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Der Frauenmörder

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Der Frauenmörder
Der Frauenmörder
Аудиокнига
Читает Ulrich Tukur
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Der blonde Herr mit dem Kneifer

Von acht Uhr morgens bis in die späten Nachmittagsstunden stand am anderen Tage Krause mit einer Briefträgerkappe auf dem Kopf vor dem Postlagerschalter in der Dorotheerstraße. Es ist durchaus nicht so einfach, sieben, acht Stunden in einem engen, muffigen Raum müßig dazustehen und auf etwas zu warten, was vielleicht, sogar wahrscheinlich gar nicht geschehen wird. Die Hoffnung schwindet in solchen Fällen mit jeder schleichenden Minute, und jeder erfahrene Kriminalist weiß, daß mit derartigen Aufgaben nur besonders pflichttreue, zähe, disziplinierte Leute betraut werden dürfen. Joachim von Dengern war von Natur aus sicher nicht besonders zähe und auch kein Pflichtenfanatiker, aber die drei furchtbaren Jahre im Zuchthaus hatten ihm Selbstbeherrschung und Geduld genug anerzogen. Denn für den, der noch nicht verkommen ist, der vom Leben noch etwas will, bedeutet ja Gefängnis nichts als ein qualvolles Warten, ein Zählen der Minuten und Stunden und Tage und wieder Warten, Warten, nichts als Warten.

Gegen fünf Uhr, als Krause doch schon fühlte, wie er apathisch und stumpf wurde, betrat ein Herr das Postamt, der sich scheu nach links und rechts umsah.

Krause fuhr zusammen, sein Herzschlag setzte fast aus. Der Herr, der den Raum betreten hatte und nun vor dem Postlagerschalter stand, war groß, schlank, sommerlich gekleidet, blond und hinter Kneifergläsern lugten große, blaue, ein wenig verwundert dreinblickende Augen ängstlich hervor.

Krause stellte sich dicht neben ihn, kramte in der umgehängten Tasche, als würde er nach irgendwelchen Poststücken suchen, er sah, wie der blonde Herr dem Beamten einen Zettel hinschob, auf dem die Worte »Blondes Gretchen« standen. Der Beamte, der unterrichtet war, tat, als würde er im Fach suchen, sagte »nichts da«, der Herr zog eilig wieder ab, gefolgt von Krause, der rasch die Tasche abgeworfen und die Kappe mit einem Strohhut vertauscht hatte.

* * *

Der Blonde ging mit überraschen, schlenkernden Schritten einher, wie sie Leuten oft eigen sind, die beim Gehen stark denken und ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Krause, der etwa dreißig Schritte hinter ihm blieb, stellte fest, daß die Bewegungen des Verfolgten bei aller nervösen Fahrigkeit doch harmonisch und sympathisch wirkten. Und unwillkürlich gedachte er des einstündigen Spazierganges im Hof des Zuchthauses, dieses Ganges in der Runde, der durch drei Jahre bei jedem Wetter tagtäglich absolviert werden mußte, immer neben, hinter, vor denselben Sträflingen. Damals hatte er sich Erkenntnis der Menschen nach ihrer Art zu gehen zurecht gelegt und oft genug herausgefunden, daß der Schritt, die Körperhaltung beim Gehen, das Federn im Knie oft mehr zu sagen hatten, als das Gesicht, das durch äußerliche Erlebnisse unabhängig vom wahren Wesen stark beeinflußt wird. Wie edel und weich waren die Bewegungen jenes Mannes gewesen, der zwölf Jahre wegen Ermordung seiner Frau zu verbüßen hatte, und wie viel reine Menschengüte, christliche Denkungsart hatte Dengern später bei ihm im gemeinsamen Schlafsaal entdeckt. Ein anderer Häftling hatte Joachim von Dengern durch das Schleichende, Katzenartige seiner Bewegungen mit Ekel erfüllt, später lernte er ihn als ungemein gefälligen, liebenswürdigen Kameraden kennen, noch später aber wurde er als Denunziant, der seine Unglücksgenossen geringfügiger Vorteile halber verriet, entlarvt.

Dieser blonde Mann vor ihm nun hatte die Bewegungen eines Menschen, der sich schwer verstellen kann, allerdings auch nicht überreich an konventionellen Hemmungen und ein wenig unbedenklich ist.

Der Blonde bog in die Friedrichstraße ein, die er nordwärts ging. Krause folgte ihm mit äußerster Vorsicht. Immer rascher schritt der Blonde vorwärts, um schließlich in die Elsässerstraße einzuschwenken. Und nun spielte sich ein merkwürdiger Zwischenfall ab. An der Ecke der Elsässer- und Novalisstraße stieß der Blonde mit einer Frau zusammen, die zwei Kinder, einen Knaben von etwa fünf und ein um ein Jahr jüngeres Mädchen führte. Sie tat es aber in jener rücksichtslosen Weise, die gemieteten Personen Kindern gegenüber oft eigen ist; die Kinder waren müde, wurden mehr geschleift als geführt, die Sonne brannte unbarmherzig auf sie nieder, und gerade als der Blonde des Weges kam, begann der kleine Junge jämmerlich zu weinen und weigerte sich, weiter zu gehen. Die Frau, statt ihn gütlich zu beruhigen, gab ihm einen Schlag ins Gesicht, worauf das Kind noch lauter weinte, während das Mädchen mit entsetzten, weit aufgerissenen Augen dastand, um wohl im nächsten Augenblick auch loszuheulen. Der blonde Mann unterbrach sein Dahinstürmen, beugte sich zu dem Knaben, hob ihn hoch empor, setzte ihn auf den Arm und sprach so lustig und zärtlich auf ihn ein, daß sich das Kind sofort beruhigte und vergnüglich lachte. Das kleine Mädchen aber, entweder erschreckt über den Vorgang oder eifersüchtig, begann nun seinerseits jämmerlich zu heulen, und zwar gerade in dem Augenblick, als Krause auf die Gruppe gestoßen war. Und unwillkürlich tat Krause dasselbe wie der von ihm verfolgte Mann, er nahm die Kleine auf den Arm, streichelte ihr die heißen, feuchten Haare aus dem erhitzten Gesicht und beruhigte sie. Inzwischen hatte auch die Frau ihre Haltung wieder gefunden, sie nahm den Herren die Kinder ab, tat gegen sie zärtlich und setzte ihren Weg langsam fort. Krause und der Blonde aber waren, jeder ein Kind auf dem Arm, einige Sekunden einander gegenüber gestanden, hatten einander gemessen und unwillkürlich verlegen angelacht.

Damit war das kleine Zwischenspiel beendet und Krause nahm wieder die Jagd hinter dem Unbekannten auf, der unter dem zermalmenden Verdacht stand, arme Frauen beraubt und ermordet zu haben.

Es ging nun die Novalisstraße hinunter und der Blonde verschwand knapp vor der Ecke der Tieckstraße in einem großen, altmodischen Miethaus echt berlinerischer Art. Krause wartete einen Augenblick, dann sprang er rasch in den dunklen Hausflur, kauerte auf der ersten Stufe nieder und legte das Ohr an das Treppengeländer. So — nun hatte der Mann die erste Treppe hinter sich, ging einige Schritte eben und dann wieder treppaufwärts. Wieder eben und wieder aufwärts. Jetzt hörte Krause genau elf Schritte, die der Mann nach rechts zurücklegte. Nun blieb er stehen, Krause vernahm mit überempfindlichen Ohren das Klirren eines Schlüsselbundes, das Öffnen und Zuschlagen einer Tür, Also wohnte der Mann drei Treppen hoch, elf Schritte nach rechts von der Treppe entfernt.

Wieder hieß es warten. Wer weiß wie lange, vielleicht bis spät abends, vielleicht auch vergeblich, wenn der Mann schon zu Hause blieb. Krause überlegte. Wäre es nicht am einfachsten und sichersten, rasch nach dem nächsten Revier zu laufen, mit zwei handfesten Polizisten wieder zu kommen und den Kerl einfach zu verhaften? Krause lächelte dünn und ließ tausend Fältchen im Gesicht entstehen und vergehen. Nein, das wäre eben zu einfach, zu polizeimäßig gewesen! Der Mann würde ihm nicht entgehen, dachte gar nicht an Flucht, fühlte sich wahrscheinlich höchst sicher, trotzdem er heute eine pyramidale Dummheit gemacht. Eine solche Dummheit, daß — Krause lachte halblaut vor sich hin. Nein, der lief ihm durchaus nicht davon! Und außerdem: Er war sicher Junggeselle. Was aber sollte einen Junggesellen veranlassen, an einem heißen Tag zu Ende August noch vor sechs Uhr in seiner Bude zu bleiben? Man konnte ruhig riskieren, zu warten.

Thomas Hartwig

Unauffällig promenierte er die durchaus nicht sehr unterhaltsame Novalisstraße entlang, das Haus Nummer 10 dabei nicht aus dem Auge lassend. Einst beste Berliner Gegend, später kleinbürgerlich, heute fast restlos proletarisiert, war diese Straße von Kindern, schimpfenden Frauen, von Staub und üblen Gerüchen erfüllt. Eine Straße im Niedergang, irgendwie traurig und trostlos, wie verkommene Frauen, von denen man weiß, daß sie einstens glanzvolle Tage gesehen.

Krause war heute entschieden vom Glück begünstigt. Bevor noch eine halbe Stunde um war, erschien der Blonde wieder. Der Detektive, der gerade noch in ein Haustor hatte springen können, stellte fest, daß der Mann sich die staubigen Schuhe gereinigt, einen anderen Schlips umgenommen und unternehmungslustig einen Spazierstock schwang. Daraus war mit einiger Sicherheit zu schließen, daß er den Abend frei vor sich hatte und ihn durchaus nicht zu Hause in der Elsässerstraße verbringen würde. Diesmal folgte Krause nicht, sondern wartete das Verschwinden des Blonden ab, um dann ruhig das Haus Nummer 10 zu betreten, zwei Treppen hinauf, dann elf Normalschritte nach rechts zu gehen. Und richtig stand er nun vor einer Wohnungstür, die zwei Namen aufwies. Der eine auf einer Emailtafel lautete Wilhelmine Armbruster, der andere war auf einer Visitenkarte zu lesen, auf der es hieß:

Thomas Hartwig, Schriftsteller.

Ein wenig verwundert, einige Beklommenheit in der Brust stand Krause still. Schriftsteller — mag sein — der Gang, das Äußere widersprachen dem nicht! Aber was und wo schrieb dieser Schriftsteller, dessen Namen noch nie an sein Ohr geklungen? Und doch las Krause viel, sehr viel sogar, war in der Leihbibliothek abonniert, kramte oft stundenlang bei Buchhändlern herum, legte mehr Geld, als er eigentlich durfte, in Büchern an.

Mit kurzem Entschluß zog er die altmodische Glocke, worauf ein scheppernder Ton die Stille unterbrach. Aber nichts rührte sich, auch als er zum zweiten- und drittenmal den Glockenzug in Bewegung setzte.

Ärgerlich wollte er sich entfernen, da ersichtlich niemand in der Wohnung war. In diesem Augenblick wurden Schritte auf der Treppe laut und schon stand eine behäbige ältliche und unwahrscheinlich unmodern gekleidete Frau vor ihm. Sie musterte den Fremden und fragte dann:

»Sie wollten man wohl den Herrn Doktor Hartwich aufsuchen? Der kommt vor elf nicht nach Hause!«

 

Dabei zog sie umständlich die Schlüssel aus ihrer großen Handtasche und sperrte die Tür auf. Krause, über diese Wendung höchst vergnügt, lüftete mit betonter Artigkeit den Hut.

»Nein, ich wollte Frau Armbruster sprechen.«

»Bin ick selbst!«

»Mein Name ist Hauler, Ernst Hauler aus Neu-Strelitz.«

»Sehr erfreut! Bitte man mit hereinzukommen.«

Sie standen nun in dem üblichen finsteren, altdeutsch eingerichteten, mit neckischen Sprüchen bestickten und verzierten Berliner Zimmer; Frau Armbruster steckte eine Gasflamme an, ließ den Herrn Hauler Platz nehmen. »Wat verschafft mir det Vergnüjen?«

Krause räusperte sich, bevor er loslegte. »Ich komme nämlich aus Neu-Strelitz, wo ich wohne. Auf der Bahn hat mir ein Herr auf meine Frage mitgeteilt, daß ich bei Ihnen ein Zimmer haben könnte. Er selbst hat einmal hier gewohnt und Ihre Sauberkeit besonders gelobt. Und wissen Sie, Sauberkeit, das ist bei mir das halbe Leben und deshalb bin ich hergekommen.«

Frau Armbruster zupfte geschmeichelt an ihrer Bluse.

»Jawoll, Sauberkeit, dafür kann ick garantieren! Der Herr wird wohl der Herr Richter jewesen sein, der was einmal vor zwei Jahren bei mir jewohnt hat. Lustiger Bruder, aber — na, man soll nischt Schlechtes über seine Mitmenschen sagen. Nu hat aber das Zimmer, das er jehabt hatte, der Herr Hartwich und es tut mir leid, Ihnen nicht dienen zu können.«

Krause zeigte sich tief betrübt, ließ aber nicht locker.

»Liebe Frau Armbruster, ich brauche ja gar kein Zimmer zum Wohnen. Ich bin bloß zwei- oder dreimal wöchentlich in Berlin, komme immer vormittags aus Strelitz an und fahre mit dem letzten Zug wieder zurück. Und da brauchte ich eben einen Raum, wo ich meine paar Briefe schreiben und vielleicht nach Tisch ein Nickerchen machen könnte. Nichts brauche ich als einen Schreibtisch, wie er hier steht, und so eine Chaiselongue, wie sie auch hier ist. Und zahlen würde ich auch sehr gut, weil das Geschäftsspesen sind, die nicht aus meiner Tasche gehen.«

Das ohnedies breite Gesicht Frau Armbrusters wurde noch breiter.

»Ja, det ließ sich woll machen! Ich selbst jehe um acht Uhr morjens fort und komm‘ erst um diese Zeit wieder zurück, weil ick in Feinwäscherei beschäftigt bin. Also, da könnten Sie den janzen Tach sich hier im Zimmer aufhalten.«

Die pekuniäre Seite der Frage war rasch und zur vollen Zufriedenheit der Witwe Armbruster erledigt, sie bekam gleich für die nächsten zehn Besuche das ausbedungene Geld und händigte dafür dem Herrn Hauler aus Neu-Strelitz den Wohnungsschlüssel ein.

Im Literaten-Café

»Abend, Herr Inspektor!« »Abend, Herr Krause!« »Heil dem Sherlock Holmes von Berlin und Umgebung!«

Ein halbes Dutzend Hände streckten sich Krause entgegen und er ließ sich lächelnd an dem Tisch der Journalisten im Romanischen Cafe nieder. Es ging schon auf Mitternacht und aus verschiedenen Zeitungsbureaus kamen die Zeitungsmenschen angeschwirrt, um jetzt endlich, wenn die Bürger an das Bett dachten, ein wenig zu leben und die aufgekratzten Nerven zu beruhigen. Krause war an dem Tisch ein seltener, dafür um so lieber gesehener Gast, er verstand fesselnd aus seinem Berufsleben zu erzählen, auch die Nichteingeweihten witterten in ihm einen Menschen von Klasse und Erziehung und außerdem machte er mitunter dem einen oder anderen Redakteur dieser oder jener Zeitung Mitteilungen, die man als Tagessensation gut verwerten konnte.

Der dicke, kleine Rot von der »Lokalpresse« bemächtigte sich sofort des Polizeibeamten, den man gewöhnlich per Herr Inspektor titulierte.

»Sagen Sie einmal, Herr Inspektor, wann wird unsere sehr verehrliche Polizei nun eigentlich den Frauenmörder erwischen? Oder will man warten, bis er sämtliche alten Jungfern von Berlin umgebracht hat?«

Kunzendorf von der »Mittagspost« warf tadelnd ein:

»Sie sind zynisch, Herr Kollege, man scherzt über solch gräßliche Dinge nicht! Außerdem belieben Sie aber auch taktlos zu sein, da Sie doch ebensogut wie wir alle wissen, daß Herr Krause selbst die Nachforschungen in diesem Falle fuhrt.«

Krause wehrte lächelnd ab.

»Bitte sich keinen Zwang aufzuerlegen! Ich fürchte selbst, daß wir uns blamieren werden, denn noch niemals in meinem Leben habe ich so wenig Anhaltspunkte gehabt, wie diesmal. Ja, wenn wir Näheres über die verschwundenen Mädchen wüßten, wäre es nicht so schwer, Fäden aufzudecken, die zu dem Mörder führen. Aber es ist nicht ein Sterbenswörtchen über diese Möllers, Müllers und Cohens zu erfahren und wir laufen einem »Irgendjemand« nach, der blonde Haare hat und einen Kneifer trägt. Könnten Sie auch sein, Herr Doktor König!«

Tatsächlich war Herr Dr. König vom Abendkurier« schlank, blond und trug einen Kneifer. Alles lachte, am meisten Dr. König selbst.

Nun kam der in ganz Berlin bekannte Fritz Waldstock vom Berliner »Herold«, ein kleiner, älterer Herr mit grauen Locken, recht schäbig gekleidet und doch der geschickteste Interviewer und Reporter, berühmt wegen seines fabelhaften Gedächtnisses und der unübertrefflichen Personenkenntnisse. Er war fähig, auf einem Ball, bei einer Sensationspremiere oder in Hoppegarten eine fehlerlose Liste von tausend anwesenden Persönlichkeiten zusammenzustellen, wobei er bei keiner Person den Vornamen und die genaue Titulatur vermissen ließ.

Das Gespräch wurde allgemein und lebhaft, jeder erzählte von berühmten Verbrechen, Justizirrtümern und aufregenden Prozessen, bis Krause das Gespräch geschickt auf neuerschienene Bücher lenkte. Plötzlich griff er sich an die Stirne und rief:

»Neulich habe ich irgendetwas von einem gewissen Thomas Hartwig gelesen! Ich weiß nicht mehr, war es ein Roman, eine Novelle oder ein Feuilleton, jedenfalls hat es mir sehr gefallen! Himmel, wenn ich mich nur entsinnen könnte, was es gewesen ist!«

Waldstock fuhr mit der ungepflegten Hand durch seine grauen Haare, daß die Schuppen über den Tisch flogen.

»Lieber Krause, wenn Sie etwas nicht wissen, so müssen Sie sich immer an mich wenden! Thomas Hartwig ist ein netter, junger Mann, der wirklich ganz hübsche Sächelchen, so Essais und andere Überflüssigkeiten schreibt. Halt, vor einiger Zeit hat er auch einen dickleibigen Roman, den Titel kenne ich allerdings nicht, bei irgend einem obskuren Verlag in der Provinz erscheinen lassen. Übrigens schreibt er auch hier und da für den Berliner »Herold«, und wenn Sie wollen, so werde ich unsere Redaktionssekretärin, die Lotte Fröhlich, fragen. Wenn ich nicht irre, so hat sie ein kleines Techtelmechtel mit ihm, wenigstens habe ich die beiden einigemal zusammen in einem Kaffeehaus gesehen.«

»Bemühen Sie sich nicht, Herr Waldstock, ich habe ohnedies morgen oder übermorgen beim »Herold« zu tun und da kann ich ja selbst fragen. Übrigens ist es so wichtig nicht!«

Krause ging bald, er hatte heute mehr erfahren, als er noch gestern zu hoffen gewagt hätte und er war müde, todmüde und sehnte sich nach seinem stillen, ruhigen Zimmer in Wilmersdorf und der guten frischen Luft, die durch die offene Balkontür seinen Schlaf stärken und friedlich gestalten würde.

Lotte Fröhlich

»Menschenkind, greifen Sie doch zu, vertrödeln Sie die Zeit nicht! Nicht nur, daß der Präsident täglich Bericht verlangt und wegen verschiedener Zeitungsangriffe nervös geworden ist. Aber stellen Sie sich vor, wie Sie und ich dastünden, wenn der Kerl doch noch irgendwie Wind bekommen und verduften würde!«

Dr. Clusius war sehr aufgeregt, Krause ruhig wie immer. Er ließ sich nicht beirren.

»Nein, Herr Doktor, ich muß Sie schon bitten, mich nicht zu drängen. Ich allein trage die Verantwortung; meinen Kopf als Pfand dafür, daß Hartwig an Flucht gar nicht denkt. Bevor ich Hand auf ihn lege, will ich erst genau wissen, was und wie dieser Mann eigentlich ist, muß seine geistige Beschaffenheit ergründet haben und die Triebe, die ihn zu solch grauenhaften Verbrechen zwangen. Übrigens — vielleicht ist er es gar nicht und dann wäre die Blamage recht peinlich, denn wenn auch nur ganz entfernt, so gehört er doch zum großen Zeitungsgetriebe und der »Herold« würde nicht übel brüllen, wenn wir einen seiner sogenannten geschätzten Mitarbeiter des fünffachen Mordes verdächtigen wollten.«

Dieses Argument gab den Ausschlag. »Gut, Krause, ich verlasse mich also wieder einmal ganz auf Sie, sage dem Präsidenten nur, daß wir Fährte haben und rechne auf einen Riesenerfolg der Polizei. Na, Ihr Schade soll es auch nicht sein! Diesmal werde ich ohne Schwierigkeit durchsetzen, daß Sie Titel und Rang eines Kriminalkommissärs bekommen. Und dann wird sich ja wohl ausgekrauset haben und der Herr Kriminalkommissär wird Doktor von Dengern heißen!«

Krause konnte sich mit bestem Willen nicht einmal zu einem geschmeichelten Lächeln zwingen im Gegenteil, die senkrechte Stirnfalte vertiefte sich, so daß sie das Gesicht teilte. Er ging mit korrektem Gruß, draußen aber schüttelte ihn der Ekel vor seinem Beruf.

»Also wird wieder einmal das Unglück des einen das Glück des anderen sein! Hohe Prämie für einen Herzschuß! Fiat justitia, pereat mundus! Allerdings — fünf Frauen umbringen, damit einen das eigene Elend, etwas weniger zwickt — unglaubhaft, grotesk, abscheulich. Vor allem nicht zurechnungsfähig. Wer weiß, was dieser Hartwig erlebt hat, wenn er überhaupt — Na, werden ja sehen!«

Krause saß in dem elegant eingerichteten Warteraum des Berliner »Herold« und blätterte die letzten Monatsbände durch, in denen er hier und da, selten genug, im kleinen Feuilleton auf eine kurze Abhandlung stieß, die mit T. H—g gezeichnet war. Kluge, geistvolle, tiefschürfende Glossierungen einer Zeitfrage, eines Ereignisses. Humor, Verstandesschärfe, Herzensgüte wurden aus den kurzen, prägnanten Sätzen laut. Krause zog die Augenbrauen hoch. Da stand ja ein Satz, der nach persönlicher Empfindung und Beleuchtung des eigenen Inneren schmeckte.

»Oft mag es ein spielerischer, scherzhafter, angeflogener Gedanke sein, der bestimmend für das Leben ist, zum Apostel, Mörder, Märtyrer oder Räuber macht. Ein unmeßbares und unwägbares Samenkorn fliegt ins Hirn und geht zu mächtiger, fruchtbringender oder verderbenerregender Saat auf — —«

Ja, mein Junge, sprach Krause in sich hinein, du gehst zu rasch, gestikulierst, schlenkerst mit den Beinen, bist ein Unwirklichkeitsmensch und Phantast. Wehe, wenn die die solide Landstraße verlassen.

Krause ließ sich zur Redaktionssekretärin Fräulein Lotte Fröhlich führen. Stand vor einem entzückenden jungen Mädchen, dessen goldbraune, gescheitelte Haare eine schneeweiße Stirne von köstlicher Reinheit umrahmten. Der eigenwillige, üppige Mund ließ mit seiner ein wenig zu kurzen Oberlippe beim Sprechen tadellose, kräftige Zähne sehen, die großen, graublauen Augen mochten wohl oft, nach Stimmung und Beleuchtung, die Farbe wechseln und konnten sicher ebenso brennen, wie sie jetzt kühl und gelassen fragend den Besucher maßen.

»Mein Name ist Karl Recher. Ich bin ein ständiger Leser des Berliner »Herold« und interessiere mich für Ihren Mitarbeiter, der mit T. H—g zeichnet. Wäre es möglich, seinen vollen Namen und seine Anschrift zu erfahren?«

Fräulein Fröhlich errötete, in ihren Augen flackerte ein helles Licht auf, sie lud durch eine Bewegung der schlanken, feinen Hand den Besucher ein, Platz zu nehmen und erwiderte lebhaft:

»Sicher, der Verfasser dieser Artikel hat durchaus keine Ursache, anonym bleiben zu wollen. Er heißt Thomas Hartwig und wohnt in der Novalisstraße 10.«

»Mich fesseln verschiedene Gedanken, die er andeutet und ich möchte ihn gerne kennenlernen. Glauben Sie, daß dies mit Schwierigkeiten verbunden ist?«

»Keineswegs, Herr Recher! Ich bin sicher, daß Hartwig sich freuen wird, Sie kennen zu lernen.«

»Nun, dann will ich ihn heute noch aufsuchen. Größere Sachen hat Herr Hartwig wohl noch nicht geschrieben?«

»Oh, doch«, antwortete die Redaktionssekretärin rasch. »Vor wenigen Monaten erst ist ein Roman von ihm, er heißt ‚Kämpfende Seelen‘, erschienen. Leider in einem ganz unbekannten Verlag, bei Brüder Merker in Braunschweig, die es nicht verstehen, ein Buch zu lancieren, wohl auch über nicht genügende Mittel verfügen, so daß das Buch fast gar keine Verbreitung finden kann. Übrigens, wenn es Sie wirklich interessiert, ich habe einige Exemplare hier!«

Und schon hatte Fräulein Fröhlich ein Schubfach aufgesperrt und Krause ein Buch in häßlicher brauner Broschierung überreicht.

»Wenn es Ihnen gefällt und Sie Wert darauf legen sollten, so wird Herr Hartwig Ihnen sicher gerne eine Widmung hineinschreiben.«

 

Als Krause sich mit vielem Dank empfohlen, hatte und im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen, seufzte das Mädchen tief auf, machte ein besorgtes Gesicht und die großen Kinderaugen wurden fast schwarz.

»Hartwig hat auch ein herrliches Schauspiel geschrieben, ohne daß er es anbringen kann! Er gehört eben nicht zur Clique und hat nicht das Zeug dazu, sich in Szene zu setzen und Protektoren zu finden.«

»Sonderbar, da er doch Mitarbeiter des großen, einflußreichen »Herold« ist.«

Fräulein Fröhlich zuckte die Achseln. »Mitarbeiter? Sein Verhältnis zum ‚Herold‘ ist ein ganz loses und besteht nur darin, daß man hier und da einen Artikel von ihm nimmt. Und es gibt genug Herren hier, die ihm auch das neiden und sicher in den Theaterkanzleien eher gegen ihn als für ihn arbeiten würden, wenn sie wüßten, daß er ein Stück eingereicht hat.«

Krause, die Türklinke schon in der Hand, sagte im Ton ehrlicher Teilnahme:

»Da ist der arme Herr Hartwig wohl gar in mißlichen Verhältnissen?«

Das Gesicht der Jungen Dame wurde steinern. Sie warf den Kopf zurück und sagte mit betonter Zurückhaltung:

»Ich kenne die Privatverhältnisse des Herrn Hartwig nicht!«

Krause aber lächelte auf der Straße vor sich hin und sein Gehirn begann mit fieberhafter Geschwindigkeit zu arbeiten, zu kombinieren und aufzubauen.

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