AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6)

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Из серии: The End #6
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Van Zandt bedauerte, keine Waffe zu dem Treffen mitgenommen zu haben. Zumindest hätte er eine vor Ort hinterlegen lassen können. Da er sich ohnehin nicht wirkungsvoll zur Wehr setzen konnte, gehorchte er dem Befehl.

Auch Cruz hob seine Hände, eine Geste der Aufgabe.

»Kommen Sie mit uns«, verlangte einer der unbekannten Soldaten, indem er mit dem Lauf seines M16 gegen Gordons Rücken stieß.

Der fragte: »Wer sind Sie?«

»Steigen Sie in den Hubschrauber«, erwiderte der Fremde.

Die beiden Präsidenten taten wie geheißen.

Nachdem der letzte Soldat Platz genommen hatte, hob die Maschine wieder ab.

Gordon schaute nach unten, wo seine und Cruz' Männer aus entgegengesetzten Richtungen zum Postamt fuhren.

Die beiden kleineren Helikopter flogen auseinander, um die Autos unter Beschuss zu nehmen.

Der Black Hawk drehte hart nach rechts ab, sodass Gordon besser sehen konnte. Im Osten wurden mehrere Humvees getroffen, die zu Cruz' Aufgebot zählten; dichter, schwarzer Qualm stieg aus den Autos auf. Als er sich nach Westen umdrehte, stellte er fest, dass es auch John erwischt hatte. Dessen Geländewagen stand mitten auf dem Highway und brannte.

Es machte Gordon furchtbar wütend.

Ein Soldat forderte Cruz und ihn mit einer Handbewegung auf, Headsets aufzusetzen.

»Willkommen, die Herren«, grüßte eine vertraute Stimme.

Gordon schaute ins Cockpit, um den Sprecher zu sehen, erkannte ihn aber nicht richtig.

»Zugegeben, ich war positiv überrascht, als ich von Ihrem kleinen Geheimtreffen erfuhr. Ich konnte einfach nicht glauben, dass zwei mächtige Männer den Dialog suchen, ohne sich richtig abzusichern. Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen.«

Endlich fiel Van Zandt ein, wem die heisere Stimme gehörte. »Jacques?«

»Richtig, Gordon. Ich bin's, Jacques, und nochmals danke dafür, dass Sie zu diesem Treffen gebeten haben.«

Cheyenne, Wyoming, Vereinigte Staaten

General Baxter ging langsam durch die Trümmer in der Ruine der Kirche, wo überall verstreut zerfetzte Leichen lagen. Es war grauenhaft, zu sehen, was eine einzige Bombe anrichten konnte. Diese Gläubigen hatten von einer Sekunde auf die nächste ihre Leben verloren oder schwere Verletzungen davongetragen. Gerade waren sie noch am Beten und Feiern der Geburt Jesu gewesen, kurz darauf schon tot.

Notfallsanitäter eilten hin und her, liefen an ihm vorbei und suchten fieberhaft nach Überlebenden.

Niemand fand Cruz, doch laut dem, was Baxter zuletzt über ihn gehört hatte, sollte er zu den Kirchenbesuchern gehören. Schnell drängten sich Gedanken darüber auf, wie man den Machtwechsel vollziehen solle. Da noch niemand zum Vize ernannt worden war, würde das Präsidentenamt Edward Williams zufallen, dem Staatssekretär. Er hatte diesen Posten nach Wilburs Tod übernommen, und Cruz hatte es für notwendig erachtet, jeden an Ort und Stelle zu behalten, der bereits anwesend war. Er hatte Williams gemocht und geglaubt, mit ihm arbeiten zu können, solange er so ruhig und besonnen blieb, wie er ihm während der vorangegangenen Monate vorgekommen war. Im Gegensatz zu Wilbur fiel Williams nicht mit der Tür ins Haus und handelte unvoreingenommen. Er war einfach gesagt locker und entspannt. Außerdem hatte der Präsident festgestellt, dass er sich leicht überzeugen ließ, und sah dies als seinen größten Vorzug.

Das Gestöhn und Geschrei der Verwundeten hallte von den verkohlten, bröckelnden Mauern wider.

Dieses Blutbad sehen zu müssen tat Baxter weh, auch weil solche Eindrücke etwas allzu Alltägliches wurden. Die ersten Angriffe hatten aufs Militär abgezielt; jetzt sah es so aus, als habe man die Regierung in ihrem Herzen treffen wollen.

Der General verließ die Ruine durch den Haupteingang und schaute sich im hastigen Getümmel der Ersthelfer um; niemand schien ihn zu bemerken. Unsichtbar zu sein gefiel ihm ziemlich gut.

Dann kam aber ein junger Offizier, sein Gehilfe, zu ihm gelaufen. »Sir«, begann er. »Wir haben die Nachricht erhalten, die Sekretäre Williams und Allen seien tot. Sie hielten sich heute Morgen in der Kirche auf; ihre Leichen wurden eben im gerichtsmedizinischen Büro der Basis identifiziert.«

Für Baxter kam dies einem Schock gleich.

»Sir, Sie sehen aus, als fehle Ihnen etwas«, fügte der Offizier an.

»Mir geht es gut; ich kann es bloß nicht fassen. Das ist eine fürchterliche Tragödie. Wir müssen einberufen, was noch vom Kabinett übrig ist, und uns in den Regierungsbüros besprechen.«

Mehrere Mitglieder seines Schutztrupps näherten sich. Der Anführer, ein junger Mann namens Ferguson, machte deutlich: »Sir, Sie müssen sofort aufbrechen.«

»Ich komme«, erwiderte Baxter und folgte ihnen zu seinem Wagen.

Ferguson, der neben ihm stolzierte, wies seinen Vorgesetzten zurecht. »Sir, Sie dürfen sich Ihrem Schutzteam nicht einfach so entziehen, schon gar angesichts dessen, was heute geschehen ist.«

Als sie das Fahrzeug erreichten, hielt ihn der General am Arm fest. »Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen, aber schreiben Sie mir niemals vor – und ich meine niemals –, was ich tun soll. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Ferguson schaute ihm in die Augen. »Aber Sir …«, fing er an.

Baxter nahm seine Hand weg und hielt sie hoch.

»Schweigen Sie! Die Antwort, die ich von Ihnen erwarte, lautet: Sir, jawohl, Sir.«

Ferguson sah ein, dass er nicht gegen ihn anreden konnte, also gab er nach. »Sir, jawohl, Sir.«

»Gut, wir verstehen uns«, entgegnete der General und stieg ein.

***

In den Räumlichkeiten der Regierung tauchten nach und nach die ersten Amtsträger auf, und es ging immer hitziger zu.

Baxter wollte sich sofort in sein Büro zurückziehen; als er jedoch die Tür öffnete, traf er auf ein Gesicht, das er seit Monaten nicht gesehen hatte. In seinem dick gepolsterten Ledersessel saß entspannt, wie man an seinen lässig im Schoß liegenden Händen erkannte, Eli Bennett. Er war der Fahrer gewesen, der Annaliese zur Flucht aus dem Krankenhaus nach Sandy in Utah verholfen hatte. Dort war er auch geblieben, um in aller Abgeschiedenheit zu leben. Als er von dem Vorfall während Präsident Conners Rede und Wilburs Tod gehört hatte, war es für ihn an der Zeit gewesen, zurückzukehren. Allerdings hatte er dies nicht als Eli Bennett tun können. Zum Glück war es aufgrund der Flüchtlingskrise leicht gewesen, ohne Papiere nach Cheyenne zu gelangen, weshalb er sich unter die Schutzsuchenden gemischt und sich ungehindert Zugang verschafft hatte. Im Laufe der vergangenen paar Monate war es ihm gelungen, sich den Widerständlern wieder anzuschließen.

»Glückwunsch, Mr. President«, grüßte er lachend.

Baxter drehte sich um, weil er befürchtete, jemand könne die Bemerkung des Mannes gehört haben, und schloss schnell die Tür. »Was wollen Sie hier?«

»Ich bin schon seit Monaten zurück. In dem ganzen Trubel konnte ich mich recht einfach einschmuggeln.«

Baxter ging zum Schreibtisch hinüber und herrschte ihn an: »Stehen Sie von meinem Sessel auf! Ach was, verschwinden Sie gleich aus meinem Büro! Ich sollte Sie festnehmen lassen.«

»Ich habe die Neuigkeiten gehört, muss aufregend für Sie sein«, bemerkte Eli schmunzelnd.

»Sie denken, ich hätte etwas damit zu tun?«, fragte Baxter.

Eli schaukelte im Sitzen, während er entgegnete: »Natürlich sind wir es gewesen, aber der eine oder andere wird Sie verdächtigen.«

»Was wollen Sie?«, wiederholte der General.

»Sie hatten ein Motiv«, fuhr Bennett süffisant fort. Er wusste genau, dass seine Stichelei Baxter ärgerte.

»Hatte ich nicht.«

»Und ich sage: Sie hatten sehr wohl. Jedenfalls werden nicht wenige zwei und zwei zusammenzählen können.«

Da drehte sich Baxter um und griff zum Türknauf, hielt jedoch inne, als Eli ihn warnte.

»Ich würde bleiben lassen, was Sie vorhaben, falls Sie vorhaben, was ich denke. Sollte ich nicht zurückkommen, packen mehrere Personen aus, was sie über Sie wissen. General, Sie haben den Widerstand gemeinsam mit Wilbur und Pat angeführt, bevor Sie den Schwanz einzogen.«

Baxter ließ den Knauf los und drehte sich wieder um. »Verdammt, Mann, was wollen Sie?«

»Ich will, dass Sie Präsident werden, jawohl. Jedoch lege ich Wert darauf, dass Sie wissen, wem Sie das zu verdanken haben. Genauer gesagt legen wir Wert darauf. Ich handle nicht nur in eigener Sache.«

Baxter schaute verkniffen drein und knirschte mit den Zähnen.

»Sie werden alles tun, egal was wir Ihnen auftragen«, fügte Eli hinzu, bevor er aufstand.

»Ich möchte, dass Sie abhauen.«

Sein Gast trat vor den Schreibtisch und blieb wenige Zoll vor ihm stehen. »Erzählen Sie mir, wie Bethanny gestorben ist. Ich hörte, Sie sei mit einem Kopfschuss in einer Gasse gefunden worden. Zudem soll die Kugel gefunden worden, aber irgendwie verloren gegangen sein, und der arme Pat kam auf die gleiche Weise um. Zunächst habe ich Sie dahinter vermutet, bis mir einfiel, wie Sie sie immer angesehen haben. Sie hatten eine Schwäche für Bethanny.«

»Raus.«

»Ich gehe ja schon, keine Angst. Sehen Sie nur zu, dass Sie mich auf die Liste setzen. Ich werde mich oft blicken lassen, sobald Sie in dem Büro am Ende des Flurs sitzen.« Damit verließ Bennett den Raum.

Als die Tür zufiel, seufzte Baxter laut. Er hatte geglaubt, seine Spuren verwischt zu haben, war jedoch von seiner Vergangenheit eingeholt worden, und zwar auf verhängnisvolle Art. Zerknirscht darüber, damals überhaupt zur Gegenseite übergelaufen zu sein, ging er zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen. Dann drehte er sich damit um und schaute zum Fenster hinaus. Mehrere Gebäudeblocks weit entfernt stieg eine schwarze Rauchfahne am grauen Himmel auf. Als zuvor in der Kirche von einer Tragödie die Rede gewesen war, hatte er dieses Wort bewusst gewählt. Dass so etwas geschehen sollte, war nie in seinem Sinne gewesen. Damals, als er mit dem Widerstand geliebäugelt hatte, war dies eine Gegenreaktion auf Conners zusehends machthaberisches Verhalten gewesen. Jetzt schien ebenjene Gruppe, zu deren Mitbegründern er gehörte, selbst machthungrig geworden zu sein, und hatte ihn am Haken.

 

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen finsteren Gedanken.

»Ja?«

Sie ging auf, und Cruz' Hauptassistentin Laura beugte sich herein. »General Baxter, ein Anruf von Cheyenne auf Leitung drei. Es ist die Frau des Präsidenten.«

Er schloss seine Augen. Vor der Unterhaltung, die er nun führen sollte, graute ihm, doch das musste erledigt werden. Er bugsierte den Sessel zurück an den Tisch, hob den Telefonhörer ab und drückte auf einen leuchtenden Knopf. »General Baxter hier«, begann er.

»Mrs. Cruz am Apparat.«

»Mrs. Cruz, guten Morgen. Ich, äh … weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber heute früh wurde ein Anschlag verübt – mit einer Bombe. Das Ziel war St. Mary's Church.«

»Und?«

»Und es geschah während des Weihnachtsgottesdienstes, Ma'am.«

»Ist Andrew tot?«

»Davon gehen wir aus, Ma'am.«

Sandy, Utah

Pablo zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und nahm sich die Krücken, die an seiner Kommode lehnten. Dabei blickte er auf zu der Stelle, wo ein Spiegel gehangen hatte. Diesen nicht vorzufinden weckte Erinnerungen, doch sich selbst zu sehen wäre schlimmer gewesen. Seine Verletzungen und Leiden ließen sich nicht verhehlen. Sie würden ihn bis zu seinem Tod begleiten.

Draußen quietschte Annaliese vor Vergnügen.

Er ging zum Fenster hinüber und schaute hinaus, gerade als sie ihre Mutter umarmte und auf den Kopf küsste. Ein wohlwollendes Grinsen erhellte seine geschundenen Züge vorübergehend.

»Hector!«, rief Annaliese. »Kommen Sie, und sehen Sie sich das an!«

Sie nannte ihn immer noch so, obwohl sie seinen richtigen Namen kannte. Er gewöhnte sich langsam daran; eigentlich gab es in seinen Augen nichts, weswegen man sich über sie empören konnte.

Sie versuchte es wieder: »Hector!«

Er machte sich auf den Weg nach draußen. »Hier«, sprach er dann. Seine Stimme klang nach wie vor belegt und heiser.

Sie wandte sich ihm überschwänglich zu und erwiderte: »Da sind Sie ja, kommen Sie her. Mom ist gerade reingegangen. Ich brauche ein wenig Hilfe mit dem Geflügel.«

Pablo ging hinüber und blieb auf die Krücken gestützt stehen. Er hatte sich zwar weiterhin physiotherapeutisch von Annaliese behandeln lassen, doch die Gehhilfen zu benutzen war einfacher und nicht so schmerzhaft, weshalb er es so oft wie möglich tat.

»Heute Morgen war schön, nicht wahr?«, fragte sie mit Bezug auf die gemeinsame Bescherung der Familie.

»Ja.«

»Ich bin so froh darüber, dass Sie da waren und mit uns gefeiert haben.«

»Ich auch.«

Sie schwärmte noch mehrere Minuten lang, während er wie üblich mit einem oder zwei Wörtern antwortete.

»Ich glaube, sie sind fertig«, sagte Annaliese, bevor sie die beiden Fasane aus der Gusseisentonne zog, die sie als Fritteuse verwendeten, wobei sie darauf achtete, sich nicht an den wenigen Flammen und heißen Kohlen in der Mulde unter dem Behälter zu verbrennen.

»Gut«, entgegnete Pablo.

Breit grinsend legte sie das dampfende Geflügel auf eine große Platte. »Ich hatte erst frittierten Truthahn, warum also nicht mal Fasan?«

Er nickte.

Schließlich eilte sie zum Haus. »Am besten schnell rein damit. Die Temperatur muss unter dem Gefrierpunkt liegen.«

Pablo blieb dicht hinter ihr. Er konnte sich nunmehr relativ schnell mit den Krücken bewegen. Nachdem er die Stufen der Vorterrasse hinaufgestiegen war, zog er die Tür auf, gerade rechtzeitig für Annaliese.

Sie lief an ihm vorbei und in die Küche.

Dorthin folgte Pablo ihr nicht; er schloss die Tür und wandte sich ab.

Als Annaliese bemerkte, dass er nicht mehr da war, kehrte sie zum Eingang zurück und streckte ihren Kopf hinaus. »Wohin gehen Sie? Möchten Sie mir nicht beim Anrichten helfen?«

Er blieb stehen und schaute zurück. »Nein.«

Sie machte sich Sorgen, weil er sich seit Kurzem immer seltener in ihrer Nähe und im Haus aufhielt. Stattdessen war er bei seinen Männern. Sie mochte diese Soldaten nicht und machte keine Anstalten, ihren diesbezüglichen Unmut vor ihm zu verbergen.

Er hatte sein Wort ihr gegenüber gehalten und ließ die Gruppe außerhalb der Umfriedung der Ranch kampieren. Dennoch genoss er die Zeit bei ihr und schwelgte mit den Männern in Siegeserinnerungen wie ein altgedienter Veteran.

»Es ist kalt draußen; kommen Sie doch rein. Sie können ein Fläschchen Wein mit Onkel Samuel köpfen und es sich am Feuer gemütlich machen.« Annalieses Versuch, ihn ins Haus zu locken, war vergebene Liebesmühe.

»Nein, danke«, erwiderte Pablo. Wie immer fasste er sich kurz, weil sein Rachen und seine Stimmbänder beschädigt waren, weshalb ihm längeres Sprechen starke Schmerzen bereitete.

»Na gut, aber Sie verpassen was«, sagte sie und sah dabei traurig aus. »Ich melde mich, wenn das Abendessen fertig ist.«

Er nickte wieder und stieg langsam von der Vorterrasse.

Annaliese beobachtete, wie er auf einen Polaris Ranger zuging, ein Geländefahrzeug und als Leihgabe von Samuel dazu gedacht, Pablo zügig übers Grundstück zu befördern. Nachdem sie erfahren hatte, wer er war, haderte sie mit gemischten Gefühlen: Angst, Zweifel und Zorn allen voran, doch langsam erkannte sie in ihm einen sanftmütigen, liebevollen und empfindsamen Mann mit dem Herzen und der Entschlossenheit eines Löwen. Gerüchten zufolge handelte es sich um den mächtigen, schrecklichen Pablo, den Herrscher des panamerikanischen Imperiums, aber Annaliese konnte nicht glauben, es sei ein und dieselbe Person. Sie redete sich ein, der Hubschrauberabsturz habe ihn geläutert. So wie sich Saulus zu Paulus gewandelt hatte, sei Pablo zu Hector geworden.

Enttäuscht darüber, dass sie die Zeit bis zum Dinner nicht mit ihm verbringen konnte, zog sie sich in die Küche zurück und fing mit den Vorbereitungen an.

Pablo fühlte sich ihr gegenüber zutiefst zu Dank verpflichtet. Sie hatte ihn aufgenommen und sein Leben gerettet, daran gab es nichts zu rütteln. Durch Annaliese war ihm klar geworden, dass es einen anderen Weg gab, aber seit er seine Männer mit ihren Kriegsgeräten gesehen und wieder Zeit mit ihnen verbracht hatte, machte sich der alte Imperator in ihm aufs Neue bemerkbar.

Er winkte dem Wachposten am Tor, als er die Ranch verließ. Er hatte Annaliese darauf hingewiesen, dass es unnötig sei, jemanden hier einzusetzen, wo doch seine Soldaten gleich vor dem Gelände lagerten, doch Samuel bestand weiterhin darauf.

Dieser wusste nicht so recht, was er von Pablo und den Männern halten sollte, was ihn bekümmerte. Als allgemein vorsichtiger Mensch betrachtete er den Mann und seine Invasionsarmee als Bedrohung und sah es deshalb kommen, dass sowohl er selbst als auch der Rest der Gemeinschaft vor Ort den wahren Hector – so nannte ihn immer noch jeder – zwangsläufig bald kennenlernen würden.

Nachdem Pablo am höchsten Punkt eines kleinen Hügels angehalten hatte, blickte er hinab und lächelte beim Anblick seiner Streitkraft. Die Männer hatten wie er Verletzungen davongetragen und würden nie wieder dieselben sein. Sie waren dezimiert worden, aber immer noch schlagfertig und eine veritable Macht.

Als Domingo Luis das bekannte Motorengeräusch des Rangers hörte, trat er aus dem großen Zelt, das optisch einem Krankenlazarett ähnelte, und winkte. Rechts von ihm flatterten die Flagge des panamerikanischen Imperiums sowie die Farben des Bataillons im Wind. Er war ein stolzer Soldat und pflichttreu, aber sein Herz hing noch an Venezuela, weshalb er Heimweh hatte.

Pablo wählte wieder Dauerbetrieb per Schaltknüppel und fuhr geradewegs auf Luis zu.

Der grölte breit grinsend mit erhobenen Händen: »Imperator, feliz Navidad

»Feliz Navidad, Kommandant«, erwiderte Pablo mit seiner mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen Reibeisenstimme.

Luis eilte zur Fahrerseite. »Lass dir heraushelfen, Herr.«

»Nein«, stellte Pablo klar, indem er ihn aus dem Weg stieß und ohne seinen Stock ausstieg. Er musste sich darauf konzentrieren, sein Gleichgewicht zu halten, bevor er den ersten Schritt machte.

»Komm in mein Zelt, es ist warm, und ich habe vino. Die Männer sind auf einen üppigen Vorrat gestoßen«, erzählte der Kommandant und bedeutete seinem Imperator, unter Dach zu gehen.

Pablo betrat das Zelt und war überrascht ob der Wärme. Als ihm ein breiter Sessel ins Auge fiel, nahm er sofort Platz.

Luis kam hinter ihm herein, schloss die Eingangsklappe und setzte sich ihm gegenüber. Dann nahm er ein Glas von einem Regal und schenkte aus einer bereits offenen Flasche Wein ein. »Das ist Caymus, der schmeckt dir bestimmt.«

Pablo schaute dabei zu, wie das Glas voller wurde. Er liebte Wein, vor allem edle Sorten. Während er ihn mit der rechten Hand schwenkte, betrachtete er den Film, den die Flüssigkeit an der Innenwand bildete. Schließlich hielt er ihn unter seine Nase und sog das Bouquet mit geschlossenen Augen tief ein. »Ahh.«

»Warte nur, bis du ihn probiert hast.«

Ohne die Lider wieder aufzuschlagen, setzte er an und nahm einen großzügigen Schluck. Bevor er ihn seine Kehle hinabrinnen ließ, behielt er ihn einen Moment lang auf der Zunge.

Luis blieb sitzen und wartete ruhig auf das Urteil seines Herrschers über den Wein.

Pablo schlug die Augen endlich auf. »Gut«, befand er.

»Siehst du? Ich sagte es dir, Herr, er ist ausgezeichnet. Ich habe siebenunddreißig Kisten; selbstverständlich gehören Sie alle dir, falls du Sie möchtest.«

»Gibt es etwas Neues zu berichten?«, wollte er wissen.

»Ja, aber Herr, ich möchte dir noch etwas geben, ein Geschenk zum Fest«, entgegnete Luis.

Pablo war zwar ungeduldig, aber trotzdem bereit, sich zu Weihnachten ausnahmsweise einmal in Nachsicht zu üben.

»Die Männer haben ein Museum entdeckt. Sicher, du denkst bestimmt: ›Wen interessieren schon Museen?‹, aber solche Orte sind wahre Schatzkammern, weil es dort Souvenirläden voller Lebensmittel, Wasser, Batterien und so weiter gibt. Das war aber nicht die beste Beute, die sie bei dem Abstecher gemacht haben; nein, das hier ist ihnen in die Hände gefallen.« Luis zeigte eine aufwendige Kopfbedeckung mit Federn.

Als Pablo dieses Geschenk sah, setzte er sich aufrecht hin. Es weckte sein Interesse. Als Mexikaner, der in der Schule viel über die Kultur seines Vaterlandes gelernt hatte, erkannte er das Stück als Teil der Kluft aztekischer Priester.

Luis trug es hinüber und hielt es ihm vor.

Pablo stellte sein Glas ab und nahm den Schmuck. Dieser war schwerer als erwartet. Er besah die bunten Federn, das Gold und die Edelsteine mit Wonne. »Das ist echt«, bemerkte er.

»Ja, Herr, wie gesagt, es stammt aus einem Museum.«

»Danke, General, vielen Dank«, erwiderte Pablo und meinte es auch so.

»Gern geschehen, Imperator. Frohe Weihnachten.«

Er bedankte sich noch einmal. Erst wollte er das Stück aufsetzen, ließ es aber sein, um sich nicht wehzutun oder es zu beschädigen.

Luis lächelte freudestrahlend.

Nachdem Pablo die Kopfbedeckung zurückgegeben hatte, sprach er: »Behalte es hier, bei dir ist es sicher. Danke, General, ein wirklich hübsches Geschenk.«

»Natürlich bewahre ich es gern hier im Kommandozelt auf, Herr«, versicherte Luis. »So ist bestens dafür gesorgt.« Er trug den Schmuck wieder nach hinten und setzte ihn auf einen Ständer bei seinem Feldbett. Dann drehte er sich um und bot an: »Lass mich dir nachschenken. Wir sollten feiern.«

»Mir geht es jetzt nicht um Wein«, erklärte Pablo und räusperte sich. Er ging zur Tagesordnung über, als habe er lediglich einen Schalter umlegen müssen.

»Freilich, das kann ich mir denken«, sagte Luis. »Du willst sicher wissen, ob wir mehr herausgefunden haben.«

Pablo nickte.

»Wir haben eine kleine Einheit südlich von Cheyenne abgefangen. Unsere Männer haben sie gerade erst hergebracht.«

 

»Und?«

»Die Gefangenen schweigen. Die bisherigen Verhörmethoden haben sich als wirkungslos herausgestellt, aber diese Amerikaner sind eben zäh.«

»Wo finde ich sie?«

»Wir haben sie am hinteren Ende des Lagers untergebracht.«

»Bring mich hin«, verlangte Pablo. Er stürzte das Glas hinunter, den ganzen Wein mit nur zwei kräftigen Schlucken. Nachdem er es sanft abgestellt hatte, sagte er lächelnd: »Sehr gut.«

Luis tat es ihm gleich und leerte sein Glas. »Folge mir, Herr.«

Sie stiegen gemeinsam in den Ranger, woraufhin Luis die Richtung zu dem Zelt wies, das notgedrungen als Gefängniszelle herhielt.

Dort stieg Pablo aus und ging an den Wachen vorbei, die am Eingang standen.

Luis konnte nicht voraussehen, wie sich sein Imperator verhalten würde. Er hatte ihn seit ihrer ersten Begegnung im November vorm Tor der Ranch nicht mehr gesehen, aber viele Geschichten über seine Erbarmungslosigkeit gehört.

In dem schwach beleuchteten Zelt stank es nach Kot und Urin. Pablo verschaffte sich einen Eindruck des Interieurs. An der hinteren Wand standen drei Männer mit freiem Oberkörper, deren Hände man über ihren Köpfen an eine dicke Metallstützstange gefesselt hatte. An den Armen und der Brust eines jeden klebte getrocknetes Blut.

Einer hob erschöpft den Kopf und schaute Pablo an. Höhnisch grinsend fragte er: »Wer ist der Krüppel?«

Da stürzte Luis an seinem Herrn vorbei und ohrfeigte den Mann mit der flachen Hand. »Wie kannst du es wagen, so über unseren Imperator zu sprechen?«

Der Geschlagene lachte und spuckte einen Klumpen blutigen Speichels aus. »Leck mich, und scheiß auf deinen Imperator. Wir haben den Wichser schon vor Monaten kaltgemacht.«

Luis holte aus, um wieder handgreiflich zu werden, stockte jedoch, als Pablo einlenkte. »Halt!«

Verwundert drehte sich der Kommandant um und erhob Einwände. »Aber Herr, er zollt dir keinen Respekt.«

»Mach Platz!«, befahl Pablo.

Luis fügte sich.

Im Gegensatz zu ihm brauchte der Hinkende doppelt so viele Schritte, um den Mann zu erreichen. Der schaute Pablo abschätzig an und bellte: »Was wirst du tun, Krüppel? Hä? Du siehst aus, als hätte dir jemand einen Flammenwerfer in die Fresse gehalten.«

Pablo stellte seinen Kopf schräg und blickte dem Kerl tief in die Augen. Dann trat er zurück und zog seine dicke Jacke aus. Nachdem er sie auf einen kleinen Tisch neben die Gefangenen gelegt hatte, nahm er eine dicke Rolle aus braunem Leintuch heraus.

Der Mann wollte wissen: »Was soll das sein?«

»Name?«, fragte Pablo.

»Deine Stimme, deine Visage … du bist ein echtes Monster«, spottete der Mann.

Pablo rollte das Tuch auf. Es enthielt Werkzeuge und Messer. Mit spitzen Fingern breitete er die Sachen aus und ordnete sie säuberlich in einer Reihe an.

Ein anderer Gefangener warf nervös ein: »Was hast du vor?«

Der Mexikaner ignorierte ihn und widmete sich nur dem ersten Mann. »Name?«

»Mein Name ist Sergeant, fick dich!«

Da grinste Pablo heimtückisch. Er nahm eine Wasserpumpenzange und baute sich wieder vor ihm auf. »Name?«

»Ich schweige wie ein Grab.«

Pablo räusperte sich wieder und hob daraufhin an: »Ich bin Pablo Luiz, der Herrscher des panamerikanischen Imperiums.« Ehe er fortfuhr, schluckte er angestrengt. »Heute Abend möchte ich aber dem gerecht werden, was du gesagt hast, und ein Monster sein.« Er streckte sich aus, um einen Finger des Mannes hochzuheben, als das Funkgerät in seiner Jacke piepte.

»Hector, hier ist Anna. Dinner ist fertig.«

Pablo hielt einen Moment inne, machte dann aber weiter.

»Hector, wo stecken Sie? Wir haben die Essensglocke schon geläutet und warten auf Sie.«

Er brach ab und kehrte zum Tisch zurück; er öffnete die Tasche, in der das Gerät steckte, nahm es heraus und betätigte die Sprechtaste. »Bitte kommen.« Dabei schaute er den Kommandanten und die anderen im Zelt an, auch die Gefangenen. Sie alle erwiderten seinen Blick verständnislos.

»Da sind Sie ja. Beeilung, die Fasane sehen herrlich aus.«

Als er die Taste noch einmal drückte, schrie der zweite Mann: »Hilfe!«

Pablo legte das Funkgerät nieder, ging schnell hinüber und schlug ihm mit der Zange auf den Mund.

»Hector, alles okay bei Ihnen?«, fragte Annaliese.

Nachdem Pablo das Zelt verlassen hatte, antwortete er: »Ja, bin in zehn Minuten da.«

»In Ordnung.«

Nun kehrte er nach drinnen zurück und warf das Gerät mit der Zange auf den Tisch. Stattdessen nahm er einen Schlosserhammer, kehrte sich einem der Wächter zu und zeigte auf den ersten Gefangenen. »Halt eines seiner Beine fest.«

»Jawohl, Imperator.«

Als der Mann das Bein stillhielt, suchte Pablo die Blicke der übrigen und sagte: »Schaut zu.« Dann schlug er mit dem Hammer aufs Knie – immer wieder, bis die Scheibe völlig zersplittert war.

Sein Opfer brüllte in unerträglichen Qualen, gab aber keinerlei Informationen preis.

Darum beschloss Pablo: »Jetzt das andere Bein.«

Die Wachen führten den Befehl unversehens aus.

Der Mann stützte sein gesamtes Gewicht auf das heile Bein. Pablo zertrümmerte auch dessen Kniescheibe.

Der Gefangene hing mit seinem ganzen Gewicht an den Armen, blieb aber weiterhin unbeugsam. »Du kannst mich mal.«

»Zieht ihm die Hose runter«, ordnete Pablo jetzt an.

Die beiden anderen Männer ahnten sichtlich, was folgen würde.

Die Wächter zogen die Hose des Mannes herunter.

Er hing nackt bis auf seine Socken da, die rot vor Blut waren.

Pablo warf den Hammer auf den Tisch, suchte eine große Schere aus und schaute wieder die zwei anderen an. »Wollt ihr jetzt reden?«

»Ich sage dir alles. Bitte tu mir nicht weh«, schluchzte der dritte Mann.

»Was auch immer du wissen willst, alles«, bekräftigte der zweite.

Der Erste hing bloß da, zeigte sich aber immer noch widerspenstig.

»Ein tapferer Kerl bist du«, sagte Pablo zu ihm. »Stark.« Und ohne Zögern schnitt er ihm die Genitalien ab.

Der Mann heulte vor Schmerz und verlor das Bewusstsein.

Pablo warf die blutbesudelte Schere wieder auf den Tisch, drehte sich zu Luis um, der schockiert dreinschaute, und sagte: »So macht man das.«

Der Kommandant nickte mit angsterfülltem Blick.

Zuletzt nahm Pablo seine Jacke und ging hinaus, wo gleich das Funkgerät wieder piepte. »Jetzt verspäten Sie sich definitiv zum Weihnachtsdinner«, vermeldete Annaliese.

Er antwortete: »Bin unterwegs.«

»Verstanden.«

Noch einmal schaute er durch die Zeltklappe und mahnte: »Besorg mir die Infos.«

Luis nickte erneut. »Sehr wohl, Imperator«, gab er zurück.

***

Pablo raste zur Farm und sprintete – zumindest für seine Verhältnisse – direkt ins Haus, sobald er ankam.

Annaliese war die erste Person, auf die er stieß. »Da ist er ja«, sagte sie. »Unser Ehrengast.«

Er staunte nicht schlecht, da nicht nur ihre Angehörigen zugegen waren, sondern auch eine größere Gruppe aus dem Krankenhaus, das sie auf der Ranch unterhielten.

»Frohe Weihnachten!«, wünschten alle im Einklang.

Pablo machte keinen Hehl aus seiner Verwirrung.

»Sie wirken schlecht gelaunt«, deutete Annaliese besorgt an. »Stimmt etwas nicht?«

Um sich keine Blöße zu geben, nickte er wieder und blieb kurz angebunden. »Alles gut, nur müde.«

»Bitte nicht zu müde«, entgegnete sie, während sie ihm aus der Jacke half. »Wir haben einen Grund zum Feiern.«

»Weihnachten«, präzisierte er.

»Und Sie, wir feiern Sie. Fünf Monate sind vergangen, seitdem Sie hergebracht wurden, und schauen Sie sich jetzt an.« Als Annaliese die Jacke an einen Stuhl hängte, spürte sie etwas Feuchtes an ihren Fingern und schaute hinunter. Es war Blut. »Hector, haben Sie sich wehgetan?«

Pablo drehte sich erschrocken um und starrte auf ihre Hand; er schaltete schnell und behauptete: »Finger geschnitten.«

»Lassen Sie mich mal sehen«, bat sie und kam auf ihn zu.

»Nein.« Er wich zurück.

»Ich bin Krankenschwester. Davon verstehe ich was.« Jemand am Tisch lachte.

»Aufs Klo«, sprach Pablo und hinkte eilig fort. Nachdem er die Badezimmertür geschlossen hatte, suchte er an seinen Händen und Kleidern nach weiteren Blutflecken. Nichts. Er öffnete den verspiegelten Medizinschrank, nahm einen Verband heraus und wickelte ihn um eine seiner Hände. Erleichtert aufatmend hob er den Kopf, wobei er sein Spiegelbild sah. Rasch wandte er sich ab, hielt dann jedoch inne. Indem er sich bewusst dazu zwang, drehte er sich wieder um und schaute hin. Die schrundigen Brandnarben stachen ins Auge; die Haut in der einen Hälfte seines Gesichts sah wie verschmort aus, und selbst die Haare waren nicht vollständig nachgewachsen, nur büschelweise. Er beugte sich weiter nach vorn, bis er einzelne Pigmente seiner Iris ausmachen konnte. Der heutige Abend hatte Erinnerungen geweckt und ihm einen Kitzel beschert, wie er ihn zuletzt vor längerer Zeit verspürt hatte. Er besaß ein Händchen fürs Foltern, vom Verstümmeln und Morden ganz zu schweigen. Es lag ihm im Blut.

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