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8. Wintermarsch über die Cordilleren
Am Mittwoch Abend, den 11. Juli 1849 setzten wir uns endlich, von meinen beiden deutschen Freunden Rhode und Schöpf bis zum nächsten, nur eine Legua entfernten Haltpunkt begleitet, in Marsch. Die Führer thun das gewöhnlich, um am nächsten Morgen gleich frei von der Stadt zu seyn und recht früh aufbrechen zu können. Hier tranken wir noch ein paar Flaschen Wein zusammen und ich warf mich, als sich die andern Beiden wieder nach ihren eigenen Wohnungen zurückgezogen hatten, auf meine Decke, der noch kurzen Nacht ein paar Stunden Ruhe abzugewinnen.
Das erste Nachtquartier ging denn auch ruhig, und ohne weiter etwas besonderes, vorüber – wir lagerten vor dem Haus, aber ohne Feuer, und es war ziemlich kalt, doch schlief ich gut – ich war nur froh, so weit wenigstens meinem endlichen Ziele entgegengerückt zu seyn.
Der Mond stand noch hell und klar am Himmel, als wir am Donnerstag Morgen in die Sättel sprangen. Die kleine Caravane bildeten mein Führer, ein Chilene, im sonst in der argentinischen Republik verpönten grünen Poncho, zwei Peons oder Diener, von denen der eine mein Gepäck, der andere Provisionen und einige Kohlen tragen sollte, und dann ich selbst. Der Morgen war frisch aber herrlich; links neben uns lagen die prächtigen Berge, hinter denen, in noch weiter Ferne, die weißen Schneekuppen wie drohend zu uns herüberschauten, und rechts dehnte sich die allerdings nicht sehr romantische, mit niedern Büschen bedeckte Ebene aus. Endlich stieg im Osten die Sonne empor und warf ihren Strahl auf die roth erglühenden Schneefelder der Kordilleren, und über den Himmel hinaus breitete sich der rosige Saum – und die Vögel zwitscherten, der Thau hing an den grünen Blättern der Sträuche – die Thiere trabten lustig in den reizenden Morgen hinein und selbst meine Begleiter – sonst gerade nicht lieblich und holdselig anzuschauen, sangen und pfiffen, und schienen sich ebenfalls der herrlichen Natur zu freuen.
Rechts, dicht am Weg stand ein einzelnes Häuschen, und ein hoher Weidenbaum dicht davor; dahin bogen sie plötzlich ab – wollten sie schon wieder Rast machen? – wir waren kaum eine Stunde geritten – nein, vor dem Baum hielten sie und murmelten ein halblautes Gebet.
Ich sah ihnen erstaunt zu, als sie aber fertig waren, zog der eine Peon auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, zeigte nach dem Baum hinauf und sagte: una bota (ein Stiefel) – ich blickte auf und – sollte mir denn, so weit die Republik reichte, jeder freundliche Augenblick durch irgend etwas Scheußliches verbittert werden? – oben an den einen Ast war der Fuß desselben Verbrechers, dessen Kopf mich schon von der Stange herunter angestarrt – bis zum Knie abgeschnitten – angenagelt. Ich wandte mich schaudernd von dem halb verwesten, halb vertrockneten Ueberrest jenes Verbrechers ab, drückte meinem Thier die Sporen in die Seiten, und sprengte voran – die andern lachten.
Es mag sein Gutes haben, diesem Volk die Folgen eines Verbrechens (das hier wohl nicht einmal zu den seltenen gehört) täglich und wohin es sich auch wendet vor Augen zu führen, es hat aber auch jedenfalls für den, der nicht gerade immer ein »abschreckendes Beispiel« vor sich zu haben braucht, etwas höchst Fatales und Widerliches. Und was haben nun gar die armen Menschen in dem kleinen friedlichen Haus verbrochen, daß sie das scheußliche Bein da bei ihrem Ein- und Ausgang immer vor Augen haben müssen? – ich scheue mich wahrlich nicht vor Leichen und habe deren schon in mancherlei Gestalt gesehen, in dem Haus möcht’ ich aber doch nicht, sey es um welchen Preis es wolle, wohnen.
Der Morgen war mir denn auch richtig wieder verdorben, und ich war nur froh, als wir uns mehr und mehr den Bergen näherten, wo mit der alten Umgebung auch die alten Gedanken verdrängt werden mußten.
Am meisten trug übrigens das hier gar nicht so weit von der Stadt schon vorkommende Wild dazu bei, mich zu zerstreuen: wir sahen viele Guanakas – die Lamas der Cordilleren, und auch einige Strauße – die letzteren aber sehr scheu und gleich, beim Anblick der Pferde, in wilder Flucht.
Das Guanaka ist ein prächtiges Thier – so groß wie ein Hirsch fast, nur mit noch längerem Hals und weicher herrlicher Wolle, aber sehr leicht zu schießen, denn die Jagd darauf wird hier nur sehr schwach betrieben, und das Wild läßt die Jäger mit nur einiger Vorsicht, leicht auf hundert Schritte hinan.
Für mich waren übrigens auch noch außerdem meine Begleiter, und besonders die beiden Peons, die mein Gepäck trugen, von höchstem Interesse.
Der chilenische vaquiano bot nichts besonders; eine kräftige untersetzte Gestalt, von dem grünen, mit bunter Einfassung besetzten Poncho überhangen, die niedere Stirn mit einem breitrandigen Strohhut bedeckt und sonst mit einem ziemlich nichtssagenden Gesicht, das nur gleichgültig bald über die rechte, bald über die linke Schulter hinüberschaute, ritt er voraus. Die beiden Peons dagegen erinnerten mich – und sonderbarer Weise gleich wie es nur Tag wurde ihre Physiognomien erkennen zu können – lebhaft an die beiden Banditen aus Flotows Stradella. Der Eine – ein trocken drolliger Bursch, aber mit einer Galgenphysiognomie, wie sie wohl noch kaum dagewesen, verzog nur selten das Gesicht zu einem Lachen, während sich der Andere, ein kleiner jüngerer Bursch, fortwährend über die Geschichten, die jener erzählte, ausschütten wollte.
Der erste war ein Argentiner, der zweite ein Chilene, beide trugen aber die argentinische Tracht, beide auch das lange argentinische Messer hinten im Gürtel, und ich zweifle gar nicht, daß sie bei passender Gelegenheit auch recht passenden Gebrauch davon zu machen gewußt hätten.
Wir waren alle vier beritten, dießmal aber nicht auf Pferden, sondern auf Maulthieren, denn Pferde würden, wie mir der Vaquiano sagte, in den Engpässen, die wir zu passiren hätten, nicht allein nicht fortkönnen, sondern auch den Reiter, wenn der nicht fortwährend zu Fuße gehen wollte, zu sehr gefährden. Die Maulthiere waren übrigens vortrefflich, und wenn sie uns auch vielleicht noch im flachen Lande nicht so rasch vorwärts trugen als es Pferde gethan haben würden, ritten sie sich doch leicht und bequem.
Dreizehn Leguas von Mendoza entfernt betraten wir zuerst die Grenzhügel der Cordilleren, aber kein Baum erfreute das Auge, nur niederes Buschwerk stand in den Thälern, und an den Seitenhalden hin hingen Ziegen und hie und da auch Kühe und Maulthiere, und weideten das spärliche Gras ab. Das Wasser schien aber in dieser Gegend besonders rar, und wir hatten an dem Abend wirklich Mühe einen guten Lagerplatz zu finden. Es war schon dunkel als wir endlich eine ziemlich steile Felswand erreichten, unter deren Schutz wir ein Feuer anzünden und ein Stück Guanakafleisch braten konnten, aber keineswegs Holz genug da, die ganze Nacht ein Feuer zu unterhalten. Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, mußten wir es ausgehen lassen und legten uns, so gut das angehen wollte, in unsere Decken gewickelt, die Sättel unter dem Kopf, zur Ruhe nieder. Den Abend vorher war es aber gar nicht so kalt, und ich selbst auch wohl die warmen Nächte Mendoza’s noch gewohnt gewesen, kurz, ich gab mir gar keine besondere Mühe mein Lager nach allen Regeln des Berg- und Waldlebens zu bereiten, sondern warf mich eben nur auf eine Decke hin und deckte mich mit der andern zu. Dafür sollte ich aber auch büßen – ich fror die Nacht schmählich, und konnte mir im Anfang eigentlich gar nicht erklären woher das kam, bis ich am andern Morgen das Wasser in dem neben mir stehenden Blechbecher – gefroren fand.
Das erste Zeichen, wie wir schon in die Berghöhen vorgerückt seyen, machte sich hier bemerklich, und als wir ausrückten fanden wir deren nur zu bald mehr. Der Bach an dessen Ufer wir hinauf mußten, hatte überall Eis, so daß mein Maulthier an mehreren, wirklich abschüssigen Stellen verschiedenemale ausglitschte und zu stürzen drohte, jedesmal aber durch den ermunternden Zuruf der Führer wieder zu neuer Anstrengung angespornt wurde. Dieser Zuruf selber aber hatte wirklich etwas charakteristisches, und bestand nur in dem Worte: »oh mula, oh mula« – dem strauchelnden Thiere wurde nur zugerufen, daß es ein »Maulthier« sey, und es so bei seinem Ehrgefühl auf die wirksamste Art angefaßt. Ein Maulthier und stolpern – nein das ging gar nicht – der Führer hatte vollkommen recht, und es nahm jetzt alle seine Kräfte zusammen, so daß wir Stellen glücklich passirten, auf denen Pferde Hals und Beine gebrochen hätten.
Höher und höher stiegen oder kletterten wir vielmehr hinauf, bis wir die mit dünnem Schnee bedeckten Kuppen erreichten – doch lange noch keine Cordilleren – und diese an sich schon ziemlich hohen Berge haben den für den Wanderer, der hier schon Bedeutendes geleistet zu haben glaubt, allerdings nicht ermuthigenden und auch etwas unanständigen Namen der »Piojos der Cordilleren.« Hier fand ich auch im Schnee die Spuren der Guanakas und des Puma oder amerikanischen Löwen, der die Höhen zu lieben scheint – die Fährte war etwas größer als die des amerikanischen Panthers, und mein Vaquiano versicherte mich, daß man das Thier zwar manchmal, aber doch nur äußerst selten am Tag zu sehen bekäme, Nachts aber, und selbst bei Mondschein, streife es umher, und folge sogar manchmal den Fährten der Menschen, die es aber nie selber angriffe.
Auf dem höchsten Gipfel dieser Hügel, wie ich sie doch wohl nennen muß, öffnete sich uns aber auch plötzlich ein Panorama, das ich nun und nimmer vergessen werde; unter uns zu unseren Füßen lag das unmittelbar, die Cordilleren umschließende Thal, und schroff und scharf stiegen aus diesem empor die gewaltigen Berge – die Riesenleiber in ihre weißen, blitzenden Schneedecken gehüllt und hineinragend in die Wolken mit den starren, zackigen Kronen.
Da hinüber wollt’ ich armes schwaches Menschenkind – da hinüber, wo unberechenbare Schneemassen oft Berg mit Berg verbanden, und die Schluchten in ihrer unergründlichen Tiefe bis zum Rande füllten – da hinüber, wo alles andere Leben in eisigem Froste erstarrt war, und selbst der Condor mit rascherem Flügelschlag die zackigen Eisfelder und Kuppen überflog? – ja, da hinüber wollt’ ich – und es war zugleich auch ein stolzes freudiges Gefühl, daß gerade die schwache Menschenkraft es wagen konnte all die Schwierigkeiten zu besiegen und sich die Bahn zu brechen, wo jede Bahn, jeder Fortgang unmöglich schien.
Der Himmel spannte sich dabei in freundlicher Bläue über der prachtvoll großartigen Winterlandschaft aus, nur der Windzug strich scharf da oben, wo wir standen, über die Kuppen hin.
Doch mein Führer war nicht der Mann sich lange bei »Naturschönheiten« aufzuhalten – er hatte die Cordilleren schon mehr gesehen und wollte ins Thal, wo die Thiere nicht allein zu fressen bekommen, sondern er selbst auch mit seinen Leuten bessere Pflege erhalten konnten, wie wir sie in den letzten zwei Nächten gehabt. Bergab gings jetzt nun wieder scharf, und zwar so, daß wir den ersten Schnee bald hinter uns ließen und in ein sonniges, freundliches Thal hinabstiegen, wo grüne Myrthenbüsche wenigstens auf eine Zeitlang die kahlen nackten Felsen verdrängten. Die Sonne schien hier warm und erquickend, und gegen Abend erreichten wir, dem Lauf eines kleinen Wassers in der letzten Stunde folgend, ein Haus wo die Maulthiere, die sich die letzten Tage spärlich genug behelfen mußten, gute Weide und wir selbst ein vortreffliches Glas Mendozawein fanden, uns daran zu erquicken.
Dieß war das westlichste Haus der argentinischen Republik und hier versorgten wir uns auch noch mit ein paar Hörnern voll Mendozawein, die wir übers Pferd hingen.
Diese Art Flüssigkeiten zu transportiren ist übrigens so originell als praktisch; ein paar gewöhnliche Ochsenhörner, natürlich so groß wie sie solche bekommen können, werden unten gerade abgesägt und mit einem fest eingesetzten und verpichten hölzernen Boden versehen, dann oben, durch das spitze harte Ende ein Loch hineingebohrt und ein Stöpsel drauf gesetzt, und die Flasche ist fertig. Zwei solche Flaschen bindet man mit einem kurzen Ende Rohhaut – die hier überall den Bindfaden vertritt – zusammen, und hängt sie solcher Art über den Sattel.
Schon von Buenos Ayres hatte ich ein paar solcher »Zwillinge« nur etwas kleiner für Caña (den Vorlauf von Rum, eines der angenehmsten und leichtesten spirituosen Getränke) mitgenommen, und mein alter Correo, dem das Steppenwasser auch nicht besonders zu behagen schien, nahm recht häufig einen Schluck daraus. Er hatte sie »aus Gefälligkeit« auf sein eigenes Thier gebunden, und sie wären ihm gewiß noch lieber gewesen, hätte der alberne Stöpsel nicht jedesmal so gequitscht, wenn er ein kleines Stück zurückgeblieben war, irgend etwas an seinem Sattel oder Reitzeug nachzusehen. Ich fand später sogar aus, daß ihm diese Caña besser schmeckte als selbst der Mateh, den er gewöhnlich nur aus Höflichkeit zu trinken schien.
Apropos Mateh, den hatte ich jetzt, Gott sey Dank, mit den Pampas, hinter mir, denn hier wurde mehr Wein getrunken, und meine Lippen, die in den letzten Wochen gar nicht mehr zugeheilt waren, setzten frische Haut an.
An dem Abend spät kamen auch vier Guanakajäger mit fünfzehn mächtigen Hunden zurück, mit denen sie das arme Thier in den Bergen zu Tode gehetzt hatten. Das ist die einzige Art wie sie das Wild in dieser Gegend erlegen können, denn Feuergewehr führen sie nicht, oder wissen nur so mittelmäßig damit umzugehen, daß sie sich nicht darauf verlassen können.
Hier hatten sich unsere Maulthiere, die von da an, wie mein Vaquiano sagte, in den Bergen nicht mehr viel Futter finden würden, noch einmal tüchtig satt gefressen, und die armen Bestien schienen es fast zu wissen daß es jetzt einem für sie schlechten Terrain zugehe, denn so wie sich nur Einer der Einfriedigung näherte, spitzten sie schon die Ohren und liefen nach dem entferntesten Ende derselben, um nur nicht eingefangen zu werden. Arme Geschöpfe, das hilft euch nichts – der Lasso erreicht euch, wo ihr auch seyd, und seiner fliegenden Schlinge, unter der ihr erschreckt und zitternd zusammenzuckt, entgeht ihr nicht.
Am nächsten Morgen – Sonnabend, den 14. Julius, brachen wir früh auf und zwar jetzt dem Eingang der Cordilleren, einem schmalen Thale zu, das sich der Tucunjado in die Felsen gerissen. Wir blieben an der linken Seite des Bergstroms, und ich mußte staunend sehen, wie sich die Spuren des jetzt allerdings niederen Stromes bis zu 30 und 40 Fuß über uns erhoben, und dann noch Zeugniß gaben, wie er das nächste niedere Land überschwemmt habe. Eine furchtbare Gewalt muß es seyn, die all die tausend Wasser dieser ungeheuren Bergkette im Frühjahr sammelt und donnernd ins Thal hinabsendet, und nicht zu verwundern ist’s dann, daß sie ganze Felsstücke mit fortreißt, und selbst an den steinigen Ufern mit Erfolg wühlt und gräbt, und ihr Bett verändert und erweitert.
Der Anblick des Gebirges war von hier wahrhaft wundervoll – wie eine riesige Wand lag die ganze fest in sich zusammengedrängte Masse der eigentlichen Cordilleren, des Rückenmarks eines ganzen ungeheuren Welttheils, das sich aus den Eisregionen des Nordens bis hinunter erstreckt zum 53. Grad Süder Breite und dort noch, am Cap Horn mit der starren Felsenstirne weit und trotzig in die dagegen vergebens anstürmende See hinaus droht – gerade und hochaufstrebend vor uns, und eine zackige Schneemasse krönte die gewaltigen Gipfel. Aber es sah nicht aus, als ob der Schnee auf diese Berge niedergefallen wäre, sondern der ganze obere Theil der Gebirgsmasse schien aus Schnee und Eis zu bestehen, so blitzte und funkelte und strahlte es im hellen fröhlichen Sonnenlicht und nur hie und da, wo die senkrecht niederschießenden Hänge so schroff und glatt abfielen, daß auch nicht eine Flocke daran hatte haften können, zeigte der alte Berg die nackten Glieder und verrieth dadurch die ungeheuren Schichten des gefangenen Schnees, der in seine Zacken hineingeweht worden, und dort Schluchten ausfüllte, in denen andere Gebirge Raum gehabt hätten.
Im Anfang war der Weg ziemlich gut, d. h. steinig und abschüssig genug, aber doch breit und nicht gefährlich, wir waren ja einmal in den Bergen, wo es eben keine Chausseen mehr gibt; je weiter wir aber hineinkamen, desto höher mußten wir auch hinauf, und desto näher traten von beiden Seiten die Gebirge zusammen, so daß der jetzt plötzlich ganz schmale Pfad schon anfing an steilen bröcklichen Schluchten hinzuführen, und die Maulthiere nicht mehr die Wahl hatten wo sie gehen wollten, sondern sich auf den einen schmalen Weg verwiesen sahen. Oft passirten wir jetzt Plätze, wo links der Abgrund viele hundert Fuß steil unter uns lag, während rechts schroffe vorragende Felsstücke jedes Abdrängen davon auf das unerbittlichste versagten, so allmählig kamen wir aber in diesen Engpaß hin, und so viel des Neuen umgab mich zu derselben Zeit, daß ich im Anfang kaum auf den Weg achtete. Mein Blick hing in den steilen, gäh niederschießenden Schluchten die oben, von weichen schimmernden Schneeschichten ausgefüllt, unten von grünen Myrthenbüschen bewachsen waren und hier – dort drüben strich er mit langsam gewaltigem Flügelschlag – sah ich den ersten Condor, den Riesengeyer dieser Berge und zum erstenmal fing ich hier an die unendliche Größe der Gebirge zu ahnen als der ungeheure Vogel, der so dicht an uns hingeflogen war daß ich das scharfe Schlagen seiner Schwingen hatte hören können, nach dem gegenüberliegenden Hang, den ich für nur wenig hundert Schritte entfernt gehalten hatte, hinüber und weiter und weiter strich, und die Hänge immer noch nicht erreichte, und zuletzt so klein aussah wie ein junger Rabe.
Der Weg wurde aber wirklich immer schmaler, und wo er sich vor uns in Schlangenlinien dicht um die Felsen schmiegte, schien es mir plötzlich als ob er dort vollkommen aufhöre, denn mein sonst gewiß scharfes Auge konnte nicht die Spur eines Aussprungs mehr entdecken, und doch befanden wir uns schon mehre hundert Fuß über dem kleinen Strom, der tief unter uns wie ein Milchbach über Felsblöcke, die aber in dieser Entfernung wie Kiesel aussahen, dahinsprudelte – und hinauf? – lieber Gott die ganzen Cordilleren lagen noch wie in einer schroffen Felsmasse über uns, und da hinauf konnte der Pfad unmöglich gehen. – Aber der helle Streifen, der eigentlich nur wie eine Ader in dem dunkleren Gestein aussah, konnte doch auch wahrhaftig nicht der Pfad seyn auf dem wir, an solchem Abgrund hin, mit unseren Thieren die Bahn suchen sollten.
Doch ich durfte nicht mehr so weit vorausschauen; die nächste Nähe nahm bald meine ganze Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch und es fing schon an einige Selbstüberwindung dazu zu gehören das Thier das ich ritt, an solchen Stellen nicht leiten zu wollen. Mein Vaquiano hatte mir aber besonders angerathen an irgend einem, mir vielleicht gefährlich scheinenden Paß, dem Maulthier nur ganz ruhig und unbesorgt den Zügel zu lassen, denn das wisse gewöhnlich am allerbesten wohin es treten müsse, seine Knochen gesund und unzerbrochen über die Berge zu bringen – und nun – wahrlich das war die Stelle von der ich schon früher gehört – an deren Fuß unten Massen von Maulthieren zerschmettert lagen, und wo ein einziger Fehltritt Thier und Reiter – todt, ehe sie den Boden erreichten – in die Tiefe senden mußte. Dabei führt der Maulthierpfad auch gerade am alleräußersten Rande hin, denn die Maulthiere müssen mit ihren Packen so weit vom Felsen abgehen wie nur möglich, da sie, sobald sie an diesen fest anstoßen, verloren sind. Für den, an solche halsbrechende Partien nicht gewohnten Europäer hat es aber etwas höchst fatales, das Thier auf dem er reitet förmlich über den Abgrund fortschreiten zu sehen, während doch zur Rechten noch gewiß drei Zoll Raum sind, die es wenigstens ein klein wenig von dem gähnenden Schlund abbrächten. Auch mir kam es so vor und als ich, scheu zwischen dem Steigbügel und der Schulter des Thieres hinunterschauend, in die Tiefe blickte und dort, Gott weiß wie tief unten, die Massen von Maulthiergerippen sah, die mahnend zu mir heraufstarrten, da griff ich fast unwillkürlich dem Thiere das ich ritt in die Zügel, und that dadurch etwas, was der Reiter auf solchen Stellen nur im äußersten Nothfall thun sollte – ein anderer mag da aber auch fischblütig zusehen.
Dadurch nämlich daß ich den Kopf meines Maulthiers vom Abgrund wegzudrängen suchte, verlor dieses seinen sicheren Schritt, trat zur Seite, stieß mit der Satteltasche an den Felsen an, erschrack wahrscheinlich selber darüber und – nein lieber Leser, wir stürzten nicht zusammen da hinunter, sonst könnte ich dir meine Fahrt hier nicht erzählen – es stolperte nur, aber wie es fehl trat, und der Stein an den es stieß nur eben vielleicht einen Zollbreit von seiner Stelle gestoßen wurde und auch gleich geräuschlos in die Tiefe stürzte, wo er lange, lange nachher dumpfdröhnend anschlug, da – ja ich brauche mich deß nicht zu schämen, denn es war mir allerdings nicht egal ob ich hinunterfiel oder oben blieb – da lief’s mir doch eiskalt und fröstelnd den Rücken hinunter, und es war als ob mir das Blut in den Adern stockte. Die Maulthiere sind aber vortreffliche Geschöpfe, und wenn ich auch nicht eingebildet genug bin zu glauben, daß es sich nur meinetwegen bemüht habe wieder festen Fuß zu fassen, so that es das doch seines eigenen langohrigen Selbst willen, und schritt gleich darauf so ruhig und sicher als ob gar nichts vorgefallen gewesen, und wir nicht secundenlang am Rand eines entsetzlichen Grabes gehangen, über die gefährliche Stelle hinweg; ich ließ ihm aber von da an, besonders an solchen Orten, den Zügel vollkommen, und habe mich nur Wohl dabei befunden.
Diese Stelle war aber keineswegs, wie ich früher immer geglaubt, nur wenige Fuß, sondern im Gegentheil viele hundert Schritt lang, und ich fand jetzt daß alle die Plätze, wo ich den helleren bandartigen Streifen um steile Felshänge herum schon vorher mit den Augen verfolgt hatte, wirklich ein eben solcher, oder doch wenigstens ganz ähnlicher Pfad waren, dem wir, wir mochten jetzt wollen oder nicht, treu bleiben mußten, denn an manchen Orten hätten wir die Maulthiere nicht einmal wenden können.
Trotzdem soll es doch etwas ungemein seltenes seyn, daß ein Thier mit einem Reiter in diese Tiefe stürzt, und die meisten die hier verunglücken sind Lastthiere, und zwar alte Lastthiere die von den jungen, zum erstenmal diese Bahn beschreitenden, hinabgedrängt werden. Das junge Thier stößt nämlich im Anfang gewöhnlich zuerst ein paarmal mit seinen Packen an die Felsen, und wird dadurch von selber dem äußersten Rande der gefährlichen Bahn zugewiesen. In den vor ihm gähnenden Abgrund kann aber das arme erschreckte, von dem Treiber noch gepeinigte Thier, nur mit Entsetzen hinabschauen und um diesem Anblick zu entgehen drängt es jetzt in ängstlicher Hast, unbekümmert ob seine Packen gegen den Fels anschlagen, den Kopf zwischen das ihm nächste, vor ihm gehende Thier und den Felsen hinein und das arme, also mit Gewalt dem Abgrund zugeschobene Wesen stürzt, so kaum wenige Zoll von dem äußersten Rand entfernt, vielleicht mit einem Fuß schon auf einem schwankenden Steine stehend, rettungslos in die Tiefe.
Ist der Fluß nicht zu hoch, dann gehen wohl einige der Treiber zurück um gleich von vorn herein dem Lauf des Tucunjado unten am Wasser zu folgen und wenigstens die Packen und den Sattel noch zu retten, hat es aber kurz vorher geregnet, so dürfen sie das nicht einmal wagen, denn der Strom schwillt manchmal so reißend schnell an, daß sie, in der engen Schlucht von ihm überrascht, vielleicht selbst ihr Leben noch dabei einbüßen könnten, und tritt erst einmal das Wasser aus dem schmalen Bett, dann ist auch alles was in seinen Bereich kommt verloren.
Eine andere böse Stelle ja fast noch schlimmere Stelle als die vorige, hatten wir nur wenige Stunden später an demselben Felshang zu passiren; der Weg war hier ebenso schmal, der Abgrund ebenso tief und noch dazu eine Schneewehe, oben von den Bergen herunter, gerade darüber hingestürzt, so daß man den Pfad nicht einmal unterscheiden konnte. Der Führer war vorangeritten, und durch ein Felsstück meinen Augen entzogen worden, so daß ich nicht bemerkte ob er im Sattel geblieben oder abgestiegen war, ich ritt denn auch ruhig fort, bis ich plötzlich dicht vor der schmalen bösartigen Schneewehe stand, wo das Thier im wahren Sinn des Worts einen durch den darüber gestürzten Schnee noch unsicher gemachten Pfad von höchstens vier Zoll Breite hatte und die hinter mir herkommenden Peons riefen mir plötzlich mit lauter Stimme zu »abzusteigen.«
Das war eine höchst interessante Lage – den einzigen Platz wo man noch absteigen konnte hatte ich versäumt – links hinunter, wie es sich gehört, konnte ich gar nicht, denn auch kein Zollbreit war da, auf den ich hätte fußen können, und rechts stieg dicht am Maulthier der Felsen empor – zurück konnt’ ich ebensowenig, da half also kein langes Besinnen, ich mußte, so gut das gehen wollte, an der rechten Seite des Thieres hinunter, zwischen dieses und den Felsen hinein – wobei sich das arme Wesen, das natürlich fürchtete den Abgrund hinabgeschoben zu werden, so fest als es nur möglicherweise konnte, gegen mich anpreßte. Nichtsdestoweniger gelang es mir endlich – ich kroch dann unter seinem Kopf vor und schritt langsam den schmalen Pfad im Schnee – der übrigens kaum sechs Schritt lang war, voran – das Maulthier folgte, und wir legten auch diesen Weg glücklich mitsammen zurück.
Der Weg blieb von da an wohl noch immer schmal und gefährlich, wir waren aber durch diese Engpässe so an Schluchten und Abhänge gewöhnt worden, daß ich schon anfing einen Pfad von drei Fuß Breite, neben einem gähnenden Abgrund hin, für etwas chausseeartiges zu halten, und dem Thier dabei unbekümmert die Sporen gab.
»Aber warum steigt der Reiter überhaupt an solchen Engpässen nicht ab?« fragt hier der Leser, und eigentlich mit ganz gutem Grund – »es ist doch tausendmal besser ein paar Meilen zu Fuße zu gehen und einfach das Maulthier und seine Satteltasche zu riskiren, als Leib und Leben leichtsinniger Weise im Sattel preiszugeben.«
Ein richtiger Grund existirt dafür freilich nicht – die Bergbewohner bleiben aber im Sattel – sehr wahrscheinlich weil sie zu faul sind den Weg zu gehen – und der Fremde, der manchmal diese Stellen besucht, scheut sich dann gewöhnlich weniger Muth zu zeigen – wie er nämlich glaubt – als diese, die sich nur wundern würden wenn er ginge, daß er sich einer solchen Unbequemlichkeit unnützer Weise aussetzt. Daß sie zerschmettert werden würden, wenn ihr Maulthier einen falschen Schritt thut, wissen sie dabei recht gut, aber auch eben so genau was ihr eigenes Leben werth ist – und das scheint sich dann meistens des Absteigens nicht zu lohnen.
Die Nacht lagerten wir an der Schneegrenze, und es war, da wir auch nicht einmal Holz zu einem ordentlichen Feuer hatten, ziemlich kalt; an Auslagern aber gewöhnt, richtete ich mir mein Lager mit Hülfe des Sattels und meiner Decken so gut her, daß ich weich und warm bis zum nächsten Morgen schlief und der Führer, ein Chilene, der die Berge schon gar oft passirt war, gab mir das höchst schmeichelhafte Zeugniß – »wenn ich auch wirklich weiter nichts verstände, wüßt’ ich doch wenigstens mein Bett zu machen.«
Unsere Thiere fuhren hier sehr schlecht – nicht ein Grashalm wuchs dort für sie, an dem sie sich hätten letzen können, nur hie und da gelbes, strohartiges Gestrüpp, das noch vom Sommer her die dürren saftlosen Halme aus einzelnen Ritzen vorsteckte, wo vielleicht vor Jahren Maulthierdünger ein wenig Fruchterde gesammelt hatten. Selbst einen Schluck Wasser zu bekommen mußten sie mehre hundert Fuß eine steile bröckliche Schlucht hinunterklettern, dort mit Lebensgefahr saufen, und nachher wieder, müde wie sie waren heraufklimmen – und nachher keinen Bissen zu fressen.
Als ich sie übrigens bedauerte meinte der Vaquiano ganz ruhig – oh heute ist nur der erste Abend, da spüren sie noch nichts, wenn’s aber länger dauert geht’s ihnen freilich hart an, doch sind sie zäh und können ungemein viel aushalten. Und länger mußte es allerdings dauern, denn vor uns lagen die Schneegebirge und ich zweifelte sehr daß ihnen dort oben selbst die schwache Erholung gewährt werden würde, Zahnstocher zu kauen.
Von hier ab verließen wir aber auch den harten festen Boden und betraten die Schneeregion, die wir bis dahin sich fortwährend über unseren Köpfen hin aber doch näher und näher hatten ziehen sehen. Jetzt reichte sie bis zu uns nieder, und wie abgeschnitten fast liefen plötzlich, erst ein paar Windwehen über den Pfad hinüber, vielleicht zwanzig Schritt breit und wieder ebensoviel Raum hart gefrorenen nackten Steinbodens zwischen sich lassend, und dann plötzlich begannen sie in einer, ununterbrochenen öden blitzenden Fläche.
Der Winter hatte sein Leichentuch über die schlummernden Kordilleren geworfen, und die kecken Menschenkindlein wagten, es mit Füßen zu treten.
Sonntag, den 15. Juli machten wir nur einen kurzen Marsch, denn die Peons hatten, anstatt ihre Vorbereitungen in Mendoza zu treffen wie sie vorgegeben, alles das versäumt, und vergeudeten nun hier förmlich einen ganzen Tag ein Taschentuch voll Kohlen zu brennen und ihre Schneeschuhe vorzubereiten. Unter Schneeschuh darf sich der Leser aber nicht die in Nordamerika gebräuchlichen weidengeflochtenen Gestelle denken; die hiesigen sollen nicht dazu dienen über den Schnee hinzulaufen, sondern nur denselben von den Füßen abzuhalten, und diese werden deßhalb erst in ein weiches Schaffell dicht eingeschlagen und umwickelt, und bekommen dann noch eine feste rindslederne Sohle, was, wie sich später zeigte, Klima und Umständen auf das vortrefflichste angemessen ist.
An dem Hügel nun wo wir lagerten und die Kohlen brannten, hatten wir schon eine ganze Weile auf unseren Führer gewartet, der vor etwa einer Stunde zurückgeblieben war, und jetzt erst, viel später eintraf. Endlich kam er und trug etwas, dem Anschein nach ziemlich Schweres und Umfangreiches in seinem Poncho. Ich glaubte erst es seyen Kohlen, er aber bog sich zu mir über, öffnete den Poncho und zeigte mir eine wahre Unmasse der vortrefflichsten Rosinen – Traubenrosinen im Schnee. »Wo er die her habe,« war wohl die erste und natürlichste Frage, er aber zeigte lachend nach einer gar nicht entfernten, ebenfalls mit Schnee zum großen Theil bedeckten Felswand hin und versicherte mich: von dort her, und es seyen noch eine ganze Menge dort.
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