Читать книгу: «So war es in der DDR und nicht anders», страница 4

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Die Musiker

In der beginnenden DDR-Gründerzeit gab es gute und große Bigbands, deren Musiker aus den schon genannten „Stadtpfeifen“ hervorgegangen sind. Bis zum Bau der Mauer galt als berühmteste Bigband das Tanzorchester des Leipziger Rundfunks unter Leitung von Kurt Henkels. Leider waren viele gute Leute wie er eines Tages „verschwunden“, darauf tauchten sie im Westteil Deutschlands wieder auf. Die kulturellen „Vorgaben“ passten eben nicht jedem Künstler. Aus diesem Orchester ist unter anderem zu einem Großteil das Tanz und Vorzeigeorchester „Gips Kreischer“ entstanden. Viele Musiker aus dieser Band sind dennoch im Ostteil geblieben und haben sich in anderen Bands verdingt. Jahrelang war obiges Orchester das Aushängeschild des SED-Politbüros im kapitalistischen Ausland, bis es zerfiel. Ja, und mein erster Bandchef kannte sehr viele von diesen großartigen Musikern. Da er selbst noch einen „Holzbläser“ suchte, konnten wir den 1-ten Eb-Mann in unserer Band verpflichten. Da selbiger ohnehin nichts zu tun hatte und in Karl-Marx-Stadt wohnte, wie auch andere vom „Gips“, schlug mein Chef sofort zu, bevor ihm jemand zuvorkam und ihn holte. Dieser Mann war natürlich ein super „Fang“. Mit einem der besten Eb-Saxophonisten Deutschlands zu spielen war toll. Man konnte ja nur lernen. Fürwahr, ein gutes Stichwort! Es ist zwar nicht gut, wenn eine Band laufend neue Leute einstellt. Aber man kann trotzdem von jedem Berufskünstler etwas für sich „mitnehmen“, was sich als großer Vorteil erweist! Eine Berufsband braucht keine großen Proben. Da merkt man am ersten Abend, geht es oder geht es nicht. Hat er „Drive“ oder nicht. Ist „er“ trotz jahrelangen Studiums ein Blattmann oder nicht. Musiker müssen zusammenpassen! Allerdings eher in der Auffassung einer musikalischen Spielweise. Das heißt: „Driver gehören zusammen“, sonst gibt es Stunk, und die Musik ist Müll. Es gibt Leute, die haben nie studiert, aber sie wissen, wie es „geht“. Und andere machen Abschlüsse in Masse, waren bei mehreren Professoren und bringen keinen ordentlichen Rhythmus zusammen oder hören keinen „Bläsersatz“. Dieses wiederum bedeutet, man muss sich einigen auf den „Vordersten“. Ich gehe hier nicht näher darauf ein, denn es würde den Rahmen und Sinn dieses Büchleins sprengen.

Auf Tournee

Annaberg-Buchholz, eine wunderschöne Stadt im oberen Erzgebirge mit damaligen 24.000 Einwohnern und einer Höhenlage von 620 Metern ist ein kulturelles Kleinod von fundamentaler Bedeutung. Am Fuße des Pöhlberges gelegen, schmiegt sich diese Doppelstadt „Annaberg-Buchholz“ wunderbar in das Gebirge ein. Schon von weitem, in einer Entfernung von etwa 15 Kilometern, auf der Anhöhe von Ehrenfriedersdorf kann man es bewundern mit den Höhenzügen des Fichtelbergs und des gegenüber liegenden Klinovec (Keilberg). Auf der rechten Seite liegt das Greifensteingebiet mit der bekannten Freilichtbühne der Städtischen Theater Annaberg-Buchholz. Der berühmte Rechenkünstler Adam Ries stammt ebenfalls von hier und ist weltweit bekannt.

Im Zentrum „Am Markt“ steht das schöne Rathaus mit dem Ratskeller. Daneben das Hotel „Wilder Mann“. Gegenüber findet man den „Erzhammer“, einen Komplex mit Speise- und Tanzgaststätte sowie das Kulturhaus mit großem Saal. Unsere Verträge waren meistens für 3 – 4 Monate ausgelegt. In Karl-Marx-Stadt gab es den „Kapellenring“, der über die „Konzert- und Gastspieldirektion“ dafür sorgte, dass verschiedene Berufsbands des Bezirkes Karl-Marx-Stadt in einem bestimmten Wechsel alle zu belegenden Tanzlokale kennenlernen sollten. Was letztendlich auch dem Publikum zugute kam, da immer mal wieder neue Bands erschienen. Doch dauerte es meist nicht länger als ein Jahr, und wir waren wieder dort, wo die musikalische „Rundreise“ begann. Es gab aber auch ein paar Musiker, die sich dem nicht anschlossen und auf feste Verträge verzichten wollten. Entweder waren sie dann freiberuflich tätig, so wie wir teilweise auch, oder sie versuchten ihr „Glück“ über die KGD, also die „Konzert- und Gastspieldirektion“ und warteten auf eine Tournee mit bekannten Schlagersängern, die durch die Republik tourten. Dabei reichte es nicht, ein guter Kapellenleiter zu sein, nein, man musste auch „gute Beziehungen“ zu den Verantwortlichen der KGD haben, die schließlich auch „Unterstellte des Kulturministeriums“ waren. Und mit einer solchen politischen „Grundausrichtung“, die den Genossen nicht passte, hatte man bei besonders gut bezahlten Verträgen keine Chance. Die meisten passten sich also an und waren froh, Verträge, die teilweise auf Jahre hinaus datierten, ihren Kapellenkollegen vorlegen zu können. Dies war natürlich auch eine Frage des Verdienstes, ob man bei einem festen Vertrag 1.600,00 DDR-Mark verdiente oder mitunter das Mehrfache bei freier Vereinbarung. Wer mehr verdienen wollte, musste erst einmal schauen, wo ein Musiker gesucht wurde. Dann recherchierten die Kapellenleiter untereinander: Warum will „der“ weg? Muss ich mit „ihm“ ein Vorspiel machen? Ist „er“ verlässlich? Politisch wurde nie gefragt, weil alle Berufskünstler, bis auf ein paar „bekannte privilegierte Ausnahmen speziell in Ostberlin“, die gleiche Meinung vom „Superfreien Staat DDR“ hatten. Es gab ja viele gute Bands. Nur mit dem einen Unterschied, die einen durften im Westen gastieren und die anderen nicht. Warum wohl? Unvorstellbar für nicht wissende Menschen, was DDR hieß!

Nach Unterzeichnung der Verträge bei der Gaststättenleitung und Bezug unseres Quartiers im „Wilden Mann“ war indessen die Mittagszeit angebrochen. Wir fünf wollten etwas essen gehen und die Zeit nutzen, uns gleichzeitig ein kleines Bild von der Innenstadt Annaberg-Buchholzes zu verschaffen. Unser „Gips-Kreischer-Mann“ meinte hingegen: „Alfred, wir kriegen doch Personalessen, hast du gesagt. Warum sollen wir denn hier so viel Geld ausgeben?“

„Och, Hansi, jetzt gehen wir erst mal richtig essen. Ich bezahle das, denn ich lade alle ein. Schließlich müssen wir heute Abend in vollkommen neuer Besetzung ohne Probe antreten. Ja, das wird sowieso eine interessante Sache.“

Also rein in den benachbarten Ratskeller. Irgendwie musste man uns schon beobachtet haben, beim Hineintragen der Instrumente oder beim Auspacken unserer Siebensachen vor dem „Wilden Mann“, und das ist das übernächste Haus hier am Annaberg-Buchholzer Marktplatz. Sofort trat der Oberkellner auf uns zu, als gehörte ihm der Laden, und fragte: „Die neue Kapelle von drüben?“

„Ja, und?“, meinte mein Bandchef in seiner immer leicht überheblichen, aber doch netten Art.

„Wir haben immer einen schönen Platz für gute Gäste“, säuselte der Kellner, als ob wir schon jahrelang hier regelmäßig essen gehen würden. Das Ganze war ziemlich hohles Geschwafel. Doch im Grunde war es uns eigentlich vollkommen egal, was dieser leicht betagte und leicht bekleckste „Servierflitzer“ so abließ. So nahmen wir erst einmal ein Halbes und stießen an auf die neue Formation. Zu Essen gab es Gulasch und Knödel, angemacht wie in der Tschechei um die Ecke, also mit etwas Kümmel. Zwar ist das nicht jedermanns Sache, aber man wollte ja nicht unbedingt das Beste essen, da der Boss bezahlt. Schon deshalb hieß es erst einmal kleine Brötchen backen. Nach dem Mittagsmahl liefen wir in den „Hammer“ und bauten unsere Instrumentarium auf. Hans spielte keine Gitarre mehr, sondern Drums, Hansi vom Gips baute seine drei Saxofone (Bariton, Alt und Tenor) nebst seiner Klarinette auf. Das gleiche außer Altsaxofon mit Andi aus Leipzig. Ich war nicht mehr Gitarrist, sondern Bassist mit Gitarre und Alfred am Keyboard. Alfreds italienische „Meazzi“-Gesangsanlage klang klasse und hatte allerhand Mätzchen drauf. Dazu noch zwei DDR-Anlagen für Bass und Gitarre.

Wir wurden von den Bedienungskräften beim Aufbau sehr intensiv beobachtet, bis einer von ihnen mit der Sprache herausrückte: „Wo habt´n ihr vorher gespielt?“

„An den Frauen, wo sonst!“, meinte mein Boss knackig trocken.

Lautes Lachen: „Na, da habt ihr hier auch etwas zu tun.

„Klingt gut“, meinte ich.

Hans sah mich an und erwiderte: „Oh je, bloß gut, dass ich ein Einzelzimmer habe.“ „So, Leute, wir spielen mal einen an.“

„Und was?“, fragte Hans hinterm Drums.

„Glenn Miller, und zwar die ‚Moonlight-Serenade‘, hier sind die Bb- und Eb-Stimmen, Bass und Drums. Wie es steht mit Wiederholungen, macht ihr beiden euch ein paar Gedanken, wer welche Stimme spielt.“

Ja, und ab ging die Post mit zwei Tenorsaxofonen, dann zwischendurch die Eb-Kanne und zum Schluss zwei Klarinetten – es klang super.

„Die spiel’n wie de’Amis“, sagte der Obermundschenk am Tresen und zapfte eine Runde Bier. Der Dienst hatte noch gar nicht begonnen, und das bekam auch der Gaststättenleiter mit.

Mit Blick auf Alfred fragte er uns: „Beginnt ihr 19.00 Uhr oder 20.00 Uhr?“

„Laut Vertrag um Acht.“

„Ja, gut, doch wenn nicht mehr als 20 Mann da sind, beginnt ihr so langsam erst gegen 20.30 Uhr. Alles klar?“

„Wir freuen uns“, antwortete Alfred.

Inzwischen war es fast 15.00 Uhr geworden, und wir wollten durch Annaberg-Buchholz noch etwas spazieren gehen. Raus aus dem „Hammer“ und rechts hinauf, die Kirchgasse hoch. Also, leicht „bedeppert“ möchte ich diese Gasse nicht hochlaufen mit 13 Prozent Steigung. Auf halber Höhe kommt man an der Annenkirche vorbei, eine der schönsten Kirchen Sachsens, wo hoch oben im Glockenturm ein ehemaliger Berufszauberkünster wohnt, der gegenüber auf der anderen Straßenseite ein Geschäft hat mit derartigen Artikeln.

Alfred meinte: „Los, Leute, kommt, wir gehen mal rein.“

Wir wurden freundlich begrüßt wie alte Bekannte. Dies betraf aber nur Alfred, denn der hatte in Annaberg-Buchholz schon mehrmals ein Engagement gehabt.

„Und, hast du einen kleinen Trick für die Bühne parat?“ fragte er.

„Für Musiker immer“, erklärte Zauber-Soltau.

Nachdem wir ein paar billige Dinge gekauft hatten für Karten- und Verschwindetricks, gingen wir hinüber zur Kirche, um uns drinnen dieses wunderbare Kunstwerk des frühen Mittelalters anzuschauen. Der Zauber-Soltau war zu bewundern, denn er musste jeden Tag weit über Hundert Treppen in seine Wohnung unterhalb des Glockenturmes bewältigen. Doch in irgendeiner Weise passte das zu diesem höchst merkwürdigen, aber sehr freundlichen Menschen. Künstler sind eben irgendwie „andere“ Typen.

Nach unserem Spaziergang durch all die Gassen und Straßen kamen wir auf der Einkaufsmeile mit dem großartigen „Eduard-Winter-Theater“ am Anfang und dem Tanzlokal „Erzhammer“ am Ende der „Buchholzer“, wie der Annaberg-Buchholzer Broadway genannt wird, wieder auf dem Marktplatz an. Die Pyramide, hier im oberen Erzgebirge „Peremett“ genannt, wurde gerade abgebaut. Leichter Schnee fiel herab, es war ziemlich kalt, und wir machten uns auf in das Hotel, denn wir mussten uns langsam umkleiden.

Es war ja nicht wie heute, dass jeder irgendwelche verdreckten Klamotten anziehen konnte. Nein, laut Vertrag mussten wir in einheitlicher sauberer Kleidung auftreten, so war das in der DDR üblich. Einzige Ausnahme – der Kapellenleiter. Dieser konnte sich von den anderen optisch „absetzen“. Aber da wir logischerweise noch keine gemeinsame Kleidung besaßen, hieß es: „Schwarze Hose und weißes Hemd“.

Alfred meinte dazu: „Die nächsten Tage schauen wir uns mal nach etwas anderem um.“

Das Ganze musste ja erst einmal losgehen. Also trafen wir uns gegen 19.30 Uhr im „Hammer“ zu unserem ersten gemeinsamen Auftritt. Einige Gäste waren schon anwesend. Jetzt kam noch einmal der Gaststättenleiter zu uns, und Alfred stellte uns vor.

„Das ist Hans, der spielt jetzt Drums, das ist der Hansi, den habe ich vom „Gips Kreischer“ rausgeholt. Der Gerd hier spielt Gitarre und singt, aber ab heute spielt der Bass, war im Karl-Marx-Städter Opernhaus tätig. Und den hier hab ich von einer Leipziger Band abgezogen“, erklärte er.

„Oh, da haste ja wieder mal eine Truppe zusammen.“

Alfred, so wurde mir erzählt, soll einen ziemlichen „Umsatz“ an Musikern haben. Ob das stimmt, würden wir ja bald herausfinden. Ich musste mich auf dem Bass auch erst mal warm spielen und die ersten Tage kleine Brötchen backen. Die KGD gab mir zwar den Berufsausweis, jedoch mit der Maßgabe, in der nächsten Zeit die Bassistenprüfung in Dresden abzulegen. Damals waren noch die „Dresdner Tanzsinfoniker“ die Dozenten in der Hochschule „Karl Maria von Weber“, und die „brachten“ es! Zwar wurde ich von meinem Dresdner Lehrer beruhigt mit den Worten „Du packst das schnell“, aber hier gab es keine Mogelei. Alles war genau und streng. Warum auch nicht. Schließlich möchte man ja gutes Geld verdienen, und da muss man auch etwas leisten und anbieten.

Der erste Abend begann mit ein paar „Ami-Nummern“, und Alfred bemerkte: „Die habe ich aus Westberlin mitgenommen.“

Die Gäste strömten langsam in den „Hammer“, und gegen 21.00 Uhr war es brechend voll. Man wollte ja die neue Truppe sehn. Alfred hatte wohl schon mal einen Vertrag in diesen Räumlichkeiten. Da musste er sicher gut eingeschlagen sein, denn die Begrüßung vor der Bühne nahm kein Ende. Die Pause kam sehr schnell, wahrscheinlich deshalb, weil die Musik so gut lief und es wirklich Spaß machte. Na ja, mit Leuten, die die Welt gesehen hatten wie beim „Gips Kreischer“, merkte man schon am Ton der Eb-Kanne: Hier ist ein ganz großer am Werke. Und die Leute bemerkten das auch, zumal Hansi als Zeuge Jehova den ganzen Abend über keine Miene verzog. Aber das war nun mal sein Stil. Bei ihm trifft es wirklich zu, man sollte niemals nur auf das Äußere achten. Wir wurden sogar gefragt, warum der Mann denn nicht mal lacht. Also erklärten wir ihnen, wo er herkam, und da wurden die Gesichter ziemlich lang. Während der Pause erschienen sofort ein paar Herren im Personalraum, die Alfred vom Annaberg-Buchholzer Theater kannte. Er stellte uns allesamt vor, und ich könnte sofort einen Vertrag als Chorsolist unterschreiben, meinte einer der unverhofften Besucher. Worauf ich laut lachte und erklärte, dass ich meinen Traumberuf schon gefunden hatte. Das war der Spielleiter, der gleichzeitig als Solist und Buffo am Theater agierte. Meiner Ansicht nach interessierte er sich bestimmt mehr für Männer, und ich hatte recht. Man hatte ihn vor geraumer Zeit aus dem Operettenhaus in Dresden etwas herausgedrückt, weil er schwul war. Aber das gab es in der DDR oft, da der Paragraf – ich glaube, es war die 175 – gerade erst abgeschafft worden und das Schwulsein gesetzlich erlaubt war. Nach der Pause traute ich mich schon einmal über die Noten drüberzuschauen, weil die Musik, dank der Künste unseres ersten Bläsers, wie von selbst lief. Das Tanzparkett war zum Bersten voll. Dann ließ mein Boss etwas Stimmung heraus, um die Bläser zu entlasten. Auf einmal gab es ganz „neue Paare“. So etwas hatte ich bis dato noch nicht gesehen. Es tanzten auf einmal mehrere Männer zusammen, und ich fand das ganz lustig. Solange die ihre Sachen für sich machen, warum nicht? Im Opernhaus war ich schon manches gewöhnt.

Ich erinnerte mich an den Spruch des Oberkellners, hier gäbe es viel zu tun mit Mädchen aus der Stadt, und ich musste gestehen – das stimmte. Denn schon am ersten Abend schleppte ich eine hübsche Blondine durch die schmalen Gassen in die Oberstadt. Dort war es schweinedunkel, kalt und ziemlich glatt.

„Hier wohne ich“, meinte sie, dann ging sie ein paar Treppen hoch, und erklärte, „du darfst aber nicht mit rein wegen der Eltern.“ Wie heißt es doch im berühmten „Nonnengärtner“ von Boccaccio: „Das Mädchen, das weder aus Eisen noch aus Diamanten war, fügte sich gar willig in die Wünsche des Abtes.“ Na ja, jedenfalls waren die Stufen „danach“ noch mehr vereist.

Der ABV

4 „Der ABV (Abschnittsbevollmächtigter) war ein Offizier und Funktionär der Volkspolizei, der einen „Abschnitt“ leitete. Mit Ausnahme der Großstädte und des Sowjetsektors von Berlin nehmen seit 1958 die Abschnitte die Stelle der vormaligen Reviere ein. Der ABV ist, außer in den Großstädten, einerseits Leiter eines kleinen Reviers neuer Art, führt aber andererseits jene politischen Aufgaben weiter, die er bis 1958 (als örtlicher Gehilfe der vormaligen Reviere) ausschließlich hatte (und in Großstädten noch hat). Er kümmert sich z. B um Ernteeinbringung, Führung des Hausbuches, Besuche usw. Nimmt Denunziationen entgegen und veranlasst polizeiliche Maßnahmen, wo er sie für erforderlich hält. Der ABV soll „jedes und jeden“ in seinem Abschnitt kennen und sowohl der VP als auch dem SSD (Staatssicherheitsdienst) ihre Tätigkeit erleichtern. „Ein ABV ist überall“, so betont z. B die „Freiheit“ (SED) am 01.07.1957; wie sie feststellt, führt er auch für die „Nationale Front“ {Blockparteien} „politische Aussprachen in den Hausgemeinschaften durch“. Der Posten des ABV wurde im Oktober 1952 nach dem Vorbild der sowjetischen Kommissare eingerichtet; er ist praktisch ein ausgebildeter Spitzel mit amtlichen Vollmachten. Wird bei seiner Tätigkeit von Volkspolizeihelfern unterstützt.“ `

Er sollte somit dem SSD, also dem Staatssicherheitsdienst, die „Aufklärungsarbeit erleichtern“. Ein wichtiges Element der „Übersicht“ über die Bürger war das so genannte Hausbuch. Jedes Mietshaus hatte einen Hausverwalter, der für das Hausbuch zuständig war. In diesem musste sich ein jeder, der über mehrere Tage zu Besuch kommt, einzutragen. Das war Gesetz. Wer dagegen verstieß, wurde bei entsprechender Denunziation zur Polizei vorgeladen. Aber auch jedes Privathaus, sollte es zum Beispiel Besuch aus dem Westteil Deutschlands bekommen, musste die geforderten Daten genauestens eintragen. Gleiches traf auf ein längeres Fernbleiben der Wohnung zu. Der Staat war also immer unterrichtet, wo man sich gerade aufhielt. Zwecks dessen gab es auch die Nationale Front. Hier trafen sich die Mitglieder der „Scheinparteien“ von SED, CDU, LdPD, NDPD sowie anderer Organisationen, um zu „reden“. Der Posten des ABV wurde genau nach dem Vorbild der sowjetischen Kommissare eingerichtet. Er war praktisch ein voll ausgebildeter Spitzel mit amtlichen Vollmachten. Seine besonderen Merkmale: ein geisteskrankes Misstrauen und äußerst neugieriges Wesen. In seiner Tätigkeit wurde er von „Volkspolizeihelfern unterstützt“. Diese Leute, meist richtige Taugenichtse, machten alles, da sie sonst nichts konnten, was der Staat von ihnen verlangte. Saudumme Fragen wie: „Wer von den Jungen ist hier in dem Haus nicht in der FDJ?“ oder ähnliches gehörten zu deren Wortschatz. Ansonsten waren sie irgendeinem staatlichen Betrieb angegliedert, von dem sie aber jederzeit freigestellt werden konnten, sobald es wichtige „Aufgaben“ zu erledigen galt.

Regelmäßig, also im Abstand von 4 – 6 Wochen, erschien der ABV, um das Hausbuch zu kontrollieren und den Hausverwalter auszufragen. In vielen großen Miethäusern wurde dieses Buch von den Verwaltern ganz penibel geführt, da selbige gewisse Miniprivilegien innehatten. Und da die Häuser, wegen der Abwanderung in den Westen sehr oft vom Eigentümer im Stich gelassen wurden, fühlten sich jene als kleine Erben. Dementsprechend führten sie sich auch auf. Selbst kleinste Vergehen von Kindern und Erwachsenen wurden sofort dem ABV mitgeteilt. Ja, diese Menschen waren echte Speichellecker eines unmenschlichen Systems.

Die erste Spielwoche war vorüber und die ersten freien Tage in Sicht. Ich wollte eigentlich gar nicht nach Hause, weil es mir in Annaberg-Buchholz sehr gut gefiel. Unser Boss hatte im Laufe der Woche eine Dame besseren Alters aufgesucht, die er wahrscheinlich schon kannte, und meinte: „Die freien Tage fahre ich mal in die CSSR mit Kucki.“

So hieß jene vornehme Dame, die ein Geschäft in der „Buchholzer“, dem schon genannten Broadway von Annaberg-Buchholz hatte. Also schloss ich mich den beiden an, natürlich ohne irgendwie aufdringlich zu wirken. Mein Boss freute sich, und wir fuhren am Montag in Richtung Oberwiesenthal. Die Grenze war ja gerade erst geöffnet worden.

Die Tschechoslowakei bestand nunmehr aus zwei gleichberechtigten Staaten, denn die Slowakei war ebenso in die Unabhängigkeit entlassen worden. Logischerweise nur mit der Zustimmung Moskaus. Dubcek war in der russischen Strafversenkung entschwunden, und der neue Vasall Moskaus hieß Husak. Ein echter „Freund“ Honeckers. Irgendwie fühlten wir uns komisch und konnten gar nicht glauben, dass wir ein anderes Land ohne große Formalitäten besuchen konnten.

„Ausweise bereithalten“, sagte Kucki, sie kannte den Ablauf schon. Wir gaben die Ausweise ab und wurden gefragt, was denn unser Ziel sei.

Alfred antwortete unbeeindruckt: „Nach Karlsbad!“

Wums, Pause, doch dann ertönte ein lautes: „Das heißt nicht Karlsbad, sondern Karlovy Vary!“

Ja, genauso ist das! Wer die Macht hat, braucht nicht höflich zu sein! Wir fuhren durch das schöne Sudetenland und erlebten einen wunderschönen Tag. Kurz vor der Grenze, auf der Rückfahrt, hielten wir noch in Gottesgab / Bozi Dar, um uns noch mit einigen Dingen einzudecken, die es in jener Zeit in der DDR nicht gab. Damit meine ich beispielsweise Südfrüchte, Apfelsinensaft oder auch Ölsardinen. Manche „Geschäftemacher“ kauften im großen Stil in der ČSSR ein, um alles später in Karl-Marx-Stadt – heute Chemnitz – teurer verkaufen zu können. Das betraf sogar staatliche Gaststätten. Und die Tschechen merkten das Treiben natürlich, denn sie mussten für die Waren gute Devisen bezahlen, und verboten kurzerhand die Mitnahme devisenträchtiger Dinge. Also gab es von tschechischer Seite den Hinweis, diese Artikel nur sehr begrenzt an Bürger der DDR abzugeben. Es gab immer strengere Kontrollen an der Grenze, und all denen, die „zu viel“ bei sich führten, wurde mit Stempel die Einreise in die ČSSR ganz verboten.

Doch die ostdeutschen Genossen mussten ohnehin erst einmal lernen, welche Folgen es mit sich bringt, wenn man von zehn Drahtseilen, an denen jeder DDR-Bürger befestigt ist, mal eines abschneidet. Wir Ostdeutschen hatten zum größten Teil ein gewisses nicht frei konvertierbares Geldkonto, nur die Ware dafür war nicht vorhanden. Ausgerechnet dasjenige, was der Bürger kaufen wollte, ging für Devisen ins Ausland. Speziell betraf es das „kapitalistische Ausland“. Also wollte man bei den Tschechen ordentlich einkaufen, aber das hatten die Politbürokraten nicht so recht bedacht. Mir der so genannten „Sicherheit der DDR Bürger“ konnte man bei Husak zufrieden sein, denn die Grenze zur Bundesrepublik war auch dort in einem „guten“ Zustand.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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254 стр. 8 иллюстраций
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9783954888115
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