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Der Frauenmörder

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Der Frauenmörder
Der Frauenmörder
Аудиокнига
Читает Ulrich Tukur
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Vier Mädchen ohne Anhang

Während Clusius mit strenger Miene die vier Frauen gleichzeitig einem Verhör unterzog, wühlte Krause in den vier Handkoffern, Taschen und Körben der verschwundenen Mädchen. Was die vor dem tintenbeklecksten Schreibtisch stehenden aufgeregten Weiber erzählten, schien ihn nicht zu interessieren und die nervösen Blicke, die sein Chef zu ihm hinüberschoß, ließen ihn ebenso kalt, wie Dr. Clusius‘ kräftiges Räuspern.

Vier Bündel und vier Schicksale, dachte Krause. Dieser schäbige schwarze Holzkoffer, diese zerschlissene Tasche aus Segeltuch, dieser zerbeulte Strohkorb, diese Tasche aus Lederersatz sind mit ihrem trostlosen Inhalt an ordinärer Wäsche, verschwitzten Blusen, abgetretenen Schuhen Lebensgeschichten. Die irdischen Reste armer, dummer Mädchen, die in ihrer irren Angst vor dem einsamen Alter und der ungestillten Gier nach Liebe, Zweisamkeit und Mutterschaft dem erstbesten Schurken auf den Leim gehen und sich, bis zum letzten Augenblick voll süßen Sehnens, von ihm irgendwo im Wald oder an einem öden Flußufer abschlachten lassen.

Eben hatte Dr. Clusius das Verhör mit der letzten Anzeigerin, der Witwe Klappholz aus Charlottenburg, beendet, als Krause plötzlich Kehrt machte und eingriff.

»Meine Damen, ich werde jetzt kurz alles das, was Sie mitgeteilt haben, rekapitulieren.«

»Wiederholen,« unterbrach ihn der Chef, der Fremdwörter nicht leiden mochte, mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Also nicht rekapitulieren, sondern wiederholen,« lächelte boshaft Krause. »Zunächst das Fräulein Trude Müller, das bei Ihnen, Frau Wendler, gewohnt hat. Mittelgroß, schlank, hochdeutsch mit Berliner Betonung, braune Haare à la Cleo de Merode, schöne Zähne, große Augen, deren Farbe Sie nicht genau angeben können. Ein auffallend hübsches und sympathisches Mädchen, scheinbar verliebter Natur. Sie hat Ihnen des öfteren von Ihrem Bräutigam erzählt. Diesen Bräutigam haben Sie nur einmal gesehen, auch er machte auf Sie einen trefflichen Eindruck und ist ein hübscher, blonder, bartloser Mann mit Kneifer.« Bei diesen Worten nickten alle vier Frauen und man hörte ein »Jawoll« in verschiedenen Tonarten.

»Von Verwandten in Berlin oder anderswo, von Freunden und Bekannten dieser Trude Müller wissen Sie nichts?«

»Ne,« erwiderte Frau Wendler, »das arme Fräulein hat ja nie von sich, sondern immer nur von ihrem Bräutigam, dem Lumpen, den Gott strafen soll, gesprochen, und nu schwimmt ihre Leiche sicher irgendwo im Wasser herum und der Kerl vergnügt sich mit anderen Meechens, die er dann ooch umbringen wird.«

Frau Wendler schluchzte, die anderen drei schneuzten sich, Kapott- und Federhüte flogen aufgeregt auf und ab.

»Bei Ihnen, Frau Zinkenbach, hat nur zwei Tage die verschwundene Grete Möller aus Hamburg gewohnt. Hellbraune Gretchenzöpfe, volle Erscheinung, ausgesprochener Hamburger Dialekt. Auch sie hat von einem Bräutigam erzählt, mit dem sie einen Ausflug nach der Havel unternehmen wolle. Sie wurde auch von dem Bräutigam abgeholt, aber nur der Portier hat ihn gesehen. Lassen wir jetzt den Mann hereinkommen.«

Der Portier, Herr Zimmermann aus der Nürnbergerstraße, trat ein. Krause winkte, als sein Chef das Verhör aufnehmen wollte, ab und fragte selbst.

»Der Herr, mit dem am fünften Juli ein Fräulein, das bei Frau Zinkenbach wohnte, wegfuhr,

war blond und hatte einen kleinen Schnurrbart, nicht wahr?«

Zimmermann verneinte heftig. »Ne, soweit Ich mir erinnern kann, war sein janzes Jesicht glatt rasiert, wie es so die dämlichen Engländer an sich haben.«

Krause nickte lächelnd. »Trug er Brille oder Kneifer?«

»Kneifer, wenn ick mir nicht irre.«

»Können Sie sonst etwas über ihn aussagen?«

»Nischt, was von Belang wäre. Schien mir ein jemütlicher Herr zu sein und drückte mir davor daß ick dem Fräulein, was nu verschwunden is, die kleine Handtasche beim Einsteigen hielt, fünf Märker in die Hand.«

»Gut, Sie können gehen.«

»Bei Ihnen, Frau Lestikow, hat Fräulein Annemarie Jensen, ebenfalls aus Hamburg, gewohnt. Rötliche Haare, glatt gescheitelt, mager, Zwicker reines Hochdeutsch. Sie war redselig, hat viel von ihrem Verehrer erzählt, der Naturforscher sei und Ihnen abends vor ihrer Abreise gesagt, sie habe sich verlobt und wolle nun mit dem Bräutigam nach Ketzin, um dort ein Haus zu besichtigen. Sie schildern den Bräutigam genau wie die anderen, so daß wir es ganz ohne Zweifel mit ein und demselben Individuum zu tun haben.

Bei Ihnen aber, Frau Klappholz, hat Fräulein Käthe Pfeiffer, die aus Bayern kam, gewohnt. Sie haben das Mädchen nur zwei- oder dreimal und dann immer nur im Hut gesehen, so daß Sie nicht einmal wissen, ob es blond oder dunkel war. Sie sprach mit süddeutschem Dialekt und hat ihre Abreise in dem uns übergebenen Briefe mitgeteilt.

Und nun, meine Damen, bitte ich Sie, intensiv pardon, eifrig nachzudenken: Ist Ihnen an Ihrer auf so mysteriöse, ich meine geheimnisvolle Weise verschwundenen Mieterin irgend etwas, sei es ein Muttermal, eine bestimmte Geste, ein sonderbares Wort, ein Kleidungsstück aufgefallen?«

Die Frauen schwiegen, bemühten sich ersichtlich, nachzudenken und dann ergriff Frau Lestikow das Wort.

»Jawohl, Herr Inspektor, etwas ist mir, oder eigentlich meiner Minna, die mein Mädchen ist, schon aufgefallen. Fräulein Jensen hat so niedliche, kleine Füße gehabt, wie sie gerade bei Hamburgerinnen eine rechte Seltenheit sind. Einmal hat mir Minna die Schuhe vom Fräulein Jensen, die abends vor die Türe gestellt wurden, gebracht und gesagt: »Madameken, sehen Sie nur eenmal die Schuhchen an! Die reinsten Kinderstiebel«

»Das Fräulein Müller hat, wenn ich mich recht besinne, auch recht niedliche Füße jehabt,« konkurrierte ein wenig erbost Frau Wendler, während Krause langsam die Gegenstände aus der Handtasche, die bei Frau Lestikow zurückgeblieben war, durch die Hände gleiten ließ und scheinbar gedankenlos einen alles eher als eleganten schwarzen Strumpf über die Finger zog und dann einen Halbschuh besichtigte.

»Noch etwas, meine Damen: Hat keine von Ihnen gefragt oder sonstwie erfahren, wie Ihre Mieterin zu diesem Bräutigam gekommen ist?«

Wieder war es Frau Lestikow, die Antwort wußte.

»Jawohl, ich habe am Abend, als sie mir von der Verlobung erzählte, gefragt, wo sie den Herrn Bräutigam eigentlich kennen gelernt habe. Also, mir kommt es jetzt vor, als wenn Fräulein Jensen ein wenig verlegen geworden wäre. Sie hat gesagt, durch einen ganz komischen Zufall, und dann von etwas anderem gesprochen.«

Rot im Gesicht, erregt und wichtig zogen die vier Damen ab und Dr. Clusius blieb mit Krause allein zurück.

»Nun?« fragte Clusius gespannt.

Krause ließ nochmals den Blick über die vier vor ihm liegenden Meldescheine und den Brief des Fräuleins Pfeiffer gleiten, steile, aufrechte, naive, gotische oder lateinische, schlecht gekritzelte, undeutliche Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Die Fältchen im Gesicht verdichteten, glätteten und verdichteten sich wieder, dann ging er, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab und hielt so eine Art Vortrag.

»Wohl der schwierigste Fall, den Sie mir bisher übergeben haben, Herr Doktor. Vier Mädchen verschwinden, von denen jede einen der banalsten und häufigsten Namen hat, den man sonst nur erfinden könnte. Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer! Dergleichen laufen im Deutschen Reiche zu Zehntausenden umher. Keine hat eine frühere Adresse angegeben, keine von Freunden oder Verwandten erzählt. Ferner: Alle vier scheinen sogenannte bessere, halb oder ganz gebildete Personen, aber keineswegs mit Glücksgütern gesegnet gewesen zu sein. Direkt arm waren sie aber auch nicht, trotz der Armseligkeit ihrer Hinterlassenschaft. Dafür, daß sie nicht ganz arm waren, spricht die Tatsache, daß sie alle vorausbezahlt haben und, wie jede der vier Vermieterinnen erzählt, entweder Ohrringe oder hübsche Fingerringe, die eine eine goldene Uhr mit Kette, eine sogar eine Brillantbrosche besaßen.«

»Zu welcher Schlußfolgerung kommen Sie daraus?«

»Oberflächlich betrachtet, könnte man aus diesen gewissen Gleichartigkeiten auf sonderbare Zufälligkeiten schließen. In Wirklichkeit könnten aber die Gleichartigkeiten, die primitiven Namen, der Mangel an Anhang in Berlin, nicht völlige Mittellosigkeit und bessere Art, die Umstände gewesen sein, die sie eben zu Opfern eines Mordbuben machten.«

»Versteh‘ ich nicht ganz!«

»Ist doch sehr einfach, Herr Doktor! Der saubere Bräutigam hat sich eben prinzipiell nur mit Mädchen, die hier keine Familie haben, gewöhnliche Namen tragen und etwas Geld sowie Schmuck besitzen, verlobt, weil er bei diesen Mädchen einerseits auf genügende Beute rechnen durfte, andererseits sich vor Entdeckung sicherer fühlte, als wenn er mit Mädchen aus Berliner Häusern angeknüpft hätte.«

»Und was nun, Herr Krause?«

»Die nächsten Schritte, Herr Doktor, werden Ihre Beamten machen müssen. Aufrufe in den Berliner, Hamburger und bayerischen Zeitungen nach Personen, die über die Vermißten etwas sagen können, Ausschreibungen von hohen Belohnungen, Nachforschungen in Ketzin und Umgebung und in den transatlantischen Passagierlisten nach Fräulein Jensen, die im Frühling aus New York zurückgekehrt sein will. In der Zeit, die darüber vergehen wird, werde ich einiges zu besorgen haben. Jedenfalls bitte ich Sie, heute noch die Reporter aller Zeitungen bei sich zu versammeln, damit die ganze Öffentlichkeit interessiert wird. Wer weiß — vielleicht werden noch andere Abgängigkeitsanzeigen erstattet oder es kommen wichtige Spuren zutage. Natürlich sofort Steckbrief erlassen nach dem blonden Schuller, Schullern oder Schindler mit dem Kneifer.«

Dr. Clusius sprang nervös auf. »Krause, die Geschichte wird ungeheuer viel Staub aufwirbeln, und wehe uns, wenn wir nichts herausbekommen. Ich muß mich wieder einmal ganz auf Sie verlassen.«

 

Selma Cohen als Fünfte

Der Chef der Kriminalpolizei hatte mit seiner Vermutung nur zu recht gehabt. Das Aufsehen, das die Mitteilungen der Polizei über das spurlose Verschwinden von vier Mädchen machten, war enorm. Die Tatsache, daß man von den Mädchen selbst nicht das geringste wußte, das Geheimnis, das den blonden Mann mit dem Kneifer umhüllte, die Möglichkeit, daß sich noch andere Frauen unter seinen Opfern befänden, das alles wirkte aufregend, entzündete die Phantasie, war Lesestoff, den die Berliner mit Gier verschlangen. Und die Zeitungen taten das ihrige, um den Fall auszuschlachten, überboten einander in schreienden Überschriften, machten, je nachdem, aus dem blonden Mann einen Blaubart, einen Aufschlitzer, einen perversen Wüstling. Aber sie unterstützten auch die Polizei nach besten Kräften, indem sie ihre Korrespondenten in Hamburg und München alarmierten und Berichterstatter nach Ketzin schickten, um dort Nachforschungen anzustellen. Über Nacht wurde aus dem freundlichen, aber verschlafenen Städtchen eine Weltberühmtheit, die Berichterstatter schilderten das Rathaus, den Marktplatz, die Kirchen, die Gasthöfe mit allen Details, nur von dem blonden Mann und seinen Bräuten konnten sie nichts melden. Wohl war im Laufe der letzten Wochen im Gasthof »Zum Löwen« oder im Hotel Bismarck hier und da ein Liebespärchen eingekehrt, das die Aufmerksamkeit der guten Ketziner erregt hatte, wohl wollten die Klatschbasen von Ketzin einmal ein fremdes Mädchen mit einem blonden Herrn gesehen haben, der einen unheimlichen Blick an sich hatte, aber bei näherer Nachforschung stellte sich alles als Phantasie oder Harmlosigkeit heraus.

Auch die Polizei war durchaus nicht müßig. Sie forschte in Hamburg und in allen bayerischen Städten, sie blätterte sämtliche Schiffslisten des letzten Jahres durch, sie schrieb enorme Belohnungen aus, sie ließ ihre tüchtigsten Detektive in Begleitung glänzend dressierter Polizeihunde die ganze Umgebung von Ketzin, die Auen längs der Havel, die Wälder, den Strom selbst durchsuchen — alles vergebens! Niemand meldete sich, der eines der Mädchen gekannt hätte, nirgends wurde eine Spur gefunden, man tappte völlig im Dunkeln.

Nur, daß sich sehr bald den vier Fällen ein fünfter zugesellte. Wenige Tage nach dem Erscheinen der ersten Zeitungsberichte meldete sich bei Dr. Clusius eine Frau Rosenbaum, die unweit des Nollendorfplatzes wohnte und Zimmer vermietete. Sie gab an, daß am 8. Juli bei ihr eine junge Dame gemietet habe, die Selma Cohen hieß und laut Meldeschein 24 Jahre alt und in Berlin geboren war. Fräulein Cohen hatte erzählt, daß sie sich seit Jahren mit einer leidenden Dame auf Reisen befunden habe und nun in Berlin bis zu ihrer Verheiratung bleiben wolle. Sie sei nämlich mit einem Herrn verlobt, der im Begriff sei, unweit von Berlin an der Havel ein kleines Landgut zu kaufen. Frau Rosenbaum hatte ihre Mieterin nur einmal gesehen und schilderte sie als auffällig üppig und wahrscheinlich schwarzhaarig. Mehr wußte sie nicht, da Fräulein Cohen einen dichten Schleier trug. Die Mieterin, die mit unverkennbar jüdischem Jargon sprach, habe die Miete für einen Monat gezahlt und sei am anderen Tag zeitlich morgens mit einer Handtasche eingezogen, ohne von jemandem gesehen worden zu sein, da sie gleich nach der Bezahlung der Miete den Schlüssel bekommen habe. Am selben Vormittag habe sich Fräulein Cohen mit der Handtasche wieder entfernt und ihr, Frau Rosenbaum, die sich gerade im Badezimmer aufgehalten, durch die Tür mitgeteilt, daß sie mit ihrem Bräutigam verreise, aber unbedingt am nächsten Tag wieder zurück sein werde. Sie kam nicht mehr, aber da sie ihr Gepäck mitgenommen hatte, habe sie keinen Anlaß zu Befürchtungen gehabt, sondern geglaubt, daß das Fräulein sich die Sache überlegt und unter Verzicht auf die Zimmermiete irgendwo anders eingezogen sei. Erst die alarmierenden Zeitungsartikel hatten sie veranlaßt, die Anzeige zu erstatten. Nunmehr war allerdings kaum ein Zweifel vorhanden, daß auch Fräulein Selma Cohen von dem blonden Ungeheuer verschleppt worden war.

Nachdem Dr. Clusius dem Krause das Protokoll vorgelesen hatte, pfiff dieser vor sich hin und fuhr sich mit der schlanken, mageren Hand nervös durch das angegraute Haar.

»Nun beginnt die Geschichte grotesk zu werden. Ein fünftes Frauenzimmer und diesmal gar eines, das ausgerechnet Cohen heißt! Ebensogut konnte sie gar keinen Namen haben! Andererseits gibt es in ganz Deutschland kein jüdisches Mädchen ohne Verwandte, und es müßte doch der Teufel seine Hand im Spiel haben, wenn sich nach Veröffentlichung dieses neuen Falles nicht irgend ein Onkel oder Vetter oder Schwager melden würde!«

Aber der Teufel hatte wohl seine Hand im Spiel, denn der Fall Selma Cohen erregte zwar abermals gewaltiges Aufsehen, aber niemand aus dem Kreise des Mädchens meldete sich.

Krause hatte indessen, während die Zeitungen nachgerade ungeduldig wurden und mit Sticheleien gegen die Polizei begannen, durchaus nicht die Hände in den Schoß gelegt. Nachdem alle Nachforschungen nach Verwandten oder Bekannten der fünf verschwundenen Mädchen erfolglos geblieben waren, schien es ihm klar, daß in dieser Richtung vorläufig nichts zu tun sei. Und er sagte sich während eines stundenlangen Morgenspazierganges im Tiergarten:

»Es ist ersichtlich, daß der blonde Kerl in geradezu genialer Weise sich solche Mädchen als Opfer ausgesucht hat, die keinen Anhang, keine feste Heimat, keine Bodenständigkeit haben, sondern wie die Spreu im Winde durch Not oder Schicksal irgendwo zufällig sind. Ich kann also nicht nach den Mädchen suchen, sondern nur nach dem Mann, und das nur dadurch, daß ich ergründe, wie und auf welchen Wegen er zu seinen Bräuten gekommen ist. Da gäbe es nun allerlei Möglichkeiten. Er kann sie in Konditoreien, Kaffeehäusern, Nachtlokalen, Tanzsälen kennen gelernt haben. Unwahrscheinlich, erstens, weil nach den Schilderungen der Vermieterinnen alle diese Mädchen einen durchaus soliden Eindruck machten, zweitens, weil der Kerl ja mit zehntausend Weibern hätte anbandeln müssen, um gerade jene herauszufinden, die Geld haben, vollständig allein stehen und geeignet sind, ihm ins Garn zu laufen. Nein, der Mann muß sozusagen unbeschränkte Wahl gehabt haben, er muß in der Lage gewesen sein, ganz unpersönlich und sachlich Mädchen herauszusuchen, die für ihn passen. Also schränken sich die weiteren Möglichkeiten auf zwei ein: Erstens auf berufsmäßige Heiratsvermittler, zweitens auf die Zeitungsannonce. Da ich aber nicht, um mich wie jener bekannte Bankier auszudrücken, ein Vogel bin, der auf zwei Stellen gleichzeitig sein kann, will ich zunächst der einen Möglichkeit nachgehen.«

Die nächsten Tage verbrachte Krause restlos bei Berliner Heiratsvermittlern. Die Frau Buchholz und die Frau Schulz, der Herr Dattelbaum und die Frau Pfefferminz, die Grün und die Blau und wie sie alle heißen, wurden von ihm als Heiratskandidat besucht. Er stellte sich immer als Ingenieur vor und erzählte immer dieselbe Geschichte. Er sei auf der Eisenbahn mit einem Herrn bekannt geworden, dessen Namen er sich leider nicht mehr entsinne. Dieser Herr habe sich eben durch Vermittlung der verehrten Madame verlobt, und zwar mit einem reizenden Mädchen, das nicht nur etwas Geld, sondern auch den besonderen Vorzug habe, ganz allein, ohne Anhang dazustehen. Er selbst möchte auf dieselbe Art sein Glück machen und spreche eben deshalb vor.

Auf diese Art und in längerem Gespräch erfuhr Krause dann fast immer die Namen der Glücklichen, die durch die Vermittlerin in der letzten Zeit »zusammengebracht« worden waren; er bekam Personsbeschreibungen der Freier und der Bräute, aber immer wieder mußte er sich enttäuscht entfernen. Es kam unter den Mädchen keine vor, die eine der Verschwundenen hätte sein können, unter den Bräutigamen war keiner, den man für einen Mörder halten konnte.

Nach acht Tagen war Krause überzeugt, daß er auf diese Art zu keinem Resultat kommen würde, und schließlich schien es ihm auch höchst unwahrscheinlich zu sein, daß der Blaubart unvorsichtig genug gewesen sein konnte, sich durch eine geschwätzige Heiratsvermittlerin gefährden zu lassen. Und so entschloß er sich, die zweite und letzte Möglichkeit zu ergründen. Gleich der erste Schritt sollte ihm einen entscheidenden Erfolg bringen.

»Idylle an der Havel«

Der »Berliner Generalanzeiger« war das Blatt der Heiratsannoncen. Der Jüngling, der Seelenfreundschaft braucht, der reifere Mann mit Bedarf nach Mitgift, die einsame Jungfrau, die Witwe, der Vater, der anders seine Töchter nicht anbringen kann, sie alle pflegten ihre Schmerzen, Sehnsüchte und Hoffnungen dem »Generalanzeiger« anzuvertrauen und viele tausend Ehen waren vielleicht im Himmel geschlossen, aber im »Generalanzeiger« angebahnt worden.

Zeitlich morgens, als noch wenige Leute die Annoncenschalter des »Generalanzeigers« belagerten, begab sich Krause dorthin. Seine Arbeit wurde wesentlich dadurch erleichtert, daß jeder Schalter nur bestimmte Gruppen von Anzeigen behandelte. Hier konnte man nach Hauspersonal inserieren, dort seine alten Sachen anpreisen und der Schalter Nummer fünf war den Heiratsannoncen reserviert. Krause zeigte der ältlichen, mit einer Hornbrille bewaffneten Dame, die hier den Liebesgott spielte, sein Abzeichen und bat sie um eine kurze Unterredung. Mit kurzen Worten erklärte er ihr, um was es sich handelte, und stellte dann seine präzisierte Frage:

»Der Mann, den ich suche, dürfte im Laufe des Monats Juni, vielleicht auch noch etwas früher, seine Annoncen aufgegeben haben. Diese Annoncen dürften sehr verlockend gewesen sein, da es ihm ja um möglichst viele Antworten zu tun war. Sicher hat er auch schockweise Briefe bekommen. Außerdem war dieser Mann blond, hatte einen Kneifer und machte einen recht guten Eindruck. Mehr weiß ich nicht und alles Weitere hängt von Ihrem guten Gedächtnis ab.«

Fräulein Lieblein war Feuer und Flamme, ballte die Fäuste und schoß Wut aus den kurzsichtigen Augen.

»So ein Schuft, so eine Bestie! Oh, wenn ich etwas dazu tun könnte, ihn aufs Schafott zu bringen, wäre ich direkt glücklich!«

Sie stemmte die Bleifeder gegen das spitze Kinn und dachte angestrengt nach.

»Gerade der Juni ist ein starker Monat gewesen, weil der Frühling so spät kam. Da werden ja die Menschen wie toll und möchten um jeden Preis heiraten!«

Innerlich lächelte Krause über das alte Mädchen, das die Jahreszeiten und Witterungen vielleicht in einen viel tieferen und richtigeren Zusammenhang mit dem menschlichen Liebesbedürfnis brachte als mancher graduierte Psycho- und Physiologe.

»Himmel! Jetzt entsinne ich mich eines blonden Herrn mit Kneifer, der — aber nein — der kann es nicht sein! Der sah ja so lieb und gut aus — und doch — er hat ein ganzes Bündel Antworten bekommen, und ich erinne[re] mich deutlich, wie er lachend die Briefe in seine Aktentasche steckte und mich fragte: Fräulein, glauben Sie nicht auch, daß ich mir jetzt gleich ein ganzes Dutzend Bräute aussuchen könnte?«

Krause hing gespannt an ihren Lippen. »Nun, und wissen Sie noch, wie der Text der Annonce gelautet hat?«

Fräulein Lieblein schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, aber die Chiffre, unter der er die Briefe abholen wollte, ist mir irgendwie aufgefallen. Wenn ich sie vor mir hätte, würde ich sie gleich unter hundert anderen herausfinden.«

Ungeduldig pochten Leute an das Schalterfenster, Fräulein Lieblein bat eine der anderen Damen, sie zu vertreten, führte Krause rückwärts in die Administration und begann die Exemplare des »Generalanzeigers« ab Mitte Mai zu durchforschen. Nach gut einer Stunde, sie war eben beim Sonntagsblatt vom 2. Juni angelangt, legte Krause, der über ihre Schultern gebeugt mitsuchte, den Finger auf eine Anzeige und sagte trocken und bestimmt:

»Das wird es sein!«

Die Annonce lautete:

Akademisch gebildeter Herr, 32 Jahre alt, einnehmendes Äußere, wohlhabend, der sich in der Nähe von Berlin ankaufen will, sucht, des Alleinseins müde, Lebensgefährtin. Reflektiert wird auf gut erzogene Dame, die einem liebevollen, charakterfesten Mann eine treue, brave Gattin sein will. Etwas Vermögen erwünscht. Freundliche Anträge unter »Idylle an der Havel« an den »Generalanzeiger«.

»Jawohl,« schrie Fräulein Lieblein erregt auf, »das ist die Annonce! Idylle an der Havel, so hat die Chiffre gelautet! Wissen Sie, dieses ‚Idylle an der Havel‘ hat mich so eigentümlich berührt und ich dachte mir, daß an der Seite des netten, blonden Herrn ein Mädchen doch ein rechtes Glück finden könnte. Ich wurde sogar ein wenig traurig damals —«.

Fräulein Lieblein schwieg plötzlich verschämt und Krause ließ aus seinen grauen, kühlen Augen einen Blick voll Mitleid über das hagere, eckige, reizlose Mädchen gleiten.

 

Bald war auch das Manuskript der Annonce mit Hilfe des Druckereileiters herbeigeschafft. Enttäuscht hielt Krause den beschmierten, zerknitterten Bogen, der mit Schreibmaschinenschrift ausgefüllt war, in der Hand.

»Viel weiter bin ich nun eigentlich doch nicht gekommen. Immerhin, ein Faden, der nach rückwärts läuft. Und etwas könnte man ja versuchen. Fräulein Lieblein, ich werde jetzt den Text einer Annonce aufsetzen, die morgen erscheinen soll. Viel nützen wird es ja nicht; was ich tue, ist eigentlich recht plump, aber man kann nicht wissen, mitunter begehen auch die raffiniertesten Verbrecher die größten Dummheiten.«

Fräulein Lieblein gelobte Stillschweigen über alles, was sich etwa ereignen wurde, und im nächsten Morgenblatte des »Generalanzeigers« erschien folgende, von Krause verfaßte Anzeige unter der Überschrift »Idylle an der Havel«:

Habe auf Annonce unter obiger Chiffre, die am 2. Juni erschienen ist, geantwortet, mein Brief wurde aber nicht behoben. Bitte nunmehr, da mich für geeignete Person halte, Brief unter »Blondes Gretchen«, Postamt Dorotheerstraße, zu beheben.

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