Wirtschaftsgeographie

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2.2.2Raumwirtschaftslehre

Nur zögernd hat sich die Wirtschaftsgeographie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der beschreibenden Ebene des länder- und landschaftskundlichen Schemas zu modelltheoretischen und konzeptionellen Fragestellungen hin entwickelt, die das Ziel der Verallgemeinerung haben. Wichtige Anstöße in der Wirtschaftsgeographie stammen hierbei von Theorien, die in den Nachbarwissenschaften, insbesondere in der Ökonomie, entwickelt wurden. Erst Mitte der 1980er-Jahre haben auch sozialwissenschaftliche Ansätze verstärkt Einzug in die Wirtschaftsgeographie gehalten. Historisch wichtige Anstöße erhielt die Wirtschaftsgeographie durch die Arbeiten Webers (1909) zur industriellen Standortlehre und v. Thünens (1875) mit der für den Agrarsektor konzipierten Landnutzungstheorie sowie durch Christaller (1933) und Lösch (1944) mit ihren Untersuchungen über hierarchische Systeme zentraler Orte und Marktnetze. Wichtige programmatische Anregungen kamen in den 1950er-Jahren aus den USA von Isard (1956; 1960), der die regional science als Wissenschaft der räumlichen Ordnung und Organisation der Wirtschaft begründete, die sich stark an ökonomischen Theorien und Modellen orientiert. Durch die Einbeziehung des Raums – zumeist als Kostenfaktor – wurden ökonomische Theorien in die Geographie integriert. Damit entstand eine neue Basis für wirtschaftsgeographische Arbeiten. Es wurden formale Raummodelle entwickelt und allgemeine raumbezogene Zusammenhänge getestet. Insbesondere von Böventer (1962; 1995) übertrug den Ansatz der regional science in seine Raumwirtschaftslehre. Aus der regional science ist letztlich auch der von Schätzl (1998, S. 17 f) vertretene raumwirtschaftliche Ansatz der Wirtschaftsgeographie hervorgegangen. Demnach lässt sich „[. . .] Wirtschaftsgeographie definieren als die Wissenschaft von der räumlichen Ordnung und der räumlichen Organisation der Wirtschaft. Sie stellt sich in dem [. . .] raumwirtschaftlichen Ansatz die Aufgabe, räumliche Strukturen und ihre Veränderungen – aufgrund interner Entwicklungsdeterminanten und räumlicher Interaktionen – zu erklären, zu beschreiben und zu bewerten. Dabei sind die Verteilung ökonomischer Aktivitäten im Raum (Struktur), die räumlichen Bewegungen von Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen (Interaktionen) sowie deren Entwicklungsdynamik (Prozeß) als interdependentes Raumsystem zu verstehen.“

Ziel der Raumwirtschaftslehre ist es dabei, auf dem Weg der Theorie- und Modellbildung allgemeine Erkenntnisse über die räumliche Ordnung der Wirtschaft zu erhalten. Voppel (1999, S. 27) erläutert dies programmatisch wie folgt: „Die theoretischen Grundlagen der Wirtschaftsgeographie basieren auf Gesetzmäßigkeiten, die den Raum und mit dem Raum verbundene ökonomische Entscheidungen und Abläufe betreffen.“ Nach Schätzl (1998, Kap. 1) stehen hierbei drei spezifische Aufgaben der Wirtschaftsgeographie im Vordergrund:

 Untersuchung der Verteilung ökonomischer Aktivitäten wie z.B. von Wirtschaftszweigen im Raum, und der Faktoren, welche ihre Standortwahl beeinflussen.

 Analyse der Veränderungen der räumlichen Struktur und ihrer Entwicklungsdynamik, z. B. der Ursachen für Standortverlagerungen oder von Unternehmensgründungen und -schließungen.

 Analyse der räumlichen Bewegungen von Gütern und Produktionsfaktoren, so z. B. der Entstehung von Kundeneinzugsbereichen und Arbeitsmärkten und der Erfassung von Pendlerverflechtungen und Technologietransfers.

Bartels (1970 a; 1988) geht in seiner Vorstellung von Wirtschaftsgeographie einen Schritt weiter, indem er das räumliche Verhalten von Menschen differenziert nach Tätigkeiten und Sozialgruppen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt, anstatt das Verhalten anonymer Wirtschaftseinheiten zu untersuchen. Er erkennt für die Wirtschaftsgeographie vor allem folgende Forschungsschwerpunkte: (1) choristische Methodik bzw. Spatialanalyse (Raumanalyse), (2) Sozialgruppenforschung, (3) Perzeptionsforschung (Wahrnehmungsforschung), (4) Mobilitätsforschung, (5) Umweltpotenzialforschung, (6) Siedlungssystemforschung, (7) Raumentwicklungsforschung und (8) Disparitätenforschung (Analyse räumlicher Ungleichheiten).

In den 1980er-Jahren hat der raumwirtschaftliche Ansatz der Wirtschaftsgeographie durch Schätzl (1998) in Deutschland eine starke Verbreitung erfahren, wobei zusehends auch Grenzen des Ansatzes bei der Lösung aktueller Forschungsfragen deutlich geworden sind. Dies zeigt sich etwa in der Raumsicht. So werden in Studien räumliche Eigenschaften definiert und identifiziert und als Erklärungsmuster für Standortstrukturen oder Standortmuster verwendet. Sozialwissenschaftliche Erklärungsdimensionen werden dabei hingegen vernachlässigt.

2.2.3Ansatzpunkte einer new economic geography

In der angelsächsischen Literatur haben die Studien von Scott (1988; 1998), Storper (1995; 1997 a; 1997 b), Storper und Scott (1990; 1992), Storper und Walker (1989) sowie die Arbeiten von Amin (1994), Gertler (1993; 1997), Lee und Wills (1997), Maskell und Malmberg (1999 a; 1999 b), Barnes und Gertler (1999), Sheppard und Barnes (2000), Clark et al. (2000), Malmberg und Maskell (2002) und anderen seit Ende der 1980er-Jahre entscheidend dazu beigetragen, dass sich eine new economic geography entwickelt hat. Sie ist eine Gegenposition zur raumwirtschaftlichen Konzeption, die auch in den USA und in England lange Zeit stark verbreitet war (Barnes 2001). Die Ansätze von Krugman (1998), Fujita et al. (1999) und anderen Ökonomen, die sich primär mit der Konzeption räumlicher Strukturen im disziplinären Kontext der Wirtschaftswissenschaften beschäftigen – und sich nicht unbedingt an die Geographie richten (Krugman 2011) –, werden wir demgegenüber als geographical economics bezeichnen (Martin und Sunley 1996) (→ Kap. 12.4).

Im Unterschied zum raumwirtschaftlichen Ansatz strebt die new economic geography nicht an, ein geschlossenes und universelles Theoriegebäude zu entwerfen. Aufgrund der zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Prozesse, Praktiken und Kontexte sind neue wirtschaftsgeographische Ansätze offen strukturiert, fokussieren sich auf eine Akteurs- bzw. Handlungsperspektive und beziehen unterschiedliche wirtschafts-, sozial-, kultur- oder politikwissenschaftliche Konzepte in die Theoriebildung ein, die durch ihre Vielfältigkeit zu lebhaften und offenen Debatten und zugleich zu einer fortschreitenden Theorieentwicklung beitragen. Um die unterschiedliche Betrachtungsweise in der new economic geography gegenüber der Raumwirtschaftslehre pointiert zu verdeutlichen, werden im Folgenden einige vereinfachte Beispiele diskutiert.

Beispiel 1. In der Raumwirtschaftslehre ist die Analyse von Standortverteilungen und Standortentscheidungen klassischer Untersuchungsgegenstand (Isard 1956; Richardson 1978; Bartels 1988; Schätzl 1998). Hierbei wird zunächst definiert, welche Standortanforderungen die Unternehmen einer Branche stellen. Anschließend werden Regionen auf Standorteigenschaften hin untersucht und diese mit den Standortanforderungen verglichen. Die Raumwirtschaftslehre unterstellt dabei, dass Unternehmen sich im Rahmen einer gewinnmaximalen Standortwahl genau in denjenigen Regionen ansiedeln, die ihre Bedürfnisse am besten befriedigen.

Beispiel 2. Eine andere Fragestellung der traditionellen Raumwirtschaftslehre besteht darin zu untersuchen, warum die Unternehmen einer Branche in einigen Regionen schneller wachsen als in anderen Regionen. Hierzu werden zunächst die Eigenschaften der betreffenden Regionen, wie z. B. die Struktur der Arbeitskräfte, Löhne und andere Kosten sowie der Infrastrukturbestand, ermittelt. Anschließend wird mit statistischen Verfahren bestimmt, welche Eigenschaften wachsende Regionen gemeinsam haben und welche Eigenschaften schrumpfende Regionen prägen. Hieraus wird vielfach ein direkter kausaler Zusammenhang abgeleitet, z. B. in der Form, dass niedrige Kosten höheres Wachstum bewirken.

Das Problem hierbei ist, dass in beiden Beispielen Räume so behandelt werden, als seien sie selbst die Akteure (z. B. Hard 1993). Eine politische Schlussfolgerung, die aus solchen Untersuchungen abgeleitet wird, besagt dann beispielsweise, man müsse Kosten in einer Region senken, damit sich ein höheres Wachstum einstellt. Bei einer solchen Argumentation wird allerdings übersehen, dass Regionen eben keine Akteure sind, sondern eine soziale Konstruktion, abhängig von den konkreten sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Bedingungen, unter denen Menschen in Unternehmen und anderen Organisationen agieren. Manchmal mag es nur ein einziges großes, dominantes Unternehmen sein, das über seine Verflechtungen mit anderen regionalen Akteuren Schrumpfungs- oder auch Wachstumsprozesse auslöst (z. B. Romo und Schwartz 1995). Das hat dann unter Umständen weder mit Kosten, Infrastruktur oder anderen Bedingungen vor Ort zu tun, sondern ist möglicherweise nur eine Folge eines übergeordneten an anderer Stelle beschlossenen Strategiewechsels dieses Unternehmens (z. B. Schamp 2000 b, Kap. 3.2). Der ehemalige Chemiekonzern Hoechst mit Stammsitz in Frankfurt-Höchst, der 1998 durch Fusion mit Rhône-Poulenc in Aventis überführt wurde, ist ein gutes Beispiel hierfür (Bathelt 1997 b). Eine Analyse von Standortfaktoren würde im Fall von Hoechst falsche Erklärungen für dessen Umstrukturierung und die Entwicklung der chemischen Industrie in der Rhein-Main-Region liefern, etwa die Konsequenzen für den Zuliefersektor und die Arbeitsplatzentwicklung (Bathelt und Kappes 2009), und könnte möglicherweise problematische politisch-planerische Konsequenzen nach sich ziehen.

In den Arbeiten zur new economic geography ist die Vorgehensweise demgegenüber eine andere (Storper 1997 b; Scott 1998). Hier werden neben wirtschaftswissenschaftlichen auch sozialwissenschaftliche Ansätze integriert. Genau genommen wird die Fragestellung der Raumwirtschaftslehre in ihr Gegenteil verkehrt. Es wird nicht untersucht, welche Regionen sich aufgrund ihrer bestehenden Standortvorteile für die Ansiedlung von Unternehmen gut eignen. Es wird vielmehr analysiert, wie Unternehmen ihr Umfeld selbst gestalten und verändern, sodass sie unter bestmöglichen Bedingungen produzieren können (Storper und Walker 1989, Kap. 3): Wie schaffen sich Unternehmen ein geeignetes regionales Umfeld durch die Ausbildung von Mitarbeitern, Ansiedlung von Zulieferern, Inanspruchnahme von Dienstleistungen, Beeinflussung von Politikern und Planern sowie durch Lernprozesse mit ihren Kunden? Auf die Unterschiede in der Herangehensweise der new economic geography im Vergleich zur Raumwirtschaftslehre deutet auch das hypothetische Beispiel der RegioNova in Kapitel 1.2 hin.

 

In neuen Ansätzen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass viele Standortentscheidungen im Sinn von Lipietz (1985) „geschichtliche Fundsachen“ sind, die im Nachhinein kaum mehr exakt ergründet werden können. So zeigen die Untersuchungen der 1980er- und 1990er-Jahre, dass Ansiedlungs- und Verlagerungspotenziale von Unternehmen eher gering sind. Regionale Strukturveränderungen sind vor allem geprägt durch Umstrukturierungen bestehender Unternehmen. Ansätze einer sozialwissenschaftlich informierten Wirtschaftsgeographie haben entsprechend eine dynamisch-evolutionäre Betrachtungsebene (Bathelt 1991 b, Kap. 12). Hierbei werden räumliche Strukturen als soziale Konstrukte betrachtet, die aus vielfältigen Interaktionen von Personen, Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern hervorgehen, wobei diese lokalisierten Strukturen zugleich infolge reflexiver Wissensaneignung das Handeln der Akteure beeinflussen (Storper 1997 a; 1997 b, Kap. 2).

Wichtige Fragen einer veränderten Perspektive der Wirtschaftsgeographie sind:

 Wie interagieren Unternehmen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für lokalisierte Prozesse und Strukturen?

 Wie werden Unternehmen durch den institutionellen und soziokulturellen Kontext in ihrer Stammregion geprägt?

 Wie sind Unternehmen und Produktionssysteme organisiert, wie unterscheidet sich die Organisation von Ort zu Ort und welche territorial abbildbaren Folgen ergeben sich daraus?

 Durch welche Kommunikations- und Abstimmungsprozesse können Unternehmen ihr Umfeld nach ihren Vorstellungen prägen, sodass ihre Wettbewerbsfähigkeit steigt und der technische Fortschritt beschleunigt wird?

 Wie lernen Unternehmen, wie entwickeln sie neues Wissen und wie wenden sie dieses Wissen zur Produktion neuer Waren und Dienstleistungen an?

 Wie kommt es zur Entstehung neuer Institutionen und wie sind diese verortet?

 Wie wirken sich Veränderungen von Technologien, Nachfragewünschen und Wettbewerbsbedingungen auf die Organisation der Produktion aus und in welcher regionalen Variation äußert sich dies?

 Und schließlich: Wie sind Unternehmen mit Akteuren an anderen Standorten national und global vernetzt, welche Probleme ergeben sich bei der Integration unterschiedlicher institutioneller, kultureller und politischer Handlungspraktiken und wie wird die Organisation an verschiedenen Standorten durch derartige Beziehungen beeinflusst?

Mit diesen und anderen Fragestellungen greift die Wirtschaftsgeographie die Kritik von Massey (1985, S. 11) an der Geographie als der Wissenschaft des Räumlichen auf:

„Geography set itself up as ‘the science of the spatial’. There were spatial laws, spatial relationships, spatial processes. There was a notion that there were certain principles of spatial interaction which could be studied devoid of their social content. [. . .] There was an obsession with the identification of spatial regularities and an urge to explain them by spatial factors. The explanation of geographical patterns, it was argued, lay within the spatial. There was no need to look further. [. . .] This is an untenable position. [. . .] There are no such things as purely spatial processes; there are only particular social processes operating over space.“

Ansatzpunkt einer relationalen Wirtschaftsgeographie sind nicht Regionen, sondern Unternehmen und andere Akteure, die innerhalb einer Produktions- bzw. Wertschöpfungskette in einem räumlichen Kontext arbeitsteilig miteinander verflochten sind und soziale Interaktionen aufweisen (Dicken 1998, Kap. 1).

Häufig wird hierbei auch von filière gesprochen (z. B. Nuhn 1993; Lenz 1997), wobei sich die Konzepte in ihrer empirischen Umsetzung meist nicht wesentlich voneinander unterscheiden (Schamp 2000 b, Kap. 2.1). Eine Produktionskette ist eine Abfolge von Funktionen, die dem Produkt auf jeder Stufe einen Wert zufügt ­(Dicken und Thrift 1992), wobei dies nicht als rein linearer Prozess verstanden werden darf.

Ein Beispiel, wie man die Produktionskette als Ausgangspunkt wirtschaftsgeographischer Studien verwendet, liefert die Untersuchung von Bertram (1992) über die Automobilindustrie (→ Abb. 2.5). Hier zeigen sich sehr deutlich die Schnittstellen zwischen Unterlieferanten, Hauptzulieferern, den eigentlichen Automobilproduzenten, der Absatzorganisation und den Konsumenten. Die einzelnen Glieder der Produktionskette überschneiden sich, sind eng miteinander durch Kommunikations- und Abstimmungsprozesse verbunden, werden aber dennoch von unterschiedlichen Prozessen beeinflusst. Zunehmende Preiskonkurrenz bei Unterlieferanten führt z. B. zu Verlagerungsprozessen der Produktion ins Ausland. Zunehmende Qualitätskonkurrenz der Hauptzulieferer hat etwa zur Folge, dass diese sich zu strategischen Allianzen zusammenschließen. Neue Konkurrenz der Automobilproduzenten kann schließlich dazu führen, dass neue Produktionskonzepte eingeführt werden. Der Produktionsablauf ist in dieser Konzeption nicht mehr rein linear, sondern unterliegt Einflüssen, die auf mehrere Abschnitte der Produktionskette zugleich rückwirken.


Abb. 2.5 Produktionskette als Ausgangspunkt wirtschaftsgeographischer Untersuchungen (nach Bertram 1992, S. 218)

2.3Das Argument der zweiten Transition in der Wirtschaftsgeographie

Die in diesem Band entwickelten Argumente plädieren nicht für eine additive Erweiterung des bestehenden raumwirtschaftlichen Paradigmas, sondern für eine Transition zu veränderten Grundkonzepten und -perspektiven des Fachs. Wir plädieren für einen Übergang zu einer Perspektive, deren mögliche Konturen wir vorzeichnen wollen. Dieses Buch formuliert die strukturellen Probleme des raumwirtschaftlichen Ansatzes und versucht veränderte und alternative Konzepte anzubieten, die Wege zu einer Neuorientierung sein können. Nachdem die methodologische Revolution die erste Transition von einer länderkundlichen Wirtschaftsgeographie zur Raumwirtschaftslehre bereitete, unternehmen wir den Versuch, den konzeptionellen Rahmen einer zweiten Transition hin zu einer relationalen Wirtschaftsgeographie zu formulieren. Unsere Argumentation stützt sich auf zahlreiche jüngere Arbeiten vor allem aus dem angelsächsischen Diskurs. Ausgangspunkt unserer Überlegungen stellt die Konzeption der holy trinity von Storper (1997 a; 1997 b, Kap. 2) dar. Es sollte hierbei vorab klar sein, dass dies nicht die einzige oder einzig mögliche Perspektive oder Sichtweise auf das Fach ist und dass andere Autoren durchaus andere Schwerpunkte setzen (z.B. Scott 2000; Barnes 2001; Boschma und Frenken 2005; Barnes und Sheppard 2010). Es geht uns in erster Linie darum zu versuchen, aktuelle wirtschaftsgeographische Problemstellungen und unterschiedliche Herangehensweisen und Konzepte in konsistenter Weise zu verbinden, zu bewerten und neue Forschungslinien aufzuzeigen (Bathelt und Glückler 2017).

2.3.1Storpers Konzeption der holy trinity

Einen initialen Versuch einer Neuformulierung der Ansatzpunkte und Ziele der Wirtschaftsgeographie unternahm Storper (1997 a; 1997 b, Kap. 2) mit seiner Konzeption der holy trinity, die auf den drei Säulen Technologie, Organisation und Territorium gründet, die in enger wechselseitiger Verflechtung stehen. Storper (1997 c) argumentiert, dass lokalisierte Produktionssysteme trotz revolutionärer Verbesserungen in der Kommunikationstechnik und im Verkehrswesen, die zu einer drastischen Raum-Zeit-Verkürzung (Harvey 1990) geführt haben, eine ungebrochen große Bedeutung besitzen. Er führt dies im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurück:

 Zum einen erhöhen sich durch Respezialisierungs- und Destandardisierungsprozesse die Transaktionskosten in der industriellen Produktion (→ Kap. 9.1). Diesem Kostenanstieg wird durch die Nutzung von Nähevorteilen in regionalen Ballungen begegnet.

 Zum anderen bieten spezialisierte Industrieagglomerationen die Möglichkeit zu spezifischen organisatorischen und technologischen Lernprozessen, die Wettbewerbsvorteile bewirken und den Ballungsprozess fördern.

In beiden Fällen spielen sogenannte untraded interdependencies für die Abstimmungs-, Kommunikations- und Lernprozesse zwischen den ökonomischen Akteuren eine zentrale Rolle. Diese umfassen Konventionen, informelle Regeln und Gewohnheiten. Sie sind lokalisiert, d. h. an bestimmte Personen und Orte gebunden und können dort, wo sie auftreten, regionsspezifische Vorteile konstituieren. Storper (1992; 1997 b, Kap. 3) argumentiert deshalb, dass Nähevorteile trotz mächtiger Globalisierungskräfte nationale und regionale Industrieballungen sowie -spezialisierungen begünstigen. Die dabei zugrunde liegenden sozialen und ökonomischen Prozesse erfasst Storper (1997 a; 1997 b, Kap. 2) durch die Überlagerung der drei Säulen seiner holy trinity der Wirtschaftsgeographie (→ Abb. 2.6):


Abb. 2.6 Produktions- und Innovationswelten in der Storper’schen Konzeption der holy trinity (nach Storper 1997 b, S. 42 und 49)

(1) Technologien. Technologien werden als Motor des Wandels territorialer Wirtschaftsstrukturen angesehen. Technologischer Wandel führt zum Aufstieg neuer und Niedergang alter Produkte und Prozesse, was sich unmittelbar auf die Struktur und Arbeitsteilung der industriellen Produktion und ihre räumliche Organisation auswirkt.

(2) Organisationen. Die Organisation von Unternehmen und Unternehmensnetzwerken in einem Produktionssystem wird unter anderem von der Art des eingeschlagenen technologischen Entwicklungspfads und von den territorialen Kontexten geprägt. Hierbei spielen lokalisierte Fertigkeiten und daraus nutzbare Nähevorteile durch spezialisierte Ressourcen, Qualifikationen sowie gleiche Normen, Regeln und Traditionen eine zentrale Rolle. Durch die Organisationsform werden Informations- und Kommunikationsprozesse ermöglicht und damit Voraussetzungen zum technologischen Wandel geschaffen.

(3) Territorien. Auf der Ebene der Territorien (→ Kap. 4.1) lassen sich die Ko-Entwicklungspfade von Organisationen und Technologien erfassen. Über regionale Materialverflechtungen, Wissenstransfers und Anpassungen zwischen Unternehmen kommt es zu spillover-Effekten und Lernprozessen, die die Wettbewerbsfähigkeit der in einer Region miteinander verbundenen Unternehmen kollektiv steigern. Untraded interdependencies haben eine zentrale Rolle bei der Transformation technologischer und organisatorischer Welten in regionale Welten (→ Abb. 2.6).

Storper (1995; 1997 b) leistet einen zentralen Beitrag für eine Neuorientierung der Wirtschaftsgeographie. Seine Argumentation betont die Rolle sozialer Institutionen, wie z.B. Konventionen, und stellt die soziale Interaktion als Prozess des Organisierens, Lernens und Innovierens in das Zentrum wirtschaftsgeographischer Forschung. Er identifiziert Mechanismen, in denen institutionelle Kontexte die geographische Konzentration ökonomischen Handelns erst ermöglichen, und konstruiert eine Erklärungsperspektive, die bei den Akteuren und Akteursgruppen und nicht bei deren Rahmenbedingungen ansetzt. Allerdings kann das implizite Raumverständnis in Storpers (1997 a; 1997 b, Kap. 2) Konzeption der holy trinity unter Umständen Probleme aufwerfen:

(1) Aufwertung der Raumdimension. Das Territorium bildet neben den konzeptionellen Säulen Organisation und Technologie eine eigenständige Säule und hat somit eine scheinbar gleichberechtigte Stellung innerhalb der holy trinity. Wir halten es für gefährlich, räumliche Prozesse (als seien Räume handlungsfähige Subjekte) auf dieselbe Ebene wie soziale und ökonomische Prozesse zu stellen. Da letztere eine konstitutive Funktion für räumlich abbildbare Prozesse und Strukturen einnehmen, gibt es außerhalb des Sozialen und Ökonomischen nichts Konzeptionelles über den Raum zu sagen (Saunders 1989). Dies ist allerdings auch nicht die Absicht von Storper (1993; 1997 a; 1997 b). Daher stellen wir dem Territorium als konstituierender Säule ein Verständnis von Raum als Perspektive gegenüber, mit der soziale und ökonomische Prozesse in der Wirtschaftsgeographie analysiert werden. Raum wird somit nicht auf der Ebene der Konzepte und Phänomene, sondern als Zugangsperspektive zu diesen konstruiert.

 

(2) Isolation der räumlichen Perspektive vom Ökonomischen und Sozialen. Durch die Konzeption einer Territorialdimension wird die Analyse räumlicher Prozesse und Strukturen auf eine einzige Säule der holy trinity und deren Überlappungsbereiche beschränkt. Organisationen und Technologien werden hingegen zunächst als abstrakte, unverortete Dimensionen charakterisiert. Dies entspricht nicht unserer Intention, die darauf abzielt, eine räumliche Perspektive als spezifisch geographische Sichtweise auf alle Analysedimensionen anzuwenden und ökonomische und soziale Prozesse aus dieser Perspektive zusammenzubinden.

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