Kleiner Mann - was nun? mehrbuch-Weltliteratur

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»Da kommt der Karl«, ruft Lämmchen, denn draußen klappte eine Tür.

»Also her mit dem Essen, Frau«, sagt Mörschel. »Und recht habe ich doch, Schwiegersohn, fragen Sie mal Ihren Pastor, unfein ist das ...«

Ein junger Mensch kommt herein, aber jung ist nur eine Altersbezeichnung, er sieht völlig unjung aus, noch gelber, noch galliger als der Alte. Er knurrt: »N'Abend«, nimmt von dem Gast keinerlei Notiz und zieht Jacke und Weste aus, dann das Hemd. Pinneberg sieht es mit steigender Verwunderung.

»Überstunden gemacht?« fragt der Alte.

Karl Mörschel knurrt nur etwas.

»Laß doch jetzt die Scheuerei, Karl«, sagt Frau Mörschel, »komm essen.«

Aber Karl läßt schon das Wasser am Ausguß laufen und fängt an, sich sehr intensiv zu waschen. Bis zu den Hüften ist er nackt, Pinneberg geniert sich etwas, Lämmchens wegen. Aber die scheint nichts dabei zu finden, es ist ihr wohl selbstverständlich.

Pinneberg ist vieles nicht selbstverständlich. Die häßlichen Steingutteller mit den schwärzlichen Anschlagstellen, die halb kalten Kartoffelpuffer, die nach Zwiebeln schmecken, die saure Gurke, das laue Flaschenbier, das nur für die Männer dasteht, dazu diese trostlose Küche, der waschende Karl ...

Karl setzt sich an den Tisch, sagt brummig: »Nanu, Bier ...«

»Das ist der Bräutigam von Emma«, erklärt Frau Mörschel, »sie wollen bald heiraten.«

»Hat sie doch einen abgekriegt«, sagt Karl. »Na ja, einen Bourgeois. Ein Prolet ist ihr nicht fein genug.«

»Siehst du«, sagt Vater Mörschel, sehr befriedigt.

»Du, zahl man lieber dein Kostgeld, eh du hier den Mund aufreißt«, erklärt Mutter Mörschel.

»Was heißt siehst du«, sagt Karl gallig zu seinem Vater. »Ein richtiger Bourgeois ist mir noch immer lieber als ihr Sozialfaschisten.«

»Sozialfaschisten«, antwortet der Alte böse. »Wer wohl Faschist ist, du Sowjetjünger!«

»Na klar«, sagt Karl, »ihr Panzerkreuzerhelden ...«

Pinneberg hört mit einer gewissen Befriedigung zu. Was der Alte ihm gesagt hatte, bekam er jetzt vom Sohn mit Zinsen. Nur die Kartoffelpuffer gewannen nicht sehr dadurch, es war kein nettes Mittagessen, er hatte sich seine Verlobungsfeier anders gedacht.

Geschwätz in der Nacht von Liebe und Geld

Pinneberg hat seinen Zug sausen lassen, er kann auch morgens um vier fahren. Dann ist er immer noch rechtzeitig im Geschäft.

Die beiden sitzen in der dunklen Küche. Drinnen in der einen Stube schläft Herr, in der andern Frau Mörschel. Karl ist in eine KPD-Versammlung gegangen.

Sie haben zwei Küchenstühle nebeneinander gezogen und sitzen mit dem Rücken nach dem erkalteten Herd. Die Tür zu dem kleinen Küchenbalkon steht offen, der Wind bewegt leise den Schal über der Tür. Draußen ist – über einem heißen, radiolärmenden Hof – der Nachthimmel, dunkel, mit sehr blassen Sternen.

»Ich möchte«, sagt Pinneberg leise und drückt Lämmchens Hand, »daß wir es ein bißchen hübsch hätten. «Weißt du« – er versucht es zu schildern – »es müßte hell sein bei uns und weiße Gardinen und alles immer schrecklich sauber.«

»Ich versteh«, sagt Lämmchen, »ich versteh, es muß schlimm sein bei uns für dich, wo du es nicht gewöhnt bist.«

»So meine ich es doch nicht, Lämmchen.«

»Doch. Doch. Warum sollst du es nicht sagen, es ist doch schlimm. Daß sich Karl und Vater immer zanken, ist schlimm. Und daß Vater und Mutter immer streiten, das ist auch schlimm. Und daß sie Mutter immer um das Kostgeld betrügen wollen, und daß Mutter sie mit dem Essen betrügt ... alles ist schlimm.«

»Aber warum sind sie so? Bei euch verdienen doch drei, da müßte es doch gut gehen.«

Lämmchen antwortet ihm nicht. »Ich gehör ja nicht rein hier«, sagt sie statt dessen. »Ich bin immer das Aschenputtel gewesen. Wenn Vater und Karl nach Haus kommen, haben sie Feierabend. Dann fang ich an mit Aufwaschen und Plätten und Nähen und Strümpfestopfen. Ach, es ist nicht das«, ruft sie aus, »das täte man ja gerne. Aber daß das alles ganz selbstverständlich ist, und daß man dafür geschuppst wird und geknufft, daß man nie ein gutes Wort bekommt, und daß der Karl so tut, wie wenn er mich mit ernährt, weil er mehr Kostgeld zahlt als ich ... Ich verdien doch nicht viel – was verdient denn heute eine Verkäuferin?«

»Es ist ja bald vorbei«, sagt Pinneberg. »Ganz bald.«

»Ach, es ist ja nicht das«, ruft sie verzweifelt, »es ist ja alles nicht das. Aber, weißt du, Junge, sie haben mich immer richtig verachtet, du Dumme sagen sie zu mir. Sicher, ich bin nicht so klug. Ich versteh vieles nicht. Und dann, daß ich nicht hübsch bin ...«

»Aber du bist hübsch!«

»Du bist der erste, der das sagt. Wenn wir mal zum Tanz gegangen sind, immer bin ich sitzen geblieben. Und wenn dann Mutter zum Karl gesagt hat, er solle seine Freunde schicken, hat er gesagt: wer will denn mit so 'ner Ziege tanzen? Wirklich, du bist der erste ...«

Ein unheimliches Gefühl beschleicht Pinneberg. ›Wirklich‹, denkt er, ›sie sollte mir das nicht so sagen. Ich hab immer gedacht, sie ist hübsch. Und nun ist sie vielleicht gar nicht hübsch ...‹

Lämmchen aber redet weiter: »Siehst du, Jungchen, ich will dir ja nichts vorjammern. Ich will es dir nur dieses einzige Mal sagen, daß du weißt, ich gehör hier nicht her, ich gehör nur zu dir. Zu dir allein. Und daß ich dir ganz furchtbar dankbar bin, nicht nur wegen des Murkels, sondern weil du das Aschenputtel geholt hast ...«

»Du«, sagt er. »Du!«

»Nein, jetzt noch nicht. – Und wenn du sagst, wir wollen es hell und sauber haben, du mußt ein bißchen geduldig sein, ich hab ja nie richtig kochen gelernt. Und wenn ich etwas falsch mache, dann sollst du es mir sagen, und ich will dich nie belügen ...«

»Nein, Lämmchen, nein, es ist gut.«

»Und wir wollen uns nie, nie streiten. Oh Gott, Junge, was wollen wir glücklich sein, wir beide allein. Und dann der dritte, der Murkel.«

»Wenn es aber ein Mädchen wird?«

»Es ist ein Murkel, sage ich dir, ein kleiner süßer Murkel.« –

Nach einer Weile stehen sie auf und treten auf den Balkon.

Ja, der Himmel ist da über den Dächern und seine Sterne in ihm. Sie stehen eine Weile schweigend, jedes die Hand auf der Schulter des andern.

Dann kehren sie zu dieser Erde zurück, mit dem engen Hof, den vielen hellen Fensterquadraten, dem Jazzgequäk.

»Wollen wir uns auch Radio anschaffen?« fragt er plötzlich.

»Ja, natürlich. Weißt du, ich bin dann nicht so mutterseelenallein, wenn du im Geschäft bist. Aber erst später. Wir müssen uns so furchtbar viel anschaffen!«

»Ja«, sagt er.

Stille.

»Junge«, fängt Lämmchen sachte an. »Ich muß dich was fragen.«

»Ja?« sagt er unsicher.

»Aber sei nicht böse!«

»Nein«, sagt er.

»Hast du was gespart?«

Pause.

»Ein bißchen«, sagt er zögernd. »Und du?«

»Auch ein bißchen«, und ganz rasch: »Aber nur ein ganz, ganz klein bißchen.«

»Sag du«, sagt er.

»Nein, sag du zuerst«, sagt sie.

»Ich ...« sagt er und bricht ab.

»Sag schon!« bittet sie.

»Es ist wirklich nur ganz wenig, vielleicht noch weniger als du.«

»Sicher nicht.«

»Doch. Sicher.«

Pause. Lange Pause.

»Frag mich«, bittet er.

»Also«, sagt sie und holt tief Atem. »Ist es mehr als ...«

Sie macht eine Pause.

»Als was?« fragt er.

»I wo«, lacht sie plötzlich. »Soll ich mich genieren! Hundertdreißig Mark hab' ich auf der Kasse.«

Er sagt stolz und langsam: »Vierhundertsiebzig.«

»Au fein!« sagt Lämmchen. »Das wird grade glatt. Sechshundert Mark. Junge, was ein Haufen Geld!«

»Na ...«, sagt er. »Viel finde ich es ja nicht. Aber man lebt schrecklich teuer als Junggeselle.«

»Und ich hab von meinen hundertzwanzig Mark Gehalt siebzig Mark für Kost und Wohnung abgeben müssen.«

»Dauert lange, bis man so viel zusammengespart hat«, sagt er.

»Schrecklich lange«, sagt sie. »Es wird und wird nicht mehr.«

Pause.

»Ich glaub nicht, daß wir in Ducherow gleich 'ne Wohnung kriegen«, sagt er.

»Dann müssen wir ein möbliertes Zimmer nehmen.«

»Da können wir auch für unsere Möbel mehr sparen.«

»Aber ich glaube, möbliert ist schrecklich teuer.«

»Also laß uns mal rechnen«, schlägt er vor.

»Ja. Wir wollen mal sehen, wie wir hinkommen. Wir wollen rechnen, als ob wir nichts auf der Kasse hätten.«

»Ja, das dürfen wir nicht angreifen, das soll ja mehr werden. Also hundertachtzig Mark Gehalt ...«

»Als Verheirateter kriegst du doch mehr.«

»Ja, weißt du, ich weiß nicht.« Er ist sehr verlegen. »Nach dem Tarifvertrag vielleicht, aber mein Chef ist so komisch ...«

»Darauf würde ich keine Rücksicht nehmen, ob er komisch ist.«

»Lämmchen, laß uns erst mal mit hundertachtzig rechnen. Wenn's mehr wird, ist es ja nur schön, aber die haben wir doch erst mal sicher.«

»Also schön«, stimmt sie zu. »Nun erst mal die Abzüge.«

»Ja«, sagt er. »An denen kann man ja nichts ändern. Steuern 6 Mark und Arbeitslosenversicherung 2 Mark 70. Und Angestellten-Versicherung 4 Mark. Und Krankenkasse 5 Mark 40. Und die Gewerkschaft 4 Mark 50 ...«

»Na, deine Gewerkschaft, das ist doch überflüssig ...«

Pinneberg sagt etwas ungeduldig: »Das laß man erst. Ich hab von deinem Vater genug.«

 

»Schön«, sagt Lämmchen, »macht 22 Mark 60 Abzüge. Fahrgeld brauchst du nicht?«

»Gott sei Dank nein.«

»Bleiben also erst mal 157 Mark. Was macht die Miete?«

»Ja, ich weiß doch nicht. Zimmer und Küche, möbliert. Sicher doch 40 Mark.«

»Sagen wir 45«, meint Lämmchen. »Bleiben 112 Mark 40. Was denkst du, brauchen wir für's Essen?«

»Ja, sag du mal.«

»Mutter sagt immer, 1 Mark 50 braucht sie für jeden am Tag.«

»Das sind 90 Mark im Monat«, sagt er.

»Dann bleiben noch 22 Mark 40«, sagt sie.

Die beiden sehen sich an.

Lämmchen sagt ganz schnell: »Und dann haben wir noch nichts für Feuerung. Und nichts für Gas. Und nichts für Licht. Und nichts für Porto. Und nichts für Kleidung. Und nichts für Wäsche. Und nichts für Schuhe. Und Geschirr muß man sich auch manchmal kaufen.«

Und er sagt: »Und man möchte doch auch mal ins Kino. Und am Sonntag 'nen Ausflug machen. Und 'ne Zigarette rauch ich auch ganz gerne.«

»Und sparen wollen wir doch auch was.«

»Mindestens 20 Mark im Monat.«

»Dreißig.«

»Aber wie?«

»Rechnen wir noch mal.«

»An den Abzügen ändert sich nichts.«

»Und billiger kriegen wir kein Zimmer und Küche.«

»Vielleicht fünf Mark billiger.«

»Naja, ich will mal sehen. 'Ne Zeitung möcht man sich aber auch halten.«

»Sicher. Können wir nur am Essen sparen, nun gut, zehn Mark vielleicht ab.«

Sie sehen sich wieder an.

»Dann kommen wir noch immer nicht aus. Und an Sparen ist auch nicht zu denken.«

»Du«, sagt sie sorgenvoll, »mußt du immer Plättwäsche tragen? Die kann ich nicht selber plätten.«

»Doch, das verlangt der Chef. Ein Oberhemd kostet sechzig Pfennig plätten und ein Kragen zehn Pfennig.«

»Macht auch wieder fünf Mark im Monat«, rechnet sie.

»Und Schuhe besohlen.«

»Auch das, ja. Das ist auch gemein teuer.«

Pause.

»Also, rechnen wir noch mal.«

Und nach einer Weile: »Also streichen wir vom Essen noch mal zehn Mark ab. Aber billiger als für siebzig kann ich es nicht.«

»Wie machen es denn die andern?«

»Ja, ich weiß auch nicht. Furchtbar viel haben doch noch 'ne ganze Ecke weniger.«

»Ich versteh das nicht.«

»Da muß irgendwas nicht richtig sein. Laß uns noch mal rechnen.«

Sie rechnen und rechnen, sie kommen zu keinem andern Ergebnis. Sie sehen sich an. »Weißt du«, sagt Lämmchen plötzlich, »wenn ich heirate, kann ich mir doch meine Angestellten-Versicherung auszahlen lassen?«

»Au fein!« sagt er. »Das gibt sicher hundertzwanzig Mark.«

»Und deine Mutter«, fragt sie. »Du hast mir nie von ihr erzählt.«

»Da ist auch nichts zu erzählen«, sagt er kurz. »Ich schreib ihr nie.«

»So«, sagt sie. »Ja dann.«

Wieder Stille.

Sie kommen nicht weiter, also stehen sie auf und treten auf den Balkon. Es ist fast alles dunkel geworden im Hof, auch die Stadt ist still geworden. In der Ferne hört man ein Auto tuten.

Er sagt in Gedanken verloren: »Haarschneiden kostet auch achtzig Pfennige.«

»Oh du, laß«, bittet sie. »Was die andern können, werden wir auch können. Es wird schon gehen.«

»Hör noch mal zu, Lämmchen«, sagt er. »Ich will dir auch kein Hausstandsgeld geben. Zu Anfang des Monats tun wir alles Geld in einen Topf, und jeder nimmt sich immer davon, was er braucht.«

»Ja«, sagt sie. »Ich hab einen hübschen Topf dafür, blaues Steingut. Ich zeig ihn dir noch. – Und dann wollen wir furchtbar sparsam sein. Vielleicht lerne ich noch, Oberhemden plätten.«

»Fünf-Pfennig-Zigaretten sind auch Unsinn«, sagt er. »Es gibt schon ganz anständige für drei.«

Aber sie stößt einen Schrei aus: »Oh Gott, Junge, den Murkel haben wir doch ganz vergessen! Der kostet ja auch Geld!«

Er überlegt: »Was kostet denn solch kleines Kind? Und dann gibt es Entbindungsgeld und Stillgeld und Steuern zahlen wir auch weniger ... ich glaub immer, die ersten Jahre kostet der gar nichts.«

»Ich weiß nicht«, sagt sie zweifelnd.

In der Tür steht eine weiße Gestalt.

»Wollt ihr nicht endlich ins Bett?« fragt Frau Mörschel. »Drei Stunden könnt ihr noch schlafen.«

»Ja, Mutter«, sagt Lämmchen.

»Es ist schon alles gleich«, sagt die Alte. »Ich schlaf heute bei Vater. Der Karl bleibt heute Nacht auch weg. Nimm ihn dir mit, deinen ...« Die Tür schrammt zu, ungesagt bleibt, welchen deinen ...

»Aber ich möchte wirklich nicht«, sagt Pinneberg etwas pikiert. »Das ist doch wirklich nicht angenehm hier bei deinen Eltern ...«

»Oh Gott, Junge«, lacht sie. »Ich glaub, der Karl hat recht, du bist ein Bourgeois ...«

»Aber keine Spur!« protestiert er. »Wenn es deine Eltern nicht stört.« Er zögert noch einmal: »Und wenn Doktor Sesam sich nun geirrt hat, ich habe nichts da.«

»Also setzen wir uns wieder auf die Küchenstühle«, schlägt sie vor. »Mir tut schon alles weh.«

»Ich komm ja schon, Lämmchen«, sagt er reumütig.

»Ja, wenn du nicht willst –?«

»Ich bin ein Schaf, Lämmchen! Ich bin ein Schaf!«

»Na also«, sagt sie. »Dann passen wir ja zueinander.«

»Das wollen wir gleich sehen«, sagt er.

Erster Teil
Die kleine Stadt
Die Ehe fängt ganz richtig mit einer Hochzeitsreise an, aber – brauchen wir einen Schmortopf?

Der Zug, der um 14 Uhr 10 an diesem August-Sonnabend von Platz nach Ducherow fährt, befördert in einem Nichtraucherabteil dritter Klasse Herrn und Frau Pinneberg, in seinem Packwagen einen »ganz großen« Schließkorb mit Emmas Habe, einen Sack mit Emmas Betten – aber nur ihr Bett, »für sein Bett kann er selber sorgen, wie kommen wir dazu« – und eine Eierkiste mit Emmas Porzellan.

Der Zug verläßt eilig die große Stadt Platz, am Bahnhof war keiner, die letzten Vorstadthäuser bleiben zurück, nun kommen die Felder. Eine Weile noch geht es an dem Ufer der glitzernden Strela entlang, und nun Wald, Birken an der Bahn lang.

Im Abteil sitzt außer ihnen nur noch ein grämlicher Mann, der sich nicht entschließen kann, was er nun eigentlich tun soll: Zeitung lesen, die Landschaft besehen oder das junge Paar beobachten. Überraschend geht er von einem zum andern über, und immer, wenn die beiden sich grade ganz sicher glauben, werden sie von ihm erwischt.

Pinneberg legt ostentativ seine rechte Hand aufs Knie. Der Reif schimmert freundlich. Jedenfalls sind es vollständig legitime Dinge, die dieser Grämling beobachtet. Er sieht aber nicht den Ring an, sondern die Landschaft.

»Macht sich gut, der Ring«, sagt Pinneberg zufrieden. »Kann man überhaupt nicht sehen, daß er nur vergoldet ist.«

»Weißt du, ein komisches Gefühl ist es doch mit dem Ring, ich fühl ihn immerzu und muß ihn ewig ansehen.«

»Bist ihn eben noch nicht gewöhnt. Alte Eheleute spüren ihn überhaupt nicht. Verlieren ihn, merken es gar nicht.«

»Das sollte mir passieren«, sagt Lämmchen entrüstet. »Ich werd ihn merken, immer und immer.«

»Ich auch«, erklärt Pinneberg. »Wo er mich an dich erinnert.«

»Und mich an dich!«

Sie neigen sich gegeneinander, immer näher, immer näher. Und fahren zurück, der Grämliche starrt geradezu schamlos.

»Keiner aus Ducherow«, flüstert Pinneberg. »Müßte ihn kennen.«

»Kennst du denn alle bei euch?«

»Was so in Frage kommt, natürlich. Wo ich früher bei Bergmann Herren- und Damenkonfektion verkauft habe. Da kennt man alles.«

»Warum hast du das denn aufgegeben? Das ist doch eigentlich deine Branche.«

»Hab mich verkracht mit dem Chef«, sagt Pinneberg kurz.

Lämmchen möchte weiter fragen, sie spürt, hier ist noch ein Abgrund, aber lieber läßt sie es. Alles hat Zeit, jetzt, wo sie richtig standesamtlich getraut sind.

Er hat scheinbar auch gerade daran gedacht: »Deine Mutter sitzt nun längst wieder zu Haus«, sagt er.

»Ja«, sagt sie. »Mutter ist böse, deswegen ist sie auch nicht mit zur Bahn gegangen. 'Ne Hundehochzeit ist das, hat sie gesagt, wie wir weggegangen sind vom Standesamt.«

»Soll ihr Geld sparen. So 'ne Festfresserei, wo alle nur dreckige Witze reißen, ist mir gräßlich.«

»Natürlich«, sagt Lämmchen. »Mutter hätte es nur Spaß gemacht.«

»Haben nicht geheiratet, damit Mutter Spaß hat«, sagt er kurz angebunden.

Pause.

»Du«, fängt Lämmchen wieder an, »ich bin so schrecklich gespannt auf die Wohnung.«

»Na ja, hoffentlich gefällt sie dir. Viel Auswahl ist nicht in Ducherow.«

»Also, Hannes, beschreib sie mir noch mal.«

»Schön«, sagt er und erzählt, was er schon öfter erzählt hat.

»Daß sie ganz draußen liegt, hab ich schon gesagt. Ganz im Grünen.«

»Das finde ich grade so fein.«

»Aber es ist ein richtiger Mietskasten. Maurermeister Mothes hat ihn da draußen hingesetzt, hat gedacht, da kommen noch mehr. Aber keiner kommt und baut da.«

»Warum nicht?«

»Weiß ich nicht. Ist den Leuten zu einsam, zwanzig Minuten von der Stadt. Kein gepflasterter Weg.«

»Also die Wohnung«, erinnert sie ihn.

»Ja, also, wir wohnen ganz oben, bei der Witwe Scharrenhöfer.«

»Wie ist sie denn?«

»Gott, was soll ich sagen. Sie tat ja sehr fein, sie hat auch mal bessere Tage gesehen, aber die Inflation ... Na, sie hat mir tüchtig was vorgeweint.«

»Oh Gott!«

»Sie wird ja nicht immer weinen. Und überhaupt, das ist ausgemacht, nicht wahr, wir sind schrecklich reserviert! Wir wollen keinen Verkehr mit anderen Leuten haben. Wir sind für uns genug.«

»Natürlich. Aber wenn sie aufdringlich ist?«

»Glaub ich nicht. Ist 'ne richtige feine alte Dame mit ganz weißen Haaren. Und sie hat schreckliche Angst um ihre Sachen, es sind doch noch die guten Sachen von ihrer Mutter selig, und wir sollen uns immer langsam auf das Sofa setzen, weil das noch die gute alte Federung hat, die verträgt keine plötzliche Belastung.«

»Wenn ich da man nur immer dran denke«, sagt Lämmchen bedenklich. »Wenn ich mich freue oder wenn ich schrecklich traurig bin und rasch mal heulen möchte, und ich setz mich hin, dann kann ich doch nicht an die gute alte Federung denken.«

»Mußt du«, sagt Pinneberg streng. »Mußt du eben. Und die Uhr unter dem Glassturz auf dem Vertiko, die sollst du nicht aufziehen und ich auch nicht, das kann sie allein.«

»Soll sie sich ihre olle eklige Uhr rausholen. Ich will in meiner Wohnung keine Uhr, die ich nicht aufziehen darf.«

»Es wird schon alles nicht so schlimm werden. Schließlich sagen wir, das Schlagen stört uns.«

»Aber gleich heute abend! Ich weiß ja nicht, solche vornehme Uhren, vielleicht müssen die nachts aufgezogen werden. – Also, sag endlich, wie ist es: man kommt die Treppe rauf und da ist die Flurtür. Und dann ...«

»Dann kommt der Vorplatz, den haben wir gemeinsam. Und links gleich die erste Tür, das ist unsere Küche. Das heißt, 'ne ganz richtige Küche ist es nicht, früher ist es wohl nur so 'ne Dachkammer gewesen unter dem schrägen Dach, aber ein Gaskocher ist da ...«

»Mit zwei Flammen«, ergänzt Lämmchen traurig. »Wie ich das machen soll, das ist mir noch schleierhaft. Auf zwei Flammen kann doch kein Mensch ein Essen kochen. Mutter hat vier Flammen.«

»Aber natürlich geht es mit zweien.«

»Nun paß doch mal auf, Junge!«

»Wir wollen ganz einfach essen, da reichen zwei Flammen vollkommen.«

»Wollen wir auch. Aber 'ne Suppe willst du doch haben: erster Topf. Und dann Fleisch: zweiter Topf. Und Gemüse: dritter Topf. Und Kartoffeln: vierter Topf. Wenn ich dann zwei Töpfe auf den beiden Flammen warm habe, sind unterdes die beiden andern kalt geworden. Bitte –!«

»Ja«, sagt er gedankenvoll. »Ich weiß doch auch nicht ...«

Und plötzlich, ganz erschrocken: »Aber dann brauchst du ja vier Kochtöpfe!«

»Brauch ich auch«, sagt sie stolz. »Damit komm ich noch nicht einmal aus. Einen Schmortopf muß ich auch haben.«

»Oh Gott, und ich hab nur einen gekauft!«

Lämmchen ist unerbittlich: »Dann müssen wir eben noch vier dazu kaufen.«

»Aber das geht doch nicht vom Gehalt, das geht doch schon wieder vom Ersparten!«

 

»Das hilft aber nichts, Junge, sei schon vernünftig. Was sein muß, muß doch sein, wir brauchen doch die Töpfe.«

»Das habe ich mir ganz anders gedacht«, sagt er traurig. »Ich denke, wir kommen vorwärts und sparen, und nun fangen wir gleich mit Geldausgaben an.«

»Aber wenn es sein muß!«

»Der Schmortopf ist ganz überflüssig«, sagt er erregt. »Ich eß nie Geschmortes. Nie! Nie! Wegen so ein bißchen Schmorbraten einen ganzen Topf kaufen! Nie!«

»Und Rouladen?« fragt Lämmchen. »Und Braten?«

»Also die Wasserleitung ist auch nicht in der Küche«, sagt er verzweifelt. »Wegen Wasser mußt du immer in die Küche von Frau Scharrenhöfer gehen.«

»Oh Gott!« sagt sie wieder einmal. –

Von weitem sieht eine Ehe außerordentlich einfach aus: zwei heiraten, bekommen Kinder. Das lebt zusammen, ist möglichst nett zueinander und sucht, vorwärts zu kommen. Kameradschaft, Liebe, Freundlichkeit, Essen, Trinken, Schlafen, das Geschäft, der Haushalt, sonntags ein Ausflug, abends mal Kino! Fertig.

Aber in der Nähe löst sich die ganze Geschichte in tausend Einzelprobleme auf. Die Ehe, die tritt gewissermaßen in den Hintergrund, die versteht sich von selbst, ist die Voraussetzung, aber beispielsweise: wie wird das nun mit dem Schmortopf? Und soll er gleich heute abend noch Frau Scharrenhöfer sagen, daß sie die Uhr aus dem Zimmer nimmt? Das ist es.

Dunkel fühlen es die beiden. Aber das sind noch keine dringenden Probleme, jeder Schmortopf wird über der Feststellung vergessen, daß sie jetzt allein im Abteil sind. Der Grämliche ist irgendwo ausgestiegen. Sie haben es gar nicht gemerkt. Schmortopf und Stutzuhr bleiben hinten, sie nehmen sich in die Arme, der Zug rattert. Ab und an holen sie einmal Atem, und dann küssen sie sich wieder, bis der langsamer fahrende Zug verrät: Ducherow.

»Oh Gott, schon!« sagen beide.

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