Kleiner Mann - was nun? mehrbuch-Weltliteratur

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Der Schleier der Mystik hebt sich, Bergmann und Kleinholz, auch warum Pinneberg nicht verheiratet sein kann



Sie wissen nicht recht, wie sie in ihr Zimmer gekommen sind, durch all die dunklen übervollen Räume, angefaßt an der Hand wie Kinder, die sich ängstigen.



Nun stehen sie in ihrem Zimmer, auch das noch gespenstisch genug, nebeneinander, im Dunklen. Es ist, als ob das Licht ihnen widerstrebte, als könnte es ebenso trübe sein wie das funzlige Licht nebenan bei der alten Frau.



»Das war schrecklich«, sagt Lämmchen, tief Atem holend.



»Ja«, sagt er. Und nach einer Weile noch einmal: »Ja. Sie ist verrückt, die Frau, Lämmchen, aus Kummer um ihr Geld.«



»Das ist sie. Und ich ...«, die beiden stehen noch immer angefaßt im Dunklen ... »und ich soll den ganzen Tag hier allein in der Wohnung sein und sie kann immer zu mir hereinkommen. Nein! Nein!«



»Sei doch ruhig, Lämmchen. Neulich war sie ganz anders. Das war vielleicht nur einmal so.«



»Junge Leute ...«, wiederholt Lämmchen. »Sie sagt es so häßlich, als wenn wir etwas noch nicht wüßten. Du, du, Junge, ich will nicht so werden wie die! Nicht wahr, ich kann nicht so werden wie die?! Ich hab Angst.«



»Aber du bist doch Lämmchen«, sagt er und nimmt sie in seinen Arm. Sie ist so hilflos, so groß und hilflos, und sie kommt zu ihm um Schutz. »Du bist doch Lämmchen und bleibst Lämmchen, wie kannst du werden wie die olle Scharrenhöfer?«



»Nicht wahr? Und für unsern Murkel kann es auch nicht gut sein, wenn ich hier wohne. Der soll sich nicht ängstigen, seine Mutter will immer fröhlich sein, damit er auch fröhlich wird.«



»Ja, ja«, sagt er und streichelt sie und wiegt sie. »Das kommt alles zurecht, das findet sich alles.«



»Das sagst du. Aber du versprichst mir nicht, daß wir ausziehen. Gleich!«



»Können wir es denn? Haben wir denn das Geld dafür, anderthalb Monate lang zwei Wohnungen zu bezahlen?«



»Ach, das Geld!« sagt sie. »Soll ich mich ängstigen, soll der Murkel schiech werden wegen ein bißchen Geld?«



»Ja, ach das Geld«, sagt er. »Das böse Geld. Das liebe Geld.«



Er wiegt sie in seinen Armen hin und her. Plötzlich fühlt er sich klug und alt, auf Dinge, auf die es bisher ankam, kommt es nicht mehr an. Er darf ehrlich sein: »Ich habe keine besonderen Gaben, Lämmchen«, sagt er. »Ich werd' nicht hoch kommen. Wir werden nach dem Geld krampfen müssen.«



»Ach du!« sagt sie halb singend. »Ach du!«



Der Wind bewegt die weißen Vorhänge an den Fenstern. Das Zimmer ist von einem sanften Licht durchstrahlt. Magisch angezogen gehen die beiden Arm in Arm gegen das offene Fenster und lehnen sich hinaus.



Das Land liegt im Mondlicht. Ganz rechts leuchtet ein flackerndes, flimmerndes Pünktchen: die letzte Gaslaterne in der Feldstraße. Aber vor ihnen liegt das Land, schön aufgeteilt in freundliche Helle und in einen sanften, tiefen Schatten, wo Bäume stehen. So still ist es, sie hören bis hier herauf die Strela über ein paar Steine plätschern. Und der Nachtwind stößt ganz sanft gegen ihre Stirnen.



»Wie schön das ist«, sagt sie. »Wie friedlich!«



»Ja«, sagt er. »Das tut richtig gut. Zieh mal die Luft tief ein, nicht wie bei euch in Platz.«



»Bei euch ... ich bin nicht mehr in Platz, ich gehöre nicht mehr nach Platz, ich bin am Grünen Ende bei der Witwe Scharrenhöfer ...«



»Nur bei der?«



»Nur bei der!«



– – –



»Gehen wir noch mal runter?«



»Jetzt nicht, Junge, laß uns hier noch ein Weilchen liegen. Ich muß dich auch noch etwas fragen.«



»Jetzt kommt es«, denkt er.



Aber sie fragt nicht. Sie liegt da im Fenster, der Wind bewegt das blonde Haar in der Stirn, legt es bald so bald so. Er sieht dem zu.



»So friedlich ...«, sagt Lämmchen.



»Ja«, sagt er. Und dann: »Komm ins Bett, Lämmchen.«



»Wollen wir nicht noch ein bißchen aufbleiben? Wir können morgen doch so lange schlafen, wo Sonntag ist. Und dann will ich dich ja auch noch etwas fragen.«



»Also frag schon!«



Es klingt ein wenig gereizt. Pinneberg holt sich eine Zigarette, brennt sie vorsichtig an, nimmt einen tiefen Zug und sagt wieder, aber merklich sanfter: »Frag schon, Lämmchen.«



»Willst du es nicht so sagen?«



»Aber ich weiß doch gar nicht, was du fragen willst.«



»Du weißt!« sagt sie.



»Aber bestimmt nicht, Lämmchen ...«



»Du weißt.«



»Lämmchen, bitte, sei vernünftig. Frag schon!«



»Du weißt.«



»Also dann nicht!« Er ist beleidigt.



»Junge«, sagt sie. »Junge, erinnerst du dich noch, wie wir in Platz in der Küche saßen? An unserm Verlobungstag? Es war ganz dunkel und so viele Sterne, und manchmal gingen wir auf den Küchenbalkon.«



»Ja«, sagt er brummig. »Weiß ich alles. Und –?«



»Weißt du nicht mehr, was wir da besprochen haben?«



»Na, hör mal, da haben wir uns eine hübsche Menge zusammengequasselt. Wenn ich das noch alles wissen soll!«



»Aber wir haben etwas ganz Bestimmtes besprochen. Uns versprochen sogar.«



»Weiß ich nicht«, sagt er kurz.



Also da liegt nun dieses mondbeschienene Land vor Frau Emma Pinneberg, geborene Mörschel. Die kleine Gaslaterne rechts zwinkert. Und gerade gegenüber, noch an diesem Ufer der Strela, ist ein Hümpel Bäume, fünf oder sechs. Die Strela plätschert und der Nachtwind ist sehr angenehm.



Es ist alles überhaupt sehr angenehm und man könnte diesen Abend sein lassen, wie er ist: angenehm. Aber da ist etwas in Lämmchen, das bohrt, das keine Ruhe läßt, etwas wie eine Stimme: es ist ja Schwindel mit diesem Angenehmsein, es ist ja Selbstbetrug. Man läßt es angenehm sein und plötzlich sitzt man bis über die Ohren im Dreck.



Lämmchen kehrt mit einem Ruck der Landschaft den Rücken und sagt: »Doch, wir haben uns was versprochen. Wir haben uns in die Hand versprochen,  daß wir immer ehrlich zueinander sein wollten und keine Geheimnisse voreinander haben.«



»Erlaube mal, das war anders. Das hast du mir versprochen.«



»Und du willst nicht ehrlich sein?«



»Natürlich will ich das. – Aber es gibt Sachen, die brauchen Frauen nicht zu wissen.«



»So!« sagt Lämmchen und ist ganz erschlagen. Aber sie erholt sich rasch wieder und sagt eilig: »Und daß du dem Chauffeur fünf Mark gegeben hast, wo die Taxe nur zwei Mark vierzig machte, das ist solche Sache, die wir Frauen nicht wissen dürfen?«



»Der hat doch den Koffer und den Bettsack rauf getragen!«



»Für zwei Mark sechzig? Und warum hast du die rechte Hand in der Tasche getragen, daß man den Ring nicht sieht? Und warum hat das Verdeck vom Auto zusein müssen? Und warum bist du vorhin nicht mit zum Kaufmann runtergegangen? Und warum können die Leute beleidigt sein, wenn wir verheiratet sind? Und warum ...?«



»Lämmchen«, sagt er, »Lämmchen, ich möchte wirklich nicht –«



»Das ist ja alles Unsinn, Junge«, antwortet sie, »du darfst einfach keine Geheimnisse vor mir haben. Wenn wir erst Geheimnisse haben, dann lügen wir auch, dann wird es bei uns wie bei allen andern.«



»Ja, schon, Lämmchen, aber ...«



»Du kannst mir alles sagen, Junge, alles! Wenn du mich auch Lämmchen nennst, ich weiß doch Bescheid. Ich hab dir doch gar nichts vorzuwerfen.«



»Ja, ja, Lämmchen, weißt du, es ist alles nicht so einfach. Ich möchte schon, aber ... es sieht so dumm aus, es klingt so ...«



»Ist es was mit einem Mädchen?« fragt sie entschlossen.



»Nein. Nein. Oder doch, aber nicht so, wie du denkst.«



»Wie denn? Erzähl doch, Junge. Ach, ich bin ja so schrecklich gespannt.«



»Also, Lämmchen, meinethalben.« Aber er zaudert schon wieder. »Kann ich es dir nicht morgen erzählen?«



»Jetzt! Auf der Stelle! Glaubst du, ich kann schlafen, wenn ich mir so den Kopf zerbrechen muß? Es ist was mit einem Mädchen, aber es ist doch nichts mit einem Mädchen ... Es klingt so geheimnisvoll.«



»Also, dann hör schon. Mit Bergmann muß ich anfangen, du weißt doch, im Anfang war ich hier bei Bergmann?«



»In der Konfektion, ja. Und ich finde ja auch Konfektion viel netter als Kartoffeln und Düngemittel. Düngemittel – verkauft ihr auch richtigen Mist?«



»Also wenn du mich jetzt veralberst, Lämmchen –!«



»Ich höre ja schon.« Sie hat sich auf die Fensterbank gesetzt und sieht abwechselnd ihren Jungen an und dieses Mondland. Das kann sie jetzt auch wieder ansehen. Es ist alles ganz richtig angenehm.



»Also bei Bergmann war ich erster Verkäufer mit hundertsiebzig Mark ...«



»Erster Verkäufer und hundertsiebzig Mark?!«



»Stille biste! Da habe ich immer den Herrn Emil Kleinholz bedienen müssen. Er hat viel Anzüge gebraucht. Weißt du, er trinkt. Das muß er schon  von Geschäfts wegen mit den Bauern und Gutsbesitzern. Aber er verträgt das Trinken nicht. Und dann liegt er auf der Straße und versaut sich seine Anzüge.«



»Äx! Wie sieht er denn aus?«



»Hör schon. Also ich habe ihn immer bedienen müssen, der Chef nicht und die Chefin auch nicht, haben bei ihm was zu bestellen gehabt. War ich mal nicht da, haben sie 'ne Pleite geschoben, und ich immer feste verkauft. Und dabei hat er auf mich eingeredet, wenn ich mich mal verändern will, und wenn ich die Judenwirtschaft über habe, und er hat einen rein arischen Betrieb, und 'nen feinen Buchhalterposten, und mehr verdiene ich auch bei ihm ... Ich hab' gedacht: red' du nur! Ich weiß, was ich hab, und der Bergmann ist gar nicht schlecht, immer anständig zu den Angestellten.«

 



»Und warum bist du dann doch von ihm weg zu Kleinholz?«



»Ach, wegen so 'nem Quatsch. Weißt du, Lämmchen, das ist doch hier in Ducherow so, daß jedes Geschäft am Morgen die Post durch seine Lehrlinge vom Amt abholt. Die andern auch von unserer Branche: der Stern und der Neuwirth und der Moses Minden. Und den Lehrlingen ist streng verboten, daß sie einander die Post zeigen. Auf den Paketen sollen sie gleich den Absender dick durchstreichen, daß die Konkurrenz nicht weiß, wo wir kaufen. Aber die Lehrlinge kennen sich doch alle von der Gewerbeschule her und dann quasseln sie miteinander und vergessen das Durchstreichen. Und manche haben auch richtig schnüffeln lassen, der Moses Minden vor allem.«



»Wie klein das hier alles ist!« sagt Lämmchen.



»Ach, wo es groß ist, ist es auch nicht anders. Ja, und nun wollte das Reichsbanner dreihundert Windjacken kaufen. Und wir vier Textilgeschäfte haben alle 'ne Anfrage bekommen, von wegen Angebot. Wir wußten, die schnüffeln, die wollen durchaus raushaben, von wo wir unsere Muster bekommen, die Konkurrenz. Und weil wir den Lehrlingen nicht getraut haben, hab' ich zum Bergmann gesagt: ich gehe selbst, ich hol die Post diese Tage selbst.«



»Na? Und? Haben sie's rausgekriegt?« fragt Lämmchen gespannt.



»Nein«, sagt er und ist schwer gekränkt, »natürlich nicht. Wenn ein Lehrling nur auf zehn Meter Entfernung nach meinen Paketen geschielt hat, habe ich ihm schon Katzenköpfe angeboten. Den Auftrag haben

wir

 gekriegt.«



»Ach, Junge, nun erzähl doch endlich. Wann kommt denn nun das Mädchen, das nicht so ist, wie ich denke? Das alles ist doch kein Grund, daß du von Bergmann weg bist.«



»Ja, ich hab ja schon gesagt«, meint er ziemlich verlegen, »es ist alles so ein Quatsch gewesen. Zwei Wochen lang habe ich die Post selber geholt. Und das hat nun der Chefin so gut gefallen, ich hab zwischen acht und neun ja doch nichts im Geschäft zu tun gehabt, und die Lehrlinge haben in der Zeit, wo ich weg war, das Lager durchbürsten können, da hat sie einfach erklärt: »Herr Pinneberg kann jetzt immer die Post holen.« Und ich hab gesagt: »Nein, wie komm ich denn dazu? Ich bin erster Verkäufer, ich renn nicht mit Paketen durch die Stadt.« Und sie hat gesagt: »Doch!« und ich hab  gesagt: »Nein!«, und schließlich sind wir beide in Wut gekommen und ich hab ihr gesagt: »Sie haben mir überhaupt nichts zu befehlen. Ich bin vom Chef engagiert!«



»Und was hat der Chef gesagt?«



»Was soll er sagen? Seiner Frau kann er doch nicht Unrecht geben! Er hat mir gut zugeredet und schließlich hat er ganz verlegen gesagt, wie ich immer beim Nein blieb: ›Ja, dann werden wir uns trennen müssen, Herr Pinneberg!‹ Und ich hab gesagt, weil ich so richtig in Fahrt war: ›Schön, zum nächsten Ersten trennen wir uns.‹ Und er hat gesagt: ›Sie werden sich's überlegen, Herr Pinneberg.‹ Und ich hätte es mir auch noch überlegt, aber unglücklich kommt grade den Tag Kleinholz ins Geschäft und merkt, daß ich aufgeregt bin, und läßt sich alles erzählen, und da bestellt er mich auf den Abend zu sich. Wir haben Kognak und Bier getrunken, und wie ich die Nacht nach Haus kam, war ich engagiert als Buchhalter mit hundertachtzig Mark. Wo ich von richtiger Buchführung kaum etwas wußte.«



»Oh Junge. Und dein anderer Chef, der Bergmann? Was hat der gesagt?«



»Leid getan hat es ihm. Zugeredet hat er mir: ›Machen Sie's rückgängig, Pinneberg‹, hat er immer wieder zu mir gesagt. ›Sie werden doch nicht und mit sehenden Augen rennen in Ihr Verderben?! Was wollen Sie die Schickse heiraten, wo Sie sehen, die Memme treibt den Vater schon in den Suff. Und die Schickse ist schlimmer als die Memme.‹«



»Hat er wirklich so geredet, dein Chef?«



»Na, das sind doch hier noch olle richtige Juden. Die sind stolz darauf, daß sie Juden sind. ›Sei nicht so mies‹, hat der Bergmann oft gesprochen, ›bist doch ä Jud!‹«



»Ich mag die Juden nicht sehr gerne«, sagt Lämmchen. »Und was war das mit der Tochter?«



»Ja, denk dir, das war nun der Haken. Vier Jahre habe ich in Ducherow gelebt und habe es nicht gewußt, daß der Kleinholz seine Tochter mit Gewalt verheiraten will. Die Mutter ist schon schlimm, keift den ganzen Tag und zottelt so in Häkeljacken mm, aber die Tochter, Marie heißt das Biest!«



»Und die solltest du heiraten, armer Junge?«



»Die

ysoll

 ich heiraten, Lämmchen! Der Kleinholz hat nur unverheiratete Leute, drei sind wir jetzt, aber auf mich machen sie am meisten Jagd.«



»Wie alt ist sie denn, die Marie?«



»Ich weiß nicht«, sagte er kurz. »Doch. Zweiunddreißig. Oder dreiunddreißig. Ist ja ganz egal. Ich heirat sie ja doch nicht.«



»Oh Gott, du armer Junge«, barmt Lämmchen. »Gibt es denn so was? Dreiundzwanzig und dreiunddreißig?«



»Natürlich gibt es das. Das gibt es sogar sehr«, sagt er mürrisch. »Und wenn du mich jetzt durch den Kakao ziehen willst, dann komm mir nur noch einmal mit alles erzählen ...«



»Aber ich zieh dich doch nicht ... Weißt du, Junge, das mußt du doch zugeben, ein bißchen komisch ist es doch. Ist sie denn eine gute Partie?«



»Das ist sie eben nicht«, sagt Pinneberg. »Das Geschäft bringt schon nicht mehr viel. Der olle Kleinholz säuft zu sehr und dann kauft er zu teuer und  verkauft zu billig. Und das Geschäft kriegt der Junge, der ist erst zehn Jahre. Und die Marie kriegt nur ein paar tausend Mark, wenn sie die kriegt, und deshalb beißt ja auch niemand an.«



»So ist das also«, sagt Lämmchen. »Und das wolltest du mir nicht erzählen? Und darum bist du ganz heimlich verheiratet mit geschlossenem Verdeck und der Ringhand in der Hosentasche?«



»Darum, ja. Ach Gott, Lämmchen, wenn die rauskriegen, daß ich verheiratet bin, die Weiber ekeln mich ja in einer Woche heraus. Und was dann?«



»Dann gehst du wieder zu Bergmann!«



»Aber ich denke ja gar nicht daran! Sieh mal«, er schluckt, aber dann sagt er es doch, »der Bergmann hat es mir ja vorausgesagt mit Kleinholz, daß das schief gehen würde. Und dann hat er gesagt: ›Pinneberg, Sie kommen wieder zu mir! Wo sollen Sie hingehen in Ducherow wie zum Bergmann? Nein‹, hat er gesagt, ›Sie kommen wieder zu mir, Pinneberg, und ich nehm Sie auch wieder. Aber ich laß Sie betteln, einen Monat müssen Se mir mindestens auf's Arbeitsamt laufen und zu mir betteln auf Arbeit. Strafe muß sein für so 'ne Chuzpe!‹ So hat Bergmann geredet und nun kann ich doch nicht wieder zu ihm. Ich tu und tu es nicht.«



»Aber wenn er doch recht hat? Du siehst doch selbst, daß er recht hat?«



»Lämmchen«, sagt Pinneberg flehentlich, »bitte, liebes Lämmlein, bitte mich nie darum. Ja, natürlich hat er recht und ich bin ein Kamel gewesen und das Paketetragen hätte mir gar nichts gemacht. Wenn du mich lange bitten würdest, ich würde hingehen, und er würde mich nehmen. Und dann war die Chefin da und der andere Verkäufer, das Dussel, der Mamlock, und immer würden sie sticheln und ich würd es dir nie verzeihen!«



»Nein. Nein. Ich will dich auch nicht bitten, es wird ja so gehen. Aber glaubst du nicht, es kommt doch raus, auch wenn wir noch so vorsichtig sind?«



»Es darf nicht rauskommen! Es darf nicht rauskommen! Ich hab alles so heimlich gemacht und nun wohnen wir hier draußen und in der Stadt sieht uns nie jemand zusammen, und wenn wir uns wirklich mal auf der Straße sehen, dann grüßen wir uns nicht.«



Lämmchen ist eine Weile still, aber dann sagt sie doch: »Wir können doch hier nicht wohnen bleiben, Junge, das siehst du doch ein?«



»Versuch es doch, Lämmchen!« bittet er. »Erst mal nur die vierzehn Tage bis zum Ersten. Vor'm Ersten können wir ja doch nicht kündigen.«



Sie überlegt es sich, ehe sie zusagt. Sie späht in den Reitsaal, aber dort erkennt man jetzt nichts, es ist zu dunkel. Dann seufzt sie: »Nun gut, ich will es versuchen, Junge. Aber du spürst doch selbst, daß dies nicht auf die Dauer ist, daß wir hier nie und nie ganz glücklich sein können?«



»Ach Dank«, sagt er. »Dank. Und das andere wird sich finden, muß sich finden. Nur nicht arbeitslos werden!«



»Nur nicht«, sagt sie auch.



Und dann sehen sie noch einmal auf das Land, dieses stille, mondbeglänzte  Land, und gehen ins Bett. Die Vorgänge brauchen sie nicht zuzuziehen. Hier gibt es kein Gegenüber. Und in ihr Einschlafen meinen sie ganz schwach die Strela plätschern zu hören.





Was sollen wir essen? Und mit wem dürfen mir tanzen? Müssen wir jetzt heiraten?



Am Montag morgen sitzen Pinnebergs am Kaffeetisch, Lämmchens Augen glänzen ordentlich: »Also heute, heute fängt es richtig an!« Und mit einem Blick auf die Schreckenskammer: »Ich werde den ollen Möl schon klar kriegen!« Und mit einem Blick in die Tasse: »Wie findest du den Kaffee? Fünfundzwanzig Prozent Bohnen!«



»Da du fragst, weißt du ...«



»Ja, Junge, wenn wir sparen wollen ...«



Worauf Pinneberg ihr auseinandersetzt, daß er sich bisher morgens immer »richtigen« Bohnenkaffee hat leisten können. Und sie erklärt, daß zwei eben mehr kosten als einer. Und er sagt, er hat immer gehört, in der Ehe lebt man billiger, das Essen für zwei in der Ehe stellt sich billiger als das Gasthausessen für einen.



Eine längere Debatte setzt ein, bis er sagt: »Donnerwetter, ich muß ja fort! Und eiligst!!«



In der Tür Abschied. Er ist die halbe Treppe hinunter, da ruft sie: »Jungchen, halt, Jungchen! Was wollen wir denn heute überhaupt essen?«



»Ganz egal«, tönt es zurück.



»Sag doch! Bitte, sag doch! Ich weiß doch nicht ...«



»Ich auch nicht!« Und die Tür unten klappt.



Sie stürzt ans Fenster. Da geht er schon, erst winkt er mit der Hand, dann mit einem Taschentuch, und sie bleibt so lange am Fenster, bis er an der Gaslaterne vorüber ist und verschwunden hinter einer gelblichen Hauswand. Und nun hat Lämmchen, zum ersten Mal in ihrem zweiundzwanzigjährigen Leben, einen Vormittag für sich allein, eine Wohnung für sich allein, einen Küchenzettel zu machen ganz allein. Sie geht ans Werk.



Pinneberg aber trifft an der Ecke der Hauptstraße den Stadtsekretär Kranz und grüßt ihn höflich. Dabei fällt ihm etwas ein. Er hat mit der rechten Hand gegrüßt und an der rechten Hand trägt er ja einen Ring. Hoffentlich hat Kranz den nicht gesehen. Pinneberg nimmt den Ring ab und steckt ihn sorgfältig in das »Geheimfach« seiner Brieftasche. Es widerstrebt ihm, aber was sein muß, muß sein. –



Unterdes ist man auch bei seinem Brotherrn Emil Kleinholz aufgestanden. Das Aufstehen ist dort an keinem Morgen erfreulich, denn direkt aus dem Bett ist man dort stets besonders schlechter Laune und geneigt, einander Wahrheiten zu sagen. Aber der Montag morgen ist meist besonders schlimm, am Sonntag abend neigt der Vater zu Eskapaden und die rächen sich dann beim Erwachen.



Denn Frau Emilie Kleinholz ist nicht sanft; soweit man einen Mann  zähmen kann, soweit hat sie ihren Emil gezähmt. Und in der letzten Zeit ist es ein paar Sonntage auch gut gegangen. Emilie hat einfach die Haustür am Sonntag abend abgeschlossen, ihrem Mann zum Abendbrot einen Siphon Bier spendiert und ihm späterhin mit Kognak die nötigen Lichter aufgesetzt. Irgend so etwas wie ein Familienabend ist dann auch wirklich zustande gekommen, der Junge hat in einer Ecke gekauzt und gemauzt (der Junge ist Miesling), die Frauen haben mit Handarbeiten am Tisch gesessen (für Maries Aussteuer) und Vater hat die Zeitung gelesen und ab und an gesagt: »Mutter, laß noch einen sausen.«



Worauf Frau Kleinholz jedes Mal sagte: »Vater, denk an das Kind!«, aber dann doch einen aus der Buddel sausen ließ, oder auch nicht, ganz nach dem Gemütszustand des Gatten.



So war auch dieser letzte Sonntag abend verlaufen und alles war ins Bett gegangen, um zehn herum.



Um elf Uhr wacht Frau Kleinholz auf, es ist dunkel im Zimmer, sie lauscht. Sie hört nebenan die Tochter Marie fiepen, die fiept im Schlaf, der Junge zieht seine Töne am Fußende des väterlichen Bettes, nur Vaters Schnarchen fehlt im Chor.



Frau Kleinholz faßt unter ihr Kopfkissen: der Hausschlüssel ist da. Frau Kleinholz macht Licht: der Mann ist nicht da. Frau Kleinholz steht auf, Frau Kleinholz geht durch die Wohnung, Frau Kleinholz geht in den Keller, Frau Kleinholz geht über den Hof (das Klo steht auf dem Hof): nichts. Schließlich entdeckt sie, daß ein Bürofenster nur angelehnt ist, und sie hat es bestimmt zugemacht. So was weiß sie stets bestimmt.



Frau Kleinholz ist kochende, siedende Wut: eine viertel Flasche Kognak, ein Siphon Bier, umsonst! Sie kleidet sich notdürftig an, sie wirft den lila wattierten Schlafrock um, sie geht, ihren Mann suchen. Sicher ist er an der Ecke im Krug von Bruhn, einen heben.

 



Es ist ein altes gutes Geschäft, das Getreidegeschäft der Kleinholzens am Marktplatz. Emil ist schon die dritte Generation, die es hat. Es ist reell gewesen, anständig, es ist ein Vertrauensgeschäft gewesen mit dreihundert alten Bauernkunden, Gutsbesitzerskunden. Wenn der Emil Kleinholz gesagt hat: »Franz, das Baumwollsaatmehl ist gut«, dann hat Franz nach keiner Gehaltsanalyse gefragt, er hats gekauft, und siehe, es war gut.



Aber einen Haken hat solch ein Geschäft: es muß begossen werden, es ist von Natur her ein feuchtes Geschäft. Es ist ein Saufgeschäft. Bei jedem Wagen Kartoffeln, bei jedem Frachtbrief, bei jeder Abrechnung: Bier, Korn, Kognak. Das geht, wenn die Frau gut ist, wenn ein Haushalt da ist, ein Zusammenhalt, eine Gemütlichkeit, aber es geht nicht, wenn die Frau ewig schimpft.



Frau Emilie Kleinholz hatte von eh und je geschimpft. Sie wußte, es war falsch, aber Emilie war eifersüchtig, sie hatte einen schönen Mann geheiratet, einen wohlhabenden Mann, sie war ein armes Ding gewesen mit sieben Zwetschgen, sie hatte ihn allen andern entrissen. Nun fletschte sie die Zähne über ihm, nach vierunddreißigjähriger Ehe kämpfte sie noch um ihn wie am ersten Tag.



Sie zottelt auf ihren Hausschuhen, in ihrem Schlafrock bis zur Ecke, zu  Bruhn. Ihr Mann ist nicht da. Sie könnte höflich fragen, ob er dagewesen ist, aber das ist ihr nicht gegeben, sie überschüttet den Krüger mit Vorwürfen: Säufern zu saufen geben, solche Lumpen. Anzeigen wird sie ihn, Verführung ist das zum Suff.



Der olle Bruhn mit dem Vollbart bringt sie selber raus, sie tanzt neben dem Hünen einen Wuttriller, aber er hat einen sicheren Griff.



»So, junge Frau«, sagt er.



Da steht sie draußen. Dies ist ein Kleinstadtmarktplatz mit Buckelpflaster, zweistöckige Häuser, mal Giebel, mal Fronten nach dem Platz, alle verhängt, alle dunkel. Nur die Gaslaternen fackeln und wackeln.



Jetzt nach Haus? So siehst du aus! Daß der Emil sie tagelang aufzieht, zum Narren hält, sie ist auf der Suche nach ihm gewesen und hat ihn nicht gefunden. Finden muß sie ihn jetzt, aus dem besten Suff, der versoffensten Gesellschaft herausreißen – aus dem schönsten Vergnügen.



Dem schönsten Vergnügen!



Plötzlich weiß sie es: Im Tivoli ist heute Tanz, da ist Emil.



Da ist er! Da ist er!



Und so wie sie ist, zieht sie durch die halbe Stadt, Hausschuhe, Morgenrock, geht sie ins Tivoli, der Kassierer vom Verein Harmonie will eine Mark Eintritt von ihr, sie fragt nur: »«Willst 'nen Backs?«



Und der Kassierer will nichts mehr von ihr.



So steht sie im Tanzsaal, erst noch halb gehemmt, hinter einer Säule, spähend, aber dann schon ganz Wut. Da tanzt ihr immer noch schöner Emil mit dem blonden Vollbart, und er tanzt mit einem kleinen schwarzen Biest, sie kennt sie nicht mal, wenn man das tanzen nennen kann, dies besoffene Gestolper. Der Tanzordner sagt: »Meine Dame! Ich bitte Sie, meine Dame!«



Und dann begreift er, daß dies ein Naturereignis ist, ein Tornado, ein Vulkanausbruch, daß da Menschen machtlos sind. Und er tritt zurück. Eine Gasse entsteht zwischen den Tanzenden, zwischen zwei Menschenmauern geht sie auf das eine Paar zu, das da ahnungslos holpert und stolpert, das eine ahnungslose Paar.



Sofort kriegt er eine geklebt. »Oh mein Schnucki!« schreit er auf und begreift noch nicht. Und dann begreift er ...



Sie weiß, jetzt heißt es abgehen, mit Würde, mit Haltung. Sie gibt ihm ihren Arm: »Es ist Zeit, Emil. Komm jetzt.«



Und er geht mit. Er zockelt würdelos an ihrem Arm aus dem Saal, würdelos, wie ein großer verprügelter Hund sieht er sich noch einmal nach seiner kleinen netten, sanften Schwarzen um, Arbeiterin der Rahmenfabrik von Stössel, die verdammt auch nicht viel Glück in ihrem Leben gehabt und sich mächtig gefreut hat über den zahlungsfähigen, flotten Kavalier. Er geht ab, sie geht ab. Draußen ist plötzlich ein Auto da, soviel versteht der Vorstand von der Harmonie auch, daß bei solchen Gelegenheiten ein Auto am besten eiligst herantelefoniert wird.



Emil Kleinholz schläft schon auf der Fahrt fest ein, er wacht auch nicht auf, als ihn die Frau mit dem Chauffeur ins Haus bringt, ins Bett bringt, dies verhaßte Ehebett, das

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