Marivan unter den Kastanienbäumen

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Die mutige Bäuerin

Am nächsten Tag holte mich Jewad an der Ecke unserer kleinen Straße zur Hauptstraße hin ab. Meinen Eltern hatte ich noch nicht erzählt, was ich vorhatte, denn ich war mir nicht sicher, ob sie mir das erlauben würden.

Ah, da kam Jewad, allerdings auf einem Motorrad. Er stieg ab und ich konnte mir nicht verkneifen zu fragen: „Woher hast du das Motorrad? Seit wann hast du es?“

„Ach Hussein, ich habe es erst seit kurzer Zeit, weil es nicht mehr anders ging. Du weißt doch, die ewigen Busfahrten, das Warten an der Bushaltestelle, die schlechten Fahrplänen und die Unpünktlichkeit der Busse – all das hat dazu geführt, dass ich oft nicht wegkam. Ich hatte Probleme, während der Bauernkampfbewegung, meine jeweiligen Ziele zu erreichen. In den kleinen Dörfern ist es noch schlimmer; da gibt es überhaupt keine Kleinbusse und ich musste oft mit Freunden fahren. Als ich das letzte Mal in Sanandaj war, habe ich mir von meinen Ersparnissen und mit der Hilfe meiner Freunde dieses Motorrad gekauft.“

„Aber“, warf ich ein, „dann bist du doch eine Zielscheibe für die Savak-Leute, wenn sie dich sehen.“

„Mach dir keine Sorgen“, versuchte Jewad mich zu beruhigen. „Ich passe schon auf mich auf. Aber nun setz dich hinter mich, wir müssen los.“

Das Dorf Darsiran war nicht sehr weit entfernt. Es lag kurz hinter der Stadtgrenze. Wir erreichten das Dorf und fuhren direkt zu der Adresse, wo wir dachten, diese Bäuerin anzutreffen. Auf dem Hof arbeitete eine Frau vor dem Kuhstall. Sie stellte Tapalle für den Winter her. Das war ist eine Art Mischung aus Kuhscheiße und Baumrinde, die zunächst zusammengemengt, in der Sonne getrocknet und dann im Winter als Heizmaterial genutzt wurden. Eine harte Arbeit. Das Heizmaterial wurde in der Scheune bis zum Winter gelagert, um es im Haus zum Heizen zu verwenden, wenn draußen Eiseskälte herrschte und der Schnee die Landschaft weiß einhüllte.

Jewad parkte im Hof der Bäuerin und jemand fragte: „Wollen Sie auch zu Dade Tele? Sie hat heute schon viele Gäste gehabt, aber sie wird sich auch Zeit für Sie nehmen, denn sie ist jetzt berühmt. Geht rein ins Haus; da warten noch mehrere Gäste, um ihr später zuzuhören.“

Wir betraten das Haus und setzen uns zu den Wartenden, meist waren es Bäuerinnen des Dorfes. Im Gespräch bekamen wir mit, dass dies nicht das gesuchte Haus war. Irritiert fragte ich: „Wenn dies nicht Dade Teles Haus ist, wo finden wir sie dann?“

Die Bäuerin, die gerade hineingekommen war, antwortete: „Dies ist nur der Sammelpunkt. Aber ihr könnt jetzt zu ihr hingehen.“ Sie beschrieb uns den Weg. „Geht durch unser Dorf. Es ist das Haus, wo die meisten Pickups im Hof stehen.“

Wir gingen los und andere folgten uns. Der Weg zu dem angegebenen Haus war nicht sehr weit. Wir grüßten höflich, wurden aber von einigen alten Bauern nicht gerade freundlich empfangen. Sie fragten: „Wo kommt ihr her, was wollt ihr von uns? Ihr seid doch nicht aus Darsiran.“

Der Mann von Dade Tele, Kak Faraj, kam auf Jewad zu und brüllte ihn an. „Was haben Sie mit meiner Frau gemacht? Sie bringen nur Unruhe in unser einfaches Leben. Meine Frau ist verrückt geworden. Sie denkt, sie sei Farah Diba, nur weil sie in Teheran war. Es ist eine Schande!“

Endlich kam Jewad zu Wort. „Beruhigen Sie sich, alles wird besser. Ihre Frau ist nur noch etwas aufgeregt, weil sie in Teheran war. Es wird schon alles wieder gut.“ Wir betraten den großen Raum des Bauernhauses. Darin war es dunkel und es roch nach Tabak. In der Ecke des Zimmers befand sich ein großer Samowar, voll mit Wasserdampf, damit Tee für alle zubereitet werden konnte. Wir nahmen neben einigen anderen Wartenden auf dem Teppich Platz, der bestimmt schon viele Jahre keinen Schnee gesehen hatte. Meine Mutter machte unsere Teppiche jedes Jahr mit Schnee sauber und klopfte sie dann aus. Aber dieser Teppich war voller Flecken und ich wollte gar nicht wissen, wie viele Jahre er nicht gereinigt worden war. An den Wänden hing schmutzige Arbeitskleidung, aber viel schlimmer waren die verrußten, schwarzen Wände, die mit Fellen bedeckt waren. Sicher war hier jahrelang nicht mehr geputzt worden. Dafür musste es Gründe geben, sagte mir mein Instinkt. Es war recht eklig, aber Jewad sagte kein Wort und so hielt auch ich mich zurück.

Frau Dade Tele saß hinter der Wasserpfeife auf dem Teppich und lehnte sich wie eine Königin mit ihrem Rücken an einige Kissen. Als sie Jewad und mich erblickte, stand sie auf, nahm Jewad in den Arm und sagte: „Mein Junge, wie geht es dir? Wir haben es geschafft! Ich habe den Schah in Teheran getroffen und ihn davon überzeugt, dass die Aghwat und die Gendarmen hier keine Rechte mehr haben, sondern nur noch wir, wir Bauern.“ Dade Tele schielte nach mir, nahm mich auch in den Arm und sagte: „Alle Jungen von Marivan sind nun auch meine Söhne.“ Schnell führte sie uns zu ihrem Platz, damit wir alle von den anderen gesehen wurden. Laut befahl sie einigen Mädchen: „Bringt schnell Obst und Tee für meine Gäste.“

Wir beide setzten uns neben sie.

„Erzähle uns doch, Dade Tele, wie war das alles auf deiner Reise?“, fragte Jewad. „Bist du zufrieden?“

Sie nahm einen Apfel aus der großen Schüssel, schälte ihn mit einem Messer, schnitt ihn in Stücke und legte diese für uns auf einen kleinen Teller. Für sich selbst nahm sie mit ihren schmutzigen Händen einen ganzen Apfel, den sie auf eine Gabel spießte und dann davon abbiss. So als hätte sie mehr verdient als andere. Die Bauern und ihre Frauen saßen mit offenem Mund da und staunten. Innerlich musste ich lachen und gewiss sah man es meinem Gesicht an. Jewad gab mir mit seinen Augen zu verstehen, dass ich mein Lachen verbergen sollte.

Nachdem Dade Tele mehrmals herzhaft in den Apfel gebissen hatte, fing sie an, ihre Geschichte der letzten Tage zu erzählen. „Ach du junger Jewad, du bist nun wie ein Sohn für mich. Also, es war so: Wir sind mit dem Bus nach Teheran gereist und haben gefragt, wo der Palast des Schahs ist. Die Menschen, die ich danach fragte, waren sehr frech zu mir und haben mich ausgelacht, so als wäre meine Frage nicht berechtigt. Aber ich habe mir das nicht gefallen lassen und denen gesagt: ‚Wenn ich den Schah getroffen habe, sage ich ihm, er soll euch die Savak auf den Hals hetzen und die Gendarmen. Dann habt ihr nichts mehr zu lachen!‘ Ja, ja, so energisch war ich. Ich, also ich, Dade Tele, war und bin doch die Vertreterin aller Bauern in Kurdistan. Ach, ich sage euch allen, als wir endlich den Palast des Schahs gefunden hatten, wollten unsere ängstlichen Männer wieder zurücklaufen. Da sieht man wieder einmal, dass wir Frauen mehr Courage haben. ‚Nichts gibt es da, wir gehen nicht zurück. Unser Kampf und unsere Aufgabe machen heute einen Schritt nach vorn und nicht zurück!‘“ Dade Tele war in ihrem Element und alle staunten und lauschten ihren Worten. Bevor sie nach Teheran gereist war, war sie noch nie aus ihrem Dorf herausgekommen und sie berichtete nun darüber wie über eine Weltreisende.

Ich hörte weiter zu und musste mir ein Grinsen verkneifen. Jedoch war ich gespannt, wie ihre Rede weiterging.

„Die Gendarmen in Teheran haben ganz andere Uniformen“, erzählte sie weiter „und die nennen sich dort Polizei. Ach, was soll ich sagen, unsere Männer wollten sich sogar verstecken, hatten keinen Mut wie ich. Echte Jammerlappen sind das. Aber ich, die Tele von Darsiran, bin eine echte Kurdin, und echte Kurden haben und zeigen ihren Mut mit hochgehaltenem Kopf und scheuen sich nicht.“ Sie blickte stolz in die Runde und sprach weiter. „Am Eingang des Palastes standen Wachsoldaten. Die wollten mich nicht in den Palast hineinlassen. Ich wollte schon laut losschreien, als plötzlich eine sehr hübsche Frau das Fenster des Palastes öffnete und hinausrief: ‚Was ist denn hier los?‘ Ich dachte, sie sei die Gattin des Schahs, weil sie wie Farah Diba auf Bildern in Schulbüchern aussah. Also rief ich: ‚Ich möchte den Schah sprechen. Ich bin die Vertreterin der Bauern Kurdistans.‘ Sie reagierte freundlich und lachte. ‚Lasst die Frau herein!‘, befahl sie den Wachsoldaten. Und ihr werdet nicht glauben, was ich gesehen habe. Der Palast ist ein riesengroßes Gebäude. Da sind die Häuser der Aghwat hier Spielzeug! Schon die Eingangshalle ist mit Seidenteppichen ausgelegt und an der Decke hängen Leuchter mit Glitzersteinen. Die Wände sind aus purem Gold. Da hängen große Bilder und auf dem Boden stehen riesige Vasen, die mit prächtigen Blumen gefüllt sind. Farah Diba trug ein langes weißes Kleid und kam aus ihrer Küche in die Halle geeilt. Sehr wahrscheinlich hatte sie gerade das Mittagessen für den Schah gekocht. Sie begrüßte mich, gab mir sogar ihre Hand, stellt euch das einmal vor. Ich entschuldigte mich: ‚Ich komme bestimmt zum falschen Zeitpunkt, aber wissen Sie, ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich musste kommen, weil ich die Bauern von Kurdistan vertrete.‘ Ich brachte natürlich unsere Hochachtung vor dem Schah zum Ausdruck und versicherte, dass wir ihrem Mann sehr dankbar seien. Dann fasste ich den Mut, ihr zu sagen, dass die Aghwat und die Gendarmen in Kurdistan den Namen des Schahs in den Dreck ziehen. Farah Diba lächelte mir zu. So eine schöne Frau habe ich noch nie zuvor gesehen.“

Ich beobachtete Dade Tele in ihrem Redeschwall. Sie erzählte, erzählte und hörte nicht auf, die Märchengeschichte fortzuführen. Sie konnte doch nicht mit Messer und Gabel essen. Vor den Augen der Bauern und Bäuerinnen nahm sie immer wieder ein Stück Obst aus der Schüssel und wollte zeigen, dass sie nun anders war. Die Bauern und deren Frauen staunten mit offenem Mund über jede ihrer Bewegungen. Ich war mittlerweile in tiefe Gedanken versunken, weil ich den Unsinn, den sie erzählte, nicht mehr mit anhören konnte. Ihr Mann hatte recht gehabt, sie war verrückt geworden. Und tatsächlich dachte sie, wir würden ihr all diese Lügengeschichten glauben. Wie konnte sie für uns und für die Gerechtigkeit kämpfen, wenn alles erfunden war? Sie schien tatsächlich verrückt geworden zu sein. Warum waren wir nur hierher gefahren. Was hatte sich Jewad dabei gedacht?

 

Jewad tippte mir auf die Schulter und holte mich aus meinen Gedanken.

Dann hörte ich wieder Dade Tele. Sie schwelgte noch immer in ihren Erzählungen. „Ich habe dem Schah in seinem Büro gesagt, er soll nun unseren Reis von Marivan kaufen, der zwar etwas kleiner ist, aber viel besser schmeckt.“

Oh, mein Gott, was erzählte sie da?

Jewad bemerkte, dass ich all den Unsinn nicht mehr aushielt. Er stand auf und sagte laut: „Wir sind spät in der Zeit. Leider müssen wir uns nun verabschieden.“

„Ja, wir müssen gehen“, fügte ich hinzu.

Dade Tele stand auf und fragte: „Warum geht ihr schon? Ich bin noch nicht am Ende meiner Rede.“

„Tut mir leid“, antwortete Jewad mit einem Ton des Bedauerns, „aber wir müssen leider aufbrechen. Vielen Dank für deine Erzählungen. Es war sehr gut, dass du so viel Mut bewiesen hast.“

Unterwegs stieß Jewad mich an. „Hussein, du warst ja fast eingeschlafen.“

„Ach, was sollte das Ganze. So viel Unsinn habe ich noch nie auf einmal gehört.“

„Es sind arme Bauern“, erklärte Jewad. „Die haben ihre Träume. Sie wissen es nicht besser. Sie träumen wie viele hier von einem besseren Leben. Ob arm oder reich, im Grunde hat jeder Mensch Träume. Ob du nun Analphabet bist oder studiert hast. Das gibt es keinen Unterschied. Die Bäuerin war doch noch nie in ihrem Leben in einer anderen Stadt. Dass sie nun in Teheran, der größten Stadt unseres Landes, war, ist für sie ein unglaubliches Ereignis. All das, was sie berichtet hat, sind ihre Träume. Sie hat sich ihre Geschichte zusammengebastelt, und alles, was sie über den Palast erzählt hat, weiß sie aus dem Radio. In ihrer Fantasie hat sie tatsächlich Farah Diba getroffen.“

„Aber sie ist doch verrückt. Wenn ich schon sehe, dass sie einen Apfel mit der Gabel aufspießt.“ Ich schüttelte mich. „Meine Träume sehen anders aus, Jewad. Die Bauern glauben wohl ihre Geschichte.“

Ich weiß, Hussein, aber das sind auch einfache Menschen, und wir müssen ihnen helfen.“

Ich zweifelte. „Denkt Dade Tele, wir sind blöde und glauben ihr diese Geschichte?“

„Ich weiß was du meinst, aber die sind halt so.“

„Ach Jewad, du kannst denen weiterhelfen, aber du wirst so nichts erreichen. Wie willst du mit denen gegen die Savak kämpfen und gegen dieses diktatorische Regime?“

„Weißt du, Hussein, diese Menschen müssen durch unsere Hilfe erst einmal selbst sehen, wo sie stehen. Sie wissen zwar, was Recht und Unrecht ist, aber sie haben nicht gelernt, sich zu wehren. Deswegen werden wir sie unterstützen und ihnen Mut machen. Die Bauern sind nicht blöde. Sie wissen schon, um was es geht, weil sie von Natur aus vorsichtig sind. Und wenn sie merken, dass sie gemeinsam stark sind, werden sie auch etwas verändern können.“

Ich überlegte. „Aber die Bauern blicken nicht über ihr Feld hinaus, sie haben doch nur darin Erfahrung, wie sie ihre Kühe auf dem Feld zu füttern oder ihre Ernte mit harter Arbeit einzuholen haben. Etwas anderes wollen sie gar nicht erkennen. Sie wissen nichts von Gerechtigkeit und Freiheit. Für was brauchen die Bauern Freiheit?“

„Oh, Hussein, du bist noch jung und unerfahren. Natürlich braucht jeder Mensch seine Freiheit, um über sein Leben zu bestimmen, auch die Bauern Kurdistans. Du hast heute erstmals Dade Tele gehört und gesehen, aber deine Meinung über sie und ihre Leute ist falsch.“

„Ich weiß, Jewad, aber das, was ich heute erlebt habe, zeigt mir nicht, wie sie wichtige Dinge für ein besseres Leben voranbringen können. Sie haben doch kein geistiges Wissen, waren nie auf der Schule.“

„Doch, doch“, sagte Jewad, „und gerade deshalb haben sie die Macht der Veränderung, nicht wir. Man muss das enthusiastisch sehen. Die Bauern arbeiten Tag und Nacht auf den Feldern und werden von der Aghwat ausgenommen. Aber sie sind in der Mehrzahl. Für diese Menschen kann man ein besseres Leben schaffen. Neben der Landwirtschaft haben wir noch keine Industrie, weil die Machthaber es für Kurdistan nicht erlauben. Das ist alles gewollt und gesteuert. Aber, Hussein, denk nicht so negativ. Es gibt genug Beweise in der Welt, wie Revolutionen die Welt verändert haben. Das nächste Mal bringe ich dir ein Buch über Mao und die Revolution in China mit. Wenn du das gelesen hast, wirst du sehen, dass die Bauern ihre Macht haben werden.“

Einige Tage später, nachdem wir Dade Tele im Dorf besucht hatten, ging ich ins Kaffeehaus. Die anderen Besucher lasen Zeitung. Irgendetwas kam mir merkwürdig vor. Ja, hier waren viel mehr Menschen als an sonstigen Tagen. Lehrer, Studenten … aber keine Spur von Savak-Leuten. Etwas muss geschehen sein, dachte ich. Sonst wurde hier doch nicht so laut gesprochen. Etwas Wichtiges musste passiert sein. Langsam ging ich von Tisch zu Tisch, wollte wissen, was es Neues in der Zeitung gab. Kein Mensch beachtete mich, bis ich Jewad sah, der sich, von vielen Leuten umkreist, über eine Zeitung beugte.

Ich fragte: „Jewad, Jewad, was ist passiert? Was steht da geschrieben?“

Er lachte und drückte mir eine Zeitung in die Hand. „Da, lies selbst. Es ist nur Gutes, Gutes. Wenn du das gelesen hast, wirst du verstehen, dass die Bauern auch bei uns ihre Macht haben werden.“

Ich ging mit der Zeitung in eine freie Ecke des Kaffeehauses und begann zu lesen:

Anti-Schah-Demonstrationen in Tabriz und Schiraz:

In der Ark-Moschee von Teheran wurde bei der Trauerrede zu Ehren seines Sohnes, Khomeini …

In der letzten Woche schlossen die meisten Geschäfte des Teheraner Basars ihre Geschäfte und begaben sich in einen Streik …

Die Sicherheitsbeamten fanden in Teheraner Wohnviertel mehrere bewaffnete Terrorgruppen. Diese wollten Polizeistationen angreifen und Banken überfallen …

Kak Foad im Hungerstreik

Während unseres Abendessens sagte mein Vater zu mir: „Komm morgen Vormittag in mein Geschäft.“

Ich entgegnete: „Warum soll ich kommen?“

Er war schlecht gelaunt. „Das ist egal. Wenn ich das sage, hast du zu kommen. Bevor du auf der Straße herumhängst, kannst du lieber etwas Sinnvolles tun und mir helfen. Außerdem ist morgen Freitag und du hast keine Schule.“

Meine Mutter unterbrach meinen Vater: „Warum kannst du das nicht in einem normalen Ton sagen? Weshalb bist du so schlecht gelaunt?“

„Du und deine Söhne!“, stöhnte er. „Ich brauche eben Hilfe. Ich erwarte neue Ware aus Teheran und außerdem gehe ich zum Freitagsgebet in die Moschee, wie ich das jeden Freitag tue.“

Um die schlechte Laune meines Vaters zu dämpfen, sagte ich: „Ja, ja, mein lieber Vater, ich komme morgen.“ Ich zwinkerte meiner Mutter zu, die heimlich zurücklächelte. Mein Vater setzte eine grimmige Miene auf.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück lief ich zum Geschäft meines Vaters auf dem Basar. Trotz des Sonnenscheins war es kalt. Der kühle Wind kam von Darsiran. Der Basar war voller Menschen, wie jeden Freitag, weil es der einzige freie Tag war und alle Ämter und Schulen geschlossen hatten. Die Beamten genossen die freie Zeit, um ihre Einkäufe meist für die ganze Woche zu erledigen. Es war ein Markttreiben in bunten Farben. Die Gemüsehändler schrien und präsentierten ihr frisch geerntetes Obst und Gemüse. Alte Bäuerinnen verkauften am Rande des Basars ihren selbstgemachten Joghurt und andere Köstlichkeiten wie Marmelade und selbstgebackene Kuchen. Die kleine Welt in Marivan war in vollem Gang. Das Stimmengewirr war laut und hatte seinen eigenen Charme.

Von Weitem sah ich, dass Arbeiter mit Schubkarren die Ware von dem Terminal der Busstation zum Geschäft meines Vaters brachten. Ich beeilte mich und fand meinen Vater schwitzend bei der Arbeit. Er sah mich und sagte: „Ach, bist du auch schon da! Das wird aber Zeit. Du siehst, was hier los ist.“ Er gab mir ein Messer zum Öffnen der vielen Kartons und fuhr fort: „Stelle alles ordentlich in die Regale.“

Während ich vor dem Laden die Ware auspackte, sah ich plötzlich Jewad auf seinem Motorrad. Hinter ihm saß jemand. Ich ließ alles stehen und liegen und rannte hinter ihm her. Laut rief ich: „Jewad, Jewad, bleib stehen!“

Er reagierte sofort und stoppte das Motorrad.

„Hallo Jewad, wo steckst du nur, ich habe dich tagelang nicht gesehen. Du hattest mir doch versprochen, mir ein Buch zu geben.“

Wie immer lächelte er. „Erst einmal einen guten Tag, wie geht es dir, Hussein? Darf ich dir einen Freund vorstellen. Das ist Abe Kaweh, der Bruder von Kak Foad.“

Ich antwortete mit einem freundlichen Gruß und sagte: „Ah ja, ich kenne Herrn Soltani. Ich helfe übrigens heute meinem Vater.“

„Bist du allein im Laden?“

„Nein, aber später geht mein Vater zum Gebet in die Moschee, dann werde ich hier allein sein.“

Jewad nickte: „Gut, wir müssen jetzt erst einmal ins Stadtzentrum fahren und kommen nachher zu dir, während dein Vater in der Moschee ist. Es gibt sehr viele Neuigkeiten, die ich dir erzählen will.“

Schnell ging ich in den Laden zurück und tat so, als hätte ich unbeobachtet gearbeitet. Mein Vater sagte nichts, doch sein Blick fragte, mit wem ich die wenigen Minuten gesprochen hatte. Na ja, Hauptsache, er war nicht böse mit mir. Ich gab mein Bestes. Ich hoffte, nach der Arbeit ein kleines Taschengeld zu bekommen, aber ich wusste, wie geizig mein Vater war. Im Grunde war das auch egal. Vielmehr war ich gespannt auf die Neuigkeiten, von denen Jewad gesprochen hatte. Bestimmt hatte es etwas mit Kak Foad zu tun. Ob er Kak Kaweh, der auf dem Motorrad mitgefahren war, mit in den Laden bringen würde? Abe Kaweh war Lehrer, ich hatte ihn aber nie bei den Gruppen im Kaffeehaus oder in Kak Jamschids Bücherei gesehen. Wenn ich mir alles zusammenreimte, mussten die Neuigkeiten mit Kak Foad zu tun haben. Seit dem Stromausfall und dem Streit mit dem Bürgermeister hatte man Kak Foad nicht mehr in unserer Stadt gesehen. Die Bevölkerung hatte viele Theorien, wo Kak Foad sein könnte. Die einen dachten, er sei als Leiter der Stromgesellschaft in eine andere Stadt versetzt worden, die anderen waren der Meinung, dass er von der Savak festgenommen worden sei. Hoffentlich war nichts Schlimmes mit Kak Foad passiert. Die Menschen redeten und quatschten und am Ende stimmte es nicht, wie so oft. Ich musste abwarten, was Abe Kaweh und Jewad mir sagen würden. Mein Vater hatte vor Kurzem von einem sehr wichtigen Thema für unsere Stadt gesprochen, aber ich hatte nicht genau verstanden, was er damit meinte. Hoffentlich würden die zwei Stunden schnell vergehen, bis mein Vater sich auf den Weg zur Moschee machte.

Endlich war es so weit. Aus dem großen Lautsprecher hörte ich Allah und Akbar. Man rief alle Gläubigen zum Freitagsgebet. Eilig sagte mein Vater: „Du passt hier im Laden auf, bis ich zurück bin. Wenn Kunden kommen und größere Bestellungen haben, schreibst du das alles unter dem Tagesdatum in das Buch hinter der Kasse. Das Buch ist sehr wichtig – auch für die Finanzbehörde. Schreibe alle Bestellungen auf und die kleineren Aufträge kannst du den Kunden gegen Barzahlung geben. Wenn jemand kommt, der hier anschreiben lässt, sagst du höflich: ‚Mein Vater ist bald zurück.‘ Verärgere diese Kunden nicht, denn sie haben oft kein Geld und zahlen erst nach einer Woche. Man muss auch diesen Menschen helfen, denn sie leben in einer anderen Welt. Die sind das so gewohnt. Manchmal ist es für sie auch eine gewisse Wertschätzung, wenn man sie anschreiben lässt.

„Ja, Vater, ich habe alles verstanden und passe auf den Laden auf.“

Mein Vater merkte, dass ich, statt ihn anzusehen, dauernd zum Ladenfenster herausschaute. „Hussein, wo bist du mit deinen Gedanken? Was schaust du ständig auf die Straße, wartest du auf jemanden?“

„Nein, nein, mein lieber Vater, gehe nun endlich zu deinem Freitagsgebet. Du kannst dich auf mich verlassen.“

Im selben Moment, als mein Vater den Laden verließ, kamen Jewad und Abe Kaweh mit dem Motorrad um die Ecke gefahren. Glück gehabt, dachte ich.

Jewad fing gleich an zu erzählen: „Wir waren gerade bei Freunden. Mit ihrer Hilfe und mit der ihrer Familien werden wir für die Gefangenen demonstrieren, damit alle Inhaftierten ihre Ziele erreichen und ihren Hungerstreik beenden. Ihr Leben und ihre Gesundheit sind in Gefahr. Manche sind schon vollkommen abgemagert. Das können wir nicht zulassen, sonst sterben sie alle. Besonders auch Kak Foad. Er ist Gefangener im Gefängnis in Sene und befindet sich im Hungerstreik.“

 

Wie ein Blitz schoss diese Nachricht durch mein Gehirn. „Warte mal, Jewad“, sagte ich. „Was sagst du da? Kak Foad ist im Gefängnis in Sene? Niemand hat das in unserer Stadt gewusst. Es gab verschiedene Geschichten, die erzählt wurden, aber das, was du sagst, ist wohl die Wahrheit.“

Jewad und Abe Kaweh lächelten mir zu und Jewad sagte: „Ja, so ist es. Er war vier Jahre in Teheran und wird seitdem in Sene gefangen gehalten. Aber wir wissen das auch erst seit zwei Wochen und seitdem bin ich sehr mit dieser Sache beschäftigt. Ich war nun schon einige Male in Sene.“

„Und wir dachten, er sei wegen des Streits mit dem Bürgermeister nach dem Stromausfall versetzt worden.“

Abe Kaweh ergriff das Wort: „Nein, nein, deswegen wurde er nicht festgenommen. Er war zu der Zeit Lehrer an der Technischen Universität in Sene. Dort nahm ihn die Savak fest.“

„Aber er war doch Leiter der Stromgesellschaft und Ingenieur bei uns in Marivan!?“ Ich verstand das Ganze nicht.

„Ja“, sagten beide gleichzeitig und Abe Kaweh sprach weiter: „Nach seinem Studium und Wehrdienst arbeitete er als Lehrer an der Universität und unterrichtete.“

„Aber warum ist er trotz des langen Studiums Lehrer geworden? Ein Ingenieur zu sein, ist doch viel besser als ein einfacher Lehrer.“

Abe Kaweh lachte. „Du hast recht, Hussein, wir wissen es auch nicht. Seine gesamte Familie fand es ungewöhnlich, aber es war nun mal seine Entscheidung, Lehrer zu werden und zu sein.“

Die beiden wollten wieder aufbrechen, aber ich hielt sie zurück: „Wartet! Ich will euch noch etwas fragen. Ich möchte gern morgen mit euch kommen, ich helfe euch und komme mit nach Sene.“

Jewad protestierte: „Nein, nein, morgen geht das nicht; vielleicht ein anderes Mal. Morgen ist Samstag und du musst zur Schule gehen. Spätestens übermorgen sind wir wieder hier und ich erzähle dir dann alles.“

„In Ordnung, Jewad, also wo treffen wir uns übermorgen?“ Ich wollte ihn nicht ohne Verabredung gehen lassen.

„Nun ja, komm ins Kaffeehaus, dort werden wir uns sehen.“

Kurz darauf waren die beiden mit dem Motorrad außer Sichtweite. Wenige Minuten später kam auch schon mein Vater aus der Moschee zurück und wollte wissen, ob Kunden da gewesen seien.

„Nein, Vater, in dieser Zeit ist niemand gekommen“, antwortete ich etwas verlegen. „Vielleicht waren deine Kunden ja auch alle in der Moschee.“

Er gab mir zwei Toman und sagte: „Du kannst jetzt nach Hause gehen. Ich brauche dich hier nicht mehr.“

Mein Vater war heute sehr großzügig, aber mit zwei Toman konnte man nicht die Welt erobern. Ich schlenderte nach Hause und wusste, dass der Betrag nicht ausreichte, um nach Sene fahren. Ach, dachte ich, ich kaufe mir ein Eis bei Isse Genat, der kleinen Konditorei mit dem leckersten Eis in der ganzen Stadt. Ich zahlte fünfzig Rial und würde den Rest sparen. Es war das Beste, das Geld zu verstecken, damit es mein Bruder Nasser mir nicht wegnahm.

Mein Eis schmeckte wunderbar, aber ich machte mir Gedanken wegen des Hungerstreiks. Es war mir unvorstellbar, dass man mehrere Wochen nichts aß und trank. Kak Foads makelloses Gesicht kam mir in den Sinn. Ich erinnerte mich an die Zeit. als er im Nachbarhaus von Rahimi gewohnt hatte. Meine Mutter sprach oft mit unserer Nachbarin über Foad. Sie erzählten nur Gutes über ihn. Er sei immer höflich und zuvorkommend, hieß es. Manche Mütter aus armen Familien waren neidisch auf Foads Mutter. Dade Fathe, die gegenüber von uns wohnte, sagte oft: „Nicht nur reiche Familien können ihre Kinder gut erziehen. Aber wie sollten wir als arme Familie ein Studium bezahlen? Wir sind nicht so reich wie die Soltani-Familie. Unser Kind muss arbeiten und Geld verdienen.“ Sie war aber auch der Meinung, dass Intelligenz nichts mir Arm oder Reich zu tun hatte. Es gab Kinder von stinkreichen Familien, die nicht einmal einen Schulabschluss hatten und von Haus aus dumm oder faul waren. Kak Foad war anders, auch wenn er aus einer reichen Familie kam. Man sah es ihm nicht an und er benahm sich wie einer von uns. Aber wenn er doch gelernter Ingenieur war, warum war er dann Lehrer geworden? Warum wurden alle guten Menschen in unserer Stadt Lehrer? Hatte das etwas mit der Hintergrundorganisation zu tun? Kak Foad mischte sich unter die Studenten und Schüler, redete mit ihnen und baute seine Organisation auf, falls es diese überhaupt gab. Im Grunde war es nur ein Gerücht. Man hörte, er sei politisch aktiv, aber niemand wusste Genaueres. Ich wollte so gern mehr erfahren und nach Sene fahren. Aber wie sollte das gehen ohne das nötige Geld?

Am Abend versuchte mein Vater die Nachrichten im Radio zu hören, doch es kam nur ein Rauschen aus dem Lautsprecher. Scheinbar fand er nicht die richtige Frequenz. Meine Mutter hielt sich die Ohren zu, bäumte sich vor meinem Vater auf und sagte: „Was soll das? Das ist ja unerträglich. Hör auf mit dem blöden Kasten und setz dich lieber vor den Fernseher. Wenn du die Nachrichten hören willst, kannst du das auch im Fernsehen tun und musst hier nicht so einen Krach mit dem blöden Radio machen.“

Mein Vater antwortete ihr: „Ach, was sagst du da! Im Fernsehen senden sie doch nur Propagandaberichte des Regimes. Es gibt dort keine Wahrheit. Die gibt es nur bei BBC oder anderen Sendern aus dem Ausland. Das Regime stellt Parasiten-Sender auf die ausländischen Sender ein, sodass man nichts Konkretes hören kann. Daher kommen diese unerträglichen Geräusche.“

Ich setzte mich in die Nähe meines Vaters auf das Sofa, um nichts von dem zu verpassen, was der BBC berichtete. Bis mein Vater die richtige Frequenz gefunden hatte, dauerte es eine halbe Stunde. Dann hörten wir einen Bericht über die Gefängnisse in Teheran, das Gassergefängnis und viele andere Orte. Es wurde berichtet, dass dort viele Gefangene auf übelste Weise gefoltert und dass Menschenrechte missbraucht wurden. Von Sene berichtete man nichts im BBC-Radio. In diesem Moment wollte ich meinem Vater sagen, dass im Gefängnis in Sene (Sanandaj) ebenfalls gefoltert wurde und dass die Gefangenen, unter anderem Foad, dort im Hungerstreik seien. Dann hielt ich mich aber zurück und sagte mir: Hussein, halte besser deinen Mund, sonst kommen Fragen über Fragen! Mein Vater würde es schon irgendwann von anderen hören.

An meine Mutter gewandt sagte er: „Ich denke, langsam kommen die Unruhen auch in unsere Region. Nicht umsonst sieht man den Schah und seine Frau nicht im Fernsehen. Von der BBC konnte ich hören, dass bald ausländische Menschenrechtler in unser Land kommen, um die Lage zu prüfen. Und sie wollen die Gefängnisse auf die Einhaltung der Menschenrechte untersuchen.“

„Ach, die finden immer Schuldige“, meldete sich meine Mutter zu Wort. „Woher sollen sie auch wissen, dass die Savak und die Gendarmen die jungen Studenten inhaftieren und foltern! Denk an den armen Hajeje, dem man die Finger- und Fußnägel ausgerissen hat, nur weil er Analphabet ist und sich nicht verteidigen konnte. Warum braucht der Schah so viele Geheimdienste? Wenn sie Schuldige finden wollen, finden sie welche und hängen sie kurzerhand auf. Die kleinen Beamten nehmen sie als Alibi und haben keine Skrupel. Menschenleben sind dem Regime doch egal. Damit beruhigen sie die Bevölkerung und es geht alles weiter wie bisher.

Die Suppe ist die gleiche Suppe, die vorher gekocht wurde, die Teller sind die gleichen Teller, die man zuvor benutzte, man hat sie nur gewaschen.

„Nein, Mele, du hast es noch nicht ganz verstanden. Es kommen Menschenrechtler aus dem Ausland, um hier alle Ungerechtigkeiten zu prüfen. Wenn das Ausland all diese Folter in Gefängnissen feststellt, wird das Land vom Westen nicht mehr unterstützt. Das musst du verstehen. Darum geht es. Bedenke, dass der Schah nur durch die Amerikaner und Europäer stark ist, sonst hätte er selbst keine Macht. Die schreiben ihm vor, was er zu tun und zu lassen hat. Wenn er die Solidarität der Amerikaner verliert, verliert er seine Macht und sein Regime und ist nur noch ein kleines Sandkorn in der Wüste.“

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