Wolf unter Wölfen

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8

Das Mädchen war erwacht.

Den Kopf in die Hand gestützt, lag es und sah nach dem Fenster hinüber. Die gelblichgraue Gardine bewegte sich nicht. Das Mädchen glaubte, die riechende Hitze vom Hof her zu spüren. Es schauderte leicht.

Dabei sah es an sich herunter. Nicht daß es vor Kälte geschaudert hatte – es hatte wegen der häßlichen Hitze, wegen des üblen Geruches geschaudert. Es sah seinen Leib an; der Leib war weiß und fehlerlos; man mußte sich wundern, daß in einer Luft, die wie zersetzt, wie faulig war, etwas so fehlerlos bleiben konnte!

Das Mädchen hatte keinen genauen Begriff, welche Zeit es war, nach den Geräuschen konnte es neun oder zehn oder auch elf sein – die Vormittagsgeräusche blieben sich nach acht ziemlich gleich. Es war möglich, daß die Wirtin, Frau Thumann, gleich mit dem Morgenkaffee hereinkam. Nach Wolfgangs Wünschen hätte sie aufstehen und sich anständig bekleiden, auch ihn zudecken müssen. Nun gut, sie würde es gleich tun. Wolfgang hatte so überraschende Anfälle von Anstand …

Es ist doch gleich, sagte sie etwa zu ihm. Die Thumann ist es so und noch ganz anders gewöhnt. Wenn sie nur ihr Geld bekommt, stört sie gar nichts …

Stören –? hatte Wolfgang zärtlich gelacht. Stören, wenn sie dich so sieht –?!!

Er hatte sie angesehen. Immer wurde ihr unter solchen Blicken von ihm schwach und zärtlich. Sie hätte ihn an sich ziehen mögen, aber da sagte er schon ernster: Es ist doch unsertwegen, Peter, unsertwegen! Wenn wir jetzt auch drinsitzen im Dreck; richtig im Dreck sind wir erst, wenn wir nicht mehr auf uns aufpassen …

Ein Kleid macht doch nicht anständig, kein Kleid nicht unanständig, fing sie an.

Und wenn es nur ein Kleid ist! Darauf kommt es nicht an! hatte er fast heftig gesagt. Wenn es nur irgend etwas ist, was uns erinnert. Wir sind kein Dreck, ich nicht und du auch nicht. Und habe ich es erst einmal geschafft, wird uns alles viel leichter sein, wenn wir uns hier nicht wohlgefühlt haben, in diesem Dreckloch. Wir dürfen bloß nicht mitmachen mit denen hier!

Er murmelte nur noch, seine Worte verloren sich im Unverständlichen. Er dachte wieder daran, wie er es ›schaffen‹ würde, er war weg von ihr. (Er war viel weg von ihr, seinem Peter.)

Wenn du es geschafft hast, werde ich nicht mehr bei dir sein, hatte sie einmal gesagt.

Ein Weilchen war Stille gewesen, dann hatte ihn doch in seinem Grübeln erreicht, was sie gesagt hatte.

Du wirst bei mir sein, Peter! hatte er heftig geantwortet. Immer und immer. Glaubst du denn, ich vergesse das, wie du Nacht für Nacht auf mich wartest?! Ich vergesse das, wie du hier sitzt – in dem Loch – ohne alles?! Ich vergesse, daß du mich nie fragst und nie drängst, wie ich auch komme?! O Peter!! hatte er gerufen, und seine Augen leuchteten mit jenem Glanz, den sie nicht mochte, denn es war ein Glanz, den nicht sie entzündet. Letzte Nacht war es fast soweit! Es war ein Augenblick, wie ein Berg lag das Geld vor mir … Ich fühlte, es war beinahe soweit, nur noch ein-, zweimal … Nein, ich mache dir nichts vor. Ich habe an nichts Bestimmtes gedacht, an kein Haus, keinen Garten, kein Auto, nicht an dich … Es war wie eine plötzliche Helle vor mir, nein, eine strahlende Helle in mir, das Leben war so weit und klar, wie der Himmel, wenn die Sonne aufgeht, es war alles rein …

Dann … er senkte die Stirne … sprach mich eine Nutte an, und von da an ging alles verquer …

Er hatte mit gesenkter Stirn am Fenster gestanden. Sie fühlte, als sie seine zuckende Hand zwischen die ihren nahm, wie jung er war, wie jung seine Begeisterung, wie jung seine Verzweiflung, wie jung und ohne alle Verpflichtung, was er ihr sagte …

Du wirst es schaffen! sagte sie leise. Aber wenn du es geschafft haben wirst, werde ich nicht mehr bei dir sein.

Er zog seine Hand zwischen den ihren hervor.

Du wirst bei mir bleiben, sagte er kalt. Ich vergesse nichts.

Sie wußte, er hatte eben an seine Mutter gedacht, die ihr einmal ins Gesicht geschlagen. Sie wollte nicht darum bei ihm bleiben, weil seine Mutter sie einmal geschlagen hatte.

Und nun, von heute an, würde sie doch bei ihm bleiben, für immer. Noch hatte er es zwar nicht geschafft, und sie wußte längst, auf dem bisherigen Wege würde nie etwas draus werden. Aber was tat das? Weiter dieses schmierige Zimmer, weiter nicht wissen, wovon morgen leben, sich kleiden, weiter alles unklar – aber an ihn gebunden von heute mittag ein Uhr an!

Sie griff auf den Stuhl neben ihrem Bett, faßte die Strümpfe und fing an, sie überzustreifen. –

Plötzlich überfiel sie eine schreckliche Angst, es könne nichts daraus werden, es sei gestern alles fehlgegangen, völlig fehl, bis auf den letzten Tausendmarkschein. Sie wagte nicht aufzustehen, um sich zu überzeugen, sie sah mit brennenden Augen auf Wolfgangs Kleider, die über dem Stuhl neben der Tür hingen. Sie versuchte, die Dicke der rechten Jackettasche, in der er sein Geld aufbewahrte, richtig abzuschätzen.

›Gebühren müssen bezahlt werden‹, dachte sie angstvoll. ›Wenn die Gebühren nicht bezahlt werden können, wird nichts daraus.‹

Es war ein vergebliches Bemühen. Manchmal hatte er auch sein Taschentuch in dieser Tasche. Was konnte es jetzt wieder für neue Scheine geben –? Fünfhunderttausendmarkscheine –? Millionenscheine? Was wußte sie –? Was würde eine Trauung kosten – eine Million? Zwei Millionen? Fünf Millionen – was wußte sie –?! Selbst wenn sie den Mut gehabt hätte, in die Tasche zu fassen, nachzuzählen, sie wußte immer noch nichts! Sie wußte nie etwas.

Die Tasche war nicht dick genug.

Langsam, daß die Bettfedern nicht knarrten, langsam, behutsam, angstvoll drehte sie sich nach ihm um.

Guten Morgen, Peter, sagte er mit fröhlicher Stimme. Sein Arm zog sie gegen seine Brust. Sie legte ihren Mund auf seinen Mund. Sie wollte es nicht hören, jetzt wollte sie es nicht hören, was er sagte:

Ich bin vollkommen blank, Peter. Wir haben keine Mark mehr! Und die Flamme stieg und stieg, lautlos. Ihre reine, weißbläuliche Hitze brannte die verbrauchte Luft des Zimmers rein. Immer noch hoben barmherzige Arme die Liebenden von jedem Liebeslager aus Dunst und Unruhe, aus Kampf, Hunger und Verzweiflung, aus Sünde und Schamlosigkeit hoch in den reinen, kühlen Himmel der Erfüllung.

Zweites Kapitel
Berlin macht sich schwach
1

Viele Straßen um den Schlesischen Bahnhof sind schlimm; damals, 1923, kam zu der Trostlosigkeit, den üblen Gerüchen, dem Elend der öden, dürren Steinwüste eine wilde, verzweifelte Schamlosigkeit, Feilheit aus Elend oder Gleichgültigkeit. Geilheit aus der Gier, sich einmal selbst zu fühlen, selbst etwas zu sein in einer Welt, die in sausender, irrer Fahrt jeden mitriß, unbekannten Dunkelheiten zu.

Der Rittmeister von Prackwitz, viel zu elegant in einen hellgrauen Anzug gekleidet, den ihm ein Londoner Schneider nach gesandten Maßen gefertigt, viel zu auffallend aussehend mit seiner schlanken Figur, dem schlohweißen Haupthaar über dem braun verbrannten Gesicht, mit den dunklen, buschigen Brauen und den dunkel glühenden Augen – der Rittmeister von Prackwitz geht achtsam, sehr grade aufgerichtet, den Bürgersteig entlang, besorgt, niemanden zu streifen. Er sieht gradeaus vor sich hin, auf einen imaginären Fleck, der in Augenhöhe fern von ihm die Straße hinunter liegt, um niemanden und nichts sehen zu müssen. Er möchte auch gerne mit seinen Ohren weghorchen können, etwa in das schwere Rauschen seiner immer noch kaum angemähten, erntereifen Neuloher Kornfelder hinein, er bemüht sich, wegzuhorchen von dem, was ihm Hohn und Neid und Gier nachrufen.

Plötzlich ist es ihm wie in den unseligen Novembertagen des Jahres 1918, als er mit zwanzig Kameraden – dem Rest seiner Schwadron – auch eine Berliner Straße langmarschierte, in der Reichstagsnähe – und plötzlich prasselte aus Fenstern, von Dächern, aus dunklen Torgängen eine wüste Schießerei auf den kleinen Zug herab, ein regelloses, wildes, feiges Geknalle. Auch damals waren sie so weitermarschiert, das Kinn vorgestoßen, den Mund fest geschlossen, mit den Augen einen imaginären Punkt am Ende der Straße fixierend, den sie wohl nie erreichen würden. Und dem Rittmeister ist, als sei er in den fünf Wahnsinnsjahren seitdem eigentlich immer so weitermarschiert, einen imaginären Punkt fixierend, wachend wie schlafend – denn es gab in diesen Jahren keinen Schlaf ohne Traum. Immer eine trostlose Straße voller Feinde, Haß, Gemeinheit, Würdelosigkeit hinunter, und kam, wider alles Erwarten, doch die Ecke, so tat sich nur eine neue, ganz gleiche Straße auf, mit demselben Haß und derselben Gemeinheit. Aber wieder war der Punkt da, auf den man losmarschieren mußte, dieser Punkt, den es gar nicht gab, eine bloße Einbildung – .

Oder war der Punkt etwas, das gar nicht draußen, außerhalb von ihm lag, sondern in ihm, in seiner eigenen Brust – sage ich es denn: in meinem Herzen? Marschierte er, weil ein Mann marschieren muß, ohne auf Haß und Gemeinheit zu horchen, sehen auch aus tausend Fenstern zehntausend böse Augen auf ihn, sei er auch ganz allein – denn wo sind die Kameraden?! Marschierte er, weil man nur so sich näher kommt, das wird, was man auf dieser Erde zu sein hat, nämlich nicht das, was die andern von einem erwarten, sondern man selbst –? Mann selbst!

Und plötzlich ist dem Rittmeister von Prackwitz, hier auf der Langen Straße am Schlesischen Bahnhof in Berlin, einer verfluchten Stadt, ist dem Rittmeister und Rittergutspächter, angesichts von zehn schreienden Kaffeehausschildern, die nichts anzeigen als Bordelle – ist dem Rittmeister und Rittergutspächter und Mann Joachim von Prackwitz-Neulohe, der hierherkam, sehr gegen seinen Willen hierherkam, um mindestens sechzig Leute für die Ernte aufzutreiben, ist ihm, als wenn nun wirklich das Ende seines Marschierens ganz nahe wäre. Als könne er nun wirklich bald einmal das Kinn zurücknehmen, den Blick senken, den Fuß ruhen und sagen wie der Herrgott: siehe da, es war alles sehr gut!

 

Jawohl, eine gute, fast eine Bombenernte stand auf den Feldern, eine Ernte, die diese Verhungerten in der Stadt sehr wohl hätten gebrauchen können, und er mußte alles stehenlassen, einem jungen, etwas verlotterten Bengel von Inspektor übergeben und in die Stadt fahren und um Leute flehen. Denn es war seltsam und völlig unverständlich: je größer das Elend in der Stadt wurde, je knapper dort das Brot und je mehr nur noch das Land wenigstens die auskömmliche Nahrung bot, um so mehr drängten die Leute in die Stadt. Es war wirklich wie mit den Motten, die von der tötenden Flamme gelockt werden!

Der Rittmeister lachte auf. Ja wahrhaftig, es sah wirklich so aus, als winkte ihm ganz nahebei die himmlische Herrgottsruhe vom sechsten Schöpfungstage! Eine Fata Morgana, ein Oasen-Vorgespiegel, wenn der Durst ganz schlimm wird!

Das Weibsbild, dem er gedankenvoll ins Gesicht gelacht, gießt hinter ihm her einen ganzen Kübel, ein Jauchefaß, ach was, eine ganze Jauchegrube unflätiger Schimpfereien aus. Der Rittmeister aber tritt in einen Laden, über dem, verdreckt und schief, ein Schild hängt ›Berliner Schnitter-Vermittlung‹.

2

Die Flamme steigt empor und sinkt, das Feuer, das eben noch brannte, ist erloschen – glücklich der Herd, der die Glut lange bewahrt! Funken laufen über die Asche, die Flamme sank zusammen, die Glut verglomm, aber noch ist Wärme da.

Wolfgang Pagel sitzt in seinem feldgrauen, schon arg verbrauchten Waffenrock am Tisch. Er hat die Hände auf die leere Wachstuchplatte gelegt. Nun deutet er mit dem Kopf zur Tür. Sein eines Auge zwinkert, er flüstert: Pottmadamm hat’s auch schon gewittert.

Was? fragt Petra, und: Du sollst doch nicht zu Frau Thumann Pottmadamm sagen! Sie setzt uns noch raus.

Bestimmt! sagt er. Heute gibt’s schon kein Frühstück mehr. Sie hat’s schon gewittert.

Soll ich fragen, Wolf –?

I wo. Wer viel fragt, kriegt keinen Kaffee. Warten wir.

Er kippt den Stuhl zurück, wippt und fängt an zu pfeifen: Erhebt euch von der Erde, ihr Schläfer allzumal …

Er ist ganz unbekümmert, ganz ohne Sorgen. Durch das Fenster – der Vorhang ist nun zurückgezogen – kommt etwas Sonne in die graue, öde Höhle, was man so in Berlin Sonne nennt, was die Dunstschicht dem Sonnenlicht noch gelassen … Wie er hin- und herschaukelt, leuchten einmal die breiten, leicht welligen Haarsträhnen auf, einmal das Gesicht mit den hellen, jetzt lustig funkelnden Augen, graugrünen.

Petra, die sich nur seinen abgeschabten Sommermantel übergezogen hat, einen noch aus der Vorkriegszeit – Petra sieht ihn an, sie wird es nie müde, ihn anzusehen, sie bewundert ihn. Sie fragt sich, wie er es fertigbringt, sich in einem Schüsselchen mit einem halben Liter Wasser zu waschen und doch auszusehen, als habe er sich eine Stunde lang in einer Wanne geschrubbt. Sie kommt sich alt und verbraucht gegen ihn vor, obwohl sie ein Jahr jünger ist als er.

Plötzlich hält er mit dem Pfeifen inne, er lauscht zur Tür: Der Feind naht. Gibt es Kaffee? Ich habe Kohldampf noch und noch.

(Sie möchte sagen, daß sie auch Kohldampf hat, schon seit Tagen, denn das bißchen Frühstück mit den zwei Semmeln ist seit vielen Tagen ihre einzige Nahrung – nein, sie möchte es nicht sagen!) Der Schlurfeschritt auf dem Flur ist verhallt, die Etagentür klappte zu. Siehst du, Peter! Pottmadamm ist bloß wieder mit dem Pott aufs Klo gegangen. Auch ein Zug der Zeit: alle Geschäfte werden auf Umwegen erledigt. Pottmadamm läuft mit ihrem Pott.

Er hat den Stuhl wieder zurückgekippt, er fängt wieder an zu pfeifen, unbekümmert, lustig.

Er täuscht sie nicht. Sie versteht lange nicht alles, was er erzählt, sie hört nicht einmal so genau darauf hin. Es ist der Klang seiner Stimme, die leiseste Schwingung, kaum ihm selbst bewußt, sie hört’s doch: er ist nicht so lustig, wie er tut, nicht so unbekümmert, wie er sein möchte. Wenn er sich doch ausspräche – mit wem soll er sich denn aussprechen, wenn nicht mit ihr?! Vor ihr braucht er sich doch nicht zu schämen, sie braucht er doch nicht zu belügen, sie versteht alles von ihm – nein, nicht! Aber sie billigt alles, von vornherein und blindlings! Verzeiht es. Verzeiht? Unsinn! Es ist alles recht, und wenn es ihn jetzt überkäme, zu toben, sie zu schlagen – es wäre schon notwendig gewesen.

Petra Ledig (es gibt solche Namen, die ein Schicksal zu sein scheinen) war ein lediges Kind gewesen, ohne einen Vater. Später eine kleine Verkäuferin, von der nun verheirateten Mutter grade noch gelitten, solange sie ihr Monatsgehalt bis auf den letzten Pfennig als Kostgeld ablieferte. Aber es kam der Tag, da die Mutter sagte: Mit dem Dreck beköstige dich selbst! und nachrief: und wo du schlafen kannst, wirst du auch wissen!

Petra Ledig (es ist anzunehmen, daß der anspruchsvolle Name Petra der einzige Beitrag ihres unbekannten Vaters für ihre Lebensausrüstung war) – Petra Ledig war kein unbeschriebenes Blatt mehr mit ihren zweiundzwanzig Jahren. Ihre Reife war in keine geruhsame Zeit gefallen, Krieg, Nachkrieg, Inflation. Sie wußte schon, was es hieß, wenn die Herren im Schuhgeschäft der Verkäuferin den Schuh so bedeutungsvoll gegen den Schoß drückten. Manchmal nickte sie, traf den und jenen am Abend, nach Geschäftsschluß; und sie steuerte ihr Schifflein ein ganzes Jahr recht mutig durch, ohne völlig zu sinken. Sie brachte es sogar fertig, eine gewisse Auswahl zu treffen, eine Auswahl, die nicht so sehr von ihrem Geschmack als von der Furcht vor Krankheit bestimmt war. Stieg der Dollar einmal ganz schlimm, und entwertete sich alles für die Miete Zurückgelegte zu einem Nichts, so bummelte sie auch einmal durch die Straßen, immer in Angst vor der ›Sitte‹. Bei einem solchen Bummel hatte sie Wolfgang Pagel kennengelernt.

Wolfgang hatte seinen guten Abend gehabt. Er hatte ein wenig Geld, er hatte ein wenig getrunken. Dann war er immer vergnügt, zu tausenderlei Dingen aufgelegt. Komm mit, kleine Dunkle, komm mit! hatte er über die ganze Straße gerufen, und es hatte so etwas wie ein Wettrennen zwischen einem schnurrbärtigen Sittenpolizisten und ihr gegeben. Aber die Autotaxe, eine fürchterliche Karre, hatte sie doch entführt zu einem Abend, nett, aber doch eigentlich einem Abend wie alle solche Abende.

Dann war der Morgen gekommen, dieser graue, trostlose Morgen in dem Zimmer eines Absteigehotels, der immer so mutlos machte. Wo es einem wirklich einmal in den Kopf kommt zu fragen: Was soll das alles? Wozu lebst du?

Wie es sich gehörte, hatte sie sich noch schlafend gestellt, als der Herr sich eilig anzog, auch er recht leise, um sie nicht zu wecken. Denn Morgengespräche danach waren unbeliebt, unerquicklich, weil man entdeckte, daß man sich plötzlich nicht das geringste mehr zu sagen hatte, ja, meistens, daß man sich unausstehlich war. Sie hatte nur durch die Lider zu blinzeln, ob er ihr auch das Geld auf das Nachtkästchen legte. Nun, er hatte das Geld hingelegt. Es nahm alles seinen ordnungsmäßigen Verlauf, es war kein Wort von Wiedersehen gesagt worden, er war schon an der Tür.

Sie weiß nicht, wie es geschehen ist, was über sie gekommen ist, sie hat sich aufgesetzt im Bett und mit stockender Stimme leise gefragt: Würdest du – würden Sie – ach, darf ich nicht mitkommen?

Er hatte erst nicht verstanden, ganz verblüfft hatte er sich umgedreht. Wie bitte –?!

Dann hatte er gemeint, daß sie sich, neu in solcher Lage, vielleicht schämte, an Pensionsmutter und Portier vorbeizugehen. Er hatte sich bereit erklärt zu warten, wenn sie schnell machte. Aber während sie sich hastig anzog, hatte es sich herausgestellt, daß es sich nicht um etwas so Einfaches, wie unbelästigt auf die Straße zu kommen, handelte. Das sei sie gewöhnt. (Sie war von der ersten Minute an völlig ehrlich zu ihm.) Nein, sie wollte ganz mit ihm mitkommen, überhaupt. Ob es denn nicht ginge? Oh, bitte, bitte! Wer weiß, was er sich dachte. Plötzlich hatte er keine Eile mehr. Er stand in dem grauen Zimmer – es war grade die schreckliche Morgenstunde kurz vor fünf, die die Herren immer zum Weggehen wählen, weil sie dann die erste Elektrische in ihre Wohnung bekommen. Sie können sich dann noch vor dem Büro frisch machen, und viele tun auch so, als hätten sie in ihren Betten gelegen, drehen sich schnell noch einmal darin um.

Er tippte mit den Fingern nachdenklich auf einen Tisch. Mit seinen hellen, grünlichen Augen sah er sie überlegend unter der gesenkten Stirn hervor an. Sie erwarte doch wohl nicht, daß er Geld habe?

Nein. Sie habe nicht darüber nachgedacht. Es sei ihr auch gleich.

Er sei Fahnenjunker a. D., also ohne alle Bezüge. Ohne Stellung. Ohne festes Einkommen. Ja, eigentlich ohne Einkommen.

Ja, es sei recht, nicht darum habe sie gefragt.

Er erkundigte sich nicht, warum sie gefragt habe. Er fragte überhaupt nichts weiter. Später erst fiel ihr ein, daß er sehr viele Fragen hätte stellen können, sehr unangenehme. Etwa, ob sie mehr Männer schon so gebeten habe, ob sie ein Kind erwarte – tausend ekelhafte Dinge. Aber er stand nur da und sah sie an. Schon da war sie überzeugt, daß er Ja sagen würde. Müßte. Es war etwas zu Geheimnisvolles, daß sie ihn hatte fragen müssen. Sie hatte nie vorher daran gedacht. Sie war auch – damals – nicht die Spur verliebt in ihn. Es war eine ganz gewöhnliche Nacht gewesen.

Finden Sie, daß Konstanze sich richtig verhält? hatte er den Titel eines damals viel gespielten Stückes zitiert. Zum erstenmal sah sie sein Zwinkern mit dem einen Auge, wenn er scherzte, und die Fältchen im Augenwinkel.

Doch! sagte sie.

Na schön, sagte er gedehnt, wo einer nicht satt wird, können zwei kaum verhungern. Also los! Bist du fertig?

Es war ein seltsames Gefühl gewesen, neben ihm die Treppe hinabzusteigen, in einem ekligen Mietshaus, neben einem Mann, zu dem man nun gehörte. Einmal, als sie über einen schlecht gelegten Läufer stolperte, hatte er Hoppla! gesagt, aber ganz gedankenlos, wahrscheinlich war er sich ihrer Nähe gar nicht recht bewußt.

Plötzlich blieb er dann stehen. Sie erinnerte sich genau. Sie waren unten angelangt, es war in der falschen Marmorpracht und dem gipsernen Stuck des Eingangs. Übrigens heiße ich Wolfgang Pagel, sagte er mit einer leise angedeuteten Verbeugung.

Sehr angenehm, antwortete sie, ganz wie es sich gehörte. Petra Ledig.

Ob es angenehm ist, wird sich weisen, hatte er gelacht. Komm, Kleines. Ich werde dich Peter nennen. Petra ist mir einesteils zu biblisch, anderenteils zu steinig. Aber Ledig ist gut und kann so bleiben.

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