Kleiner Mann - was nun? mehrbuch-Weltliteratur

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Kleinholz stänkert, Kube stänkert und die Angestellten kneifen. Erbsen gibt es noch immer nicht

Der Weizenboden der Firma Emil Kleinholz ist eine olle verwinkelte Geschichte. Nicht einmal eine richtige Absackvorrichtung ist vorhanden. Alles muß noch auf Dezimalwaagen abgewogen werden, und aus einer Dachluke auf einer Rutsche läßt man die Säcke hinuntersausen in das Lastauto.

Sechzehnhundert Zentner sacken an einem Nachmittag, das ist wieder mal das richtige Kleinholz-Theater. Keine Arbeitseinteilung, keine Disposition. Der Weizen liegt schon eine Woche, schon zwei Wochen auf dem Boden, hätte man längst mit Absacken anfangen können, aber nein, an einem Nachmittag!

Es wimmelt von Menschen auf dem Boden, alles, was Kleinholz in der Eile hat auftreiben können, hilft mit. Ein paar Weiber kehren den Weizen wieder an die Haufen heran, drei Waagen sind in Tätigkeit, Schulz an der ersten, Lauterbach an der zweiten, Pinneberg an der dritten.

Emil rennt rum, Emil noch schlechterer Laune als am Vormittag, denn Emilie hat ihn völlig trocken gelegt, darum sind sie und Marie auch nicht auf den Boden gelassen. Über alle väterlichen Versorgungsgefühle hat die Wut des Tyrannisierten gesiegt. »Nicht riechen mag ich euch Biester.«

»Haben Sie Sackgewicht drauf, richtiges Sackgewicht, Herr Lauterbach? So ein Idiot! Ein Zweizentnersack wiegt drei Pfund, keine zwei Pfund! Genau zwei Zentner und drei Pfund werden gesackt, meine Herren. Und daß mir keiner ein Übergewicht gibt. Ich habe nischt zu verschenken. Ich wiege nach, mein schöner Schulz.«

Zwei Mann rutschen einen Sack zur Schurre. Der Sack geht auf, eine Flut rotbraunen Weizens prasselt auf den Boden.

»Wer hat den Sack zugebunden? Sie, Schmidten? Gottverdammich, Sie sollten doch mit Säcken umgehen können! Sie sind doch auch keine Jungfer mehr. Glotzen Sie nicht, Pinneberg, Ihre Waage hat Ausschlag! Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie Trottel, wir geben keinen Ausschlag?«

Nun glotzt Pinneberg wirklich, und zwar sehr böse auf seinen Chef.

»Kucken Sie nicht so dämlich! Wenn Ihnen hier was nicht paßt, bitte, Sie können gehen. – Schulz, Sie Bock, lassen Sie sofort die Marheinecke los. Will der Kerl auf meinem Weizenboden mit den Weibern loslegen.«

Schulz murmelt was.

»Halten Sie's Maul! Sie haben die Marheinecke in den Hintern gekniffen. Wieviel Sack haben Sie jetzt?«

»Dreiundzwanzig.«

»Nicht vorwärts geht das. Nicht vorwärts! Aber das sage ich euch, keiner kommt mir vom Boden runter, bis die achthundert Sack fertig sind! Vesper gibt's nicht. Und wenn ihr um elf Uhr nachts hier noch steht, das will ich doch mal sehen ...«

Es ist drückend heiß unter den Dachpfannen, auf die mit aller Gewalt die Augustsonne niederprallt. Die Männer haben nur noch Hemd und Hose an und die Weiber auch kaum mehr. Es riecht nach trockenem Staub, nach Schweiß, nach Heu, nach der frischen, glänzenden Jute der Weizensäcke, aber vor allem nach Schweiß, Schweiß, Schweiß. Ein dicker Brodem von Körperlichkeit, ein Gestank nach schofelster Sinnlichkeit macht sich immer breiter. Und dazwischen gellt ununterbrochen wie ein dröhnender Gong die Stimme von Kleinholz:

»Lederer, fassen Sie gefälligst die Schippe vernünftig an! Mensch, faßt man so 'ne Schippe an?! Halt den Sack ordentlich auf, du Fettsau, 'ne Schnauze muß er haben. So macht man das ...«

Pinneberg bedient seine Waage. Ganz mechanisch läßt er die Sperre runter: »Noch ein bißchen, Frau Friebe. Noch eine Kleinigkeit. So, nun ist es wieder zu viel. Noch 'ne Handvoll raus. Ab dafür! Der nächste! Halten Sie sich ran, Hinrichsen, Sie sind jetzt dran. Sonst stehen wir noch um Mitternacht hier.«

Und im Gehirn geht es dabei, in Bruchstücken: »Lämmchen hat's gut. Frische Luft ... die weißen Vorhänge wehen. – Halt die Schnauze, verfluchter Hund! Ewig muß er kläffen. – Und um so was zittert man nun! So was will man um keinen Preis verlieren. Na, danke schön.«

Und wieder der dröhnende Gong: »Los mit Ihnen, Kube! Was haben Sie rausgewogen aus dem Haufen? Achtundneunzig Zentner? Hundert waren's. Das ist der Weizen aus Nickelshof. Hundert Zentner waren das. Wo haben Sie die zwei Zentner gelassen, Schulz? Ich wiege nach. Los, wieder rauf mit dem Sack auf die Waage.«

»Ist zusammengeschnurrt in der Hitze, der Weizen«, läßt sich der alte Speicherarbeiter Kube vernehmen. »War höllisch zach, als er von Nickelshof kam.«

»Kauf ich zachen Weizen? Halt du die Schnauze, du! Will hier reden. Hast ihn nach Haus getragen zu Muttern, was? Zusammengeschnurrt, wenn ich das höre! Geklaut ist er, hier mausen doch alle.«

»Das ha 'ck nich nödig, Herre«, sagt Kube, »daß Sie mir hier was von Klauen sagen. Ick meld das dem Verband. Das ha 'ck nich nödig, das wollen wir mal sehen.«

Er kiekt über seinen grauweißen Schnauzbart dem Chef grell in die Visage.

»Oh Gott, ist das schön«, jubiliert Pinneberg innerlich. »Verband! Wenn man das auch so könnte! Aber bei uns? Neese.«

Kleinholz ist gar nicht sprachlos, Kleinholz ist so was gewöhnt. »Hab ich was gesagt, daß du 'nen geklaut hast? Keinen Ton hab ich gesagt. Mäuse klauen auch, Mäusefraß haben wir immer. Müssen wir mal wieder Meerzwiebeln legen oder Diphtherie impfen, Kube.«

»Sie haben gesagt, Herr Kleinholz, ich hab hier Weizen geklaut. Da sind se alle Zeuge für auf dem Boden. Ich geh zum Verband. Ich zeig Sie an, Herr Kleinholz.«

»Nichts hab ich gesagt. Kein Wort hab ich zu Ihnen gesagt. Heh, Herr Schulz, habe ich was zu Kube gesagt von Klauen?«

»Habe nichts gehört, Herr Kleinholz.«

»Siehst du, Kube. Und Sie, Herr Pinneberg, haben Sie was gehört?«

»Nein. Nichts«, sagt Pinneberg zögernd und weint innen blutige Tränen.

»Na also«, sagt Kleinholz. »Ewig du mit deinen Stänkereien, Kube. Das will 'nen Betriebsrat sein.«

»Machen Se's sachte, Herr Kleinholz«, warnt Kube. »Sie fangen schon wieder an. Sie wissen doch von wegen. Dreimal sind Sie mit dem ollen Kube schon reingefallen vors Gericht. Ich geh auch viertens. Ich hab keine Bange, Herr Kleinholz.«

»Quasseln tust du«, sagt Kleinholz wütend, »du bist ja alt, Kube, du weißt ja nicht mehr, was du redest. So ein Mitleid hab ich mit dir!«

Aber Kleinholz hat es dicke. Außerdem ist es wirklich zu heiß hier oben, wenn man ununterbrochen hin und her läuft und brüllt. Er geht runter und macht Vesper.

»Ich geh mal auf's Büro, Pinneberg. Passen Sie hier auf, daß weiter gemacht wird. Vesper gibt's nicht, verstanden? Sie stehen mir dafür, Pinneberg!«

Er verschwindet die Bodentreppe abwärts, und sofort setzt allgemeine lebhafte Unterhaltung ein. Stoffmangel herrscht nicht, dafür hat Kleinholz gesorgt.

»Na, warum der heute so aus der Tüt ist, das weiß man ja.«

»Soll man einen auf die Lampe gießen, dann wird ihm schon anders.«

»Vesper!« brüllt der olle Kube, »Vesper!«

Emil kann noch nicht über den Hof sein.

»Ich bitte Sie, Kube«, sagt der dreiundzwanzigjährige Pinneberg zum dreiundsechzigjährigen Kube, »ich bitte Sie, Kube, machen Sie doch keine Geschichten, wo es Herr Kleinholz ausdrücklich verboten hat!«

»Is Tarif, Herr Pinneberg«, sagt Kube mit dem Walroßbart. »Vesper is Tarif. Das kann uns der Alte nicht nehmen.«

»Aber ich krieg den schlimmsten Krach ...«

»Was geht mir das an!« Kube schnauft. »Wo Se nicht mal gehört haben, daß er mir Mausehaken geschimpft hat –!«

»Wenn Sie in meiner Lage wären, Kube ...«

»Weeß ich. Weeß ich. Wenn alle so dächten wie Sie, junger Mann, dann dürften wir wohl wegen der Herren Arbeitgeber in Ketten schuften und für jedes Stück Brot 'nen Psalm singen. Na, Sie sind noch jung, Sie haben was vor sich, Sie werden ja auch noch erleben, wie weit Sie mit der Kriecherei kommen. – Also Vesper!«

Aber alles vespert längst. Die drei Angestellten stehen vereinsamt.

»Können ja weiter sacken, die Herren«, sagt ein Arbeiter.

»Sich 'nen weißen Fuß machen bei Emil!« der andere. »Dann läßt er sie vielleicht mal am Kognak riechen.«

»Nee, an Mariechen riechen!«

»Alle dreie?« Brüllendes Gelächter.

»Die nimmt alle drei, die is nich so.«

Einer fängt an zu singen: »Mariechen, mein süßes Viehchen.« Und schon singen die meisten.

»Wenn das gut geht!« sagt Pinneberg.

»Ich mach das nicht länger mit«, sagt Schulz. »Hab ich es nötig, mich hier vor allen Bock schimpfen zu lassen?! – Oder ich mach der Marie ein Kind und laß sie sitzen.« Er grinst schadenfroh und düster.

Und der starke Lauterbach: »Man müßte ihm mal auflauern, wenn er sich nachts besoffen hat, und ihn im Dunkeln gehörig vertrimmen. Das hilft.«

»Und tun tut keiner was von uns«, sagt Pinneberg. »Die Arbeiter haben ganz recht. Wir haben ewig Schiß.«

»Wenn du hast. Ich hab keinen«, sagt Lauterbach.

»Ich auch nicht«, sagt Schulz. »Ich hab überhaupt den ganzen Laden hier dicke.«

»Na, denn tun wir doch was«, schlägt Pinneberg vor. »Hat er denn mit euch nicht gesprochen heute früh?«

Die drei sehen sich an, prüfend, mißtrauisch, befangen.

»Ich will euch was sagen«, erklärt Pinneberg. Denn nun kommt es ja doch nicht mehr darauf an. »Mir hat er heute früh erst von der Marie was vorgequasselt, was sie für ein tüchtiges Mädchen ist. und dann, daß ich mich zum Ersten erklären soll, was, weiß ich eigentlich nicht, ob ich mich freiwillig abbauen lassen will, weil ich doch der Jüngste bin, also die Marie.«

»Bei mir war's auch so. Weil ich Nazi bin, davon hat er solche Unannehmlichkeiten.«

 

»Und bei mir, weil ich mal mit 'nem Mädchen ausgehe.«

Pinneberg holt tief Atem: »Na, und?«

»Wieso und?«

»Was wollt ihr denn zum Ersten sagen?«

»Was sagen?«

»Ob ihr die Marie wollt?«

»Ganz ausgeschlossen!«

»Eher stempeln gehen!«

»Na also!«

»Was na also?«

»Dann können wir doch auch was verabreden.«

»Aber was denn?«

»Zum Beispiel: wir geben unser Ehrenwort darauf, daß wir zu der Marie alle drei Nein sagen.«

»Von der wird er schon nicht reden, so dumm ist Emil nicht.«

»Marie ist kein Kündigungsgrund.«

»Also dann, daß wir ausmachen, wenn er einen von uns kündigt, kündigen die beiden andern auch. Ehrenwörtlich ausmachen.«

Die beiden sehen bedenklich drein, jeder erwägt seine Chancen, gekündigt zu werden, ob sich das Ehrenwort für ihn lohnt.

»Alle drei läßt er uns sicher nicht gehen«, drängt Pinneberg.

»Da hat Pinneberg recht«, bestätigt Lauterbach. »Das tut er jetzt nicht. Ich geb mein Ehrenwort.«

»Ich auch«, sagt Pinneberg. »Und du, Schulz?«

»Meinetwegen, ich mach mit.«

»Vesper vorbei!« brüllt Kube. »Wenn die Herren Beamten sich bemühen wollen!«

»Also es ist fest?«

»Ehrenwort!«

»Ehrenwort!«

»Gott, wie wird sich Lämmchen freuen«, denkt der Junge.

»Wieder für einen Monat Sicherheit.«

Sie gehen an ihre Waagen.

Es ist gegen elf, als Pinneberg nach Haus kommt. In der Sofaecke zusammengekuschelt, findet er schlafend Lämmchen. Sie hat ein Gesicht wie ein verweintes Kind, die Lider sind noch feucht.

»Oh Gott, bist du endlich da? Ich hatte solche Angst!«

»Aber warum denn Angst? Was soll mir denn passieren? Überarbeiten habe ich müssen, das Vergnügen habe ich alle drei Tage.«

»Und ich habe solche Angst gehabt! Hast du sehr Hunger?«

»Hunger noch und noch. Aber weißt du, es riecht so komisch bei uns.«

»Komisch, wieso?« Lämmchen schnuppert. »Meine Erbsensuppe!«

Sie stürzen gemeinsam in die Küche. Ein stinkender Qualm schlägt ihnen entgegen.

»Fenster auf! Rasch alle Fenster auf! Durchzug machen!«

»Sieh, daß du den Gashahn findest. Stell erst mal das Gas ab.«

Schließlich, etwas reinere Luft atmend, sehen die beiden in den großen Kochpott.

»Meine schöne Erbsensuppe«, flüstert Lämmchen.

»Irgendwas wie Kohlen.«

»Das schöne Fleisch!«

Sie starren in den Topf, dessen Boden und Wände von einer schwärzlichen stinkenden, klebrigen Masse bedeckt sind.

»Ich hab ihn um fünf aufgesetzt«, berichtet Lämmchen. »Ich dachte, du kämst um sieben. Damit das viele Wasser unterdes verkocht. Und dann kamst du nicht und ich kriegte solche Angst, und ich hab gar nicht mehr an den ollen dummen Pott gedacht!«

»Der ist auch hin«, sagt Pinneberg betrübt.

»Vielleicht kriege ich es wieder raus«, meint Lämmchen bedenklich. »Es gibt so Kupferbürsten.«

»Kostet alles Geld«, sagt Pinneberg kurz. »Wenn ich denke, was wir diese Tage schon für Geld veraast haben. Und nun alle diese Töpfe und Kupferbürsten und das Mittagessen – dafür hätte ich drei Wochen am Mittagstisch essen können. – Ja, nun weinst du, wo es doch wahr ist ...«

Sie schluchzt sehr: »Und ich gebe mir ja solche Mühe, mein Junge! Nur wenn ich solche Angst um dich habe, kann ich doch nicht an das Essen denken. Und hättest du nicht eine einzige halbe Stunde früher kommen können? Dann hätten wir den Gashahn noch rechtzeitig zugedreht.«

»Na ja«, sagt Pinneberg und packt den Deckel auf den Topf.

»Lehrgeld. Ich« ... er entschließt sich heldenhaft ... »ich mach auch manchmal Fehler. Darum brauchst du nicht zu weinen. – Und nun gib mir was zu essen. Ich hab so 'nen Hunger!«

Pinneberg hat ja doch nichts vor, macht aber einen Ausflug, auf dem Augen gemacht werden

Der Sonnabend, dieser schicksalhafte Sonnabend, dieser dreißigste August, entsteigt strahlend mit tiefer Bläue der Nacht. Beim Kaffee hat Lämmchen noch einmal wiederholt: »Also morgen bist du bestimmt frei. Morgen fahren wir nach Maxfelde mit der Bimmelbahn.«

»Morgen hat Lauterbach Stalldienst«, erklärt Pinneberg. »Morgen fahren wir los. Das versprech ich dir.«

»Und dann nehmen wir uns ein Ruderboot und rudern über den Maxensee, die Maxe hinauf.« Sie lacht. »Gott, Junge, was für Namen? Ich denke immer noch, du nimmst mich auf den Arm!«

»Tät ich gern. Aber ich muß los ins Geschäft. Tjüs, Frau!«

»Tjüs, Mann!«

Dann kam Lauterbach zu Pinneberg. »Du hör mal, Pinneberg, wir haben morgen Werbemarsch und mein Gruf hat mir gesagt, ich darf bestimmt nicht fehlen. Mach du mal für mich Futterausgabe.«

»Tut mir schrecklich leid, Lauterbach, morgen kann ich unter keinen Umständen! Sonst immer gerne.«

»Tu mir doch den Gefallen, Mensch!«

»Nein, wirklich nicht. Du weißt, sonst immer gerne, aber diesmal ausgeschlossen! Vielleicht Schulz?«

»Nee, Schulz kann auch nicht. Der hat was mit 'nem Mädchen, wegen Alimente. Also sei so gut.«

»Diesmal nicht.«

»Aber du hast doch nie was vor.«

»Und diesmal habe ich eben was vor.«

»Solche Ungefälligkeit – wo du sicher nichts vorhast!«

»Diesmal doch!«

»Ich mach zwei Sonntage für dich Dienst, Pinneberg.«

»Nein, ich will gar nicht. Und nun halt den Mund davon. Ich tu's nicht.«

»Bitte, wenn du so bist. Wo es mein Gruf extra befohlen hat!« Lauterbach ist wahnsinnig beleidigt.

Damit fing es an. Damit ging es weiter.

Zwei Stunden später sind Kleinholz und Pinneberg allein auf dem Büro. Die Fliegen summen und burren schön sommerlich. Der Chef ist heftig gerötet, sicher hat er heute schon ein paar gekippt und ist darum guter Laune.

Er sagt auch ganz friedlich: »Machen Sie mal morgen Stalldienst für Lauterbach, Pinneberg. Er hat mich um Urlaub gebeten.«

Pinneberg sieht hoch: »Tut mir schrecklich leid, Herr Kleinholz. Morgen kann ich nicht. Ich hab das Lauterbach auch schon gesagt.«

»Das wird sich bei Ihnen ja verschieben lassen. Sie haben ja noch nie was Wichtiges vorgehabt.«

»Diesmal leider doch, Herr Kleinholz.«

Herr Kleinholz sieht seinen Buchhalter sehr genau an: »Hören Sie, Pinneberg, machen Sie keine Geschichten. Ich hab dem Lauterbach Urlaub gegeben, ich kann es nicht wieder ruckgängig machen.«

Pinneberg antwortet nicht.

»Sehen Sie, Pinneberg«, erklärt Emil Kleinholz den Fall ganz menschlich, »der Lauterbach ist ja 'ne doofe Nuß. Aber er ist nun mal Nazi und sein Gruppenunterführer ist der Müller Rothsprack. Mit dem möchte ich es auch nicht verderben, der hilft uns immer mal aus, wenn wir schnell was zu mahlen haben.«

»Aber ich kann wirklich nicht, Herr Kleinholz«, beteuert Pinneberg.

»Nun könnte ja mal der Schulz einspringen«, klamüsert Emil nachdenklich den Fall auseinander, »aber der kann auch nicht. Der hat morgen ein Familienbegräbnis, wo er was erben will. Da muß er hin, das sehen Sie ein, sonst nehmen die andern Verwandten sich doch alles.«

›So ein Aas!‹ denkt Pinneberg. ›Seine Weibergeschichten.‹

»Ja, Herr Kleinholz ...«, fängt er an.

Aber Kleinholz ist aufgezogen. »Und was mich angeht, Herr Pinneberg, ich würde ja gerne Dienst machen, ich bin nicht so, das wissen Sie ...«

Pinneberg bestätigt es: »Sie sind nicht so, Herr Kleinholz.«

»Aber wissen Sie, Pinneberg, morgen kann ich auch nicht. Morgen muß ich nun wirklich über Land und sehen, daß wir Kleebestellungen reinkriegen. Wir haben dies Jahr noch gar nichts verkauft.«

Er sieht Pinneberg erwartungsvoll an.

»Sonntags muß ich fahren, Pinneberg, sonntags treffe ich die Bauern zu Haus.«

Pinneberg nickt: »Und wenn der olle Kube mal das Futter rausgibt, Herr Kleinholz?«

Kleinholz ist entsetzt. »Der olle Kube?! Dem soll ich die Bodenschlüssel in die Hand geben? Der Kube ist schon seit Vatern da, aber den Bodenschlüssel hat er noch nie in die Hand bekommen. Nee, nee, Herr Pinneberg, Sie sehen's ja jetzt ein, Sie sind der Mann an der Spritze. Sie machen morgen Dienst.«

»Aber ich kann nicht, Herr Kleinholz!«

Kleinholz ist aus allen Wolken gefallen: »Aber wo ich Ihnen eben erst auseinandergesetzt habe, Herr Pinneberg, daß keiner Zeit hat wie Sie.«

»Aber ich habe keine Zeit, Herr Kleinholz!«

»Herr Pinneberg, Sie werden doch nicht verlangen, daß ich morgen für Sie Dienst mache, bloß weil Sie Launen haben. Was haben Sie denn morgen vor?«

»Ich habe ...«, fängt Pinneberg an. »Ich muß ...«, sagt er weiter. Und ist still, denn es fällt ihm in der Eile nichts ein. »Na also! Sehen Sie! Ich kann mir doch mein Kleegeschäft nicht verbuttern, bloß weil Sie nicht wollen, Herr Pinneberg! Seien Sie vernünftig.«

»Ich bin vernünftig, Herr Kleinholz. Aber ich kann bestimmt nicht.«

Herr Kleinholz erhebt sich, er geht rückwärts bis zur Tür und läßt kein betrübtes Auge von seinem Buchhalter. »Ich hab mich schwer in Ihnen getäuscht, Herr Pinneberg«, sagt er. »Schwer getäuscht.«

Und schrammt die Tür zu. –

Lämmchen ist natürlich völlig der Ansicht ihres Jungen.

»Wie kommst du dazu? Und überhaupt finde ich es schrecklich gemein von den andern, dich so reinzulegen. Ich an deiner Stelle hätte es dem Chef gesagt, daß der Schulz mit seinem Begräbnis gesohlt hat.«

»So was tut man doch nicht unter Kollegen, Lämmchen.«

Sie ist reuig: »Nein, natürlich nicht, du hast ganz recht. Aber dem Schulz würde ich es gründlich sagen. Ganz gründlich.«

»Tu ich auch noch, Lämmchen, tu ich noch.«

Und nun sitzen die beiden in der Kleinbahn nach Maxfelde. Der Zug ist proppenvoll, trotzdem es der Zug ist, der schon um sechs Uhr in Ducherow abfährt. Und auch Maxfelde mit dem Maxsee und der Maxe ist eine Enttäuschung. Alles ist laut und voll und staubig. Von Platz sind Tausende gekommen, ihre Autos und Zelte stehen zu Hunderten am Strand. Und an ein Ruderboot ist gar nicht zu denken, die paar Ruderboote sind längst vergeben.

Pinneberg und seine Emma sind jung verheiratet, ihr Herz dürstet nach Einsamkeit. Sie finden den Trubel schrecklich.

»Also marschieren wir los«, schlägt Pinneberg vor. »Hier gibt's ja überall Wald und Wasser und Berge ...«

»Aber wohin?«

»Ist ja ganz egal. Nur weg von hier. Wir finden schon was.«

Und sie finden etwas. Zuerst ist der Waldweg noch ziemlich breit und eine ganze Menge Leute sind auf ihm unterwegs, aber dann behauptet Lämmchen, daß es hier unter den Buchen nach Pilzen riecht, und sie lockt ihn wegab und sie laufen immer tiefer in das Grüne, und plötzlich sind sie zwischen zwei Waldhängen auf einer Wiese. Sie klettern auf der anderen Seite, sich bei den Händen haltend, hinauf, und als sie oben sind, stoßen sie auf eine Schneise, die sich welteneinsam immer tiefer, hügelauf, hügelab, in den Wald hineinzieht, und schlendern so weiter.

Über ihnen stieg die Sonne, langsam und allmählich, und manchmal warf sich der Seewind, weit, weit drüben von der Ostsee her, in die Buchenkronen, dann rauschten sie herrlich auf. Der Seewind war auch in Platz gewesen, wo Lämmchen früher zu Hause war, lang, lang ist's her, und sie erzählte ihrem Jungen von der einzigen Sommerreise ihres Lebens: neun Tage in Oberbayern, vier Mädels.

Und er wurde auch gesprächig, und sprach davon, daß er immer allein gewesen sei, und daß er seine Mutter nicht möge, und sie hätte sich nie um ihn gekümmert, und er sei ihr bei ihren Liebhabern stets im Wege gewesen. Und sie habe einen schrecklichen Beruf, sie sei ... Nun, es dauerte eine ganze Weile, bis er mit dem Geständnis herausrückte, daß sie eine Bardame sei.

Da wurde Lämmchen nun wieder nachdenklich und bereute fast ihren Brief, denn eine Bardame ist doch eigentlich etwas ganz anderes, trotzdem sich Lämmchen über die Funktionen dieser Damen gar nicht recht im klaren war, denn sie war noch nie in einer Bar gewesen, und was sie bisher von solchen Damen gehört hatte, schien wieder nicht zu dem Alter von ihres Jungen Mutter zu stimmen. Und kurz und gut, sicher wäre die Anrede »Verehrte gnädige Frau« besser gewesen. Aber mit Pinneberg jetzt darüber zu sprechen, war natürlich nicht möglich.

 

So gingen sie eine ganze Weile schweigend Hand in Hand. Aber gerade als dies Schweigen bedenklich wurde und sie voneinander zu entfernen schien, sagte Lämmchen: »Mein Jungchen, was sind wir glücklich!« und hielt ihm den Mund hin. –

Plötzlich wurde der Wald ganz hell vor ihnen, und als sie hinaustraten in die strahlende Sonne, standen sie auf einem ungeheuren Kahlschlag. Grade gegenüber lag ein hoher sandiger Hügel. Auf seiner Spitze hantierte ein Haufe Menschen mit einem komischen Gerät herum. Plötzlich hob sich das Gerät und segelte durch die Luft.

»Ein Segelflieger!« schrie Pinneberg. »Lämmchen, ein Segelflieger!«

Er war mächtig aufgeregt und versuchte ihr zu erklären, wieso dies Ding ohne Motor immer höher und höher kam. Aber da es ihm auch nicht ganz klar war, verstand Lämmchen es erst recht nicht, aber sie sagte folgsam: »Ja« und »Natürlich«.

Dann setzten sie sich am Waldrand hin und frühstückten ausgiebig aus ihren Paketen und tranken die Thermosflasche leer. Der große, weiße, kreisende Vogel sank und stieg und ging schließlich nieder, ganz, ganz weit draußen. Die Leute vom Hügelgipfel stürmten zu ihm, es war ein tüchtiger Weg, und als die beiden oben mit ihrem Frühstück fertig waren und Pinneberg seine Zigarette angebrannt hatte, fingen sie erst an, das Flugzeug wieder zurückzuschleppen.

»Jetzt ziehen sie ihn wieder auf den Berg«, erklärte Pinneberg.

»Aber das ist doch schrecklich umständlich! Warum fährt er nicht selbst?«

»Weil er keinen Motor hat, Lämmchen, er ist doch ein Segelflieger!«

»Haben die kein Geld, sich einen Motor zu kaufen? Ist ein Motor so teuer? Ich finde es schrecklich umständlich.«

»Aber Lämmchen ...«, und er wollte wieder erklären.

Aber Lämmchen lehnte sich plötzlich ganz fest in seinen Arm und sagte: »Ach, es ist schrecklich gut, daß wir uns haben, was, Jungchen?«

In diesem Augenblick geschah es:

Auf dem Sandwege, der am Waldrand entlang führte, war leise und sacht wie auf Filzlatschen ein Automobil herangeschlichen, und als die beiden es merkten und verlegen auseinanderfuhren, war das Auto beinahe auf ihrer Höhe. Trotzdem sie nun eigentlich die Gesichter der Autoinsassen im Profil hätten sehen müssen, waren ihnen die Gesichter alle voll und ganz zugekehrt. Und es waren erstaunte Gesichter, strenge Gesichter, entrüstete Gesichter.

Lämmchen verstand nichts, sie fand, daß diese Leute doch schon gar zu blöde blickten, als hätten sie noch nie ein küssend Paar gesehen, und sie verstand vor allem ihren Jungen nicht, der, Unverständliches murmelnd, aufsprang und eine tiefe Verbeugung gegen das Auto machte.

Aber dort gingen, wie auf geheimes Kommando, alle Gesichter, plötzlich ins Profil, niemand nahm von der herrlichen Verbeugung Pinnebergs Notiz, nur das Auto tat mit seiner Hupe einen grellen Schrei, fuhr rascher, tauchte zwischen Bäume und Gebüsch, noch einmal sahen sie ein Stück der roten Lackierung aufleuchten und vorbei. Vorbei.

Der Junge aber stand da, leichenblaß, die Hände in den Taschen, und murmelte: »Wir sind erschossen, Lämmchen. Morgen schmeißt er mich raus.«

»Wer denn? Wer?«

»Na, Kleinholz doch! Ach Gott, du weißt es ja noch gar nicht. Das waren Kleinholzens.«

»Ach Gott!« sagte Lämmchen auch und tat einen ganz tiefen Atemzug. »Das nenne ich nun freilich Malesche.«

Und dann nahm sie ihren großen Jungen in den Arm und tröstete ihn, so gut es eben ging.

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