe, sondern es Sache des Gerichtes ist, meine Schuld zu erhärten.«

Rufe im Publikum, Murren auf den Geschwornenbänken, Tuscheln unter den Zeugen.

»Sie weigern sich vorläufig, auf irgendeine meiner Fragen zu antworten?«

»Jawohl, Herr Präsident.«

»Herr Verteidiger, können und wollen Sie Ihrem Klienten nicht klarmachen, daß seine Taktik verfehlt, ja geradezu selbstmörderisch sei?«

Nagelstock fuhr auf.

»Herr Präsident, seit Wochen tue ich ja nichts als das! Aber er will nicht einmal mir Antwort geben! Der beste Beweis, daß er total mesch—, ich meine verrückt ist!«

Der Präsident winkte ab.

»Gut, dann werde ich mit der Vernehmung der Zeugen beginnen.«

Und nun wurden sie alle, eine nach der anderen, vorgerufen: die Wirtin, der Müller, der Möller, der Jensen, der Pfeiffer und der Cohen. Unter ihrem Eid mußten sie ausführlich von dem Einzug der betreffenden Dame, deren Aussehen, jeder Äußerung über den geheimnisvollen Bräutigam berichten. Und schließlich konnten die, die diesen Bräutigam zu Gesicht bekommen hatten, ebenso wie der Portier Zimmermann mit Bestimmtheit erklären, daß Thomas Hartwig unbedingt mit ihm identisch sei.

Der Staatsanwalt: »Ich mache den hohen Gerichtshof und die Herren Geschwornen nachdrücklich auf eine merkwürdige und höchst wichtige Parallelität der Geschehnisse aufmerksam: Jede der fünf Verschwundenen hat ihr Zimmer auf einen ganzen Monat vorausbezahlt. Also war jede ganz sicher, daß sie bleiben, respektive von dem projektierten Ausflug nach der Havel in kürzester Zeit zurückkehren werde! Das ist außerordentlich wichtig, denn daraus geht hervor, daß durch äußere, gewaltsame Umstände die Fünf verhindert wurden, ihre Rechte auf das Zimmer geltend zu machen. Hätten Sie nicht vorausbezahlt und nicht ihre armseligen Sachen zurückgelassen, so könnte man immerhin die Möglichkeit erwägen, daß es sich um abenteuernde Herumtreiberinnen handelt, die heute hier und morgen dort auftauchen und Grund haben, keine Spuren zu hinterlassen.‘

Die Richter, die Zeugen, die Zuhörer, die Geschwornen nickten zustimmend. Man konnte darüber nur diese eine Ansicht haben. Ein aufmerksamer Beobachter hätte feststellen können, daß sogar Thomas Hartwig genickt hatte.

Und nun kam eine prickelnde Sensation. Alle Hälse reckten sich dem vorgerufenen Dengern entgegen, goldene Lorgnons blitzten auf, hier und da sah man sogar einen kleinen diskreten Trieder auftauchen.

Das war also der geheimnisvolle, berühmte, geniale Detektiv, der feudale Junker, der jahrelang der Polizei obskure Dienste geleistet, jahrelang unschuldig im Zuchthaus gesessen hatte! Der Präsident war ganz Zuvorkommenheit. »Herr Zeuge, Sie sind der königlich preußische Krimmalkommissär, Doctor juris Joachim Freiherr von Dengern und haben unter dem Pseudonym Krause die Nachforschungen nach dem Mörder der fünf verschwundenen Mädchen gepflogen. Erzählen Sie, wie Sie auf Thomas Hartwig gekommen sind.«

Dengerns Gesicht glättete sich, mit automatenhafter Ruhe und Sicherheit erzählte er von seiner Jagd hinter einer Theorie, die ihn zuerst zu Heiratsvermittlern, dann in das Annoncenbureau des »Generalanzeigers« geführt und dort den Text der verhängnisvollen Annonce kennen lernen ließ. Und schilderte, wie ihm Hartwig ins Garn gelaufen war.

»Ich möchte hier feststellen, daß ich noch nie mit einem Mann zu tun gehabt habe, der ein Verbrechen, das er vermutlich begangen hat, klüger entworfen, später aber, als die Taten begangen waren, alle Vorsicht derart außer acht gelassen hat, wie Herr Hartwig. Er hielt es nicht einmal der Muhe wert, die verräterischen Briefe der seine Annonce beantwortenden Frauen zu vernichten! Eine solche, fast naive Unbesorgtheit im Zusammenhang mit so schweren Verbrechen — zweifellos ein kriminalistisches Kuriosum!«

Als Dengern seine Aussage, die mit Beifallsgemurmel aufgenommen wurde, beendet hatte, wandte er sich an den Präsidenten.

»Herr Präsident! Ich werde jetzt der Vernehmung aller weiteren Zeugen beiwohnen und dann noch eine wichtige Erhebung zu machen versuchen. Jedenfalls bitte ich, mich nach Beendigung des eigentlichen Beweisverfahrens, also vor den Referaten der medizinischen Sachverständigen und den Reden des Herrn Staatsanwaltes und des Herrn Verteidigers, abermals auf den Zeugenstand zu rufen.«

Der Präsident erklärte sich einverstanden und Dengern wollte abtreten, aber Rechtsanwalt Nagelstock hielt ihn zurück:

»Herr Kriminalkommissär, Sie haben bei Erläuterung des leichtsinnigen Vorgehens des Angeklagten soeben von einem Verbrechen, das er vermutlich begangen habe, gesprochen. Darf ich dieses ‚vermutlich‘ so auffassen, als ob Sie von der Schuld des Angeklagten nicht vollkommen überzeugt wären?«

Die Falten spielten über das Gesicht Dengerns.

»Herr Rechtsanwalt, solange ein Angeklagter nicht gestanden hat, gibt es immer noch die Möglichkeit seiner Unschuld. Bis zu dem Augenblick wenigstens, wo die Beweise gegen ihn so überwältigend sind, daß nach menschlichem Ermessen an seiner Schuld nicht gezweifelt werden kann.«

Der Präsident zog die Augenbrauen hoch, der Staatsanwalt machte ein beleidigtes Gesicht und sagte entrüstet:

»Ich bitte, meine Herren, hier keine philosophischen Debatten zu führen und das Urteil der Geschwornen weder in diesem noch in jenem Sinn zu beeinflussen.«

Die Geschwornen nickten. Nein, sie wollten keine Beeinflussung, sie seien kluge und gerechte Männer, die jetzt schon genau wissen, was sie von diesem Hartwig zu halten hätten.

Die Beamtin des Annoncenbureaus betrat den Zeugenstand und identifizierte Hartwig als den Herrn, der anfangs Juni die Annonce mit der Chiffre »Idylle an der Havel« aufgegeben und wenige Tage später eine Unmenge Antworten behoben habe. Dann kam die Frau Armbruster, bei der Hartwig seit drei Jahren das möblierte Zimmer bewohnte. Als sie ihren Zimmerherrn sah, begann sie zu schluchzen.

»Nein, daß ich das erleben muß! So ein feiner, gebildeter Herr und ein Mörder! Ich kann es nicht glauben.«

Der Präsident strenge: »Frau Armbruster, uns interessiert Ihre Meinung nicht, sondern wir wollen von Ihnen Tatsächliches hören.«

Nagelstock aber sprang auf und ließ protokollieren, daß der Zeugin verboten worden sei, den günstigen Eindruck, den Hartwig immer auf sie gemacht hatte, zu bekunden.

Durch vielerlei Fragen erfuhr man nun aus dem Munde der Frau Armbruster folgendes:

Im großen und ganzen war Hartwig immer recht solid in seiner Lebensführung gewesen, was aber nicht ausschloß, daß er hier und da ein wenig angeheitert und erst in früher Morgenstunde nach Hause kam. Oft war er von Geldsorgen bedrückt, blieb mit der Miete im Rückstand, borgte sich sogar mitunter von Frau Armbruster kleinere Beträge aus. Im Verlauf des letzten Jahres klagte er oft, ein Pechvogel zu sein, der sich nicht durchsetzen könne. Besonders an Tagen, da ihm der Postbote ein Manuskript brachte, war er deprimiert. Oft habe er von dem Stück »Drei Menschen« gesprochen, das ihn mit einem Schlag berühmt machen würde, aber im Frühjahr, als er es wieder von einem Direktor zurückbekam, habe er ausgerufen: »Am besten wäre es, wenn ich mich aufhängen würde!«

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